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Sogenanntes „Treaty override“ bei ausländischen Mitunternehmern – Verstoß gegen Verfassungsrecht?

Sogenanntes „Treaty override“ bei ausländischen Mitunternehmern – Verstoß gegen Verfassungsrecht?

Kernaussage
Der Bundesfinanzhof (BFH) ist der Auffassung, dass die Regelungen in § 50d Abs. 10 EStG gegen Völkerrecht verstoßen und deshalb wegen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes auch gegen Verfassungsrecht. Er legt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) daher die Frage vor, ob der Gesetzgeber durch ein sogenanntes Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt.

Sachverhalt
Strittig war die Besteuerung von Zinseinkünften eines italienischen Staatsbürgers, der atypisch still an einer deutschen GmbH & Co. KG beteiligt war. Während der Kläger Art. 11 des DBA Italien – und damit eine alleinige Besteuerung der Zinseinkünfte im Ansässigkeitsstaat – durchsetzten wollte, ging das Finanzamt davon aus, dass die Zinsen über § 50d Abs. 10 EStG als gewerbliche Einkünfte in Deutschland zu versteuern waren.

Ansicht des BFH
Der BFH führt zunächst aus, dass die Zinsen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2a) EStG grundsätzlich in Deutschland zu besteuern sind. Die Darlehensforderung sei in diesem Zusammenhang der Betriebsstätte der deutschen GmbH & Co. KG zuzurechnen. Betriebsstättenlose Einkünfte aus Gewerbebetrieb kann es nach Ansicht des BFH nicht geben. Er verweist hierbei auf die Neuregelung durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRUmsG), wonach die Zuordnung bei der Betriebsstätte erfolge, bei der die Vergütungen für den Gesellschafter in Abzug gebracht worden sind. Gleichwohl hält der I. Senat die Regelung in § 50d Abs. 10 EStG für verfassungswidrig. Er begründet dies mit einem Verstoß gegen Völkerrecht, welcher ohne tragfähige Gründe erfolge und den Kläger damit in seinem subjektiven Grundrecht auf die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzte. Kritisch gesehen wird dabei insbesondere Folgendes: Durch die einseitige Umqualifizierung kommt es gegebenenfalls zu einer Doppelbesteuerung, weil der ausländische Staat die betreffenden Einkunftsquellen in vollem Umfang besteuert, ohne dass es zu einer Anrechnung der deutschen Steuer kommt. Durch die rückwirkende Anwendung der mit dem AmtshilfeRUmsG geänderten Regelungen kommt es zu einem Verstoß gegen das Rückwirkungsprinzip.

Konsequenzen
Der seit Jahren schwelende Streit zwischen Rechtsprechung und Finanzverwaltung beziehungsweise Gesetzgeber wird nun auch für gewerbliche Einkünfte vor dem BVerfG ausgetragen. Steuerpflichtige sollten entsprechende Steuerbescheide offenhalten.

Treaty override bei Einkünften von Piloten

Treaty override bei Einkünften von Piloten

Kernaussage
In Deutschland ansässige Piloten, die für ausländische Fluggesellschaften tätig sind, werden mit den hieraus bezogenen Vergütungen regelmäßig (bei Eingreifen einer Sonderregelung wie in Art. 15 Abs. 3 OECD-MA) im Ausland (hier Irland) besteuert. Soweit die Besteuerung im Quellenstaat nicht vollumfänglich erfolgt, kommt es trotz § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG nicht zu einem Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland.

Sachverhalt
Strittig war die Besteuerung eines in Deutschland ansässigen Piloten einer irischen Fluggesellschaft. Die Besteuerung seiner Vergütungen erfolgte zunächst gemäß XII Abs. 3 DBA ausschließlich in Irland. Nachdem die Besteuerung in Irland nochmals zu seinen Gunsten dahingehend geändert worden war, dass nur der auf Territorium Irlands entfallende Teil seiner Vergütungen besteuert wurde, sah das Finanzamt die Möglichkeit, § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG anzuwenden. Das Finanzgericht und der Bundesfinanzhof (BFH) traten dieser Ansicht entgegen.

Entscheidung
Der BFH lehnte eine Anwendung von § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG ab, weil die Vorschrift bereits dann nicht mehr angewendet werden kann, wenn der ausländische Staat überhaupt eine Besteuerung der Einkünfte vornimmt. In welchem Umfang die Besteuerung erfolgt, ist nicht entscheidend. Da der Steuerpflichtige darlegen konnte, dass es zu einer Quellenbesteuerung in Irland gekommen ist, war § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG nicht anwendbar. Ebenso wenig ließ sich eine Besteuerung nach § 50d Abs. 8 EStG rechtfertigen. Wie der BFH ausdrücklich betont, reicht es auch insoweit aus, dass der Steuerpflichtige entweder den Verzicht des ausländischen Staates auf eine Besteuerung oder deren tatsächliche Entrichtung nachweist.

Konsequenzen
Sobald eine Besteuerung im Ausland erfolgt, greift die Regelung in § 50d Abs. 9 Nr. 2 EStG nicht. Der BFH widerspricht damit der von der Finanzverwaltung vertretenen Rechtsansicht im BMF-Schreiben vom 12.11.2008 (BStBl 2008 I S. 988).

Verfassungswidrigkeit eines so genannten „Treaty Override“

Verfassungswidrigkeit eines so genannten „Treaty Override“

Kernproblem

Seit Jahren bereits schwelt die Frage, ob der Gesetzgeber durch ein so genanntes Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt. Unter einem Treaty override versteht man eine Regelung, mit der sich ein Steuergesetzgeber über die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder einem anderen internationalen Vertrag hinwegsetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon vor allem in jüngerer Vergangenheit in erheblichem Umfang Gebrauch gemacht, insbesondere auch, um eine „Keinmalbesteuerung“ zu vermeiden.

Sachverhalt

Kläger war ein Arbeitnehmer und Geschäftsführer einer inländischen GmbH, der für die Gesellschaft in der Türkei gearbeitet hatte. Nach dem DBA-Türkei waren diese Einkünfte in Deutschland freizustellen. Das Finanzamt gewährte die Freistellung indes nicht, da der Kläger – entgegen der nationalen einkommensteuerlichen Vorschrift – nicht nachgewiesen habe, dass er in der Türkei entsprechende Einkommensteuer bezahle oder dass die Türkei auf das ihr zustehende Besteuerungsrecht verzichtet habe. Hiergegen wandte sich der Kläger insbesondere mit dem Argument, dass ein solcher Nachweis nach dem DBA-Türkei nicht gefordert sei. Nach erfolglosem Verfahren vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz konnte er nunmehr vor dem Bundesfinanzhof (BFH) einen Teilerfolg verbuchen.

Entscheidung

Nach Ansicht des BFH steht die deutsche einkommensteuerliche Vorschrift, auf die sich das Finanzamt berufen hatte, nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung sowie dem Gleichheitssatz. Er begründet dies insbesondere mit der zwischenzeitlich geänderten Sicht des Bundesverfassungsgerichts. Die Rechtsprechungsänderung lasse vermuten, dass ein nationales „Überschreiben“ eines Völkerrechtsvertrags nicht (mehr) verfassungskonform sei. Der BFH hat daher die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Konsequenz

Die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht betrifft unmittelbar nur die streitige Einkommensteuervorschrift. Die eigentliche Brisanz des Ersuchens liegt jedoch darin, dass mittelbar eine Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts stehen. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen feststellen, wird dem deutschen Staat letztendlich nichts anderes übrig bleiben, als entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteuerungsrechts an den Wohnsitzstaat im Fall der „Keinmalbesteuerung“ unmittelbar in dem jeweiligen DBA selbst zu verankern oder auch ein DBA zu kündigen.