BFH: Bekanntgabevermutung bei strukturellem Zustellungsdefizit widerlegt – Kein Zugang innerhalb der Drei-Tage-Frist

BFH erleichtert Steuerpflichtigen den Nachweis verspäteter Bekanntgabe bei Postzustellproblemen

Mit Urteil vom 29. Juli 2025 (VI R 6/23) hat der Bundesfinanzhof (BFH) eine wichtige Entscheidung zur Bekanntgabevermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO getroffen. Die Entscheidung hat große praktische Bedeutung für Einspruchsfristen, Klagefristen und alle Fälle, in denen Steuerbescheide „zu spät“ ankommen.

Der BFH stellt klar:

👉 Wenn innerhalb der Drei-Tage-Fiktion kein ordnungsgemäßer Postlauf stattfindet, ist die Bekanntgabevermutung ohne Weiteres entkräftet.


1. Gesetzliche Ausgangslage: Bekanntgabefiktion nach § 122 AO

Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt:

  • Wird ein Steuerbescheid per einfachem Brief versendet,
  • gilt er am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben.
  • Dies gilt unabhängig vom tatsächlichen Zugang, solange der Steuerpflichtige nicht Gegenteiliges nachweist.

Diese Fiktion ist extrem relevant für:

  • Einspruchsfristen
  • Klagefristen
  • Festsetzungs- und Verjährungsfristen
  • Vollstreckung

Doch der BFH zieht die Grenze klarer als bisher.


2. Der Fall: Drei-Tage-Frist – aber keine Postzustellung

Im Urteilsfall geschah Folgendes:

  • In der relevanten Drei-Tage-Frist wurde an zwei Tagen planmäßig keine Post zugestellt.
  • Am dritten Tag wurde lediglich die Post des ersten „zustellfreien“ Tags ausgeliefert.
  • Die Post vom eigentlichen zweiten Tag sowie der laufenden Tag wurde nicht zugestellt.

Der BFH stellt fest:

👉 Ein tatsächlicher, ordnungsgemäßer Postlauf hat nicht stattgefunden.

Damit könne die gesetzliche Vermutung nicht greifen.


3. BFH: Bekanntgabevermutung automatisch entkräftet

Entscheidender Satz des BFH:

„Die Bekanntgabevermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO ist ohne Weiteres entkräftet.“

Das bedeutet:

  • Es bedarf keiner detaillierten Glaubhaftmachung,
  • keiner eidesstattlichen Versicherungen,
  • keiner aufwendigen Nachweise des Steuerpflichtigen.

Ein strukturelles Zustellungsdefizit der Post reicht aus.


4. Konsequenzen für Fristen und Verfahren

4.1 Einspruchs- und Klagefristen beginnen später

Wenn der Steuerpflichtige sich auf Postzustellprobleme beruft, gilt:

➡️ Der tatsächliche Zugang ist maßgeblich.

4.2 Finanzämter müssen im Zweifel „Zugang“ nachweisen

Ein verspäteter Zugang kann zur Folge haben:

  • Einsprüche sind rechtzeitig, obwohl formal „verspätet“
  • Klagen sind zulässig, weil die Frist nicht lief
  • Festsetzungsfristen können sich verlängern oder verkürzen

4.3 Signalwirkung in Zeiten unzuverlässiger Postzustellung

Die Urteilsbegründung erschwert es der Finanzverwaltung, sich blind auf die Fiktion zu berufen.


5. Praxistipps für Steuerberater und Steuerpflichtige

Bei Problemen mit der Postzustellung sollten Steuerpflichtige:

  • den tatsächlichen Zugang dokumentieren (Datum/Foto/Scan),
  • Zeugen (z. B. Familienmitglieder) benennen,
  • lokale Postausfälle oder Zustellprobleme anführen,
  • zögerliche Zustellungen regelmäßig dokumentieren.

Steuerberater sollten bei „verspäteten“ Einsprüchen:

  • sofort auf das BFH-Urteil VI R 6/23 verweisen,
  • tatsächlichen Postlauf darlegen,
  • die Finanzverwaltung zur Beweislast anhalten.

6. Bedeutung des Urteils

Der BFH stärkt die Rechte der Steuerpflichtigen erheblich, da:

  • Postausfälle häufiger geworden sind,
  • die Drei-Tage-Fiktion in Zeiten unzuverlässiger Zustellung realitätsfern ist,
  • sich viele Verfahren um Tage oder sogar Stunden entscheiden.

Mit dieser Entscheidung schafft der BFH klare Kriterien, wann die Fiktion nicht gilt – und entlastet Steuerpflichtige bei der Beweisführung.


Fazit

Das BFH-Urteil VI R 6/23 bringt deutliche Erleichterungen bei Postzustellproblemen:

👉 Wenn innerhalb der Drei-Tages-Frist keine ordnungsgemäße Postzustellung erfolgt, gilt die Bekanntgabevermutung nicht.

Einspruchs- und Klagefristen beginnen erst mit tatsächlicher Bekanntgabe – ein wichtiger Schutz gegen verspätete oder fehlerhafte Zustellungen.


Quelle: BFH, Urteil vom 29.07.2025 – VI R 6/23

BFH: Aufhebung der Vollziehung beim EU-Energiekrisenbeitrag – ernstliche Zweifel wegen möglicher Unionsrechtsverstöße

Erste höchstrichterliche Entscheidung zum EU-Energiekrisenbeitrag stärkt Rechtsposition der Unternehmen

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2025 (II B 5/25, AdV) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Aufhebung der Vollziehung eines angefochtenen EU-Energiekrisenbeitrags angeordnet. Grund: Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitrags – insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Unionsrechts.

Damit setzt der BFH erstmals ein deutliches Signal in Richtung Finanzverwaltung und Gesetzgeber, dass die Einführung und Erhebung des EU-Energiekrisenbeitrags rechtlich keineswegs gesichert ist.


1. Was ist der EU-Energiekrisenbeitrag? – Hintergrund

Der EU-Energiekrisenbeitrag (auch „Solidaritätsbeitrag“ oder „Übergewinnbeitrag“ genannt) basiert auf:

  • EU-Verordnung 2022/1854,
  • national umgesetzt durch entsprechende Vorschriften des Energiekrisenbeitragsgesetzes (EnKG) oder der jeweiligen Übergangsregelungen.

Er betrifft vor allem:

  • Unternehmen der Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriebranche,
  • Energieproduzenten mit außergewöhnlich hohen Gewinnen,
  • Konzerne mit signifikanten Gewinnzuwächsen im Krisenzeitraum.

Viele Unternehmen haben gegen die Steuerfestsetzungen Einspruch eingelegt – teils mit Verweis auf:

  • fehlende Gesetzgebungskompetenz,
  • mangelnde Bestimmtheit,
  • Verstoß gegen EU-Recht und Grundfreiheiten,
  • Doppelbesteuerungsrisiken,
  • Gleichheitsverstöße.

Der BFH sieht nun erstmals hinreichende Erfolgsaussichten, um Vollstreckungsmaßnahmen auszusetzen.


2. BFH: Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit

Der BFH stellt fest:

👉 Es bestehen ernstliche Zweifel, dass der EU-Energiekrisenbeitrag mit Unionsrecht vereinbar ist.

Dies genügt, um eine Aufhebung der Vollziehung (AdV) zu gewähren.

Ob es sich um:

  • Kompetenzfragen,
  • eine unzureichende Rechtsgrundlage,
  • eine fehlende Harmonisierung,
  • oder materielle Verstöße gegen Grundfreiheiten

handelt, lässt der BFH im Beschluss offen – er betont jedoch, dass die Zweifel schwer genug wiegen, um die Steuer vorerst nicht vollziehen zu lassen.


3. Bedeutung für betroffene Unternehmen

Der Beschluss kommt einer Trendwende gleich:

3.1 AdV-Anträge haben ab sofort deutlich höhere Erfolgsaussichten

Unternehmen, die gegen Festsetzungen des EU-Energiekrisenbeitrags Einspruch eingelegt haben, sollten nun ausdrücklich AdV beantragen bzw. laufende Verfahren neu begründen.

3.2 Liquiditätsschutz

Die Aufhebung der Vollziehung bedeutet:

  • keine sofortigen Zahlungen,
  • keine Vollstreckungen,
  • keine Liquiditätsbelastung während eines möglichen Hauptsacheverfahrens.

Für viele Energieunternehmen geht es dabei um sehr hohe Beträge – teilweise dreistellige Millionenvolumen.

3.3 Signalwirkung für die Hauptsache

Der BFH sendet ein deutliches Signal:

👉 Die Erfolgsaussichten in möglichen Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) sind nicht unerheblich.


4. Mögliche unionsrechtliche Problemfelder

Typische Streitpunkte, die in der Literatur und Praxis diskutiert werden und die der BFH nun offenbar ernsthaft prüft:

  • Vereinbarkeit mit EU-Grundfreiheiten (Kapitalverkehr, Niederlassung)
  • mögliche Übermaßbesteuerung
  • Verletzung des Diskriminierungsverbots
  • fehlende Rechtsgrundlage für EU-Krisenabgaben
  • unzureichende Abstimmung zwischen EU-Verordnung und nationalem Recht
  • Fragen der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten
  • mögliche Verstöße gegen Art. 107 AEUV (staatliche Beihilfen)

Es bleibt abzuwarten, welche Punkte der BFH im Hauptsacheverfahren bewerten wird.


5. Handlungsempfehlungen

Unternehmen, die betroffen sind, sollten jetzt aktiv handeln:

  • Einsprüche unbedingt aufrechterhalten
  • AdV-Anträge aktualisieren oder neu stellen
  • Risikobewertungen in der Bilanzierung prüfen
  • Rückstellungen ggf. anpassen
  • Dokumentation und Argumentation zur möglichen Unionsrechtswidrigkeit ausbauen
  • Rechtsbehelfe gruppenweit koordinieren (insb. internationale Energieunternehmen)

Fazit

Der BFH-Beschluss II B 5/25 ist ein wichtiges Signal an die Praxis:

Es bestehen echte unionsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des EU-Energiekrisenbeitrags.
Betroffene Unternehmen erhalten damit eine realistische Chance, sich gegen Zahlungsverpflichtungen zu wehren und Liquidität zu sichern.

Das Hauptsacheverfahren bleibt abzuwarten – aber die Richtung ist klar:
Die Rechtmäßigkeit des Energiekrisenbeitrags steht erstmals ernsthaft auf dem Prüfstand.


Quelle: BFH, Beschluss vom 27.10.2025 – II B 5/25 (AdV)

BFH: Zollwert bei verbundenen Unternehmen – Preisänderungen nachträglich kritisch

Wenn der Preis erst nach der Einfuhr erhöht wird, spricht vieles für eine Preisbeeinflussung

Mit Urteil vom 15. Juli 2025 (VII R 36/22) hat der Bundesfinanzhof wichtige Grundsätze zur Zollwertermittlung bei grenzüberschreitenden Geschäften zwischen verbundenen Unternehmen klargestellt. Im Mittelpunkt steht die Frage, wann der Transaktionswert nach Art. 29 ZK bzw. Art. 70 UZK noch anwendbar ist – und wann Preisänderungen als Hinweis auf eine unzulässige Preisbeeinflussung gelten.

Das Urteil ist für viele internationale Unternehmensgruppen von großer praktischer Bedeutung.


1. Rechtlicher Rahmen: Transaktionswert und nachträgliche Überprüfung

Nach Art. 78 ZK / Art. 48 UZK kann die Zollbehörde eine Anmeldung nach Überlassung der Ware prüfen – entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Anmelders.

Der Regelfall der Zollwertermittlung ist der Transaktionswert (Art. 29 ZK / Art. 70 UZK) – also der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis.

Doch bei Geschäften zwischen verbundenen Unternehmen gilt eine entscheidende Voraussetzung:

👉 Der Preis darf durch die Verbundenheit nicht beeinflusst sein.


2. Kern des Urteils: Nachträgliche Preiserhöhung → Indiz für Preisbeeinflussung

Der BFH betont:

  • Wird der ursprünglich gemeldete Preis später erhöht,
  • und betrifft dies ein Geschäft zwischen verbundenen Unternehmen,

dann spricht viel dafür, dass:

👉 die Verbundenheit den ursprünglichen Preis beeinflusst hat.

Folge:

  • Die Transaktionswertmethode kann ausgeschlossen sein.
  • Der Zollwert muss nach Ersatzmethoden ermittelt werden, z. B.:
    – Gleichwertige Waren (Art. 74 Abs. 2 UZK),
    – Deduktive Methode,
    – Computermethode,
    – Schlussmethode („Letzte Möglichkeit“).

Damit stellt der BFH klar:
Nachträgliche Preisänderungen sind hochgradig verdachtsbegründend.


3. Aufgabe des Finanzgerichts: Vollständige Tatsachenwürdigung

Der BFH hebt hervor:

👉 Bei Streit über die Preisbeeinflussung muss das Finanzgericht alle relevanten Tatsachen feststellen und würdigen.

Das bedeutet:

  • Analyse der Vertragsbeziehungen,
  • Prüfung der Berechnung des ursprünglichen Preises,
  • Untersuchung der Gründe für die spätere Preiserhöhung,
  • Bewertung der wirtschaftlichen Abhängigkeiten.

Ein pauschaler Hinweis auf Geschäftsbeziehungen oder interne Buchungen reicht nicht aus.


4. Bedeutung für Unternehmen: Höhere Anforderungen an Dokumentation und Compliance

Das Urteil hat weitreichende Folgen für international verbundene Unternehmen:

4.1 Dokumentationspflichten steigen

Unternehmen müssen belegen können:

  • warum der ursprüngliche Preis korrekt war,
  • warum eine spätere Anpassung erforderlich wurde (z. B. Fehler, Nachkalkulation, Lieferbedingungen),
  • dass die Verbundenheit keinen Einfluss auf die Preisbildung hatte.

4.2 Harmonisierung von Zoll- und Transferpreisprozessen wird wichtiger

Wenn Transferpreise angepasst werden („year-end adjustments“), betrifft das oft auch den Zollwert.
Der BFH macht deutlich:

👉 Zollrechtliche Preisänderungen sind nicht einfach „übertragbar“ – sie müssen zollrechtlich begründet sein.

4.3 Risiko von Nachforderungen steigt

Nachträgliche Preisänderungen können zu:

  • Zollwertanpassungen,
  • Nachzahlungen von Zöllen und EUSt,
  • Verzugszinsen,
  • Compliance-Prüfungen oder Bußgeldern führen.

5. Praktische Empfehlungen für Unternehmen

Unternehmen sollten:

  • Preisbildungsprozesse eindeutig dokumentieren,
  • klare Gründe für spät erfasste oder angepasste Preise vertreten können,
  • Transferpreis- und Zollstrategie eng abstimmen,
  • interne Kontrollen zur Preisfestlegung etablieren,
  • zollrechtliche Auswirkungen von „TP Adjustments“ frühzeitig prüfen.

Fazit

Der BFH stellt klar:
Bei verbundenen Unternehmen ist eine nachträgliche Preiserhöhung ein starkes Indiz für eine unzulässige Preisbeeinflussung – und kann die Anwendung des Transaktionswerts ausschließen.

Damit steigen die Anforderungen an:

  • Vertragsklarheit,
  • Preisbildungsdokumentation,
  • Abstimmung zwischen Steuer- und Zollabteilungen.

Das Urteil unterstreicht, wie wichtig integrierte Zoll- und Transferpreis-Compliance in internationalen Konzernen geworden ist.


Quelle: BFH-Urteil VII R 36/22 vom 15.07.2025

BFH entscheidet: Deutsche Rentner mit „NHR-Status“ in Portugal müssen deutsche Rente in Deutschland versteuern

Status „residente não habitual“ führt zum Rückfall des Besteuerungsrechts nach Art. 22 DBA-Portugal

Mit Urteil vom 3. September 2025 (X R 1/24) hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt, wie Renten aus deutschen berufsständischen Versorgungswerken bei Personen zu besteuern sind, die in Portugal den Sonderstatus des „residente não habitual“ (Non-Habitual Resident, NHR) besitzen.

Der BFH kommt zu einem deutlichen Ergebnis:

👉 Der NHR-Status führt dazu, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für die deutschen Renten behält – trotz Ansässigkeit in Portugal.

Das Urteil betrifft besonders frühere Freiberufler wie Ärzte, Architekten, Apotheker, Rechtsanwälte oder Ingenieure, die nach Portugal gezogen sind.


1. Welche Renten sind betroffen?

Der BFH stellt fest:

  • Renten aus berufsständischen Versorgungswerken
  • wie Ärztekammer, Architektenkammer, Rechtsanwaltsversorgung etc.

sind keine Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (Art. 14 DBA-Portugal).

Stattdessen fallen sie unter:

👉 Art. 22 DBA-Portugal – Auffangklausel („andere Einkünfte“)

Das bedeutet grundsätzlich:

  • Der Ansässigkeitsstaat (Portugal) dürfte diese Renten besteuern.

Doch bei NHR-Rentnern gilt etwas anderes.


2. Rückfallklausel des Art. 22 Abs. 1 Satz 2 DBA-Portugal greift

Der zentrale Punkt des Urteils:

Der Sonderstatus „residente não habitual“ löst die Rückfallklausel aus.

Hintergrund:

  • Wer vor dem 01.04.2020 den NHR-Status beantragt hat,
  • wird in Portugal in den ersten zehn Jahren für bestimmte ausländische Einkünfte – darunter Renten – vollständig steuerfrei gestellt.

Damit liegt eine typische Subject-to-tax-Situation vor:

➡️ Portugal könnte besteuern, tut es aber nicht, weil es den Steuerpflichtigen steuerfrei stellt.
➡️ In diesem Fall „fällt“ das Besteuerungsrecht zurück an Deutschland.

Der BFH bestätigt damit:

👉 Bei NHR-Rentnern bleibt Deutschland alleiniger Besteuerungsstaat für Renten aus Versorgungswerken.


3. Was bedeutet das konkret?

Für alle Rentner mit NHR-Status (Antrag vor 01.04.2020):

  • Portugal erhebt 0 % Steuern auf die deutsche Versorgungsrente.
  • Deutschland besteuert die Rente vollumfänglich nach deutschem Einkommensteuerrecht.
  • Es gibt keine Doppelbesteuerung, aber auch keine vollständige Steuerfreiheit.

Das ist im Ergebnis deutlich nachteiliger als vielfach angenommen wurde.


4. Warum ist das wichtig?

Das Urteil betrifft:

  • Deutsches Versorgungswerk statt gesetzlicher Rentenversicherung
  • NHR-Anträge vor dem 01.04.2020
  • Personen, die glauben, ihre deutschen Renten seien in Portugal steuerfrei und zusätzlich in Deutschland nicht zu versteuern

Der BFH macht klar:

👉 Diese Gestaltung führt nicht zur vollständigen Steuerfreiheit – Deutschland besteuert.


5. Auswirkungen für die steuerliche Wegzugsberatung

Beratungshinweise:

  • Rentner mit NHR-Status müssen in Deutschland mit einer Versteuerung rechnen.
  • Steuererklärungen in Deutschland bleiben trotz Umzugs notwendig.
  • Versorgungswerksrenten sind steuerlich besonders sensibel – anders als gesetzliche Altersrenten.
  • Prüfen, ob eine Doppelbesteuerungsproblematik entstehen kann (insbesondere bei weiteren Einkunftsarten).
  • Neuanträge auf NHR-Status sind seit 2020 nur noch eingeschränkt möglich – und Portugal besteuert nun in vielen Fällen pauschal 10 %.

6. Bedeutung für die Praxis

Das Urteil:

  • schafft Rechtssicherheit für Finanzverwaltung und Berater,
  • beseitigt falsche Vorstellungen über mögliche Steuerfreiheit in Portugal,
  • verhindert (aus Sicht des BFH) „weiße Einkünfte“,
  • stärkt die Rückfallklausel bei Subject-to-tax-Konstellationen.

Besonders wichtig ist die Einordnung:

👉 Auch wenn Portugal die Rente freiwillig steuerfrei stellt, gilt dies im DBA-Kontext als „Nichtbesteuerung“ und löst den Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland aus.


Fazit

Der BFH hat eine zentrale Frage klargestellt:

Deutsche Versorgungswerksrenten werden bei NHR-Status in Portugal in Deutschland besteuert – trotz Ansässigkeit im Ausland.

Für alle Rentner und Wegzugsinteressenten zeigt das Urteil:
Die Steuerplanung beim Umzug ins Ausland bleibt komplex und sollte individuell geprüft werden.


Quelle: BFH, Urteil X R 1/24 vom 03.09.2025

BFH: Zweimalige Grunderwerbsteuer bei Signing und Closing? – Rechtliche Zweifel an Doppelbelastung

BFH stoppt Finanzamt im einstweiligen Rechtsschutz – Klärung der Rechtslage steht bevor

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2025 (II B 47/25, AdV) hat der Bundesfinanzhof erhebliche Zweifel an der doppelten Festsetzung von Grunderwerbsteuer beim Erwerb von GmbH-Anteilen geäußert, wenn Signing und Closing zeitlich auseinanderfallen. Der BFH gewährte AdV (Aussetzung der Vollziehung) und stellte klar, dass die Rechtslage unsicher ist.

Dies betrifft vor allem M&A-Transaktionen, Share Deals und immobilienhaltende Kapitalgesellschaften.


1. Worum geht es? – Share Deals und Grunderwerbsteuer

Bei immobilienhaltenden GmbHs entstehen grunderwerbsteuerliche Risiken, wenn mindestens 90 % der Anteile übertragen werden. Zwei Erwerbstatbestände spielen regelmäßig eine Rolle:

  • § 1 Abs. 2b GrEStG
    → Erwerb eines „maßgeblichen Einflusses“ (Share Deals).
  • § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG
    → Vereinigung von mind. 90 % der Anteile in einer Hand.

Wenn Signing (schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft) und Closing (dinglicher Übergang der Anteile) zeitlich auseinanderfallen, besteht Streit darüber, ob beide Tatbestände jeweils separat Grunderwerbsteuer auslösen.


2. BFH: Zweifelhafte doppelte Besteuerung bei zeitlichem Auseinanderfallen

Der BFH bewertet die Doppelbelastung als rechtlich zweifelhaft, wenn:

  • das Finanzamt bei Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bereits wusste,
  • dass das Closing bereits durchgeführt war,
  • während es zuvor schon nach § 1 Abs. 2b GrEStG Grunderwerbsteuer festgesetzt hatte.

Kurz gesagt:

👉 Wenn das Finanzamt die spätere Anteilsvereinigung (Closing) kennt, spricht vieles dagegen, dass zusätzlich eine separate Steuer für den Signing-Tatbestand bestehen darf.

Der BFH äußert damit erhebliche verfassungs- und systembedingte Zweifel an der bisherigen Verwaltungspraxis.


3. Bedeutung für die Praxis

Der Beschluss ist hochrelevant für:

  • Immobilieninvestoren
  • Private-Equity-Strukturen
  • M&A-Transaktionen
  • Corporate Real Estate
  • steuerliche Strukturierungs- und Transaktionsberatung

Typische Risikkonstellationen:

  • Signing im Jahr 1, Closing im Jahr 2
  • zeitlich versetzte Beteiligungsübertragungen
  • Anteilskäufe in mehreren Tranchen
  • internationale Erwerbsstrukturen

Die Gefahr einer doppelten Grunderwerbsteuer war bislang real – der BFH stellt sie nun in Frage.


4. Konsequenzen für laufende und abgeschlossene Fälle

4.1 Aussetzung der Vollziehung (AdV) jetzt leichter durchsetzbar

Da der BFH Zweifel an der Rechtslage sieht:

👉 Betroffene Steuerpflichtige haben gute Chancen auf AdV,
wenn gegen entsprechende Festsetzungen Einspruch eingelegt wird.

4.2 Gestaltungsspielräume in M&A-Transaktionen

Berater sollten prüfen:

  • ob Signing- und Closing-Strukturen optimiert werden können,
  • wie Tatbestände nach § 1 Abs. 2b und Abs. 3 GrEStG vermeidet oder kombiniert werden können,
  • ob bereits erfolgte Festsetzungen angefochten werden sollten.

4.3 Relevanz für die Rechtsprechung

Der Beschluss ist ein AdV-Beschluss, kein materielles Urteil.
Aber:

  • Der BFH zeigt deutlich, dass er rechtliche Zweifel an einer Doppelbesteuerung hat.
  • Eine spätere grundlegende Entscheidung ist sehr wahrscheinlich.
  • Auch Gesetzesanpassungen sind nicht ausgeschlossen.

5. Fazit

Der BFH setzt ein wichtiges Zeichen im Bereich der Grunderwerbsteuer bei Share Deals:

  • Die zweimalige Festsetzung von Grunderwerbsteuer bei auseinanderfallendem Signing und Closing ist rechtlich fragwürdig.
  • Der BFH schützt Steuerpflichtige im AdV-Verfahren.
  • Für Transaktionsstrukturen eröffnet dies neue Argumentationslinien und Chancen zur Rechtsverteidigung.

Unternehmen und Berater sollten laufende und vergangene Transaktionen prüfen, in denen zwei Erwerbstatbestände parallel angesetzt wurden – die Erfolgsaussichten in Einspruchs- und AdV-Verfahren sind nun deutlich gestiegen.


Quelle: BFH, Beschluss II B 47/25 (AdV) vom 27.10.2025

BFH: Fehlende Ausweisung von Stornobuchungen begründet formellen Buchführungsmangel

Schätzungsbefugnis des Finanzamts – und klare Anforderungen an die Wahl der Schätzungsmethode

Mit zwei Urteilen vom 29. Juli 2025 (X R 23/21 und X R 24/21) hat der Bundesfinanzhof (BFH) grundlegende Aussagen zur Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung, zur Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung und zur Auswahl geeigneter Schätzungsmethoden getroffen. Die Entscheidungen sind von erheblicher Bedeutung für alle bargeldintensiven Betriebe sowie für Betriebsprüfer und Berater.


1. Buchführungsmangel: Fehlende Stornonachweise führen zur Schätzung

Der BFH stellt klar:

👉 Wenn ein Kassensystem Stornierungen zulässt, diese aber nicht in Tagesabschlüssen oder Z-Bons ausgewiesen werden, liegt ein formeller Buchführungsmangel vor.

Wesentliche Punkte:

  • Es kommt nicht darauf an, ob die Stornierungen tatsächlich missbräuchlich verwendet wurden.
  • Allein die fehlende Dokumentation reicht aus, um die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zu verneinen.
  • Damit entsteht eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts nach § 162 AO.

Das Urteil bestätigt die strengen Anforderungen an elektronische Kassensysteme – insbesondere an vollständige, unveränderbare und transparente Aufzeichnungen.


2. Schätzungsmethoden: Finanzamt und Gericht haben Wahl – aber nicht grenzenlos

Grundsätzlich haben Finanzamt und Finanzgericht bei der Schätzung großen Spielraum. Allerdings:

👉 Die Wahl der Methode ist an die Grundsätze pflichtgemäßen Ermessens (§ 5 AO) gebunden.

Das bedeutet:

  • Es muss die genaueste geeignete Methode gewählt werden.
  • Ungenaue Schätzmethoden sind nachrangig, wenn genauere zur Verfügung stehen.
  • Der innere Betriebsvergleich (Vergleich mit eigenen Zahlen und Zeiträumen) ist in der Regel dem äußeren Betriebsvergleich (Vergleich mit Branchendaten anderer Betriebe) überlegen.

Damit stärkt der BFH die Bedeutung betriebsinterner Daten – und schwächt die oftmals sehr pauschalen äußeren Betriebsvergleiche.


3. Begründungspflicht: Schätzung muss nachvollziehbar sein

Der BFH betont mit Nachdruck:

👉 Finanzamt und Finanzgericht müssen ihre Schätzung detailliert und nachvollziehbar begründen.

Ist dies nicht der Fall, führt dies zu:

  • einem sachlich-rechtlichen Mangel,
  • der vom Revisionsgericht auch ohne Rüge beanstandet werden kann.

Damit mahnt der BFH eine sorgfältige Darlegungspflicht an – Schätzungen dürfen nicht schematisch oder pauschal vorgenommen werden.


4. Praxisfolgen für Unternehmer und Berater

Die Urteile haben erhebliche Relevanz für die tägliche Beratungspraxis, insbesondere in bargeldintensiven Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel, Friseurhandwerk, Bäckereien und Taxiunternehmen.

Was Unternehmen jetzt beachten sollten:

  • Kassensysteme müssen jede Stornierung dokumentieren.
  • Stornos müssen sichtbar ausgewiesen werden (Z-Bon, Tagesabschluss, DSFinV-K).
  • Kassendaten müssen vollständig, manipulationssicher und exportierbar sein.
  • Fehlende Stornodokumentation führt automatisch zum formellen Mangel.
  • Bei Schätzungen sollten Unternehmen auf inneren Betriebsvergleich dringen.

Was Berater beachten müssen:

  • Prüfung der Kassenführung im Rahmen von Jahresabschluss und Beratung.
  • Hinweis auf erhöhte Anforderungen durch TSE und KassenSichV.
  • Unterstützung bei der Dokumentation und Verfahrensdokumentation.
  • Im Streitfall: Einfordern einer nachvollziehbaren Schätzungsbegründung.

5. Bedeutung für Betriebsprüfungen

Das Urteil stärkt die Finanzverwaltung bei formellen Fehlern – aber begrenzt sie beim Schätzverfahren:

  • Schätzungsbefugnis wird leicht ausgelöst,
  • Schätzungsumfang wird klar begrenzt durch Genauigkeitsanforderungen.

Damit ist der Beschluss als Mahnung an beide Seiten zu verstehen:
Kassenführung muss ordnungsgemäß sein, aber Schätzungen müssen sich auf die beste verfügbare Methode stützen.


Fazit

Die BFH-Urteile vom 29.07.2025 schaffen wichtige Klarheit:

  • Fehlende Stornonachweise → formeller Mangel → Schätzung.
  • Schätzungsmethoden → innerer Betriebsvergleich meist vorzugswürdig.
  • Schätzungsergebnisse → müssen nachvollziehbar und plausibel begründet werden.

Für Unternehmen bedeutet dies erhöhte Anforderungen an Kassenführung und Dokumentation.
Für die Finanzverwaltung bedeutet es eine strengere Kontrolle der eigenen Schätzungspraxis.


Quelle: BFH-Urteile X R 23/21 und X R 24/21, Presseinformation vom 29.07.2025

Finale Betriebsstättenverluste in Belgien nicht abzugsfähig – FG Düsseldorf bestätigt Symmetrieprinzip

Kein Abzug nach nationalem Recht oder Unionsrecht – Revision beim BFH anhängig (I R 22/25)

Das Finanzgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 2. Juli 2025 (2 K 3098/20 G,F) entschieden, dass sog. finale Betriebsstättenverluste einer belgischen Betriebsstätte weder nach nationalem Steuerrecht noch nach Unionsrecht im Inland abzugsfähig sind. Die Entscheidung fügt sich nahtlos in die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Symmetrieprinzip ein. Die Revision beim BFH ist anhängig (I R 22/25).


1. Hintergrund: Beteiligung über Organschaft – Verluste werden „final“

Die Klägerin – eine deutsche KG – war Organträgerin einer deutschen GmbH (H. GmbH). Diese GmbH war an einer in Belgien ansässigen Commanditaire Vennotschap (R. CV) beteiligt, die nach belgischem Steuerrecht wie eine Kapitalgesellschaft behandelt wurde und dort eine Betriebsstätte unterhielt.

Wesentliche Eckpunkte:

  • Die R. CV wurde liquidiert.
  • Es verblieben nicht nutzbare Verluste.
  • Weder die R. CV noch deren Gesellschafter konnten diese Verluste in Belgien steuerlich verwerten.
  • Die Klägerin begehrte die Anerkennung der Verluste als „finale Verluste“ auf ihrer Ebene.

Das Finanzamt lehnte dies ab – das FG Düsseldorf bestätigte diese Sichtweise.


2. Keine Berücksichtigung nach nationalem Recht

Das FG Düsseldorf stellt klar:

👉 Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland–Belgien (Art. 7 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien) sind sowohl Gewinne als auch Verluste der belgischen Betriebsstätte von der deutschen Steuer freigestellt.

Folglich:

  • Wo Deutschland Gewinne nicht besteuern darf, kann es auch Verluste nicht berücksichtigen.
  • Die Freistellung erfolgt symmetrisch.
  • Das Schlussprotokoll zum DBA führt zu keinem anderen Ergebnis.

Damit folgt das FG dem traditionellen Symmetrieprinzip der Betriebsstättenbesteuerung.


3. Kein unionsrechtlicher Anspruch auf Abzug „finaler Verluste“

Die Klägerin berief sich hilfsweise auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Das Gericht verneint jedoch jeden Anspruch auf Abzug.

Entscheidend sind die Grundsätze aus dem EuGH-Urteil „W“ (C-538/20):

  • Finale Verluste sind nur in engsten Ausnahmefällen zu berücksichtigen.
  • Dies gilt nicht, wenn ein DBA eine bilaterale Zuweisung der Besteuerungsrechte vorsieht.
  • Wenn Gewinne in Belgien steuerfrei sind, müssen auch Verluste dort verbleiben.
  • Es fehlt bereits an der Vergleichbarkeit mit Inlandsfällen.

Damit bestätigt das FG:

👉 Ein DBA-basierter „symmetrischer“ Ausschluss von Verlusten ist unionsrechtlich zulässig.

Auch die EU-Grundrechtecharta hilft nicht weiter – das Ertragsteuerrecht ist in diesem Bereich nicht harmonisiert.


4. Keine Vorlage an EuGH oder BVerfG

Der Senat lehnte die beantragten Vorlagen an EuGH und BVerfG ab:

  • Unionsrechtliche Zweifel bestünden nicht, da die EuGH-Rechtsprechung eindeutig sei.
  • Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere hinsichtlich Art. 3 GG, wurden ebenfalls verneint.

5. Bedeutung für die Praxis

Das Urteil bestätigt die seit Jahren strenger werdende Linie in Deutschland und Europa:

➡️ Finale Verluste aus ausländischen Betriebsstätten sind grundsätzlich nicht in Deutschland abzugsfähig.

Relevante Konsequenzen:

  • Auslandsinvestitionen sollten vorausschauend strukturiert werden.
  • DBA-Freistellungsmethoden verhindern regelmäßig die Anerkennung „finaler Verluste“.
  • Bei Umstrukturierungen und Liquidationen in der EU besteht kein Auffangabzug im Inland.
  • Organschaftsstrukturen mit Auslandsberührung sind besonders sorgfältig zu planen.

6. Revision beim BFH anhängig (I R 22/25)

Die Revision ist zugelassen und inzwischen beim BFH anhängig.
Es bleibt abzuwarten, ob der BFH:

  • die EuGH-Rechtsprechung erneut bestätigt oder
  • eine erneute Vorlage an den EuGH für erforderlich hält.

Erfahrungsgemäß dürfte eine Bestätigung des FG-Urteils wahrscheinlich sein.


Fazit

Das FG Düsseldorf stärkt das Symmetrieprinzip und folgt der jüngsten EuGH-Linie:
Auch sog. finale Verluste einer ausländischen Betriebsstätte – hier in Belgien – bleiben bei der deutschen Besteuerung unberücksichtigt. Unternehmer sollten dies bei internationalen Strukturen und Liquidationen unbedingt einkalkulieren. Die Entscheidung des BFH wird jedoch mit Spannung erwartet.


Quelle: Finanzgericht Düsseldorf, Newsletter November 2025 – Urteil vom 02.07.2025, 2 K 3098/20 G,F (Revision: BFH I R 22/25)

DStV nimmt Stellung zum Steueränderungsgesetz 2025: Mehr Vereinfachung, weniger Bürokratie, mehr Rechtssicherheit

Arbeitstagepauschale, Ehrenamt, Registrierkassenpflicht und Grunderwerbsteuer im Fokus

Das Steueränderungsgesetz 2025 soll den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken und das bürgerschaftliche Engagement fördern. Der Deutsche Steuerberaterverband e. V. (DStV) begrüßt diese Zielsetzung grundsätzlich – sieht aber umfangreichen Nachbesserungsbedarf. In seiner aktuellen Stellungnahme (S 09/25) bewertet der DStV den Regierungsentwurf (BT-Drs. 21/1974), kommentiert die Empfehlungen des Bundesrats und macht konkrete Vorschläge für Verbesserungen.


1. Arbeitstagepauschale statt allein erhöhter Entfernungspauschale

Der Gesetzentwurf sieht eine Erhöhung der Entfernungspauschale auf 0,38 Euro ab dem ersten Kilometer vor. Der DStV bezeichnet dies als „richtigen, aber nur vorübergehenden“ Schritt.

Der Verband fordert mit Nachdruck die Einführung einer Arbeitstagepauschale, wie sie:

  • von der Expertenkommission „Bürgernahe Einkommensteuer“ (2024) empfohlen wurde und
  • im Koalitionsvertrag 2025 verankert ist.

Die Arbeitstagepauschale würde:

  • Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte,
  • Homeoffice-Tage sowie
  • Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer

in einer einzigen Pauschale bündeln.

Vorteile laut DStV:

  • deutliche Entbürokratisierung,
  • weniger Nachweise,
  • fairere Berücksichtigung moderner Arbeitsformen,
  • Effizienzgewinn für Verwaltung und Steuerpflichtige.

2. Pauschalen für Ehrenamt und Übungsleiter: Anpassung sinnvoll, aber unzureichend

Der Gesetzentwurf erhöht die Übungsleiter- und Ehrenamtspauschale, was der DStV ausdrücklich begrüßt.
Gleichzeitig kritisiert er:

👉 Eine punktuelle Erhöhung reicht nicht aus.

Der Verband fordert deshalb:

  • eine inflationsorientierte Anpassung der Pauschalen,
  • regelmäßige und systematische Überprüfungen,
  • automatische Anpassungsmechanismen wie in anderen EU-Staaten.

Damit solle verhindert werden, dass der reale Wert der Pauschalen durch Inflation fortlaufend ausgehöhlt wird.


3. Bundesratsempfehlungen: DStV lehnt Verschärfungen bei Mitteilungspflichten ab

Der Bundesrat schlägt vor, die nicht oder verspätet erfüllte Mitteilungspflicht über elektronische Aufzeichnungssysteme als Ordnungswidrigkeit einzustufen.

Der DStV hält dagegen:

  • Es gebe keine flächendeckenden Verstöße,
  • die elektronische Übertragungsmöglichkeit wurde erst ab 01.01.2025 geschaffen,
  • Startschwierigkeiten seien normal und müssten berücksichtigt werden.

Hinzu komme:
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, die Registrierkassenpflicht zunächst zu evaluieren.
Verschärfungen dürfe es erst geben, wenn sie nachweislich erforderlich sind.


4. Grunderwerbsteuer: DStV fordert echten Systemwechsel

Ein besonders praxisrelevanter Themenblock betrifft die Grunderwerbsteuer. Der DStV bemängelt:

  • die zunehmende Komplexität der Normen,
  • die starke Fokussierung auf die Schließung vermeintlicher Steuerschlupflöcher,
  • die daraus resultierende Rechtsunsicherheit,
  • schwer durchschaubare parallele Besteuerungstatbestände.

Der Verband fordert daher:

→ eine grundlegende, rechtssichere und wettbewerbsfähige Reform der Grunderwerbsteuer.

Konkret schlägt der DStV vor:

  • verlängerte Anzeigefristen,
  • verlässliche Regeln für Personengesellschaften ab 2027,
  • Vermeidung doppelter Belastungen wirtschaftlich einheitlicher Vorgänge,
  • weniger komplexe Strukturregelungen.

Diese Punkte greifen bekannte Probleme der Immobilien- und Unternehmenspraxis auf.


5. DStV als Sachverständiger im Finanzausschuss

Bei der Anhörung zum Steueränderungsgesetz 2025 am 10.11.2025 war der DStV als Sachverständiger vertreten – durch die Geschäftsführerin RAin/StBin Sylvia Mein. Die zentrale Botschaft an die Politik:

👉 Steueränderungen müssen die Praxis entlasten und nicht verkomplizieren.


Fazit

Der DStV unterstützt die Zielrichtung des Steueränderungsgesetzes 2025, sieht aber dringenden Reformbedarf:

  • Die Arbeitstagepauschale ist die beste Lösung für moderne Arbeitsformen.
  • Ehrenamt und Übungsleiter müssen regelmäßig inflationsangepasst werden.
  • Neue Sanktionen oder Bürokratielasten lehnt der Verband ab.
  • Eine echte Reform der Grunderwerbsteuer ist überfällig.

Mit seiner Stellungnahme liefert der DStV der Politik wichtige Impulse – und gibt der steuerberatenden Praxis eine klare Stimme.


Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e. V., Mitteilung vom 12.11.2025

Entwicklung der Mehrwertsteuer: EU-Kommission denkt „grüner“ – Neue Optionen für Second-Hand, Produktspenden und Bildungsleistungen

DStV begrüßt Reformüberlegungen und fordert Wahlrechte für Weiterbildungsträger

Die EU-Kommission arbeitet derzeit an möglichen Reformbausteinen für die Zukunft des europäischen Mehrwertsteuersystems. Nach Umsetzung von ViDA („VAT in the digital age“) im Jahr 2025, rücken nun Aspekte wie Nachhaltigkeit, der Second-Hand-Markt und die Mehrwertsteuerbefreiung für Bildungsleistungen in den Fokus. Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) berichtet über die ersten Inhalte und bewertet zentrale Reformoptionen.


A. Die Zukunft der EU-Mehrwertsteuer nach ViDA

Die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) aus dem Jahr 2006 wird seit Jahren fortlaufend reformiert. Mit ViDA (2025/516/EU) wurden zuletzt große Veränderungen angestoßen – etwa zur digitalen Rechnungsstellung, zum Echtzeit-Datenaustausch und zu Plattformgeschäftsmodellen.

Jetzt richtet die EU-Kommission den Blick auf die Zeit nach ViDA und hat die Studie „The challenges of VAT beyond ViDA“ in Auftrag gegeben. Ziel:
👉 Die Mehrwertsteuer soll künftig stärker zu Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung beitragen.

Im Fokus stehen drei Themenbereiche:


1. „Grüne“ Mehrwertsteuer: Förderung nachhaltiger Märkte

Die EU prüft, wie das Mehrwertsteuersystem ökologischer gestaltet werden kann – u. a. durch:

  • Förderung nachhaltiger Konsummuster
  • Begünstigung reparierter oder wiederverwendeter Produkte
  • Vermeidung steuerlicher Fehlanreize bei Produktvernichtung

Konkrete Vorschläge liegen noch nicht vor, aber erste Ansätze werden in der VAT Expert Group diskutiert.


2. Second-Hand-Produkte: Zwei mögliche Reformmodelle

Der Gebrauchtwarenmarkt ist ein Kernbereich der Kreislaufwirtschaft. Aktuell gilt in Deutschland für viele Second-Hand-Geschäfte die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG, wenn der Ankauf ohne Vorsteuerabzug erfolgt.

Die EU erwägt zwei Reformoptionen:

Option 1: Harmonisierung und Erweiterung des aktuellen Systems

  • Beibehaltung der Differenzbesteuerung
  • Erweiterung der Definition von „Gebrauchtgegenständen“
  • Bessere Integration in E-Rechnungssysteme
  • Ausweitung des One-Stop-Shop (OSS)
    → Umstieg zur zielbasierten Besteuerung, also Besteuerung im Land des Verbrauchs

Diese Option würde grenzüberschreitenden Handel erleichtern und könnte Second-Hand-Plattformen entlasten.

Option 2: Einführung eines fiktiven Vorsteuerabzugs

Anlehnung an Modelle wie in Neuseeland:

  • Der Händler gibt beim Ankauf einen „fiktiven Wert“ für das Produkt an
  • Darauf basiert ein fiktiver Vorsteuerabzug
  • Verkauf wird wie ein normaler Umsatz versteuert

Diese Option würde das System vereinheitlichen, birgt aber Bewertungs- und Missbrauchsrisiken.


3. Mehrwertsteuer und Produktvernichtung: Steuerbefreiung für Sachspenden?

Aktuell gilt:
Unentgeltliche Wertabgaben (z. B. Spenden) werden nach § 3 Abs. 1b UStG wie entgeltliche Lieferungen behandelt.

Folge:
➡️ Unternehmen zahlen Mehrwertsteuer auf gespendete, aber nicht verkaufte Waren.
➡️ Die Vernichtung ist oft steuerlich günstiger – ein offensichtlicher Nachhaltigkeitswiderspruch.

Die EU-Kommission prüft daher:

  • Mehrwertsteuerbefreiung für Sachspenden
  • Spezielle Regelungen zur Förderung der Abfallvermeidung

Das deutsche BMF sieht dagegen „keinen unmittelbaren Handlungsdruck“, räumt aber Interpretationsspielraum ein. Eine Klarstellung in der MwStSystRL könnte hier europaweit einheitliche Erleichterungen schaffen.


B. Mehrwertsteuer auf Bildungsleistungen – DStV fordert Wahlrecht

Gemäß Art. 132 MwStSystRL und § 4 UStG sind viele Bildungsleistungen steuerbefreit.
Problem:
👉 Gewerbliche Bildungsträger verlieren den Vorsteuerabzug und müssen höhere Kosten auf Teilnehmer umlegen.

Dies trifft besonders:

  • private Weiterbildungsanbieter
  • Sprachschulen
  • berufliche Fortbildungsinstitute
  • spezialisierte Lehrgangsanbieter

Die German Tax Advisers (DStV & BStBK, Brüssel) fordern daher ein:

→ echtes Optionsmodell zur Umsatzsteuerpflicht

Vorteile:

  • Vorsteuerabzug möglich
  • Netto-Kosten sinken
  • Preise werden transparenter
  • Fairer Wettbewerb gegenüber nicht gewerblichen Trägern

Die Reaktion der EU-Kommission („very useful“) zeigt Offenheit – konkrete Folgeinitiativen stehen jedoch noch aus.


Fazit: Mehrwertsteuer im Wandel – Nachhaltigkeit als neuer Leitgedanke

Die EU-Kommission denkt die Mehrwertsteuer zunehmend als Lenkungsinstrument für ökologische und gesellschaftliche Ziele. Die relevanten Trends:

  • Second-Hand-Märkte sollen attraktiver werden
  • Produktvernichtung soll eingedämmt werden
  • Bildungsträger sollen flexibilisiert werden
  • Nachhaltigkeit rückt stärker in den Fokus
  • Digitalisierung durch ViDA bleibt ein Dauerthema

Für Unternehmen, Händler, Bildungseinrichtungen und Steuerberater ergeben sich daraus potenziell erhebliche Änderungen, die in den nächsten Jahren die Mehrwertsteuersystematik neu ordnen könnten.


Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e.V., Mitteilung vom 12.11.2025

Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG: BMF setzt BFH-Urteil um und ändert UStAE umfassend

Neue Vorgaben zu „stehender Ernte“, landwirtschaftlichen Geräten und Vertrauensschutz bis Juni 2026

Mit Schreiben vom 12. November 2025 hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) – nach Abstimmung mit den Ländern – weitreichende Änderungen zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG veröffentlicht. Anlass ist das BFH-Urteil vom 17. August 2023 (V R 3/21), das zentrale Punkte der Durchschnittssatzbesteuerung neu bewertet hat. Das BMF übernimmt diese Rechtsprechung nun vollständig in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE).

Die wichtigsten Änderungen im Überblick:


1. Lieferungen landwirtschaftlicher Geräte unterliegen der Regelbesteuerung

Der BFH hat klargestellt:

👉 Die Lieferung von Geräten, die ein Land- oder Forstwirt ausschließlich für Umsätze nach § 24 UStG verwendet hat, fällt nicht unter die Durchschnittssatzbesteuerung.

Damit bestätigt der BFH die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung (Abschnitt 24.2 Abs. 6 Satz 2 UStAE).

Folge:
Der Verkauf gebrauchter Maschinen, Traktoren, Erntetechnik usw. ist immer mit dem Regelsteuersatz zu versteuern – auch wenn der Betrieb insgesamt pauschal nach § 24 UStG besteuert wird.


2. „Stehende Ernte“ ist kein landwirtschaftliches Erzeugnis

Ein weiterer zentraler Punkt des Urteils:

👉 Früchte auf dem Feld („stehende Ernte“) gelten vor der Ernte noch nicht als landwirtschaftliche Erzeugnisse.

Daher gilt:

  • Die bloße Veräußerung der stehenden Ernte unterliegt nicht der Durchschnittssatzbesteuerung.
  • Sie verschafft dem Erwerber lediglich die Möglichkeit, selbst Erzeugnisse zu gewinnen.

Ausnahme:
Wird eine Erntevereinbarung abgeschlossen, sodass die Früchte im Zeitpunkt der Ernte automatisch dem Veräußerer zugerechnet werden,
kann das Ernteprodukt als landwirtschaftliches Erzeugnis gelten.
→ Dann ist die Durchschnittssatzbesteuerung anwendbar.


3. Verwaltungsvereinfachung mit 95 %-Grenze entfällt

Die alte Verwaltungsregel, nach der Umsätze mit Gegenständen des Unternehmensvermögens pauschal besteuert werden konnten, wenn sie mindestens zu 95 % für pauschalbesteuerte Umsätze genutzt wurden, erachtet der BFH als nicht vereinfachend.

👉 Diese Regelung entfällt vollständig.

Damit gilt ab sofort:
Jeder Verkauf eines Gegenstands des land- und forstwirtschaftlichen Unternehmensvermögens (z. B. Maschinen, Geräte, Fahrzeuge)
unterliegt immer der Regelbesteuerung.


4. Anpassungen im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)

Das BMF passt mehrere Abschnitte des UStAE an. Besonders relevant:

  • Abschnitt 24.2 Abs. 6 UStAE wird komplett neu gefasst.
  • Klarstellung zu stehender Ernte, Erntevereinbarungen und Regelbesteuerung bei Gerätelieferungen.
  • Anpassungen in 24.1 Abs. 4 und 24.3 Abs. 9 (u. a. Streichung bestimmter Vereinfachungen).
  • Ergänzung in 14c.1 Abs. 1 UStAE:
    Auch zivilrechtlich vollbeendete Personengesellschaften können Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG schulden.

5. Vertrauensschutz: Übergangsregelungen bis 30. Juni 2026

Zum Schutz land- und forstwirtschaftlicher Betriebe hat das BMF eine großzügige Übergangsregel geschaffen:

👉 Bis zum 30. Juni 2026 wird es nicht beanstandet, wenn Landwirte weiterhin die alte Rechtslage anwenden –
einschließlich der bisherigen Regelungen zu Gerätelieferungen und zur 95 %-Grenze.

Voraussetzung:

  • Die Rechnung muss entsprechend der alten Rechtslage ausgestellt werden.

Unternehmer können sich also frei entscheiden, ob sie bis Mitte 2026 die alten oder die neuen Vorgaben anwenden.


6. Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG möglich

Wenn ein Verkauf künftig der Regelbesteuerung unterliegt und zuvor ein reduzierter Vorsteuerabzug nach § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG vorgenommen wurde, gilt:

👉 Es kann eine zeitanteilige Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 8 und 9 UStG notwendig sein.

Dies betrifft z. B. Maschinen, Fahrzeuge oder langlebige Wirtschaftsgüter.


Fazit: Wichtige Weichenstellung für Land- und Forstwirte

Mit dem neuen Schreiben schafft das BMF Rechtssicherheit:

  • Verkäufe landwirtschaftlicher Geräte → immer Regelbesteuerung
  • „Stehende Ernte“ ohne Erntevereinbarung → nicht pauschal steuerbar
  • 95 %-Vereinfachungsregel entfällt
  • Übergangsregel bis Mitte 2026 gibt Planungssicherheit
  • Vorsteuerberichtigungen müssen geprüft werden

Das Schreiben hat erhebliche Bedeutung für Landwirte, Lohnunternehmer, Buchstellen und Steuerberater.


Quelle: BMF-Schreiben vom 12.11.2025 – III C 2 – S 7410/00029/033/051
BFH-Urteil vom 17.08.2023 – V R 3/21

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin