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Vorsorgepauschale im Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 und Abs. 4 EStG)

Das BMF hat im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder die Vorsorgepauschale im Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 und Abs. 4 EStG) neu geregelt und das bisher dazu geltende BMF-Schreiben IV C 5 – S 2367/09/10002 vom 22.10.2010 (BStBl I 2010, S. 1254) aufgehoben.

Im Einzelnen geht das BMF auf folgende Punkte ein:

  1. Allgemeines
  2. Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Vorsorgepauschale (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG)
  3. Teilbetrag für die Rentenversicherung (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Buchst. a und Abs. 4 EStG)
  4. Teilbetrag für die gesetzliche Krankenversicherung (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Buchst. b EStG)
  5. Teilbetrag für die soziale Pflegeversicherung (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 Buchst. c EStG)
  6. Mitteilung der privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge
    • durch den Arbeitnehmer
    • mittels ELStAM (§ 39 Abs. 4 Nr. 4 i. V. m. § 52 Abs. 50g EStG)
  7. Mindestvorsorgepauschale für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 dritter Teilsatz EStG)
  8. Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber (§ 42b Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 und § 39b Abs. 2 Satz 12 EStG)
  9. Pflichtveranlagungstatbestand
  10. Lohnsteuertabellen zur manuellen Berechnung der Lohnsteuer (§ 51 Abs. 4 Nr. 1a EStG)
  11. Pauschalierung der Lohnsteuer in besonderen Fällen (§ 40 Abs. 1 EStG)
  12. Anwendungsregelung

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2367 / 13 / 10001. Das Schreiben im Volltext finden Sie auf der Homepage des BMF:

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hinsichtlich der Vorsorgepauschale im Lohnsteuerabzugsverfahren (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 und Absatz 4 EStG) Folgendes:
1. Allgemeines
Eine Vorsorgepauschale wird ausschließlich im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigt (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 und Absatz 4 EStG). Über die Vorsorgepauschale hinaus werden im Lohnsteuerabzugsverfahren keine weiteren Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt. Eine Vorsorgepauschale wird grundsätzlich in allen Steuerklassen berücksichtigt.
1 Die Änderungen gegenüber dem BMF-Schreiben vom 22. Oktober 2010 (BStBl I Seite 1254) sind durch Fettdruck hervorgehoben. Die Überschriften zu den Tz. 6.2 und 8 wurden geändert.
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2. Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Vorsorgepauschale (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 EStG)
Die beim Lohnsteuerabzug zu berücksichtigende Vorsorgepauschale setzt sich aus folgenden Teilbeträgen zusammen:
– Teilbetrag für die Rentenversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe a EStG),
– Teilbetrag für die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe b und c EStG) und
– Teilbetrag für die private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe d EStG).
Ob die Voraussetzungen für den Ansatz der einzelnen Teilbeträge vorliegen, ist jeweils gesondert zu prüfen; hierfür ist immer der Versicherungsstatus am Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums maßgebend und das Dienstverhältnis nicht auf Teilmonate aufzu-teilen. Die Teilbeträge sind getrennt zu berechnen; die auf volle Euro aufgerundete Summe der Teilbeträge ergibt die anzusetzende Vorsorgepauschale.
Bemessungsgrundlage für die Berechnung der Teilbeträge für die Rentenversicherung und die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung ist der Arbeitslohn. Entschädigungen i. S. d. § 24 Nummer 1 EStG sind nicht als Arbeitslohnbestandteil zu berücksichtigen (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 zweiter Teilsatz EStG); aus Vereinfachungsgründen ist es aber nicht zu beanstanden, wenn regulär zu besteuernde Entschädigungen bei der Bemessungs-grundlage für die Berechnung der Vorsorgepauschale berücksichtigt werden. Steuerfreier Arbeitslohn gehört ebenfalls nicht zur Bemessungsgrundlage für die Berechnung der entsprechenden Teilbeträge (BFH-Urteil vom 18. März 1983, BStBl II Seite 475). Dies gilt auch bei der Mindestvorsorgepauschale für die Kranken- und Pflegeversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 dritter Teilsatz EStG, Tz. 7).
Der Arbeitslohn ist für die Berechnung der Vorsorgepauschale und der Mindestvorsorge-pauschale (Tz. 7) nicht um den Versorgungsfreibetrag (§ 19 Absatz 2 EStG) und den Altersentlastungsbetrag (§ 24a EStG) zu vermindern.
Die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze ist bei allen Teilbeträgen der Vorsorgepauschale zu beachten. Bei den Rentenversicherungsbeiträgen gilt – abhängig vom Beschäftigungsort i. S. d. § 9 SGB IV – die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze (BBG West) und die Beitrags-bemessungsgrenze Ost (BBG Ost). Dies gilt auch bei einer Versicherung in der knappschaft-lichen Rentenversicherung; deren besondere Beitragsbemessungsgrenze ist hier nicht maßgeblich. In Fällen, in denen die Verpflichtung besteht, Beiträge zur Alterssicherung an
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ausländische Sozialversicherungsträger abzuführen (Tz. 3), bestimmt sich die maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze nach dem Ort der lohnsteuerlichen Betriebsstätte des Arbeitgebers (§ 41 Absatz 2 EStG). Die Gleitzone in der Sozialversicherung (Arbeitslöhne von 450,01 Euro bis 850 Euro) ist steuerlich unbeachtlich. Ebenfalls unbeachtlich ist die Verminderung der Beitragsbemessungsgrenzen beim Zusammentreffen mehrerer Versicherungsverhältnisse (§ 22 Absatz 2 SGB IV).
Die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Vorsorgepauschale (Arbeitslohn) und für die Berechnung der Sozialabgaben (Arbeitsentgelt) kann unterschiedlich sein. Für die Berechnung der Vorsorgepauschale ist das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt nicht maßgeblich.
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer mit einem Jahresarbeitslohn von 60 000 Euro wandelt im Jahr 2014 einen Betrag von 4 000 Euro bei einer Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung von 71 400 Euro zugunsten einer betrieblichen Altersversorgung im Durchführungsweg Direktzusage um.
Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Teilbetrags der Vorsorgepauschale für die Rentenversicherung ist der steuerpflichtige Arbeitslohn i. H. v. 56 000 Euro. Das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt beträgt hingegen 57 144 Euro, weil 4 % der Beitragsbemessungsgrenze (2 856 Euro) nicht als Arbeitsentgelt i. S. d. Sozialversicherung gelten (§ 14 Absatz 1 SGB IV).
3. Teilbetrag für die Rentenversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe a und Absatz 4 EStG)
Auf Grundlage des steuerlichen Arbeitslohns wird unabhängig von der Berechnung der tatsächlich abzuführenden Rentenversicherungsbeiträge typisierend ein Arbeitnehmeranteil für die Rentenversicherung eines pflichtversicherten Arbeitnehmers berechnet, wenn der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert und ein Arbeitnehmer-anteil zu entrichten ist. Das gilt auch bei der Versicherung in einer berufsständischen Ver-sorgungseinrichtung bei Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 SGB VI). Das Steuerrecht folgt insoweit der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung, so dass der Arbeitgeber hinsichtlich der maßgeblichen Vorsorgepauschale keinen zusätzlichen Ermittlungsaufwand anstellen muss, sondern auf die ihm insoweit bekannten Tatsachen bei der Abführung der Rentenversicherungsbeiträge – bezogen auf das jeweilige Dienstverhältnis – zurückgreifen kann.
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Der Teilbetrag der Vorsorgepauschale für die Rentenversicherung gilt daher bezogen auf das jeweilige Dienstverhältnis beispielsweise nicht bei
– Beamten,
– beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH,
– Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften (§ 1 Satz 3 SGB VI),
– weiterbeschäftigten Beziehern einer Vollrente wegen Alters oder vergleichbaren Pensionsempfängern, selbst wenn gemäß § 172 Absatz 1 SGB VI ein Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten ist,
– Arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber nur Versorgungsbezüge i. S. d. § 19 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 EStG erhalten (Werkspensionäre),
– geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern, bei denen die Lohnsteuer nach den individuellen Lohnsteuerabzugsmerkmalen erhoben wird und für die nur der pauschale Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wird (Übergangsregelung und Befreiung von der Rentenversicherungspflicht),
– nach § 8 Absatz 1 Nummer 2 SGB IV geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern (versicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung), bei denen die Lohnsteuer nach den individuellen Lohnsteuerabzugsmerkmalen erhoben wird,
– anderen Arbeitnehmern, die nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung pflicht-versichert sind und deshalb auch keinen Arbeitnehmerbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten haben (z. B. als Praktikanten oder aus anderen Gründen),
– Arbeitnehmern, wenn der Arbeitgeber nach § 20 Absatz 3 Satz 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein trägt (u. a. Auszubildende mit einem Arbeitsentgelt von bis zu monatlich 325 Euro).
Bei Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf eigenen Antrag aufgrund einer der in R 3.62 Absatz 3 LStR genannten Vorschriften ist der Teilbetrag für die Rentenversicherung nur in den Fällen des § 3 Nummer 62 Satz 2 Buchstabe b (gesetzliche Rentenversicherung) und c (berufsständische Versorgungs-einrichtung) EStG, nicht jedoch in den Fällen des § 3 Nummer 62 Satz 2 Buchstabe a EStG (Lebensversicherung) anzusetzen.
In Fällen, in denen die Verpflichtung besteht, Beiträge zur Alterssicherung an ausländische Sozialversicherungsträger abzuführen, hat der Arbeitgeber bei der Berechnung der Vorsorge-pauschale einen Teilbetrag für die Rentenversicherung nur zu berücksichtigen, wenn der abzuführende Beitrag – zumindest teilweise – einen Arbeitnehmeranteil enthält und dem Grunde nach zu einem Sonderausgabenabzug führen kann (§ 10 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a EStG). Es ist nicht erforderlich, dass die Bundesrepublik Deutschland über das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union mit dem anderen Staat auf dem Gebiet der
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Sozialversicherung verbunden oder dass ein Sozialversicherungsabkommen mit dem anderen Staat geschlossen worden ist. Besteht Sozialversicherungspflicht im Inland und parallel im Ausland, bleiben im Lohnsteuerabzugsverfahren die Beiträge an den ausländischen Sozialversicherungsträger unberücksichtigt.
4. Teilbetrag für die gesetzliche Krankenversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe b EStG)
Auf Grundlage des steuerlichen Arbeitslohns wird unabhängig von der Berechnung der tatsächlich abzuführenden Krankenversicherungsbeiträge typisierend ein Arbeitnehmeranteil für die Krankenversicherung eines pflichtversicherten Arbeitnehmers berechnet, wenn der Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (z. B. bei höher verdienenden Arbeitnehmern). Der typisierte Arbeitnehmer-anteil ist auch anzusetzen bei in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeit-nehmern, die die anfallenden Krankenversicherungsbeiträge in voller Höhe allein tragen müssen (z. B. freiwillig versicherte Beamte, Empfänger von Versorgungsbezügen). Der entsprechende Teilbetrag ist jedoch nur zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer Beiträge zur inländischen gesetzlichen Krankenversicherung leistet; andernfalls ist für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge immer die Mindestvorsorgepauschale (Tz. 7) anzusetzen. Besteht Sozialversicherungspflicht im Inland und parallel im Ausland, bleiben im Lohnsteuerabzugs-verfahren die Beiträge an den ausländischen Sozialversicherungsträger unberücksichtigt. Den Arbeitnehmeranteil für die Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung darf der Arbeitgeber nur ansetzen, wenn er von einer entsprechenden Versicherung Kenntnis hat (z. B. bei Zahlung eines steuerfreien Zuschusses oder nach Vorlage eines geeigneten Nachweises durch den Arbeitnehmer).
Beispiel:
Lediglich der Beihilfestelle, nicht jedoch der Besoldungsstelle ist bekannt, dass ein Beamter freiwillig gesetzlich krankenversichert ist.
Die Besoldungsstelle berücksichtigt beim Lohnsteuerabzug die Mindestvorsorge-pauschale (Tz. 7).
Für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer (geringfügig entlohnte Beschäftigung sowie kurzfristige Beschäftigung), bei denen die Lohnsteuer nach den individuellen Lohnsteuer-abzugsmerkmalen erhoben wird, ist kein Teilbetrag für die gesetzliche Krankenversicherung anzusetzen, wenn kein Arbeitnehmeranteil für die Krankenversicherung zu entrichten ist. Entsprechendes gilt für andere Arbeitnehmer, wenn kein Arbeitnehmeranteil zu entrichten ist; dies ist regelmäßig bei Schülern und Studenten der Fall. In den entsprechenden Fällen ist in
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den Lohnsteuerberechnungsprogrammen (siehe z. B. Bekanntmachung des BMF vom 20. Februar 2013, betreffend den geänderten Programmablaufplan für die maschinelle Berechnung der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer etc. für 2013, BStBl I Seite 221) unter dem Eingangsparameter „PKV“ der Wert „1“ einzugeben. Zum Ansatz der Mindestvorsorgepauschale vergleiche Tz. 7.
5. Teilbetrag für die soziale Pflegeversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe c EStG)
Der Teilbetrag für die soziale Pflegeversicherung wird bei Arbeitnehmern angesetzt, die in der inländischen sozialen Pflegeversicherung versichert sind. Der Teilbetrag ist unter Berück-sichtigung des Grundsatzes „Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung“ auch dann anzusetzen, wenn der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert, jedoch privat pflege-versichert ist. Besteht Sozialversicherungspflicht im Inland und parallel im Ausland, bleiben im Lohnsteuerabzugsverfahren die Beiträge an den ausländischen Sozialversicherungsträger unberücksichtigt.
Länderspezifische Besonderheiten bei den Beitragssätzen sind zu berücksichtigen (höherer Arbeitnehmeranteil in Sachsen [zzt. 1,525 % statt 1,025 %]).
Der Beitragszuschlag für Arbeitnehmer ohne Kinder ist ebenfalls zu berücksichtigen (§ 55 Absatz 3 SGB XI [zzt. 0,25 %]).
6. Teilbetrag für die private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 Buchstabe d EStG)
Der Teilbetrag für die private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung wird bei Arbeit-nehmern angesetzt, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflege-versicherung versichert sind (z. B. privat versicherte Beamte, beherrschende Gesellschafter- Geschäftsführer und höher verdienende Arbeitnehmer).
In den Steuerklassen I bis V können die dem Arbeitgeber mitgeteilten privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge berücksichtigt werden (Tz. 6.1 und 6.2). Hiervon ist ein – unabhängig vom tatsächlich zu zahlenden Zuschuss – typisierend berechneter Arbeit-geberzuschuss abzuziehen, wenn der Arbeitgeber nach § 3 Nummer 62 EStG steuerfreie Zuschüsse zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung des Arbeitnehmers zu leisten hat. Die Beitragsbemessungsgrenze und landesspezifische Besonderheiten bei der Verteilung des Beitragssatzes für die Pflegeversicherung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer (niedrigerer Arbeitgeberanteil in Sachsen [zzt. 0,525 % statt 1,025 %]) sind zu beachten.
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6.1 Mitteilung der privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge durch den Arbeitnehmer
Es ist die Mindestvorsorgepauschale (Tz. 7) zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die abziehbaren privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge nicht mitteilt (Beitragsbescheinigung des Versicherungsunternehmens). Die mitgeteilten Beiträge sind maßgebend, wenn sie höher sind als die Mindestvorsorgepauschale. Beitrags-bescheinigungen ausländischer Versicherungsunternehmen darf der Arbeitgeber nicht berück-sichtigen. Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer können im Lohnsteuerabzugsverfahren keine Beiträge für eine private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung nachweisen; dies gilt auch hinsichtlich der Beiträge eines privat versicherten Ehegatten oder Lebenspartners des Arbeitnehmers (siehe unten).
Die mitgeteilten Beiträge privat versicherter Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber im Rahmen des Lohnsteuerabzugs zu berücksichtigen. Einbezogen werden können Beiträge für die eigene private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung des Arbeitnehmers einschließlich der entsprechenden Beiträge für den mitversicherten, nicht dauernd getrennt lebenden, unbe-schränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten oder Lebenspartner und für mitversicherte Kinder, für die der Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen Freibetrag für Kinder (§ 32 Absatz 6 EStG) oder auf Kindergeld hat. Über diesen Weg sind auch private Versicherungs-beiträge eines selbst versicherten, nicht dauernd getrennt lebenden, unbeschränkt einkommen-steuerpflichtigen Ehegatten oder Lebenspartners des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sofern dieser keine Einkünfte i. S. d. § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 4 EStG (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und nichtselbständiger Arbeit) erzielt. Der Arbeitgeber hat nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge des selbst versicherten Ehegatten oder Lebenspartners bei der Vorsorgepauschale des Arbeitnehmers erfüllt sind. Eine ggf. erforderliche Korrektur bleibt einer Pflichtveranlagung (§ 46 Absatz 2 Nummer 3 EStG, Tz. 9) vorbehalten. Versicherungsbeiträge selbst versicherter Kinder sind nicht zu berücksichtigen.
Der Arbeitgeber kann die Beitragsbescheinigung oder die geänderte Beitragsbescheinigung entsprechend ihrer zeitlichen Gültigkeit beim Lohnsteuerabzug – auch rückwirkend – berücksichtigen. Bereits abgerechnete Lohnabrechnungszeiträume müssen nicht nachträglich geändert werden. Dies gilt nicht nur, wenn die Beiträge einer geänderten Beitrags-bescheinigung rückwirkend höher sind, sondern auch im Falle niedrigerer Beiträge. Im Hinblick auf die Bescheinigungspflicht des Arbeitgebers nach § 41b Absatz 1 Satz 2 Nummer 15 EStG und die ggf. bestehende Veranlagungspflicht nach § 46 Absatz 2 Nummer 3 EStG (Tz. 9) ist keine Anzeige i. S. d. § 41c Absatz 4 EStG erforderlich.
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Der Arbeitgeber hat folgende Beitragsbescheinigungen des Versicherungsunternehmens im Rahmen des Lohnsteuerabzugs zu berücksichtigen:
– eine bis zum 31. März des Kalenderjahres vorgelegte Beitragsbescheinigung über die voraussichtlichen privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge des Vorjahres,
– eine Beitragsbescheinigung über die voraussichtlichen privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge des laufenden Kalenderjahres oder
– eine Beitragsbescheinigung über die nach § 10 Absatz 2a Satz 4 Nummer 2 EStG übermittelten Daten für das Vorjahr.
Eine dem Arbeitgeber vorliegende Beitragsbescheinigung ist auch im Rahmen des Lohnsteuerabzugs der Folgejahre (weiter) zu berücksichtigen, wenn keine neue Beitragsbescheinigung vorgelegt wird.
Sind die als Sonderausgaben abziehbaren privaten Kranken- und Pflege-Pflichtversicherungs-beiträge höher als die im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigten Beiträge, kann der Arbeitnehmer die tatsächlich gezahlten Beiträge bei der Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Sind die Beiträge niedriger, kommt eine Pflichtveranlagung in Betracht, wenn die entsprechenden Arbeitslohngrenzen überschritten werden (§ 46 Absatz 2 Nummer 3 EStG, Tz. 9).
6.2 Mitteilung der privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge mittels ELStAM (§ 39 Absatz 4 Nummer 4 i. V. m. § 52 Absatz 50g EStG)
Im Rahmen des ELStAM-Verfahrens (Elektronische LohnSteuerAbzugsMerkmale) wird das Mitteilungsverfahren (Tz. 6.1) abgelöst durch eine elektronische Bereitstellung der privaten Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherungsbeiträge (§ 39 Absatz 4 Nummer 4 EStG). Der Verfahrenseinsatz wird durch BMF-Schreiben mitgeteilt (§ 52 Absatz 50g EStG).
6.3 Bescheinigung der Beiträge des Arbeitnehmers zur gesetzlichen Kranken-versicherung und zur sozialen Pflegeversicherung (§ 41b Absatz 1 Satz 2 Nummer 13 EStG)
Unter Nummer 25 und 26 der Lohnsteuerbescheinigung (siehe z. B. BMF-Schreiben 28. August 2013, BStBl I Seite 1132) sind Beiträge des Arbeitnehmers zur inländischen gesetzlichen Krankenversicherung und zur inländischen sozialen Pflegeversicherung zu bescheinigen. Beiträge an ausländische Sozialversicherungsträger sind nicht zu bescheinigen.
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7. Mindestvorsorgepauschale für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 dritter Teilsatz EStG)
Die Mindestvorsorgepauschale (§ 39b Absatz 2 Satz 5 Nummer 3 dritter Teilsatz EStG) in Höhe von 12 % des Arbeitslohns mit einem Höchstbetrag von jährlich 1 900 Euro (in Steuerklasse III 3 000 Euro) ist anzusetzen, wenn sie höher ist als die Summe der Teilbeträge für die gesetzliche Krankenversicherung (Tz. 4) und die soziale Pflegeversicherung (Tz. 5) oder die private Basiskranken- und Pflege-Pflichtversicherung (Tz. 6). Die Mindestvorsorge-pauschale ist auch dann anzusetzen, wenn für den entsprechenden Arbeitslohn kein Arbeit-nehmeranteil zur inländischen gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung zu entrichten ist (z. B. bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern, deren Arbeitslohn nicht nach § 40a EStG pauschaliert wird, und bei Arbeitnehmern, die Beiträge zu einer aus-ländischen Kranken- und Pflegeversicherung leisten). Die Mindestvorsorgepauschale ist in allen Steuerklassen zu berücksichtigen.
Neben der Mindestvorsorgepauschale wird der Teilbetrag der Vorsorgepauschale für die Rentenversicherung berücksichtigt, wenn eine Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen der Versicherung in einer berufsständischen Versorgungs-einrichtung eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht vorliegt (Tz. 3).
8. Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber (§ 42b Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 und § 39b Absatz 2 Satz 12 EStG)
Über die in § 42b Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 EStG genannten Ausschlusstatbestände hinaus ist ein Lohnsteuer-Jahresausgleich durch den Arbeitgeber auch dann ausgeschlossen, wenn – bezogen auf den Teilbetrag der Vorsorgepauschale für die Rentenversicherung – der Arbeitnehmer innerhalb des Kalenderjahres nicht durchgängig zum Anwendungsbereich nur einer Beitragsbemessungsgrenze (West oder Ost) gehörte oder wenn – bezogen auf den Teilbetrag der Vorsorgepauschale für die Rentenversicherung oder die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung – innerhalb des Kalenderjahres nicht durchgängig ein Beitragssatz anzuwenden war. Für den permanenten Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 39b Absatz 2 Satz 12 EStG) gilt dies entsprechend.
9. Pflichtveranlagungstatbestand (§ 46 Absatz 2 Nummer 3 EStG)
Es besteht eine Pflicht zur Veranlagung zur Einkommensteuer, wenn bei einem Steuer-pflichtigen die Summe der beim Lohnsteuerabzug berücksichtigten Teilbeträge der Vorsorge-pauschale für die gesetzliche und private Kranken- und Pflegeversicherung höher ist als die bei der Veranlagung als Sonderausgaben abziehbaren Vorsorgeaufwendungen nach § 10
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Absatz 1 Nummer 3 und 3a in Verbindung mit Absatz 4 EStG und die entsprechenden Arbeitslohngrenzen überschritten werden.
Dies gilt auch, wenn die beim Lohnsteuerabzug berücksichtigte Mindestvorsorgepauschale (Tz. 7) höher ist als die bei der Veranlagung zur Einkommensteuer als Sonderausgaben abziehbaren Vorsorgeaufwendungen.
10. Lohnsteuertabellen zur manuellen Berechnung der Lohnsteuer (§ 51 Absatz 4 Nummer 1a EStG)
Aus Vereinfachungsgründen wird bei der Erstellung der Lohnsteuertabellen – bezogen auf die Berücksichtigung der Vorsorgepauschale – der Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Absatz 3 SGB XI) nicht berücksichtigt (siehe z. B. Bekanntmachung des BMF vom 20. Februar 2013, betreffend den geänderten Programmablaufplan für die Erstellung von Lohnsteuertabellen für 2013, BStBl I Seite 221). Die länderspezifische Besonderheit bei der sozialen Pflegeversicherung (Tz. 5, höherer Arbeitnehmeranteil in Sachsen [zzt. 1,525 % statt 1,025%]) ist jedoch bei der Erstellung von Lohnsteuertabellen zu beachten. Es bestehen keine Bedenken, wenn die Lohnsteuer mittels einer Lohnsteuertabelle berechnet wird, die die Besonderheit nicht berücksichtigt, wenn der Arbeitnehmer einer entsprechenden Lohnsteuerberechnung nicht widerspricht.
Bei geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern (geringfügig entlohnte Beschäftigung sowie kurzfristige Beschäftigung), bei denen die Lohnsteuer nach den individuellen Lohnsteuer-abzugsmerkmalen erhoben wird und der Arbeitnehmer keinen eigenen Beitrag zur Rentenversicherung und Kranken-/Pflegeversicherung zahlt, ist die Lohnsteuer mit der „Besonderen Lohnsteuertabelle“ zu berechnen (siehe z.B. Bekanntmachung des BMF vom 20. Februar 2013, a. a. O.).
11. Pauschalierung der Lohnsteuer in besonderen Fällen (§ 40 Absatz 1 EStG)
Bei der Berechnung des durchschnittlichen Steuersatzes kann aus Vereinfachungsgründen davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer in allen Zweigen der Sozialversicherung versichert sind und keinen Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Absatz 3 SGB XI) leisten. Die individuellen Verhältnisse aufgrund des Faktorverfahrens nach § 39f EStG bleiben unberücksichtigt.
12. Anwendungsregelung
Die Regelungen dieses Schreibens sind spätestens ab Veröffentlichung im Bundessteuerblatt Teil I zu beachten.
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Das BMF-Schreiben vom 22. Oktober 2010 – IV C 5 – S 2367/09/10002, DOK 2010/0801807 – (BStBl I Seite 1254) wird hiermit aufgehoben.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Im Auftrag
Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.

Subsidiaritätsrüge zur Standard-Mehrwertsteuererklärung

Die Länder haben in ihrer Plenarsitzung vom 29.11.2013 Subsidiaritätsrüge gegen einen Vorschlag der EU-Kommission zur Einführung der sogenannten Standard-Mehrwertsteuererklärung erhoben.

Sie vertreten die Auffassung, dass der Vorschlag nicht dem europäischen Recht entspricht, da die Union in diesem Zusammenhang über keine Kompetenz zur Regelung verfügt. Zudem ließen sich die angestrebten Ziele durch die EU nicht besser verwirklichen als durch die Mitgliedstaaten. Das Ziel, die „Mehrwertsteuerlücke“ zu schließen, könne der Vorschlag nicht erreichen. Er verletze auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da er die Autonomie Deutschlands unverhältnismäßig beeinträchtige.

Die EU-Kommission setzt sich mit ihrem Vorschlag für eine weitere Stärkung des Binnenmarkts ein. Sie möchte hiermit erreichen, dass zukünftig für die Abgabe von Mehrwertsteuererklärungen in allen EU-Staaten eine standardisierte Erklärung zu verwenden ist. Dies soll den Aufwand für grenzüberschreitend tätige Unternehmen verringern und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern.

Den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Bezug auf eine Standard-Mehrwertsteuererklärung finden Sie auf der Homepage des Bundesrats.

Quelle: Bundesrat, Pressemitteilung vom 29.11.2013

Bundesrat schließt Steuerschlupflöcher

Die Länder haben in ihrer heutigen Plenarsitzung dem vom Bundestag erst einen Tag zuvor beschlossenen AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz zugestimmt. Es enthält Änderungen diverser steuerrechtlicher Regelungen und hat zum Ziel, insbesondere das Investmentsteuerrecht an das im Sommer dieses Jahres beschlossene Kapitalanlagegesetzbuch anzupassen. Zudem werden verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten im Investmentsteuerrecht beseitigt, die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung des geplanten FATCA-Abkommens mit den USA geschaffen und Vereinfachungen im Einkommensteuerrecht erreicht.

Das Gesetz basiert auf einem Entwurf des Bundesrates, den er am 8. November 2013 in den Bundestag eingebracht hatte, um drohende Steuerausfälle in erheblicher Höhe zu verhindern. Der Bundestag hat den Entwurf des Bundesrates unverändert angenommen. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr verkündet werden.

Gesetz zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz (AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz – AIFM-StAnpG)

Drucksache 784/13 (Beschluss)

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Entfernungspauschale

Mit dem Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl. I Seite 285, BStBl I Seite 188) haben sich Änderungen zu den Entfernungspauschalen ergeben, die nachfolgend in Fettdruck dargestellt sind. Das BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 (BStBl I Seite 215) ist mit Wirkung ab 1. Januar 2014 damit überholt.

 

Inhaltsübersicht

1.Entfernungspauschale für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (§ 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und Absatz 2 EStG) oder für Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG   ……………………………………………………………………………………….. 2

1.1Allgemeines   ………………………………………………………………………………………………….. 2

1.2Höhe der Entfernungspauschale   ………………………………………………………………………. 4

1.3Höchstbetrag von 4 500 Euro   ………………………………………………………………………….. 4

1.4Maßgebende Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte   ………………. 5

1.5Fahrgemeinschaften   ……………………………………………………………………………………….. 6

1.6Benutzung verschiedener Verkehrsmittel   ………………………………………………………….. 8

1.7Mehrere Wege an einem Arbeitstag   ……………………………………………………………….. 10

1.8Mehrere Dienstverhältnisse   …………………………………………………………………………… 10

1.9Anrechnung von Arbeitgeberleistungen auf die Entfernungspauschale   ……………….. 11

2.Entfernungspauschale für Familienheimfahrten bei doppelter Haushaltsführung (§ 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 EStG)   …………………………………………………………………………. 12

3.Behinderte Menschen   ………………………………………………………………………………………….. 12

4.Abgeltungswirkung der Entfernungspauschalen   ……………………………………………………… 14

5.Pauschalbesteuerung nach § 40 Absatz 2 Satz 2 EStG   …………………………………………….. 15

5.1Allgemeines   ………………………………………………………………………………………………… 15

5.2Höhe der pauschalierbaren Sachbezüge und Zuschüsse   …………………………………….. 15

6.Anwendungsregelung   ………………………………………………………………………………………….. 16

 

 

Zur Ermittlung der Entfernungspauschalen wird im Einvernehmen mit den obersten Finanz-behörden der Länder wie folgt Stellung genommen:

 

1. Entfernungspauschale für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte (§ 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und Absatz 2 EStG) oder für Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG

1.1 Allgemeines

 

Die Entfernungspauschale ist grundsätzlich unabhängig vom Verkehrsmittel zu gewähren. Ihrem Wesen als Pauschale entsprechend kommt es grundsätzlich nicht auf die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen an. Unfallkosten können als außergewöhnliche Aufwendungen (§ 9 Absatz 1 Satz 1 EStG) jedoch neben der Entfernungspauschale berücksichtigt werden (siehe Tz. 4).

 

Auch bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird die Entfernungspauschale angesetzt. Übersteigen die Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel den im Kalenderjahr insgesamt als Entfernungspauschale anzusetzenden Betrag, können diese übersteigenden Aufwendungen zusätzlich angesetzt werden (§ 9 Absatz  2 Satz 2 EStG; siehe auch unter Tz. 1.6).

 

 

Beispiel 1:

Ein Arbeitnehmer benutzt von Januar bis September (an 165 Arbeitstagen) für die Wege von seiner Wohnung zur 90 km entfernten ersten Tätigkeitsstätte und zurück den eigenen Kraftwagen. Dann verlegt er seinen Wohnsitz. Von der neuen Wohnung aus gelangt er ab Oktober (an 55 Arbeitstagen) zur nunmehr nur noch 5 km entfernten ersten Tätigkeitsstätte mit dem öffentlichen Bus. Hierfür entstehen ihm tatsächliche Kosten in Höhe von (3 x 70 Euro =) 210 Euro.

 

Für die Strecken mit dem eigenen Kraftwagen ergibt sich eine Entfernungspau-schale von 165 Arbeitstagen x 90 km x 0,30 Euro = 4 455 Euro. Für die Strecke mit dem Bus errechnet sich eine Entfernungspauschale von 55 Arbeitstagen x 5 km x 0,30 Euro = 83 Euro. Die insgesamt im Kalenderjahr anzusetzende Entfernungspauschale i. H. v. 4 538 Euro (4 455 Euro + 83 Euro) ist anzusetzen, da die tatsächlich angefallenen Aufwendungen für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (210 Euro) diese nicht übersteigen. 

 

Beispiel 2: 

Ein Arbeitnehmer benutzt für die Fahrten von der Wohnung zur ersten Tätigkeitsstätte den Bus und die Bahn. Die kürzeste benutzbare Stra-ßenverbindung beträgt 20 km. Die Monatskarte für den Bus kostet 50 Euro und für die Bahn 65 Euro (= 115 Euro).

Für das gesamte Kalenderjahr ergibt sich eine Entfernungspauschale von 220 Tagen x 20 km x 0,30 Euro = 1 320 Euro. Die für die Nutzung von Bus und Bahn im Kalenderjahr angefallenen Aufwendungen betragen 1 380 Euro (12 x 115 Euro). Da die tatsächlich angefallenen Kosten für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel die insgesamt im Kalenderjahr anzusetzende Entfernungspauschale übersteigen, kann der übersteigende Betrag zusätzlich angesetzt werden; insgesamt somit 1 380 Euro.

 

Ausgenommen von der Entfernungspauschale sind Flugstrecken und Strecken mit steuerfreier Sammelbeförderung.

 

Für Flugstrecken sind die tatsächlichen Aufwendungen anzusetzen (BFH vom 26. März 2009, BStBl II Seite 724). Bei entgeltlicher Sammelbeförderung durch den Arbeitgeber sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers ebenso als Werbungskosten anzusetzen.

 

Für Fahrten zwischen Wohnung und einem sog. „Sammelpunkt“ oder Wohnung und dem nächstgelegenen Zugang eines „weiträumigen Tätigkeitsgebiets“ gelten die Regelungen der Entfernungspauschale entsprechend. Zu den Voraussetzungen und der Anwendung des § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG im Einzelnen sind Rz. 37 bis 45 des BMF-Schreibens zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 30. September 2013, BStBl I Seite ■■■■ zu beachten.

 

1.2 Höhe der Entfernungspauschale

 

Die Entfernungspauschale beträgt 0,30 Euro für jeden vollen Entfernungskilometer zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Die Entfernungspauschale gilt bei der Nutzung von Flugzeugen nur für die An- und Abfahrten zu und von Flughäfen.

 

Die anzusetzende Entfernungspauschale ist wie folgt zu berechnen:

Zahl der Arbeitstage x volle Entfernungskilometer x 0,30 Euro.

 

1.3 Höchstbetrag von 4 500 Euro 

 

Die anzusetzende Entfernungspauschale ist grundsätzlich auf einen Höchstbetrag von 4 500 Euro im Kalenderjahr begrenzt. Die Beschränkung auf 4 500 Euro gilt

 

– wenn der Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit einem Motorrad, Motorroller, Moped, Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt wird,

– bei Benutzung eines Kraftwagens für die Teilnehmer an einer Fahrgemeinschaft und zwar für die Tage, an denen der Arbeitnehmer seinen eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftwagen nicht einsetzt,

– bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, soweit im Kalenderjahr insge-samt keine höheren Aufwendungen glaubhaft gemacht oder nachgewiesen werden (§ 9 Absatz 2 Satz 2 EStG).

 

 

Bei Benutzung eines eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftwagens greift die Begrenzung auf 4 500 Euro nicht. Der Arbeitnehmer muss lediglich nachweisen oder glaubhaft machen, dass er die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit dem eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen zurückgelegt hat. Ein Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen für den Kraftwagen ist für den Ansatz eines höheren Betrages als 4 500 Euro nicht erforderlich.

 

1.4 Maßgebende Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte

 

Für die Bestimmung der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte ist die kürzeste Straßenverbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte maßgebend. Dabei sind nur volle Kilometer der Entfer-nung anzusetzen, ein angefangener Kilometer bleibt unberücksichtigt. Die Ent-fernungsbestimmung richtet sich nach der Straßenverbindung; sie ist unabhängig von dem Verkehrsmittel, das tatsächlich für den Weg zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird. Bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs kann eine andere als die kürzeste Straßenverbindung zugrunde gelegt werden, wenn diese offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte benutzt wird. Eine mögliche, aber vom Steuerpflichtigen nicht tatsächlich benutzte Straßenverbindung kann der Berechnung der Entfernungspauschale nicht zugrunde gelegt werden. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Arbeitnehmer ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt, dessen Linienführung direkt über die verkehrsgünstigere Straßenverbindung erfolgt (z. B. öffentlicher Bus). Eine von der kürzesten Straßenverbindung abweichende Strecke ist verkehrsgünstiger, wenn der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte – trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen – in der Regel schneller und pünktlicher erreicht (BFH vom 10. Oktober 1975, BStBl II Seite 852 sowie BFH vom 16. November 2011, VI R 46/10, BStBl 2012 II Seite 470 und VI R 19/11, BStBl 2012 II Seite 520). Teilstrecken mit steuerfreier Sammelbeförderung sind nicht in die Entfernungsermittlung einzubeziehen.

 

Eine Fährverbindung ist sowohl bei der Ermittlung der kürzesten Straßen-verbindung als auch bei der Ermittlung der verkehrsgünstigsten Straßen-verbindung einzubeziehen, soweit sie zumutbar erscheint und wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Fahrtstrecke der Fähre selbst ist dann jedoch nicht Teil der maßgebenden Entfernung. An ihrer Stelle können die tatsächlichen Fährkosten berücksichtigt werden.

 

Gebühren für die Benutzung eines Straßentunnels oder einer mautpflichtigen Straße dürfen dagegen nicht neben der Entfernungspauschale berücksichtigt werden, weil sie nicht für die Benutzung eines Verkehrsmittels entstehen. Fallen die Hin- und Rückfahrt zur ersten Tätigkeitsstätte auf verschiedene Arbeits-tage, so kann aus Vereinfachungsgründen unterstellt werden, dass die Fahrten an einem Arbeitstag durchgeführt wurden; ansonsten ist H 9.10 (Fahrtkosten – bei einfacher Fahrt) LStH 2014 weiter zu beachten.

 

Beispiel 1:

Ein Arbeitnehmer fährt mit der U-Bahn zur ersten Tätigkeitsstätte. Ein-schließlich der Fußwege beträgt die zurückgelegte Entfernung 15 km. Die kür-zeste Straßenverbindung beträgt 10 km.

 

Für die Ermittlung der Entfernungspauschale ist eine Entfernung von 10 km anzusetzen.

 

Beispiel 2:

Ein Arbeitnehmer wohnt an einem Fluss und hat seine erste Tätigkeitsstätte auf der anderen Flussseite. Die Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte beträgt über die nächstgelegene Brücke 60 km und bei Benut-zung einer Autofähre 20 km. Die Fährstrecke beträgt 0,6 km, die Fährkosten betragen 650 Euro jährlich.

 

Für die Entfernungspauschale ist eine Entfernung von 19 km anzusetzen. Daneben können die Fährkosten berücksichtigt werden (siehe auch Tz. 1.6 Beispiel 4).

 

1.5 Fahrgemeinschaften

 

Unabhängig von der Art der Fahrgemeinschaft ist bei jedem Teilnehmer der Fahrgemeinschaft die Entfernungspauschale entsprechend der für ihn maßge-benden Entfernungsstrecke anzusetzen. Umwegstrecken, insbesondere zum Abholen von Mitfahrern, sind jedoch nicht in die Entfernungsermittlung einzu-beziehen.

 

Der Höchstbetrag für die Entfernungspauschale von 4 500 Euro greift auch bei einer wechselseitigen Fahrgemeinschaft, und zwar für die Mitfahrer der Fahr-gemeinschaft an den Arbeitstagen, an denen sie ihren Kraftwagen nicht einset-zen.

 

Bei wechselseitigen Fahrgemeinschaften kann zunächst der Höchstbetrag von 4 500 Euro durch die Wege an den Arbeitstagen ausgeschöpft werden, an denen der Arbeitnehmer mitgenommen wurde. Deshalb ist zunächst die (auf 4 500 Euro begrenzte) anzusetzende Entfernungspauschale für die Tage zu berechnen, an denen der Arbeitnehmer mitgenommen wurde. Anschließend ist die anzusetzende (unbegrenzte) Entfernungspauschale für die Tage zu ermitteln, an denen der Arbeitnehmer seinen eigenen Kraftwagen benutzt hat. Beide Beträge zusammen ergeben die insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale.

 

Beispiel 1: 

Bei einer aus drei Arbeitnehmern bestehenden wechselseitigen Fahrgemein-schaft beträgt die Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte für jeden Arbeitnehmer 100 km. Bei tatsächlichen 210 Arbeitstagen benutzt jeder Arbeitnehmer seinen eigenen Kraftwagen an 70 Tagen für die Fahrten zwi-schen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte.

 

Die Entfernungspauschale ist für jeden Teilnehmer der Fahrgemeinschaft wie folgt zu ermitteln:

 

Zunächst ist die Entfernungspauschale für die Fahrten und Tage zu ermitteln, an denen der Arbeitnehmer mitgenommen wurde:

 

140 Arbeitstage x 100 km x 0,30 Euro   = 4 200 Euro (Höchstbetrag von 4 500 Euro ist nicht überschritten).

 

Anschließend ist die Entfernungspauschale für die Fahrten

und Tage zu ermitteln, an denen der Arbeitnehmer seinen

eigenen Kraftwagen benutzt hat:

70 Arbeitstage x 100 km x 0,30 Euro    = 2 100 Euro abziehbar (unbegrenzt)

anzusetzende Entfernungspauschale     = 6 300 Euro

 

Setzt bei einer Fahrgemeinschaft nur ein Teilnehmer seinen Kraftwagen ein, kann er die Entfernungspauschale ohne Begrenzung auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro für seine Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte geltend machen; eine Umwegstrecke zum Abholen der Mitfahrer ist nicht in die Entfernungsermittlung einzubeziehen. Bei den Mitfahrern wird gleichfalls die Entfernungspauschale angesetzt, allerdings bei ihnen begrenzt auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro.

 

 

1.6 Benutzung verschiedener Verkehrsmittel

 

Arbeitnehmer legen die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oftmals auf unterschiedliche Weise zurück, d. h. für eine Teilstrecke werden der Kraftwagen und für die weitere Teilstrecke öffentliche Verkehrsmittel benutzt (Park & Ride) oder es werden für einen Teil des Jahres der eigene Kraftwagen und für den anderen Teil öffentliche Verkehrsmittel benutzt. In derartigen Mischfällen ist zunächst die maßgebende Entfernung für die kürzeste Straßenverbindung zu ermitteln (Tz. 1.4). Auf der Grundlage dieser Entfernung ist sodann die anzusetzende Entfernungspauschale für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte zu berechnen.

 

Die Teilstrecke, die mit dem eigenen Kraftwagen zurückgelegt wird, ist in voller Höhe anzusetzen; für diese Teilstrecke kann Tz. 1.4 zur verkehrsgünstigeren Strecke angewandt werden. Der verbleibende Teil der maßgebenden Entfernung ist die Teilstrecke, die auf öffentliche Verkehrsmittel entfällt. Die anzusetzende Entfernungspauschale ist sodann für die Teilstrecke und Arbeitstage zu ermitteln, an denen der Arbeitnehmer seinen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen eingesetzt hat. Anschließend ist die anzusetzende Entfernungspauschale für die Teilstrecke und Arbeitstage zu ermitteln, an denen der Arbeitnehmer öffentliche Verkehrsmittel benutzt. Beide Beträge ergeben die insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale, so dass auch in Mischfällen ein höherer Betrag als 4 500 Euro angesetzt werden kann.

 

Beispiel 1:

Ein Arbeitnehmer fährt an 220 Arbeitstagen im Jahr mit dem eigenen Kraftwa-gen 30 km zur nächsten Bahnstation und von dort 100 km mit der Bahn zur ersten Tätigkeitsstätte. Die kürzeste maßgebende Entfernung (Straßenver-bindung) beträgt 100 km. Die Aufwendungen für die Bahnfahrten betragen (monatlich 180 Euro x 12 =) 2 160 Euro im Jahr.

 

Von der maßgebenden Entfernung von 100 km entfällt eine Teilstrecke von 30 km auf Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen, so dass sich hierfür eine Ent-fernungspauschale von 220 Arbeitstagen x 30 km x 0,30 Euro = 1 980 Euro ergibt. Für die verbleibende Teilstrecke mit der Bahn von (100 km – 30 km =) 70 km errechnet sich eine Entfernungspauschale von 220 Arbeitstagen x 70 km x 0,30 Euro = 4 620 Euro. Hierfür ist der Höchstbetrag von 4 500 Euro anzuset-zen, so dass sich eine insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale von 6 480 Euro ergibt. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Bahnfahrten in Höhe von 2 160 Euro bleiben unberücksichtigt, weil sie unterhalb der für das Kalen-derjahr insgesamt anzusetzenden Entfernungspauschale liegen.

 

Beispiel 2:

Ein Arbeitnehmer fährt an 220 Arbeitstagen im Jahr mit dem eigenen Kraftwa-gen 3 km zu einer verkehrsgünstig gelegenen Bahnstation und von dort noch 30 km mit der Bahn zur ersten Tätigkeitsstätte. Die kürzeste maßgebende Straßenverbindung beträgt 25 km. Die Jahreskarte für die Bahn kostet 1 746 Euro.

 

Für die Teilstrecke mit dem eigenen Kraftwagen von 3 km ergibt sich eine Ent-fernungspauschale von 220 Arbeitstagen x 3 km x 0,30 Euro = 198 Euro. Für die verbleibende Teilstrecke mit der Bahn von (25 km – 3 km =) 22 km errechnet sich eine Entfernungspauschale von 220 Arbeitstagen x 22 km x 0,30 Euro = 1 452 Euro. Die insgesamt im Kalenderjahr anzusetzende Entfernungspauschale beträgt somit 1 650 Euro. Da die tatsächlichen Aufwendungen für die Bahnfahrten in Höhe von 1 746 Euro höher sind als die für das Kalenderjahr insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale, kann zusätzlich der die Entfernungspauschale übersteigende Betrag angesetzt werden; insgesamt also 1 746 Euro.

 

Beispiel 3:

Ein Arbeitnehmer fährt im Kalenderjahr die ersten drei Monate mit dem eigenen Kraftwagen und die letzten neun Monate mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur 120 km entfernten ersten Tätigkeitsstätte. Die entsprechende Monatskarte kostet 190 Euro.

 

Die Entfernungspauschale beträgt bei 220 Arbeitstagen: 220 x 120 km x 0,30 Euro = 7 920 Euro. Da jedoch für einen Zeitraum von neun Monaten öffentliche Verkehrsmittel benutzt worden sind, ist hier die Begrenzung auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro zu beachten. Die anzusetzende Entfernungspau-schale ist deshalb wie folgt zu ermitteln:

165 Arbeitstage x 120 km x 0,30 Euro   = 5 940 Euro Begrenzt auf den Höchstbetrag von       4 500 Euro zuzüglich 55 Arbeitstage x 120 km x 0,30 Euro    = 1 980 Euro anzusetzende Entfernungspauschale insgesamt     6 480 Euro

Die tatsächlichen Kosten für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (9 x 190 Euro = 1 710 Euro) sind niedriger; anzusetzen ist also die Entfer-nungspauschale in Höhe von 6 480 Euro.

 

Beispiel 4:

Ein Arbeitnehmer wohnt in Konstanz und hat seine erste Tätigkeitsstätte auf der anderen Seite des Bodensees. Für die Fahrt zur ersten Tätigkeitsstätte benutzt er seinen Kraftwagen und die Fähre von Konstanz nach Meersburg. Die Fahrtstrecke einschließlich der Fährstrecke von 4,2 km beträgt insgesamt 15 km. Die Monatskarte für die Fähre kostet 122,50 Euro. Bei 220 Arbeitstagen im Jahr ergibt sich eine

 

Entfernungspauschale von:

220 Arbeitstage x 10 km x 0,30 Euro =      660 Euro

zuzüglich

Fährkosten (12 x 122,50 Euro) =    1 470 Euro

Insgesamt zu berücksichtigen     2 130 Euro

 

1.7 Mehrere Wege an einem Arbeitstag

 

Die Entfernungspauschale kann für die Wege zu derselben ersten Tätigkeitsstätte für jeden Arbeitstag nur einmal angesetzt werden.

 

1.8 Mehrere Dienstverhältnisse 

 

Bei Arbeitnehmern, die in mehreren Dienstverhältnissen stehen und denen Auf-wendungen für die Wege zu mehreren auseinander liegenden ersten Tätigkeitsstätten entstehen, ist die Entfernungspauschale für jeden Weg zur ersten Tätigkeitsstätte anzusetzen, wenn der Arbeitnehmer am Tag zwischen-zeitlich in die Wohnung zurückkehrt. Die Einschränkung, dass täglich nur eine Fahrt zu berücksichtigen ist, gilt nur für den Fall einer, nicht aber für den Fall mehrerer erster Tätigkeitsstätten. Werden täglich mehrere erste Tätigkeitsstätten ohne Rückkehr zur Wohnung nacheinander angefahren, so ist für die Entfernungsermittlung der Weg zur zuerst aufgesuchten ersten Tätigkeitsstätte als Umwegstrecke zur nächsten ersten Tätigkeitsstätte zu berücksichtigen; die für die Ermittlung der Entfernungspauschale anzusetzende Entfernung darf höchstens die Hälfte der Gesamtstrecke betragen.

Beispiel 1:

Ein Arbeitnehmer fährt an 220 Tagen vormittags von seiner Wohnung A zur ersten Tätigkeitsstätte B, nachmittags weiter zur ersten Tätigkeitsstätte C und abends zur Wohnung in A zurück. Die Entfernungen betragen zwischen A und B 30 km, zwischen B und C 40 km und zwischen C und A 50 km.

 

Die Gesamtentfernung beträgt 30 + 40 + 50 km = 120 km, die Entfernung zwi-schen der Wohnung und den beiden ersten Tätigkeitsstätten 30 + 50 km = 80 km. Da dies mehr als die Hälfte der Gesamtentfernung ist, sind (120 km : 2) = 60 km für die Ermittlung der Entfernungspauschale anzusetzen. Die Entfer-nungspauschale beträgt 3 960 Euro (220 Tage x 60 km x 0,30 Euro).

Beispiel 2:

Ein Arbeitnehmer fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln an 220 Arbeitstagen vormittags von seiner Wohnung A zur ersten Tätigkeitsstätte B, mittags zur Wohnung A, nachmittags zur ersten Tätigkeitsstätte C und abends zur Wohnung A zurück. Die Entfernungen betragen zwischen A und B 30 km und zwischen A und C 40 km. Die Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel kostet 300 Euro monatlich.

 

Die Entfernungspauschale beträgt:

220 Tage x 70 km (30 km + 40 km) x 0,30 Euro = 4 620 Euro, höchstens 4 500 Euro. Die tatsächlichen Kosten für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel (12 x 300 Euro = 3 600 Euro) übersteigen die im Kalenderjahr insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale nicht; anzusetzen ist also die Entfernungspauschale in Höhe von 4 500 Euro.

 

1.9 Anrechnung von Arbeitgeberleistungen auf die Entfernungspauschale

 

Jeder Arbeitnehmer erhält die Entfernungspauschale unabhängig von der Höhe seiner Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte. Nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 EStG gilt dies auch dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Kraftfahrzeug für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte überlässt und diese Arbeitge-berleistung nach § 8 Absatz 3 EStG (Rabattfreibetrag) steuerfrei ist, z. B. wenn ein Mietwagenunternehmen dem Arbeitnehmer einen Mietwagen für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte überlässt.

Die folgenden steuerfreien bzw. pauschal versteuerten Arbeitgeberleistungen sind jedoch auf die anzusetzende und ggf. auf 4 500 Euro begrenzte Entfer-nungspauschale anzurechnen:

 

– nach § 8 Absatz 2 Satz 11 EStG (44 Euro-Grenze) steuerfreie Sachbezüge für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte,

– nach § 8 Absatz 3 EStG steuerfreie Sachbezüge für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte bis höchstens 1 080 Euro (Rabattfreibetrag),

– der nach § 40 Absatz 2 Satz 2 EStG pauschal besteuerte Arbeitgeberersatz bis zur Höhe der abziehbaren Entfernungspauschale (siehe Tz. 5).

 

 

Die vorgenannten steuerfreien oder pauschal besteuerten Arbeitgeberleistungen sind vom Arbeitgeber zu bescheinigen (§ 41b Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 und 7 EStG).

 

 

2. Entfernungspauschale für Familienheimfahrten bei doppelter Haushaltsführung (§ 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 5 EStG)

 

Auf die Entfernungspauschale für Familienheimfahrten bei doppelter Haushaltsführung sind die Tzn. 1.1 und 1.4 entsprechend anzuwenden. Die Begrenzung auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro gilt bei Familienheimfahrten nicht. Für Flugstrecken und bei entgeltlicher Sammelbeförderung durch den Arbeitgeber sind die tatsächlichen Aufwendungen des Arbeitnehmers anzusetzen. Arbeitgeberleistungen für Familienheimfahrten, die nach § 3 Nummer 13 oder 16 EStG steuerfrei sind, sind nach § 3c Absatz 1 EStG auf die für die Familienheimfahrten anzusetzende Entfernungspauschale anzurechnen.

 

3. Behinderte Menschen

 

Nach § 9 Absatz 2 Satz 3 EStG können behinderte Menschen für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte an Stelle der Entfernungspauschale die tat-sächlichen Aufwendungen ansetzen. Bei Benutzung eines privaten Fahrzeugs können die Fahrtkosten aus Vereinfachungsgründen auch mit den pauschalen Kilometersätzen gemäß § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a EStG angesetzt werden (siehe auch Rz. 36 des BMF-Schreibens zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 30. September 2013, BStBl I Seite ■■■■). Bei Benutzung eines eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftwagens kann danach ohne Einzelnachweis der Kilometersatz von 0,30 Euro je gefahrenen Kilometer angesetzt werden. Unfallkosten, die auf einer Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte entstanden sind, können neben dem pauschalen Kilometersatz berücksichtigt werden. Werden die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte mit verschiedenen Verkehrsmitteln zurückgelegt, kann das Wahlrecht – Entfernungspauschale oder tatsächliche Kosten – für beide zurückgelegten Teilstrecken – nur einheitlich ausgeübt werden (BFH vom 5. Mai 2009, BStBl II Seite 729).

 

Beispiel 1:

Ein behinderter Arbeitnehmer A (Grad der Behinderung von 90) fährt an 220 Arbeitstagen im Jahr mit dem eigenen Kraftwagen 17 km zu einem behindertengerechten Bahnhof und von dort 82 km mit der Bahn zur ersten Tätigkeitsstätte. Die tatsächlichen Bahnkosten betragen 240 Euro im Monat. A wählt das günstigste Ergebnis (für 183 Tage die Entfernungspauschale und für 37 Tage den Ansatz der tatsächlichen Kosten).

 

a) Ermittlung der Entfernungspauschale

 

Für die Teilstrecke mit dem eigenen Kraftwagen errechnet sich eine Entfernungspauschale von

183 Arbeitstagen x 17 km x 0,30 Euro =    933,30 Euro

Für die Teilstrecke mit der Bahn errechnet sich eine Entfernungspauschale von

183 Arbeitstagen x 82 km x 0,30 Euro = 4 501,80 Euro, höchstens 4 500 Euro,

so dass sich eine insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale von 5 434 Euro (4 500 Euro + 934 Euro) ergibt.

 

b) Ermittlung der tatsächlichen Kosten

 

Für die Teilstrecke mit dem eigenen Kraftwagen sind

37 Arbeitstage x 17 km x 2 x 0,30 Euro = 377,40 Euro anzusetzen (= tatsächliche Aufwendungen mit pauschalem Kilometersatz)

für die verbleibende Teilstrecke mit der Bahn 484,36 Euro (= 240 Euro x 12 Monate = 2 880 Euro : 220 Tage x 37 Tage),

so dass sich insgesamt also ein Betrag von  862 Euro (377,40 Euro + 484,36 Euro) ergibt.

Insgesamt kann somit ein Betrag von 6 296 Euro (183 Tage Entfernungs-pauschale und 37 Tage tatsächliche Kosten) abgezogen werden.

 

 

Beispiel 2:

Arbeitnehmer A fährt an 220 Arbeitstagen im Jahr mit dem eigenen Kraftwagen 17 km zum Bahnhof und von dort 82 km mit der Bahn zur ersten Tätigkeitsstätte. Die tatsächlichen Bahnkosten betragen 240 Euro im Monat. Mitte des Jahres (110 Arbeitstage) tritt eine Behinderung ein (Grad der Behinderung von 90). A wählt wieder das günstigste Ergebnis (für 183 Tage die Entfernungspauschale und für 37 Tage während des Zeitraums der Behinderung den Ansatz der tatsächlichen Kosten).

 

a) Ermittlung der Entfernungspauschale

 

Für die Teilstrecke mit dem eigenen Kraftwagen errechnet sich eine Entfernungspauschale von

183 Arbeitstagen x 17 km x 0,30 Euro =   933,30 Euro

Für die Teilstrecke mit der Bahn errechnet sich eine Entfernungspauschale von

183 Arbeitstagen x 82 km x 0,30 Euro = 4 501,80 Euro, höchstens 4 500 Euro,

so dass sich eine insgesamt anzusetzende Entfernungspauschale von 5 434 Euro (4 500 Euro + 934 Euro) ergibt.

 

b) Ermittlung der tatsächlichen Kosten

 

Für die Teilstrecke mit dem eigenen Kraftwagen sind

37 Arbeitstage x 17 km x 2 x 0,30 Euro = 377,40 Euro anzusetzen (= tatsächliche Aufwendungen mit pauschalem Kilometersatz)

für die verbleibende Teilstrecke mit der Bahn 484,36 Euro (= 240 Euro x 12 Monate = 2 880 Euro : 220 Tage x 37 Tage),

so dass sich insgesamt also ein Betrag von  862 Euro (377,40 Euro + 484,36 Euro) ergibt.

Insgesamt kann auch in diesem Fall ein Betrag von 6 296 Euro (183 Tage Entfernungspauschale und 37 Tage tatsächliche Kosten) abgezogen werden.

 

4. Abgeltungswirkung der Entfernungspauschalen

 

Nach § 9 Absatz 2 Satz 1 EStG sind durch die Entfernungspauschale sämtliche Auf-wendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte und Familienheimfahrten entstehen. Dies gilt z. B. auch für Parkgebühren für das Abstellen des Kraftfahrzeugs während der Arbeitszeit, für Finanzierungskosten (siehe auch BFH vom 15. April 2010, BStBl II Seite 805), Beiträge für Kraftfahrerverbände, Versicherungsbeiträge für einen Insassenunfallschutz, Aufwendungen infolge Diebstahls sowie für die Kosten eines Austauschmotors anlässlich eines Motorschadens auf einer Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder einer Familienheimfahrt. Unfallkosten, die auf einer Fahrt zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder auf einer zu berücksichtigenden Familienheimfahrt entstehen, sind als außergewöhnliche Aufwendungen im Rahmen der allgemeinen Werbungskosten nach § 9 Absatz 1 Satz 1 EStG weiterhin neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen (siehe Bundestags-Drucksache 16/12099, Seite 6).

5. Pauschalbesteuerung nach § 40 Absatz 2 Satz 2 EStG

5.1 Allgemeines

 

Der Arbeitgeber kann die Lohnsteuer für Sachbezüge in Form der unentgeltlichen oder verbilligten Beförderung eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG sowie für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlte Zuschüsse zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sowie Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG pauschal mit 15 % erheben, soweit diese den Betrag nicht übersteigen, den der Arbeitnehmer nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und Absatz 2 EStG als Werbungskosten geltend machen kann. Ausschlaggebend für die Höhe des pauschalierbaren Betrags ist demnach der Betrag, den der Arbeitnehmer für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG als Werbungskosten geltend machen kann.

 

5.2 Höhe der pauschalierbaren Sachbezüge und Zuschüsse

 

Bei ausschließlicher Benutzung eines eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftwagens ist die Höhe der pauschalierungsfähigen Sachbezüge und Zuschüsse des Arbeitgebers auf die Höhe der nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 EStG als Werbungskosten abziehbaren Entfernungspauschale beschränkt, ohne Begrenzung auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro. Aus Vereinfachungsgründen kann davon ausgegangen werden, dass monatlich an 15 Arbeitstagen Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG erfolgen.

 

Bei ausschließlicher Benutzung eines Motorrads, Motorrollers, Mopeds oder Mofas sind die pauschalierbaren Sachbezüge und Zuschüsse des Arbeitgebers auf die Höhe der nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 EStG als Werbungskosten abziehbaren Entfernungspauschale, begrenzt auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro, beschränkt. Aus Vereinfachungsgründen kann hier ebenfalls davon ausgegangen werden, dass monatlich an 15 Arbeitstagen Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG erfolgen.

 

Bei ausschließlicher Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, bei entgeltlicher Sammelbeförderung, für Flugstrecken sowie bei behinderten Menschen ist eine Pauschalierung der Sachbezüge und Zuschüsse in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Arbeitnehmers (§ 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und Absatz 2 EStG) für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG zulässig.

 

Bei der Benutzung verschiedener Verkehrsmittel (insbesondere sog. Park & Ride-Fälle) ist die Höhe der pauschalierbaren Sachbezüge und Zuschüsse des Arbeitgebers auf die Höhe der nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4 und Absatz 2 EStG als Werbungskosten abziehbaren Entfernungspauschale beschränkt. Eine Pauschalierung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kommt erst dann in Betracht, wenn diese die insgesamt im Kalenderjahr anzusetzende Entfernungspauschale, ggf. begrenzt auf den Höchstbetrag von 4 500 Euro, übersteigen. Aus Vereinfachungsgründen kann auch in diesen Fällen davon ausgegangen werden, dass monatlich an 15 Arbeitstagen Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 EStG erfolgen.

 

6. Anwendungsregelung

 

Dieses Schreiben ist mit Wirkung ab 1. Januar 2014 anzuwenden.

 

Das BMF-Schreiben zu den Entfernungspauschalen vom 3. Januar 2013 (BStBl I  Seite 215) ist letztmals für den Veranlagungszeitraum 2013 anzuwenden. Beim Steuerabzug vom Arbeitslohn gilt dies mit der Maßgabe, dass die Fassung des BMF-Schreibens vom 3. Januar 2013 letztmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen bis zum 31. Dezember 2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird, und auf sonstige Bezüge, die bis zum 31. Dezember 2013 zufließen.

 

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Im Auftrag

 

Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.

 

Keine regelmäßige Arbeitsstätte bei vorübergehender Abordnung oder Versetzung

BFH  v. 08.08.2013 – VI R 72/12

Leitsatz

Ein Arbeitnehmer (Beamter), der von seinem Arbeitgeber für drei Jahre an eine andere als seine bisherige Tätigkeitsstätte abgeordnet oder versetzt wird, begründet dort keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.

 

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 ff.

Instanzenzug:

Niedersächsisches FG vom 22. August 2012 3 K 293/11
BFH VI R 72/12 (Verfahrensverlauf)

I. Streitig ist, ob Fahrten zwischen Wohnung und Dienststelle steuerlich im Rahmen der Entfernungspauschale oder nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen sind.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger erzielt als Finanzbeamter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Aufgrund eines Schreibens der Oberfinanzdirektion (OFD) A vom 27. Juli 1993 wurde er mit Wirkung vom 1. August 1993 vom Finanzamt B an die Landesfinanzschule Niedersachsen in Bad Eilsen abgeordnet. Der dortige Einsatz wurde „bis längstens 31. Juli 1996 befristet”. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1993 wurde er „aus dienstlichen Gründen mit Wirkung vom 1. November 1993 vom Finanzamt B an die Landesfinanzschule Niedersachsen” versetzt. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass „nach derzeitigem Stand eine Verwendung bei der Landesfinanzschule Niedersachsen bis zum 31. Juli 1996 vorgesehen” sei.

Mit Schreiben vom 22. Mai 1997 bestätigte die OFD, dass der Kläger mit Wirkung vom 1. April 1997 für die Dauer von drei Monaten von der Landesfinanzschule Niedersachsen an das Finanzamt B abgeordnet worden sei und beabsichtigt werde, ihn mit sofortiger Wirkung dorthin zu versetzen.

In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1996 und 1997 erklärten die Kläger Fahrten des Klägers an 136 Tagen zwischen der Wohnung in B und der Landesfinanzschule Niedersachsen in Bad Eilsen für 138 Entfernungskilometer als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre erklärungsgemäß fest. Hiergegen wandten sich die Kläger mit Einsprüchen. Im Laufe der Einspruchsverfahren brachten die Kläger erstmalig vor, nach einer Änderung der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) seien die Fahrtkosten des Klägers zur Landesfinanzschule in den Streitjahren nicht als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern als Reisekosten zu behandeln.

Mit Einspruchsbescheid vom 25. Juli 2011 wies das FA die Einsprüche der Kläger als unbegründet zurück.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe den Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte fehlerhaft ausgelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei regelmäßige Arbeitsstätte (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers. Da der Kläger der Landesfinanzschule nur vorübergehend —für drei Jahre— und nicht dauerhaft zugeordnet worden sei, sei diese nicht als seine regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.

Sie beantragen,

das Urteil des Niedersächsischen FG vom 22. August 2012 3 K 293/11 und die Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2011 aufzuheben sowie die Einkommensteuerbescheide für das Jahr 1996 vom 16. April 1997 und das Jahr 1997 vom 27. Januar 1999 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Veranlagungszeitraum 1996 Wegekosten statt bisher in Höhe von 13.137,60 DM in Höhe von 22.146,24 DM und im Veranlagungszeitraum 1997 statt bisher in Höhe von 4.636,80 DM in Höhe von 7.816,32 DM als Werbungskosten berücksichtigt werden.

10 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

11 II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat die Fahrtkosten des Klägers von seinem Wohnort zur Landesfinanzschule Niedersachsen in Bad Eilsen zu Unrecht nur begrenzt im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zum Abzug als Werbungskosten zugelassen.

12 1. Fahrtkosten eines Arbeitnehmers im Rahmen einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit sind Erwerbsaufwendungen und gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Höhe des dafür tatsächlich entstandenen Aufwands als Werbungskosten zu berücksichtigen. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kommt insoweit nicht zur Anwendung (Senatsurteile vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; vom 10. April 2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825). Denn ein Arbeitnehmer, der außerhalb einer dem Arbeitgeber zuzuordnenden Betriebsstätte oder an einer solchen nur vorübergehend und damit auswärts tätig ist, hat typischerweise nicht die Möglichkeit, seine Wegekosten gering zu halten (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 17. Juni 2010 VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; vom 9. Februar 2012 VI R 22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827).

13 a) Eine Auswärtstätigkeit liegt u.a. vor, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend außerhalb seiner Wohnung und seiner regelmäßigen Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) beruflich tätig wird (Senatsurteile vom 15. Mai 2013 VI R 41/12, BStBl II 2013, 704; vom 13. Juni 2012 VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169; in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825; in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; in BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785; R 9.4 Abs. 2 Satz 1 LStR); dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Berufstätigkeit vorübergehend längerfristig an einer anderen betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers nachgeht (§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 ff. EStG). Denn eine vorübergehende Tätigkeitsstätte wird nicht durch bloßen Zeitablauf zum Tätigkeitsmittelpunkt bzw. zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Arbeitnehmers (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 2005 VI R 30/05, BFHE 212, 218, BStBl II 2006, 378; vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; Schmidt/Krüger, EStG, 32. Aufl., § 19 Rz 110, Stichwort: Reisekosten <Auswärtstätigkeit>; R 9.4 Abs. 3 Satz 4 LStR). Vielmehr wird eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers nur dann zur regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer dieser Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet hat (Senatsurteile vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503; VI R 32/11, BFH/NV 2012, 936; vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38; VI R 36/10, BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36; VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34).

14 b) Ob der Arbeitnehmer lediglich —unter Beibehaltung seiner bisherigen regelmäßigen Arbeitsstätte— „vorübergehend” in einer anderen betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers tätig wird oder von Anbeginn dauerhaft an den neuen Beschäftigungsort entsandt wurde und dort eine (neue) regelmäßige Arbeitsstätte begründet hat, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. z.B. OFD Münster, Kurzinfo ESt Nr. 1/2011 vom 4. Januar 2011, Der Betrieb 2011, 206; OFD Rheinland und OFD Münster vom 13. Februar 2009 S 2338-1001-St 215 bzw. S 2353-20-St 22-31, Deutsches Steuerrecht 2009, 432). Hierfür hat das FG insbesondere die der Auswärtstätigkeit zugrundeliegenden Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Blick zu nehmen und anhand dieser —ex ante (vgl. hierzu Senatsurteil vom 9. Februar 2012 VI R 22/10, BFHE 236, 426, BStBl II 2012, 827)— zu beurteilen, ob der Arbeitnehmer voraussichtlich an seine regelmäßige Arbeitsstätte zurückkehren und dort seine berufliche Tätigkeit fortsetzen wird. Denn das Gesetz gibt derzeit noch (anders als künftig § 9 Abs. 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013, BGBl I 2013, 285) keine zeitliche Obergrenze für die Annahme einer vorübergehenden Auswärtstätigkeit vor.

15 2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Denn nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG war eine Tätigkeit des Klägers an der Landesfinanzschule lt. Abordnungsverfügung vom 27. Juli 1993 und Versetzungsverfügung vom 22. Oktober 1993 „nach derzeitigem Stand…bis zum 31. Juli 1996 vorgesehen”. Die berufliche Verwendung des Klägers in Bad Eilsen war demnach, obwohl er im beamtenrechtlichen Sinne nicht nur (vorübergehend) abgeordnet (§ 27 Abs. 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes —NBG— vom 25. März 2009, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 2009, 72) war, trotz der im Grundsatz nach § 31 NBG auf unbestimmte Zeit angelegten Versetzung auf drei Jahre befristet und damit nur vorübergehend. Eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG liegt damit nicht vor. Der Kläger ist folglich auswärts tätig. Die Kosten für die Wege zwischen seiner Wohnung und der Landesfinanzschule Niedersachsen sind daher, entgegen der Auffassung von FA und FG, in tatsächlicher Höhe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Die Sache ist auch im Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Wegekosten spruchreif. Einwände gegen die vom Kläger vorgelegte Berechnung der tatsächlichen Fahrtkosten für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und der Landesfinanzschule Niedersachsen sind vom FA weder vorgetragen noch ersichtlich.

Umsatzsteuer – Steuerfestsetzung gem. § 14c Abs. 2 UStG wg. unberechtigtem Ausweis von Umsatzsteuer

FG Köln  v. 12.09.2013 – 10 K 692/13

Leitsatz

1. Für die Anwendung des § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG ist es ausreichend, dass ein Dokument als Abrechnung über eine (angeblich umsatzsteuerpflichtige) Leistung durch einen (angeblichen) Unternehmer wegen des Ausweises der Umsatzsteuer abstrakt die Gefahr begründet, vom Empfänger oder einem Dritten zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gebraucht zu werden.

2. Die Gefährdungshaftung des Rechnung stellenden Unternehmers ist verschuldensunabhängig.

 

Gesetze: UStG § 15 UStG § 14c Abs 2

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte wegen unberechtigtem Ausweis von Umsatzsteuerbeträgen eine Steuerfestsetzung auf der Grundlage von § 14c Abs. 2 S. 2 UStG vornehmen durfte und über die teilweise Versagung von Vorsteuerabzug.

Seit August 2010 betrieb die Klägerin einen „Groß- und Einzelhandel mit Klebebändern und Verpackungen sowie deren Bedruckung und Eventplanung”. Ihr Unternehmen firmierte als „A Klebebänder B in … C, D-Weg …”. Nach Angaben der Klägerin sind in ihrem Unternehmen, welches in angemieteten Räumen betrieben wird, außer ihr selbst zwei festangestellte Mitarbeiter tätig. In ihrer im Juli 2012 beim Beklagten eingegangen Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2011 hatte die Klägerin Lieferungen und Leistungen i.H.v. 899.510 EUR angemeldet sowie abziehbare Vorsteuerbeträge i.H.v. 153.431 EUR, so dass sich eine Zahllast i.H.v. 17.499 EUR ergab.

Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung (Prüfungsbericht vom 6.8.2012) wurde festgestellt, dass den Umsätzen an die „E Kühltransporte GmbH” (E-GmbH) in Höhe von insgesamt 716.987,16 EUR aus angeblichem Handel mit Aluminiumfolie bzw. Stretchfolie tatsächlich keine Warenlieferungen zugrunde lagen. Darüber hinaus kam die Fahndungsprüfung zu dem Ergebnis, dass der Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen der Firmen F Handels GmbH, G GmbH, H Nürnberg GmbH, H Leipzig GmbH und K Handel und Frachtvermittlung, Inh. K, zu versagen sei, da den betreffenden Eingangsrechnungen über Lieferungen von Aluminiumfolie bzw. Stretchfolie keine tatsächlichen Warenlieferungen zugrunde lagen.

Mit Schreiben vom 30.8.2012 an den Rechtsnachfolger der E-GmbH, die „L Transport und Handels GmbH, I-Straße …, … J” (L-GmbH) forderte die Klägerin die an die E-GmbH in der Zeit vom 16.3.2011 bis zum 23.9.2011 gestellten 15 Rechnungen über Alufolien und Handstretchfolie zurück, in der insgesamt Umsatzsteuer i.H.v. 147.069,63 EUR ausgewiesen war.

Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid vom 9.10.2012 setzte der Beklagte gegen die Klägerin die Umsatzsteuer für 2011 mit 162.129 EUR fest (15.059 EUR aus sonstiger Geschäftstätigkeit, erhöht um 147.069,63 EUR gemäß § 14c Abs. 2 S. 2 UStG), so dass sich eine zum 12.11.2012 fällige Abschlusszahlung i.H.v. 144.630 EUR ergab.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 4.3.2013). Zur Begründung hatte der Beklagte mit Schreiben vom 12.12.2012 in Abstimmung mit dem FA M – Steuerfahndungsstelle ausgeführt: Der Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen der Firmen F Handels GmbH, G GmbH, H Nürnberg GmbH, H Leipzig GmbH und K Handel und Frachtvermittlung sei zu versagen. Von einer Gutgläubigkeit der Klägerin könne nicht ausgegangen werden, da sie selbst aktiv an dem Betrugsmodell insoweit mitgewirkt habe, als sie durch unrichtige Angaben auf den zu den Eingangsrechnungen gehörigen Lieferscheinen sowie auf den Ausgangsrechnungen und den dazugehörigen Lieferscheinen den Wareneingang und Warenausgang sowie die entsprechenden Lieferwege bestätigt habe, obwohl It. ihrer eigenen Aussage am 27.9.2011 die angeblichen Aluminiumfolien bzw. Stretchfolien zu keiner Zeit am Standort des Einzelunternehmens in … C, D-Weg … eingegangen bzw. gelagert und weitergeliefert worden seien, die Klägerin die Folien also letztlich nie gesehen habe. Aufgrund der Rechnungsinhalte und der Lieferscheine (Abholung der Ware durch die Firma E-GmbH bzw. eine Spedition) sowie der handschriftlichen Vermerke der Klägerin könne es sich nicht – wie behauptet – um Streckengeschäfte gehandelt haben.

Darüber hinaus seien die Lieferfirmen nach den Ermittlungen der Steuerfahndung M zum Zeitpunkt der Aluminiumfolie- bzw. Stretchfolie-Lieferungen entweder tatsächlich nicht existent (F Handels GmbH; G GmbH i.L.) bzw. wirtschaftlich inaktiv (H Nürnberg GmbH; K Handel und Frachtvermittlung Inh. K) gewesen. Einzig die Firma H Leipzig GmbH sei zum Zeitpunkt der angeblichen Folienlieferungen ein existentes, wirtschaftlich aktives Unternehmen gewesen. Die Geschäftsführerin dieses Unternehmens, deren Ehemann sowie der zuständige Lagerarbeiter hätten allerdings einvernehmlich ausgesagt, die Firma A Klebebänder B nicht zu kennen und in keinerlei Geschäftsbeziehungen zu ihr zu stehen. Des Weiteren hätten diese Personen übereinstimmend ausgesagt, die entsprechenden Rechnungen und Lieferscheine nicht ausgestellt zu haben. Die Rechnungs- und Lieferscheininhalte hätten nicht der automatisierten Praxis des vorhandenen Warenwirtschaftssystems der H Leipzig GmbH entsprochen (falsche Rechnungs- und Lieferschein-Nrn.).

Das Ergebnis der Ermittlungen der Steuerfahndung M zu den Lieferfirmen lasse sich wie folgt zusammenfassen:

  • H Nürnberg GmbH

    Der zur Zeit der Rechnungslegung amtierende Geschäftsführer der H Nürnberg GmbH habe bei seiner Vernehmung glaubhaft dargelegt, dass er weder die Klägerin noch deren Firma A Klebebänder B kenne und auch die entsprechenden Rechnungen und Lieferscheine nicht erstellt habe. Außerdem habe er bestätigt, dass er in der Zeit seiner formellen Geschäftsführertätigkeit keinerlei Geschäfte für die Firma H Nürnberg GmbH getätigt habe.

  • F Handels GmbH

    Die F Handels GmbH sei aufgrund notariellen Vertrags vom 21.5.2010 aus der Firma P GmbH hervorgegangen (Umbenennung). Gleichzeitig sei der Sitz der Firma von Q nach … R, N-Gasse … verlegt worden. Die Ermittlungen der Steuerfahndung beim Eigentümer und Vermieter des Objekts in R, N-Gasse … hätten ergeben, dass die Firma F Handels GmbH zu keiner Zeit Räumlichkeiten angemietet habe und es sich somit bei der Firma F Handels GmbH um eine reine Scheinfirma handele. Seit dem 1.1.2011 besitze die Firma F Handels GmbH kein Umsatzsteuersignal mehr.

  • G GmbH i. L.

    Mit notariellem Vertrag vom 13.4.2011 sei die Liquidation der der G GmbH angeordnet worden. Gleichzeitig sei in einer Gesellschafterversammlung die Sitzverlegung von Q nach … O, S-Straße … beschlossen worden. Die nach der Sitzverlegung unter der neuen Adresse in O unternommenen Post-Zustellversuche des vormals zuständigen Finanzamts Q seien fehlgeschlagen.

  • K Handel und Frachtvermittlung. Inh. K

    Nach Feststellung der Steuerfahndung M habe die Errichtung des Einzelunternehmens K Handel und Frachtvermittlung und die Büroanmietung in T ausschließlich dazu gedient, eine neue Firma ohne aktiven Geschäftsbetrieb zu installieren, ausschließlich zum Zwecke des Inverkehrbringens von Rechnungen über Lieferungen von Aluminiumfolie. Lt. Aussage des Verwalters des Objekts U-Feld …, … T am 27.9.2011 sei der Inhaber der Firma einschließlich der Mietgespräche und des Mietvertragsabschlusses nur ca. dreimal ortsanwesend gewesen. Der Briefkasten der Firma K Handel und Frachtvermittlung sei regelmäßig vom Verwalter geleert und die Post dem Inhaber zugesandt worden.

Die Klägerin macht geltend, die Voraussetzungen des § 14c UStG lägen nicht mehr vor, da sie die streitgegenständlichen Rechnungen aus dem Monaten März bis September 2011 mit Schreiben vom 30.8.2012 von der E-GmbH zurückgefordert habe; gleichzeitig habe die Klägerin die L-GmbH aufgefordert, die steuerlichen Konsequenzen aus dem Rechnungsstorno zu ziehen. Hilfsweise werde ein Berichtigungsantrag gemäß § 14c Abs. 3 S. 5 UStG gestellt. So enthielten die Steuerakten keinen Hinweis und keine Unterlagen darüber, ob und in welchem Verfahrensstadium sich die Rückforderung der Vorsteuer gegenüber der Firma E-GmbH bzw. L-GmbH befinde. Der Beklagte habe darzulegen, warum die Versagung des Vorsteuerabzugs bei Herrn E1 auf der Basis des dortigen Bescheids vom 14.2.2013 nicht vollzogen werde und ob dem Steuerpflichtigen dort eventuell Aussetzung der Vollziehung gewährt worden sei. Wenn dem Haupttäter einer Steuerhinterziehung die Aussetzung der Vollziehung gewährt werde, so müsse dies erst recht für den Beteiligten einer Tat gelten. Herr L habe lt. den Ermittlungen der Steuerfahndung M in Litauen eine Gesellschaft gegründet, die in dem Steuerhinterziehungsmodell als Letztabnehmer der Folien aufgetreten sei. Inzwischen habe Herr E1 auch wieder die Gesellschaftsanteile übernommen und die Gesellschaft wieder umbenannt in E-GmbH.

Auch die Berechtigung der Klägerin zum Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen bestehe, da die Klägerin ohne ihr Wissen und Wollen in einen Umsatzsteuerbetrug involviert worden sei. Der EuGH habe den Grundsatz der Mehrwertsteuerneutralität betont und festgestellt, dass ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen habe, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen seien, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen könne, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. Es könne vom Steuerpflichtigen nicht generell verlangt werden, sich zu vergewissern, dass auf der Ebene der Wirtschaftsteilnehmer einer vorhergehenden Umsatzstufe keine Unregelmäßigkeiten und Steuerhinterziehung vorlägen. Denn es sei grundsätzlich Sache der Steuerbehörden, bei den Steuerpflichtigen die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehung aufzudecken (Hinweis auf BFH-Urteil vom 19.4.2007 – V R 48/04 und EuGH-Urteil vom 6.9.2012 – C-324/12).

Die Klägerin sei am 27.9.2011 von der Steuerfahndung M aufgesucht und zunächst als Zeugin vernommen worden. Dabei sei sie zu geschäftlichen Kontakten zu den dortigen Beschuldigten befragt und um Zurverfügungstellung von Dokumenten, Geschäftskorrespondenz etc. gebeten worden. Dieser Bitte sei die Klägerin nachgekommen. Am 1.8.2012 seien ihre Privaträume durchsucht worden. Die Klägerin sei davon ausgegangen, dass die in den Rechnungen ausgewiesenen Warenlieferungen tatsächlich stattgefunden hätten. Sie sei ohne ihr Wissen in eine Umsatzsteuerhinterziehung verwickelt worden. Jedes Mal nach Erhalt einer Rechnung habe sie den jeweiligen Lieferanten gemäß den Angaben in seiner Rechnung im Handelsregister überprüft und auch seine Umsatzsteuer-ID-Nr. abgefragt. Aus den Aussagen der Inhaber der H Leipzig GmbH lasse sich folgern, dass nur Personen mit Insider-Kenntnissen in der Lage gewesen wären, zu erkennen, dass es sich bei den Dokumenten um Fälschungen gehandelt habe.

Verfehlt sei auch die Annahme von Steuerfahndung und Antragsgegner, die Vermerke der Klägerin „Palettentausch” bzw. „alle Paletten getauscht” bzw. „Abholung per Spedition” bzw. „die Lieferung erfolgt per Selbstabholung” bzw. „Abholung per Spedition” belegten die Mittäterschaft der Klägerin. Die Anbringung derartiger Vermerke auf Lieferungen von Waren auf Paletten werde sehr oft verlangt, weil es oftmals zwischen Lieferant, Spediteur und Kunden später zum Streit über den Kostenausgleich für angeblich mitgelieferte bzw. nicht mitgelieferte Paletten komme. Könne der Kunde keinen solchen Vermerk vorweisen, laufe er Gefahr, dass von ihm die Herausgabe von Paletten oder eine entsprechende Bezahlung der Paletten verlangt werde. Entgegen der Auffassung der Steuerfahndung sei es eben nicht so, dass ein solcher Vermerk ungewöhnlich wäre und nur deshalb erfolgt sei, um eine tatsächliche Warenbewegung zu suggerieren. Der Vermerk sei auf Anweisung von Herrn V angebracht worden und die Antragstellerin habe keinen Grund gehabt, dessen Anweisungen zu misstrauen. Auch aus der Bezahlung per Scheck lasse sich kein Vorsatz der Antragstellerin ableiten. Verrechnungsschecks müssten entgegen der Ansicht des Antragsgegners auch nicht auf eine bestimmte Person als Begünstigten ausgestellt werden. Einer namentlichen Bezeichnung des Überbringers auf dem Scheck bedürfe es nicht.

Letztlich habe der Gesetzgeber das betrugsanfällige Umsatzsteuersystem (vgl. Sonderbericht des Bundesrechnungshofs vom 27.9.2012) selbst vorgegeben. Dies könne nicht auf dem Rücken der Steuerpflichtigen gelöst werden. Von daher sei jedenfalls hilfsweise der Vorsteuerabzug im Wege einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß §§ 163, 227 AO zu gewähren. Denn der Steuerpflichtige habe einen Anspruch darauf, dass bei der Prüfung der Vorsteuerabzugsberechtigung aufgrund der europarechtlichen Vorgaben zum Vertrauensschutz bereits im Rahmen des Festsetzungsverfahrens geprüft werde, ob eine Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO in Betracht komme.

Die Verwaltungsakten wurden vom Bevollmächtigten der Klägerin im Laufe des Verfahrens wiederholt eingesehen, und zwar am 22.8.2012 (Schreiben des FA M – Steuerfahndung vom 19.11.2012) und außerdem am 12.4.2013 auch im finanzgerichtlichen Verfahren.

Am 15.7.2013 wurde der Streitfall mit dem Bevollmächtigten in Anwesenheit der Klägerin persönlich vor dem zuständigen Berichterstatter erörtert. Auf die Frage, wie der Kontakt zu Herrn V zu Stande gekommen sei, antwortete die Klägerin unter Bezugnahme auf ihre schriftliche Einlassung, dass es sich bei Frau W um eine langjährige Bekannte gehandelt habe, die auch eine gewisse Zeit lang im Betrieb der Klägerin gearbeitet habe. Sie sei der Klägerin also nicht nur privat, sondern auch durch ihre berufliche Betätigung bekannt gewesen. Herr V habe sich im Februar oder März 2011 als Bekannter von Frau W vorgestellt. Diese habe ihrerseits damals mitgeteilt, dass sie Herrn V seit über 20 Jahren kenne und mit diesem befreundet sei. Er sei als Vermittler aufgetreten und habe die Klägerin gefragt, ob sie Interesse an Geschäften im Bereich Stretch- und Aluminiumfolien habe. Hierbei hätten Streckengeschäfte getätigt werden sollen, bei denen die Ware direkt vom Lieferanten an den Kunden geschickt werden sollte. Er – Herr V – habe einen Abnehmer für die Folien (E-GmbH) und auch Lieferanten und werde die Klägerin bei der Abwicklung unterstützen.

Der Berichterstatter warf die Frage auf, warum der Vermittler dann nicht Käufer und Verkäufer zusammengebracht bzw. vermittelt habe, sondern wieso er überhaupt Interesse daran gehabt habe, die Klägerin als Zwischenhändlerin einzuschalten, der auch noch eine Gewinnmarge zugebilligt worden sei. Außerdem problematisierte der Berichterstatter die nicht gerade üblichen Zahlungsweg, bei dem die Schecks nicht direkt an den Lieferanten übergeben, sondern die Bekannte der Klägerin und Herr V eingeschaltet wurden. Dabei antwortete die Klägerin, dass dies von Herrn V angeboten worden sei, damit sie – die Klägerin – sich um nichts zu kümmern brauche. Erst wenn die Gelder aus den von der Klägerin geschriebenen Rechnungen ihrem Konto gutgeschrieben worden seien und die Klägerin von einer Lieferung an Herrn E1 habe ausgehen können, habe sie selbst die Verrechnungsschecks zur Bezahlung der an sie selbst gerichteten Rechnungen ausgestellt. Diese habe sie dann – weil der Kontakt durch Herrn V vermittelt worden sei – an ihre Bekannte Frau W übergebenen, mit der Bitte, die Schecks an Herrn V weiterzuleiten, damit dieser sie an den jeweiligen Lieferanten weiterreiche.

Die weitere Frage des Berichterstatters nach einer Strafanzeige wegen Betruges der Klägerin gegenüber Frau W und Herrn V, nachdem sie sich bewusst geworden sei, durch Herrn V und Frau W in einen Umsatzsteuerbetrug hineingeraten zu sein, wurde verneint. Vor dem Hintergrund, dass allenfalls hinsichtlich der nicht anerkannten Vorsteuerbeträge i.H.v. 133.007,88 EUR über eine Gutgläubigkeit der Klägerin diskutiert werden könne, regte der Berichterstatter an, doch zumindest den Differenzbetrag zwischen den von der Klägerin ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträgen i.H.v. 147.069,63 EUR (§ 14c Abs. 2 S. 2 UStG) und den entsprechenden Vorsteuerbeträgen i.H.v. 133.007,88 EUR umgehend zu begleichen. Außerdem bat der Berichterstatter darum, zur Substantiierung der Gutgläubigkeit darzulegen, ob und in welcher Weise die Klägerin selbst Kontakte zu den benannten Lieferfirmen gehabt habe und um Vorlage entsprechenden Schriftverkehrs, ggf. auch per E-Mail, zumal die Klägerin im Erörterungstermin auch zu dieser Frage erklärt hatte, den Kontakt nicht darstellen zu können, weil sie zu aufgeregt sei; dies solle vielmehr schriftsätzlich erfolgen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 15.7.2013 Bezug genommen.

Im Nachgang zum Erörterungstermin führte die Klägerin dann mit Schriftsatz vom 29.7.2013 aus: Bei Berechnung der Umsatzsteuerforderung gemäß § 14c UStG i.H.v. 147.069,63 EUR sei von der Steuerfahndung M auch die Umsatzsteuer aus der letzten Rechnung der Antragstellerin vom 23.9.2011 an die E-GmbH (Nr. 2011400446 über EUR 57.062,88 netto) i.H.v. 10.841,95 EUR berücksichtigt worden. Die 10.646,65 EUR Vorsteuer ausweisende korrespondierende Eingangsrechnung der „K Handel und Frachtvermittlung K” vom 23.9.2011 sei hingegen nicht berücksichtigt worden, so dass sich der Saldo aus den insgesamt ausgewiesenen 147.069,63 EUR Umsatzsteuer und den nicht anerkannten Vorsteuerbeträgen (133.788,51 EUR) um weitere 10.646,60 EUR vermindere und nur noch 2.634,52 EUR betrage. Eine höhere Zahlung an das FA von über 10.000 EUR wie im Erörterungstermin angedacht sei der Klägerin nicht möglich.

Ferner sei unklar, warum das FA der E-GmbH die Vorsteuer aus dieser Rechnung zur Verrechnung zugelassen habe. Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung gegen Herrn E1 wegen Umsatzsteuerhinterziehung betreffend 2009 und 2010 sei seit 2010 betrieben werden. Es sei nicht dargelegt, warum die Steuerfahndung über das Jahr 2010 hinaus bis Ende September 2011 zur Aufklärung des Sachverhalts benötigt habe. Hätte die Steuerfahndung M schneller reagiert, wäre die Klägerin in dieser Zeit nicht auf die Betrugsmasche der Herren V und E1 hereingefallen und zumindest ein großer Teil des Schadens hätte verhindert werden können.

Insbesondere hinsichtlich der Ausgangsrechnungen der Klägerin vom 9.9.2011 und 23.9.2011 stelle sich die Frage, ob insoweit nicht von einem überwiegenden Verschulden des Fiskus auszugehen und eine Freistellung der Klägerin von der Haftung geboten sei. So seien die Räumlichkeiten der Klägerin im Ermittlungsverfahren gegen die Herren V und E1 am 27.9.2009 durchsucht worden. Aus dem Aktenvermerk der Steuerfahndung M vom 27.9.2011 werde deutlich, dass man dort seit längerem auf die „Handelskreisläufe mit Alufolie” aufmerksam geworden war. Die Vorsteuer aus den September-Rechnungen habe daher frühestens am 10.10.2011 bzw. im Fall einer Dauerfristverlängerung sogar erst zum 10.11.2011 geltend gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass das für Herrn E1 bzw. die E-GmbH zuständige Finanzamt die Vorsteuer aus den Rechnungen der Klägerin auch nach dem 27.9.2011 weiterhin zur Verrechnung zugelassen habe. Die vom Rechnungsaussteller gesetzte Gefährdungshaftung bestehe nicht mehr fort, wenn der Fiskus die Zweifelhaftigkeit der Lieferung kenne, so dass kein Raum für eine Gefährdungshaftung bleibe.

Zu der im Erörterungstermin aufgeworfenen Frage, warum Herr V die Vermittlungsgeschäfte nicht selbst durchgeführt habe, habe sich dieser äußerst diffus dahin geäußert, dass er aufgrund seiner (früheren) Handelsvertreter- bzw. Beratertätigkeit (für andere Unternehmen) bestimmten Restriktionen unterliege und deshalb nicht offen auftreten könne, ohne allerdings konkret zu werden. Er habe ihr zudem das Gefühl gegeben, bei der Vermittlung dieser Geschäfte auch selbst seinen „Schnitt” zu machen. Vor diesem Hintergrund habe die Klägerin angenommen, dass Herr V entweder vom jeweiligen Lieferanten oder dem Abnehmer oder eventuell sogar von beiden eine Provision erhalte. Die Klägerin habe keinen Argwohn gegenüber Herrn V gehabt, da sich dieser auf die langjährige Freundschaft zu Frau W habe berufen können und die Klägerin das Angebot von Herrn V in gewisser Weise auch als kleinen „Freundschaftsdienst” von Frau W wegen der Beschäftigung in der Zeit von Dezember 2010 bis Februar 2011 in ihrem Betrieb verstanden habe. Sie sei seinerzeit psychisch in einem schlechten Zustand gewesen. Die Klägerin habe ihr helfen und ihre Freundin wieder „aus dem Loch” holen wollen, in das sie nach dem Autounfall des Ehemannes gefallen sei. Wegen des geringeren Auftragsvolumens sei jedoch eine Fortsetzung der Beschäftigung nicht mehr möglich gewesen, zumal Frau W auch selbst nicht mehr habe arbeiten wollen. So sei das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2011 im gegenseitigen Einvernehmen beendet worden.

Zu den aufgeführten Geschäftsvorfällen äußert sich die Klägerin wie folgt: Zunächst sei eine Bestellung oder eine Voranfrage der E-GmbH eingegangen. Anschließend habe die Klägerin Herrn V informiert und ihn um Mitteilung eines Lieferanten gebeten, was dieser dann kurzfristig getan habe. Die Klägerin habe dann bei diesem telefonisch oder per E-Mail angefragt, ob dieser die gewünschte Menge liefern könne bzw. um ein Angebot gebeten. Mit den Herren V und E1 habe ein enger persönlicher Kontakt bestanden (Besuche von Herrn V, E-Mail, Fax oder Telefon). Am 8.6.2011 hätten die Herren V und Herr E1 zusammen die Druckerei der Antragstellerin besichtigt. Erst jetzt wisse sie, dass Herr V die Informationen von der Klägerin benötigte habe, um aus dem Hintergrund die gesamte Lieferkette zu steuern.

Den Schriftverkehr mit den jeweiligen Lieferanten überreicht die Klägerin als Anlagenkonvolut K26, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Im Wesentlichen handelt es sich um Auftragsbestätigungen und Lieferscheine, teilweise per E-Mail; eingehenderer E-Mail-Verkehr betrifft die Firma K. So schreibt die Klägerin, gerne eine dauerhafte Geschäftsbeziehung aufbauen zu wollen, nachdem sich Herr K per E-Mail bei der Klägerin vorgestellt hatte. Außerdem enthalten ist eine E-Mail der F Handels GmbH, in welcher der Klägerin im Mai mitteilt wird, man könne nur noch bestimmte Mengen an Paletten liefern. Des Weiteren überreicht die Klägerin den E-Mail-Verkehr mit der E-GmbH als Anlagenkonvolut K27 und K28, auf den ebenfalls wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Zum Nachweis der Vorkasse-Praxis (Verrechnungsscheck-Ausstellung an den jeweiligen Lieferanten immer erst nach Geldeingang auf dem Geschäftskonto der Klägerin) legt die Klägerin eine entsprechende Übersicht vor (Anlage K21). Die Zahlungen an die „K Handel und Frachtvermittlung K” seien dann nicht mehr per Verrechnungsscheck erfolgt, sondern per Überweisung. Ferner beigefügt seien die Abfragen der USt-ID-Nr. (F Handels GmbH vom 25.3.2011 und 9.3.2011, E-GmbH vom 18.4.2011, H Nürnberg GmbH vom 7.6.2011, G GmbH vom 7.6.2011, H Leipzig GmbH 3.8.2011, Anlagenkonvolut K24). Die Ausdrucke der Handelsregisterauszüge zu den einzelnen Firmen lägen der Klägerin seit der Durchsuchung am 27.9.2011 zwar nicht mehr vor. Allerdings habe die Klägerin seinerzeit von den HR-Einträgen nochmals Ausdrucke gefertigt (Anlagenkonvolut K25). Die Antragstellerin habe auf die Auskünfte lt. Internet-Abfragen bei „www.handelsregister.de” und ihre Abfragen betreffend die Umsatzsteuer- Id-Nr. beim BZSt vertraut.

Die Klägerin habe im Anschluss an den Erörterungstermin noch am 15.7.2013 bei der Staatsanwaltschaft O Strafanzeige/Strafantrag gegen die Herren V, E1 und K sowie auch gegen Frau W gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie aus panischer Angst vor der Reaktion der vorbenannten Herren von einer Anzeige abgesehen. Sie habe befürchtet, diese könnten sie körperlich oder psychisch massiv bedrängen. Nach dem entstandenen Vertrauensbruch habe die Klägerin diesen alles zugetraut. So hätten die Herren V und E1 nach der Durchsuchung am 27.9.2011 permanent versucht, die Klägerin auf ihrem Büroanschluss und ihrem Handy zu erreichen. Am 17.10.2010 sei Herr E1 sogar unangemeldet bei der Klägerin aufgetaucht. Mit der Ausrede, seine Ex-Frau habe ihn angezeigt, habe er sogar noch versucht, die Klägerin zu weiteren Geschäften zu überreden (Hinweis auf die E-Mail der Antragstellerin vom 17.10.2011, Anlage K18).

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin im März 2013 per E-Mail von der Fa. „X Handel Transport Bau GmbH” aus Y angeschrieben und um ein Angebot für Bandstretchfolien gebeten worden sei. Der Klägerin sei aufgefallen, dass mit der Firmierung etwas nicht gestimmt habe. Danach habe man die E-Mail noch im März 2013 bei der Steuerfahndung in O und auch in M vorgelegt, weil man den Eindruck gehabt habe, möglicherweise auch hier in ein Umsatzsteuerbetrugsmodell hineingezogen werden zu sollen.

Die Klägerin beantragt nach ausführlicher Erörterung ihres Begehrens in der mündlichen Verhandlung,

den Umsatzsteuerbescheid vom 9.10.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 4.3.2013 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2011 wie erklärt (GA Bl. 39 ff.) auf 17.498,75 EUR festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt ergänzend aus: Die Gefährdung des Steueraufkommens sei im vorliegenden Fall gemäß § 14 c Absatz 2 Satz 4 UStG erst beseitigt, wenn der Empfänger der Rechnungen die daraus geltend gemachten Vorsteuern an die zuständige Finanzbehörde (hier: Finanzamt J) zurückgezahlt habe. Die Berichtigung der geschuldeten Steuerbeträge wäre dann gemäß § 14c Abs. 2 S. 5 UStG beim zuständigen Finanzamt Z zu beantragen und in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 S. 4 UStG eingetreten seien.

Der Umsatzsteuerbescheid für 2011 des Finanzamtes J gegenüber Herrn E1 datiere vom 14.2.2013. Die Festsetzung der umsatzsteuerlichen Prüfungsfeststellungen einschließlich der Versagung des Vorsteuerabzugs aus den hier streitigen Rechnungen für die E-GmbH sei aufgrund der bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft beim Einzelunternehmen des Herrn E1 als Organträger erfolgt. Allerdings habe Herr E1 dagegen noch im Februar 2013 Einspruch eingelegt, über den noch nicht abschließend entschieden sei. Eine Rückzahlung der fraglichen Vorsteuern sei derzeit noch nicht erfolgt. Damit seien die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Sätze 3 und 4 UStG derzeit nicht erfüllt.

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch den vorliegend streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid für 2011 vom 9.10.2012 nicht in ihren Rechten verletzt. Zwischen den Beteiligten unstreitig ist dabei der Teilbetrag von 15.059 EUR (nach Kürzung der Scheingeschäfte verbleibende Zahllast). Diesen Teilbetrag hat der Beklagte zu Recht gemäß § 14c Abs. 2 S. 2 UStG um 147.069,63 EUR erhöht, die nach den Feststellungen der Steuerfahndung unberechtigt ausgewiesenen worden waren. Den Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Rechnungen hat der Beklagte ebenfalls zu Recht versagt.

1. Der Beklagte hat zu Recht 147.069,63 EUR gemäß § 14c Abs. 2 S. 2 UStG festgesetzt, die nach den Feststellungen der Steuerfahndung unberechtigt ausgewiesenen worden waren.

a) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG). Die Regelung beruht auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG (früher Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG) wonach die Mehrwertsteuer – unabhängig von einer tatsächlichen Lieferung – von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

b) Die Vorschrift stellt auf den Steuerausweis in einer „Rechnung” ab, ohne den Rechnungsbegriff selbst oder mittels einer Verweisung zu definieren. Unter einer Rechnung ist dementsprechend gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG jedes Dokument zu verstehen, „… mit dem über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet wird, gleichgültig, wie dieses Dokument im Geschäftsverkehr bezeichnet wird”. Es reicht aus, wenn es sich um ein Dokument handelt, das den Rechnungsaussteller, den (vermeintlichen) Leistungsempfänger, eine Leistungsbeschreibung, sowie das Entgelt und die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer ausweist (BFH Urteil vom 17.02.2011 – V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl 2011 II S. 734DB 2011, 1200 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH).

c) Die Vorschrift des § 14c UStG ist als Gefährdungstatbestand in das Gesetz aufgenommen worden, um Missbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern und der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens durch ein Ungleichgewicht von Steuer und Vorsteuerabzug zu begegnen (BFH Urteil vom 17.2.2011 – V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl 2011 II S. 734DB 2011, 1200 unter Hinweis auf BR-Drucks. 630/03 vom 5.9.2003, zu Art. 4 zu Nr. 17). Bereits daraus ergibt sich, dass § 14c Abs. 2 Satz 3 und 4 UStG im Rahmen der Berichtigungsmöglichkeit die Beseitigung der „Gefährdung des Steueraufkommens” voraussetzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Steuerfestsetzung um ein Massenverfahren handelt, bei dem die Verwaltung nicht in der Lage ist, die gesetzlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Vorsteuerbeträge vor der regelmäßig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung zu prüfen. Auch ist vor dem Hintergrund der Berichtigungsmöglichkeit nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG kein schutzwürdiges Interesse eines Rechnungsausstellers erkennbar, risikolos Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen, die als Abrechnungen über angebliche umsatzsteuerpflichtige Vorgänge erscheinen und dem Rechnungsempfänger einen unberechtigten Vorsteuerbetrug erst ermöglichen. Für die Anwendung des § 14c Abs. 2 UStGreicht es deshalb aus, dass das Dokument als Abrechnung über eine (angebliche umsatzsteuerpflichtige) Leistung durch einen (angeblichen) Unternehmer wegen des Ausweises der Umsatzsteuer abstrakt die Gefahr begründet, vom Empfänger oder einem Dritten zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gebraucht zu werden (BFH Urteil vom 17.02.2011 – V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl 2011 II S. 734DB 2011, 1200).

d) Genau diese Gefahr hat sich auch im Streitfall durch die von der Klägerin ausgestellten und an die E-GmbH ausgegebenen Rechnungen verwirklicht, denen unstreitig keine Leistungen zugrunde lagen. Dies gilt entgegen der Auffassung der Klägerin auch für die Ausgangsrechnungen vom 9.9.2011 und 23.9.2011. Die Gefährdungshaftung des rechnungstellenden Unternehmers ist verschuldensunabhängig. Nach der Wertung des Gesetzes reicht es aus, wenn sich die Gefahr wie im Streitfall tatsächlich verwirklicht. Eine Freistellung der Klägerin kommt deshalb nach Auffassung des erkennenden Gerichts trotz des möglicherweise vorliegenden Mitverschuldens der Steuerfahndung nicht in Betracht, die beim FA J einen entsprechenden Sperrvermerk veranlassen und einen weiteren Vorsteuerabzug in den Monaten Oktober bzw. November 2011 hätte verhindern können, zumal man dort bereits seit längerem auf die „Handelskreisläufe mit Alufolie” aufmerksam geworden war und gegen die Herren V und E1 ermittelte. Die Auffassung der Klägerin, die vom Rechnungsaussteller gesetzte Gefährdung bestehe nicht mehr fort, wenn der Fiskus die Zweifelhaftigkeit der Lieferung kenne bzw. kennen müsse, findet demgegenüber keine Stütze im Gesetz.

2. Den Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Rechnungen hat der Beklagte ebenfalls zu Recht versagt. Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 UStG lagen hinsichtlich der streitigen Vorsteuerbeträge nicht vor. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes können im Umsatzsteuer-Festsetzungsverfahren nicht berücksichtigt werden.

a) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist das Recht der Steuerpflichtigen zum Abzug der Mehrwertsteuer, die für die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet oder entrichtet wurde, ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Durch die Abzugsregelung soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet folglich die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck oder ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen ( EuGH-Urteil vom 6.9.2012 – C-324/11 (Tóth), BFH/NV 2012, 1757, UR 2012, 851, DB 2012, 2142).

bb) Eine ordnungsgemäße Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis gehört zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen die Angaben im Abrechnungspapier eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglichen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein. Hierfür ist die Angabe der zutreffenden Anschrift in der Rechnung erforderlich, die allein dem FA die Überprüfung ermöglicht, ob tatsächlich der abrechnende Unternehmer den in der Rechnung ausgewiesenen Umsatz ausgeführt hat. Der Vorsteuerabzug steht dem Unternehmer im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben deshalb erst bei Vorlage einer Rechnung mit der zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers zu; die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht als zutreffende Anschrift demgegenüber nicht aus (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.).

cc) Das Tatbestandsmerkmal „Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen” erfordert, dass die Leistung tatsächlich ausgeführt worden ist. Das UStG erfasst nur tatsächliche wirtschaftliche Vorgänge und nicht vorgetäuschte Umsätze. Deshalb ist ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen unzulässig, denen tatsächlich keine Leistung zugrundeliegt (BFH-Urteil vom 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156).

b) Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes abziehbar.

aa) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sieht § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug nicht vor (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.).

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling (Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454). Diese Entscheidung betrifft nicht – wie vorliegend – den Fall, dass die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug fehlen und der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug unter Hinweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben gleichwohl beansprucht. Vielmehr ist nach dieser Entscheidung der Vorsteuerabzug selbst dann zu verweigern, wenn die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug zwar vorliegen, jedoch aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (Randnr. 59). Diese Rechtsprechung erweitert danach nicht das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich des Vertrauensschutzes, sondern begrenzt es, weil eine „betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht … nicht erlaubt” ist (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816).

cc) Allerdings haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien übertragen, die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu beachten. Hierzu zählen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es dabei, dass die Mitgliedstaaten Mittel einsetzen, die es zwar erlauben, das vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel zu erreichen, die jedoch die Ziele und Grundsätze des einschlägigen Gemeinschaftsrechts möglichst wenig beeinträchtigen. Demnach ist es zwar legitim, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten darauf abzielen, die Ansprüche der Staatskasse möglichst wirksam zu schützen; sie dürfen aber nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.).

dd) Grundsätze des Vertrauensschutzes aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalles können nach nationalem Recht nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO Berücksichtigung finden, ohne dass Gemeinschaftsrecht dem entgegenstünde. Denn mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung sind die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (BFH-Urteil vom 30. 4. 2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.).

ee) Die Entscheidung nach § 163 AO ist zwar grundsätzlich eine Ermessensentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 102 FGO). Erfordern aber gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme, ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des FA auf Null reduziert. Macht der Steuerpflichtige – wie hier – Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren geltend, wird die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sein (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.). In diesem Verfahren ist dann auch die Frage zu klären, ob es sich um Geschäfte gehandelt hat, in denen an die Sorgfalts- und Nachweispflichten des Unternehmers, der den Vorsteuerabzug begehrt, besonders hohe Anforderungen zu stellen sind (etwa Barkauf hochwertiger PKW; BFH-Urteil vom 30. 4. 2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.).

ff) Ebenso wenig wie sich das Recht auf Vorsteuerabzug auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist ( EuGH-Urteil vom 13.12.1989 – Rs. C-342/87 –Genius Holding –, Slg. 1989, I-4227: tatsächliche Lieferung oder Leistung erforderlich; dem folgend BFH-Urteil vom 2.4.1998 – V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl 1998 II S. 695), sah der BFH jedenfalls bislang das Vertrauen in die tatsächliche Erbringung einer Leistung nicht als schutzwürdig an, und hat es abgelehnt, das FA zu verpflichten, den begehrten Vorsteuerabzug für nicht erbrachte Leistungen aus Billigkeitsgründen zu gewähren, weil es nicht der gesetzlichen Wertung entspricht, den Vorsteuerabzug aus Rechnungen zuzulassen, denen tatsächlich keine Leistung zugrunde liegt (BFH-Urteil vom 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156).

Dem steht auch nicht das EuGH-Urteil vom 12.1.2006 – Rs. C-354/03 , C-355/03 und C-484/03 – Optigen – (Slg. 2006, I-483), dem ein dem Streitfall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Denn dort ging es nicht um den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Scheinlieferungen, sondern um den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über tatsächliche Umsätze, die zu Lieferketten gehörten, an denen ohne Wissen der in den Ausgangsverfahren klagenden Gesellschaften ein Händler beteiligt war, der mehrwertsteuerpflichtig war, aber verschwand, ohne die Mehrwertsteuer an die Steuerbehörden entrichtet zu haben. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich von dem des Streitfalles ganz wesentlich dadurch, dass dort tatsächlich ein Leistungsaustausch stattgefunden hat und Mehrwertsteuer entstanden ist. In einem solchen Fall wird das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug dann nicht berührt, wenn er von dem betrügerischen Verhalten des an der Lieferkette beteiligten Händlers weder Kenntnis hatte noch haben konnte (vgl. BFH-Urteil vom 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156; ebenfalls nicht vergleichbar ist danach der Fall des EuGH-Urteil vom 15.3.2007 – Rs. C-35/05 –Reemtsma–, Slg. 2007, I-2425, in welchem die aus der Rechnung geschuldete Mehrwertsteuer tatsächlich an den italienischen Fiskus entrichtet worden war).

Auch aus dem von der Klägerin angeführten EuGH-Urteil vom 6.9.2012 – C-324/11 – Tóth – (BFH/NV 2012, 1757, UR 2012, 851, DB 2012, 2142: Bauleistungen durch Subunternehmer) ergibt sich keine Verpflichtung des Beklagten, den Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen zuzulassen. Denn auch dort ging es um den Abzug von Vorsteuer aus einer dem Unternehmer tatsächlich erbrachten Dienstleistung; angesichts des Grundsatzes der Steuerneutralität war der Vorsteuerabzug dort unzulässigerweise mit der Begründung versagt worden, dass der Aussteller der Rechnung nicht (mehr) über eine Unternehmerlizenz verfügt habe; ebenso unzulässig war die Versagung des Vorsteuerabzugs mit der Begründung, dass der Aussteller der Rechnung die von ihm eingesetzten Arbeitnehmer nicht angemeldet habe. Der EuGH hat in dieser Entscheidung als materielle Voraussetzung des Vorsteuerabzugsrechts aus Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 hervorgehoben, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden müssenund dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sein müssen. Die Besonderheit des Falles lag gerade darin, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer unstreitig steuerbare Dienstleistungen (Bauarbeiten) erbracht hatte, allerdings nicht mittels seines eigenen Personals, sondern durch Inanspruchnahme von Subunternehmern. Es ging somit um von anderen Wirtschaftsteilnehmern tatsächliche erbrachte Leistungen, die vom Unternehmer auf der nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner eigenen steuerpflichtigen Umsätze verwendet worden waren ( EuGH-Urteil vom 6.9.2012 – C-324/11 (Tóth), BFH/NV 2012, 1757, UR 2012, 851, DB 2012, 2142). Gerade daran fehlt es im Streitfall jedoch, so dass das Zitat der Klägerin aus dieser Entscheidung, die Behörde dürfe den Vorsteuerabzug wegen des Grundsatzes der Steuerneutralität nur ablehnen, wenn sie anhand objektiver Umstände nachweise, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war, letztlich aus dem Zusammenhang gerissen ist.

gg) Soweit es somit um Vorsteuerabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes geht, ist danach in der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgende Abstufung erkennbar: Unter der Voraussetzung, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist, wurde der Vorsteuerabzug im Wege einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen als Maßnahme des Vertrauensschutzes in Fällen erwogen, in denen die Leistung tatsächlich erbracht worden war, die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs aber w egen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vorlagen, weil der in der Rechnung benannte Leistende entweder kein Unternehmer oder die in Rechnung gestellte Leistung von einem anderen als dem in der Rechnung als Leistenden genannten Unternehmer erbracht worden war (BFH-Urteil vom 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl 2009 II S. 744DB 2009, 1631, UR 2009, 816 m.w.N.: Aus Gründen der Normenklarheit keine pauschale „Karenzzeit”, in der das Vertrauen des Rechnungsempfängers auf das Fortbestehen des Sitzes des Rechnungsausstellers geschützt wird). Abgelehnt hat die Rechtsprechung entsprechende Billigkeitsmaßnahmen bisher, wenn die in der Rechnung ausgewiesene Leistung überhaupt nicht stattgefunden hat (BFH-Urteil vom 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156).

hh) Im Streitfall sieht das Gericht keine Veranlassung, von diesen bewährten Grundsätzen abzuweichen. Die Klägerin hat sich als „Zwischenhändlerin” auf von Herrn V vermittelte angebliche „Streckengeschäfte” eingelassen, ohne dass ihr die angeblichen Lieferanten tatsächlich bekannt waren und ohne dass sie die Existenz und die tatsächliche Geschäftstätigkeit der ihr nicht bekannten Lieferanten wirklich überprüft hätte. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen, dass „Streckengeschäfte”, bei denen ihr Lieferant auf ihre Veranlassung an den Letztabnehmer liefere, für sie nicht ungewöhnlich seien. Allerdings ist ihr bei diesen Geschäften der eigene Lieferant bekannt, was bei den streitigen Scheinumsätzen offensichtlich nicht der Fall war. So hätte eine tatsächliche Erkundigung beim Lieferanten schnell ergeben, dass dieser entweder nicht existent (F Handels GmbH; G GmbH i.L.) oder wirtschaftlich inaktiv (H Nürnberg GmbH; K Handel und Frachtvermittlung Inh. K) war; eine Kontaktaufnahme zum seinerzeit wirtschaftlich existenten Unternehmen „Firma H Leipzig GmbH” hätte die fehlenden Geschäftsbeziehungen sogar unmittelbar belegt. Die Abfrage der USt-ID-Nr. und des Handelsregistereintrags durch die Klägerin als zwischengeschaltete Unternehmerin sieht das erkennende Gericht jedenfalls dann nicht als ausreichend an, wenn der Umsatz letztlich von einer dritten Person (Herrn V) vermittelt wird, die die zusätzliche Zwischenschaltung des Steuerpflichtigen mit eigener Gewinnmarge nur „diffus” erklärt.

Hinzu kommt im Streitfall, dass auch der unübliche Zahlungsweg, bei dem sie – die Klägerin – die Verrechnungsschecks zur Bezahlung der an sie gerichteten Lieferungen nicht direkt dem Lieferanten, sondern an ihre Bekannte, Frau W, übergab, mit der Bitte, die Schecks an Herrn V weiterzuleiten, damit dieser sie an den jeweiligen Lieferanten weiterreiche, die Klägerin hätte stutzig machen müssen. Nicht nachvollziehbar ist auch das Nachtatverhalten der Klägerin, die zunächst keine Strafanzeige gegen die Herren V und E1 sowie gegen Frau W gestellt hatte, nachdem ihr klar geworden war, in ein Modell zur Umsatzsteuerhinterziehung verwickelt worden zu sein. Ihr Vortrag von angeblich „panischer Angst”, die sie aus Anrufversuchen und einem unangemeldeten Besuch am 17.10.2010 herleitete, bei denen man versucht habe, die Klägerin zu weiteren Geschäften zu überreden, ist weder substantiiert noch nachvollziehbar.

Darüber hinaus kann im Streitfall nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin zumindest insoweit aktiv mitgewirkte, als sie die Vermerke „Palettentausch” bzw. „alle Paletten getauscht” bzw. „Abholung per Spedition” bzw. „die Lieferung erfolgt per Selbstabholung” bzw. „Abholung per Spedition” angebracht hat, obwohl die Folien It. ihrer eigenen Aussage zu keiner Zeit am Standort des Einzelunternehmens eingegangen bzw. gelagert und weitergeliefert worden sind, die Klägerin die Folien also letztlich nie gesehen hat. Auch wenn solche Vermerke im Geschäftsverkehr oft verlangt werden sollten, um Streitigkeiten zwischen Lieferanten, Spediteur und Kunden über angeblich mitgelieferte bzw. nicht mitgelieferte Paletten zu vermeiden, kann ein Unternehmer, der solche Vermerke auf Rechnungen anbringt, deren zugrunde liegende Warenlieferung er aber tatsächlich nie gesehen hat, nicht als gutgläubig bezeichnet werden. Ein solcher Unternehmer wird auch nicht dadurch „gutgläubiger”, dass er derartige Vermerke auf Anweisung eines Dritten (Herrn V) anbringt, dem er vertraut haben will. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Klägerin in ihrer Vernehmung gegenüber dem FA M diesbezüglich noch erklärt hatte, die Vermerke seien ihr vorgegeben worden, sie wisse allerdings nicht mehr, von wem.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision wird zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob und inwieweit im Falle eines Mitverschuldens des Fiskus am eingetretenen Steuerschaden, der die Zweifelhaftigkeit einer Lieferung zumindest hätte kennen müssen, eine Freistellung des rechnungstellenden Unternehmers im Rahmen des Gefährdungstatbestandes des § 14c Abs. 2 S. 2 UStG geboten ist.

Erhöhung des Zuwendungsbetrages bei nachträglicher Übernahme der Schenkungsteuer

Hessisches Finanzgericht  v. 19.09.2013 – 1 K 1072/10

 

Leitsatz

  1. Die nachträgliche Übernahme der Schenkungsteuer für eine frühere Schenkung erhöht den ursprünglichen Zuwendungsbetrag nicht.
  2. Insoweit handelt es sich um eine (zweite) separate Zuwendungsentscheidung, die nicht die Rechtsfolgen des§ 10 Abs. 2 Abs. 2 ErbStG auslöst, sondern hinsichtlich ihrer Steuerpflicht gesondert zu prüfen ist.

 

Gesetze: ErbStG § 10 Abs. 2

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Übernahme der Schenkungsteuer durch den Schenker auch dann gemäß § 10 Abs. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der zum Besteuerungszeitpunkt anzuwendenden Fassung (ErbStG) den ursprünglichen Zuwendungsbetrag erhöht, wenn die Übernahme der Steuer erst nachträglich erfolgt.

Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin ihres am … 2008 verstorbenen Ehemannes G (Schenker). Beide adoptierten mit Beschluss des Amtsgerichts … vom … 2001 die zu diesem Zeitpunkt …(volljährige) S (Beschenkte). Bei der nunmehr verheirateten Beschenkten handelt es sich um die Tochter der Schwester der Klägerin, die seit ihrem … Lebensjahr (= frühem Kindesalter) im Haushalt der Eheleute lebte.

Mit ihrer Schenkungsteuererklärung vom 5. Dezember 2006 erklärte die Beschenkte gegenüber dem Beklagten (das Finanzamt – FA -), sie habe in den Jahren 1996 bis 2001 von dem Schenker verschiedene Zuwendungen über insgesamt … € (entspricht …,– DM) erhalten. Diese habe sie bislang nicht gegenüber dem FA erklärt, da die Parteien der Ansicht gewesen seien, im Haushalt lebende Pflegekinder würden schenkungsteuerlich genauso behandelt werden wie Stiefkinder, leibliche Kinder oder Adoptivkinder. Die zu zahlende Schenkungsteuer werde vom Schenker übernommen

Das FA vertrat daraufhin die Auffassung, zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs sei der Zuwendungsbetrag um die übernommene Schenkungsteuer gemäß § 10 Abs. 2 ErbStG zu erhöhen. Am 29. September 2008 ergingen gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Schenkers insgesamt zehn Steuerbescheide. Durch den streitgegenständlichen Steuerbescheid (Steuernummer …) wurde für die erste Zuwendung vom 29. Juli 1996 Schenkungsteuer in Höhe von …,– DM (entspricht … €) festgesetzt, wobei der Erwerb der Barzuwendung in Höhe von …,– DM (entspricht … €) um den hierauf entfallenden Steuerbetrag in Höhe von …, DM (entspricht … €) erhöht wurde. Hinsichtlich der Einzelheiten der streitgegenständlichen Festsetzung wird auf den Schenkungsteuerbescheid vom 29. September 2008 (Bl. 97 f. der Schenkungsteuerakte G) Bezug genommen.

Gegen die Bescheide vom 29. September 2008 legte die Klägerin am 8. Oktober 2008 Einsprüche ein, die sie wie folgt begründete: Die Übernahme der Schenkungssteuer durch den Schenker sei in Form einer gesonderten (zweiten) Zuwendungsentscheidung im Zusammenhang mit der Abgabe der Steuererklärung im Dezember 2006 erfolgt. Da die Bereicherung der Beschenkten somit erst im Jahr 2006 – und damit nach der Adoption – eingetreten sei, erhöhe sie nicht nach § 10 Abs. 2 ErbStG die Bemessungsgrundlage der jeweiligen Zuwendung, sondern sei als gesonderte Zuwendung in 2006 zu erfassen. Für die Besteuerung dieser Zuwendung seien die persönlichen Verhältnisse im Jahr 2006 zugrunde zu legen, d.h. eine Besteuerung unter Berücksichtigung der Steuerklasse I. Zudem habe die Bereitschaft zur Übernahme der Steuer nicht von Beginn an bestanden. Vielmehr habe der Schenker diesen Beschluss erst anlässlich einer steuerlichen Beratung, die ihn über die Steuerpflicht der Schenkung belehrt habe, gefasst. Grundlage dieser Entscheidung sei die zwischenzeitliche Adoption der Beschenkten gewesen; jedenfalls bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er die Steuer auch übernommen hätte, wenn die Beschenkte nicht seine Tochter gewesen wäre. Darüber hinaus verstoße die Besteuerung gegen Art. 6 des Grundgesetzes (GG).

Mit seiner Entscheidung vom 9. April 2010 (zur Post am 12. April 2010) wies das FA den Einspruch gegen den die streitgegenständliche Zuwendung vom 29. Juli 1996 betreffenden Schenkungsteuerbescheid (Steuernummer …) als unbegründet zurück. Es vertrat die Auffassung, die Übernahme der vom Beschenkten geschuldeten Steuer durch den Schenker stelle eine zusätzliche Bereicherung und damit regelmäßig auch einer weitere freigebige Zuwendung dar. Der Zeitpunkt dieser Zuwendung bestimme sich abweichend von § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nach § 10 Abs. 2 ErbStG, da die Steuerübernahme den Charakter einer Nebenleistung erhalte. Diese Nebenleistung sei mit der Hauptleistung derart verbunden, dass nur eine einheitliche Besteuerung möglich sei.

Dass die Erklärung zur Übernahme der Steuer – abweichend vom Regelfall – mit erheblichem zeitlichem Abstand erfolgt sei, führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Zudem sei nicht glaubhaft, dass die Bereitschaft zur Übernahme der Steuer durch den formellen Akt der Adoption entstanden sei, da ein enges Eltern-Kind-Verhältnis bereits lange Zeit vorher bestanden habe. Dies habe – so das Vorbringen der Klägerseite – gerade zu dem Rechtsirrtum über die Steuerpflicht der Zuwendungen geführt. Da wegen der Regelung des § 10 Abs. 2 ErbStG lediglich der Zuwendungszeitpunkt verschoben werde, greife im Streitfall der Verweis auf Art. 6 GG nicht.

Die übrigen Einsprüche ruhen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) bis zum Abschluss dieses Rechtsstreits.

Mit ihrer Klage vom 5. Mai 2010 wegen Schenkungsteuer betreffend der Zuwendung vom 29. Juli 1996 (Steuernummer …) verfolgt die Klägerin ihr Rechtschutzbegehren weiter. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Einspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Schenkungsteuerbescheid vom 29. September 2008 betreffend der Zuwendung vom 29. Juli 1996 (Steuernummer …) unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 9. April 2010 dahingehend zu ändern, dass die übernommene Schenkungsteuer nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen wird.

Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.

Es vertritt die Auffassung, die gesetzliche Reglung des § 10 Abs. 2 ErbStG fingiere einen gemeinsamen Erwerb, um Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Zuwendung bei einer Steuerübernahme zu vermeiden. Eine zeitliche Trennung dieser unmittelbar zusammenhängenden Tatbestände sei daher nicht möglich. Im Übrigen spreche gegen die Adoption als Beweggrund zur Steuerübernahme, dass der Schenker bereits in dem gemeinsamen Testament der Eheleute aus dem Jahr 1993 die Beschenkte als „unsere Tochter“ bezeichnet und als alleinige Nacherbin eingesetzt habe.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 22. August 2013 (FA) und vom 2. September 2013 (Klägerin) auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die einschlägigen Verwaltungsakten (zwei Bände Schenkungsteuerakten) waren beigezogen und Gegenstand der Beratung und Entscheidung.

Gründe

I. Die Klage ist begründet.

Der Schenkungsteuerbescheid vom 29. September 2008 betreffend der Zuwendung vom 29. Juli 1996 (Steuernummer …) und die Einspruchsentscheidung vom 9. April 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Obwohl im Streitfall die Schenkungsteuer vom Schenker übernommen wurde, ist die streitgegenständliche Zuwendung in Höhe von …,– DM (entspricht … €) nicht nach § 10 Abs. 2 ErbStG um die auf die Zuwendung entfallene Schenkungsteuer zu erhöhen.

1. Der Schenkungsteuer unterliegt nach den §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch diese auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Diese Bereicherung ist

– soweit nicht steuerfrei – der steuerpflichtige Erwerb (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Übernimmt der Schenker die Entrichtung der vom Beschenkten geschuldeten Steuer, gilt als Erwerb der Betrag, der sich bei einer Zusammenrechnung des Erwerbs nach § 10 Abs. 1 ErbStG mit der aus ihm errechneten Steuer ergibt (§ 10 Abs. 2 ErbStG).

§ 10 Abs. 2 ErbStG bestimmt, dass ein „von der Zahlung der Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer befreiter Erwerber stets auch diesen Vermögensvorteil als zusätzliche Bereicherung zu versteuern hat” (Bundestags-Drucksache – BT-Drs. – VI/3418, Seite 66). Da das FA zwar nach § 20 Abs. 1 ErbStG sowohl den Schenker als auch den Beschenkten zur Schenkungsteuer in Anspruch nehmen kann, aber der Beschenkte als Bereicherter üblicherweise die Schenkung-steuer zu tragen hat (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

– BVerfG – vom 18. Dezember 2012 1 BvR 1509/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2013, 258), verbleibt diesem regelmäßig nach der Steuerzahlung nur ein Teilbetrag. Übernimmt dagegen der Schenker die Schenkungsteuer, entlastet er den Beschenkten, da dieser den Erwerb ungekürzt behalten kann. Diese Entlastung wird als „steuerbare Zusatzleistung” gewertet (Meincke, ErbStG, Kommentar, 16. Auflage, § 10 Rdnr. 24). Da die Annahme einer zusätzlichen freigebigen Zuwendung aber nicht in jedem Fall der Schenkungsteuerübernahme selbstverständlich ist (vgl. insoweit Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG Kommentar, Loseblatt, Stand Januar 2013, § 10 Tz. 71), begrenzt § 10 Abs. 2 ErbStG die Voraussetzungen für die Erhöhung der ursprünglichen Schenkung auf das Übernehmen der für die Schenkung der Hauptsache entstandenen Steuer (Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand Mai 2013, § 10 Rdnr. 57).

Da zudem festgelegt ist, dass als zusätzliche Bereicherung des Bedachten nur der auf die ursprüngliche Zuwendung entfallende Steuerbetrag zu erfassen ist und nicht die tatsächlich übernommene (höhere) Steuer, dient die Regelung der Steuervereinfachung (vgl. hierzu Weinmann in Mönch/Weinmann, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand Juli 2013, § 10 Rdnr. 36). Durch die Addition des Erwerbs nach § 10 Abs. 1 ErbStG mit der aus ihm errechneten Steuer werden die eigentliche Zuwendung und die Zuwendung der hieraus entfallenden Steuer zusammenfasst und „in einem Zug” besteuert. Gleichzeitig wird der Zeitpunkt der Steuerentstehung hinsichtlich der „Zusatzleistung” vorverlagert. Nicht die Zahlung der Schenkungsteuer als Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung, sondern die Ausführung der ursprünglichen Zuwendung führt zur Entstehung der Steuer. Dies wird im Schrifttum zum Teil damit begründet, dass die Verpflichtung zur Übernahme der Schenkungsteuer eine Werterhöhung der Schenkung zur Folge habe, die bereits mit Ausführung der zugrunde liegenden Zuwendung verwirklicht sei (Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, Kommentar, 2. Auflage, § 10 Rdnr. 72 mit Verweis auf Meincke, ErbStG, Kommentar, 16. Auflage, § 10 Rdnr. 25). Eine andere Ansicht versteht dagegen § 10 Abs. 2 ErbStG als Ausnahmeregelung zu § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (Weinmann in Mönch/Weinmann, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand Juli 2013, § 10 Rdnr. 35). In der Rechtsprechung wurde die Auffassung vertreten, das Gesetz behandele mit einer – sachlich und rechnerisch vereinfachten Methode – die Übernahme der Steuer nicht als einen zusätzlichen Steuerfall, sondern als eine Werterhöhung der (ursprünglichen) Schenkung (so Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 11. November 1977 II R 66/68 , BStBl 1978 II S. 220).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die im Dezember 2006 (nachträglich) erklärte Übernahme der Schenkungsteuer durch den Schenker nicht dazu führt, dass die Barzuwendung vom 29. Juli 1996 um den auf die Zuwendung entfallenden Steuerbetrag zu erhöhen ist.

Gegenstand der Schenkung im Jahr 1996 war allein die Geldzuwendung an die Beschenkte, nicht die vom Schenker nachträglich übernommene Schenkungsteuer. Der Senat konnte nicht feststellen, dass bereits zum Zeitpunkt der Zuwendung der Schenker die Verpflichtung übernommen hatte, eine eventuell anfallende Schenkungsteuer zu übernehmen. Insoweit bestehen – wie die Klägerseite zu Recht vorträgt – wesentliche Unterschiede zu dem Sachverhalt des vom Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 15. März 1978 (III 1954/77 Erb, Entscheidungen de Finanzgerichte – EFG – 1978, 648) entschiedenen Rechtsstreits. Dabei kann es dahinstehen, ob – wie die Klägerseite vorträgt –

der formelle Akt der Adoption, der erst im Jahr 2001 erfolgte, die Grundlage für die Bereitschaft zur Schenkungsteuerübernahme bildete. Denn selbst wenn diese innere Bereitschaft bereits zum Zeitpunkt der Schenkung in 1996 bestanden haben sollte, wurde diese weder gegenüber der Beschenkten noch gegenüber dem FA bekundet. Folglich hat der Schenker zu diesem Zeitpunkt keine Verpflichtung zur Übernahme einer eventuell anfallenden Schenkungsteuer übernommen. Ob dies darin begründet war, dass Schenker und Beschenkte von der Steuerfreiheit der Schenkung ausgegangen sind, kann offen bleiben.

Die nachträgliche Übernahme der Schenkungsteuer auf die frühere Schenkung führt nach Überzeugung des Senats nicht zur Addition der ursprünglichen Zuwendung und der darauf entfallenden Steuer nach § 10 Abs 2 ErbStG. Unter Berücksichtigung der systematischen Stellung und des Sinns und Zwecks der Regelung kommt eine Anwendung des § 10 Abs. 2 ErbStG nur insoweit in Betracht, als die Verpflichtung zur Übernahme der aus der „Hauptschenkung” entstehenden Steuer bereits zum Zeitpunkt der Zuwendung bestand. In diesem Fall führt die Übernahme der Steuer nicht zu einem zusätzlichen Steuerfall, sondern zu einer Werterhöhung der (ursprünglichen) Schenkung ( BFH-Urteil vom 11. November 1977 II R 66/68 , BStBl 1978 II S. 220). Die hieraus resultierte Steuerbegünstigung wird dabei durch die aus der „Besteuerung in einem Zug” entstehende sachliche und rechnerische Steuervereinfachung gerechtfertigt (vgl. hierzu Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG Kommentar, Loseblatt, Stand Januar 2013, § 10 Tz. 73 ff.).

Entschließt sich der Schenker dagegen – wie im Streitfall – erst nach der Ausführung der Zuwendung zur Steuerübernahme bzw. verzichtet er im Falle seiner eigenen Inanspruchnahme auf die Geltendmachung seines Ausgleichsanspruchs gegenüber dem Beschenkten, handelt es sich hierbei um eine (zweite) separate Zuwendungsentscheidung, die nicht die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 2 ErbStG auslöst, sondern hinsichtlich ihrer Steuerpflicht gesondert zu prüfen ist (Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand Januar 2013, § 10 Tz. 73 ff.). In diesem Fall stellt § 10 Abs. 2 ErbStG keine Ausnahmeregelung zu § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG dar, die in jedem Fall und unbeschadet unterschiedlicher Steuerentstehungszeitpunkte für die Hauptschenkung und die „nachgeschenkte” Steuer als Spezialvorschrift beide Zuwendungen zusammenfasst und in einem Zug besteuert (a.A. Weinmann in Mönch/Weinmann, ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand Juli 2013, § 10 Rdnr. 35 f.). Insoweit folgt der Senat den Ausführungen des BFH in seinem Urteil vom 11. November 1977 (II R 66/68, BStBl 1978 II S. 220), nach denen die Rechtsfolgen des § 10 Abs 2 ErbStG (§ 12 Abs 2 ErbStG 1959) auf diejenigen Fälle der (ursprünglichen, d.h. nicht nachträglichen) Übernahme der Schenkungsteuer begrenzt sind (vgl. Tz. II. Nr. 5 des Urteils).

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten erfolgt gemäß § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

IV. Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Tarifbegünstigung des Gewinns aus der Veräußerung eines restlichen Mitunternehmeranteils.

Hessisches Finanzgericht  v. 10.08.2013 – 1 K 2111/09

Leitsatz

  1. Der aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils erzielte Gewinn ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 EStG mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, wenn alle stille Reserven in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs aufgedeckt werden.
  2. Die Veräußerung von Teilen von Mitunternehmeranteilen nach dem 31.12.2001 fällt mangels Aufdeckung aller stillen Reserven nicht mehr unter § 16,34 EStG.
  3. Eine begünstigte Betriebsveräußerung liegt nicht vor, wenn der Unternehmer wesentliche Betriebsgrundlagen bei einer Veräußerung seines übrigen Betriebs oder Teilbetriebs zurückbehält und für einen anderen betrieblichen Teil nutzt.
  4. Werden in einem zeitlich zusammenhängenden und sachlich einheitlichen Vorgang zunächst Teilanteile auf Angehörige unentgeltlich übertragen – ohne dass die stillen Reserven realisiert werden (§ 6 Abs. 3 EStG) – und sodann der gesamte Restanteil an einem fremden Erwerber veräußert, liegt mangels zusammengeballte Aufdeckung aller stiller Reserven keine vollständige Aufgabe des Mitunternehmeranteils vor.

 

Gesetze: EStG § 16 Abs. 2 EStG § 16 Abs. 1 EStG § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG § 34 Abs. 3 EStG § 6 Abs. 3

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig

Die Beteiligten streiten darum, ob die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch den Beigeladenen als Veräußerungsgewinn oder als laufender Gewinn zu qualifizieren ist.

Die Klägerin ist ein …unternehmen und gehört als Tochtergesellschaft zum … der Firma A GmbH & Co. KG in … .

Komplementärin war die X Beteiligungs GmbH. Kommanditisten waren zunächst Herr X (der Beigeladene) mit einer Einlage von … DM und die A GmbH & Co. KG mit einer Einlage von … DM.

Mit notariell beurkundeten Verträgen vom…September 2003 übertrug der Beigeladene seine Anteile an der Komplementär- und der Kommanditgesellschaft zum Teil unentgeltlich auf seine Ehefrau … und zum Teil entgeltlich auf die Firma B Ltd:

 

Vertrag vom …09.2003
Firma
Erwerber
Nr. 6/2003 (Schenkung)
X Beteiligungs-GmbH – … DM (16 v.H. von … DM)
Frau X
Nr. 7/2003 (Schenkung)
X GmbH & Co. KG – … DM (16 v.H. von … DM)
Frau X
Nr. 8/2003 (Veräußerung)
X Beteiligungs-GmbH, – … DM (10 v.H. von … DM)
B Ltd.
Nr. 9/2003 (Veräußerung)
X GmbH & Co. KG – … DM (10 v.H. von … DM)
B Ltd.

 

Wegen der Behandlung der Übertragungen als unentgeltliche Zuwendungen an die Ehefrau und entgeltliche Veräußerungen an die B Ltd. besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit. Der Beigeladene war zum Zeitpunkt der Übertragung .. Jahre alt.

Mit den Übertragungen schied er aus der Gesellschaft aus. Er war jedoch

aufgrund eines Beratervertrags vom …03.2004 weiterhin für die Gesellschaft tätig. Diese Tätigkeit übte er im Rahmen einer genehmigten Nebentätigkeit

neben seiner Tätigkeit als … aus.

Im Handelsregister wurde der Eintritt der Ehefrau als Kommanditistin nach erfolgter Herabsetzung der Einlage und die dementsprechende Löschung der Kommanditistenstellung des Beigeladenen am …09.2003 eingetragen. Der Eintritt der B Ltd. als Kommanditistin und der damit verbundene Austritt des Herrn X wurde am …10.2003 eingetragen.

Mit Bescheid vom 18.11.2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen stellte der Beklagte, das Finanzamt (nachfolgend FA) Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € fest, davon entfielen … € auf laufenden Gewinn und … € auf Veräußerungsgewinn. Der Bescheid wurde dem Beigeladenen als Empfangsbevollmächtigten für die Klägerin bekannt gegeben.

Im Rahmen einer Außenprüfung ermittelte die Betriebsprüfung einen Veräußerungsgewinn für die KG-Anteile in Höhe von … €. Nach Auffassung des FA handelte es sich dabei nicht um einen nach § 34 Abs. 3 EStG begünstigten, sondern um einen laufenden Gewinn nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG.

Das FA erließ daraufhin am 30.05.2008 einen geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, in welchem die Einkünfte aus Gewerbebetrieb als laufende Einkünfte in Höhe von … € festgestellt wurden (Veräußerungsgewinne 0,00 €).

Mit Änderungsbescheid vom 08.12.2008 sind die Besteuerungsgrundlagen wie im Vorbescheid festgestellt worden. Eine Änderung erfolgte lediglich hinsichtlich der Aufteilung und Zurechnung der Spenden und der anrechenbaren

Steuerabzugsbeträge wie im Erstbescheid vom 18.11.2004 für die einzelnen Beteiligten. Beide Bescheide wurden auch an den Beigeladenen im Wege der Einzelbekanntgabe bekannt gegeben.

Am 25.06.2008 legte die Klägerin Einspruch ein gegen den Bescheid für 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 30.05.2008 und gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag vom 30.05.2008. Sie begründete den Einspruch im Wesentlichen damit, dass der Verkauf des Kommanditanteils des Herrn X einen nach §§ 34 Abs. 3, Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn darstelle.

Mit Einspruchsentscheidung vom 20.07.2009 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2003 zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne zählten, die bei der Veräußerung des gesamten Anteils eines Gesellschafters entstünden, der als Mitunternehmer des Betriebs anzusehen sei. Während in der Vergangenheit eine steuerbegünstigte Anteilsveräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch gegeben gewesen sei, wenn ein Mitunternehmer nur Teile seiner Beteiligung veräußert habe, sei dies durch das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz ( BStBl 2002 I S. 35) geändert worden, vgl. § 52 Abs. 34 Satz 1 EStG. Danach gehörten Gewinne aus der Veräußerung von Teilen einer Beteiligung, die nach dem 31.12.2001 erzielt worden waren, ausschließlich zum laufenden Gewinn. Begünstigt sei ab dem 01.01.2002 nur noch die Veräußerung des gesamten Anteils des Gesellschafters (vgl. Bundesfinanzhof (BFH) -Beschluss vom 01.04.2005 VIII B 157/03, BFH/NV 2005, 1540). Hier sei nur ein Teil, nämlich 10 v.H. der gesamten Anteile des Gesellschafters, welche insgesamt 26 v.H. betrugen, veräußert worden. Somit sei der gesamte Gewinn, der bei der Veräußerung des Teils der gesamten Anteile in Höhe von … € erzielt worden sei, laufender Gewinn und nicht nach § 34 Abs. 3 EStG begünstigt gewesen.

Mit der erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, dass allein auf den nach der Schenkung an die Ehefrau verbliebenen Anteil, welcher an die … Gesellschaft (B Ltd.) veräußert wurde, abzustellen sei. Somit sei nach der Schenkung, welche beim Notar vor der Veräußerung beurkundet worden sei, ein gesonderter selbständig gewordener Mitunternehmeranteil bei dem Beigeladenen verblieben. Dies folge auch daraus, dass die Wirksamkeit der Abtretungen an die Ehefrau sofort eingetreten sei, die Abtretung der Anteile an die … Käuferin ( B Ltd.) jedoch erst mit der späteren Zahlung des Kaufpreises wirksam geworden sei. Damit sei ein deutlich größerer zeitlicher Abstand als eine „logische Sekunde” gegeben gewesen, so sei die Registereintragung hinsichtlich der Kommanditanteile mehr als vier Wochen später erfolgt.

Einem „gesamtplanhaften” Vorgehen stünden im Übrigen Alter und die weitere Tätigkeit des Beigeladenen entgegen. Vor allem aber habe er keine Sachherrschaft mehr über die seiner Frau geschenkten Beteiligungen. Vielmehr sei dadurch eine selbständige gewerbliche Tätigkeit seiner Ehefrau begründet worden. Auch sei ihm nach der Schenkung nur noch ein Unternehmensanteil von 10 v.H. verblieben. Der nach der Schenkung verbliebene Anteil sei daher sozusagen ein gesellschaftsrechtliches „aliud” geworden. Die Veräußerung könne nicht gemeinsam mit dem ehebedingt überlassenen Mitunternehmeranteil einheitlich betrachtet werden. Sie falle daher unter § 16 Abs. 1 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Im Übrigen sei die Übertragung an die Ehefrau unter dem Blickwinkel der vorweggenommenen Erbfolge zu beurteilen. Fälle der vorweggenommenen Erbfolge beziehe der BFH in seine Gesamtplanrechtsprechung nicht ein. Was die Besteuerung von stillen Reserven angehe, so sei diese bei der Weitergabe im Familienverbund im weitergegebenen Vermögensgegenstand gesichert.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid für 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 08.12.2008 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2009 dahingehend zu ändern, dass von dem festgestellten Gesamtgewinn i.H.v. … EUR … EUR als laufende Einkünfte und … EUR als Veräußerungsgewinn festgestellt werden und die Minderung des laufenden Gewinns sowie den Veräußerungsgewinn dem Beigeladenen zuzurechnen.

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA wiederholt und vertieft seine im Einspruchsverfahren vertretene Auffassung. So könne durch die Konstruktion der Verträge keine Tarifermäßigung für den Veräußerungsgewinn nach § 34 Abs. 3 EStG i.V.m. §§ 34 Abs. 2 Nr. 1 und 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG herbeigeführt werden. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehörten zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die erzielt würden bei der Veräußerung des gesamten Anteils eines Gesellschafters, der als Mitunternehmer des Betriebs anzusehen sei. Satz 2 der Vorschrift stelle klar, dass Gewinne, die bei der Veräußerung eines Teils eines Anteils im Sinne von Satz 1 Nr. 2 erzielt würden, laufende Gewinne seien.

Im Zuge der Gesetzesänderung 2002 sei § 34 EStG 2003 dahingehend modifiziert worden, dass die ermäßigte Besteuerung (mit dem halben Steuersatz) einmal im Leben und auf einen einzigen Veräußerungsgewinn (bei mehreren in einem Veranlagungszeitraum) unwiderruflich beschränkt worden sei (vgl. § 34 Abs. 3 S. 4 und 5 EStG 2003).

Tarifbegünstigte Veräußerungsgewinne im Sinne der §§ 14, 16 und 18 Abs. 3 EStG lägen grundsätzlich nur vor, wenn stille Reserven in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang aufgedeckt würden. Hier sei indes mit der steuerlichen Begünstigung der Buchwertfortführung für Frau X im Sinne des § 6 Abs. 3 EStG der überwiegende Teil der stillen Reserven gesetzeskonform der Besteuerung vorenthalten worden. Die Aufdeckung der stillen Reserven in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang könne somit nicht vorliegen, wenn weit über 50 v.H. der Aufdeckung der gebildeten stillen Reserven per Buchwertfortführung in die Zukunft verlagert würden.

Da vorliegend nur die stillen Reserven aus einem Anteil von 10 v.H. aufgedeckt worden seien und nicht die des gesamten Anteil von 26 v.H., komme eine Steuerermäßigung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStGnicht in Betracht, sondern der Veräußerungsgewinn müsse als laufender Gewinn gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG eingeordnet werden.

Der Auffassung der Klägerin, dass nach erfolgter Schenkung an die Ehefrau nunmehr der gesamte verbleibende Anteil veräußert wurde, könne nicht gefolgt werden. So handele es sich bei den vier am …09.2003 abgeschlossenen notariellen Verträgen um einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang. Die zeitliche Abwicklung der Verträge könne nicht zu unterschiedlichen steuerlichen Folgen führen. Vielmehr sei durch die Aufteilung in vier Teilübertragungen eine Konstruktion gewählt worden, um den Rechtssinn der Neuregelung des

§ 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu umgehen, was insoweit einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 Abs. 1 AO darstelle.

Der Senat hat mit Beschluss vom 25.06.2013 das Verfahren wegen Gewerbesteuermessbetrags abgetrennt, welches nun unter dem Az. … geführt wird.

Mit Beschluss vom gleichen Tag ist Herr X zum Verfahren beigeladen worden.

Die einschlägigen Verwaltungsvorgänge (1 Band Feststellungsakten, 1 Sonderband verbindliche Auskunft, 1 Sonderband Betriebsprüfungsberichte, 1 Bilanzheft) waren beigezogen und Gegenstand der Beratung).

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid für 2003 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 08.12.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO). Bei dem festgestellten Gewinn aus der Veräußerung der Gesellschaftsanteile des Beigeladenen handelt es sich nicht um einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn.

1. Nach § 16 Abs. 2 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens oder den Wert des Anteils am Betriebsvermögen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3) übersteigt. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Gewinne, die bei der Veräußerung eines Teils eines Anteils im Sinne von Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 2 EStG erzielt werden, laufende Gewinne.

a) Erzielt der Steuerpflichtige aus der Veräußerung oder Aufgabe eines Mitunternehmeranteils einen Gewinn, so ist der Gewinn gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 EStG mit einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Der Zweck der Tarifvergünstigung nach §§ 16, 34 EStG besteht darin, die zusammengeballte Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven nicht nach dem progressiven Einkommensteuertarif zu erfassen. Sie setzt demnach voraus, dass alle stillen Reserven der wesentlichen Grundlagen des Betriebs in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden; denn eine Zusammenballung liegt nicht vor, wenn dem Veräußerer oder Aufgebenden noch stille Reserven verbleiben, die erst in einem späteren Veranlagungszeitraum aufgedeckt werden (vgl. BFH Urteil vom 06.09.2000 IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl 2001 II S. 229 und BFH-Beschluss vom 18.10.1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl 2000 II S. 123 m.w.N.). Tarifbegünstigte Veräußerungsgewinne im Sinne der §§ 14, 16 und 18 Abs. 3 EStG liegen also grundsätzlich nur vor, wenn die stillen Reserven in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang aufgedeckt werden.

Mangels Aufdeckung aller stillen Reserven unterfällt die Veräußerung von Teilen von Mitunternehmeranteilen aus Gründen der Besteuerungsgleichheit nicht mehr den §§ 16, 34 EStG, wenn die Veräußerung nach dem 31.12.2001 erfolgt. Es fällt somit ein laufender Gewinn an (Wacker in Schmidt, EStG-Kommentar, 22. Auflage 2003, § 16, Rn. 412; BFH-Urteil vom 11.12.2001 VIII R 23 /01, BFHE 197, 425, BStBl 2004 II S. 474).

Bis zum 31.12.2001 war eine steuerbegünstigte Anteilsveräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch gegeben, wenn ein Mitunternehmer nur Teile seiner Beteiligung veräußerte. Das Gesetz hat sich jedoch durch das Unternehmersteuerfortentwicklungsgesetz ( BStBl 2002 I S. 35) geändert, vgl. § 52 Abs. 34 Satz 1 EStG. Danach gehören Gewinne aus der Veräußerung von Teilen einer Beteiligung, die nach dem 31.12.2001 erzielt werden, ausschließlich zum laufenden Gewinn. Begünstigt ist ab dem 01.01.2002 nur noch die Veräußerung des gesamten Anteils des Gesellschafters (vgl. BFH-Beschluss vom 01.04.2005 VIII B 157/03, BFH/NV 2005, 1540). Zu beachten ist, dass nach der früheren Rechtsprechung zur Rechtslage vor 2002 die Tarifbegünstigung der §§ 16, 34 EStG auch dann zu gewähren war, wenn der Gesellschafter seinen Mitunternehmeranteil teilentgeltlich übertragen hat und sich damit des gesamten Betriebsvermögens mit der Folge entäußert hat, dass es bei ihm zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu einer Besteuerung der auf den (teilentgeltlichen) Erwerber übergegangenen stillen Reserven kommen konnte (BFH-Urteil vom 06.12.2000 VIII R 21/00, BStBl 2003 II S. 194BFHE 194, 97 m.w.N., unter II. 2 b)

Der BFH hat im Hinblick auf diesen Zweck der §§ 16, 34 EStG die Tarifvergünstigung in solchen Fällen nicht gewährt, in denen im Rahmen des Veräußerungs- oder Aufgabevorgangs nicht alle stillen Reserven in dem veräußerten Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil aufgedeckt worden sind. Danach liegt weder eine begünstigte Betriebsveräußerung noch eine begünstigte Betriebsaufgabe vor, wenn der Unternehmer wesentliche Betriebsgrundlagen bei einer Veräußerung seines übrigen Betriebs oder Teilbetriebs zurückbehält und für eine andere betriebliche Tätigkeit nutzt (vgl. z.B. vgl. BFH Urteil vom 06.09.2000 IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl 2001 II S. 229 m. w. N.). Ebenfalls hat der BFH die Begünstigung versagt, wenn ein Mitunternehmer seinen Gesellschaftsanteil veräußert, zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörende wesentliche Betriebsgrundlagen aber in zeitlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang damit ohne Aufdeckung der stillen Reserven in ein anderes Betriebsvermögen überführt (vgl. BFH-Urteil vom 19.03.1991 VIII R 76/87, BFHE 164, 260, BStBl 1991 II S. 635; BFH-Beschluss vom 31.08.1995 VIII B 21/93, BFHE 178, 379, BStBl 1995 II S. 890; ebenso für Fälle der Einbringung BFH-Urteile vom 26.01.1994 III R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl 1994 II S. 458 und vom 16.02.1996 I R 183/94, BFHE 180, 97, BStBl 1996 II S. 342).

Die Veräußerung der Mitunternehmeranteile darf nicht isoliert von einer vorherigen Buchwertübertragung betrachtet werden. Eine an Sinn und Zweck der §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 EStG orientierte Auslegung steht einer auf die Anteilsübertragungszeitpunkte bezogenen isolierten Betrachtung entgegen (BFH-Urteil vom 30.08.2012 IV R 44/10, BFH/NV 2013, 376 m.w.N., sog. Gesamtplanrechtsprechung). Wird das Gesellschaftsvermögen ohne entsprechende Gegenleistung auf einen anderen Rechtsträger übertragen, wird zugleich dem Mitunternehmeranteil sein Wert genommen. Dies gilt auch für die im Mitunternehmeranteil ruhenden stillen Reserven, die bei einer unentgeltlichen Übertragung aus dem Gesellschaftsvermögen dem Mitunternehmer vollständig entzogen werden können. Wird ein derartig entwerteter Mitunternehmeranteil anschließend veräußert oder aufgegeben, werden stille Reserven nicht mehr aufgedeckt. In einem solchen Fall stellt sich die Frage einer Tarifbegünstigung wegen der Nichtentstehung eines Gewinns allerdings nicht.

Wird dem Mitunternehmeranteil nur ein Teil der stillen Reserven durch vorherige Buchwertübertragung entzogen, entsteht bei Veräußerung oder Aufgabe ein Gewinn durch Aufdeckung der verbliebenen stillen Reserven. Daran kann ein Interesse bestehen, um Abschreibungspotenzial für schnell abzuschreibende Wirtschaftsgüter zu schaffen, während die stillen Reserven in nicht oder nur langfristig abzuschreibenden Wirtschaftsgütern durch vorherige Buchwertübertragung nicht aufgedeckt werden. Die Gewährung der Tarifbegünstigung für den erzielten Gewinn aus der Anteilsveräußerung würde bedeuten, dass sie trotz nur teilweiser Aufdeckung der stillen Reserven in Anspruch genommen werden könnte (BFH Urteil vom 06.09.2000 IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl 2001 II S. 229).

So liegt insbesondere eine Teilanteilsveräußerung unter zeitraumbezogener Würdigung zusammenhängender Einzelvorgänge vor, wenn ein einheitlicher Mitunternehmeranteil derart „aufgeteilt” wird, dass in einem zeitlich zusammenhängenden und sachlich einheitlichen Vorgang zunächst Teilanteile auf Angehörige unentgeltlich übertragen werden und sodann der gesamte Rest-Anteil an einen fremden Erwerber veräußert wird. Dann kann die Gestaltung mangels zusammengeballter Aufdeckung aller stillen Reserven nicht insgesamt als Aufgabe des Mitunternehmeranteils beurteilt werden, da hinsichtlich des geschenkten Teilanteils die stillen Reserven gem. § 6 Abs. 3 EStG nicht

realisiert werden (Patt in Hermann/Heuer/Raupach, EStG-Kommentar, § 16, Rn. 294; Stahl in KÖSDI 12/2002, 13537). Diese Konstellation entspricht der des hier zu entscheidenden Falles:

b) Im Streitfall hat der Kläger seine Gesellschaftsanteile an der KG zum Teil an seine Ehefrau im Wege der Schenkung übertragen und zum Teil veräußert. Der an die Ehefrau übertragene Teil ist dabei ohne Aufdeckung der stillen

Reserven in ein anderes Vermögen überführt worden. Diese Übertragung zu Buchwerten geschah in einem zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit den am gleichen Tag notariell vereinbarten Veräußerungen der Gesellschaftsanteile.

Der an Frau X geschenkte Anteil von 16 v.H. entzieht sich zum Zeitpunkt der Schenkung der Aufdeckung der stillen Reserven. Der Anteil wurde gem. § 6 Abs. 3 EStG zu Buchwerten übertragen. Aufgedeckt wurden hier nur die stillen Reserven aus einem Anteil von 10 v.H.

Entscheidend ist daher die Beantwortung der Frage, ob die Schenkung an die Ehefrau und die Veräußerung als einheitlicher Vorgang zu werten ist oder ob der dem Beigeladenen nach Vollzug der Schenkung verbleibende Anteil für sich betrachtet werden muss.

Die Veräußerungsabsicht ist mit Vertragsschluss am gleichen Tag dokumentiert.

Laut Schriftsatz des damaligen Bevollmächtigten … im Verfahren der verbindlichen Auskunft der Ehefrau vom Dezember 2009 hatte der Beigeladene sich mit dem Geschäftsführer der B Ltd. im Laufe des Jahres 2003 darüber verständigt, dass der Beigeladene seine 26 % ige Beteiligung verkauft. Dem Beigeladenen sei diese Entwicklung sehr entgegen gekommen, da ihm aus … Gründen daran gelegen gewesen sei, zum einen seine Beteiligung kurzfristig zu verkaufen und zum anderen auch sein Geschäftsführungsamt niederzulegen. Da der weitere Gesellschafter A Wert darauf gelegt habe, dass nicht ein gesellschaftsfremder Dritter unmittelbar eine Sperrminorität erhalte, der Beigeladene seine Beteiligung aber möglichst kurzfristig habe aufgeben wollen, habe er sich entschlossen, einen Teil seiner Ehefrau zu schenken.

Der Rechtsauffassung der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass bei isolierter

Betrachtung der beiden Übertragungsvorgänge er seinen vollständigen Mitunternehmerteil entgeltlich veräußert hätte, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 EStG vorlägen. Anders als die Klägerin meint, steht jedoch eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m.

§ 34 Abs. 1 EStG einer auf die Anteilsübertragungszeitpunkte bezogenen isolierten Betrachtung entgegen (BFH-Urteil vom 30.08.2012 IV R 44/10, BFH/NV 2013, 376).

Bereits in seinem Urteil vom 06.09.2000 (IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl 2001 II S. 229) hat der BFH ausgeführt, dass der Zweck der Tarifbegünstigung nach §§ 16, 34 EStG, die zusammengeballte Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven nicht nach dem progressiven Einkommensteuertarif zu erfassen, es gebietet, die Tarifvergünstigung dann nicht zu gewähren, wenn aufgrund einheitlicher Planung und in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils wesentliche Betriebsgrundlagen der Personengesellschaft ohne Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven aus dem Betriebsvermögen der Gesellschaft ausgeschieden sind. Denn dann sind durch die Veräußerung nicht alle in den Mitunternehmeranteilen ruhenden stillen Reserven aufgedeckt worden (vgl. auch BFH-Urteile vom 12.04.2000 XI R 35/99, BFHE 192, 419, BStBl 2001 II S. 26; vom 06.12. 2000 VIII R 21/00, BFHE 194, 97, BStBl 2003 II S. 194). Deshalb ist für die Frage der Tarifbegünstigung eines Gewinns aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils ähnlich wie bei der Betriebsaufgabe eine zeitraumbezogene Betrachtung anzustellen, wenn ein „Veräußerungsplan” mehrere Teilakte umfasst (BFH-Urteil vom 06.09.2000 IV R 18/99, BFHE 193, 116, BStBl 2001 II S. 229; FG Köln 4 K 2555/06, EFG 2011, 319).

Die zeitraumbezogene übergreifende (materiell-rechtliche) Betrachtung mehrerer Rechtsgeschäfte im Wege der Gesamtplanrechtsprechung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 und § 34 EStG, nur die zusammengeballte Aufdeckung aller stillen Reserven in den von § 16 Abs. 1 Satz 1 genannten Sachgesamtheiten abzumildern (Patt in Hermann/Heuer/Raupach, EStG-Kommentar, § 16, Rn. 298, BFH-Urteil vom 30.08.2012 IV R 44/10, BFH/NV 2013, 376; BFH-Urteil vom 25.02.2010 IV R 49/08, BFHE 228, 486, BStBl 2010 II S. 726). Dieser Beurteilung steht auch nicht die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des BFH im Urteil IV R 14/03 vom 20.01.2005 (BFHE 209, 95; BStBl 2005 II S. 395) entgegen. Zum Einen handelt es sich dabei um einen Fall, der nach der Rechtslage vor dem 31.12.2001 zu beurteilen ist, zum Anderen handelte es sich dort um mehrere unterschiedliche Teil-

betriebe mit unterschiedlichen Tätigkeiten. Ebenso ist der vom FG Nieder-sachsen am 25.10.2011 entschiedene Fall (15 K 10217/09, zitiert nach juris) dem Sachverhalt nach nicht mit der hier zu entscheidenden Fallkonstellation vergleichbar.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Da der Beigeladene nur einen Formalantrag gestellt hat, der keine Mehrkosten ausgelöst hat, waren ihm weder Kosten aufzuerlegen noch ein Erstattungsanspruch zu gewähren ( BFH-Urteil vom 04.05.2000 IV R10/99, BFHE 191, 529, BStBl 2002 II S. 850).

3. Da bisher, soweit ersichtlich, zu der Frage, ob unentgeltliche Zuwendungen an Angehörige in die Gesamtplanrechtsprechung einzubeziehen sind, keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

Außergewöhnliche Belastungen – Beerdigungskosten keine zwangsläufigen außergewöhnlichen Belastungen

Leitsatz FG Münster  v. 01.07.2013 – 2 K 1062/12 E

1) Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die Beerdigung eines nahen Angehörigen entstehen, sind grundsätzlich außergewöhnlich.

2) Die Verpflichtung des Erben zur Übernahme der Beerdigungskosten gem. § 1968 BGB ist keine persönliche Verpflichtung des Erben, sondern eine Nachlassverbindlichkeit. Nimmt der Erbe die Erbschaft an, so beruht die Verpflichtung auf dem von ihm selbst gesetzten Rechtsgrund. Sie ist deshalb nicht zwangsläufig im Sinne von § 33 Abs. 2 EStG.

Gesetze: EStG § 33 Abs 2 EStG § 33 Abs 1

www.steuerschroeder.de/aussergewoehnliche-Belastungen.html
Außergewöhnliche Belastung wie Krankheitskosten, Zahnersatz, Brille,Beerdigung, Unterhalt etc. (s. ABC Übersicht) in der Steuererklärung von der Steuer …
www.steuerschroeder.de/…/bfh-urteil-vom-17-9-1987-iii-r-242_83-bstbl- 1988-ii-s-130/
17. Sept. 1987  Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, dem Kläger seien sämtliche Kosten der standesgemäßen Beerdigung seines …
https://www.steuerschroeder.de/…/bfh-urteil-vom-19-10-1990-iii-r-93_87- bstbl-1991-ii-s-140/
19. Okt. 1990  Er müsse sich die erhaltenen Versicherungsleistungen auf die anläßlich der Beerdigung erwachsenen Aufwendungen anrechnen lassen.
www.steuerschroeder.de/steuerlexikon/154242/Geschenke
Kränze und Blumen zu Beerdigungen z.B. von Geschäftspartnern u.ä. gehören nicht zu den Geschenken in diesem Sinne. Die Kosten sind somit auch dann als  …
https://www.steuerschroeder.de/…/bfh-urteil-vom-20-3-1984-ix-r-8_80-bstbl -1985-ii-s-43/
13. März 2013  Aufwendungen für die Beerdigung eines Altenteilsberechtigten sind beim Altenteilsverpflichteten auch bei Übernahme einer entsprechenden …
https://www.steuerschroeder.de/…/x-r-32-09-beerdigungskosten-als-dauernde -last-abziehbarkeit-von-wiederkehrenden-leistungen-als-dauernde…
2. Dez. 2012  Hat sich der Vermögensübernehmer gegenüber dem Vermögensübergeber verpflichtet, die Kosten einer standesgemäßen Beerdigung zu …
www.steuerschroeder.de/…/sind-beerdigungskosten-naher-angehoriger- ausergewohnliche-belastungen/
1. Apr. 2014  Aufwendungen für die Beerdigung eines nahen Angehörigen sind grundsätzlich außergewöhnlich.
https://www.steuerschroeder.de/…/bfh-urteil-vom-15-2-2006-x-r-5_04-bstbl- 2007-ii-s-160/
15. Febr. 2013  Darüber hinaus sind als Sonderausgaben abziehbar aber auch einmalige Aufwendungen, die – wie die Kosten für die Beerdigung und das …
www.steuerschroeder.de/steuergesetze/bgb/1615m
Stirbt die Mutter infolge der Schwangerschaft oder der Entbindung, so hat der Vater die Kosten der Beerdigung zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von dem  …
www.steuerschroeder.de/steuergesetze/erbstr/10.9
(2) 1Abweichend von § 1968 BGB, wonach die Kosten der standesgemäßenBeerdigung des Erblassers nur den Erben treffen, unterscheidet § 10 ErbStG bei  …

 

Zu entscheiden ist, ob im Streitjahr 2010 Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.

Die Kläger sind zusammenveranlagte Eheleute. Sie haben zwei Kinder. Die Kläger erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger ist Eigentümer des Zweifamilienhauses I-Str. 1 in C-Stadt. Eine der beiden Wohnungen wird von den Klägern selbst genutzt; die andere ist seit September 2010 vermietet.

Die Eltern des Klägers (Erblasser) übertrugen ihm das in 1901 erbaute Zweifamilienhaus mit notariellem Vertrag vom 17.01.1991 (URNr. xx/1 des Notars L.). Das Grundstück war mit einer Grundschuld i.H.v. 85.000 DM belastet. Als Gegenleistung für die Übertragung räumte der Kläger seinen Eltern ein Wohnrecht (Jahreswert 6.429,60 DM) an der Wohnung im Obergeschoss ein, er verpflichtete sich, sie zu versorgen und die Kosten der Beerdigung und der Instandhaltung der Grabstätte zu übernehmen, soweit nicht Kostenerstattungen erfolgen über Sterbeversicherungen und dergleichen. Außerdem sollte er den Erblassern nach der Übergabe einen Betrag i.H.v. 20.000 DM zahlen. In diesem Vertrag verpflichtete er sich außerdem, seinen Geschwistern B. und E. im Hinblick auf deren Erb- und Pflichtteilsverzicht jeweils 20.000 DM nach dem Tod des letztversterbenden Elternteils zu zahlen. Zur Kostenberechnung wurde übereinstimmend ein Wert von 300.000 DM angegeben. Ebenfalls am 17.01.1991 schlossen die Erblasser und deren drei Kinder einen Erbvertrag (URNr. yy/91 des Notars L.). Danach setzten sich die Eltern jeweils gegenseitig als alleinige Erben ein. Nach dem Tod des Überlebenden sollte der beiderseitige Nachlass dem Kläger zufallen. Die Eltern setzten zulasten des Klägers Vermächtnisse aus, wonach seine Geschwister zu je ½ das komplette Spar- und Barvermögen und alles bewegliche Vermögen erhalten sollten. Im Gegenzug erklärten die Geschwister des Klägers einen Erb- und Pflichtteilsverzicht. Dieser Verzicht erfolgte unter der Bedingung, dass ihnen nach dem Tode des zuletzt versterbenden Elternteils entsprechend dem Übergabevertrag vom 17.01.1991 jeweils 20.000 DM gezahlt würden. Der Wert des reinen Nachlasses wurde mit 100.000 DM angegeben. Nach der Übergabe des Objekts investierte der Kläger nach eigenen Angaben in 1991/1992 ca. 170.000 EUR in dessen Renovierung.

Im Streitjahr verstarb die Mutter des Klägers. Sie war die zuletzt Versterbende. Der Kläger übernahm vertragsgemäß die Beerdigungskosten. Mit der Einkommensteuererklärung machte er Aufwendungen i.H.v. 6.227 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend.

Der Beklagte ließ diese Aufwendungen bei Erlass seiner Einkommensteuerbescheide vom 12.08.2011 und vom 06.12.2011 unberücksichtigt, weil sie durch den ererbten Nachlass gedeckt seien. Der Gesamtbetrag der Einkünfte beläuft sich auf xxxxx EUR, die festgesetzte Einkommensteuer beträgt xxxx EUR.

Mit ihrem Einspruch begehrten die Kläger die Anerkennung der Aufwendungen dem Grunde nach, der Höhe nach machten sie nur noch Aufwendungen i.H.v. 5.180 EUR geltend. Zur Begründung führten sie aus, der Kläger habe die Beerdigungskosten nicht aus dem Nachlass bestreiten können. Denn sämtliches Spar- und Barvermögen habe seinen Geschwistern zugestanden. Zur Erfüllung der Zahlungsverpflichtung aus dem Übergabevertrag (Zahlung von je 20.000 DM an die Geschwister nach dem Tod des zuletzt Versterbenden) habe er ein Darlehen i.H.v. 17.000 EUR aufnehmen müssen. Das zitierte Urteil des FG Baden-Württemberg vom 06.11.1980 III 102/78 , EFG 1981, 180 sei nicht anwendbar. Dem Kläger seien keine Vermögensgegenstände unentgeltlich übertragen worden. Er sei auch nicht nur vertraglich, sondern auch sittlich verpflichtet gewesen, die Beerdigungskosten zu übernehmen. Das ihm übertragene Grundstück habe allenfalls einen Wert von 40.000 EUR gehabt (Grundstück 28.000 EUR, Gebäude 12.000 EUR). Demgegenüber habe der Kläger Zahlungsverpflichtungen i.H.v. 30.000 EUR übernommen. Hinzu komme das den Eltern eingeräumte Wohnrecht. Dass der Gebäudewert mit Blick auf das Baujahr 1901 und die damals verwendeten Materialien eigentlich mit 0,– EUR anzusetzen sei, ergebe sich aus den in 1991/1992 getätigten Herstellungskosten von 170.000 EUR. Zudem gehörten Grundstücksübertragungen, die vor dem Erbfall im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge erfolgt seien, nach dem Urteil des FG Hamburg vom 11.10.1985 V 96/62 , EFG 1986, 293 nicht zum Nachlass. Aber auch vor dem Hintergrund der Urteile des FG München vom 30.03.1999 13 K 3321/94, EFG 1999, 703 und des FG Münster vom 24.02.1999 13 K 1810/96 E , EFG 1999, 608, nach denen Grundstücksschenkungen vor dem Erbfall dem Nachlass mit ihrem Wert im Zeitpunkt des Erbfalls hinzuzurechnen seien, könne hier nicht von einem realisierbaren Nachlasswert ausgegangen werden. Die Erblasserin sei nur zu ½ Eigentümerin des Grundstücks gewesen. Nach dem anzuhaltenden Grundstückswert im Zeitpunkt des Erbfalls (399 m² × 100,– EUR = 39.900 EUR, ½ = 19.950 EUR) ergebe sich nach Abzug der Verbindlichkeiten kein positiver Nachlasswert. Zudem sei die alte Bausubstanz im Rahmen der Generalüberholung untergegangen und damit wertlos geworden. Schließlich sei der im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebliche Grundstückswert (155,– EUR (laut Gutachterausschuss) wegen übergroßer Straßenfront und wegen des extrem ungünstigen Zuschnitts des Grundstücks mit einem Abschlag von rd. 35 % zu versehen.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29.02.2013 als unbegründet zurück. Der Kläger müsse sich entgegenhalten lassen, dass er das Objekt I-Str. 1 in C-Stadt im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erhalten habe. Er habe sich im Gegenzug zur Übernahme der Beerdigungskosten verpflichtet. Daraus folge, dass der Wert des übertragenen Vermögens die Beerdigungskosten habe abdecken können. Zum Zeitpunkt der Übertragung habe der Kläger damit den einzigen, sicheren, werthaltigen und Ertrag bringenden Vermögensgegenstand der Erblasser erlangt. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Eltern zum Zeitpunkt der Übertragung alle Kinder hätten gleich behandeln wollen. Der Anteil des Klägers betrage damit ca. 20.000 DM. Dass das Vermögen im Zeitpunkt des Erbfalls verbraucht gewesen sei, werde nur gemutmaßt. Aus Sicht des Beklagten sei es nicht schädlich, dass die bei Übergabe vorhandene Bausubstanz möglicherweise im Rahmen einer Generalüberholung in die Bausubstanz eingegangen sei. Der Wert sei nicht verloren gegangen. Dieser Wert liege im Todeszeitpunkt jedenfalls noch über den Beerdigungskosten von 5.180 EUR.

Hiergegen richtet sich die anhängige Klage, mit der die Kläger ihr Begehren auf Anerkennung der Aufwendungen i.H.v. 5.180 EUR unter Hinweis auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren weiter geltend machen. Ergänzend tragen sie vor, die Wertangabe in dem Grundstücksübertragungsvertrag von 300.000 DM habe lediglich der Berechnung der Notarkosten gedient. Die in § 1 des Vertrages genannte Grundschuld von 85.000 DM entspreche eher dem tatsächlichen Wert des Grundstücks. Dieser Vermögenswert habe die Nachlassverbindlichkeiten nicht überstiegen und zwar sowohl im Zeitpunkt der Übertragung (FG Münster) als auch im Zeitpunkt des Erbfalls (FG München). Außerdem werde weiterhin auf die Auffassung des FG Hamburg verwiesen. Zudem sei das Grundstück im Zeitpunkt der Übertragung mit dem Wohnrecht i.H.v. 6.429 EUR belastet und damit im Wert gemindert gewesen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 06.12.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.02.2012 weitere Aufwendungen i.H.v. 5.180 EUR als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen und die zu zahlende Einkommensteuer um ca 2.100 EUR zu mindern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung. Entscheidungserheblich sei der Vermögenswert von 80.000 DM im Zeitpunkt der Übertragung. Da alle Beteiligten gleich behandelt werden sollten, übersteige der Anteil des Klägers die Beerdigungskosten von 5.180 EUR.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Steuerakten des Beklagten verwiesen.

 

Die zulässige Klage, über die die Berichterstatterin im Einverständnis der Beteiligten gem. §§ 79a Abs. 3 und 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden konnte, ist nicht begründet. Zu Recht hat der Beklagte die Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen versagt. Die Kläger werden hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Die geltend gemachten Aufwendungen i.H.v. 5.180 EUR stellen keine außergewöhnliche Belastung dar. Denn sie sind nicht zwangsläufig i.S.v. § 33 Einkommensteuergesetz (EStG).

Nach dieser Vorschrift liegen außergewöhnliche Belastungen vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastungen). Auf Antrag wird die Einkommensteuer dann dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird, § 33 Abs. 1 EStG.

Im Streitfall liegt der Gesamtbetrag der Einkünfte zwischen xxxxx EUR und yyyyy EUR. Die zumutbare Belastung der im Splittingverfahren veranlagten Kläger mit ihren zwei Kindern beläuft sich danach auf × % des Gesamtbetrags der Einkünfte, d.h. auf xxx EUR. Damit könnten grundsätzlich xxxx EUR steuermindernd berücksichtigt werden.

Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die Beerdigung eines nahen Angehörigen entstehen, sind nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich außergewöhnlich (vgl. BFH-Urteil vom 19.10.1990 III R 93/87, BStBl 1991 II S. 140).

Diese Aufwendungen sind für den Steuerpflichtigen aber nicht immer zwangsläufig.

Außergewöhnliche Aufwendungen sind dem Grunde nach zwangsläufig, wenn sich der Steuerpflichtige ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG. Dies ist dann der Fall, wenn rechtliche, sittliche oder tatsächliche Gründe von außen derart auf die Entschließung des Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag. Entscheidend ist, ob das Ereignis, dessen Folgen die Aufwendungen oder die Verpflichtung zum Bestreiten der Aufwendungen sind, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war (BFH-Urteil vom 26.02.1998 III R 59/97, BStBl 1998 II S. 605. m.w.N.). Rechtliche Gründe, aufgrund derer sich ein Steuerpflichtiger den Aufwendungen dem Grunde nach nicht entziehen kann, können sich aus Gesetz, Verwaltungsakt oder Vertrag ergeben.

Als rechtlicher Grund für die Übernahme der Beerdigungskosten kommt grundsätzlich § 1968 Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Betracht. Nach dieser Vorschrift trägt der Erbe die Kosten der Beerdigung. Der Kläger war aufgrund des Erbvertrages vom 17.11.1991 (URNr. 43/1991) und dem Erb- und Pflichtteilsverzicht seiner Geschwister als Alleinerbe nach seiner zuletzt verstorbenen Mutter eingesetzt.

Bei der Verpflichtung aus § 1968 BGB handelt es sich aber nicht um eine persönliche Verpflichtung des Erben, sondern um eine Nachlassverbindlichkeit. Nachlassverbindlichkeiten treffen den Erben nur als denjenigen, dem das Vermögen des Erblassers zufällt. Sie belasten das übernommene Vermögen und nicht den Erben als einkommensteuerpflichtige Person. Ist der Nachlass überschuldet, hat der Erbe die Möglichkeit, die Erbschaft auszuschlagen, so dass ihn aus § 1968 BGBkeine rechtliche Verpflichtung zur Begleichung der Beerdigungskosten trifft. Denn mit der Annahme der Erbschaft setzt der Erbe regelmäßig selbst den Grund für seine Rechtspflicht zur Erfüllung der damit verbundenen Schulden. Die Verpflichtung aus § 1968 BGB trifft ihn deshalb nicht zwangsläufig i.S.v. § 33 Abs. 2 EStG (BFH-Urteil vom 24.07.1987 III R 208/82, BStBl 1987 II S. 715; Schmidt/Loschelder, EStG 32. Aufl. 3013 § 33 Rz. 35 „Beerdigungskosten”; K.Heger in Blümich, EStG, Feb. 2012, § 33 Rz. 214f; Görke in Frotscher, EStG 09/2003, § 33 Rz. 50ff; Arndt in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, EStG, Jan. 2001, § 33 Rdnr. C 40; Schmieszek in Bordewin/Brandt, EStG, Nov. 1999, § 33 Rz. 150f; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Nov. 2012, § 33 Rz. 142ff jew. m.w.N.).

Als rechtlicher Grund für die Übernahme der Beerdigungskosten kommt im Streitfall auch der Übergabevertrag vom 17.11.1991 (URNr. xx/1991) in Betracht. Darin hat sich der Kläger unter § 3 Ziff. 2) Buchst. b) verpflichtet, die Kosten der Beerdigung und der Grabpflege zu tragen, soweit nicht Kostenerstattungen erfolgen.

Als ein die Zwangsläufigkeit begründender rechtlicher Grund kommt jedoch grundsätzlich nur eine rechtliche Verpflichtung in Betracht, die der Steuerpflichtige nicht selbst gesetzt hat. Verpflichtungen aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen können für sich allein regelmäßig eine Zwangsläufigkeit i.S.v. § 33 Abs. 2 EStG nicht begründen. Vielmehr muss in derartigen Fällen zu der selbst begründeten Rechtspflicht eine weitere rechtliche oder sittliche bzw. eine tatsächliche Zwangsläufigkeit zur Leistung gerade dieser Aufwendungen hinzutreten. Entsprechendes gilt, wenn die Übernahme der Rechtspflicht ihrerseits auf rechtlicher oder sittlicher Verpflichtung bzw. einer tatsächlichen Zwangsläufigkeit beruht. Bei der im Rahmen des § 33 EStG gebotenen wertenden Betrachtung fehlt es regelmäßig an der Zwangslage, wenn sich der Steuerpflichtige bewusst und aufgrund freier Entscheidung in eine bestimmte Situation begeben und die damit verbundenen Folgen in Kauf genommen hat, wie dies z.B. beim Abschluss von Verträgen und den damit u.U. verbundenen nachteiligen Folgen der Fall ist. Verpflichtungen auf Grund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung können daher für sich allein eine Zwangsläufigkeit nicht begründen; es muss aus anderen Gründen eine Zwangsläufigkeit zu gerade dieser Leistung hinzutreten (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.1998 III R 59/97, aaO, Schmidt/Loschelder aaO § 33 Rz. 17 und 23; Arndt in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, aaO Rdnr. C 3 und 14; Littmann, EStG § 33 Rz. 135ff jew. m.w.N.).

In Anwendung dieser Grundsätze sind die Aufwendungen für die Beerdigungskosten im Streitfall nicht zu berücksichtigen. Denn der Kläger hat sich freiwillig – bzw im Hinblick auf die Übertragung des Grundstücks und den Erb- und Pflichtteilsverzicht seiner Geschwister – bereit erklärt, die Beerdigungskosten allein zu tragen.

Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich die Zwangsläufigkeit zur Übernahme der Beerdigungskosten hier auch nicht – zusätzlich – aus sittlichen Gründen. Zwar bestehen sittliche Gründe zur Übernahme der Beerdigungskosten im allgemeinen bei einem nahen Angehörigen. Dies gilt auch dann, wenn er die Erbschaft ausschlägt (vgl. z.B. Schmidt/Loschelder, aaO § 33 Rz. 35 „Beerdigungskosten”).

Sittliche Gründe zur Übernahme der Beerdigungskosten können auch dann bestehen, wenn man als späterer Alleinerbe von einem Angehörigen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge die gesamte Existenzgrundlage erhält. In diesem Fall wäre es mit oder ohne rechtsgeschäftlicher Verpflichtung geradezu verwerflich, nicht dessen Beerdigungskosten zu übernehmen ( FG München Urteil vom 30.03.1999 13 K 3321/94, aaO).

In dem dort zu entscheidenden Fall war ein landwirtschaftlicher Betrieb auf die einzige Tochter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen und als (eine) Gegenleistung ein standesgemäßes Begräbnis ausbedungen worden. Bei dieser Sachlage sah das FG München zu Recht – neben der rechtsgeschäftlich ausbedungenen – eine sittliche Verpflichtung zur Übernahme der Beerdigungskosten.

Dieser Sachverhalt ist jedoch nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar. Denn im Streitfall haben die Eltern des Klägers ihm nicht ihre gesamte Existenzgrundlage übertragen. Sie haben sich neben der Zurückbehaltung eines Wohnrechts an der Obergeschosswohnung noch erhebliche Zahlungen – sofortige an sich selbst und spätere bei Eintritt des Erbfalls an die Geschwister des Klägers – ausbedungen. Außerdem waren Vermächtnisse zugunsten der Geschwister und zu Lasten des Klägers ausgesetzt. Diese Vermächtnisse umfassten den gesamten vorhandenen Bargeldbestand (ca 32.000 EUR laut Angaben des Klägers zum Wert des Nachlasses) und das bewegliche Vermögen der Eltern im Zeitpunkt des Erbfalls.

Angesichts dieser Vereinbarungen bestand eine sittliche Verpflichtung des Klägers zur Übernahme der Beerdigungskosten allenfalls in dem Umfang, wie er sie aus dem Substanz- und Nutzungswert des übergebenen Grundstücks bzw. dem ererbten Nachlass decken konnte. Soweit dagegen bereits bei Abschluss der Vereinbarungen vom 17.11.1991 erkennbar gewesen sein sollte, dass die Verpflichtungen gegenüber den Eltern und den Geschwistern die übertragenen und ererbten Werte übersteigen würden, bestand für den Kläger keine (zusätzliche) sittliche Verpflichtung, die Beerdigungskosten (allein und in vollem Umfang) zu übernehmen.

Auch nach der Auffassung des FG Münster in seinem Urteil vom 19.04.1990 VI 5087/89 n.v., juris nur Leitsatz, sind Beerdigungskosten dann keine außergewöhnliche Belastung, wenn sie in Erfüllung einer vertraglichen Pflicht gegenüber dem Verstorbenen gezahlt werden. Denn die vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Verstorbenen, dessen Beerdigungskosten zu zahlen, stellt einen Vertrag zugunsten des oder der Erben dar. Diese(r) werden – freiwillig – von der rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung zur Tragung der Beerdigungskosten freigestellt mit der Folge, dass die vertragliche Verpflichtung Vorrang vor der gesetzlichen und/oder sittlichen Verpflichtung erhält. Dieser Vorrang der vertraglichen Verpflichtung könnte allenfalls insoweit eingeschränkt sein, als im Fall der gesetzlichen Erbfolge noch eine anteilige Verpflichtung zur Übernahme der Beerdigungskosten aus sittlichen Gründen besteht. Bei gesetzlicher Erbfolge hätte der Kläger – neben seinen beiden Geschwistern – allenfalls ein Drittel die angefallenen Beerdigungskosten tragen müssen.

Das erkennende Gericht geht bei der gebotenen wertenden Betrachtung davon aus, dass Aufwendungen dann nicht zwangsläufig i.S.v. § 33 Abs. 1 EStG sind, wenn ein Steuerpflichtiger vertraglich Verpflichtungen übernimmt und er im Gegenzug Vermögenswerte im Wege der vorweggenommener Erbfolge erhält. Denn in diesen Fällen ist anzunehmen, dass die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt sind. Ansonsten wäre der Vertrag nicht oder nicht mit dem Inhalt geschlossen worden. Jedenfalls hat der Begünstigte eines solchen Übergabevertrages die vertraglichen Gegenleistungen dem Grunde und der Höhe nach freiwillig übernommen. Denn auch bei Abschluss eines Erbvertrages können die Vertragspartner frei über Inhalt und Abschluss entscheiden.

Eine Zwangslage kann auch aufgrund des Vergleichs mit dem gesetzlichen Erben nicht angenommen werden. Wird dieser nämlich auf die Möglichkeit verwiesen, die Erbschaft auszuschlagen, um seiner Verpflichtung aus § 1968 BGB zu entgehen (s.o.), so muss dies erst recht für den vertraglich Verpflichteten gelten. Er kann seine Interessen in viel größerem Umfang wahrnehmen, sei es durch Einflussnahme auf den Inhalt des Vertrages oder sogar durch Abstandnahme vom Vertragsschluss insgesamt. Beides wäre auch nicht verwerflich oder sittlich anstößig.

Geht man dennoch – wie oben dargestellt – davon aus, dass den Kläger eine sittliche Verpflichtung trifft, die Beerdigungskosten trotz vorrangiger vertraglicher Verpflichtung gegebenenfalls zu einem Drittel zu übernehmen und geht man – dem Urteil des FG München vom 30.03.1999 13 K 3321/94, aaO folgend –, davon aus, dass auch bei vertraglicher Verpflichtung zur Übernahme der Beerdigungskosten der übergebene Vermögensgegenstand noch einen realen Wert repräsentieren muss, läge im Streitfall keine Belastung vor. Denn die Beerdigungskosten wären durch den Wert des übernommenen Grundstücks gedeckt.

Der Abzug von Beerdigungskosten als außergewöhnliche Belastung scheidet grundsätzlich von vornherein aus, soweit die Aufwendungen aus dem Nachlass bestritten werden können oder durch sonstige im Zusammenhang mit dem Tod zugeflossene Geldleistungen gedeckt sind (vgl. BFH-Urteile vom 04.04.1989 X R 14/85, BStBl 1989 II S. 779 und vom 29.05.1996 III R 86/95, BFH/NV 1996, 807 m.w.N). Dies gilt auch im Fall einer vorweggenommenen Erbfolge (vgl. Urteile des FG München vom 30.03.1999 13 K 3321/94, aaO und des FG Münster vom 24.02.1999 13 K 1810/96 E aaO sowie des FG Baden-Württemberg vom 06.11.1980 III 102/78 , EFG 1981, 180). Danach führen Aufwendungen, die den Verkehrswert des Nachlasses nicht übersteigen, gar nicht erst zu einer Belastung i.S.v. § 33 EStG. Nur nach der Ansicht des FG Hamburg in seinem Urteil vom 11.10.1985 V 96/82, aaO steht es dem Abzug von Beerdigungskosten nicht entgegen, wenn der Erblasser dem Steuerpflichtigen zwei Jahre vor dem Erbfall ein Grundstück in vorweggenommener Erbfolge geschenkt hat, dessen Wert die Beerdigungskosten übersteigt.

Im Streitfall steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Kläger mit dem Grundstück und dem aufstehenden Zweifamilienhaus einen Gegenwert erhalten hat, der seine gesamten Verpflichtungen aus dem Vertrag vom 17.11.1991 – einschließlich der gesamten, jedenfalls aber etwaig anteilig zu tragender Beerdigungskosten – überstiegen hat.

Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass einvernehmlich getroffene Vereinbarungen zwischen Eltern und Kindern bzw. Geschwistern über Erbeinsetzung, Vermächtnisse, Übertragung und Verteilung des gesamten Nachlasses die Vermutung für sich haben, dass die Kinder als gesetzliche Erben gleichmäßig bedacht wurden. Ansonsten wären die Vereinbarungen nicht oder nicht mit dem Inhalt geschlossen worden.

Wenn danach die Geschwister des Klägers jeweils 20.000 DM und zusätzlich das gesamte Barvermögen (32.000 EUR) und den gesamten beweglichen Nachlass erhalten sollten, so spricht dies dafür, dass dem Kläger ebenfalls – und zwar nach Abzug aller Verpflichtungen – zumindest Werte i.H.v. 20.000 DM verbleiben sollten und verblieben sind.

Hinzu kommen folgende Überlegungen:

Nach eigenem Vortrag beläuft sich der Wert des Grund und Bodens nebst aufstehendem Gebäude auf mindestens 40.000 EUR, gegebenenfalls auf den im Vertrag genannten Belastungswert von 85.000 DM. Nach Einschätzung des Gerichts dürfte der Wert deutlich höher liegen. Denn eine Grundschuld schöpft den Wert eines Grundstücks im Regelfall nicht in vollem Umfang aus. Auch erfolgt die einvernehmliche Angabe eines Urkundswertes von 300.000 DM nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht nur zur Bemessung der Notarkosten. Hinzu kommt, dass der reine Nachlass laut Erbvertrag zusätzlich mit 100.000 DM angegeben wurde.

Für die Frage, welchen Wert der Nachlass hatte, kommt es auf den Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbfalls an (vgl. FG des Saarlandes Urteil vom 30.09.1992 1 K 76/92 , aaO und FG Münster Urteil vom 24.02.1999 13 K 1810/96, aaO). Nicht gefolgt werden kann der Auffassung des FG Hamburg in seinem Urteil vom 11.10.1985 V 96/82, aaO, ein im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgte Grundstücksschenkung könne außer Betracht bleiben.

Soweit die Kläger meinen, für die Bewertung des übernommenen Nachlasses könne es auf den Zeitpunkt der Übernahme ankommen, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des FG Münster vom 24.02.1999 13 K 1810/96, aaO. Denn am Ende des Urteils heißt es, „Dass der Wert des übertragenen Vermögens höher ist als die Beerdigungskosten, steht … aufgrund … des Grundstücksübertragungsvertrages fest. Darin wurde der Verkehrswert des Objekts zur Zeit der Schenkung …auf 180.000 DM beziffert.” Die Ausführungen des FG Münster zu dem im Schenkungsvertrag genannten Wert verstehen sich als Begründung dafür, dass der Wert des Grundstücks aktuell, sprich im Zeitpunkt des Erbfalls, mindestens den im Schenkungsvertrag genannten Verkehrswert hatte.

Bei der Bewertung des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalls ist deshalb auch zu berücksichtigen, dass der Kläger die Verpflichtungen gegenüber seinen Eltern und Geschwistern im Hinblick auf die sofortige Übertragung des gesamten Grundstücks übernommen hat. Damit hatte er bereits ab 1991 die Möglichkeit, das gesamte Grundstück – vorbehaltlich des Wohnrechts der Eltern – seit dieser Zeit für eigene Zwecke zu nutzen bzw. nutzbar zu machen. Er bewohnte das Objekt also bereits lange vor dem Erbfall, während seine Geschwister mit der Auszahlung ihrer Abfindungsbeträge bzw. der Vermächtnisse bis zum Erbfall warten und entsprechende inflationsbedinge Wertverluste hinnehmen mussten. Demgegenüber hatte der Kläger im Zeitpunkt des Erbfalls schon langjährige und damit nicht unerhebliche Nutzungsvorteile erlangt.

Unbeachtlich ist, dass die frühere Bausubstanz des übertragenen Hausgrundstücks durch die Generalüberholung möglicherweise untergegangen ist. Denn die von ihm getroffene Entscheidung, weniger werthaltige alte Bausubstanz gegen neue höherwertige Bausubstanz auszutauschen, muss sich der Kläger anrechnen lassen. Sie lässt auch nicht den Wert des übergebenen Grund und Bodens nebst Gebäude und den seit 1991 erlangten Nutzungsvorteil entfallen.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Wert des übergebenen Vermögensgegenstandes nicht auf den Miteigentumsanteil der zuletzt verstorbenen Mutter reduziert werden. Der Kläger hat die Verpflichtung zur Übernahme der Beerdigungskosten beider Eltern im Hinblick auf die sofortige (1991) Übertragung und damit auf die sofortige Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit des gesamten Grundstücks übernommen. Eine rechnerische Reduzierung des Nachlasswertes auf den Miteigentumsanteil der zuletzt verstorebenen Mutter lässt den Vorteil der Übertragung des gesamten Grundstücks noch zu Lebzeiten beider Eltern außer Acht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Erklärung der Finanzminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens (G5)

Am 27. November 2013 haben sich Griechenland, Island, Kolumbien, Liechtenstein, Luxemburg und Malta der Initiative der G5 zum automatischen Informationsaustausch in Steuersachen angeschlossen. Dazu erklären die Finanzminister der G5:

„Wir begrüßen ausdrücklich die Ankündigung von Griechenland, Island, Kolumbien, Liechtenstein, Luxemburg und Malta, sich der G5-Initiative zum automatischen Informationsaustausch in Steuersachen anzuschließen.

Mit dem neuen weltweiten Standard, der Anfang nächsten Jahres fertig gestellt werden soll, werden uns erheblich verbesserte Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um scharf gegen Steuerhinterziehung vorzugehen. Die Bereitschaft, sich der G5-Initiative anzuschließen, zeigt: Griechenland, Island, Kolumbien, Liechtenstein, Luxemburg und Malta haben erkannt, dass Steuertransparenz im Interesse ihres künftigen Wohlstandes liegt. Sie wollen daher bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung mit anderen Staaten zusammenarbeiten.

Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Griechenland, Island, Kolumbien, Liechtenstein, Luxemburg und Malta. Wir möchten insbesondere jede Gelegenheit nutzen, den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen auf allen Ebenen aktiv voranzutreiben. Wir bekräftigen erneut unsere Aufforderung an alle Staaten, sich ebenfalls zur frühzeitigen Einführung des neuen Standards zu verpflichten.“

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Quelle: BMF online