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Nachweis der Grenzgängereigenschaft und Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte

FG Baden-Württemberg Urteil vom 27.9.2012, 3 K 994/09

Pflicht zur Mitwirkung hinsichtlich des Nachweises der Grenzgängereigenschaft – Beibehaltung der Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte nach Änderung des § 20 Abs. 2 AStG durch das JStG 2010

Tenor

 

1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom wird die Einkommensteuer auf EUR festgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger und die Klägerin sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2005 (Streitjahr) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Die Kläger haben zwei leibliche Kinder, die Söhne C (geb. xx.xx.xxxx) und D (geb. xx.xx.xxxx). Die Kläger wohnten im Streitjahr in X / Deutschland/Markgräflerland (… straße). Im Schreiben der Kläger vom 23. Oktober 2006 (Bl. 31/2004 der Einkommensteuerakten Band II -ESt-Akten II-) wird die vorgenannte Anschrift als „Familienwohnsitz“ bezeichnet.
2

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist im Wesentlichen unbegründet (siehe nachfolgend zu I.) und zu einem geringen Teil begründet (siehe nachfolgend zu II.).
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I. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinen Einkünften aus der Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst in Y/CH in vollem Umfang der Besteuerung im Inland unterliegt.
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1. Der Kläger war im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der in Streitjahren geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes -EStG 2005- unbeschränkt einkommensteuerpflichtig; er unterlag daher mit allen im Streitjahr erzielten (Welt-)Einkünften der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812). Er hatte -wie für die Annahme der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erforderlich- im gesamten Streitjahr einen Wohnsitz im Inland.
42
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 2005 sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
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a) Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung muss die natürliche Person die Wohnung nicht zwingend selbst innehaben. Sie kann die Wohnung auch durch ihre Familienangehörigen, insbesondere durch den Ehegatten, innehaben (so bereits: Entscheidung des Reichsfinanzhofs -RFH- vom 10. März 1937 VI A 631/36, Reichssteuerblatt -RStBl- 1937, 498; BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351). Daher spricht eine Vermutung dafür, dass Ehegatten ihren Wohnsitz im Regelfall dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat (BFH-Entscheidungen vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331; vom 2. November 1994, I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 24. September 1965 1 BvR 131/65, Der Betrieb -DB- 1965, 1886, juris). Das setzt voraus, dass die Wohnung auch für den nicht dauernd dort lebenden Familienangehörigen bestimmt ist und dieser die Wohnung ebenfalls als sein Heim betrachtet (RFH-Entscheidung in RStBl 1937, 498; BFH-Urteile vom 29. Oktober 1959 IV 129/58 S, BStBl III 1960, 61; vom 3. März 1978 VI R 195/75, BStBl II 1978, 372; vom 30. August 1989 I R 215/85, BStBl II 1989, 956). Es muss alles dafür sprechen, dass die Person bei sich bietender Gelegenheit zu ihrer Familie zurückkehren wird, um dort gemeinsam mit der übrigen Familie zu wohnen (BFH-Urteil in BStBl III 1960, 61). Kehrt sie stets nur zurück, um die Familie zu besuchen, so besteht kein gemeinsamer Familienwohnsitz (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Wie oft und in welchen Zeitabständen die Person zurückkehrt, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Person anderswo einen (weiteren) Wohnsitz hat oder dass sie nach der Rückkehr stets nur kurzfristig in der Familienwohnung verweilt (Stapperfend in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 1 Anm. 65 und 69 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
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b) Danach kann im Streitfall davon ausgegangen werden (BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2), dass der Kläger im Streitjahr seinen Wohnsitz im Gebäude … straße in X / Deutschland hatte. Dort wohnte seine Familie: Seine (von ihm nicht dauernd getrennt lebende) Ehefrau und die gemeinsamen (im Streitjahr noch minderjährigen) Kinder C und D, mit denen im Streitjahr eine häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Das Gebäude hatte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 2001 zu je ½ Miteigentumsanteil als Heimstatt für seine Familie erworben. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger entgegen der Regel, dass ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen wird und daher auch dort seinen Wohnsitz hat, die Wohnung in X / Deutschland nicht benutzt habe, liegen im Streitfall nicht vor. Der Kläger selbst bezeichnet im Schriftsatz vom 23. Oktober 2006 die Wohnung in X / Deutschland als seinen Familienwohnsitz.
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Der Annahme eines Familienwohnsitzes im Inland steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 1. August 2004 seine Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst der Universität Y/CH aufgenommen hat, nachdem er zuvor als Oberarzt bei den Krankenhaus G/CH (und damit in unmittelbarer Näher zum Familienwohnsitz in X / Deutschland) tätig war. Denn die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Inland am Wohnsitz seiner Familie hat, gilt auch dann (weiter), wenn ein Arbeitnehmer, der im Ausland versetzt wird, seine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, dass sie ihm jederzeit als Bleibe dienen kann (BFH-Urteil in BStBl II 1996, 2). Für eine hiervon abweichende tatsächliche Würdigung wurde vom Kläger nichts vorgetragen. Des Weiteren ergibt auch der sonstige Inhalt der dem erkennenden Senat vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit von seinen Tätigkeitsorten in Y/CH bzw. ab dem 1. Oktober des Streitjahres auch von U/Kanton Z/CH aus nach X / Deutschland zurückkehrte, um dort gemeinsam mit seiner Familie zu wohnen. Seine Aufenthalte in X / Deutschland hatten nach den Gesamtumständen des vorliegenden Einzelfalles nicht lediglich den Charakter von Besuchen, die der Annahme eines Wohnsitzes des Klägers in der Wohnung seiner Familie allerdings entgegenstünden.
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2. Das FA hat zutreffend angenommen, dass die Einkünfte des Klägers aus der (unselbständigen) Tätigkeit für den FDP gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1992 der deutschen Steuer unterliegen.
47
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist (siehe nachfolgend zu b). Grenzgänger i.S. des Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1992). Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfällt bei einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung im anderen Vertragsstaat während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (sog. Nichtrückkehrtage) -siehe nachfolgend zu c-.
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b) Der Kläger war im Streitjahr schon deshalb im Inland ansässig im Sinne des Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992, weil er in X / Deutschland im Gebäude … straße über eine ständige Wohnstätte verfügte (Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu aa) und bb)-) und im Übrigen zur Bundesrepublik Deutschland die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte (Mittelpunkt der Lebensinteressen; Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu cc) und dd)-).
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aa) Eine Wohnstätte ist eine „ständige“ i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, wenn sie auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur gelegentliche Nutzung nicht aus (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 I R 40/97, BStBl II 1999, 207). Erforderlich ist vielmehr eine Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der „ständigen Wohnstätte“ gegenüber dem „Wohnsitz“ i.S. des § 8 AO, für dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur von Fall zu Fall genutzt wird (BFH-Urteile vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812; vom 24. Januar 2001 I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).
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bb) Der Kläger hatte im Streitjahr im Inland eine Wohnstätte. Wohnstätte sind alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Diese Merkmale erfüllt zweifelsohne der Familienwohnsitz des Klägers im Gebäude … straße in X / Deutschland. Der Familienwohnsitz in X / Deutschland diente dem Kläger auch als „ständige“ Wohnstätte, weil der Kläger aufgrund seines (Mit-)Eigentumsrechts ständig über diese verfügen konnte und diese auch zweifelsfrei häufig und regelmäßig im Streitjahr nutzte.
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cc) Bei der Entscheidung der Frage, wo der Kläger den Mittelpunkt der Lebensinteressen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 im Streitjahr hatte, geht es darum, zu welchem Staat er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte. Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen hat der BFH mehrfach Entscheidungen getroffen (s. die Entscheidungen vom 28. November 2007 I B 79/07, juris; vom 23. Oktober 1985 I R 274/82, BStBl II 1986, 133; vom 31.Oktober 1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562; vom 17. Juli 2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600; vom 27. März 2007 I B 63/06, BFH/NV 2007, 1656). Diese Entscheidungen stehen in Übereinstimmung mit Nr. 15 Satz 2 des Musterkommentars zu Art. 4 des OECD-Musterabkommens aus dem Jahr 1977 (OECD-MA), wonach die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen der Person, ihre berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort ihrer Geschäftstätigkeit, der Ort, von wo aus sie ihr Vermögen verwaltet, und ähnliches zu berücksichtigen ist, wobei die Umstände als Ganzes zu prüfen sind. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist damit auf der Grundlage einer zusammenfassenden Wertung sowohl der persönlichen als auch der wirtschaftlichen Beziehungen im konkreten Fall zu ermitteln (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 MA Rz 70). Einer auf den einzelnen Steuerpflichtigen bezogenen zusammenfassenden Wertung ist eine bestimmende (allgemeine) Rangordnung der Kriterien fremd (BFH-Beschluss I B 79/07, juris).
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dd) Bei der Abwägung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers zur Bundesrepublik Deutschland einerseits und zur Schweiz andererseits sprechen alle für den Senat -unter Berücksichtigung der Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Kläger (Hinweis auf die richterliche Anordnung vom 17. November 2010 zu I.)- erkennbaren Umstände dafür, dass die ständige Wohnstätte des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland in X / Deutschland der für ihn bedeutungsvollere Ort war. Dort lebte seine Familie und dort verfügte er über eine ständige Wohnstätte, die in der Form eines eigenen Wohnhauses seine besondere Bindung gerade zu dieser Wohngelegenheit zum Ausdruck brachte. Der Kläger hatte zur Bundesrepublik Deutschland auch wirtschaftliche Beziehungen. Diese bestanden einmal in der Form des (Mit-) Eigentums an dem Wohnhaus … straße in X / Deutschland, das der Kläger mit einem erheblichen finanziellen Aufwand erworben hat. Außerdem übte der Kläger im Inland auch noch eine -wenn auch bescheidene- Tätigkeit im Rahmen eines … handels aus. Im Übrigen wurden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger von einem anderen Ort als X / Deutschland sein Vermögen verwaltete, vorgetragen und solche sind auch aus den, dem erkennende Senat vorliegenden, Akten nicht ersichtlich. Demgegenüber besaß der Kläger im Streitjahr zur Schweiz nur wirtschaftliche Beziehungen durch seine nichtselbständige Tätigkeit für das … dienst in Y/CH und ab dem 1. Oktober dazu noch durch seine selbständige Tätigkeit als xxxx in seiner Praxis in U/Kanton Z/CH. Eine (besonders enge) persönliche Bindung an die Schweiz lässt sich auch im Hinblick auf die ihm (angeblich) zur Nutzung zur Verfügung stehenden Wohngelegenheiten an seinen Tätigkeitsorten in U/Kanton Z/CH und in Y/CH, zu denen der Kläger sich jeden substantiierten Vortrags enthalten hat, nicht erkennen. Angesichts dessen stellen sich die geschäftlichen Beziehungen zur Schweiz insoweit lediglich als gegenwartsbezogen dar, weil sie dem auf Dauer angelegten Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Bundesrepublik Deutschland eine ausreichende finanzielle Grundlage verschaffen sollen.
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c) Der Kläger ist hinsichtlich seiner Tätigkeit für den … dienst Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992, weil mangels eines Nachweises davon auszugehen ist, dass er im Streitjahr nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992).
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aa) Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Gesetzes vom 30. September 1993 zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992 zum DBA-Schweiz 1971 -Zustimmungsgesetz- (BGBl II 1993, 1886, BStBl I 1993, 927) hat der Arbeitgeber nach amtlich vorgeschriebenem Muster (vgl. hierzu: BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, Rz 18 i.V.m. Anlage Gre-3a [S. 703 ff. a.a.O.]) die Tage der Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung zu bescheinigen, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr Grenzgänger ist (Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1992). Nach Nr. II. 5 Satz 1 des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 -Verhandlungsprotokoll- (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929) ist die Bescheinigung des Arbeitgebers über die Tage der Nichtrückkehr mit einem Sichtvermerk der für den Arbeitsort zuständigen Finanzbehörde zu versehen.
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Diese Bescheinigung schließt Ermittlungen der für den Wohnsitz zuständigen Finanzbehörde nicht aus (Nr. II. 5 Satz 2 des Verhandlungsprotokolls). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Bescheinigung im Inland weder für das Finanzamt noch für das Finanzgericht verbindlich (BFH-Urteil vom 3. November 2010 I R 4/10, BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.a, m.w.N.). Nach Schweizer Rechtsauffassung wird mit der Bescheinigung des Arbeitgebers auf dem amtlichen Vordruck Gre-3a (BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, 703) der Nachweis der Nichtrückkehrtage grundsätzlich erbracht, und nur in Ausnahmefällen hat die (Schweizerische) Steuerbehörde das Recht, die bescheinigten Nichtrückkehrtage zu überprüfen (Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, Band 8 B 15 a.2 Nr. 31 Ziff. 3 Buchstabe c Doppelbuchst. aa).
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bb) Der Steuerpflichtige trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast bzw. Darlegungslast) dafür, dass er -z.B. wegen einer Übernachtung in der Schweiz- an einem Arbeitstag nicht an seinen Wohnsitz im Inland zurückgekehrt ist und im Übrigen auch dafür, dass dies auf Grund der Arbeitsausübung in der Schweiz geschehen ist (BFH-Urteil in BStBl II 2011, 800).
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cc) Eine Entscheidung nach den zuvor dargelegten Beweislastregeln kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die mangelnde Sachaufklärung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, die gerade dem Zweck dienen sollen, solche Mängel zu vermeiden. Wirkt der Steuerpflichtige nicht mit (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO), mindert sich die Verpflichtung des Finanzgerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und das Beweismaß (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.b cc; vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201). Das Finanzgericht kann sich damit begnügen, zu einem geringeren Grad als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt bzw. nicht vorliegt. Berühren die verletzten Mitwirkungspflichten Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich (der alleinigen Interessenssphäre) des Steuerpflichtigen, kann das Finanzgericht aus diesem Verhalten des Steuerpflichtigen für diesen nachteilige Schlüsse ziehen. Es kann auch einen für den Steuerpflichtigen belastenden Sachverhalt im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellen, um zu vermeiden, dass demjenigen, der sich seinen Mitwirkungspflichten entzieht, daraus ein Vorteil entsteht. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht und des Beweismaßes sind die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie das vorausgegangene Tun des Steuerpflichtigen und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die des Finanzgerichts umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von Steuerpflichtigen beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (BFH-Urteile vom 9. Juni 2005 IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462).
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dd) Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, obliegt dem Steuerpflichtigen eine erhöhte Aufklärungs-, Mitwirkungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO). Der betroffene Steuerpflichtige muss in einem solchen Fall Beweismittel beschaffen (BFH-Beschluss vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297) und ggf. Beweisvorsorge treffen (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007  X B 34/07, BFH/NV 2008, 597) und z.B. einen im Ausland ansässigen Zeugen -ohne Ladung durch das Gericht- zu einer Sitzung des Finanzgerichts stellen (BFH-Beschluss vom 11. November 2005 II B 101/04, BFH/NV 2006, 577).
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Des Weiteren muss der Steuerpflichtige eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße, durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 90 AO Rz 152 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Ist die Pflicht nach § 90 Abs. 2 AO (i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO) verletzt und lässt sich der Sachverhalt nicht anderweitig aufklären, kann das Gericht zum Nachteil des mitwirkungsverpflichteten Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung von dessen Beweisnähe und Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (Thürmer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 76 FGO Rz 120 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).Hierfür ist insbesondere die Erwägung maßgebend, dass demjenigen, der seinen ihm obliegenden allgemeinen und besonderen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten nicht nachkommt, aus seinem Verhalten kein Vorteil entstehen darf; zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses sind auch belastende Unterstellungen oder nachteilige Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gerechtfertigt (BFH-Urteile vom 13. November 1985 I R 7/85, BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c; in BStBl II 1989, 462; von Groll in: Gräber, FGO, Kommentar, 7. Aufl., § 96 Rz 12; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung)
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ee) Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 AO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) der Anzahl der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 durch das Finanzgericht ist nach Auffassung des BFH nicht zulässig (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 800, zu II.2.b cc bbb).
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ff) Im Streitfall sind die Kläger ihren prozessualen Mitwirkungs- Informations- und Nachweispflichten in einer besonders gravierenden Weise nicht nachgekommen.
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aaa) Mit ihrer Klage begehren die Kläger, dass der Kläger mit seinen vom … dienst bezogenen Einkünften aus unselbständiger Arbeit im Inland von der Einkommensteuer freigestellt werde, weil er an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt sei (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Der Kläger hat trotz mehrfacher Aufforderungen durch das FG (Hinweis auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin) und das FA (s. u.a. dessen Schreiben vom 8. Dezember 2008) nicht die gesetzlich vorgeschriebene Bescheinigung seines Arbeitgebers (des … dienst der Universität Y/CH) i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Zustimmungsgesetzes vorgelegt, in der für das Streitjahr die Tage der Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in X / Deutschland aufgrund seiner Arbeitsausübung für den … dienst dargelegt werden. Hierzu wäre es notwendig gewesen, dass der Kläger -wie im amtlichen Vordruck zur Arbeitgeberbescheinigung ausdrücklich verlangt (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [705 und 706])- auf einem gesonderten Blatt eine Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage unter Angabe des jeweiligen Datums eingereicht hätte. Warum diese Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage und die vom Arbeitgeber des Klägers unterschriebene Bescheinigung nicht vorgelegt wurden, wurde vom Kläger nicht dargelegt.
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bbb) Des Weiteren hätte in der zuvor erwähnten -auf einem gesonderten Blatt zu erstellenden- Einzelaufstellung (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [706]) der Ort angegeben werden müssen, an dem sich der Kläger an den einzelnen Tagen der Nichtrückkehr jeweils aufgehalten hat und schließlich auch der Anlass der Nichtrückkehr. Hierzu hätten insbesondere deshalb Angaben gemacht werden müssen, weil der Kläger im Streitjahr eine selbständige freiberufliche Tätigkeit im Sinne von Art. 14 DBA-Schweiz 1971 als xxx xxxx in U/Kanton Z/CH (Entfernung Y-U: ca. 92 km; U-X / Deutschland: ca. 66 km, s. die Routenplaner lt. Bl. 5 und 6 der Rb-Akten) aufgenommen hat (s. Erhard in: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Kommentar, Art. 14 ABC der Freiberufler Rz 126 [S. 43]) und Tage, an denen er auf Grund dieser Tätigkeit nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist, bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 nicht zu berücksichtigen sind (BFH-Urteil vom 11. November 1009 I R 15/09, BStBl II 2010, 602). Insoweit fehlt es an einer vollständigen und wahrheitsgemäßen durch das Gericht überprüfbaren Darlegung eines für die Annahme von Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 sprechenden Sacherhalts (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § xx AO Rz 152).
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ccc) Im Übrigen hat der Kläger auch im Gegensatz zu seinen prozessualen Mitwirkungspflichten keine Angaben zu den Ausführungen der Chefärztin im Schreiben im Schreiben vom 25. April 2005 gemacht, nach denen seine Anwesenheit unter der Woche in Y aus dienstlichen Gründen „wegen der kurzfristigen Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft obligat“ gewesen sei.
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Nach der Rechtsprechung des BFH (s. die Urteile vom 27. August 2008 I R 10/07 BStBl II 2009, 94; I R 64/07, BStBl II 2009, 97) ist es -auf der Basis der jeweils getroffenen Abmachungen und deren tatsächlicher Durchführung- gerade bei Ärzten möglich, dass bei einer mehrtägigen, ohne Unterbrechung ausgeübten Tätigkeit eines Arbeitnehmers (i.S. einer „Einsatzbereitschaft“) nicht jeder Tag, an dem der Arbeitnehmer an seinen Wohnsitz im Inland nicht zurückgekehrt ist, als Nichtrückkehrtag i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 zählt, weil ein mehrtägiger Einsatz vielmehr als eine „Arbeitseinheit“ zu behandeln ist (Hinweis auf Pikettdienste, Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste; vgl. hierzu: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., a.a.O., Art. 15a Rz 38-41 mit umfangreichen Nachweisen). Der Kläger wurde deshalb zusammen mit der Ladung zum Erörterungstermin und unter Hinweis auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 17. Juli 2009 S 130.1/670 – St 217 (Internationales Steuerrecht -IStR- 2010, 662), mit denen die in den BFH-Urteilen in BStBl II 2010, 94 und 97 dargelegten Rechtsgrundsätze umgesetzt werden sollten, aufgefordert, zu der „Einsatzbereitschaft“ Unterlagen vorzulegen (Arbeitszeitlisten und Dienstpläne zu Pikettdiensten und Rufbereitschaften usw.; s. Art. 115 ff. der Personalverordnung vom 18. Mai 2005 -PV- des Regierungsrats des Kantons Y, Bl. 64 ff. der FG-Akten) und darüber hinaus weitere Angaben zur tatsächlichen Gestaltung der im Schreiben der Chefärztin vom 25. April 2005 erwähnten Einsatzbereitschaft zu machen (insbesondere auch zur sog. Interventionszeit). Auch diese Aufforderung blieb ergebnislos. Warum diese Aufforderung nicht befolgt wurde, wurde nicht dargelegt.
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ddd) In der „Bestätigung“ der Chefärztin vom 25. April 2005 wird wohl im Hinblick auf die angeblichen Nichtrückkehren des Klägers auf mindestens zwei dienstliche Pflichtveranstaltungen in der Woche mit einer Dauer bis 22.00 Uhr und länger verwiesen und im Übrigen darauf, dass der Dienstbeginn des Klägers um 8.00 Uhr sei (vgl. hierzu Art. 125 PV).
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Nach Art. 124 PV beträgt die Arbeitszeit (für das gesamte Kantonspersonal -zu dem auch der Kläger als Angestellter der Universität Y/CH gehört-) bei einem Beschäftigungsgrad von 100 % (wie im Falle des Klägers: s. den Anstellungsvertrag vom 28. April 2004) 42 Stunden pro Woche. Im Übrigen beträgt die Entfernung zwischen dem Arbeitsort des Klägers in Y und seinem Wohnsitz in X / Deutschland nach den zutreffenden Ermittlungen des FA ca. 100 km und die Fahrtdauer ca. 1 Stunde (s. die Angaben im Routenplaner, Bl. 9 der ESt-Akten S). Um hieran anschließend den Umfang der tatsächlichen Arbeitszeit (unter Berücksichtigung eines evtl. Freizeitausgleichs) feststellen zu können, die je nach Gestaltung ein Indiz für eine Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung an einem Arbeitstag hätte sein können im Rahmen der Entscheidung des Senats nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wurde der Kläger durch den Berichterstatter u.a. darum gebeten, einen Bediensteten der Universität Y/CH, der zu den vereinbarten und durchgeführten Diensten Angaben machen kann, in den Gerichtstermin zu stellen. Diese Aufforderung blieb ergebnislos. Gründe hierfür wurden vom Kläger nicht dargelegt.
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eee) Der Kläger ist im Übrigen insoweit seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, als er, wie sich schon aus den zuvor dargelegten Erwägungen ergibt, keine -in Nr. II.5. Satz 1 des Verhandlungsprotokolls erwähnte- Arbeitgeberbescheinigung über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Arbeitstagen versehen mit einem Sichtvermerk derkantonalen Steuerverwaltung des Kantons Y (der für den Arbeitsort des Klägers in Y/CH zuständigen Finanzbehörde) vorgelegt hat.
69
fff) Schließlich haben die Kläger ihre prozessualen Mitwirkungspflichten dadurch verletzt, dass sie, obwohl ihr persönliches Erscheinen zum Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats zur Klärung der sich im vorliegenden Streitfall stellenden Tat- und Rechtsfragen (Hinweis auf die zusammen mit der Ladung verfügten richterlichen Anordnungen) bestimmt worden war, ohne Angabe von (irgendwelchen) Gründen nicht erschienen sind und darüber hinaus durch ihren Prozessbevollmächtigten erklären ließen, dass sie auch an evtl. weiteren Gerichtsterminen nicht teilnehmen werden. Insoweit hat der Kläger seine (Informations-)Pflichten unterlaufen, ggf. im Anschluss an entsprechende Fragen des Gerichts, eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts zu geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 90 AO Rz 152).
70
ee) Im Anschluss an die zuvor dargelegten Verletzung der prozessualen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten durch den (bzw. die) Kläger ist der erkennende Senat mit einem geringeren Maß als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt (Heuermann, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2005, 371), dass der Kläger nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung für den … dienst nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland nicht zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Eine hiervon abweichende Entscheidung zugunsten des Klägers mit der Annahme von mehr als 60 Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 wäre im Übrigen wegen der durch die Kläger verursachten Unaufgeklärtheit des entscheidungserheblichen Sachverhalts nur auf der Grundlage einer Schätzung i.S.v. § 162 Abs. 1 AO möglich. Eine solche Schätzung (von Nichtrückkehren an den Wohnsitz des Klägers im Inland) ist jedoch, wie der BFH im Urteil in BFH/NV 2011, 800 ausgeführt hat, rechtlich nicht zulässig. Im Übrigen entspricht die Annahme des erkennenden Senats nach einer freien Überzeugungsbildung, der Kläger habe nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 verwirklicht, dem allgemeinen Prozessgrundsatz, dass die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken müssen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) und die Aufklärung eines unklaren Sachverhalts vor allem Sache desjenigen ist, der dem Sachverhalt -wie im Streitfall der Kläger- am nächsten steht, weshalb ihn der Nachteil treffen soll und muss, wenn ein solcher Sachverhalt nicht restlos aufgeklärt werden kann (BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c).
71
3. Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der hier in Rede stehenden Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit auf Grund der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz 1992 ist damit nicht wegen der 60-Tage-Regelung in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfallen. Der Kläger unterliegt als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus unselbständiger Arbeit gemäß Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 der Einkommensteuer. Die vom Arbeitgeber des Klägers nicht auf der Grundlage der für den Einbehalt von Quellensteuer vom Arbeitslohn für Grenzgänger geltenden Vorschrift von Art. 15a Abs. 3 Buchstabe b DBA-Schweiz 1992 und sonach abkommenswidrig vom Arbeitslohn des Klägers einbehaltene und an die ESTV abgeführte Quellensteuer ist -entgegen der Auffassung des Klägers (s. dessen Schriftsatz vom 14. Januar 2011, Bl. 135 der FG-Akten)- nicht gemäß § 34c EStG 2005 auf die Einkommensteuer anzurechnen (Art. 15a Abs. 3 Buchstabe a DBA-Schweiz 1992; inzwischen ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. Entscheidungen vom 2. März 2010 I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820; vom 8. Dezember 2010 I R 92/09, BStBl II 2011, 488; vom 1. Juli 2009 I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992).
72
II. 1.a) Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sind in Übereinstimmung mit den Darlegungen des Klägers im Schriftsatz vom 14. März 2011 gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG 2005 dessen Aufwendungen für die Wege zwischen seiner Wohnung in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH noch zu berücksichtigen. Die Entfernungspauschale von 0,30 EUR ist allerdings nicht auf die Grundlage von 220 Arbeitstagen und einer Entfernung von xx Kilometer zwischen Wohnung des Klägers in X / Deutschland und dessen Arbeitsort in Y/CH anzuwenden (insgesamt: x.xxx EUR). Der erkennende Senat geht nach seiner aus dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens gewonnenen Überzeugung davon aus (s. die Erwägungen zu 2.c), dass dem Kläger insoweit Aufwendungen entstanden sind, die in Höhe der Jahresgrenze von 4.500 EUR (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG 2005) als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu behandeln sind. Nachweise dafür, dass über die Jahresgrenze hinaus Aufwendungen anzusetzen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 2 EStG 2005 -bei Benutzung eines eigenen oder dem Kläger zur Nutzung überlassen Kraftwagen- bzw. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG 2005 -bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln-), hat der Kläger nicht vorgelegt, so dass es beim Ansatz von Werbungskosten in Höhe der Jahresgrenze verbleibt, zumal der Prozessbevollmächtigte im Erörterungstermin vom 17. Januar 2011 angegeben hat, der Kläger sei mit der Eisenbahn gefahren.
73
b) Die vom Kläger noch geltend gemachten Aufwendungen für die Miete von Wohnräumen in U/Kanton Z/CH bzw. in Y/CH können schon deshalb nicht einkommensteuermindernd berücksichtigt werden, weil der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten (Hinweis auf die verschiedenen Aufklärungsanordnungen des FA und auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin mit Aufforderung, Angaben zur Nutzung, Einrichtung und Ausstattung der behaupteten Räumlichkeiten, die anderen Vertragsparteien als Zeugen zu stellen usw.) in gravierender Weise verletzt hat. Der erkennende Senat geht insoweit nach seiner freien Überzeugungsbildung davon aus (BFH-Urteil in BFH/NV 1985, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c), dass die Vereinbarung eines auch tatsächlich durchgeführten Mietverhältnisses nicht angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der erkennende Senat, dass der Kläger dem FG für die Anmietung einer Wohnung in U/Kanton Z/CH kein Mietvertrag, keine Angaben zur Lage und der (inneren) Gestaltung der Wohnung und keine Darlegungen und Nachweise zur Mietzahlung vorgelegt wurden.
74
2. Zu Unrecht hat das FA die Einkünfte des Klägers aus seiner ab dem 1. Oktober des Streitjahres in U/Kanton Z/CH ausgeübten freiberuflichen Praxis als xxx xxxx der Besteuerung im Inland unterworfen.
75
a)Der Kläger, der in X / Deutschland und damit im Inland ansässig ist und deswegen hier mit seinen (gesamten) Einkünften (sog. Welteinkommensprinzip) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG), erzielt mit seinem Gewinn aus der in U/Kanton Z/CH ausgeübten Tätigkeit als xxx xxxx infolgedessen Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. Erhard in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., Art. 14 Rz 126 ABC der Freiberufler Stichworte: Psychologe, Psychotherapeut/Psychoanalytiker; Schmidt/Wacker, EStG, Kommentar, 32,. Aufl., § 18 Anm. 155 Stichworte: Psychotherapeut/Psychologe; jeweils mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Um eine doppelte Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat und in der Schweiz als dem Staat, in dem die feste Einrichtung liegt, zu vermeiden, haben sich beide Staaten jedoch abkommensrechtlich und völkerrechtlich verbindlich im DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das Besteuerungsrecht für die der festen Einrichtung in der Schweiz zuzurechnenden Einkünfte gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 der Schweizerischen Eidgenossenschaft zuzuweisen. In der Bundesrepublik Deutschland sind diese Einkünfte nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 von der Steuer befreit (unter Progressionsvorbehalt i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005).
76
b) Dieser Steuerbefreiung steht nicht die Vorschrift des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) entgegen.
77
Allerdings bestimmt § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AStG a.F. (in der ursprünglich im Streitjahr geltenden Fassung -vgl. hierzu eine selbständige Arbeit in der Schweiz betreffend: Günther/Simader/Tüchler, IStR 2009, 490, zu 3.-), dass abweichend von der zuvor dargelegten Abkommenslage die Doppelbesteuerung von hier in Rede stehenden (freiberuflichen) Einkünften für die Erbringung von Dienstleistungen i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 AStG a.F.; Reiche in: Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., 2012, I AStG § 8 Rz 47-53), die in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen anfallen, nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen (Quellen-)Steuern zu vermeiden ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Juni 2010, Bundestags-Drucksache -BT-Drs- 17/2249, Begründung zu Artikel 7 [AStG] zu Nummer 2 [§ 20 Absatz 2 Satz 2 – neu] S. 85).
78
Diese Rechtslage hat inzwischen durch den Gesetzgeber eine Änderung erfahren. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG in der Fassung von Art. 7 Nr. 3 des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) -JStG 2010- gilt das zuvor Dargelegte nicht, soweit in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) Einkünfte anfallen, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären. Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F. ist dabei in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer -wie z.B. im  Streitfall- noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 21 Abs. 19 Satz 2 AStG n.F. (in der Fassung von Art. 7 Nr. 4 Satz 2 JStG 2010; vgl. hierzu: Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, § 20 AStG Rz 165; Hahn in: Lademann, Außensteuergesetz, Handkommentar, § 20 Rz 235).
79
c) Im Streitfall erfüllt der Kläger mit seiner Tätigkeit in U/Kanton Z/CH den Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F.), sodass es entgegen den Vorschriften des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AStG bei der Freistellung der vom Kläger erzielten Einkünfte gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt und diese Einkünfte bei der Besteuerung im Inland lediglich dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005 unterliegen.
80
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (sog. Bedienenstatbestand) ist Zwischengesellschaft eine ausländische Gesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus Dienstleistungen stammen, soweit sich die ausländische Gesellschaft für die Dienstleistung nicht eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne von § 1 Abs. 2 nahestehenden Person bedient, die mit ihren Einkünften aus von ihr beigetragenen Leistung im Geltungsbereich dieses Gesetzes steuerpflichtig ist.
81
Hieraus ergibt sich, dass es im Streitfall bei der Freistellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt (und nicht von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AStG übergegangen werden darf), weil der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland mit seinen Einkünften aus der Erbringung von Dienstleistungen i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (hier: Leistungen als xxx xxxx), die einer festen Einrichtung in der Schweiz (hier: in U/Kanton Z/CH) zuzurechnen sind, unbeschränkt steuerpflichtig ist (s. zuvor zu I.1.; Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 20 AStG Rz 142 und 166; BT-Drs 17/2249 S. 85 zu Artikel 7 zu Nummer 2; Benecke/Schnitger, IStR 2010, 432 zu 3.2; Haase, IStR 2011, 338; Kaminski, IStR 2011, 137, zu 3).
82
III. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger -soweit ihre Klage keinen Erfolg hatte – gemäß § 135 Abs. 1 FGO zu tragen. Soweit sie mit ihrer Klage Erfolg hatten (s. zuvor zu II.), haben sie gleichwohl die Kosten zu tragen, weil insoweit das FA nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Soweit die Klage hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für die Wege zwischen seinem Wohnort in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH Erfolg hatte, beruht die Kostentragungspflicht der Kläger im Übrigen auch auf § 137 Satz 1 FGO. Denn die Entscheidung beruht insoweit auf Tatsachen, die der Kläger früher hätte geltend machen und beweisen können und sollen und nicht erst im Klageverfahren (Hinweis auf den Schriftsatz vom 14. Januar 2011).
83
IV. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die für eine Zulassung erforderlichen Voraussetzungen (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.

„Bettensteuer“ muss gezahlt werden

„Bettensteuer“ muss gezahlt werden

04.04.2013

Finanzgericht Hamburg weist in einer ersten Entscheidung zu Hamburgs Kultur- und Tourismustaxe den Antrag eines Hotelbetreibers auf einstweilige Anordnung zurück.

Hamburg hat – dem Vorbild anderer Städte folgend – zum 1.1.2013 eine Kultur- und Tourismustaxe (auch Bettensteuer genannt) eingeführt. Für jede private Hotelübernachtung entsteht eine Steuer von 50 Cent aufwärts. Bei einem Zimmerpreis von 200 € beträgt sie 4 € und steigt um einem Euro für jede weiteren 50 €. Geschäftsreisende sind – höchstrichterlicher Rechtsprechung folgend – von der Steuer ausgenommen, sofern der Hotelbetreiber, der die Steuer vierteljährlich anzumelden und abzuführen hat, die berufliche Veranlassung der Übernachtung nachweist.

Die Antragstellerin betreibt in Hamburg mehrere Hotels im Niedrigpreis-Segment. Schon vor dem ersten Anmelde-Stichtag am 15.4.2013 hat sie beim Finanzgericht Hamburg Klage er-hoben und zusätzlich vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Das Finanzgericht möge fest-stellen, dass sie bis zur Entscheidung über ihre Klage nicht zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer verpflichtet sei. Sie meint, die Steuer sei zu kompliziert und verletze sie in ihren Grundrechten. Da ihr Geschäftsmodell auf sehr niedrigen Preisen basiere, sei sie gezwungen, die Steuer den privat Reisenden in Rechnung zu stellen und für die Geschäfts-reisenden die Steuerfreiheit in Anspruch zu nehmen. Es sei ihr nicht zumutbar, bis zu 1000 Gäste täglich zu befragen und Nachweise zu erstellen. Auch sei nicht sichergestellt, dass die Steuer tatsächlich überall gleichmäßig erhoben werde.

Der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkten Überprüfung hat der 2. Senat keine Verfassungsverstöße festgestellt. Die Steuer könne von den Hotelbetreibern anhand des Gesetzes unproblematisch berechnet werden. Für den Nachweis der Steuerfreiheit für Geschäftsreisende gebe es einfach auszufüllende Formulare. Es sei nicht zu beanstanden, wenn Hotelgäste beim Einchecken befragt werden müssen, ob sie geschäftlich unterwegs seien. Außerdem habe der Hotelbetreiber die Möglichkeit, seinen Aufwand dadurch gering zu halten, dass er die nicht besonders hohen Steuerbeträge generell in seine Übernachtungspreise einkalkuliere und so auf alle Kunden abwälze. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit sei nicht zu erkennen. Der 2. Senat sieht die gleichmäßige Erhebung der Steuer nicht in Frage gestellt.

Der 2. Senat hat in seinem Beschluss (Az.: 2 V 26/13) die Beschwerde nicht zugelassen.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 V 26/13
Beschluss des Senats vom 03.04.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: KTTG § 1, KTTG § 3, KTTG § 4, KTTG § 5, KTTG § 6, KTTG § 7, KTTG § 8, KTTG § 9, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 12 Abs. 1, GG Art. 14 Abs. 1, GG Art. 19 Abs. 3, GG Art. 20 Abs. 3
Leitsatz: 1. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch dazu statthaft, um vorläufig zu verhindern, die Berechnungs-, Anmelde- und Abführungspflichten einer neu eingeführten Steuer erfüllen zu müssen.
2. Die Verpflichtungen zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Hamburgischen Kultur- und Tourismustaxe sind nach dem im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung anzuwendenden Maßstab verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Überschrift: Kommunale Aufwandsteuern: Hamburgische Kultur- und Tourismustaxe
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Verpflichtung der Antragstellerin, die Hamburgische Kultur-und Tourismustaxe zu berechnen, anzumelden und abzuführen.
Die Antragstellerin betreibt in Hamburg an … Standorten Beherbergungsbetriebe im niedrigpreisigen Bereich in Form von Hotels/Hostels. Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg beschloss am 4. Dezember 2012 das Hamburgische Kultur-und Tourismustaxengesetz (im Folgenden: KTTG). Das Gesetz wurde im Hamburgischen Gesetz-und Verordnungsblatt vom 18. Dezember 2012 verkündet (HmbGVOBl 2012, 503) und trat zum 1. Januar 2013 in Kraft (§ 12 Abs. 1 KTTG).
Das Gesetz enthält – soweit vorliegend erheblich – im Wesentlichen folgende Regelungen:
㤠1
Steuergegenstand
(1) Der Steuer unterliegt der Aufwand für die entgeltliche Übernachtung einer Person in der Freien und Hansestadt Hamburg in einem Beherbergungsbetrieb. Als Übernachtung gilt bereits die entgeltliche Erlangung der Beherbergungsmöglichkeit unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme. Der Übernachtung steht die Nutzung der Beherbergungsmöglichkeit, ohne dass eine Übernachtung erfolgt, gleich, sofern hierfür ein gesonderter Aufwand betrieben wird. Ausgenommen von der Steuer sind Übernachtungen, die für eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgastes zwingend erforderlich sind. Der Betreiber des Beherbergungsbetriebes hat die zwingende Erforderlichkeit einer Übernachtung für eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgastes durch geeignete Belege nachzuweisen.
(2) Als Beherbergungsbetrieb gilt jeder Betrieb, bei dem Tätigkeiten zur Bereitstellung von kurzzeitigen Beherbergungsmöglichkeiten ausgeübt werden. Nicht als Übernachtung im Sinne des Gesetzes gilt das Unterkommen in Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Alten-und Pflegeheimen, Hospizen und vergleichbaren Einrichtungen, die dem Unterkommen von Personen in besonderen sozialen Situationen dienen.
§ 2
Bemessungsgrundlage
(1) Die Steuer bemisst sich nach dem für die Übernachtung geschuldeten Entgelt ohne Umsatzsteuer (Nettoentgelt). Unerheblich ist, ob das Nettoentgelt vom Gast oder von einem Dritten für den Gast geschuldet wird. Im Falle der Belegung eines Zimmers durch mehrere Personen gilt vorbehaltlich einer anderweitigen Abrechnung das nach Köpfen verteilte Gesamtentgelt des Zimmers als geschuldetes Entgelt des Übernachtungsgastes.
(2) …
§ 3
Steuerpauschalsätze
Die Steuer beträgt je Gast und Übernachtung bei einem Nettoentgelt von bis zu
10 Euro 0 Euro,
25 Euro 0,50 Euro,
50 Euro 1 Euro,
100 Euro 2 Euro,
150 Euro 3 Euro,
200 Euro 4 Euro.
Je weitere angefangene 50 € Nettoentgelt erhöht sich die Steuer um jeweils einen Euro.
§ 4
Steuerschuldner, Haftungsschuldner
(1) Steuerschuldner ist der Betreiber oder die Betreiberin des Beherbergungsbetriebes.
(2) Hat der Gast hinsichtlich der zwingenden beruflichen oder betrieblichen Veranlassung seiner Übernachtung falsche Belege vorgelegt oder falsche Angaben gemacht, haftet er für die entgangene Steuer. § 219 der Abgabenordnung gilt diesen Fällen nicht.
§ 5
Entstehung und Fälligkeit der Steuer
(3) Die Steuer entsteht mit der Beendigung der Beherbergungsleistung.
(4) Die Steuer ist am 15. Tag nach Ablauf des Anmeldungszeitraumes fällig und an das Finanzamt abzuführen.
§ 6
Anzeigepflicht, Steueranmeldung
(1) …
(2) Der Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr.
(3) Der Betreiber oder die Betreiberin des Beherbergungsbetriebes hat bis zum 15. Tag nach Ablauf des Anmeldungszeitraums eine Steueranmeldung nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck unter Angabe der Gesamtzahl der Übernachtungen, der Anzahl der steuerpflichtigen Übernachtungen sowie der
Anzahl der Übernachtungen mit zwingender beruflicher oder betrieblicher Veranlassung bei der zuständigen Behörde abzugeben, in der die abzuführende Steuer selbst zu berechnen ist. Die Anmeldung im Sinne dieser Vorschrift ist eine Steueranmeldung gemäß § 150 der Abgabenordnung.
(4) Gibt der Betreiber oder die Betreiberin des Beherbergungsbetriebes eine Anmeldung nicht ab, obwohl er hierzu verpflichtet ist, oder hat er die Steuer fehlerhaft berechnet, so kann das Finanzamt die Steuer durch Bescheid festsetzten. Steuermehrbeträge aufgrund von Festsetzungen nach Satz 1 sind innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides zu entrichten.
§ 7
Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten
Der Betreiber oder die Betreiberin des Beherbergungsbetriebes hat die Namen und die Dauer des Aufenthalts aller Übernachtungsgäste in geeigneter Form aufzuzeichnen. Minderjährige Kinder in Begleitung eines Elternteils oder beider Elternteile sind nur der Zahl nach anzugeben. Diese Aufzeichnungen und die Belege zum Nachweis der zwingenden Erforderlichkeit einer Übernachtung für eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgastes gemäß § 1 Absatz 1 Satz 4 sind für einen Zeitraum von vier Jahren beginnend mit dem Ablauf des Jahres der Steuerentstehung aufzubewahren.“
Die Freie und Hansestadt Hamburg stellt Formulare bereit für die Anmeldung der Kultur- und Tourismustaxe beim Antragsgegner (§ 6 Abs. 3 Satz 1 KTTG) und für den Nachweis, dass die Übernachtung für eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgast zwingend erforderlich ist (§ 1 Abs. 1 Satz 4 und 5 KTTG: Arbeitgeberbestätigung, Bestätigung für eigenberufliche Tätigkeiten).
Die Antragstellerin hat am 25. Januar 2013 Feststellungsklage erhoben (2 K 25/13) und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Ihren Antrag begründet sie wie folgt:
Der Antrag sei gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft. Dies folge daraus, dass auch die Klage in der Hauptsache als Feststellungsklage nach § 41 FGO zulässig sei. Damit werde keine verdeckte Normenkontrollklage erhoben, sondern die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt. Ihr, der Antragstellerin, gehe es darum, feststellen zu lassen, dass sie nicht verpflichtet sei, in ihren Beherbergungsbetrieben die Kultur-und Tourismustaxe zu erheben und sie gemäß § 6 KTTG beim Antragsgegner anzumelden und abzuführen. Sie könne auch nicht darauf verwiesen werden, zunächst eine Steueranmeldung abzugeben und gegen diesen Verwaltungsakt mit einem Einspruch und einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vorzugehen. Ihr Rechtsschutzbegehren bestehe darin, bereits jetzt von der Erhebungs- und Anmeldepflicht bis zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache befreit zu sein. Ihr Ziel sei es, einen erheblichen, nicht rückgängig zu machenden und nicht Erfolg versprechenden Aufwand zur Erhebung der Taxe bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig nicht betreiben zu müssen. Eine einstweilige Anordnung sei deshalb zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes der zutreffende Rechtsbehelf.
Wegen der komplizierten Staffelung der Beträge und des Fehlens einer Übergangsfrist sei es ihr, der Antragstellerin, nicht möglich, einen reibungslosen, einigermaßen ökonomisch sinnvollen und zielführenden Erhebungsvorgang zu organisieren. Bei Online-Buchungen seien die gestaffelten Beträge der Taxe
datenverarbeitungstechnisch nicht darstellbar. Sowohl bei solchen Buchungen als auch bei Buchungen im Reisebüro müsse deshalb die Auskunft unterbleiben, ob der Aufenthalt beruflich oder privat veranlasst sei. Die Veranlassung der Reise könne erst beim Check-In an der Rezeption vor Ort ermittelt werden. Bei einer Check-In Software könnten die zu erhebenden Beträge nicht abgebildet werden. Daher müsse die Erhebung und Berechnung im Einzelfall vor Ort durch das Personal manuell erfolgen. Dies sei ihr, der Antragstellerin, – zumindest ohne Übergangsfrist – nicht möglich, obwohl sie bereits erheblichen Aufwand betrieben habe.
Sie, die Antragstellerin, habe in ihren … Häusern in Hamburg im Jahr 2012 bei 222.694 Anreisen 463.224 Übernachtungen durchgeführt. Dies bedeute, dass an den Rezeptionen täglich bis zu 1.000 Anmeldungen erfolgten. Wegen dieser hohen Zahl müssten die Vorgänge ökonomisch gestaltet werden. Im Jahr 2012 habe ein Check-In etwa 2:10 Minuten gedauert. Nunmehr nehme allein die Datenerhebung für die Taxe 3 Minuten in Anspruch. Der zeitliche Aufwand habe deshalb um rund 150 % zugenommen. Es seien 1.108 Arbeitsstunden zusätzlich zu leisten. Ihr, der Antragstellerin, stünden dafür weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht die erforderlichen personellen Ressourcen zur Verfügung. Sie müsse äußerst kurzfristig eine Vielzahl neuer Mitarbeiter einstellen, was tatsächlich nicht möglich sei, weil typischerweise Teilzeitkräfte bei ihr beschäftigt seien. Erweise sich das Gesetz später als rechtswidrig, müsse sie, die Antragstellerin, den neuen Mitarbeitern wieder kündigen. Dies sei arbeitsrechtlich schwierig und ihr nicht zumutbar. Ihr Personal sei zudem bei der Berechnung der Taxe überfordert.
Wegen ihres Low-Budget-Geschäftsmodells und der damit verbundenen geringen Gewinnspanne von nur 4-5 % pro Übernachtung stehe ihr, der Antragstellerin, nicht die Möglichkeit offen, auf die Abwälzung der Abgabe zu verzichten und sie zunächst aus Wirtschaftlichkeitsüberlegungen aus eigener Tasche zu bezahlen.
Die schon gegenwärtig rechtswidrig erhobenen Beträge könnten bei Abwarten einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht unmittelbar vom Antragsgegner an die Übernachtungsgäste zurückerstattet werden. Es sei nur eine Erstattung an den Betreiber möglich, welcher die Beträge dann wiederum an die Gäste weiterleiten müsse. Beides ziehe einen erheblichen Aufwand nach sich. Angesichts ihrer Übernachtungszahlen sei ein solches Rückerstattungsverfahren nicht nur ökonomisch nicht sinnvoll, sondern unzumutbar und rein faktisch in vielen Fällen nicht möglich.
Der Antrag sei begründet. Es bestehe ein Anordnungsanspruch auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO. Sie, die Antragstellerin, habe aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) einen Anspruch, nicht mit verfassungswidrigen Steuern belegt zu werden und die für die Erhebung des angefochtenen Gesetzes erforderlichen Vorkehrungen treffen zu müssen.
§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 KTTG sei verfassungswidrig, weil diese Vorschrift gegen den Grundsatz der Vorhersehbarkeit der Abgabenlast für den Steuerpflichtigen verstoße. Der eine Abgabenpflicht begründende Tatbestand müsse so bestimmt sein, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Belastung vorausberechnen könne. Dies sei nicht der Fall, weil sie, die Antragstellerin, als Steuerschuldnerin keine Kenntnis vom maßgeblichen Unterscheidungskriterium einer privaten oder einer beruflichen Übernachtung habe. Eine solche Kenntnis besitze nur der Übernachtungsgast. Dessen Kenntnis sei dem Betreiber des
Beherbergungsbetriebes auch nicht sicher zugänglich. Er könne dessen Angaben zudem nicht überprüfen.
§ 1 Abs. 1 Satz 5 KTTG verletze den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. Der Steuergläubiger trage die Feststellungslast für diejenigen Tatsachen, die den Steueranspruch begründeten. Die von § 1 Abs. 1 Satz 1 und 4 KTTG vorausgesetzte Privatheit einer Übernachtung sei ein steuerbegründendes Tatbestandsmerkmal. Durch die Überbürdung des Nachweises der beruflichen Veranlassung einer Übernachtung (§ 1 Abs. 1 S. 5 KTTG) auf den Betreiber des Beherbergungsbetriebes werde eine Vermutung dafür begründet, dass die Übernachtung privat sei. Für eine Umkehr der Feststellungslast fehle es an einem hinreichend Grund.
Es liege ferner eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Dieser verlange, dass eine gleichmäßige Erhebung der Steuer sichergestellt sei. Hierfür sei ein Mindestmaß an verfahrensrechtlicher Gewährleistung durch Kontrollmöglichkeiten zu fordern. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Es fehle an einem Mindestmaß an Kontrollmöglichkeiten und der Überprüfbarkeit der Angaben des Übernachtungsgastes. Die für den Nachweis des beruflichen Anlasses der Übernachtung vorgesehenen Formulare seien mangels Abfrage substantiierter Angaben nicht von den Mitarbeitern des Antragsgegners überprüfbar.
Es liege zudem eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG vor. Ihr, der Antragstellerin, werde durch das Gesetz eine spezifische Preisgestaltung für die Beherbergung vorgegeben. Sie sei letztlich gezwungen, die Taxe auf ihre Gäste abzuwälzen und damit ihre Preisgestaltung zu ändern. Dieser Eingriff sei für sie wegen ihrer geringen Gewinnspanne pro Übernachtung existenzbedrohend, wenn es ihr nicht gelinge, die Taxe auf die Gäste umzulegen. Derzeit stelle sie die Abwälzung vor technisch unlösbare Probleme. Es liege deshalb nicht ein Eingriff auf der Ebene der Ausübungsfreiheit, sondern der Berufswahlfreiheit vor. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt, weil es schon an einer erforderlichen Übergangsregelung fehle. Zudem werde sie mit einem unverhältnismäßigen Erhebungsaufwand belegt; insbesondere werde ihr der Nachweis des Befreiungstatbestandes abverlangt. Hinzu komme, dass sie kurz vor der Einführung eines so genannten Kiosk-Systems (Check-In-Terminal) gestanden habe, um die Mitarbeiter an den Rezeptionen zu entlasten. Diese Systeme könnten keine Prüfung vornehmen, ob eine Abgabepflicht bestehe. Die Terminals könnten deshalb nicht bestellt werden.
Ferner werde in den durch Art. 14 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in verfassungswidriger Weise eingegriffen. Sie, die Antragstellerin, habe bislang erhebliche und vergebliche Aufwendungen getätigt, um die von ihr verlangten Verpflichtungen umzusetzen. Sofern sie die Taxe nicht auf ihre Gäste abwälzen könne, sei ihr Betrieb gefährdet, weil sie nur eine geringe Gewinnspanne habe. Eine nur kalkulatorische Abwälzung auf die Gäste sei nicht zumutbar. Ferner sei eine derartige Preissteigerung im Low-Budget-Bereich nicht durchsetzbar.
Die in § 7 Satz 3 KTTG normierte vierjährige Aufbewahrungspflicht für die Meldescheine verstoße zudem gegen § 27 Abs. 3 Satz 1 MeldeG. Auch die Höhe der jeweils zu erhebenden Taxe sei bei Mehrfachbelegungen eines Zimmers in sich nicht stimmig und zwinge sie zu einer unsachgemäßen Erhebung.
Es liege ein Anordnungsgrund vor. Sie, die Antragstellerin, habe bereits erhebliche Maßnahmen zur Umsetzung des Gesetzes unternommen, dennoch sei es ihr aus den angeführten Gründen nicht möglich, einen reibungslosen, einigermaßen ökonomisch sinnvollen und zielführenden Erhebungsvorgang zu organisieren. Ferner bestünden unlösbare Schwierigkeiten beim Vollzug des Gesetzes darin, dass es nicht möglich sei, die nach der Preisangabenverordnung (PAngV) erforderliche Angabe von Endpreisen vorzunehmen. Die Vermittlungsportale akzeptierten keine flexible Preisberechnung. Ohne Kenntnis des Reisegrundes sei eine solche Berechnung auch nicht möglich. Gegenwärtig werde die Taxe noch ganz aus den Preisangaben herausgehalten und vor Ort erhoben. Dies erzeuge Unmut bei den Gästen. Wenn diese Praxis zu Beschwerden oder Abmahnungen führe, würden die Vermittlungsportale die Taxe pauschal ohne deren Ausweisung aufschlagen. Dies zwinge sie, die Antragstellerin, zu unökonomischen und unzumutbaren Erstattungen von Kleinstbeträgen im Einzelfall vor Ort.
Die Antragstellerin beantragt,
festzustellen, dass sie vorläufig, d. h. bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsklage (2 K 25/13), nicht verpflichtet ist, von ihren Gästen die Kultur-und Tourismustaxe gemäß dem KTTG zu erheben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig. Die Antragstellerin begehre im Wege vorläufigen Rechtsschutzes tatsächlich die Feststellung, dass es sich bei dem KTTG um ein verfassungswidriges Gesetz handele. Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sei die Hauptfrage des Antrags. Eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Überprüfung der Gültigkeit von Steuergesetzen sei aber grundsätzlich unzulässig. Dem folgend sei auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig. Die Kultur-und Tourismustaxe sei gemäß § 5 KTTG einer Anmeldesteuer. Die Steueranmeldung stehe gemäß § 168 der Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Gegen diese Steueranmeldung sei der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben und vorläufiger Rechtsschutz könne mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) geltend gemacht werden. Der Antrag auf AdV sei dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorrangig.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setze einen Anordnungsgrund voraus. Daran sei ein sehr strenger Maßstab anzulegen. Durch die Pflichten des KTTG müsse die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin unmittelbar bedroht sein. Diese Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sei nicht erfüllt. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Nachteile seien insgesamt nicht so gewichtig, dass sie das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Gesetzes überwiegen würden. Die von der Antragstellerin für möglich gehaltene Erstattung der Taxe an die Gäste könne zumutbar dadurch vermieden werden, dass die Antragstellerin die Abgabe nur kalkulatorisch, aber nicht unmittelbar an ihre Gäste weitergebe. Durch einen Verzicht auf die Weitergabe oder eine bloß kalkulatorische Abwälzung werde der Nachteil eines aufwändigen Erstattungsverfahrens vollständig vermieden. Es sei technisch möglich, im Buchungsportal der Antragstellerin und bei anderen Portalen
auf die Taxe hinzuweisen und den Anlass der Reise abzufragen. Die Berechnung der Taxe sei sowohl EDV-technisch als auch manuell leicht umzusetzen.
Der Antrag sei zudem unbegründet. § 1 Abs. 1 KTTG genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz. Dieser verlange vom Normgeber, Rechtsvorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Diesen Anforderungen werde § 1 Abs. 1 KTTG gerecht. Danach gelte die grundsätzliche Regelung, dass eine entgeltliche Übernachtung der Besteuerung unterliege. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe dann, wenn vom Gast Erklärungen und Nachweise für eine zwingende berufliche oder betriebliche Veranlassung der Übernachtung vorgelegt würden. Solche Nachweise werde der Gast spätestens bei der Rechnungserteilung aus eigenem finanziellem Interesse vorlegen, weil die Taxe von den Hotels auf die Übernachtungsgäste abgewälzt werde. Die Steuer sei für den Betreiber des Beherbergungsbetriebes somit vorhersehbar. Er könne als Betroffener die Rechtslage erkennen und wisse, was er bei seinen Gästen abfragen müsse.
Sofern sich hinterher herausstelle, dass ein Gast falsche Angaben gemacht oder Belege vorgelegt habe, solle nach dem in der Gesetzesbegründung bekundeten Willen des Gesetzgebers nicht der Betreiber des Beherbergungsbetriebes, sondern der Gast im Wege der Haftung in Anspruch genommen werden. Diese Möglichkeit eröffne § 4 Abs. 2 KTTG. Eine Inanspruchnahme des Beherbergungsbetriebes als Steuerschuldner in einer solchen Konstellation sei zudem sachlich unbillig und könne über die Regelung des § 163 AO vermieden werden.
Es liege auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung vor. Der Gesetzgeber könne die Frage regeln, wer die Feststellungslast für steuerbegründende oder steuerausschließende Tatsachen trage. Hierbei würden Erwägungen angestellt, wie ein Gesetz verwaltungsökonomisch sinnvoll umgesetzt werden könne. Bei der Kultur-und Tourismustaxe handele es sich um eine kommunale Aufwandsteuer, bei der der Dritte und nicht der Steuerschuldner im Wege der Abwälzung mit der Zahlung der Steuer belastet werde. Hier befinde sich der Steuerschuldner und nicht der Steuergläubiger zum eigentlich finanziell belasteten Dritten in einem Näheverhältnis. Es sei deshalb zulässig, den Steuerschuldner auch mit dem Sammeln der Kriterien von dem steuerbelasteten Gast zu beauftragen, die die Steuerbarkeit entfallen ließen.
Auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Das KTTG sehe genügend Kontrollmöglichkeiten vor, um die Angaben der Gäste durch die Steuerverwaltung überprüfen zu lassen. Das durch § 8, § 9 Abs. 2 KTTG und § 93 AO i. V. m. §§ 328 ff. AO zur Verfügung gestellte Instrumentarium sei ausreichend, um die gleichmäßige und vollständige Erhebung der Steuer zu gewährleisten.
Die Antragstellerin betreibe in ihren Beherbergungsbetrieben ein offenes Preissystem. Bei einer solchen Gestaltung sei es zur vorläufigen Vermeidung aller angeblichen organisatorischen Probleme leicht möglich, die Kulturtaxe einzupreisen und damit kalkulatorisch auf die Gäste abzuwälzen. Bei den günstigen Übernachtungspreisen der Antragstellerin gebe es sowieso nur die Alternativen keine Kulturtaxe, 0,50 € oder 1 € pro Person und Übernachtung. Im Übrigen erfolge diese einfachste Weitergabe der Kulturtaxe schon bei diversen Buchungsportalen, wenn über diese Übernachtungen in Betrieben der Antragstellerin gebucht würden. In Wirklichkeit träfen die von der Antragstellerin geschilderten Probleme nicht zu. Es sei
den Betreibern von Beherbergungsbetrieben in Hamburg im Übrigen seit mehr als einem Jahr bekannt, dass an der Einführung der Tourismustaxe gearbeitet werde. Es sei ihnen damit ermöglicht worden, sich organisatorisch auf die Einführung einzustellen.
Nach der Preisangabenverordnung sei es zulässig, bei einer kalkulatorischen Ermittlung des Übernachtungspreises eine Kulturtaxe nicht ausdrücklich auszuweisen. Nur bei direkter Steuerabwälzung sei es wichtig, dass in Internetangeboten auf die Abgabe hingewiesen werde. Die Umstellung auf Check-In-Terminals werde nicht durch das KTTG, sondern das Melderecht verhindert.
II.
Der Antrag ist zulässig (1), aber unbegründet (2).
1)
a) Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist eröffnet. Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist der Finanzrechtsweg auch gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben – wie das KTTG – der Landesgesetzgebung unterliegen und von Landesfinanzbehörden – dem Antragsgegner – verwaltet werden.
b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft.
Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung).
c) Vorliegend ist der Antrag der Antragstellerin als Regelungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) statthaft. Sie möchte damit der Sache nach bewirken, vorläufig bis zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache (2 K 25/13) von den Verpflichtungen nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG entbunden zu werden, die Kultur-und Tourismustaxe selbst zu berechnen, beim Antragsgegner – beginnend mit dem ersten Quartal 2013 – vierteljährlich anzumelden und abzuführen. Damit möchte die Antragstellerin eine vorläufige Regelung in Bezug auf ihre Pflichten nach dem KTTG gegenüber dem Antragsgegner erreichen. Diese Pflichten begründen ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten, weil durch § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG bestimmte, aus einem konkreten Sachverhalt – den Beherbergungsleistungen der Antragstellerin – resultierende rechtliche Pflichten der Antragstellerin (Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer) gegenüber dem Antragsgegner begründet werden (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 19. August 2008, V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501; von Groll in Gräber, FGO, 7. Auflage 2010, § 41 FGO Rn. 12 m. w. N.). Eine Sicherungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO) kommt nicht in Betracht, weil die genannten Pflichten des KTTG schon bestehen und insoweit
keine Veränderung des bestehenden Zustandes zu befürchten ist, durch die eine Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Der Senat legt den gestellten Antrag in Verbindung mit der Antragsbegründung in diesem Sinne aus. Er lautet seinem Wortlaut nach zwar dahingehend, festzustellen, dass die Antragstellerin vorläufig nicht verpflichtet ist „von ihren Gästen“ die Kultur- und Tourismustaxe nach dem KTTG zu „erheben“. Eine solche Erhebungspflicht schreibt das Gesetz nicht vor. Die Kultur- und Tourismustaxe ist als kommunale Aufwandsteuer zwar auf eine Abwälzung auf den Gast angelegt. Das KTTG verpflichtet aber nicht zu einer solchen Abwälzung. Die Steuer wird auch nicht bei den Übernachtungsgästen, sondern bei den Betreibern der Beherbergungsbetriebe als Steuerschuldnern (§ 4 Abs. 1 KTTG) im Wege der Selbstveranlagung durch Anmeldung und Abführung erhoben. Dies wird – ausweislich der Begründung – auch von der Antragstellerin nicht verkannt. Ihr geht es darum, vorläufig von den eigenen durch § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG begründeten Pflichten zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer befreit zu werden.
Das Gericht legt den Antrag ferner so aus, dass die Antragstellerin nicht zusätzlich vorläufig von der Pflicht zur Aufbewahrung der nach § 7 Satz 1 KTTG aufzuzeichnenden Daten über einen Zeitraum von vier Jahren (§ 7 Satz 3 KTTG) befreit werden möchte. Die Antragstellerin macht mit ihrer Antragsbegründung zwar auch geltend, dass § 7 Satz 3 KTTG gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie gegen § 27 Abs. 3 Satz 1 MeldeG verstoße. Diese Aufbewahrungspflicht nach § 7 Satz 3 KTTG und die Länge der Aufbewahrungsfrist hat mit der vom Antrag umfassten „Erhebung“ der Kultur- und Tourismustaxe aber nur mittelbar zu tun. Aus der Antragsbegründung geht zudem nicht hervor, dass die Antragstellerin vorläufig davon verschont werden will, die von § 7 Satz 1 KTTG geforderten Daten länger als melderechtlich zulässig (1 Jahr: § 27 Abs. 3 HmbMG) aufbewahren zu müssen; insoweit wird insbesondere kein besonderer Nachteil dargelegt, der eine Eilentscheidung rechtfertigen soll.
d) Der Antrag ist nicht gegenüber einem Antrag auf AdV subsidiär. Nach § 114 Abs. 5 FGO gelten die Vorschriften über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar nicht für die Fälle des § 69 FGO. Die einstweilige Anordnung ist also gegenüber der Aussetzung der Vollziehung und der Aufhebung der Vollziehung subsidiär. Das bedeutet, dass kein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht, wenn eine Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO in Betracht kommt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Januar 1984 II B 35/83, BStBl II 1984, 210; vom 19. April 1988 VII B 167/87, BFH/NV 1989, 36; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 20 m. w. N.). Dies gilt jedoch nur, soweit ein AdV-Antrag bereits vorliegt oder zumutbar zeitnah gestellt werden kann, um den begehrten einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen.
Derzeit liegt weder ein AdV-Antrag der Antragstellerin vor noch könnte er gestellt werden. Erst mit der ersten Steueranmeldung, die nach Ablauf des ersten Quartals 2013 gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 KTTG bis zum 15. April 2013 vorzunehmen ist, liegt nach § 6 Abs. 3 Satz 2 KTTG i. V. m § 150, § 168 Satz 1 AO eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vor. Dagegen könnte die Antragstellerin Einspruch (§ 347 AO) einlegen und einen Antrag auf AdV oder Aufhebung der
Vollziehung beim Antragsgegner stellen (§ 361 AO). Unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO kann ein AdV-Antrag bei Gericht gestellt werden.
Der Antragstellerin ist es aber unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht zuzumuten, den einstweiligen Rechtsschutz über einen AdV-Antrag zu suchen. Ein solcher würde nur vorläufigen Rechtsschutz gegen die einzelne Steueranmeldung vermitteln und müsste gegebenenfalls nach jeder Steueranmeldung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache wiederholt werden. Das Rechtschutzziel ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geht darüber hinaus. Damit soll bereits vor der ersten Steueranmeldung und vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache (2 K 25/13) erreicht werden, dass die Antragstellerin die Anmelde- und Abführungspflicht nicht zu erfüllen hat. Eilverfahren – und damit auch das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – sind unter dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtschutzes gerade dazu da, soweit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15. August 2002 1 BvR 1790/00, NJW 2002, 3691; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 64).
e) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil in der Hauptsache (2 K 25/13) eine unzulässige Feststellungsklage in Form einer verdeckten Normenkontrollklage erhoben worden ist. Dies ist nicht der Fall. Die Antragstellerin begehrt mit der Klage in der Hauptsache die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Dort hat sie die Feststellung beantragt, gegenüber dem Antragsgegner/Beklagten nicht verpflichtet zu sein, die Pflichten aus einem Steuerschuldverhältnis gemäß § 4 Abs. 1 KTTG zu erfüllen. Diese Pflichten, namentlich die durch § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG begründeten Pflichten zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer, begründen – wie oben dargelegt – ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten des Hauptsacheverfahrens. Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes und des Bundesverwaltungsgerichts, dass im Interesse der Gewährung eines weitgehenden Rechtsschutzes bei geltend gemachtem normativem Unrecht an die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage mit normenkontrollrechtlichem Hintergrund keine zu strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BFH-Urteil vom 22.04.1986 VII R 184/85, BFHE 146, 302 m. w. N.).
2) Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache (2 K 25/13) von den Verpflichtungen zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG freizustellen, liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsanspruch (a) noch einen Anordnungsgrund (b) glaubhaft gemacht (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung – ZPO-).
a) Die Antragstellerin hat keinen Anspruch darauf, von der Verpflichtung zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer gemäß § 6 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 KTTG vorläufig befreit zu werden. Die von der Antragstellerin gerügten Verfassungsverstöße liegen nicht vor bzw. können vom Gericht im vorliegenden summarischen Verfahren mangels Glaubhaftmachung der geltend
gemachten Tatsachengrundlage nicht festgestellt werden. Der Antragstellerin steht deshalb kein grundrechtlicher Abwehranspruch aus Art. 2 Abs. 1 oder Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG zu, nicht mit einer verfassungswidrigen Steuer belegt zu werden und nicht an ihrer Erhebung mitwirken zu müssen.
aa) Aus dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips folgt im Bereich des Abgabenrechts, dass steuerbegründende Umstände so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast in gewissem Umfang vorausberechnen kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Februar 1965 1 BvR 571/60, BVerfGE 19, 253; Beschluss vom 17. Juli 2003 2 BvL 1/99 u. a., BVerfGE 108, 186).
Diese Voraussetzungen erfüllt das KTTG. Darin werden der Steuergegenstand (§ 1 KTTG), die Bemessungsgrundlage (§ 2 KTTG), der Steuersatz (§ 3 KTTG), der Steuerschuldner (§ 4 Abs. 1 KTTG), die Entstehung und Fälligkeit der Steuer (§ 5) sowie die Erhebung (§ 6 KTTG) so geregelt, dass die Grundlagen und die Berechnung der Steuer – jedenfalls im Wege der Auslegung – vom Steuerschuldner hinreichend deutlich erkannt werden können. Es ist nicht erforderlich, dass die Steuer exakt vorausberechnet werden kann. Wann eine „zwingende“ Erforderlichkeit für die berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgastes im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 4 KTTG gegeben ist, kann insbesondere anhand der vom Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 11. Juli 2012 (9 CN 1/11, 9 CN 2/11, NVwZ 2012, 1407, juris) zu den Satzungen über die Erhebung von Kulturförderabgaben in Trier und Bingen dargelegten Kriterien ermittelt werden (vgl. auch Bürgerschafts-Drs. 20/5840, S. 9). Danach ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass ohne die entgeltliche Übernachtung die Berufsausübung, gewerbliche Tätigkeit oder freiberufliche Tätigkeit nicht ausgeübt und deshalb Einkommen nicht erwirtschaftet werde könnte.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ändert der Umstand, dass nicht sie, sondern nur der Gast Kenntnis über die das maßgebliche Unterscheidungsmerkmal für die Steuerbarkeit einer Übernachtung begründenden Umstände hat, nichts an der hinreichenden Bestimmtheit des Besteuerungstatbestandes nach § 1 Abs. 1 KTTG (private oder zwingend berufliche bzw. betrieblich erforderliche Übernachtung). Der Beherbergungsunternehmer hat die Möglichkeit, die Gäste zum Anlass ihrer Übernachtung zu befragen und auf dieser Grundlage die Steuer zu berechnen. Im Regelfall wird ein Gast eine entsprechende Erklärung abgeben, jedenfalls wenn er damit die Abwälzung der Steuer durch einen höheren Übernachtungspreis verhindern kann. Wenn er keine oder unzutreffende Angaben macht, berührt dies nicht die Bestimmtheit des Steuertatbestandes, sondern die Frage der Tatbestandserfüllung und wer bei Nichtaufklärbarkeit der Umstände die Feststellungslast trägt.
bb) Dies ist nach § 1 Abs. 1 Satz 5 KTTG der Betreiber des Beherbergungsbetriebes. Er hat danach die zwingende Erforderlichkeit einer Übernachtung für eine berufliche oder betriebliche Tätigkeit des Übernachtungsgastes durch geeignete Belege nachzuweisen. Ihm wird damit verdeutlicht, dass er – jedenfalls zunächst – die Steuer zu tragen hat, wenn er den geforderten Nachweis über den Übernachtungsanlass nicht erbringen kann. Da die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO), kann der Betreiber bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist eine Änderungsmeldung abgeben, wenn er später
nachweisen kann, dass eine Übernachtung nicht steuerpflichtig war (§ 168 Satz 1, § 164 Abs. 2 AO).
Nach den Gesetzesmaterialien soll mit § 1 Abs. 1 Satz 5 KTTG ein effektives Verfahren ermöglicht werden. Deshalb regele das Gesetz, dass die Übernachtung der Besteuerung unterfalle, wenn das zwingende berufliche oder betriebliche Erfordernis einer Übernachtung nicht nachgewiesen werde (vgl. Bürgerschafts-Drs. 20/5840, S. 9). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wird durch § 1 Abs. 1 Satz 5 KTTG keine gesetzliche Vermutung für die Privatheit einer Übernachtung aufgestellt, sondern (lediglich) die Feststellungslast verteilt. Diese Verteilung ist nicht zu beanstanden. Zwar dürfen mit einer örtlichen Aufwandsteuer nach Art. 105 Abs. 2a GG nur private Übernachtungen belegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2012 9 CN 1/11, NVwZ 2012, 1407) und ist die Privatheit der Übernachtung deshalb nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 4 KTTG ein steuerbegründendes Merkmal, für das grundsätzlich der Steuergläubiger die Feststellungslast trägt (vgl. etwa BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BStBl II 1976, 562).
Der Gesetzgeber ist im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit für die Festlegung des Steuertatbestandes und des dabei anzuwendenden Verfahrens aber befugt, die Feststellungslast aus sachlichen Gründen anderweitig zu verteilen, wenn der Steuerpflichtige damit nicht unverhältnismäßig belastet wird. Hier ist es sachgerecht, dem Betreiber des Beherbergungsbetriebes als Steuerschuldner (§ 4 Abs. 1 KTTG) die Feststellungslast für das Vorliegen einer zwingenden beruflichen oder betrieblichen Veranlassung der Übernachtung zuzuweisen. Dies liegt aus Gründen der Effektivität der Steuerhebung nahe, weil der Betreiber des Beherbergungsbetriebes eine größere Beweisnähe aufweist, als der Antragsgegner. Letzterer hat bei der Erfüllung des Besteuerungstatbestandes (der Übernachtung) keinen Kontakt zum Übernachtungsgast. Der Betreiber des Beherbergungsbetriebes hat hingegen die Möglichkeit, den Gast bei der Buchung oder beim Check-In über den Anlass der Übernachtung zu befragen. Er muss melderechtlich (§§ 26, 27 HmbMG) und zur Erhebung der Steuer (§ 7 Satz 1 KTTG) bereits den Namen und die Dauer der Übernachtung durch Ausfüllung eines Meldescheines ermitteln und festhalten. In diesem Zusammenhang besteht auch die Möglichkeit, den Anlass der Übernachtung zu erfragen. Dies ist grundsätzlich kein unverhältnismäßiger Aufwand, zumal der Antragsgegner dafür einfach auszufüllende Formulare bereithält.
Es belastet den Betreiber des Beherbergungsbetriebes auch nicht unzumutbar, wenn er mangels Nachweises der zwingenden beruflichen oder betrieblichen Veranlassung der Übernachtung die Abgabe (jedenfalls zunächst) in Einzelfällen entrichten muss, obwohl der Steuertatbestand tatsächlich nicht vorgelegen hat. Zum einen ist die im Einzelfall anfallende Steuer im Regelfall nicht besonders hoch (nach § 3 KTTG 0,50 € ab einem Übernachtungspreis von 25 € pro Person bis 4 € bei einem Übernachtungspreis von 200 € pro Person). Zum anderen ist die Steuer als Aufwandsteuer auf Abwälzung auf den Gast angelegt. Dies kann auch so erfolgen, dass lediglich eine kalkulatorische Abwälzung im Wege einer generellen Einbeziehung in die Übernachtungspreise vorgenommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. Februar 2009 1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, zur Spielgerätesteuer). Dann trägt der Gast – und nicht der Betreiber des Beherbergungsbetriebes – die Steuer wirtschaftlich endgültig und unabhängig von ihrem tatsächlichen Entstehen.
cc) Es liegt durch die rechtliche Ausgestaltung des KTTG auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil durch ein strukturelles Defizit die gleichmäßige Erhebung der Steuer nicht sichergestellt ist (vgl. BVerfG Urteil vom 09. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94). Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass durch die Möglichkeit der Steuernachschau (§ 8 KTTG), durch die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten (§ 9 KTTG), insbesondere die Auskunftspflicht des Gastes zum zwingenden beruflichen oder betrieblichen Hintergrund der Übernachtung (§ 9 Abs. 2 KTTG), die Möglichkeit der Auskunftseinholung von Dritten nach § 93 AO – insbesondere von Arbeitgebern – in Verbindung mit den Vollstreckungsmöglichkeiten nach § 328 ff. AO ein hinreichendes Instrumentarium an Kontrollmitteln zur Verfügung steht. Damit kann die Richtigkeit der Steueranmeldungen und können insbesondere die Übernachtungsanlässe mit hinreichender Effektivität überprüft werden. Selbst wenn die vom Antragsgegner bereitgestellten Formulare „Arbeitgeberbestätigung“ und „Bestätigung für eigenberufliche Tätigkeiten“ keinen Raum für nähere Erläuterungen des beruflichen oder betrieblichen Hintergrundes der Übernachtung lassen und daraus allein möglicherweise keine Anhaltspunkte für Nachfragen hervorgehen, können sich solche aus anderen Umständen ergeben (etwa auffällige Häufungen) oder Kontrollen stichpunktartig vorgenommen werden, um den gleichmäßigen Gesetzesvollzug sicherzustellen.
dd) Die Antragstellerin wird durch die Verpflichtung zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer auch im Übrigen nicht in ihren Grundrechten verletzt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob durch die Pflichten nach dem KTTG ein Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin vorliegt.
Art. 12 Abs. 1 GG schützt die Berufsfreiheit grundsätzlich nicht vor Veränderungen der Marktdaten und Rahmenbedingungen der unternehmerischen Entscheidungen. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.04.2004 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274). Deshalb führt der Umstand, dass sich die Antragstellerin möglicherweise aus wirtschaftlichen Gründen gehalten sieht, die Steuer auf ihre Übernachtungsgäste abzuwälzen, nicht zu einem Eingriff in die Berufsfreiheit. Eine Verpflichtung zur Abwälzung und damit zu einer bestimmten Preisgestaltung, die die Berufstätigkeit unmittelbar regeln würde, sieht das KTTG nicht vor.
Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ist jedoch dann berührt, wenn Normen, die zwar die Berufstätigkeit selbst unberührt lassen, aber Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. April 1997 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267; Beschluss vom 14. Juli 1998 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218).
Die Verpflichtungen zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer verändern zwar die Rahmenbedingungen der Berufsausübung. Es ist aber fraglich, ob ihnen eine objektiv berufsregelnde Tendenz zukommt. Dafür spricht, dass es zur richtigen Berechnung der Steuer angezeigt ist und vom Gesetzgeber nach den obigen Darlegungen auch angenommen wird, dass es der Betreiber des Beherbergungsbetriebes im Rahmen seiner üblichen Berufstätigkeit übernimmt, seine Übernachtungsgäste zum Anlass der Übernachtung zu befragen. Es wird damit
vorausgesetzt, dass er den Ablauf seiner Berufstätigkeit auf diese neuen Anforderungen einstellt.
Diese Frage kann aber dahingestellt bleiben, weil subsidiär jedenfalls ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG vorliegt, beide Grundrecht durch ein Gesetz eingeschränkt werden können und insoweit gleiche Anforderungen in Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu stellen sind, weil allenfalls die Berufsausübungsfreiheit und nicht die Berufswahlfreiheit berührt ist. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung bedürfen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit müssen vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dienen und den Berufstätigen nicht übermäßig oder unzumutbar treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Oktober 1998 1 BvR 2306 u. a., BVerfGE 98, 341). Aus Art. 2 Abs. 1 GG folgen keine höheren Anforderungen an grundrechtsbeschränkende Gesetze.
Die Einführung des KTTG bezweckt die Erzielung von Steuern, um Mittel für die Unterstützung der Kultur und des Tourismus in Hamburg zu gewinnen (vgl. Bürgerschafts-Drs. 20/4386, S. 1). Das Gesetz dient damit einem vernünftigen, gemeinwohlbezogenen Zweck. Vorliegend hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, durch die sie treffende Verpflichtung zur Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer in unverhältnismäßiger Weise belastet zu werden.
Sie wendet sich im Kern gegen die Verpflichtung zur Berechnung der Steuer und sieht sich nicht dazu in der Lage, dies zu gewährleisten. Bei der Buchung über Online-Portale und in Reisebüros werde mangels rechtlicher Verpflichtung nicht nach dem Anlass der Reise gefragt, auch sei ein Online-Buchungsvorgang einschließlich der Steuer wegen der kompliziert gestaffelten Beträge datenverarbeitungstechnisch nicht möglich. Ferner sei es nicht möglich, die gestaffelten Beträge in ihrer Check-In-Software zu berücksichtigen. Die Programmierfirma habe bis jetzt kein entsprechendes Programm entwickeln können. Deshalb müsse die Steuer an ihren Rezeptionen beim Check-In von ihren Mitarbeitern per Hand errechnet werden.
Wie oben dargelegt, ist die neben der Ausfüllung des Meldescheins erforderliche Befragung des Übernachtungsgastes über den Anlass der Übernachtung nebst gegebenenfalls erforderlicher Überreichung von Belegen oder der Formulare zum Ausfüllen grundsätzlich kein unverhältnismäßiger Mehraufwand des Betreibers eines Beherbergungsbetriebes. Auch die Berechnung der Steuer ist nicht besonders kompliziert und mit vertretbarem Aufwand (jedenfalls mit einem Taschenrechner) zu leisten. Es müssen nur die (nach Abzug des gegebenenfalls mit berechneten Preises für das Frühstück oder sonstige Mahlzeiten) Nettoentgelte je Gast und Übernachtung ermittelt und auf diese die Pauschsätze des § 3 KTTG angewandt werden. Eine Berechnung der Steuer beim Check-In an der Rezeption müsste zudem nur dann erfolgen, wenn sie dort individuell auf den Übernachtungspreis des Gastes aufgeschlagen werden soll. Dazu sind die Betreiber durch das KTTG indes nicht verpflichtet. Sie haben – wie oben dargelegt – auch die Möglichkeit, die Steuer nicht gesondert auszuweisen, sondern kalkulatorisch in ihrer Preisberechnung zu berücksichtigen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es bei Online-Buchungen oder bei Buchungen im Reisebüro tatsächlich nicht möglich ist, die für die Berechnung der Steuer nötigen
Daten zu erheben; insbesondere einen Hinweis zu der Frage zu erhalten, ob die Übernachtung beruflich oder privat veranlasst ist. Ferner kann offen bleiben, ob die Check-In-Software auf die Staffelung der Steuer eingestellt werden kann.
Jedenfalls hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, dass die manuelle Erhebung der Steuer für sie einen unverhältnismäßigen Mehraufwand bedeutet. Sie hat zwar die erforderlichen Arbeitsschritte beim Check-In dargelegt und aus einem zeitlichen Mehraufwand von 3 Minuten eine um 150% längere Check-In-Zeit berechnet. Dazu benötige sie eine Vielzahl neuer Mitarbeiter, die am Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stünden. Unabhängig von der Frage, ob der behauptete zusätzliche zeitliche Aufwand für die Ermittlung der Tatsachengrundlagen für die KTTG und deren Berechnung in der geltend gemachten Höhe tatsächlich besteht , ist aus dem Vorbringen der Antragstellerin nicht nachvollziehbar zu entnehmen, ob sie dafür tatsächlich zusätzliches Personal benötigt. Dafür wären insbesondere substantiierte Angaben über ihren Personalbestand, zu den für den Check-In insgesamt zur Verfügung stehenden Arbeitszeiten und der Auslastung der Check-In-Mitarbeiter erforderlich und glaubhaft zu machen.
Angesichts der regelmäßig nicht besonders schwierigen Berechnung der Steuer nach den in § 3 KTTG anzuwendenden Pauschalen ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass das Personal der Antragstellerin dazu angeblich nicht in der Lage sein soll, zumal es zum Teil aus Studenten bestehen soll und die Berechnung der Steuer nicht zwingend beim Check-In vorzunehmen ist. Dies kann – wie oben dargelegt – bei einer nur kalkulatorischen Abwälzung der Steuer auch später im Rahmen der üblichen Buchhaltungstätigkeiten erfolgen.
Die Antragstellerin hat auch nicht plausibel dargelegt, dass es ihr nicht möglich ist, die Steuer nur kalkulatorisch – und damit verdeckt – auf die Übernachtungspreise umzulegen. Dazu wären zumindest substantiierte und glaubhaft gemachte Angaben zur erforderlichen Höhe der Preisanhebung, zur sonstigen Kalkulation und zur wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin und zur Wettbewerbssituation in Hamburg erforderlich. Daran fehlt es. Im Übrigen spricht gegen die Behauptung der Antragstellerin, dass sie Hotels/Hostels im Niedrigpreissegment betreibt. Derzeit wirbt sie auf ihrer Internetseite für den Standort Hamburg mit Übernachtungspreisen ab 8 € (www…). Da bei der Antragstellerin häufig nur Übernachtungspreise bis zu 25 € pro Gast, maximal bis zu 50 € pro Gast anfallen dürften, wären voraussichtlich auch nur Steuern zwischen 0,50 € und 1 € pro Übernachtung abzuwälzen, so dass nur eine moderate Preiserhöhung zu erwarten wäre. Zudem wäre zu berücksichtigen, dass die Mitbewerber der Antragstellerin in Hamburg vor der gleichen Fragestellung stehen.
Die behauptete Vereitelung der geplanten Einführung eines Kiosk-Systems beim Check-In durch den Erwerb entsprechender Automaten stellt schon deshalb keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechtspositionen der Antragstellerin dar, weil die Übernachtungsgäste gemäß § 26 HmbMG am Tag der Ankunft einen Meldeschein handschriftlich auszufüllen haben, so dass der Check-In vor Ort ohnehin nicht vollkommen computergestützt durchgeführt werden kann.
Das Gericht kann auch nicht die von der Antragstellerin behaupteten Schwierigkeiten mit der Preisangabenverordnung nachvollziehen. Endpreise sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV die Preise, die einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile unabhängig von einer Rabattgewährung zu zahlen sind. Darin
kann die Steuer jedenfalls als fester kalkulatorischer Posten ohne Schwierigkeiten beim Ausweis mit einberechnet werden.
Trotz der kurzen Zeitspanne zwischen Verkündung des KTTG (18. Dezember 2012) und In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 2013 war es nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber den Betreibern von Beherbergungsbetrieben eine Übergangsfrist zur Umsetzung des Gesetzes gewährt, bzw. das Gesetz später in Kraft treten lässt.
Zum einen ist das Gesetz schon am 4. Dezember 2012 von der Hamburgischen Bürgerschaft verabschiedet worden, worüber nach dem Kenntnisstand des Gerichts auch in der Presse berichtet wurde. Ab diesem Zeitpunkt stand der Inhalt des Gesetzes fest und konnten sich die Betreiber von Beherbergungsunternehmen auf die neue Rechtslage vorbereiten. Ein Zeitraum von knapp vier Wochen ist zwar nicht besonders lang, aber ausreichend, um sich auf die neue Situation einzustellen, zumal – wie oben dargelegt – von den Betreibern keine unverhältnismäßigen Anstrengungen verlangt werden und die erste Steueranmeldung erst nach dem ersten Quartal 2013 erfolgen muss.
§ 6 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 2 und § 5 Abs. 2 KTTG verstoßen auch nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG.
Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG schützt den konkreten Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt. Eine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen folgt aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht. Diese Norm erfasst nur Rechtspositionen, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen, nicht aber in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 1 BvR 558/91 u. a., BVerfGE 105, 252 m. w. N.). Die Eigentumsgarantie schützt nicht vor Preiserhöhungen infolge von neuen oder erhöhten Steuern. Die Erwartung, dass ein Unternehmen auch in der Zukunft rentabel betrieben werden kann, fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1990 1 BvR 306/86, BVerfGE 81, 208; Beschluss vom 26. Juni 2002 1 BvR 558/91 u. a., BVerfGE 105, 252 m. w. N.105).Ob der sogen. eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG umfasst wird, hat das Bundesverfassungsgericht bislang offen gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 1 BvR 558/91 u. a., BVerfGE 105, 252 m. w. N.). Auch vorliegend braucht dies Frage nicht entschieden zu werden, weil aus den oben dargelegten Gründen nicht erkennbar ist, dass der Fortbestand des Betriebes der Antragstellerin durch die ihr vom KTTG auferlegten Pflichten gefährdet ist.
b) Die Antragstellerin hat auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht. Dazu müsste der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheinen (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dies ist dann der Fall, wenn das (private) Interesse des Antragstellers an der einstweiligen Regelung das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes überwiegt und die vorläufige Maßnahme unumgänglich ist, um wesentliche Beeinträchtigungen der Position des Antragstellers zu verhindern. Bei der somit gebotenen Interessenabwägung sind anhand der im Einzelfall gegebenen Umstände die voraussehbaren Folgen gegenüberzustellen, die sich beim Erlass der Regelungsanordnung im Fall des Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache ergeben würden, und zum anderen diejenigen Folgen, die eintreten würden, wenn
eine einstweilige Anordnung unterbliebe, das Begehren in der Hauptsache aber Erfolg hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 26. April 1994 VII B 47/93, BFH/NV 1995, 6, Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 78; Koch in Gräber, 7. Aufl. 2010, § 114 Rn. 48 f.).
Anhand dieser Interessenabwägung ist nicht feststellbar, dass die privaten Interessen der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der Umsetzung des KTTG überwiegen. Wie oben dargelegt, werden der Antragstellerin durch die (vorläufige) Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer keine unverhältnismäßig belastenden Maßnahmen abverlangt. Im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache wäre der getätigte Aufwand zwar vergeblich gewesen, die Antragstellerin würde aber die gezahlte Steuer zurückerstattet bekommen. Die von ihr vorgetragenen Schwierigkeiten bei der Erstattung der Steuer an die Gäste können zumutbar dadurch umgangen werden, dass die Steuer entweder nur kalkulatorisch auf den Übernachtungspreis aufgeschlagen wird oder bei offenem Aufschlag der Steuer vertraglich kein Rückzahlungsanspruch für den Fall eingeräumt wird, dass die Steuer zu Unrecht erhoben worden sein sollte.
Der möglicherweise vergebliche Aufwand für die Berechnung, Anmeldung und Abführung der Steuer wiegt deutlich weniger, als das öffentliche Interesse an der sofortigen Umsetzung des Gesetzes. Im Falle des Ergehens einer einstweiligen Anordnung und eines Unterliegens der Antragstellerin in der Hauptsache wären zum einen Staatseinnahmen zunächst entgangen und müssten die Steuern nacherhoben werden. Dies ist – abgesehen davon, dass der Staat damit das Insolvenzrisiko der Antragstellerin tragen würde – mit erheblichem Mehraufwand für den Antragsgegner verbunden. Er müsste die Steuern durch Bescheid nacherheben (§ 6 Abs. 4 KTTG). Mangels der erforderlichen Aufzeichnungen wäre dazu aller Voraussicht nach eine Schätzung (§ 162 AO) erforderlich, für die vom Antragsgegner zunächst die tatsächlichen Grundlagen anhand der Gästelisten der Antragstellerin ermittelt werden müssten. Zudem liegt jeder Schätzung das Risiko zu Grunde, von der tatsächlich entstandenen Steuer abzuweichen. Im Übrigen müsste die Antragstellerin auf Grund ihrer Mitwirkungspflicht im Besteuerungsverfahren (§ 90 AO) den Antragsgegner bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unterstützen, was auch auf ihrer Seite einen erheblichen nachträglichen zusätzlichen Aufwand bedeuten würde. Deshalb liegt es in gewissem Umfang auch im Eigeninteresse der Antragstellerin, bis zur Entscheidung in der Hauptsache den für die Umsetzung des Gesetzes erforderlichen Aufwand zu betreiben, um nicht später mit einem Schlage mit dem nachträglichen, kumulierten Mitwirkungsaufwand belastet zu werden und zudem das Risiko tragen zu müssen, auf Grund der Schätzung möglicherweise tatsächlich nicht entstandene Steuern zahlen zu müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO
Die Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nicht gegeben sind (§ 128 Abs. 3 i. V. m. 115 Abs. 2 FGO).

Verlust aus der Anschaffung von Fremdwährung

FG Baden-Württemberg Urteil vom 7.3.2013, 13 K 2217/10

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

 

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob bei der Klägerin (Kl), einer vermögensverwaltenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), im Veranlagungszeitraum 1999 ein Verlust aus der Anschaffung von Fremdwährung im Jahr 1998 zu berücksichtigen ist.
2
Die Kl erwarb am 12. Januar 1998 für einen Betrag in Höhe von x.xxx.xxx.xxx DM insgesamt   xxx.xxx.xxx US-Dollar (bei einem Wechselkurs von 1,81463 DM/US-Dollar). Das Fremdwährungsguthaben von xxx.xxx.xxx US-Dollar wurde auf einem Kontokorrentkonto bei der Bank I gutgeschrieben. Hiernach erwarb die Kl noch am gleichen Tag, dem 12. Januar 1998, insgesamt x.xxx.xxx Anteile am X-Fond (WKN xxxxxxxx, ISIN yyyyyyyyyyyyyyyy). Der Kaufpreis in Höhe von xxx.xxx.xxx US-Dollar wurde dem Fremdwährungs-Kontokorrentkonto mit Wertstellung am 14. Januar 1998 belastet. Nach den Angaben des Beklagten (Bekl) handelt es sich bei dem X-Fond um einen geldmarktnahen Fonds in US-Dollar. Anlageziel sei eine von Zins- und Währungsschwankungen weitgehend unabhängige geldmarktnahe Wertentwicklung in US-Dollar. Dazu investiere der Fonds vorwiegend in variabel verzinsliche Anleihen sowie Kurzläufer mit niedrigen Kupons und Termingelder. Er betreibe ein aktives Laufzeitenmanagement im kürzeren Segment.
3
Am 28. Dezember 1998 veräußerte die Kl insgesamt  x.xxx.xxx Anteile am X-Fond. Der Nettoerlös in Höhe von rund xxx.xxx.xxx US-Dollar wurde dem Fremdwährungskonto mit Valuta am 30. Dezember 1998 gutgeschrieben. Von diesem Betrag wurden xxx.xxx.xxx US-Dollar in das US-Geschäft der Kl eingelegt. xx.xxx.xxx US-Dollar tauschte die Kl am 11. Januar 1999 wieder bei einem Wechselkurs von 1,68000 DM/US-Dollar in xxx.xxx.xxx DM um.
4
In ihrer Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen des Jahres 1999 erklärte die Kl – bezüglich des soeben dargestellten Sachverhaltes –  einen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von x.xxx.xxx DM. Dieser Verlust ergebe sich daraus, dass am 12. Januar 1998 bei einem Wechselkurs von 1,81463 DM/US-Dollar xx.xxx.xxx US-Dollar angeschafft worden seien, die zu einer Belastung von xxx.xxx.xxx DM geführt hätten. Allerdings habe die Kl beim Rücktausch eben dieses Betrages von xx.xxx.xxx US-Dollar am 11. Januar 1999 bei einem Wechselkurs von 1,68000 DM/US-Dollar nur xxx.xxx.xxx DM zurückerhalten. Der erlittene Verlust in Höhe von x.xxx.xxx DM sei jedoch noch mit einem, aus einem anderen Geschäftsvorfall stammenden Veräußerungsgewinn in Höhe von xx.xxx DM zu saldieren. Mithin ergebe sich für die Kl im Jahr 1999 ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von x.xxx.xxx DM.
5
Im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) stehenden Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1999 vom 7. September 2001 erkannte der Bekl den von der Kl geltend gemachten Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften zunächst an.
6
Im Anschluss an eine in den Jahren 2005 bis 2008 stattgefundene Außenprüfung kam der Bekl jedoch zum Ergebnis, dass lediglich ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von xx.xxx DM anzuerkennen sei.  Bei der Berechnung des geltend gemachten Verlusts aus privaten Veräußerungsgeschäften könne nicht der 12. Januar 1998 als Anfangs-Stichtag herangezogen werden. Zwar habe die Kl an diesem Tage u.a. xxx.xxx.xxx DM (bei einem Wechselkurs von 1,81463 DM/US-Dollar) in xx.xxx.xxx US-Dollar getauscht. Allerdings habe sie – ebenso am 12. Januar 1998 – für den Betrag von xx.xxx.xxx DM auch Anteile am X-Fond  (WKN xxxxxxxx, ISIN yyyyyyyyyyyyyyyy) gekauft und diese Anteile wieder am 28. Dezember 1998 bei einem Wechselkurs von 1,68180 DM/US-Dollar verkauft. Durch den Kauf des X-Fond habe die Kl eine neue Kausalkette in Bezug auf ein privates Veräußerungsgeschäft in Gang gesetzt.
7
Der An- und Verkauf des X-Fond am 12. Januar 1998 bzw. 28. Dezember 1998 stelle ein eigenständiges Veräußerungsgeschäft dar, das nach § 23 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Jahres 1998 zu beurteilen sei. Grundsätzlich müsse beim An- und Verkauf ausländischer Fondsanteile in Fremdwährung nicht nur der Kurswert des Wertpapiers zum Zeitpunkt des An- bzw. Verkaufs erfasst werden, sondern auch der Wechselkurs zwischen der Fremdwährung und der Deutschen Mark am Tag des An- bzw. Verkaufs Berücksichtigung finden. Ein in Fremdwährung lautender Kurswert sei mithin zum Zeitpunkt des An- bzw. Verkaufs in Deutsche Mark umzurechnen. Ein diesbezüglicher Währungsgewinn oder -verlust sei in die Berechnung des weiteren Kursgewinns oder -verlusts des Wertpapiers an sich einzubeziehen.
8
Nach der im Jahr 1998 geltenden Gesetzeslage habe die Spekulationsfrist bei Wertpapieren gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1998 6 Monate betragen. Da der Zeitraum zwischen dem An- und Verkauf der Anteile am X-Fond mehr als 6 Monate betragen habe, stelle der An- und Verkauf der Fondsanteile kein Spekulationsgeschäft im Sinne des § 23 EStG 1998 dar.
9
Aus alledem ergebe sich, dass die Kl einen steuerlich im Rahmen des § 23 EStG berücksichtigungsfähigen Fremdwährungsverlust nur im Zeitraum vom 28. Dezember 1998 (= Zeitpunkt des Verkaufs der X-Fondanteile US Dollar Reserve) und dem 11. Januar 1999 (= Zeitpunkt des Rücktauschs der Fremdwährung in Deutsche Mark) erlitten habe könne. Am 28. Dezember 1998 habe der Wechselkurs 1,68180 DM/US-Dollar betragen, am 11. Januar 1999 hingegen 1,68000 DM/US-Dollar. Unter Zugrundelegung eines umgetauschten Betrages von xx.xxx.xxx US-Dollar ergebe sich – unter Berücksichtigung des aus einem anderen Geschäftsvorfall stammenden Veräußerungsgewinns in Höhe von xx.xxx DM – ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von  xx.xxx DM gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1999.
10
Der Bekl änderte daraufhin nach § 164 Abs. 2 AO durch Bescheid vom 21. Juli 2008 die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Kl für das Jahr 1999 dahingehend ab, dass der Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften mit (nur noch) xx.xxx DM berücksichtigt wurde. Der Bekl änderte den Feststellungsbescheid 1999 vom 21. Juli 2008 am 9. Oktober 2008 nochmals aus anderen, nicht das vorliegende Klageverfahren betreffenden Gründen nach § 129 AO.
11
Gegen den geänderten Feststellungsbescheid 1999 vom 21. Juli 2008 legte die Kl am 5. August 2008 Einspruch ein.
12
Sie vertrat die Ansicht, dass im vorliegenden Fall zwei sich überlagernde Ebenen vorlägen. Zum einen der Wertpapierkauf in Fremdwährung, bei dem ein mit dem Wertpapier erzielter Gewinn oder Verlust separat ohne Berechnung eines Währungskurses zum Zeitpunkt des An- bzw. Verkaufs zu erfassen sei. Zum anderen das Fremdwährungsrisiko, das erst mit dem Umtausch der Fremdwährung in die Eigenwährung zu berücksichtigen sei. Mithin sei die Ansicht der Finanzverwaltung, dass im Rahmen des Wertpapier- An- und Verkaufs zur Berechnung eines etwaigen, nach § 23 EStG zu erfassenden Spekulationsgewinns der Wechselkurs bei der Anschaffung und dem Verkauf des Wertpapiers zu erfassen und in die Berechnung eines Spekulationsgewinns einzubeziehen sei, nicht zutreffend. Aus diesem Grund sei vorliegend allein entscheidend, wann der streitige Betrag von xx.xxx.xxx US-Dollar von der deutschen in die Währung der Vereinigten Staaten getauscht worden sei und wann der Rücktausch in Deutsche Mark stattgefunden habe. Zu diesen Zeitpunkten sei der jeweilige Wechselkurs zu ermitteln und – als Saldo – ein etwaiger Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG zu ermitteln. Zwischen dem Umtausch der deutschen Währung in die amerikanische am 12. Januar 1998 und dem Rücktausch in Deutsche Mark am 11. Januar 1999 betrage der Zeitraum  weniger als 1 Jahr, so dass nach der im Streitjahr 1999 geltenden Rechtslage die Voraussetzungen des §  22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1999 für ein Spekulationsgeschäft vorlägen. Der Gesetzgeber habe mit Wirkung zum 1. Januar 1999 die ursprüngliche Spekulationsfrist für Wertpapiere von 6 Monaten auf 1 Jahr verlängert. Daher sei vom Bekl – wie in der Feststellungserklärung des Jahres 1999 bereits beantragt – ein Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von x.xxx.xxx DM anzusetzen.
13
Mit Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2010 wies der Bekl den Einspruch der Kl als unbegründet zurück.
14
Der Kl sei zwar zuzugestehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Fremdwährung ein eigenständiges Wirtschaftsgut darstelle, das durch den Umtausch angeschafft und durch den Rücktausch in Deutsche Mark veräußert werde (BFH-Urteil vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBI. II 2000, 469 f.). Erforderlich sei jedoch, dass es sich um das „nämliche“ Wirtschaftsgut handle. Eine „Nämlichkeit“ erfordere keine Identität. Voraussetzung sei jedoch, dass das veräußerte Wirtschaftsgut mit dem erworbenen zumindest wirtschaftlich identisch sei. Eine wirtschaftliche Identität habe der BFH in seinem Urteil vom 2. Mai 2000 (IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBI. II 2000, 614 f.) angenommen, wenn ein Fremdwährungsguthaben von einem Konto auf ein anderes transferiert werde. Ebenso habe der BFH einen Veräußerungsvorgang verneint, wenn ein Fremdwährungsguthaben vor seinem Rücktausch in Deutsche Mark festverzinslich bei einer Bank oder einem anderen Gläubiger angelegt worden sei.
15
Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich aber insoweit von dem durch den Bundesfinanzhof im Verfahren IX R 73/98 entschiedenen Fall, dass nicht lediglich Geld durch ein Darlehen ausgetauscht worden sei. Vielmehr habe die Kl Wertpapiere (Anteile an einem Investment-Sondervermögen) erworben, die einer eigenen Wertentwicklung unterliegen und ihrerseits als eigenständiges Wirtschaftsgut selbst im Rahmen des § 23 EStG zu steuerpflichtigen Veräußerungsgeschäften führen könnten. Dadurch sei der Zurechnungszusammenhang zwischen dem erstmaligen Erwerb der Fremdwährung im Jahr 1998 und dem Rücktausch in Deutsche Mark im Jahr 1999 unterbrochen worden. Folglich gebe es keine „Nämlichkeit“ zwischen der erworbenen Fremdwährung und der später nach dem Verkauf der X-Fondanteile veräußerten Fremdwährung. Diese Sichtweise der Finanzverwaltung bei der Anschaffung von Wirtschaftsgütern in Fremdwährung ergebe sich zudem aus Randnummer 43 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 25. Oktober 2004 (IV C -S 2256-238/04, BStBl I 2004, 134).
16
Gegen die ablehnende Entscheidung des Bekl im Einspruchsverfahren erhob die Kl Klage beim Finanzgericht.
17
Die Kl wiederholte im Klageverfahren im Wesentlichen ihre Argumentation aus dem Einspruchsverfahren. Ergänzend dazu verweist sie auf ein Urteil des BFH vom 30. November 2010 (VIII R 58/07, BFHE 232, 337, BStBl II 2011, 491), das ihre Auffassung stütze.
18
Die Kl beantragt, den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1999 vom 7. September 2001, geändert durch den Bescheid vom 16. Oktober 2001 und vom 21. Juli 2008, zuletzt geändert durch den Bescheid vom 9. Oktober 2008, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Mai 2010 dahingehend abzuändern, als die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG von – (minus) xx.xxx,00 DM auf – (minus) x.xxx.xxx,00 DM festgesetzt werden, hilfsweise die Zulassung der Revision, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
19
Der Bekl beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
20
Er verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung sowie auf die gewechselten Schriftsätze, auf die an dieser Stelle Bezug genommen wird. Zudem habe der BFH in seinem Urteil vom 24. Januar 2012 (IX R 62/10, BStBl II 2012, 564) bei der Prüfung des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 EStG entschieden, dass zur Berechnung des Auflösungsgewinns aus einer in ausländischer Währung angeschafften und veräußerten Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft sowohl die Anschaffungskosten als auch der Veräußerungspreis zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Bestehens in Euro umzurechnen seien.  Die Besteuerung eines Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 EStG sei in seiner Struktur mit der Ermittlung eines Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen einer Kapitalgesellschaft gemäß § 17 EStG vergleichbar.
21
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, sowie die vom Bekl vorgelegten Steuerakten (1 Band Feststellungsakten, 1 Band Rechtsbehelfsakten, 1 Band Betriebsprüfungsakten) Bezug genommen (§ 71 Abs. 2 FGO).

Entscheidungsgründe

23
I) Die zulässige Klage ist nicht begründet.
24
Der Bekl hat zu Recht im Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1999 den Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften mit xx.xxx DM angesetzt.
25
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1999 erfasst Gewinne und Verluste aus der Veräußerung von anderen als den in Nr. 1 genannten Wirtschaftsgütern, insbesondere Forderungen im Privatvermögen, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 1 Jahr beträgt. Das veräußerte Wirtschaftsgut muss mit dem erworbenen zumindest wirtschaftlich identisch sein. Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der genannten Frist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsgutes im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen (vgl. BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614; vom 24. Januar 2012 IX R 62/10, BFHE 236, 362, BStBl II 2012, 564).
26
Zu den Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines Spekulationsgeschäfts sein können, zählen auch Valuta in fremder Währung. Fremdwährungsbeträge werden angeschafft im Sinne von § 23 EStG, wenn sie gegen Umtausch von Deutsche Mark erworben werden. Sie werden veräußert im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie in Deutsche Mark rückgetauscht oder in eine andere Fremdwährung umgetauscht werden (BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom 30. November 2010 VIII R 58/07, BFHE 232, 337, BStBl II 2011, 491). Der sich durch Währungsschwankungen ergebende Kursgewinn wird mithin nicht schon durch den Transfer eines Fremdwährungsguthabens von einem Konto auf ein anderes oder durch die Gewährung eines Darlehens in Fremdwährung und den Rückfluss der Darlehensvaluta in Fremdwährung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG realisiert. Die Verlagerung des Fremdwährungsguthabens führt als solche zu keinem Vermögenszuwachs des Steuerpflichtigen und zu keiner Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Wellmann, DStZ 1997, 253, 254). Die Wertsteigerung im Privatvermögen in Form des erzielten Kursgewinns wird gemäß § 23 EStG erst dann durch einen marktoffenbaren Veräußerungsvorgang realisiert und damit steuerbar, wenn die ausländische Währung in Deutsche Mark (oder eine andere Währung) rückgetauscht wird. Erst in dem durch den günstigen Rücktausch erhöhten DM-Betrag (oder Betrag in einer anderen Währung) liegt der Zufluss des „Veräußerungspreises“ im Sinne von § 23 letzter Absatz i.V.m. § 11 Abs. 1 EStG (BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom 30. November 2010 VIII R 58/07, BFHE 232, 337, BStBl II 2011, 491).
27
Allerdings hat der BFH nicht ausgeschlossen, dass auch der Erwerb eines Wirtschaftsgutes in einer Fremdwährung und dessen anschließende Veräußerung ebenfalls in einer Fremdwährung – überlagernd – den Tatbestand eines Spekulationsgeschäftes erfüllen könne (BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614;  vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469; vom 30. November 2010 VIII R 58/07, BFHE 232, 337, BStBl II 2011, 491). Unter der Anschaffung eines Wirtschaftsguts ist der entgeltliche Erwerb eines bereits vorhandenen Wirtschaftsguts von einem Dritten zu verstehen (vgl. BFH-Urteile vom 30. November 1976 VIII R 202/72, BFHE 120, 522, BStBl II 1977, 384, 386, unter III.; vom 22. September 1987 IX R 15/84, BFHE 151, 143, BStBl II 1988, 250; vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614). Danach sind vom Steuerpflichtigen selbst geschaffene Wirtschaftsgüter nicht „angeschafft“, ebenso wenig eine Darlehensforderung, die erst durch den vom Steuerpflichtigen geschlossenen Darlehensvertrag entsteht. Zudem ist unter einer Veräußerung im Sinne des § 23 EStG die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten zu verstehen (BFH-Urteil vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614).
28
Nach diesen Grundsätzen hat der BFH entschieden, dass die Hingabe eines Fremdwährungsdarlehens und dessen anschließende Rückführung durch den Schuldner – ebenso in Fremdwährung – nicht den Tatbestand des § 23 EStG erfülle. Ein Darlehensgeber bringe durch die Anlage von Festgeld originär eine Darlehensforderung zur Entstehung, erwerbe die Forderung aber nicht entgeltlich von einem Dritten. Genauso wenig liege im Rückfluss der vom Darlehensgeber angelegten Festgelder eine Veräußerung der Darlehensforderungen (BFH-Urteile vom 2. Mai 2000 IX R 73/98, BFHE 192, 435, BStBl II 2000, 614; vom 30. November 2010, BFHE 232, 337, BStBl II 2011,491).
29
Vorliegend hat die Kl jedoch keine Festgeldanlage in Fremdwährung getätigt, sondern am 12. Januar 1998 Anteile an einem Investmentfonds (X-Fond) gekauft. Sie hat damit entgeltlich von einem Dritten eigenständige Wirtschaftsgüter –  die Fondsanteile – erworben, diese am 28. Dezember 1998 wieder veräußert und den Erlös in Fremdwährung vereinnahmt. Mithin erfüllt der Erwerb der Anteile am X-Fond seinerseits dem Grunde nach den Tatbestand eines Veräußerungsgeschäfts, auch wenn im Jahr 1998 dieser Vorgang wegen Überschreitens der sechsmonatigen Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG 1998 sowie der Nichtigerklärung der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 gültigen Fassung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 110, 141) nicht der Einkommensteuer unterlag.
30
Damit verengt sich die im vorliegenden Fall zu klärende Fragestellung darauf, wie eine – fiktive – Ermittlung eines Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG in Bezug auf die Anteile am X-Fond zu erfolgen hätte. Werden Zahlungsvorgänge, die zur Erzielung von Einkünften führen, in ausländischer Währung abgewickelt, sind sie in Deutsche Mark umzurechnen. Hierfür gibt es zwei denkbare Methoden. Entweder wird jeder Vorgang, d.h. jede Anschaffung oder jeder Verkauf, sogleich zu dem zu diesem Zeitpunkt bestehenden Währungs-Wechselkurs umgerechnet (sog. Zeitbezugsverfahren) oder es werden erst nachträglich  – zum Zeitpunkt des Währungshin- und -rücktauschs – die in ausländischer Währung ermittelten Einkünfte umgerechnet (sog. Stichtagsverfahren).
31
Vorliegend könnte die Kl mit ihrer Argumentation, dass sie mit dem Rücktausch der xx.xxx.xxx US-Dollar in Deutsche Mark am 11. Januar 1999 (bei einem Wechselkurs  von 1,68000 DM/US-Dollar) einen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von x.xxx.xxx DM berücksichtigt wissen wolle, nur durchdringen, wenn man bezüglich des An- und Verkaufs der Anteile am X-Fond das Stichtagsverfahren anwendete. Demgegenüber hat der Bekl bei seiner Berechnung des Verlusts aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von xx.xxx DM bezüglich des An- und Verkaufs der Fondsanteile -gedanklich – das Zeitbezugsverfahren angewendet und zum Zeitpunkt des An- und Verkaufs nicht nur die Wertdifferenz des Wertpapiers in US-Dollar an sich, sondern auch den jeweiligen Währungs-Wechselkurs an diesen beiden Tagen (Wechselkurs am 12. Januar 1998 von 1,81463 DM/US-Dollar bei Ankauf der Wertpapiere sowie Wechselkurs am 28. Dezember 1998 von 1,68180 DM/US-Dollar bei Verkauf der Wertpapiere) zugrunde gelegt. Der Bekl hat mithin nur den von der Kl in der Zeit vom 28. Dezember 1998 (Verkauf der Anteile am X-Fond) bis zum 11. Januar 1999 (Umtausch der Fremdwährung in Deutsche Mark) erlittenen Währungsverlust anerkannt.
32
Der BFH hat in mehreren Entscheidungen dargelegt, dass im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei Geschäften in ausländischer Währung das Zeitbezugsverfahren anzuwenden sei (BFH-Urteil vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57; BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2008 I B 44/08, BFH/NV 2009, 940). Die allgemeinen Bewertungsgrundsätze und die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung erforderten, dass sich bei Geschäftsvorfällen in ausländischer Währung auch der jeweilige Wechselkurs als einer der für die Bewertung der Wirtschaftsgüter relevanten Faktoren niederschlage. Mit weiterem Urteil vom 24. Januar 2012 (IX R 62/10, BFHE 236, 362, BStBl II 2012, 564) hat der BFH für die Berechnung eines Beteiligungsgewinns nach § 17 EStG das Zeitbezugsverfahren als maßgeblich erachtet.
33
Diese Grundsätze sind nach Auffassung des erkennenden Senats auch auf die Ermittlung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 EStG übertragbar. Auch wenn diese Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2 EStG zu den sonstigen Einkünften gehören, die durch den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermittelt werden (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG), und damit nicht den Gewinneinkünften zuzurechnen sind, ist der Verwirklichung des Tatbestandes des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG eine Stichtagsbezogenheit bereits immanent. Besteuert wird – von der Gesetzesstruktur vergleichbar mit § 17 EStG – die Wertdifferenz eines Wirtschaftsgutes zwischen zwei Stichtagen. Dieses Prinzip bedingt, dass alle wertbildenden Faktoren des Wirtschaftsgutes zum Zeitpunkt von dessen An- und Verkauf Berücksichtigung finden. Wird ein Wirtschaftsgut in einer Fremdwährung angeschafft und später wieder veräußert, stellt auch das jeweilige Währungs-Wechselkursverhältnis einen wertbildenden Teil bei der Bewertung des Wirtschaftsgutes dar.
34
Nach Ansicht des Senats gewährleistet bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG allein das Zeitbezugsverfahren eine realitätsgerechte Bewertung eines eingetretenen Wertzuwachses bzw. Wertverlustes (ebenso das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 9. Februar 1999 2 K 220/97, EFG 1999, 537 a.A. Kirchmayr, FR 2001, 133; Steinkampf, DB 2004, 687). Bei Anwendung des Stichtagsverfahrens würde sachwidrig die wertbildende Ebene eines Wertpapiergewinns (in Fremdwährung) von dem weiteren wertbildenden Faktor des jeweiligen Wechselkurses getrennt. Damit würde der Tatbestand des § 23 EStG nicht nur in Bezug auf die Berechnung eines Spekulationsgewinns zeitlich überdehnt, sondern sogar in unzulässiger Weise auseinandergerissen.
35
Nach alledem war die Klage als unbegründet abzuweisen.
36
II) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
37
III) Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, ob bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 22 Nr. 2, § 23 EStG das Zeitbezugsverfahren oder das Stichtagsverfahren zur Anwendung gelangt und im Hinblick darauf, dass diesbezüglich noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, lässt das Gericht gegen das Urteil die Revision zum BFH zu.

Rechnungen auf fremden Namen ausgestellt obwohl keine Leistungen erbracht wurde

FG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2013, 9 K 1138/11

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

 

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob mit Einverständnis der Klägerin Rechnungen auf ihren Namen ausgestellt wurden, obwohl sie keine Leistungen erbracht hat.
2
Der Zeuge X (Bruder der Zeugin) erbrachte in den streitigen Jahren 1998 und 1999 umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistungen an die Firma A, Q-Straße 1, B.
3
Diese Leistungen wurden gegenüber der Firma A auf den Namen der Klägerin in insgesamt 13 Rechnungen wie folgt abgerechnet (Bl. 23 ff Steufa Akte):
4
Rechnung vom
Brutto
Bemessungsgrundlage
Umsatzsteuer 16 %
1.
25.02.1998
5.250,00 DEM
4.565,22 DEM
684,78 DEM
2.
27.03.1998
5.060,00 DEM
4.400,00 DEM
660,00 DEM
3.
27.04.1998
3.132,00 DEM
2.700,00 DEM
432,00 DEM
4.
11.05.1998
5.046,00 DEM
4.350,00 DEM
696,00 DEM
5.
23.06.1998
2.030,00 DEM
1.750,00 DEM
280,00 DEM
6.
17.07.1998
4.060,00 DEM
3.500,00 DEM
560,00 DEM
7.
12.08.1998
5.800,00 DEM
5.000,00 DEM
800,00 DEM
8.
02.09.1998
8.120,00 DEM
7.000,00 DEM
1.120,00 DEM
9.
02.10.1998
7.076,00 DEM
6.100,00 DEM
976,00 DEM
10.
02.11.1998
6.032,00 DEM
5.200,00 DEM
6.032,00 DEM
11.
01.12.1998
10.150,00 DEM
8.750,00 DEM
1.400,00 DEM
12.
15.01.1999
7.076,00 DEM
6.100,00 DEM
976,00 DEM
13.
08.02.1999
6.032,00 DEM
5.200,00 DEM
832,00 DEM
5
Die Rechnungsanschrift lautete:
6
E. G-F (in einem Fall nur G)
W-Straße 5
….. H
…../……
7
Die Rechnungen waren nicht unterschrieben.
8
Die Klägerin trat gegenüber der Firma A nie persönlich auf. Vielmehr zahlte die Firma in Absprache mit dem Zeugen X die Leistungen in 9 Fällen (1 bis 7 und 12 und 13) per Verrechnungsscheck auf den Namen G (- Bl. 61 Steuerstrafakte -). In den anderen Fällen ist der Zahlungsweg nicht bekannt. Die Klägerin löste die Schecks, mit einer Ausnahme (Rechnung vom 17. Juli 1998, 4.060 DEM), auf ihrem Konto ein (Bl. 100, 124 Steuerstrafakte).
9
Weder der Zeuge X noch die Klägerin reichten für die Streitzeiträume Umsatzsteuerjahreserklärungen beim zuständigen Finanzamt ein. Der Beklagte erfuhr erst mit Kontrollmitteilung vom 24. Juli 2003 von den o.g. Rechnungen (Bl. 11 Steuerstrafakte). Am 21. Dezember 2004 leitete das Finanzamt Y daher ein Steuerstrafverfahren gegen die Klägerin u.a. wegen Umsatzsteuerhinterziehung 1999 ein und erweiterte am 02. März 2005 dieses Strafverfahren auf den Besteuerungszeitraum 1998.
10
Im Strafverfahren ließ sich die Klägerin widersprüchlich ein. Mit Schreiben vom 10. November 2003 (Bl. 10 Steuerstrafakte) gab sie zunächst an, es sei unwahrscheinlich, dass sie Umsätze nicht gemeldet habe. Auf konkreten Vorhalt der Straf- und Bußgeldsachenstelle teilte sie am 08. März 2005 (Bl. 47 Steuerstrafakte) mit, sie habe von dem gesamten Vorgang keinerlei Kenntnis gehabt. Alles sei ohne ihr Wissen und Zutun geschehen. Verrechnungsschecks der Firma A habe sie nie gesehen. Die Klägerin mutmaßte damals, ihr Exmann, der Zeuge M, und ihr Bruder, der Zeuge X, hätten unter Benutzung ihres Namens Telefonmarketing betrieben. Mit Schreiben vom 14. April 2008 behauptete sie gegenüber der Straf- und Bußgeldsachenstelle weiter, sie könne sich nicht erklären, wie die Schecks bei der N-Bank Z auf ihrem Konto eingereicht werden konnten. Im laufenden Verfahren räumte sie jedoch ein, sie habe die Schecks für den Zeugen X eingelöst, um gemeinsam mit ihrem Bruder Unterhaltsansprüche von dessen geschiedenen Ehefrau zu vereiteln.
11
Der Beklagte setzte, nach Abschluss des Strafverfahrens, mit Umsatzsteuerbescheiden vom 26. Februar 2010 die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 aus den o.g. Rechnungen (1 bis 7 und 12 und 13) wie folgt fest:
12
Bescheid vom
Umsatzsteuer
Zinsen
1998
26. Februar 2010
2.102,43 Euro
1.249,00 Euro
1999
26. Februar 2010
924,42 Euro
481 Euro
13
Den hiergegen am 04. März 2010 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2011 als unbegründet zurück.
14
Die Klägerin hat am 25. März 2011 Klage erhoben.
15
Sie behauptet, der Zeuge X habe ohne ihr Wissen auf ihren Namen Rechnungen ausgestellt. Sie habe von den Rechnungen erst im Strafverfahren erfahren. Dies ergebe sich aus verschiedenen Indizien. Der Zeuge X habe in der ersten Rechnung den alten Mädchennamen der Klägerin „G“ verwendet, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits G – M geheißen habe. Keine der Rechnungen sei handschriftlich unterzeichnet. Bei der Firma A sei sie selbst nicht in Erscheinung getreten. Sie habe den Bruttobetrag jeweils unverzüglich nach der Einlösung der Verrechnungsschecks an den Zeugen in bar übergeben, und zwar ausschließlich, um die Unterhaltspflichten der geschiedenen Frau des Zeugen X zu vereiteln. Die Zeugen X, P. X und M hätten im Strafverfahren nur deshalb übereinstimmend vorgetragen, die Klägerin habe sich verpflichtet, die Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen, um sie zu belasten. Es gebe persönliche Unstimmigkeiten zwischen ihr und den Zeugen. Zudem gebe es Widersprüche in der Aussage der Zeugin P. X. Sie könne bei der (angeblichen) ersten Besprechung nicht dabei gewesen sein. Die erste Rechnung laute auf den 25. Februar 1998. Herr und Frau X hätten sich jedoch erst Mitte 1998 kennen gelernt. Aus dem Umstand, dass mehrfach der Name „G“ auf den Verrechnungsschecks als Empfängerin vermerkt sei, habe sie nicht schließen können, dass auch Rechnungen auf ihren Namen ausgestellt worden seien (Vorhalt der Berichterstatterin im Erörterungstermin vom 08. Juni 2011, Bl. 75 Gerichtsakte). Vielmehr könnte dies auch ein Hinweis auf eine unselbstständige Tätigkeit gewesen sein (Vortrag Klägervertreter Bl. 90 Gerichtsakte).
16
Der Klägervertreter ist der Auffassung, § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 sei nicht anwendbar. Die Rechnungen seien formell nicht ordnungsgemäß, da die Steuernummer, die Umsatzsteueridentifikationsnummer und der Leistungszeitpunkt fehlen würden. Es bestehe daher nicht die Gefahr des unberechtigten Abzugs von Vorsteuer. Zudem sei die Klägerin jedenfalls Kleinunternehmerin nach § 19 UStG.
17
Die Klägerin beantragt, die Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999 vom 26. Februar 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2011 aufzuheben.
18
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
19
Die Klägerin habe gewusst, dass der Zeuge X auf ihren Namen Rechnungen ausstelle, obwohl sie selbst keine Leistungen erbracht habe. Die Schecks seien auf ihren Namen ausgestellt worden. Die Zeugen hätten sie im Strafverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholt übereinstimmend belastet. Sie schulde daher die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999.
20
Das Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung 1998 hat die Straf- und Bußgeldsachenstelle am 04. Februar 2010 wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung eingestellt. Das Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung 1999 wurde mit Beschluss des Amtsgericht Y vom 06. September 2010 nach § 206a Strafprozessordnung wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung eingestellt.
21
Am 08. Juni 2011 hat in der Sache ein Erörterungstermin stattgefunden. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen (Bl. 74 Gerichtsakte).
22
Mit Beschluss vom 23. August 2012 hat der Senat beschlossen, Beweis über die Behauptung des Beklagten zu erheben, die Klägerin habe gewusst, dass der Zeuge X in den Besteuerungszeiträumen 1998 und 1999 auf ihren Namen Rechnungen an die Firma A ausgestellt habe, durch Vernehmung der Zeugen X, P. X und M (auf den Beweisbeschluss Blatt 96 Gerichtsakte wird Bezug genommen).
23
Der Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen, den Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2011 und den vorgelegten Akten des Beklagten (§ 71 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
24
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet – der Klägervertreter am 11. Januar 2013 und der Beklagte am 22. Januar 2013.
25
Der Klägervertreter hat nach der Sitzung des Senats am 25. Januar 2013 mit Schriftsatz vom 01. Februar 2013 nochmals vorgetragen. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Der Senat entscheidet nach der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2012 mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
27
Die Klage ist unbegründet.
28
Die Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999 vom 26. Februar 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2011 verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
29
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin und  der Zeuge X aufgrund eines gemeinsamen Plans die streitigen Rechnungen auf den Namen der Klägerin an die Firma A ausgestellt haben.
30
Der Senat kann – wie von der Klägerin vorgetragen – als wahr unterstellen, dass die Klägerin nicht als „Strohfrau“ und damit als Unternehmerin nach § 2 UStG gehandelt hat. Die Klägerin schuldet die Umsatzsteuer aus den Rechnungen jedenfalls nach § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999.
31
1. Nach § 14 Abs. 3 S. 1 UStG 1998/1999 schuldet den ausgewiesenen Betrag, wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist. Nach § 14 Abs. 3 S. 2 UStG 1998/1999 gilt das gleiche, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt.
32
a) Die Auffassung des Klägervertreters, den Steuerbetrag nach § 14 Abs. 3 UStG 1998 /1999 würde die Klägerin nur dann schulden, wenn die Rechnungsvoraussetzungen nach § 14 Abs. 1 UStG 1998/1999 insgesamt vorliegen, teilt der Senat nicht.
33
aa) Nach der früheren und nunmehr wieder aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verweist § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 zur Konkretisierung des Merkmals „Rechnung“ auf den allgemeinen Rechnungsbegriff des § 14 Abs. 4 UStG 1998/1999, nicht dagegen auf § 14 Abs. 1 UStG 1998/1999 (vgl. Bundesfinanzhof – BFH – Urteile vom 16. März 1988 X R 7/80, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1989, 197; in Sammlung amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFHE – 153, 65, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 1988, 688; in BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694; in BFHE 173, 466, BStBl II 1994, 342; in BFH/NV 1996, 190; in BFHE 194, 552, BStBl II 2004, 370, m.w.N.). § 14 Abs. 4 UStG 1998/1999 definierte die Rechnung -wie § 14 Abs. 1 UStG- als jede Urkunde, mit der ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter über eine Lieferung oder sonstige Leistung abrechnet, gleichgültig, wie diese Urkunde im Geschäftsverkehr bezeichnet wird. Diese Anknüpfung entspricht dem Zweck des § 14 Abs. 3 UStG 1973, Missbräuche durch das Ausstellen von Rechnungen mit offenem Steuerausweis in Bezug auf den Vorsteuerabzug zu verhindern (vgl. den Bericht des Finanzausschusses über den Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes -Nettoumsatzsteuer-, BTDrucks 5/1581, S.15; vgl. BFH-Urteile vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131, und vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250). Entgegen der Auffassung des Klägervertreters reicht es daher, wenn die Rechnung dem Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug eröffnen kann (BFH-Urteile vom 16. März 1988 X R 7/80, BFH/NV 1989, 197).
34
bb) Mit Urteil des BFH vom 17. Februar 2011 V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734 hat der Bundesfinanzhof seine zwischenzeitlich vertretene Auffassung – die formellen Rechnungsvoraussetzungen nach § 14 Abs. 1 UStG 1998/1999 müssten auch hinsichtlich einer Rechnung im Sinne von § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 insgesamt vorliegen –  aufgegeben (vgl. BFH-Urteile vom 30. Januar 2003 V R 98/01, BFHE 201, 550, BStBl II 2003, 498; vom 18. Januar 2001 V R 83/97, BFHE 194, 483; Änderung der Rechtsprechung) und knüpft wieder an den Zweck der Vorschrift  – nämlich die Missbrauchsbekämpfung – an.
35
cc) Dementsprechend kann die neue Rechtsprechung zu § 14c UStG hier herangezogen werden, da § 14c UStG ebenso wie § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 den Zweck verfolgt, Missbrauch durch Ausstellung von Rechnungen zu verhindern und der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens durch ein Ungleichgewicht von Steuer und Vorsteuerabzug zu begegnen (BRDrucks 630/03 vom 5. September 2003, zu Art. 4 zu Nr. 17 -§ 14c neu-, vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734). Eine Gefährdung tritt danach nicht nur ein, wenn eine alle Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 UStG 1998/1999 (bzw. § 14 Abs. 4 UStG n.F.) erfüllende Rechnung vorliegt. § 14c UStG bzw. § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 könnten den mit der  jeweiligen Norm verfolgten Zweck, Missbräuche zu vereiteln und das Steueraufkommen zu sichern, nicht erfüllen, wenn sich Rechnungsaussteller durch Weglassen auch nur eines Merkmals des § 14 Abs. 4 UStG (bzw. § 14 Abs. 1 UStG 1998/1999) ihrer Inanspruchnahme entziehen könnten (zutreffend Frye, UR 2011, 1, 7). Für die Anwendung des  § 14 c UStG (bzw. 14 Abs. 3 UStG 1998/1999) reicht es daher aus, dass das Dokument als Abrechnung über eine (angebliche umsatzsteuerpflichtige) Leistung durch einen (angeblichen) Unternehmer wegen des Ausweises der Umsatzsteuer abstrakt die Gefahr begründet, vom Empfänger oder einem Dritten zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gebraucht zu werden. Danach reicht es aus, wenn es sich um ein Dokument handelt, das den Rechnungsaussteller, den (vermeintlichen) Leistungsempfänger, eine Leistungsbeschreibung, sowie das Entgelt und die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer ausweist.
36
dd) Die streitigen Rechnungen erfüllen diese Voraussetzungen. Der Name der Klägerin als (angebliche) Unternehmerin, die Firma A als Leistungsempfängerin, eine Leistungsbeschreibung (bspw. Telefonmarketing-Aktion, Telefonmarketing-Schulung, Vertriebsschulung usw.) sowie das Entgelt und die gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer sind jeweils enthalten.
37
b) Die in einer Urkunde als Aussteller bezeichnete Person – also vorliegend die Klägerin – kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sie in irgendeiner Weise an der Erstellung der Urkunde mitgewirkt hat (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 525; in BFHE 171, 125, BStBl II 1993, 531) oder wenn ihr die Ausstellung zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 4. März 1982 V R 59/81, BFHE 135, 130, BStBl II 1982, 315). Für Rechnungen sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Regelungen entsprechend anwendbar (BFH-Urteil in BFHE 201, 550, BStBl II 2003, 498, unter II.3.). Aussteller einer Rechnung ist daher nicht nur, wer die betreffende Rechnung eigenhändig erstellt hat. Vielmehr sind insoweit die zum Recht der Stellvertretung entwickelten Grundsätze zu beachten. Es kommt also nicht darauf an, ob die Klägerin die Rechnungen selbst erstellt und ausgedruckt oder ob dies der Zeuge X übernommen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 13. November 2003 V B 140/02, BFH/NV 2004, 382; vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1993 V R 75/88, BFHE 171, 94, BStBl II 1993, 357, unter II.1.c; in BFHE 171, 125, BStBl II 1993, 531; in BFH/NV 1999, 525, BFH-Urteil vom 07. April 2011 V R 44/09, BFHE 234,430, BStBl II 2011, 954; vgl. Stadie in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c UStG, Rz. 118).
38
Der Senat ist aufgrund der  eingeschränkten Glaubwürdigkeit der Klägerin, den Aussagen der Zeugen und der weiteren Indizienlage davon überzeugt, dass die Klägerin ihrem Bruder – dem Zeugen X – erlaubt hat, auf ihren Namen gegenüber der Firma A aufzutreten und abzurechnen und die Aussagen der Klägerin eine Schutzbehauptung darstellen.
39
aa) Die Glaubwürdigkeit der Klägerin ist aufgrund ihres Verhaltens und ihres kundgetanen Verhältnisses zur Wahrheit erheblich eingeschränkt.
40
Im Strafverfahren ließ sie sich widersprüchlich und nach einer Scheibchentaktik jeweils nur auf den konkreten Vorhalt der Straf- und Bußgeldsachenstelle ein. Zunächst gab die Klägerin an, sie habe von dem gesamten Vorgang keinerlei Kenntnis gehabt. Auch Verrechnungsschecks der Firma A habe sie nie gesehen. Sie könne sich auch nicht erklären, wie die Schecks bei der N-Bank Z eingelöst worden seien. Erst als ihr im Strafverfahren die kopierten Schecks vorgelegt wurden, hat die Klägerin eingeräumt, sie habe die Schecks eingelöst.
41
Die Glaubwürdigkeit der Klägerin ist auch durch ihr übriges Verhältnis zur Ehrlichkeit getrübt. Die Klägerin räumt unumwunden strafrechtlich bewehrtes Verhalten ein. Sie habe die Schecks für ihren Bruder bei der N-Bank eingelöst, um den Unterhaltsanspruch von dessen geschiedener Frau zu vereiteln. Damit habe sie ihrem Bruder helfen wollen. Andererseits würde sie gegenüber Behörden keinesfalls falsche Auskünfte erteilen oder das Ausstellen unrichtiger Rechnungen fördern.
42
bb) Die Aussage der Klägerin – sie habe von den Rechnungen nichts gewusst – ist zudem durch die Zeugenaussagen widerlegt.
43
Die Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass die Klägerin von den Rechnungen an die Firma A gewusst hat. Es hätte eine gemeinsame Absprache gegeben.
44
Soweit der Klägervertreter meint, aufgrund der Gleichförmigkeit der Aussage und der fehlenden Detailliertheit der Zeugenaussagen, sei erkennbar, dass die Zeugen sich abgesprochen hätten, um die Klägerin zu belasten, folgt der Senat dieser Meinung nicht. Vielmehr ist es normal, dass die Zeugen sich nach fast 14 Jahren nicht mehr an Einzelheiten erinnern und teilweise nur noch schematisch antworten konnten. Zudem haben alle Zeugen diese Erinnerungslücken zugegeben (Wahrheitszeichen).
45
Auch die angebliche Widersprüchlichkeit – die Zeugin P. X könne bei einer ersten Absprache vor Rechnungserstellung im Februar 1998 nicht dabei gewesen sein – sieht der Senat nicht. Vielmehr ist es dem Zeitablauf geschuldet, dass die Zeugen sich nicht an die genaue zeitliche Reihenfolge erinnern konnten. Es ist durchaus wahrscheinlich – wie von der Zeugin P. X angegeben – , dass zwischen den Beteiligten mehrfach über die Vorgehensweise gesprochen und sie daher erst später eingeweiht wurde.
46
Der Klägervertreter meint, „wohlgesonnene“ Angehörige  hätten sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Er schließt daher auf eine Belastungstendenz der Zeugen. Dem folgt der Senat nicht. Die Zeugen hatten die Klägerin bereits im Strafverfahren belastet, so dass es auf eine weitere Aussage nicht mehr ankam. Zudem haben die Zeugen keinerlei Anzeichen von Aggressionen gezeigt. Es gab keinerlei Tendenzen, der Klägerin eine Alleinschuld zuzuweisen. Vielmehr habe man gemeinsam den Plan für diese Vorgehensweise gefasst. Der Zeuge X hat sich zudem erheblich selbst belastet, indem er zugegeben hat, die Verfahren genutzt zu haben, um seiner geschiedenen Frau zu schaden (Wahrheitszeichen).
47
cc) Auch die weiteren Indizien sprechen gegen die Klägerin.
48
Auf den Schecks, die die Klägerin persönlich bei der N-Bank Z eingelöst hat, ist jeweils eine Rechnungsnummer und zum Teil auch ein Rechnungsdatum aufgetragen. Auf einem Scheck wird die Klägerin sogar als „FA E. G“ – also Firma G bezeichnet.
49
Die Klägerin ist gelernte Buchhalterin. Sie hat diesen Beruf jahrelang ausgeübt  und daher Kenntnis über das Einkommensteuer- und Umsatzsteuerrecht. Zur Überzeugung des Senats wusste sie demnach, dass die gegenüber der geschiedenen Ehefrau des Zeugen X verschleierten Einnahmen keinesfalls in den Steuererklärungen des Zeugen X auftauchen durften. Die Behauptung, sie habe sich darüber keine Gedanken gemacht, ist aufgrund ihrer Berufserfahrung nicht glaubhaft. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass die Absprache zwischen der Klägerin und dem Zeugen X konsequenterweise auch die Abrechnung gegenüber der Firma A umfasste.
50
c) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie – wenn sie als Unternehmerin gelten würde – jedenfalls als Kleinunternehmerin keine Umsatzsteuer schulde. Dies ergibt sich aus § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG und der Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer, der gefährdet wäre, wenn die Klägerin durch den Ausweis der Umsatzsteuer dem Rechnungsempfänger den Abzug von Vorsteuer ermöglichen könnte, obwohl sie als Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer abzuführen hat. Die gleichwohl ausgewiesene Umsatzsteuer würde die Klägerin daher auch als Kleinunternehmerin schulden (BFH-Beschluss vom 09. März 2009, IX B 87/08 www.juris.de).
51
2. Die Festsetzungsverjährung für die Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999 war zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheid am 26. Februar 2010 noch nicht eingetreten.
52
Die Klägerin hat die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 2 Nr. 1 AO). Zur Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung müssen im Hinblick auf die Ausführungen zu § 14 Abs. 3 UStG 1998/1999 keine weiteren Ausführungen gemacht werden (Blankettnorm). Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin als Finanzbuchhalterin wusste, dass sie aufgrund der auf ihren Namen ausgestellten Rechnungen Umsatzsteuer schuldete. Die Festsetzungsfrist betrug daher 10 Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO). Sie beginnt, wenn – wie bei der Umsatzsteuer – eine Steueranmeldung einzureichen ist (§ 18 UStG), mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, indem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Für den Besteuerungszeitraum 1998 begann die Festsetzungsfrist daher mit Ablauf des Kalenderjahres 2001 und für 1999 mit Ablauf des Kalenderjahres 2002. Sie endete für 1998 mit Ablauf des 31. Dezember 2011 und für 1999 mit Ablauf des 31. Dezember 2012.
53
3. Der Senat sah sich aufgrund des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 01. Februar 2013 nicht veranlasst, die mündliche Verhandlung fortzusetzen, da es sich um Wiederholungen aus den bereits zuvor vorgelegten Schriftsätzen und dem Klägervortrag aus der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2012 handelte, den der Senat in der Sitzung vom 25. Januar 2012 bereits berücksichtigt hatte (§ 90 Abs. 1 S. 1 FGO).
54
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
55
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO genannten Revisionsgründe vorlag.

Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer

FG Baden-Württemberg Urteil vom 21.1.2013, 9 K 2096/12

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

 

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Kläger den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer hat und daher die Erhaltungsaufwendungen für ein Arbeitszimmer als Werbungskosten geltend machen kann. Zudem ist streitig, ob die Erhaltungsaufwendungen für eine Toilette beruflich veranlasst sind.
2
Der ledige Kläger erzielt als Betriebsprüfer Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 Einkommensteuergesetz – EStG -). Sein Dienstsitz ist das Finanzamt X, in dem er im Streitzeitraum einen festen Arbeitsplatz hatte. Bis November 2008 verrichtete der Kläger seine Dienstgeschäfte zeitweise im Finanzamt und zeitweise im Außendienst.
3
Der Kläger ist Fachprüfer für geschlossene Immobilienfonds und Sanierungsobjekte.
4
Seit Dezember 2008 hat ihm sein Dienstherr erlaubt, zusätzlich ein häusliches Arbeitszimmer, aufgrund der vom Finanzministerium Baden-Württemberg erlassenen „Rahmenbedingen für die zeitweilige Dienstverrichtung zu Hause für Beschäftigte der Prüfungsdienste“, zu nutzen. Danach gilt Folgendes:
5
„(1) Den Beschäftigten der Prüfungsdienste wird die Möglichkeit der zeitweiligen Dienstverrichtung zu Hause eröffnet. Damit kann – ergänzend zu der Dienstverrichtung im Unternehmen und an der Dienststelle – künftig auch im häuslichen Bereich ein Teil der Arbeitsleistung erbracht werden.
[…]
(3) Die zeitweilige Dienstverrichtung zu Hause erfolgt unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange. Zu Hause ist nur die Verrichtung solcher Tätigkeiten zulässig, die nicht die Anwesenheit der Beschäftigten der Prüfungsdienste im zu prüfenden Unternehmen oder an der Dienststelle erfordern.
(4) Die genaue Ausgestaltung der zeitweiligen Dienstverrichtung zu Hause wird zwischen den Beschäftigten der Prüfungsdienste und der Dienststelle unter Beachtung der dienstlichen Erfordernisse festgelegt.“
6
Im Streitjahr 2008 renovierte der Kläger seine Wohnung (4 Zimmer, Küche, Bad, extra  Gäste – WC; Grundriss Bl. 20 Rechtsbehelfsakte – RBA -) und richtete sich gleichzeitig ein häusliches Arbeitszimmer ein. Der renovierte Teil der Wohnung ist insgesamt 70,1 m² groß. Hiervon entfallen 16,97 m² (24,2 %) auf das Arbeitszimmer und 4,17 m² (5,95 %) auf eine separate Toilette. Das Gäste – WC liegt unmittelbar neben dem Schlafzimmer.
7
Für die Renovierung entstanden im Streitjahr 2008 die folgenden Aufwendungen (Bl. 18 EStA):
8
Anteil Arbeitszimmer lt. Kläger (grds. 24,2 %, teilweise Einzelzuweisung der Kosten)
Anteil separate Toilette lt. Kläger (grds. 5,95% teilweise Einzelzuweisung der Kosten)
Summe
x.xxx,xx Euro
x.xxx,xx Euro
9
In seiner Einkommensteuererklärung 2008 (Eingang Beklagter: 26. Januar 2011) beantragte der Kläger, die Aufwendungen für das Arbeitszimmer zunächst in Höhe von x.xxx,xx Euro als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anzuerkennen. Der Beklagte erkannte mit Bescheid vom 04. Februar 2011 Aufwendungen für das Arbeitszimmer in Höhe von 1.250 Euro an. Im hiergegen eingelegten Einspruch vom 09. Februar 2011 (Zugang Beklagter: 16. Februar 2011) machte der Kläger den vollen Abzug der Aufwendungen für das Arbeitszimmer, für die separate Toilette und weitere nicht streitgegenständliche Aufwendungen als Werbungskosten geltend.
10
Mit Schreiben vom 07. März 2012 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er eine verbösernde Entscheidung durch Rücknahme des Einspruchs vermeiden könne (auf das Schreiben wird Bezug genommen). Er beabsichtige, die bisherige Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 1.250 Euro für das Arbeitszimmer nicht mehr anzuerkennen. Der Kläger hielt seinen Einspruch aufrecht.
11
Mit Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 setzte der Beklagte daraufhin unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2008 vom 04. Februar 2011 die Einkommensteuer zu Lasten des Klägers neu fest (auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen). Er berücksichtigte weder die Aufwendungen für das Arbeitszimmer noch die Aufwendungen für die separate Toilette.
12
Der Kläger hat am 22. Juni 2012 Klage erhoben.
13
Er ist der Ansicht, der Mittelpunkt seiner betrieblichen und beruflichen Tätigkeit liege im Arbeitszimmer. Er behauptet, die geschlossenen Immobilienfonds würde er fast ausschließlich und die Sanierungsobjekte ausschließlich in seinem Arbeitszimmer prüfen. Die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse stelle seine prägende Tätigkeit dar. Im Arbeitszimmer prüfe er die zusammengetragenen Unterlagen und Daten auf ihre steuerliche Würdigung, schreibe Anfragen an die Berater und Verwalter. Zuletzt schreibe er den Prüfungsbericht.
14
Im Außendienst spreche er mit den Steuerpflichtigen, Verwaltern der Immobilienfonds und Beratern. Er erhalte teilweise die notwendigen Prüfungsunterlagen und führe in seltenen Fällen Schlussbesprechungen durch. Oftmals würden die Berater auf die Schlussbesprechungen verzichten und nähmen nur schriftlich zum Außenprüfungsbericht Stellung. In 2009 habe er insgesamt vier allgemeine Besprechungen, drei Schlussbesprechungen und eine Betriebsbesichtigung durchgeführt.
15
Seitdem er im häuslichen Arbeitszimmer tätig sei,  hole er sich im Finanzamt (nur noch) die Prüfungsakten, helfe den dortigen Sachbearbeitern bei der Fallauswahl (Prüfungswürdigkeit, Prüfungszeitraum) und informiere diese über prüfungswürdige Sachverhalte. Gespräche mit dem Sachgebietsleiter über den Prüfungsplan, die Prüfungen oder über den (vorläufigen) Prüfungsbericht fänden kaum statt.
16
Zunächst behauptete er, er habe in 2008 an 49,5 Tagen, in 2009 an 41 Tagen und in 2010 an 44 Tagen im Außendienst gearbeitet. In seinem Klageschriftsatz vom 22. Juni 2012 trug er dann vor, er habe im Kalenderjahr 2009 von insgesamt 219,5 Arbeitstagen an 29 Tagen im Außendienst, an 51,5 Tagen im Amt und an 139 Tagen in seinem häuslichen Arbeitszimmer gearbeitet. Mit Schriftsatz vom 20. November 2012 trug er zuletzt nochmals andere Zahlen vor.
17
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Prüfung der Besteuerungsgrundlagen seine prägende Tätigkeit darstelle. Daher dürften nur insoweit die Arbeitszeitanteile verglichen werden. Er habe von insgesamt 116,25 Tagen in 2009 an 28 Tagen im Außendienst, an 21,5 im Amt und an 66,75 Tagen am Heimarbeitsplatz Besteuerungsgrundlagen geprüft. Die übrigen 102,25 Tage habe er nicht prägende Tätigkeiten, wie Akten abholen, Updates für die Software installieren, Teilnahme an Fortbildungen, Erstellen von Prüfungsberichten, Besprechungen von Feststellungen und Prüfungsschwerpunkten mit dem Innendienst, Besprechungsvorbereitungen usw.  erbracht. Diese müssten unberücksichtigt bleiben.
18
Der Verweis auf § 200 Abgabenordnung – AO -, wonach die Außenprüfung grundsätzlich in den Räumen des Steuerpflichtigen stattfinde, sei in seinem Fall nicht sachgerecht. Die geprüften Immobilienfonds hätten selten eigene Verwaltungsräume. Die Prüfung könne daher nicht in den Geschäftsräumen der Firmen stattfinden.
19
Nach Auffassung des Klägers würde die bisherige Rechtsprechung seinen Fall nicht abbilden.
20
Seine Tätigkeit sei nicht mit der eines Richters vergleichbar. Nach einem vom Bundesfinanzhof – BFH – entschiedenen Fall würde ein Richter sein hoheitliches Tun nach der Verkehrsanschauung im Gericht und nicht im Arbeitszimmer ausüben. Dies würde für einen Betriebsprüfer nicht zutreffen. Zudem habe der Richter im entschiedenen Fall an 180 Tagen im Gericht gearbeitet, was auch einen qualitativen Unterschied darstelle (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2011 VI R 13/11, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFHE  – 236, 92, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2012, 236; Vortrag Bl. 15 Gerichtsakte).
21
In einem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts – FG – vom 1. Oktober 2009, 1 K 11149/05, www.juris.de habe der Großbetriebsprüfer ausschließlich Vor- und Nacharbeiten in seinem Arbeitszimmer geleistet. Er verrichte dort seine gesamte Prüfungstätigkeit.
22
Er beruft sich auf ein Urteil des  FG Nürnberg vom 26. Oktober 2006, IV 83/2006, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst –  DStRE – 2007, 595 – 597. Im entschiedenen Fall sei das Gericht davon ausgegangen, dass ein Gerichtsvollzieher den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit im Arbeitszimmer habe, wenn er die Mehrzahl der Fälle im Arbeitszimmer vom Schreibtisch aus erledige.
23
Die Aufwendungen für die Toilette seien ebenfalls abzugsfähig, soweit eine berufliche Nutzung vorliege.
24
Aufgrund eines Umkehrschlusses kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Aufwendungen für eine während der Dienstzeit genutzte Toilette um Werbungskosten handeln müsse. Schließlich würde für die Nutzung einer im Betriebsvermögen befindlichen Toilette kein „Eigenverbrauch angesetzt“. Auch bei „Hotelübernachtungen und bei der doppelten Haushaltsführung würde kein Anteil der Kosten für eine private Toilettennutzung angesetzt. Er gehe davon aus, dass die Toilettennutzung im Zusammenhang mit Einnahmen stehe und diese Kosten Werbungskosten seien “.
25
Es gebe zwei mögliche objektive Aufteilungsmaßstäbe: entweder seine Dienstzeit könne anhand des Prüfertagebuchs oder anhand des von ihm angefertigten exemplarischen Toilettentagebuches über die tatsächliche Nutzung nachvollzogen werden (Toilettentagebuch, Schriftsatz vom 20. November 2012). Zeitlich betrachtet sei er zu ca. 33,33% privat und zu ca. 66,67% aus dienstlichen Gründen in seiner Wohnung. Die Toilette nutze er ca. 9 – 10 mal am Tag, davon ca. 8 – 9 mal beruflich. Es ergebe sich also eine berufliche Toilettennutzung von 73,58 %.
26
Auch Berufskraftfahrer könnten Ihre Aufwendungen für sanitäre Einrichtungen absetzen. Hieraus sei ersichtlich, dass diese Aufwendungen auch in seinem Fall beruflich veranlasst seien, solange er seiner beruflichen Tätigkeit nachgehe (BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFHE 237, 82, BStBl II 2012, 926).
27
Zudem beruft er sich auf eine Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1 BStBl II 2010, 672 und eine sich daran anschließende Entscheidung des FG Köln vom 19. Mai 2011 10 K 4126/09, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2011, 1360-1363. Danach seien Aufwendungen für ein Arbeitszimmer auch dann abzugsfähig, wenn sie nur zum Teil beruflich veranlasst seien. Dies müsse auch in Bezug auf die Aufwendungen für die beruflich genutzte Toilette gelten. Diese Auffassung habe auch das FG Köln in seinem Urteil vom 19. Mai 2011, 10 K 4126/09 Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2011, 1410 – 1412 vertreten.
28
Der Kläger begehrt außerdem, die Aufwendungen nach § 82b EStDV auf zwei Jahre aufzuteilen.
29
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 04. Februar 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 dahingehend abzuändern, dass die Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit um x.xxx,xx Euro (Arbeitszimmer: x.xxx,xx Euro x 50% = x.xxx,xx Euro , Toilette: x.xxx,xx Euro x 66% x 50% = x.xxx,xx Euro) erhöht werden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
30
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
31
Der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit liege jedenfalls nicht im Arbeitszimmer des Klägers.
32
Entscheidungserheblich sei, ob – unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung – das qualitativ für eine bestimmte Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt werde. Auch eine zeitlich weit überwiegende Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers bewirke keine Verlagerung des Mittelpunktes (BFH – Urteil vom 20. April 2010 VI B 150/09, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2010, 1434 – 1435; BFH-Urteil vom 27. Oktober 2011 VI R 71/10, BFHE 235, BStBl II 2012, 234 – Lehrer -; BFH-Urteil vom 08. Dezember 2011 VI R 13/11, BFHE 236, 92, BStBl II 2012, 236 – Richter -). Der zeitlichen Nutzung komme jedenfalls nur eine Indizwirkung zu.
33
Nach dem typischen Berufsbild unterscheide sich die Tätigkeit eines Außenprüfers von der Tätigkeit des Innendienstsachbearbeiters dadurch, dass er sich durch Betriebsbesichtigungen ein Bild der Verhältnisse der jeweiligen Unternehmen mache und anhand dessen prüfe, ob die in den Steuererklärungen geltend gemachten Ausgaben realitätsgerecht seien, sowie an Schlussbesprechungen teilnehme.
34
Aus den Unterlagen des Klägers ergebe sich, dass er an 20 Tagen im Außendienst und an 51 Tagen im Finanzamt, also außerhalb seines Heimarbeitsplatzes tätig gewesen sei. Es hätten auch Betriebsbesichtigungen und Schlussbesprechungen stattgefunden.
35
Zudem ergebe sich aus den Regelungen in den Rahmenbedingungen des Finanzministeriums Baden-Württemberg für die zeitweilige Dienstverrichtung zuhause für Beschäftigte der Prüfungsdienste, dass auch der Dienstherr davon ausgehe, dass ein Betriebsprüfer die berufstypischen Dienstverrichtungen im Außendienst ausübe.
36
Die Aufwendungen für die Toilette seien ebenfalls nicht abzugsfähig, da diese nach den gleichen Maßstäben wie die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer zu beurteilen seien. Zudem habe das FG Düsseldorf mit Urteil vom 1. Februar 2012 7 K 87/11, EFG 2012, 1830 – 1833 entschieden, dass Aufwendungen für gemischt genutzte Räume kein häusliches Arbeitszimmer seien und die Aufwendungen für eine Toilette von den grundsätzlich nicht abziehbaren und nicht aufteilbaren unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung, die nach Maßgabe des subjektiven Nettoprinzips durch die Vorschriften zur Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums bereits pauschal abgegolten seien, erfasst seien.
37
Dies ergebe sich ebenfalls aus dem Urteil des FG Köln vom 19. Mai 2011 10 K 4126/09, Deutsches Steuerrecht 2011, 1360 – 1363. Danach sei eine Toilette schon ihrem Typus nach nicht als häusliches Arbeitszimmer anzusehen, da keinerlei berufliche Nutzung vorliege (unter Punkt 4 des Urteils). Etwas anderes könne auch nicht aus dem Umstand folgen, dass der Kläger zwei Toiletten habe.
38
Am 25. Oktober 2012 hat ein Erörterungstermin stattgefunden. Die Berichterstatterin vertrat die Auffassung, dass der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit des Klägers sich im Veranlagungszeitraum 2008 (bzw. 2009) nicht in seinem Arbeitszimmer befunden habe (auf die Niederschrift wird Bezug genommen, Bl. 149 Gerichtsakte).
39
Auf eine am 26. Oktober 2012 gesetzte Ausschlussfrist nach § 79 b Abs. 2 und Abs. 3 FGO (zugestellt am 3. November 2012) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. November 2012 nochmals vorgetragen und Belege über die entstandenen Aufwendungen vorgelegt.
40
Der Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen und dem vom Beklagten vorgelegten Akten (§ 71 Abs. 2 FGO).
41
Am 21. Januar 2013 hat in der Sache eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Mit Schriftsätzen vom 23. Januar 2013 und vom 11. Februar 2013 hat der Kläger seine Argumente nochmals schriftlich dargelegt und einen anderen Antrag gestellt, nämlich die Aufwendungen für Toilette und Arbeitszimmer statt bisher auf 2 Jahre nunmehr auf 5 Jahre zu verteilen (§ 82b EStDV).

Entscheidungsgründe

42
Die Klage ist unbegründet.
43
Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 04. Februar 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Mai 2012 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Beklagte hat zurecht weder die Aufwendungen für das Arbeitszimmer noch die Aufwendungen für die Toilette als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt.
44
1. Nach § 9 Abs. 5 S. 1 EStG  i.V.m. 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie Kosten der Ausstattung nicht als Werbungskosten ansetzen.
45
Dies gilt nicht, wenn eine Ausnahmeregelung nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG greift.
46
Anders als im Urteil FG Düsseldorf vom 05. September 2012, 15 K 682/12 F, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2012, 2270 – 2272, ist es im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich, ob § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG in der Fassung des Hausbegleitgesetzes vom 09. Dezember 2010 (BGBl I S. 1900) oder in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, S. 1652) zur Anwendung kommt. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06. Juli 2010 2 BvL 13/09  hat der Gesetzgeber § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 durch das Hausbegleitgesetzes vom 09. Dezember 2010 rückwirkend neu geregelt. § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG in der für verfassungswidrig erklärten Fassung, kann nur noch in den Fällen angewandt werden, für die die Neuregelung eine echte Rückwirkung und damit eine Schlechterstellung darstellt.
47
Im Streitfall kann der Kläger jedoch die Aufwendungen für das Arbeitszimmer weder nach der aufgehobenen noch nach der für verfassungswidrig erklärten Norm als Werbungskosten abziehen.
48
a) Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes vom 09. Dezember 2010  (BGBl. I S. 1900) sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abzugsfähig, wenn für die betriebliche und berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Im Veranlagungsjahr 2008 und auch in 2009 hatte der Kläger im Finanzamt X einen festen Arbeitsplatz, den er jederzeit nutzen konnte. Ihm stand ein eigener Schreibtisch mit vollständiger Büroausstattung zur Verfügung. Ein Werbungskostenabzug kommt danach nicht in Betracht.
49
b) Nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 (BGBl I S. 1900) sind Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer abzugsfähig, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
50
aa) Für die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die Aufwendungen für seine nachfolgende berufliche Tätigkeit als Werbungskosten abziehbar sind, konnte im Hinblick auf die Frage, ob der Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers im Arbeitszimmer lag, auf die zu erwartenden Umstände des Kalenderjahres 2009 abgestellt werden, auch wenn die Aufwendungen bereits im Kalenderjahr abgeflossen sind (§ 11 EStG). Die zu erwartenden Umständen bestimmen für die hier angefallenen Vorbereitungsaufwendungen die Abziehbarkeit nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG (BFH-Urteil vom 23. Mai 2006 VI R 21/03, BFHE 214, 158, BStBl II 2006, 600 m.w.N.).
51
bb) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen ist Mittelpunkt seiner gesamten Betätigung, wenn er dort diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Dieser Mittelpunkt bestimmt sich nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der Betätigung des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 18. April 2012 X R 58/09, BFH/NV 2012, 1768-1774 m.w.N). Maßgebend ist danach, ob – unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung- das qualitativ für eine bestimmte steuerbare Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt wird (Söhn, in: Kirchhoff/Söhn/Mellinghof, 233. AL 09/12, EStG, § 4 Rz. LB 191; BFH-Urteil vom 08. Dezember 2011 VI R 13/11, BFHE 236, 92, BStBl II 2012, 236). Dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers kommt lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Aus diesem Grund schließt das zeitliche Überwiegen der außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers ausgeübten Tätigkeit einen unbeschränkten Abzug der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer ebenso wenig aus wie ein zeitliches Überwiegen der Tätigkeit im Arbeitszimmer dieses bereits zum Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung macht (vgl. BFH-Urteil vom 06. Juli 2005 XI R 87/03, BFHE 210, 493, BStBl 2006, 18 m.w.N.). Wo dieser Schwerpunkt liegt, ist im Wege einer Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festzustellen.
52
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat der Senat den festgestellten Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass der Kläger die für einen Betriebsprüfer prägenden Tätigkeiten – also die Tätigkeiten, die die charakteristische Eigenart seiner Tätigkeit, die ihn von anderen unterscheidet, ausmacht – außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers im Außendienst ausübt.
53
(a) Der Kläger führte im Streitjahr Außenprüfungen nach §§ 193 ff AO durch. Die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen in §§ 193 ff AO für die Tätigkeiten des Klägers stellen maßgeblich darauf ab, dass der Kläger außerhalb seines Dienstsitzes in den Geschäftsräumen der Steuerpflichtigen tätig wird und das Recht hat, Grundstücke und Betriebsräume zu betreten und zu besichtigen (§§ 193, 200 Abs. 2 und Abs. 3 S. 3 AO). Diese Eingriffsmöglichkeiten unterscheiden den Kläger maßgeblich von anderen Sachbearbeitern der Finanzverwaltung, die buchstäblich vom „grünen Tisch“ aus den Sachverhalt ermitteln. Der Kläger war im Kalenderjahr 2009 jedenfalls an 29 Tagen im Außendienst tätig und hat diese Ermächtigungsgrundlagen genutzt.
54
(b) Der Senat ist davon überzeugt, dass sich in den Rahmendienstvereinbarungen des Finanzministerium Baden-Württemberg für die zeitweilige Dienstverrichtung zu Hause für Beschäftigte der Prüfungsdienste das für einen Betriebsprüfer Typische – nämlich die Außendiensttätigkeit – widerspiegelt. Danach darf ein Betriebsprüfer – ergänzend zu der Dienstverrichtung im Unternehmen und an der Dienststelle – künftig auch im häuslichen Bereich einen Teil der Arbeitsleistung erbringen. Der Dienstherr des Klägers hat dem Kläger auf der Grundlage dieser Rahmendienstvereinbarung die Tätigkeit im häuslichen Arbeitszimmer erlaubt.
55
(c) Es kann als wahr unterstellt werden, dass bei den vom Kläger überwiegend geprüften Immobilienfonds und Sanierungsobjekten eine Prüfung außerhalb seines Arbeitszimmers grundsätzlich nicht erforderlich ist. Nach Überzeugung des Senats, liegt der Schlüssel zum Erfolg der Tätigkeit des Klägers dennoch in seiner Außendiensttätigkeit. In Einzelfällen und insbesondere in Zweifelsfragen verließ der Kläger sein Arbeitszimmer und führte bspw. Besprechungen mit den Steuerpflichtigen durch. Seine Arbeitsunterlagen erhielt er vielfach direkt in den Geschäftsräumen der zu prüfenden Betriebe. Hierbei handelt es sich nach Überzeugung des Senat nicht nur um eine bloße Vorbereitungshandlung für die Prüfung, sondern um die originäre Prüftätigkeit des Klägers, die ihn von anderen (Innendienst – ) Sachbearbeitern der Finanzverwaltung unterscheidet.
56
(d) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Klägers, dass die Auswertung der gesammelten Unterlagen und Informationen mit Hilfe besonderer Prüfungsprogramme (bspw. Bpa-Euro) das nach der Verkehrsanschauung Typische für die Tätigkeit eines Betriebsprüfers ist. Die eigentlich nach Außen wahrnehmbare Tätigkeit des Prüfers wird im Außendienst vorgenommen und manifestiert sich in Besprechungen, Betriebsbesichtigung, auch wenn diese – wie im Fall des Klägers – nur an 30 Tagen im Jahr stattgefunden haben sollten.
57
cc) Die zeitliche Nutzung des Arbeitszimmers, die der Kläger bis Schluss der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Tage und des Aufteilungsmaßstabes in unterschiedlicher Weise bezifferte, bedurfte daher keiner weiteren Aufklärung.
58
In den Fällen, in denen die das Berufsbild prägende Tätigkeit außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers stattfindet, kann auch eine zeitlich weit überwiegende Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers keine Verlagerung des Mittelpunkts bewirken (BFH-Urteil vom 27. Oktober 2011 VI R 71/10, BFHE 235, 448). Aufgrund der berufstypischen bzw. typisierenden Betrachtung erübrigen sich Feststellungen zum jeweiligen zeitlichen Umfang der beruflichen oder betrieblichen Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers. Auf diese Weise kann nach Auffassung des BFH – der sich der erkennende Senat anschließt – dem Prinzip eines gleichmäßigen Gesetzesvollzugs Rechnung getragen werden (zuletzt BFH-Urteil vom 08. Dezember 2011 VI R 13/11 BFHE 236,92, BStBl II 2012, 236).
59
dd) Auch die vom Kläger zitierte Rechtsprechung führt zu keinem anderen Ergebnis.
60
(a) Der Kläger meint, seine Tätigkeit sei nicht mit der eines Richters vergleichbar und das BFH-Urteil vom 18. Dezember 2011 VI R 13/11, BFHE 236, 92, BStBl II 2012, 236 könne daher nicht herangezogen werden. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Vielmehr wird der Richter aufgrund der ihm anvertrauten rechtsprechenden Gewalt tätig. Auch der Außenprüfer kann aufgrund seiner besonderen Befugnisse in den Rechtskreis der Steuerpflichtigen eingreifen, was gerade das prägende Element seiner Tätigkeit ausmacht. Aufgrund dieser berufstypischen und typisierenden Betrachtung – wie im zitierten BFH – Urteil vom 18. Dezember 2011 VI R 13/11 – kann im vorliegenden Fall die weit überwiegende zeitliche Nutzung des Arbeitszimmers außer Acht bleiben.
61
(b) Der Kläger leitet fälschlicherweise aus einem Urteil des Niedersächsischen FG vom 01. Oktober 2009 1 K 11149/05, www.juris.de ab, dass dem dortigen Großbetriebsprüfer der Abzug der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer verwehrt wurde, weil er dort nur Vor- und Nacharbeiten für die Prüfung ausgeübt habe. Im genannten Urteil stellt das Gericht in den Entscheidungsgründen jedoch vielmehr auf die Rahmendienstvereinbarungen für den Arbeitsplatz ab. Diese brächten eindeutig zum Ausdruck, dass das Arbeitszimmer lediglich zu vor- und nachbereitenden Arbeiten dienen würde. Eine ähnliche Vereinbarung hat der Kläger – wie bereits oben erwähnt – mit seinem Dienstherrn ebenfalls abgeschlossen.
62
(c) Die Berufung des Kläger auf das Urteil des FG Nürnberg vom 26. Oktober 2006 IV 83/2006, DStRE 2007, 595 – 597 (Gerichtsvollzieher) geht fehl. Im entschiedenen Fall hatte das FG Nürnberg den Mittelpunkt der Tätigkeit des Gerichtsvollziehers im Arbeitszimmer angenommen. Es hat maßgeblich darauf abgestellt, dass der Gerichtsvollzieher im Arbeitszimmer u.a. Sprechstunden abgehalten und Schuldner empfangen hat. Der Kläger hat in seinem Arbeitszimmer keinerlei Besprechungen mit Steuerpflichtigen oder deren Berater durchgeführt. Der wahrnehmbare Außenkontakt fand ausschließlich außerhalb der häuslichen Sphäre des Klägers statt.
63
2. Die anteiligen Aufwendungen für die Toilette sind keine abzugsfähigen Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 EStG.
64
a) Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass im Fall des Klägers die ausschließlich beruflich veranlassten Aufwendungen für das Arbeitszimmer nicht abzugsfähig sind („Erst-Recht-Schluss“). Demnach kann es nach Auffassung des Senats nicht sein, dass die zu 100 % beruflich veranlassten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht, aber gleichzeitig die anteilig angefallenen Aufwendungen für eine jedenfalls auch privat genutzte häusliche Toilette abzugsfähig sind. Dies mag anders zu beurteilen sein, wenn die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer abzugsfähig wären (vgl. BFH VIII R 10/12 – anhängiges Verfahren), muss jedoch im vorliegenden Fall nicht entschieden werden.
65
Die Argumentation des Kläger „die Toilette sei ja gerade kein Arbeitszimmer“ und daher in voller Höhe abzugsfähig geht nach Auffassung des Senats fehl. Eine getrennte Beurteilung der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer und die häusliche Toilette wäre nach Auffassung des Senats sinnwidrig. Die Regelung § 4 Abs. 5 Nr. 6b S. 2 EStG dient der typisierenden Begrenzung von Aufwendungen, die eine Berührung mit dem privaten Lebensbereich des Steuerpflichtigen aufweisen und in einer Sphäre anfallen, die einer Nachprüfung durch die Finanzverwaltung und Finanzgerichte entzogen ist (Urteile des BFH vom 27. September 1996 VI R 47/96, BFHE 181, 305, BStBl II 1997, 68, 70 und vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFHE 201, 106, BStBl II 2004, 59). Konsequenterweise ist die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Räume in der häuslichen Sphäre, die üblicherweise privat genutzt werden, auf das Arbeitszimmer begrenzt.
66
b) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass es sich bei der Toilette um einen betriebstättenähnlichen Raum – Werkstatt, Lager oder Archiv – handelt, für den das Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG nicht greift. Die Toilette ist kein derartiger betriebsstättenähnlicher Raum. Es handelt sich auch nicht um eine „Besuchertoilette“ für fremde Personen, sondern vielmehr um das private „Gäste-WC“, dass der Kläger auch während seiner Dienstzeit nutzt, so dass auch insofern kein besonderer beruflicher Zusammenhang besteht (BFH-Urteil vom 19. September 2002,  VI R 70/01, BFHE 200, 336, BStBL II 2003, 139; FG Hamburg vom 12. Dezember 2000 VI 263/99, www.juris.de). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger zwei Toiletten hatte.
67
c) Die Entscheidung des Großen Senat des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227,1 BStBl II 2010, 672 und die sich daran anschließende Rechtsprechung zu Reisekosten führt nach dem Vorgesagten ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage (BFH-Urteile vom 28. März 2012 VI R 48/11, BFHE 237, 82, BStBl II 2012, 926, vom 05. Juli 2012 VI R 50/10 BFHE nn. DB 2012, 2910 – 2011). Soweit dem Kläger die Abzugsfähigkeit für Aufwendungen für Räume in der häuslichen Sphäre dem Grunde nach versagt bleibt, kommt auch eine Aufteilung nach § 12 EStG nicht in Betracht. Demnach ist es auch nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger für die Nutzung der häuslichen Toilette einen objektiven Aufteilungsmaßstab (die Arbeitszeit oder die Anzahl der Nutzungen) schlüssig darlegt.
68
d) Dem Umkehrschluss des Klägers, wenn „für eine im Betriebsvermögen befindliche Toilette kein Eigenverbrauch angesetzt werde, sei davon auszugehen, dass es sich bei den Aufwendungen für die Toilettennutzung insgesamt um beruflich veranlasste Aufwendungen handle“, kann der Senat nicht folgen.  Ein derartiger Rückschluss verbietet sich, da bei der Nutzung einer im Betriebsvermögen befindlichen Toilette eine private Nutzung nahezu auszuschließen ist. Die Bereitstellung der „Betriebstoilette“ überlagert jeglichen privaten Sachzusammenhang.
69
3. Der Senat hat die nach der mündlichen Verhandlung nachgereichten Schriftsätze des Klägers vom 23. Januar 2013 und 11. Februar 2013 rechtsschutzgewährend als Anträge auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausgelegt (§ 93 Abs. 3 FGO).
70
Nach § 93 Abs. 3 S. 2 FGO kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung liegt grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dieses Ermessen ist nach der Rechtsprechung auf Null reduziert, wenn durch die Ablehnung einer Wiedereröffnung wesentliche Prozessgrundsätze verletzt würden, so z.B. wenn der Vorsitzende seine Verpflichtung, auf die Beseitigung von Formfehlern oder auf die Stellung von klaren Anträgen hinzuwirken, oder den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör verletzen würde oder wenn die Sachaufklärung noch nicht ausreicht (BFH-Urteil vom 04. April 2001 XI R 60/00, BFHE 195/9, BStBl II 2001, 726 m.w.N).
71
Nach diesen Grundsätzen war im Streitfall eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten.
72
Der Sachverhalt hat sich durch den Vortrag des Klägers nicht verändert. Vielmehr hat er seine bereits mehrfach vorgetragenen Argumente nochmals schriftlich dargelegt.
73
Hinsichtlich des Gesamtbetrags der entstandenen Erhaltungsaufwendungen hat der Kläger andere Endbeträge aufgeführt (Gesamtbetrag Aufwendungen häusliches Arbeitszimmer neu: x.xxx,xx Euro, Toiletten neu: x.xxx,xx Euro). Diese Beträge liegen unterhalb der bisher beantragten und bis zum Ende der mündlichen Verhandlung unstreitig angefallenen Erhaltungsaufwendungen. Insofern bestand für den Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis.
74
Zudem hat er seinen Antrag dahingehend geändert, dass er sein Wahlrecht nach § 82b EStDV dahingehend ausübt, die Aufwendungen für Toilette und Arbeitszimmer statt auf 2 Jahre auf 5 Jahre zu verteilen. Diese Antragsänderung wirkt sich auf die Entscheidung des Gerichts schon deswegen nicht aus, weil die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für Arbeitszimmer und Toilette dem Grunde nach scheitern. Zudem hat der Vorsitzende des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2013 besonderen Wert auf die Stellung der richtigen Anträge durch den Kläger gelegt. Insbesondere zur Frage der Ausübung des Wahlrechts nach § 82b EStDV wurde der Kläger ausdrücklich befragt. Weitere Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich des Antrags waren nicht erforderlich, zumal der Kläger steuerlich ausgebildet ist und die Wahlrechte kennt.
75
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
76
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO genannten Revisionsgründe vorliegt. Eine Zulassung kam auch nicht im Hinblick auf das anhängige Verfahren vor dem BFH VIII R 10/12 (vorhergehend FG Düsseldorf vom 01. Februar 2012 7 K 87/11 EFG 2012, 1830 – 1833) in Betracht, da dem Kläger im vorliegenden Verfahren bereits die Abzugsfähigkeit des häuslichen Arbeitszimmer versagt bleibt und ein Abzug der Aufwendungen für die Toilette daher ebenfalls ausscheidet (vgl. oben „Erst-Recht-Schluss“).

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Einspruchsfrist gegen die Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften

FG Baden-Württemberg Urteil vom 27.2.2013, 1 K 2850/11

Tenor

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Einspruchsfrist gegen die Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (§§ 22 Abs. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –) zu gewähren ist.
2
Der Kläger ist Rentner, geschieden und – jedenfalls nach deutschem Recht – nicht wieder verheiratet. Er erwarb im Mai des Streitjahres (2005) ein Grundstück in X zum Kaufpreis von 40.000 EUR und veräußerte es noch im September des Streitjahres wieder, wobei er einen Veräußerungserlös von 82.500 EUR erzielte. Nachdem er für das Streitjahr trotz Aufforderung des beklagten Finanzamts (des Beklagten) keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, wurde der Kläger durch Bescheid vom 18. Juni 2007 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer für 2005 veranlagt.
3
Unter dem 8. September 2009 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005, in dem er weitere Einkünfte des Klägers aus privaten Veräußerungsgeschäften – nämlich erstmals resultierend aus dem Verkauf des Grundstücks in X – in Höhe von 42.500 EUR in Ansatz brachte und die Steuer entsprechend heraufsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Beklagte zugleich auf. Der Bescheid wurde automatisiert erstellt, an den Kläger unter dessen Anschrift in Y adressiert und noch am gleichen Tag zur Post gegeben.
4
Mit Schreiben vom 14. Januar 2010 – beim Beklagten eingehend am gleichen Tag – legte der Kläger über seine damalige Steuerbevollmächtigte gegen den geänderten Bescheid Einspruch ein und bat zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu ließ er vortragen, er habe sich vom 20. August 2009 bis zum 14. Dezember 2009 in Z / Asien befunden und den Bescheid erst am 15. Dezember 2009 erhalten. Er habe einen Bekannten, nämlich Herrn B aus W, damit beauftragt, für die Zeit seiner Abwesenheit seine Post zu verwalten. Herr B habe einen Schlüssel zur Wohnung und zu seinem Briefkasten gehabt und ihn – den Kläger – regelmäßig ein- bis zweimal pro Woche über den aktuellen Stand der Post informiert. Leider habe Herr B dabei die Post des Beklagten übersehen. Zum Nachweis seines Aufenthalts in Z / Asien legte der Kläger eine Farbkopie seines Reisepasses vor, aus der sich zwei auf den 17. November 2009 und auf den 14. Dezember 2009 datierte Stempel sowie ein weiterer Stempel mit den beiden Daten: „17. Nov. 2009“ und „16. Dec. 2009“ ersehen lassen.
5
Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens beantwortete der Kläger die Frage des Beklagten nach der Bedeutung der Stempelangaben auf den 17. November 2009 und auf den 16. Dezember 2009 nicht. Zugleich übergab er eine Stellungnahme des Herrn B, derzufolge dieser die Post für den Kläger überwacht und verwaltet haben will; ein Brief des Beklagten sei – so Herr B – während der Zeit, in der er in dieser Weise tätig geworden sei, „nicht dabei gewesen“. In der Sache selbst bezifferte der Kläger die „Grundsanierungs- und Renovierungskosten“ für das Objekt in X mit Schreiben vom 12. März 2010 auf „etwa 30 000 Euro“.
6
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2010 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2005 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erneut und behandelte weitere, ihm zwischenzeitlich bekannt gewordene Renteneinkünfte des Klägers als steuerpflichtig. Hiergegen legte der Kläger durch seine späteren Prozessbevollmächtigten am 16. November 2010 gleichfalls Einspruch ein. Durch die Bevollmächtigten ließ er zudem vortragen, er habe nicht mit einer Übersendung eines Einkommensteuerbescheids für 2005 während seines Aufenthalts in Z / Asien im Jahre 2009 rechnen müssen. Außerdem habe es sich bei Herrn B nicht um seinen Vertreter, sondern um eine bloße Hilfsperson gehandelt, deren mögliches Verschulden er sich nicht zurechnen lassen müsse. Der Bescheid vom 8. September 2009 habe sich mittlerweile „erledigt“.
7
Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2011 behandelte der Beklagte den Einspruch vom 16. November 2010 als Gegenstand des bereits anhängigen Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid vom 8. September 2009. Zugleich verwarf er den Einspruch „wegen Einkommensteuer 2005“ als unzulässig. Der Einspruch sei verspätet. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Es stehe nicht fest, dass der Kläger sich tatsächlich in der Zeit von August 2009 bis Dezember 2009 durchgehend in Z / Asien aufgehalten habe. Einen Einreisestempel in seinem Reisepass für seine Einreise nach Z / Asien habe der Kläger trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Auch die beiden Stempelaufdrucke auf den 17. November 2009 habe er – ebenfalls trotz Aufforderung – nicht erläutert.
8
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 9. August 2011 erhobene und beim Finanzgericht (FG) am 11. August 2011 eingegangene Klage. Mit ihr verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung lässt er ausführen, dass er in Z / Asien mit seiner von ihm nach z-ischen Recht geheirateten Ehefrau lebe, so dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass er sich im Herbst 2009 nicht durchgehend in Z / Asien aufgehalten habe. An der auf dem Grundstück in X befindlichen Immobilie habe er – der Kläger – erhebliche Sanierungs- und Renovierungsarbeiten durchgeführt.
9
Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Einkommensteuer für 2005 unter Abänderung des Bescheids vom 25. Oktober 2010 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2011 auf den Betrag herabzusetzen, der sich bei Ansatz von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 12.500 EUR anstelle von 42.500 EUR ergibt.
10
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
11
Er beruft sich auf die Gründe seiner Einspruchsentscheidung. Ergänzend meint er, auch in der Sache selbst habe der Kläger einen Nachweis der behaupteten Renovierungsarbeiten nicht erbracht.
12
Der Senat hat den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids mit Beschluss vom 23. April 2012 – 1 V 238/12 (nicht veröffentlicht) abgelehnt. Mit Beschluss vom 4. Februar 2013 hat der Senat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

13
1. Das Gericht konnte in dem Rechtsstreit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2013 durch Urteil entscheiden, obwohl der Kläger im Termin nicht persönlich anwesend und auch nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war.
14
Der Kläger war über seine früheren Prozessbevollmächtigten  zur mündlichen Verhandlung mit Telefax vom 4. Februar 2013 gegen Empfangsbekenntnis unter Wahrung der zweiwöchigen Ladungsfrist (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –) ordnungsgemäß geladen worden. Die früheren Prozessbevollmächtigten hatten die Zustellung der Ladung unter Angabe des Empfangsdatums 6. Februar 2013 mit Telefax vom 7. Februar 2013 gegenüber dem Gericht bestätigt. Die spätere Mitteilung der früheren Prozessbevollmächtigten, der Kläger werde von ihnen nicht mehr vertreten, hatte auf die Wirksamkeit der Ladung keinen Einfluss, da sie dem Gericht gegenüber erst am 8. Februar 2013 und damit nach Bewirkung der Ladung zum Termin erfolgt ist  (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 22. März 1994 – X R 66/93, BFH/NV 1994, 499, und vom 18. August 2009 – X B 14/09, Zeitschrift für Steuern und Recht – ZSteu – 2009, R1144). Darauf, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne, war die Klägerseite in der Ladung zum Termin vom 4. Februar 2013 auch ausdrücklich hingewiesen worden (§ 91 Abs. 2 FGO). Außerdem hat das Gericht den Kläger persönlich durch Schreiben vom 15. Februar 2013 – das ihm mit Postzustellungsurkunde am 20. Februar 2013 übermittelt worden ist – nochmals von dem bevorstehenden Termin und den Folgen des § 91 Abs. 2 FGO in Kenntnis gesetzt.
15
2. Die Klage ist unbegründet.
16
Der Einkommensteuerbescheid vom 25. Oktober 2010, der den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 8. September 2009 ersetzt hat, kann in dem hier streitbefangenen Punkt der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht zugunsten des Klägers geändert werden. Denn die Entscheidung des Beklagten, die Einkommensteuerfestsetzung vom 8. September 2009 als bestandskräftig zu behandeln und den gegen sie gerichteten Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO), ist rechtmäßig. Der Einspruch war verfristet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war dem Kläger nicht zu gewähren.
17
a) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der – wie vorliegend der Einkommensteuerbescheid vom 8. September 2009 – durch die Post im Inland übermittelt wird, gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am dritten Tage nach seiner Aufgabe zur Post bekanntgegeben. War der Einspruchsführer ohne sein Verschulden verhindert, die sich daraus ergebende Einspruchsfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO), wobei das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen ist (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). Dieser Wiedereinsetzungsantrag ist – wie auch die versäumte Einlegung des Einspruchs – nach § 110 Abs. 2 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen.
18
b) Dies vorausgeschickt, war der erst am 14. Januar 2010 eingegangene Einspruch offenkundig verspätet. Denn die Monatsfrist zu dessen Einlegung begann mit der Bekanntgabe des Bescheids vom 8. September 2009 am Freitag, den 11. September 2009 und endete damit – weil der 11. Oktober 2009 auf einen Sonntag fiel – am Montag, den 12. Oktober 2009 (§ 108 Abs. 3 AO). Der erfolgten Bekanntgabe steht auch nicht entgegen, dass der Kläger sich – wie er vorträgt – während dieses Zeitraums durchgehend nicht in Y, sondern bei seiner Lebensgefährtin in Z / Asien aufgehalten haben will. Denn es genügt, dass der Verwaltungsakt derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich ist und dass sie unter gewöhnlichen Umständen auch erwartet werden kann (vgl. Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 10. Aufl., § 122 Rz. 6). Diese Voraussetzungen sind regelmäßig erfüllt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt wird, und zwar insbesondere dann, wenn der in einem gewöhnlichen Brief enthaltene Bescheid – wie hier – in einen für den Adressaten – hier: den Kläger – bestimmten Briefkasten eingeworfen wird. Auch dass der Bekanntgabeempfänger am Ort der Bekanntgabe den räumlichen Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse hat, erfordert eine wirksame Bekanntgabe nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 6. März 1990 – VIII R 141/85, BFH/NV 1991, 71). Gleichfalls unerheblich ist, ob der Betroffene den Bescheidinhalt tatsächlich zur Kenntnis nimmt (Brockmeyer in Klein, a. a. O.).
19
c) Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies würde – wie dargelegt – sowohl ein fehlendes Verschulden des Klägers am Versäumen der Einspruchsfrist (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO) als auch einen Wegfall des Hinderungsgrunds nicht vor dem 14. Dezember 2009 (§ 110 Abs. 2 AO) voraussetzen. Für beide Umstände war der Kläger darlegungs- und nachweispflichtig. Letzteres ist im gesamten Verlauf des Verwaltungs- und des Klageverfahrens nicht geschehen, obwohl die genannten Erfordernisse dem Kläger spätestens aufgrund des Senatsbeschlusses vom 23. April 2012 – 1 V 238/12 (über die Ablehnung der AdV) hinlänglich bekannt waren.
20
aa) Der Senat folgt dem Beklagten darin, dass die Behauptung allein, sich vom 20. August 2009 bis zum 14. Dezember 2009 in Z / Asien aufgehalten zu haben, nicht zur Widerlegung der Vermutung ausreicht, dass der Antragsteller seine Wohnung in Y in der Zwischenzeit nicht doch wenigstens einmal aufgesucht hat. War dies aber der Fall, so ist der Hinderungsgrund für das Versäumen der Einspruchsfrist bereits zu diesem Zeitpunkt fortgefallen, so dass der Wiedereinsetzungsantrag verspätet war (§ 110 Abs. 2 AO). Der Kläger hat trotz mehrfacher Aufforderung nicht erläutert, welche Aussage dem auf den 17. November 2009 datierten Stempelaufdruck in seinem Reisepass zuzumessen war. Auch hat er den Reisepass im gesamten Verfahren nicht im Original, sondern nur einzelne Seiten daraus in Fotokopie vorgelegt, so dass dem Beklagten wie auch dem Gericht ein lückenloses Nachvollziehen des vorgeblichen Auslandsaufenthalts im streitrelevanten Zeitraum nicht möglich war. Die damit einhergehende Beweisvereitelung hat der Kläger zu vertreten. Die beiläufige Bemerkung im Klageverfahren, es gebe wegen der Beziehung zu seiner thailändischen Lebensgefährtin keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich nicht durchgehend in Z / Asien aufgehalten habe, ist zu unbestimmt, als dass sie zum Nachweis des Gegenteils ausreichen würde.
21
bb) Der Kläger hat daneben auch nicht hinreichend dargelegt, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten.
22
Mit dem bloßen Hinweis, er habe sich auf einer viermonatigen Auslandsreise nach Z / Asien befunden, ist das Versäumnis nicht entschuldigt. Jedenfalls bei längerer Abwesenheit entspricht es dem allgemeinen Sorgfaltsgebot bei Teilnahme am Rechtsverkehr, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass man von behördlichen Zustellungen Kenntnis erhält und Fristen gewahrt werden (BFH-Beschluss vom 30. März 2006 – VIII B 197/05, BFH/NV 2006, 1487). Das trifft insbesondere für Personen zu, die sich – wie der Kläger – oft oder länger auf Auslandsreisen befinden und bei denen die Abwesenheit von der Wohnung zur Regel wird (BFH-Urteil vom 12. August 1986 – VII R 202/83, BFH/NV 1988, 89).
23
Zwar trägt der Kläger vor, durch Beauftragung des Herrn B mit der Verwaltung seiner im Abwesenheitszeitraum eingehenden Post eine solche Maßnahme getroffen zu haben. Auch ist ihm darin zu folgen, dass im Falle einer solchen Beauftragung das mögliche Verschulden des Herrn B ihm – dem Kläger – nicht über § 110 Abs. 1 Satz 2 AO als eigenes Verschulden zuzurechnen wäre, weil Herr B – der, anders als etwa ein Prozessbevollmächtigter, nicht aufgrund eines entgeltlichen Auftragsverhältnisses, sondern aus bloßer Gefälligkeit tätig geworden ist – insoweit nicht als „Vertreter“, sondern nur als eine sog. „Hilfsperson“ anzusehen gewesen wäre (BFH-Entscheidungen vom 11. Januar 1983 – VII R 92/80, BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334, und vom 23. Oktober 2001 – VIII B 51/01, BFH/NV 2002, 162). Darum geht es hier indessen nicht, da im Streitfall kein fremdes, sondern ein eigenes Verschulden des Klägers vorgelegen hat.
24
Dieses eigene Verschulden des Klägers ergibt sich aus der – nicht sachgerechten – Hinzuziehung einer dafür nicht geeigneten Hilfsperson. Ein solches Verschulden bei der Auswahl der Hilfsperson folgt daraus, dass der mit der Kontrolle der Eingangspost beauftragte Herr B nicht in der Wohnung in Y anwesend war. Weil der Beauftragte in W und nicht in Y wohnhaft gewesen ist, hätte es für eine sachgerechte Vorkehrung einer Vereinbarung bedurft, wonach die Hilfsperson die Wohnung in Y turnusmäßig aufsuchen sollte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 162). Eine solche Regelmäßigkeit der Kontrolle der Wohnung in Y auf eingegangene Postzustellungen ist aber nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Dies entnimmt das Gericht dem Umstand, dass der im September 2009 erstellte Einkommensteuerbescheid für 2005 während der Zeit, in der Herr B den Posteingang überwacht haben will, „nicht dabei gewesen“ ist und somit während des ganzen Zeitraums von Mitte September 2009 bis Mitte Dezember 2009 keine Nachschau durch Herrn B mehr erfolgt sein kann.
25
3. Die Klage war damit im Streitpunkt der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften abzuweisen. Davon unberührt bleibt die Frage, ob die zuletzt angefochtene Einkommensteuerfestsetzung vom 25. Oktober 2010, die den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 8. September 2009 ersetzt hat, daneben noch in einzelnen anderen Punkten zugunsten des Klägers abgeändert werden kann. Darüber war im Rahmen des hier anhängigen Klageverfahrens nicht zu entscheiden.
26
a) Denn anders als der Beklagte bei Abfassung der Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2011 angenommen hat, ist der Bescheid vom 25. Oktober 2010 nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid vom 8. September 2009 geworden.
27
Letzteres ist zwar nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO der Fall, wenn der angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt jedoch voraus, dass der vorher eingelegte Einspruch nicht – etwa, wie im Streitfall, wegen Verfristung – unzulässig war, denn die Norm verfolgt den Zweck zu verhindern, dass der Rechtsbehelfsführer ohne Einlegung eines erneuten Rechtsbehelfs aus dem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren hinausgedrängt wird, wenn der ursprüngliche Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird (Brockmeyer in Klein, a. a. O., § 365 Rz. 6). Dass § 365 Abs. 3 Satz 1 AO von einem zulässigen Einspruch gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt ausgeht, ergibt sich auch aus § 358 Satz 2 AO. Denn die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, hinsichtlich derer der Finanzbehörde kein Ermessen eingeräumt ist. § 358 Satz 2 AO aber lässt auf einen „verfristeten“ Einspruch keine andere als die vorgeschriebene Entscheidung („ist als unzulässig zu verwerfen“) zu (BFH-Urteil vom 13. April 2000 – V R 56/99, BFHE 191, 491, BStBl II 2000, 490). Dies hat im Ergebnis im Übrigen auch der Beklagte noch mit Schreiben an die Bevollmächtigten des Klägers vom 24. Januar 2011 zutreffend so gesehen.
28
b) Daraus folgt, dass sich der Bescheid vom 8. September 2009 keineswegs – wie der Kläger meint – durch den nachfolgenden Bescheid vom 25. Oktober 2010 „erledigt“ hat. Die Einkommensteuerfestsetzung vom 8. September 2009 ist vielmehr, wie im Rahmen des hier anhängigen Klageverfahrens entschieden worden ist, bestandskräftig geworden. Zugleich wird der Beklagte – sofern noch nicht geschehen – über den (zulässigen) Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 25. Oktober 2010 noch in der Sache zu entscheiden haben. In diesem Einspruchsverfahren werden die Beteiligten indessen zu beachten haben, dass gemäß § 351 Abs. 1 AO Verwaltungsakte, die – wie der Bescheid vom 25. Oktober 2010 – unanfechtbare Verwaltungsakte – wie hier den Bescheid vom 8. September 2009 – ändern, nur insoweit angegriffen werden können, als die Änderung reicht. Dies bedeutet, dass der Kläger mit seinem Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2010 auf die Einwendung beschränkt ist, die dort erstmals besteuerten Renteneinkünfte seien fehlerhaft erfasst oder die Änderungsnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei nicht zutreffend angewendet worden.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Neues zur Gesamtplanrechtsprechung bei Veräußerung einer KG

Kernproblem

Der Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils kann unter bestimmten Voraussetzungen mit einem ermäßigten Steuersatz besteuert werden. Hierfür ist u. a. erforderlich, dass sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen mitübertragen werden und die darin liegenden stillen Reserven vollständig aufgelöst werden. Streitigkeiten ergeben sich in der Praxis zumeist dann, wenn bestimmte wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mitübergehen, sondern im Vorfeld einer geplanten Veräußerung (zu Buchwerten) in ein anderes Betriebsvermögen des Veräußerers überführt werden. Die Aufgriffswahrscheinlichkeit durch die Finanzverwaltung ist dabei umso höher, je enger der zeitliche Zusammenhang zwischen Buchwertübertragung und anschließender Veräußerung des (restlichen) Betriebsvermögens ist. Über eine interessante Ausweichgestaltung hatte nunmehr das Finanzgericht (FG) Niedersachsen zu entscheiden.

Sachverhalt

Kläger sind Kommanditisten einer KG, die über mehrere Geschäftsfelder verfügte. Ein Investor beabsichtigte sich an einem dieser Geschäftsfelder zu beteiligen. Die Kläger gründeten hierzu eine Schwester-KG, auf die sie nahezu alle Wirtschaftsgüter dieses Geschäftsfeldes zu Buchwerten übertrugen. Lediglich ein Grundstück und Knowhow blieben bei der KG zurück und wurden an die Schwester-KG entgeltlich vermietet. Letztere wurde sodann an den Investor verkauft. Die Finanzverwaltung verwehrte die beantragte Tarifvergünstigung für den Veräußerungsgewinn, da nicht alle wesentlichen Betriebsgrundlagen der KG auf die Schwester-KG übergegangen und somit nicht alle stillen Reserven der KG in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst worden seien. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.

Entscheidung

Nach Auffassung der Richter ist die Tarifermäßigung für den Veräußerungsgewinn zu gewähren, da die stillen Reserven der Schwester-KG vollständig aufgelöst wurden. Ein Einbezug der wirtschaftlichen Verhältnisse einer anderen Schwestergesellschaft (hier der KG) würde den möglichen Wortsinn der Tarifvorschrift überschreiten. Die Gesamtplanrechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei daher vorliegend nicht anwendbar. Ein Gestaltungsmissbrauch i. S. d. der Abgabenordnung sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Konsequenz

Mit dem Fall muss sich nun der BFH befassen. Vor dem Hintergrund, dass der dort zuständige IV. Senat ein weites Verständnis der Gesamtplanrechtsprechung hat, erscheint es zumindest fraglich, ob dieser den Ausführungen des Finanzgerichts folgen wird. Entsprechende Gestaltungen sollten daher bis zu einer endgültigen Entscheidung nur nach sorgfältiger Abwägung aller Chancen und Risiken umgesetzt werden.

BMF: Steuerbefreiung des Kaufkraftausgleichs

Das BMF hat die Gesamtübersicht über die Kaufkraftzuschläge zum 01.04.2013 (§ 3 Nr. 64 EStG) mit Zeitraum ab 01.01.2012 bekannt gegeben.

Steuerbefreiung des Kaufkraftausgleichs; Gesamtübersicht der Kaufkraftzuschläge – Stand: 1. April 2013

“Bekanntmachung über die Steuerbefreiung des Kaufkraftausgleichs vom 5. April 2013 – IV C 5 – S 2341/12/10002 –

Das Auswärtige Amt hat für einige Dienstorte die Kaufkraftzuschläge neu festgesetzt. Die Gesamtübersicht wurde entsprechend ergänzt. […]“

Steuerbefreiung des Kaufkraftausgleichs; Gesamtübersicht der Kaufkraftzuschläge – Stand: 1. April 2013 (PDF, 115,2 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

 

Abgeltungsteuer FAQ

Häufig gestellte Fragen und Antworten zur Abgeltungsteuer

Zum 1. Januar 2009 wurde in Deutschland die Abgeltungsteuer eingeführt. Damit unterliegen Zinsen, Dividenden, Fondsausschüttungen sowie Kurs- und Währungsgewinne einem einheitlichen Pauschalsteuersatz von 25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer.

Die Abgeltungsteuer ist eine Quellensteuer, d. h. sie wird vom Schuldner (z. B. Bank) vom Ertrag einbehalten und direkt an das Finanzamt abgeführt.

Wie vormals beim Zinsabschlag können Erträge in Höhe von 801 Euro bei Alleinstehenden bzw. 1.602 Euro bei Ehegatten steuerfrei gestellt werden.

-> Abgeltungssteuerrechner

 

1. Was ist unter „Abgeltungsteuer“ zu verstehen?

Die Abgeltungsteuer ist eine Form der Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug an der Quelle.

Der Abgeltungsteuer unterliegen alle Kapitalerträge, die nicht in einem Unternehmen anfallen. Inländische Schuldner oder Zahlstellen (z.B. Banken) sind danach verpflichtet, einen Steuerabzug vorzunehmen und an die Finanzverwaltung abzuführen.

Mit dem Steuerabzug ist die Einkommensteuer des Gläubigers grundsätzlich abgegolten. Die Angabe der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung ist nicht mehr erforderlich.

Der Steuersatz beträgt einheitlich 25 Prozent. Hinzu kommen Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.

 

2. Welche Einkünfte fallen unter die Abgeltungsteuer?

Unter die Regelungen der Abgeltungsteuer fallen grundsätzlich alle Einkünfte aus dem Kapitalvermögen, insbesondere Zinserträge aus Geldeinlagen bei Kreditinstituten, Kapitalerträge aus Forderungswertpapieren, Dividenden, Erträge aus Investmentfonds oder Termingeschäfte und auch Zertifikatserträge.

Weiterhin erfasst die Abgeltungsteuer Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften, insbesondere bei Wertpapieren, Investmentanteilen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, nicht jedoch Immobilien.

 

3. Ab wann gilt die Abgeltungsteuer?

Der Abgeltungsteuer unterliegen alle laufenden Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2008 zufließen.

Gleiches gilt für Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren, die nach dem 31.12.2008 gekauft werden, und zwar unabhängig von der Haltedauer. Wertpapiere, die vor dem 1.1.2009 erworben werden, können nach Ablauf eines Jahres steuerfrei veräußert werden.

Für Zertifikate gilt eine besondere Regelung. Diese können ab dem 1. Juli 2009 nur steuerfrei verkauft werden, wenn sie am 14. März 2007 – dem Kabinettsbeschluss zur Abgeltungsteuer – oder vorher erworben wurden. Mit dieser Sonderregelung sollen nicht hinnehmbare Steuerausfälle vermieden werden. Denn während sich der herkömmliche Zertifikatemarkt durch eine überwiegende Zahl von Produkten mit sehr begrenzter Laufzeit auszeichnete, war bereits kurz nach dem Kabinettsbeschluss das Bestreben erkennbar, eine „Schlussrallye“ mit sehr lang oder unbegrenzt laufenden Zertifikaten zu starten.

 

4. Dürfen Verluste, die bei der Veräußerung von Aktien entstehen, die ab dem Jahr 2009 gekauft werden, mit Zins- oder Dividendeneinkünften verrechnet werden?

Nein.
Grund der Einschränkung der Verlustverrechnung ist die Verhinderung von erheblichen Haushaltsrisiken.

Die Erfahrung der Vergangenheit hat gezeigt, dass Kursstürze an den Aktienmärkten zu einem erheblichen Verlustpotential bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften mit Aktien führen. Denn viele Steuerpflichtige veräußerten während des Börsencrashs 2000-2002 ihre Aktien unter Verlust, so dass allein aus Veräußerungsgeschäften, die innerhalb der – bisher geltenden einkommensteuerrechtlichen – Jahresfrist vorgenommen wurden, bis Ende 2002 Verluste in Höhe von bundesweit 11,2 Mrd. Euro festgestellt wurden. Für das gesamte Steueraufkommen hatten diese gravierenden Verluste keine relevante Bedeutung, da Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften lediglich mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften, also z.B. nicht mit Zins- oder Dividendeneinkünften, verrechnet werden konnten.

Würde man zukünftig jedoch eine Verrechnung von Veräußerungsverlusten aus Aktien mit anderen Erträgen aus Kapitaleinkünften, insbesondere Zinsen und Dividenden, zulassen, bestünde die Gefahr, dass bei vergleichbaren Kursstürzen wie in der Vergangenheit innerhalb kürzester Zeit Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe entstehen.

 

5. Kann man die Abgeltungsteuer – ähnlich wie bisher – mit Nichtveranlagungsbescheinigungen und Freistellungsaufträgen vermeiden?

Ja.
Wer bisher die entsprechenden Anträge gestellt hat oder die Voraussetzungen hierfür erstmals erfüllt, kann dies auch zukünftig tun.

In unserer Rubrik Formulare finden Sie die Vordrucke für den Freistellungsauftragund für den Antrag auf Erteilung einer Nichtveranlagungsbescheinigung.

 

6. Welche Vorteile bringt die Abgeltungsteuer für die Steuerpflichtigen?

Der wichtigste und augenfälligste Vorteil ist die Vereinfachung der persönlichen Einkommensteuererklärung. Wer seine Konten und Depots im Inland unterhält, muss sich nicht mehr um die steuerlichen Folgen seiner Kapitalanlagen kümmern. Dies erledigt sein Kreditinstitut für ihn.

Gleichzeitig eröffnet die Veranlagungsoption ggf. eine niedrigere steuerliche Belastung mit dem individuellen Einkommensteuersatz.

Die Erklärungsvordrucke werden einfacher und verständlicher gestaltet. Dies bringt auch Erleichterungen für den Steuerpflichtigen, der die Veranlagung wählt.

Die einheitliche Behandlung von laufenden Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen bringt mehr Freiheit für Anlageentscheidungen. Umschichtungen können frei von steuerlichen Zwängen nach rein wirtschaftlichen Erwägungen jederzeit vorgenommen werden.

 

7. Müssen alle Steuerpflichtigen auf ihre Kapitaleinkünfte 25 % Einkommensteuer zahlen?

Nein.
Steuerpflichtige, die auf Grund ihrer geringen Einkünfte einen persönlichen Steuersatz (Grenzsteuersatz) von unter 25 % haben, können zu ihren Gunsten zur Veranlagung ihrer Einkünfte aus Kapitalanlagen optieren, d.h. sie können in der Einkommensteuererklärung ihre Kapitaleinkünfte angeben.

Stellt sich bei der Steuerfestsetzung auf Grund der eingereichten Erklärung heraus, dass die Veranlagung doch nicht günstiger ist als die Abgeltungsteuer, werden die Kapitaleinkünfte bei der Steuerfestsetzung ohne weiteres Zutun des Steuerpflichtigen nicht berücksichtigt.

 

8. Kann ich bei diesen Kapitaleinkünften Werbungskosten, wie z.B. Depotgebühren, geltend machen?

Nein.
Die Bemessungsgrundlage entspricht den Bruttoerträgen, die nur durch den Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 Euro, für Verheiratete in Höhe von 1.602 Euro reduziert werden. Damit werden typisierend Werbungskosten berücksichtigt, die meist weit unter diesem Beträgen liegen.

 

9. Wie wirkt sich die Abgeltungsteuer auf Riester- und Rürup-Verträge aus?

Die Leistungen aus zertifizierten Altersvorsorgeverträgen („Riester-Rente“) und von Basisrentenprodukten („Rürup-Rente“) werden erst in der Auszahlungsphase nachgelagert besteuert. Während der Ansparphase erfolgt keine Besteuerung von Erträgen und Wertsteigerungen.

Auch nach Einführung der Abgeltungsteuer wird bei der Besteuerung der Riester- und Rürup-Verträge der von der Höhe des zu versteuernden Einkommens abhängige persönliche Steuersatz und nicht der Abgeltungsteuersatz angewendet.

Zu den Riester-Produkten gehören sämtliche zertifizierten Altersvorsorgeverträge in Form einer Rentenversicherung, eines Fonds- oder eines Banksparplans. Die Regelungen in der Ansparphase gelten für jeden zertifizierten Altersvorsorgevertrag. Dies gilt unabhängig davon, ob der Anleger im Rahmen der Riester-Rente förderberechtigt ist und ob er die Förderung in Anspruch nehmen wird. D. h., auch ein Selbständiger, der nicht förderberechtigt ist, kann einen entsprechenden zertifizierten Altersvorsorgevertrag abschließen und von den Regelungen profitieren.

Rürup-Produkte können ebenfalls von allen Steuerpflichtigen als private Rentenversicherungen und als fondsgebundene Basisrentenprodukte abgeschlossen werden.

 

10. Was ändert sich bei der Dividendenbesteuerung?

Mit der Einführung der Abgeltungsteuer entfällt für Einkünfte des Privatvermögens natürlicher Personen das Halbeinkünfteverfahren. Dies bedeutet, dass Dividenden aus Aktien beim Anleger genauso besteuert werden wie Zinseinnahmen.

 

11. Gilt die Abgeltungsteuer auch bei Lebensversicherungen?

Teilweise ja.
Sowohl das geltende als auch das zukünftige Recht unterscheidet zwischen Versicherungsverträgen, die vor dem 01. Januar 2005 („Altverträge“) und solchen, die nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurden („Neuverträge“).

Bei Altverträgen gilt zeitlich unbeschränkt die Ermittlung des steuerpflichtigen Ertrags in Form der außerrechnungs- und rechnungsmäßigen Zinsen und die an bestimmte Voraussetzungen (insbes. Mindestvertragsdauer von zwölf Jahren, mind. fünfjährige laufende Beitragszahlung, 60 % Mindesttodesfallschutz) geknüpfte Steuerbefreiung fort.

Bei Neuverträgen ist als steuerpflichtiger Ertrag der Unterschied zwischen der Versicherungsleistung und der auf sie entrichteten Beiträge zu ermitteln. Erfolgt die Auszahlung nach Vollendung des 60. Lebensjahrs (bei Vertragsabschlüssen nach dem 31.12.2011: nach Vollendung des 62. Lebensjahrs) des Steuerpflichtigen und nach Ablauf von zwölf Jahren nach Vertragsabschluss, ist nur die Hälfte des Unterschiedsbetrags anzusetzen.

Allerdings fallen Leistungen aus Neuverträgen, bei denen die Voraussetzungen des hälftigen Unterschiedsbetrags vorliegen, nicht unter den abgeltenden Steuersatz von 25 %. In diesen Fällen erfolgt eine Veranlagung gemeinsam mit den Einkünften aus anderen Einkunftsarten unter Anwendung des progressiven Einkommensteuertarifs. Die Ausnahme ist zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gerechtfertigt, da der Wertzuwachs – bei Anwendung des Abgeltungsteuersatzes – bei diesen Leistungen lediglich in Höhe von höchstens 12,5 % besteuert würde. Damit würde ohne sachlichen Grund eine steuerrechtliche Begünstigung von Lebensversicherungsleistungen gegenüber anderen Anlageprodukten erfolgen.

Bei der Erhebung der Steuer ist zu beachten, dass der Steuerabzug von 25 % auch bei Lebensversicherungen vorgenommen wird, die die Voraussetzung der hälftigen Freistellung erfüllen. Der Steuerpflichtige kann diese Freistellung in seiner Einkommensteuererklärung geltend machen und damit eine Erstattung durch das Finanzamt erreichen. Diese Regelung ist zur Verifikation derartiger steuerpflichtiger Versicherungsleistungen geboten, da ansonsten die Gefahr besteht, dass in diesen Fällen – auf Grund fehlender zusätzlicher Kontrollmöglichkeiten durch die Finanzverwaltung – lediglich eine Besteuerung in Höhe von 12,5 % des Wertzuwachses erfolgt, wenn der Steuerpflichtige die Erträge nicht in seiner Einkommensteuererklärung angibt.

 

12. Wie werden Kapitalanlagen bei Kreditinstituten im Ausland behandelt?

Auf Erträge aus Kapitalanlagen bei Kreditinstituten im Ausland findet die Abgeltungsteuer keine Anwendung. Gleichwohl unterliegen diese Erträge ggf. der Einkommensteuer und müssen daher gegenüber dem Finanzamt angegeben werden.

 

13. Wie wird die Kirchensteuer auf die Kapitaleinkünfte erhoben?

Grundsätzlich sollen die Kreditinstitute die Kirchensteuer – wie die Einkommensteuer – bereits in der Form des Quellensteuerabzugs erheben. Hierfür ist jedoch eine gesonderte Datenbank beim Bundeszentralamt für Steuern notwendig, bei der die Kreditinstitute unter Wahrung des Datenschutzes der Betroffenen eine Abfrage starten können, ob ihre Kunden einer Konfession angehören, für die Kirchensteuer zu erheben ist.

Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Datenbank ihre Arbeit aufnimmt, bestehen für den Steuerpflichtigen hinsichtlich der Kirchensteuererhebung zwei Alternativen:

  • Er kann einerseits bei seinem Kreditinstitut seine Konfession angeben. Dann nimmt das Kreditinstitut – ohne dass die Finanzverwaltung hiervon erfährt – die Erhebung der Kirchensteuer für ihn vor.
  • Er kann in seiner Steuererklärung angeben, in welcher Höhe Kapitalertragsteuer von seinem Kreditinstitut einbehalten wurde. Dann setzt das Finanzamt auf Grund der angegebenen Kapitalertragsteuer die zutreffende Kirchensteuer für ihn fest.
    Eine abweichende Regelung gilt in Bayern: Hier teilt das Finanzamt die maßgebende Kapitalertragsteuer dem zuständigen Kirchensteueramt mit, das dann die Kirchensteuer erhebt.

 

14. Wird zwischen inflationsbedingten und realen Wertänderungen unterschieden?

Nein.
Das Einkommensteuerrecht unterscheidet nicht zwischen realen und nominalen (inflationsbedingten) Wertänderungen. Das sog. Nominalwertprinzip steht auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Einklang mit dem Grundgesetz.

 

15. Gibt es trotz der Abgeltungsteuer weiterhin den Kontenabruf der Finanzbehörden?

Für Fälle, in denen private Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne weiterhin nach altem Recht zu besteuern sind, besteht auch die Kontenabrufmöglichkeit nach altem Recht fort.

Soweit die Abgeltungsteuer Anwendung findet, besteht die Kontenabrufmöglichkeit nur noch für die Fälle, in denen ein Bürger

  • beantragt, seine Kapitaleinkünfte seinem niedrigeren persönlichen Einkommensteuersatz zu unterwerfen,
  • festgesetzte Steuern nicht zahlt,
  • einem steuerlichen Kontenabruf zustimmt,
  • bestimmte staatliche Leistungen beantragt, für die die Höhe des Einkommens von Bedeutung ist (z.B. BAFöG, Wohngeld) oder
  • in Veranlagungszeiträumen bis einschl. 2011 steuerliche Vergünstigungen (z.B. außergewöhnliche Belastungen) in Anspruch nehmen will oder Kindergeld beantragt und für die Höhe des Kindergelds die Einkünfte des Kindes von Bedeutung sind.

 

16. Was passiert mit Altverlusten aus privaten Veräußerungsgewinnen mit Wertpapieren? Kann ich diese weiterhin geltend machen?

Ja.
Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften, d.h. Verluste, die nach dem bis 2008 geltenden Recht entstanden sind, können für eine Übergangszeit bis zum Jahr 2013 mit Einkünften aus der Veräußerung von Kapitalanlagen – z.B. Gewinnen aus Aktienverkäufen oder Fondsbeteiligungen – verrechnet werden.

Eine Verrechnung mit Zinseinkünften oder Dividendenausschüttungen ist dagegen nicht zulässig. Dies war auch nach dem bisherigen Recht nicht möglich.

Beispiel:

A hat beim Börsencrash im Jahr 2001 Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 20.000 Euro erzielt, die er bisher noch nicht verrechnen konnte.

Im Jahr 2010 erzielt er Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 20.000 Euro. Hierbei entfallen 9.000 Euro auf Zinseinkünfte und Dividendenausschüttungen (Einkünfte nach § 20 Abs. 1 EStG). Die übrigen Einkünfte von 11.000 Euro stammen aus der Endfälligkeit von Zertifikaten, aus Einlösungsgewinnen bei Finanzinnovationen (z.B. Umtauschanleihen), aus Termingeschäften sowie aus Veräußerungsgewinnen aus Aktien, die er im Jahr 2009 angeschafft hat (Einkünfte nach § 20 Abs. 2 EStG).

A kann einen Verlust von 11.000 Euro verrechnen.

Eine Verrechnung der Altverluste mit den Gewinnen aus den Zinseinkünften und Dividendenausschüttungen ist ausgeschlossen.

Für A besteht allerdings die Möglichkeit, die Verluste noch in den Jahren 2011 bis 2013 geltend zu machen.

Hinweis:

Voraussetzung für die Berücksichtigung von Altverlusten ist, dass der Steuerpflichtige die Altverluste im Jahr ihrer Entstehung in seiner Steuererklärung angegeben hat und sie vom Finanzamt – z.B. durch Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides – berücksichtigt wurden.

Wie lässt sich der Erklärungsbedarf in der Anlage KAP reduzieren?

Seit Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 ist die Abgabe der Anlage KAP zur Einkommensteuererklärung für viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erforderlich.

Seit dem 1. Januar 2009 hat der Steuerabzug bei Kapitalerträgen abgeltende Wirkung, das heißt, es besteht grundsätzlich keine Pflicht mehr, diese Erträge in der Steuererklärung anzugeben. Die Besteuerung erfolgt mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer.

Die Abgeltungsteuer wird nur dann erhoben, wenn die Kapitaleinkünfte den Sparer-Pauschbetrag von 801 Euro für Ledige oder 1.602 Euro für Verheiratete übersteigen oder wenn keine Nichtveranlagungs-Bescheinigung vorgelegt wird.

Veranlagungswahlrecht

Für die Abgeltungsteuer gilt aber das so genannte Veranlagungswahlrecht. Wer meint, dass die Veranlagung der Kapitaleinkünfte zu einer niedrigeren Steuerbelastung führt, kann eine Einbeziehung seiner Kapitaleinkünfte in die Einkommensteuerveranlagung und damit die Besteuerung mit dem allgemeinen progressiven Einkommensteuertarif beantragen.

Die Höhe des allgemeinen Einkommensteuertarifes ist dabei nicht entscheidend, maßgebend ist allein, wie hoch die Steuerbelastung bei einer Einbeziehung der Kapitaleinkünfte im Vergleich zu einer Besteuerung mit dem Abgeltungsteuersatz ist.

Das Finanzamt prüft beide Alternativen und wendet die für den Steuerpflichtigen günstigere Variante an (sog. Günstigerprüfung).

Grenzbeträge

Für die weit überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen dürfte sich die Ausübung des Veranlagungswahlrechts kaum lohnen, denn bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von 15.721 Euro und 31.442 Euro bei zusammenveranlagten Ehegatten wird ein (Grenz-)Steuersatz von 25 % erreicht.

Vereinfachtes Beispiel, gerechnet ohne Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer:

Eine steuerpflichtige Person erzielt (nach Abzug des Sparer-Pauschbetrags) 5.000 Euro Kapitalerträge und 15.000 Euro Einkünfte aus den übrigen Einkunftsarten. Würde eine Veranlagung mit einem zu versteuernden Einkommen (zvE) von 20.000 Euro durchgeführt, wären bei Anwendung des derzeit geltenden allgemeinen Einkommensteuertarifs 2.701 Euro Einkommensteuer zu zahlen; bei Anwendung des Tarifs auf 15.000 Euro zvE fallen 1.410 Euro Steuer in der Veranlagung und 1.250 Euro Abgeltungsteuer, also zusammen 2.660 Euro, an. Die Abgeltungsteuer führt also zu 41 Euro weniger Einkommensteuer.

Fälle mit Altersentlastungsbetrag oder Härteausgleich

Sind die genannten Grenzwerte überschritten, kann der Antrag dann vorteilhaft sein, wenn für die Kapitalerträge die Gewährung des Altersentlastungsbetrags oder eines Härteausgleichs in Betracht kommt.

Der Altersentlastungsbetrag wird ab dem Kalenderjahr gewährt, das auf die Vollendung des 64. Lebensjahrs folgt. Eine Steuerminderung für die Kapitalerträge ergibt sich allerdings nur, wenn der Altersentlastungsbetrag nicht bereits aufgrund anderer positiver Einkünfte vollständig ausgeschöpft ist. Zu beachten ist auch, dass bei der Bemessung des Altersentlastungsbetrags Renteneinkünfte und Versorgungsbezüge außer Betracht bleiben.

Den Härteausgleich erhalten Bezieher von Arbeitslohn, deren Nebeneinkünfte aus anderen Einkunftsarten niedriger als 820 € sind.

Bitte berücksichtigen Sie daher, dass der Antrag auf Günstigerprüfung nur unter bestimmten Voraussetzungen zu einer niedrigeren Besteuerung führt. Liegen diese Voraussetzungen ganz offensichtlich nicht vor, kann auf den Antrag und eine vollumfängliche Erklärung der Kapitalerträge verzichtet werden.

Weitere Möglichkeiten

Sie haben aber auch noch weitere Möglichkeiten, die Angabe von Kapitaleinkünften in der Steuererklärung entbehrlich zu machen, wenn Sie

  • den kontoführenden Kreditinstituten Freistellungsaufträge bis zum Höchstbetrag von insgesamt 801 €, bei zusammenveranlagten Ehegatten bis zu 1 602 €, erteilen und das Freistellungsvolumen erforderlichenfalls der Entwicklung der Kapitalerträge anpassen. Ein Antrag beim Finanzamt auf Überprüfung des Steuereinbehalts zur Berücksichtigung eines beim Steuerabzug nicht vollständig ausgeschöpften Sparer-Pauschbetrags wird dadurch entbehrlich.
  • als Mitglied einer kirchensteuerhebeberechtigten Religionsgemeinschaft bei den kontoführenden Kreditinstituten die Einbehaltung der Kirchensteuerbeantragen. Soweit die Kapitalerträge dem Kirchensteuerabzug unterlegen haben, sind Angaben in der Anlage KAP grundsätzlich nicht mehr erforderlich.