Kommission schlägt neue Instrumente zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs vor

Die Europäische Kommission hat am 30.11.2017 neue Instrumente vorgestellt, mit denen das Mehrwertsteuersystem der EU weniger betrugsanfällig wird und Schlupflöcher geschlossen werden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge entgehen den EU-Mitgliedstaaten aufgrund von Mehrwertsteuerbetrug jährlich mehr als 50 Mrd. Euro – Geld, das für Krankenhäuser, Schulen oder Straßen fehlt. Die Enthüllungen in den Paradise Papers haben erneut gezeigt, wie vermögende Privatpersonen und Unternehmen Steuervermeidungsstrategien nutzen, um die EU-Mehrwertsteuervorschriften zu umgehen. Jüngsten Berichten zufolge wird der Mehrwertsteuerbetrug auch zur Finanzierung krimineller oder terroristischer Organisationen genutzt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden die Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, mehr relevante Informationen auszutauschen und bei der Bekämpfung dieser Aktivitäten intensiver zusammenzuarbeiten.

Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, erklärte: „Die Paradise Papers haben erneut gezeigt, wie bestimmte Personen die laxe Anwendung der EU-Mehrwertsteuervorschriften ausnutzen und ungestraft weniger Mehrwertsteuer zahlen als andere. Wir wissen auch, dass der Mehrwertsteuerbetrug der Finanzierung anderer, auch terroristischer Straftaten dienen kann. Die Bekämpfung dieses Übels erfordert einen sehr viel wirksameren Informationsaustausch zwischen den zuständigen nationalen Behörden als bisher – die heutigen Vorschläge ermöglichen dies. So wird beispielsweise Eurofisc, das EU-Expertennetzwerk für die Betrugsbekämpfung, Zugang zu den Fahrzeugzulassungsdaten anderer Mitgliedstaaten erhalten. Dadurch wird dem Mehrwertsteuerbetrug im Zusammenhang mit Gebrauchtwagen – einer der am weitesten verbreiteten Betrugsarten – ein Ende gesetzt.“

Zwar tauschen die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten bereits einige Informationen über Unternehmen und grenzüberschreitende Geschäfte aus; diese Zusammenarbeit erfordert jedoch die manuelle Verarbeitung von Informationen. Gleichzeitig werden Mehrwertsteuerinformationen und Erkenntnisse über organisierte Banden, die für die schwersten Fälle von Mehrwertsteuerbetrug verantwortlich sind, den EU-Strafverfolgungsbehörden nicht systematisch mitgeteilt. Die mangelnde Koordinierung der Ermittlungen zwischen den Steuer- und Strafverfolgungsbehörden auf nationaler und europäischer Ebene führt schließlich dazu, dass diese rasch agierenden Kriminellen derzeit nicht schnell genug aufgespürt und verfolgt werden.

Die heute vorgelegten Vorschläge stärken die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, indem sie sie in die Lage versetzen, Mehrwertsteuerbetrug – auch Online-Betrug – rascher und effizienter zu bekämpfen. Zusammengenommen werden die Vorschläge unsere Fähigkeit entscheidend verbessern, Betrüger, die Steuereinnahmen zu ihrem eigenen Vorteil unterschlagen, ausfindig zu machen und hart gegen sie vorzugehen.

Die wichtigsten Maßnahmen sind:

Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten: Mehrwertsteuerbetrug kann innerhalb von Minuten begangen werden; deswegen brauchen auch die Mitgliedstaaten Instrumente, um möglichst rasch handeln zu können. Mit dem heutigen Vorschlag wird ein System für den Online-Austausch von Informationen im Rahmen von „Eurofisc“ eingerichtet, dem bereits bestehenden EU-Expertennetzwerk für die Betrugsbekämpfung. Die Mitgliedstaaten würden in die Lage versetzt, Daten über grenzüberschreitende Aktivitäten zu verarbeiten, zu analysieren und zu prüfen, sodass die Risiken möglichst rasch und exakt eingeschätzt werden können. Damit die Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Lieferungen stärker kontrollieren können, sollen Steuerbeamte aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten ein Team für gemeinsame Prüfungen zur Betrugsbekämpfung – besonders im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs – bilden. Außerdem würde Eurofisc neue Befugnisse zur Koordinierung grenzüberschreitender Ermittlungen erhalten.

Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden: Die neuen Maßnahmen würden den Steuerbehörden und den europäischen Strafverfolgungsbehörden wie OLAF, Europol und der eben erst gegründeten Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) neue Kanäle für die Kommunikation und den Austausch von Daten zu Aktivitäten eröffnen, die auf Mehrwertsteuerbetrug schließen lassen. Durch die Zusammenarbeit mit den europäischen Stellen könnten die nationalen Informationen mit Strafregistern, Datenbanken und anderen Informationen von Europol und OLAF abgeglichen werden, um die wahren Betrüger zu identifizieren und ihre Netzwerke aufzudecken.

Austausch wichtiger Informationen über Einfuhren in die EU: Der Informationsaustausch zwischen Steuer- und Zollbehörden betreffend bestimmte Zollverfahren, die derzeit für den Mehrwertsteuerbetrug missbraucht werden, würde weiter verbessert. Im Zuge eines besonderen Verfahrens können Gegenstände von außerhalb der EU in einen Mitgliedstaat eingeführt und von dort aus mehrwertsteuerfrei in den Mitgliedstaat ihrer endgültigen Bestimmung weitertransportiert werden. Die Mehrwertsteuer wird erst am endgültigen Bestimmungsort fällig. Diese Besonderheit des EU-Mehrwertsteuersystems soll den Handel für ehrliche Unternehmen erleichtern, kann jedoch missbraucht werden, um Gegenstände auf den Schwarzmarkt umzuleiten und die Zahlung der Mehrwertsteuer insgesamt zu vermeiden. Gemäß den neuen Vorschriften würden Steuer- und Zollbehörden in allen Mitgliedstaaten Informationen über die Einfuhr von Waren austauschen und ihre Zusammenarbeit intensivieren.

Austausch von Informationen über Fahrzeuge: Aufgrund der unterschiedlichen mehrwertsteuerlichen Behandlung von Neu- und Gebrauchtwagen ist auch der Fahrzeughandel sehr betrugsanfällig. Neuere oder neue Fahrzeuge, auf deren gesamten Kaufpreis die Mehrwertsteuer fällig ist, werden als Gebrauchtwagen verkauft, bei denen nur die Gewinnspanne der Mehrwertsteuer unterliegt. Um diese Art des Mehrwertsteuerbetrugs zu bekämpfen, würden die Eurofisc-Beamten Zugang zu den Fahrzeugzulassungsdaten der Mitgliedstaaten erhalten.

Die Legislativvorschläge werden nun dem Europäischen Parlament zur Konsultation und dem Rat zur Annahme übermittelt.

Hintergrund

Die vorgeschlagenen Maßnahmen ergeben sich aus dem Vorschlag für die „Eckpfeiler“ eines neuen endgültigen und gemeinsamen EU-Mehrwertsteuerraums vom Oktober 2017 und dem Mehrwertsteuer-Aktionsplan – „Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum“ vom April 2016.

Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem spielt eine wichtige Rolle im EU-Binnenmarkt. Die Mehrwertsteuer ist eine wichtige und wachsende Quelle öffentlicher Einnahmen in der EU. Im Jahr 2015 betrugen die Mehrwertsteuereinnahmen mehr als 1.000 Mrd. Euro (7 Prozent des BIP der EU). Auch stellt die Mehrwertsteuer eine Eigenmittelquelle der EU dar.

Trotz vieler Reformen hat das Mehrwertsteuersystem nicht mit den Herausforderungen unserer heutigen globalisierten, digitalen und mobilen Wirtschaft Schritt halten können. Das derzeitige Mehrwertsteuersystem stammt aus dem Jahr 1993 und war als Übergangsregelung gedacht. Es ist fragmentiert, zu kompliziert für die wachsende Zahl von Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, und anfällig für Betrug: Inländische und grenzüberschreitende Umsätze werden unterschiedlich behandelt, und Gegenstände und Dienstleistungen können innerhalb des Binnenmarktes mehrwertsteuerfrei erworben werden. Die Kommission hat stets auf eine Reform des Mehrwertsteuersystems gedrängt. Für Unternehmen, die Handel innerhalb der EU treiben, gehören Grenzen in Bezug auf die Mehrwertsteuer noch immer zum Alltag. Die derzeitigen Mehrwertsteuervorschriften sind einer der letzten Bereiche des EU-Rechts, die nicht im Einklang mit den Prinzipien des Binnenmarkts stehen.

 Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 30.11.2017