Verfassungswidrigkeit eines so genannten „Treaty Override“

Verfassungswidrigkeit eines so genannten „Treaty Override“

Kernproblem

Seit Jahren bereits schwelt die Frage, ob der Gesetzgeber durch ein so genanntes Treaty override gegen Verfassungsrecht verstößt. Unter einem Treaty override versteht man eine Regelung, mit der sich ein Steuergesetzgeber über die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen aus einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) oder einem anderen internationalen Vertrag hinwegsetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat hiervon vor allem in jüngerer Vergangenheit in erheblichem Umfang Gebrauch gemacht, insbesondere auch, um eine „Keinmalbesteuerung“ zu vermeiden.

Sachverhalt

Kläger war ein Arbeitnehmer und Geschäftsführer einer inländischen GmbH, der für die Gesellschaft in der Türkei gearbeitet hatte. Nach dem DBA-Türkei waren diese Einkünfte in Deutschland freizustellen. Das Finanzamt gewährte die Freistellung indes nicht, da der Kläger – entgegen der nationalen einkommensteuerlichen Vorschrift – nicht nachgewiesen habe, dass er in der Türkei entsprechende Einkommensteuer bezahle oder dass die Türkei auf das ihr zustehende Besteuerungsrecht verzichtet habe. Hiergegen wandte sich der Kläger insbesondere mit dem Argument, dass ein solcher Nachweis nach dem DBA-Türkei nicht gefordert sei. Nach erfolglosem Verfahren vor dem Finanzgericht Rheinland-Pfalz konnte er nunmehr vor dem Bundesfinanzhof (BFH) einen Teilerfolg verbuchen.

Entscheidung

Nach Ansicht des BFH steht die deutsche einkommensteuerliche Vorschrift, auf die sich das Finanzamt berufen hatte, nicht in Einklang mit der verfassungsmäßigen Ordnung sowie dem Gleichheitssatz. Er begründet dies insbesondere mit der zwischenzeitlich geänderten Sicht des Bundesverfassungsgerichts. Die Rechtsprechungsänderung lasse vermuten, dass ein nationales „Überschreiben“ eines Völkerrechtsvertrags nicht (mehr) verfassungskonform sei. Der BFH hat daher die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Konsequenz

Die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht betrifft unmittelbar nur die streitige Einkommensteuervorschrift. Die eigentliche Brisanz des Ersuchens liegt jedoch darin, dass mittelbar eine Vielzahl einschlägiger Regelungen auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts stehen. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen feststellen, wird dem deutschen Staat letztendlich nichts anderes übrig bleiben, als entsprechende Klauseln zum Rückfall des Besteuerungsrechts an den Wohnsitzstaat im Fall der „Keinmalbesteuerung“ unmittelbar in dem jeweiligen DBA selbst zu verankern oder auch ein DBA zu kündigen.