DBA: Zur Besteuerung von Gewinnen nach Dividendenausschüttung auf Ebene einer gebietsfremden Tochtergesellschaft

Zur Klärung der Frage, ob bei Dividenden, die von einer gebietsfremden Gesellschaft weiterausgeschüttet werden, die Besteuerung der entsprechenden Gewinne auf der Ebene einer gebietsfremden Tochtergesellschaft zu berücksichtigen ist, hätte der Conseil d’État den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts anrufen müssen.

Frankreich hat dadurch, dass es den Mechanismus zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung nicht angewandt hat, gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen.

Der Gerichtshof hatte in seinem Urteil Accor1 entschieden, dass die Ungleichbehandlung von Dividenden, je nachdem, ob diese von einer gebietsansässigen oder -fremden Gesellschaft ausgeschüttet worden sind, unionsrechtswidrig ist und dass der französische Mechanismus zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht mit den Vorschriften des Vertrags in Einklang steht.

In der Folge gingen bei der Kommission Beschwerden zu Urteilen des Conseil d’État (Frankreich) ein, die auf das Urteil des Gerichtshofs hin ergangen waren. Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass bestimmte der in den Urteilen des Conseil d’État festgelegten Bedingungen der Erstattung des Steuervorabzugs für ausgeschüttete Dividenden möglicherweise gegen das Unionsrecht verstießen. Sie gab Frankreich in ihrer Stellungnahme auf, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Da Frankreich der Stellungnahme nicht nachkam, erhob die Kommission beim Gerichtshof Klage.

Der Gerichtshof stellt in seinem Urteil vom 04.10.2018 klar, dass die Situation einer Gesellschaft, die als Anteilseignerin Dividenden aus ausländischen Quellen erhält, in Bezug auf eine Steuervorschrift, die die wirtschaftliche Doppelbesteuerung ausgeschütteter Gewinne verhindern soll, mit der einer Gesellschaft, die als Anteilseignerin Dividenden aus inländischen Quellen erhält, insofern vergleichbar ist, als es grundsätzlich in beiden Fällen zu einer mehrfachen Besteuerung der erzielten Gewinne kommen kann. Nach dem Unionsrecht muss ein Mitgliedstaat, der bei von gebietsansässigen Gesellschaften an ebenfalls Gebietsansässige gezahlten Dividenden ein System zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung anwendet, für von gebietsfremden Gesellschaften an Gebietsansässige gezahlte Dividenden eine gleichwertige Behandlung vorsehen.

Der Gerichtshof stellt deshalb fest, dass Frankreich zur Abstellung der Diskriminierung bei der Anwendung des Steuermechanismus zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Dividenden im Rahmen seiner eigenen Befugnis zur Besteuerung die vorherige Besteuerung der ausgeschütteten Dividenden durch den seine Befugnisse zur Besteuerung ausübenden Herkunftsmitgliedstaat der Dividenden berücksichtigen musste, und zwar unabhängig davon, auf welcher Stufe der Beteiligungskette – Tochter- oder Enkelgesellschaft – die Besteuerung erfolgt ist. Frankreich hat somit gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen.

Was die Rüge angeht, der Conseil d’État hätte vor der Festlegung der Modalitäten der Erstattung des mit dem Urteil Accor für unionsrechtswidrig erklärten Vorsteuerabzugs für ausgeschüttete Dividenden ein Vorabentscheidungsersuchen einreichen müssen, weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats grundsätzlich unabhängig davon festgestellt werden kann, welches Staatsorgan durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsmäßig unabhängiges Organ handelt. Soweit gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist, ist ein einzelstaatliches Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage nach der Auslegung des Vertrags stellt.

Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass die Vorlagepflicht insbesondere verhindern soll, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Unionsrechts nicht im Einklang steht. Sie besteht ausnahmsweise nicht, wenn das nationale Gericht feststellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.

Der Gerichtshof stellt erstmals fest, dass ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ihn hätte anrufen müssen, um die Gefahr einer fehlerhaften Auslegung des Unionsrechts auszuschließen. Da der Conseil d’État den Gerichtshof nicht angerufen hat, obwohl die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig war, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum geblieben wäre, liegt eine Vertragsverletzung vor.

Fußnote

1 Urteil des Gerichtshofs vom 15. September 2011 in der Rechtssache C-310/09.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 04.10.2018 zum Urteil C-416/17 vom 04.10.2018