Umsatzsteuerliche Behandlung der Abrechnung von Mehr- bzw. Mindermengen Gas (Leistungsbeziehungen)

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7124 / 07 / 10002 :001 vom 01.07.2014

I. Der Abrechnung von Mehr- bzw. Mindermengen Gas zugrunde liegende Leistungsbeziehungen

Nach § 20 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnwG) haben Betreiber von Energieversorgungsnetzen Netzzugangsberechtigten Zugang zu ihren Leitungsnetzen zu gewähren. Zu den Energieversorgungsnetzen gehören nach § 3 Nr. 16 EnwG auch Gasversorgungsnetze über eine oder mehrere Druckstufen mit Ausnahme von Kundenanlagen nach § 3 Nrn. 24a und 24b EnwG. Die Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (GasNZV) regelt die Bedingungen des Netzzugangs.

Zur Ausgestaltung des Zugangs zu den Gasversorgungsnetzen müssen Betreiber von Gasversorgungsnetzen nach § 20 Abs. 1a EnwG Einspeise- und Ausspeisekapazitäten anbieten, die unabhängig voneinander nutzbar und handelbar sind. Zur Abwicklung des Zugangs ist ein Vertrag mit dem Netzbetreiber, in dessen Netz eine Einspeisung von Gas erfolgen soll, über Einspeisekapazitäten erforderlich (Einspeisevertrag). Zusätzlich muss ein Vertrag mit dem Netzbetreiber, aus dessen Netz die Entnahme von Gas erfolgen soll, über Ausspeisekapazitäten abgeschlossen werden (Ausspeisevertrag bzw. Lieferantenrahmenvertrag).

Nach § 8 Abs. 1 GasNZV sind die Netzbetreiber verpflichtet, von Transportkunden (insbesondere Lieferanten und Großhändler) bereitgestellte Gasmengen an Einspeisepunkten des Marktgebiets zu übernehmen und an Ausspeisepunkten mit demselben Energiegehalt zu übergeben.

Abweichungen zwischen den Ein- und Ausspeisemengen werden in einem Bilanzkreis ausgeglichen (§ 22 Abs. 1 GasNZV). Der (vom Fernleitungsnetzbetreiber bestimmte) Marktgebietsverantwortliche führt das Bilanzkreissystem. Dabei ist gegenüber dem Marktgebietsverantwortlichen für jeden Bilanzkreis ein Bilanzkreisverantwortlicher zu benennen (§ 22 Abs. 2 GasNZV). Nach § 22 Abs. 3 GasNZV haben die Bilanzkreisverantwortlichen bei den ihrem Bilanzkreis zugeordneten Ein- und Ausspeisemengen durch geeignete Maßnahmen innerhalb der Bilanzperiode für eine ausgeglichene Bilanz zu sorgen.

Dabei sind Mehr- bzw. Mindermengen an Gas auszugleichen, die durch Abweichungen zwischen zur Ausspeisung bereitgestellten (allokierten) Mengen und der tatsächlichen Ausspeisung am Ausspeisepunkt sowie durch Brennwertkorrekturen entstehen. Diese gelten nach § 25 Abs. 1 GasNZV als vom Ausspeisenetzbetreiber bereitgestellt oder entgegengenommen und werden von diesem mit den Transportkunden abgerechnet. Diese Abrechnung erfolgt mindestens jährlich oder am Ende des Vertragszeitraums.

Der Ausspeisenetzbetreiber hat dabei dem Transportkunden einen Arbeitspreis zu vergüten oder in Rechnung zu stellen (§ 25 Abs. 2 GasNZV). Der Ausspeisenetzbetreiber wiederum rechnet Ausgaben und Einnahmen aus der Mehr- und Mindermengenabrechnung mit dem Marktgebietsverantwortlichen ab, der die Regelenergie bereitstellt (§ 25 Abs. 3 GasNZV). Regelenergie sind die Gasmengen, die vom Netzbetreiber zur Gewährleistung der Netzstabilität eingesetzt werden (§ 2 Nr. 12 GasNZV).

Die Leistungsbeziehungen stellen sich grafisch wie folgt dar:

Die Grafik finden Sie auf der Homepage des BMF.

II. Umsatzsteuerliche Würdigung

Die unter Tz. I. genannten Leistungen sind umsatzsteuerrechtlich wie folgt zu würdigen:

Soweit Ausspeisenetzbetreiber und Transportkunde Mehr- bzw. Mindermengen an Gas ausgleichen, handelt es sich um eine Lieferung entweder vom Ausspeisenetzbetreiber an den Transportkunden (Mindermenge) oder vom Transportkunden an den Ausspeisenetzbetreiber (Mehrmenge). Die Verfügungsmacht an dem zum Ausgleich zur Verfügung gestellten Gas wird verschafft (§ 3 Abs. 1 UStG). Unter den in § 13b Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 5 UStG genannten Voraussetzungen ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner.

Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Ausspeisenetzbetreiber. Der Marktgebietsverantwortliche beschafft die für die Mehr- bzw. Mindermengen benötigten Gasmengen von Händlern am Regelenergiemarkt und stellt diese den Ausspeisenetzbetreibern in seinem Marktgebiet als Mehr- bzw. Mindermenge zur Verfügung oder nimmt sie entgegen.

Hiervon zu unterscheiden sind die Leistungen der Bilanzkreisverantwortlichen. Der Bilanzkreisverantwortliche ist gegenüber dem Marktgebietsverantwortlichen für die Abwicklung des Bilanzkreises verantwortlich. Durch den zugrunde liegenden Bilanzkreisvertrag zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Bilanzkreisverantwortlichem wird die operative Abwicklung des Transportes, die Übertragung von Gasmengen zwischen Bilanzkreisen sowie der Ausgleich und die Abrechnung von Differenzmengen geregelt. Zwischen dem Marktgebietsverantwortlichen und dem Bilanzkreisverantwortlichen selbst werden keine Mehr- bzw. Mindermengen Gas abgerechnet.

Bilanzkreisabweichungen werden im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Bilanzkreisverantwortlichem abgerechnet. In der Leistung des Bilanzkreisverantwortlichen in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Bilanzkreisvertrag ist insgesamt eine sonstige Leistung zu sehen (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 1 UStAE).

III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 5. Juni 2014 – IV D 2 – S-7300 / 07 / 10002 :001(2014/0492152), BStBl I S. …, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1. Im Abkürzungsverzeichnis wird nach der Angabe „FZV = Fahrzeugzulassungsverordnung“ die Angabe „GasNZV = Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen“ eingefügt.

2. Abschnitt 1.7 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

„Die Abgabe von Energie durch einen Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen des sog. Bilanzkreis- oder Regelzonenausgleichs vollzieht sich nicht als eigenständige Lieferung, sondern im Rahmen einer sonstigen Leistung und bleibt dementsprechend bei der Beurteilung der Wiederverkäufereigenschaft unberücksichtigt (vgl. Abschnitt 3g.1 Abs. 2); das gilt entsprechend für Bilanzkreisabrechnungen beim Betrieb von Gasleitungsnetzen zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem Marktgebietsverantwortlichen.“

b) In Abschnitt 1.7 werden nach Absatz 3 folgende Zwischenüberschrift und folgender neuer Absatz 4 angefügt:

„Ausgleich von Mehr- bzw. Mindermengen Gas

(4) 1Soweit Ausspeisenetzbetreiber und Transportkunde nach § 25 GasNZV Mehr- bzw. Mindermengen an Gas ausgleichen, handelt es sich um eine Lieferung entweder vom Ausspeisenetzbetreiber an den Transportkunden (Mindermenge) oder vom Transportkunden an den Ausspeisenetzbetreiber (Mehrmenge), weil jeweils Verfügungsmacht an dem zum Ausgleich zur Verfügung gestellten Gas verschafft wird. 2Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Ausspeisenetzbetreiber. 3Der Marktgebietsverantwortliche beschafft die für die Mehr- bzw. Mindermengen benötigten Gasmengen von Händlern am Regelenergiemarkt und stellt diese den Ausspeisenetzbetreibern in seinem Marktgebiet als Mehr- bzw. Mindermenge zur Verfügung bzw. nimmt sie entgegen.“

3. In Abschnitt 13b.3a Abs. 5 wird nach der Nummer 4 folgende neue Nummer 5 angefügt:

„5. Ausgleich von Mehr- bzw. Mindermengen (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 4).“

IV. Anwendungsregelung

Die Regelung ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Bei vor dem 1. Januar 2015 ausgeführten Lieferungen im Rahmen der Mehr- oder Minderabrechnung Gas wird es jedoch nicht beanstandet, wenn zwischen Ausspeisenetzbetreiber und Transportkunden bzw. zwischen Marktgebietsverantwortlichem und Ausspeisenetzbetreiber entweder von sonstigen Leistungen oder von Leistungen des Bilanzkreisverantwortlichen ausgegangen wird.

Quelle: BMF