Umsatzsteuerbefreiung für die der Reimplantation körpereigener Knorpelzellen dienenden Dienstleistungen

Veröffentlichung des BFH-Urteils XI R 52/07 vom 29.06.2011

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7170 / 11 / 10005 vom 20.11.2013

I.

Mit Urteil vom 29. Juni 2011, XI R 52/07 (BStBl 2013 II S. xxx. Das Urteil wird zeitgleich mit diesem Schreiben im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.), hat der BFH entschieden, dass die Umsätze aus dem Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation zu therapeutischen Zwecken nach § 4 Nr. 14 UStG in der im Streitjahr 2002 geltenden Fassung von der Umsatzsteuer befreit sind. Voraussetzung hierfür sei, dass diese Tätigkeiten von Ärzten oder im Rahmen eines arztähnlichen Berufs ausgeübt werden.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind die Grundsätze dieses Urteils nur für Umsätze anzuwenden, die bis zum 31. Dezember 2008 erbracht wurden. Nach Neufassung des § 4 Nr. 14 UStG zum 1. Januar 2009 sind Labordienstleistungen, die von Ärzten oder im Rahmen der Ausübung eines ärztlichen Berufs erbracht werden, nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei.

Mit Urteil vom 18. November 2010, C-156/09 (Verigen Transplantation Service International AG) (EuGHE I S 11733), hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf das dem o. g. Urteil des BFH vorangegangene Vorabentscheidungsersuchen entschieden, dass Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (seit 1. Januar 2007: Artikel 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) dahin auszulegen ist, dass das Herauslösen von Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und ihre anschließende Vermehrung zur Reimplantation aus therapeutischen Zwecken eine „Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne dieser Bestimmung ist.

Damit folgt der EuGH seiner Entscheidung vom 8. Juni 2006, C-106/05 (EuGHE I 2006 S. 5123), wonach ein Laborarzt mit medizinischen Analysen, die der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung der Patienten dienen (Laboruntersuchungen), der Art nach „ärztliche Heilbehandlungen“ i. S. von Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b bzw. „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ i. S. von Artikel 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (seit 1. Januar 2007: Artikel 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. c MwStSystRL) erbringt.

Der EuGH ist jedoch nicht von seiner früheren gefestigten Rechtsprechung, abgewichen, wonach er die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach Artikel 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL von den ärztlichen Heilbehandlungen, die nach Artikel 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL erbracht werden, nach dem Ort abgrenzt, an dem die Leistungen erbracht werden. Nach Artikel 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sollen Leistungen steuerfrei sein, die außerhalb von Krankenhäusern (oder ähnlichen Einrichtungen) im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses erbracht werden, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, für alle anderen ärztlichen Leistungen soll Artikel 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL eingreifen.

Nach den Ausführungen im BFH-Urteil vom 15. März 2007, V R 55/03 (BStBl 2008 II S. 31), lässt sich diese unionsrechtlich zugrunde liegende Systematik nicht im Wege der Auslegung auf § 4 Nr. 14 UStG in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung übertragen, da die nationale Rechtslage diesem Ansatz schon dem Grunde nach nicht folgt. Da § 4 Nr. 14 UStG a. F. hinsichtlich der Steuerbefreiung in erster Linie an den Beruf anknüpfte und nicht an den Ort der Leistung, konnten sich Laborärzte sowie Laboreinrichtungen auf das für sie günstigere nationale Recht, d. h. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG a. F., berufen.

Durch das Jahressteuergesetz 2009 wurde § 4 Nr. 14 UStG insgesamt neu gefasst. Dabei wurde auch die im Artikel 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL zugrunde liegende Systematik zur Abgrenzung der Steuerbefreiung nach dem Ort der Leistung berücksichtigt. Für ab dem 1. Januar 2009 getätigte Umsätze ist nunmehr Kriterium für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG weniger die Art der Leistung, sondern vielmehr der Ort ihrer Erbringung. Eine Steuerbefreiung der Leistungen von Laborärzten oder klinischen Chemikern kommt deshalb für ab dem 1. Januar 2009 erbrachte Leistungen nur noch unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG in Betracht.

Dieser Auffassung widerspricht auch nicht, dass eine medizinisch-technische Assistentin für Funktionsdiagnostik, wie vom BFH im Urteil vom 29. Januar 1998, V R 3/96 (BStBl II S. 453), entschieden, eine steuerfreie Leistung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG erbringt. Denn im Gegensatz zu einem Laborarzt erbringt diese ihre Leistungen in einem persönlichen Vertrauensverhältnis zum Patienten, so dass die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG insoweit erfüllt sind.

II.

Zur Klarstellung wird Abschnitt 4.14.4 Abs. 11 siebenter Spiegelstrich des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 15. November 2013 – IV D 3 – S 7172/08/10001 (2013/1017781), BStBl I S. xxxx – geändert worden ist, wie folgt gefasst:

„- auf dem Gebiet der Humanmedizin selbständig tätige medizinisch-technische Assistentinnen für Funktionsdiagnostik und medizinisch-technische Assistenten für Funktionsdiagnostik (Gesetz über technische Assistenten der Medizin – MTAG – vgl. BFH-Urteil vom 29. 1. 1998, V R 3/96, BStBl II S. 453);“

Die Grundsätze in Teil I dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Teil II ist inhaltlich auf nach dem 31. Dezember 2008 ausgeführte Umsätze anzuwenden.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF