Linke scheitert mit Arbeitszeitbegrenzung

Arbeit und Soziales/Ausschuss – 28.02.2018 (hib 106/2018)

Berlin: (hib/CHE) Die wöchentliche, gesetzlich geregelte, Höchstarbeitszeit von 48 Stunden wird nicht abgesenkt. Die Fraktion Die Linke konnte sich mit ihrem Antrag (19/578) nicht durchsetzen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales stimmte am Mittwochvormittag mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen gegen den Antrag. In diesem hatte Die Linke verlangt, die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden abzusenken. Zu weiteren Forderungen gehörte ein Rückkehrrecht auf Vollzeit und ein Recht auf Nichterreichbarkeit.

Die Linke begründete in der Sitzung des Ausschusses ihren Antrag damit, den Widerspruch auflösen zu wollen, dass ein Großteil der Beschäftigten unter Stress leide, während andere keine Arbeit fänden. Arbeitszeit müsse gerechter verteilt werden, aus den Überstunden der einen könnten Jobs für andere entstehen, so Die Linke.

Damit konnte sie die anderen Fraktionen jedoch nicht überzeugen. Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist die Frage der Höchstarbeitszeit nicht entscheidend, wenn es darum geht, den Stress für die Beschäftigten zu reduzieren. Diese bräuchten vor allem flexible Arbeitszeitgestaltungen, um Familie, Freizeit und Beruf zu verbinden, hieß es von den Grünen. Die FDP merkte an, dass es keinen Sinn mache, die gesetzliche Wochenhöchstarbeitszeit abzusenken, weil die meisten Arbeitsverträge ohnehin auf 39 bis 40 Stunden festgelegt seien. Nötig seien eher Regelungen, um sich die Arbeitszeit besser einteilen zu können.

Die Unionsfraktion betonte ebenfalls, dass nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Arbeitgeber „Instrumente der Flexibilisierung“ bräuchten. Auch die AfD-Fraktion sprach sich für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten aus. Sie unterstützte jedoch die Linken-Forderung nach einem Rückkehrrecht auf Vollzeit. Für die SPD-Fraktion liegt das Problem nicht in einer Absenkung der Höchstarbeitszeit. Da die Frage der Arbeitszeiten aber dennoch eine große Bedeutung habe, müsse man jenseits starrer Gesetze darüber nachdenken, wie man den Bedürfnissen der Beschäftigten in verschiedenen Lebensphasen gerecht werde, so die SPD.

Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 28.02.2018

 

Vorerst keine europäische Einlagensicherung

Risiken müssen zunächst reduziert werden

Die Bundesregierung sieht ohne erhebliche Reduktion von Risiken und Fehlanreizen „keine belastbare Grundlage“ für die Verhandlungen über eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine europäische Einlagensicherung werde daher abgelehnt, erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort ( 19/814 ) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion ( 19/638 ). Zu den Maßnahmen zur Risikoreduktion zählt die Bundesregierung unter anderem einen gemeinsamen Ansatz für die Hierarchie der Gläubiger einer Bank sowie eine Mindestharmonisierung des Insolvenzrechts. Darüber hinaus seien Maßnahmen zum Abbau notleidender Kredite wichtiger Bestandteil der Risikoreduktion. Es gebe bisher keinen Zeitplan und keine Fristen zur Umsetzung der Maßnahmen. „Auch in zeitlicher Hinsicht gilt insoweit, dass erst nach effektiven Maßnahmen zur Risikoreduzierung politische Verhandlungen über eine weitere Risikoreduzierung erfolgen können“, schreibt die Bundesregierung.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 28.02.2018

 

Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus zulässig

Die Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus ist zulässig.

Der Arbeitnehmer kann nicht geltend machen, dass es sich dabei um einen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge handelt.

Herr Hubertus John wurde von der Stadt Bremen (Deutschland) als Lehrer angestellt. Kurz vor Erreichen der Regelaltersgrenze beantragte er, über diesen Zeitpunkt hinaus weiterbeschäftigt zu werden. Die Stadt Bremen erklärte sich damit einverstanden, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 zu verlängern. Den von Herrn John in der Folge gestellten Antrag, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres 2015/2016 zu verlängern, lehnte sie jedoch ab. Herr John erhob daraufhin Klage gegen die Stadt Bremen. Er macht geltend, die Befristung der gewährten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses verstoße gegen Unionsrecht.

Das Landesarbeitsgericht Bremen (Deutschland), bei dem die Rechtssache anhängig ist, weist darauf hin, dass die geltende nationale Regelung1 es den Arbeitsvertragsparteien unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat.

Das Landesarbeitsgericht möchte wissen, ob eine solche Regelung mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters2 und der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge3(zur Verhinderung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge) vereinbar ist.

Mit seinem Urteil vom 28.02.2018 stellt der Gerichtshof fest, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters einer nationalen Bestimmung wie der in Rede stehenden nicht entgegensteht, die bei Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, das Hinausschieben des Zeitpunkts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von einer befristet erteilten Zustimmung des Arbeitgebers abhängig macht.

Nach Auffassung des Gerichtshofs werden Personen, die das Rentenalter erreicht haben, durch eine solche Regelung nicht gegenüber Personen, die dieses Alter noch nicht erreicht haben, benachteiligt. Die Regelung, nach der das Ende des Arbeitsverhältnisses mehrfach hinausgeschoben werden kann, und zwar ohne weitere Voraussetzungen und zeitlich unbegrenzt, stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung des Arbeitsvertrags bei Erreichen der Regelaltersgrenze dar. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses setzt in jedem Fall die Zustimmung beider Vertragsparteien voraus.

Was die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge angeht, hat der Gerichtshof Zweifel, ob die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, als Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge angesehen werden kann. Es erscheint nämlich nicht ausgeschlossen, sie als bloße vertragliche Verschiebung des ursprünglich vereinbarten Rentenalters aufzufassen.

Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass aus den Akten nicht ersichtlich ist, dass die streitige Regelung geeignet ist, den Abschluss aufeinanderfolgender Arbeitsverträge zu fördern, oder eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer darstellt. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Regelaltersgrenzen systematisch zu einer Prekarisierung der Lage der betreffenden Arbeitnehmer im Sinne der Rahmenvereinbarung führen, sofern die Arbeitnehmer in den Genuss einer abschlagsfreien Rente kommen und insbesondere wenn eine Verlängerung des fraglichen Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber zulässig ist.

Für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Herrn John zugestandene Verlängerung des Arbeitsverhältnisses einen Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge darstellt, entscheidet der Gerichtshof, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge einer nationalen Regelung wie der in Rede stehenden nicht entgegensteht, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat.

Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach sich ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht, von anderen Arbeitnehmern nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung unterscheidet, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befindet und damit im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative steht, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Außerdem ist bei der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt wird und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behält.

Fußnoten

1 § 41 („Altersrente und Kündigungsschutz“) Satz 3 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs in der seit dem 23. Juni 2014 geltenden Fassung.

2 Gemäß der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

3 Am 18. März 1999 geschlossene Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 28.02.2018 zum Urteil C-46/17 vom 28.02.2018

Kfz: Diesel-Verkehrsverbote ausnahmsweise möglich

Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 27.02.2018 die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen (BVerwG 7 C 26.16) und Baden-Württemberg (BVerwG 7 C 30.17) gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen. Allerdings sind bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NOin Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NOvon 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen.

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile sind vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NO so kurz wie möglich zu halten.

Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lässt das Bundesrecht zonen – wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung („Plakettenregelung“) ist der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette).

Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart hat das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt.

Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch – wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen – sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z. B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies wird der Beklagte nachzuholen haben. Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte darstellen, sind diese – unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – in Betracht zu ziehen.

Die StVO ermöglicht die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote ist zwar gegenüber einer „Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung.

Quelle: BVerwG, Pressemitteilung vom 27.02.2018 zu den Urteilen 7 C 26.16, 7 C 30.17 vom 27.02.2018

 

Verletzung beim Eislaufen ist kein Arbeitsunfall

Die Klägerin, Teamleiterin einer zehnköpfigen Abteilung einer Modefirma, begehrte mit ihrer Klage die Anerkennung eines Unfalls auf einer Eisbahn als Arbeitsunfall. Alle Mitarbeiter ihrer Einkaufsabteilung hatten vorzeitig ihre Arbeit beendet und als teambildende Maßnahme einen Ausflug zur Eisbahn unternommen. Beim Betreten der Eisfläche ist sie ins Rutschen gekommen, gefallen und hat sich dabei das Handgelenk gebrochen. Die beklagte Berufsgenossenschaft sah keinen inneren Zusammenhang des Unfalls mit der beruflichen Tätigkeit in der Modefirma und lehnte den Antrag auf Anerkennung ab.

Zu Recht, wie die Richter des Sozialgerichts Detmold urteilten. Die Klägerin sei während des Eislaufens nicht als Beschäftigte der Modefirma versichert gewesen. Zunächst habe die Teilnahme am Eislaufen nicht zu ihren arbeitsvertraglich geschuldeten Pflichten als Leiterin einer Einkaufsabteilung gehört. Selbst wenn ihr Team zu motivieren und für ein gutes Betriebsklima in ihrem Team zu sorgen als arbeitsvertragliche Pflichten der Klägerin gewertet würden, sei sie ihrem Arbeitgeber gegenüber lediglich zur Organisation von teambildenden Maßnahmen verpflichtet, nicht aber zur aktiven Teilnahme – wie hier beim Eislaufen.

Zwar kann sich auch ein Versicherungsschutz bei der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung, z. B. einer betrieblichen Weihnachtsfeier ergeben. Eine Gemeinschaftsveranstaltung in diesem Sinne habe jedoch nicht vorgelegen – so das Sozialgericht. Hier mangelte es bereits an dem erforderlichen Einvernehmen mit der Unternehmensleitung. Die „teambildende Maßnahme“ war weder von der Unternehmensleitung noch von der dem Team der Klägerin übergeordneten Einkaufsleiterin als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung angeregt oder organisiert worden. Die Beschäftigten des Teams oder deren Teamleiterin wurden auch nicht von der Unternehmensleitung mit der Durchführung dieser Veranstaltung beauftragt. Die Initiierung der Organisation des Ausflugs zur Eisbahn lediglich durch die Teamleiterin reicht nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht aus, der Maßnahme den Charakter einer von der Unternehmensleitung getragenen betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung zu geben.

Gegen eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung spricht auch, dass die Teilnehmer für den Ausflug zur Eisbahn keine Zeitgutschrift erhalten haben. Außerdem werde der eher private Charakter der Veranstaltung dadurch deutlich, dass die Klägerin – und nicht etwa das Unternehmen – die Kosten der Veranstaltung getragen habe. Private Veranstaltungen könnten, auch wenn sie betriebsbedingt oder betriebsdienlich seien, den Versicherungsschutz nicht begründen, selbst wenn sie von der Unternehmensleitung geduldet oder gebilligt würden. Denn letztendlich wirke sich jede gemeinsame Freizeitveranstaltung positiv auf die Teamfähigkeit aus und fördere die Kommunikation und den Zusammenhalt unter den Kollegen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: SG Detmold, Pressemitteilung vom 26.02.2018 zum Urteil S 1 U 263/15 vom 09.02.2017 (rkr)

 

Kein Krankengeld bei verspäteter Vorlage der AU-Bescheinigung

Die 1986 geborene Klägerin war ab dem 01.06.2016 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Sie erkrankte am 10.06.2016 arbeitsunfähig und kündigte sodann das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2016. Die AU-Bescheinigung vom 10.06.2016 ging am 01.07.2016 bei der Beklagten ein, die wegen verspäteter Vorlage die Zahlung von Krankengeld ablehnte.

Zu Recht, urteilte die 3. Kammer des Sozialgerichts. Das Krankengeld ruht für den Zeitraum vom 10.06.2016 bis zum 30.06.2016 und kommt damit nicht zur Auszahlung. Grund hierfür ist die verspätete Übersendung der Bescheinigung.

Das Argument der Klägerin, sie habe nicht gewusst, dass sie keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe, überzeugte die Kammer nicht. Ein Verschulden des behandelnden Arztes bei der Handhabung des Vordrucks kann nicht der Beklagten zugerechnet werden.

Die gesetzliche Meldepflicht ist eine Obliegenheit des Versicherten. Sie soll gewährleisten, dass die Krankenkasse möglichst frühzeitig über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit informiert und in die Lage versetzt wird, vor der Entscheidung über den Krankengeldanspruch und ggf. auch während des folgenden Leistungsbezugs den Gesundheitszustand des Versicherten durch den Medizinischen Dienst überprüfen zu lassen, um Zweifel an der ärztlichen Beurteilung zu beseitigen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Sicherung des Heilerfolges und zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Versäumt der Versicherte die Meldung, führt dies zu einem regelmäßig endgültigen Verlust eines entstandenen und fälligen Anspruchs.

Auf Organisationsmängel der Beklagten kann sich die Klägerin nicht berufen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung trägt den eindeutigen Hinweis: „Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse“. Insoweit hätte der Klägerin klar sein müssen, dass sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Krankenkasse zu übersenden hat. Auf die Vorschriften im Gesetz über die Entgeltfortzahlung (EntgFG) kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie von dem Arbeitgeber keine entsprechenden Zahlungen verlangen konnte.

Außerdem lässt die gesetzliche Regelung im EntgFG nach Auffassung der Richter nicht den Rückschluss zu, dass der Versicherte sich darauf verlassen darf, der Arzt werde die AU der Krankenkasse melden.

Quelle: SG Detmold, Urteil S 3 KR 824/16 vom 12.01.2018 (nrkr)

 

Krankenkasse muss Krankengeld trotz verspäteter Vorlage der AU-Bescheinigung zahlen

Sofern der Arzt die Bescheinigung der AU nicht dem Versicherten aushändigt, muss die Krankenkasse auch dann Krankengeld an den Versicherten zahlen, wenn diese zu spät bei ihr eingeht.

Dies entschied das Sozialgericht Detmold im Falle einer 1957 geborenen Klägerin, die auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums krankgeschrieben war. Sie hatte sich rechtzeitig zu ihrem Hausarzt begeben, um die AU attestieren zu lassen. Der Arzt händigte das Formular, das für den Versicherten zur Vorlage bei seiner Krankenkasse bestimmt ist, aber nicht aus, sondern veranlasste die Versendung an die Krankenkasse selbst. Unter anderem hierfür hatte er zuvor von der Krankenkasse Freiumschläge zur Verfügung gestellt bekommen. Als die Bescheinigung erst nach Ablauf der einwöchigen Meldefrist bei der Beklagten einging, verweigerte diese die Zahlung von Krankengeld für die Zeit bis zur Vorlage der Bescheinigung.

Zu Unrecht entschied das Sozialgericht. Zwar muss der Versicherte grundsätzlich selbst für die rechtzeitige Meldung der AU sorgen. Von dieser Obliegenheitsverpflichtung gibt es jedoch Ausnahmen. Eine Ausnahme ergibt sich aus dem Gesetz über die Entgeltfortzahlung, da der Arzt danach verpflichtet ist, die AU der Krankenkasse zu melden. Treten Verzögerungen bei der Übermittlung der AU-Bescheinigung auf, muss sich die Krankenkasse diese zurechnen lassen. Nach Auffassung der Richter greift diese Rechtsfolge auch dann, wenn der Arzt nach Ablauf der Entgeltfortzahlung ungefragt den Teil des Vordrucks der AU-Bescheinigung, der zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmt ist, nicht dem Versicherten aushändigt, sondern die Weiterleitung selbst übernimmt.

Die Klägerin hatte nämlich keine Möglichkeit, für den rechtzeitigen Zugang der Meldung zu sorgen. Sie war insbesondere nicht verpflichtet, die Krankenkasse über das Fortbestehen der AU auf andere Weise zu informieren. Sie durfte sich vielmehr darauf verlassen, dass der Arzt für eine rechtzeitige Übermittlung sorgt. Die Kammer wertete dabei den Umstand, dass die Krankenkasse der Arztpraxis Freiumschläge zur Verfügung stellt, als Hinweis für die berechtigte Nutzung dieses Übermittlungsweges. Der Arzt handelte daher innerhalb seiner berufsrechtlichen Befugnisse als Vertragsarzt. Dann aber liegt das Risiko für den verspäteten Zugang der AU-Bescheinigung bei der Krankenkasse. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, dass der für den Versicherten vorgesehene Vordruck den Hinweis enthält, dass eine verspätete Meldung zum Ausschluss von Krankengeld führen kann.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: SG Detmold, Pressemitteilung vom 26.02.2018 zum Urteil S 5 KR 266/17 vom 15.11.2017 (rkr)

 

Krankenkasse muss Liposuktionsbehandlungskosten nicht übernehmen

Krankenkasse ist nicht verpflichtet, die Kosten für eine Liposuktionsbehandlung zu übernehmen.

Dies entschied das Sozialgericht im Fall einer 1978 geborenen Versicherten, die unter einer krankhaften Fettverteilungsstörung (sog. Lipödem) leidet.

Trotz Empfehlung der behandelnden Ärzte lehnte die beklagte Krankenkasse die Kostenübernahme für eine chirurgische Therapie der Erkrankung mittels Fettabsaugung (Liposuktion) ab. Sie verwies auf physikalische Maßnahmen in Form von Lymphdrainage und regelmäßiger Kompressionsbestrumpfung.

Dieser Einschätzung folgten die Richter der 3. Kammer. Der Versicherte kann eine Liposuktionsbehandlung weder als stationäre noch als ambulante Therapie erhalten. Zur Qualität und Wirksamkeit der Liposuktion können gegenwärtig noch keine zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen gemacht werden. Insbesondere fehlen einwandfrei geführte Studien über die Zahl der behandelten Frauen und die Wirksamkeit der Methode. Der für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zuständige Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat (noch) keine positive oder negative Empfehlung zu der Behandlungsmethode abgegeben.

Ebenso wenig existiert – so die 3. Kammer des Sozialgerichts Detmold – ein umfassender und von den Qualitätskriterien im ambulanten Bereich unabhängiger Leistungsanspruch im stationären Bereich. Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung erfordert auch dann, wenn der GBA nicht über die Zulässigkeit der Behandlungsmethode im Krankenhaus entschieden hat, dass die angewandte Methode dem Qualitätsgebot des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse genügt. Dies ist derzeit angesichts des „Gutachtens zur Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der Sozialmedizinischen Expertengruppe des MDK vom 06.10.2011, das im Rahmen einer Recherche und Evidenzbewertung am 15.04.2014 aktualisiert wurde, nicht der Fall. Die Liposuktion zur Therapie des Lipödems ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Es sind weitere randomisierte kontrollierte Studien erforderlich, um die Liposuktion als eine den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechende Behandlungsmethode qualifizieren zu können. Das Lipödem stellt im Übrigen auch keine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche Erkrankung oder wertungsmäßig vergleichbar schwere Erkrankung dar, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht. Ansprüche aus einem Systemversagen können daher nicht angenommen werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Berufungsaktenzeichen L 11 KR 270/17).

Quelle: SG Detmold, Pressemitteilung vom 26.02.2018 zum Urteil S 3 KR 604/15 vom 02.03.2017 (nrkr)

 

Jobcenter Grundsicherung: Rückwirkende Gewährung von Kosten der Unterkunft ausgeschlossen

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheides aus dem Jahr 2008, mit dem Ziel für Januar 2009 höhere Kosten der Unterkunft zu erhalten. Diesen Antrag hatte das beklagte Jobcenter zuvor abgelehnt und darauf hingewiesen, dass eine Rücknahme und Nachzahlung nur für einen Zeitraum von einem Jahr erfolgen könne. Dabei sei der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem der Überprüfungsantrag gestellt wurde.

Dieser Ansicht folgte das Sozialgericht Detmold in seinem Urteil. Eine Rücknahme und Nachzahlung von Sozialleistungen ist längstens für einen Zeitraum bis zu vier bzw. im Grundsicherungsrecht bis zu einem Jahr vor der Rücknahme möglich. Zwar sei der Überprüfungsantrag selber nicht fristgebunden, dies gelte jedoch nicht für den Anspruch auf Nachzahlung von Sozialleistungen. Eine isolierte Rücknahme komme nicht infrage, da diese wirkungslos wäre und von der Verwaltung keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden dürfe.

Die Richter hatten auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser zeitlichen Einschränkung. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verlange die Gewährung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Die rückwirkende Gewährung höherer existenzsichernder Leistungen sei verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, da hierdurch lediglich eine nachträgliche Entschädigung, nicht jedoch eine gegenwärtige Existenzsicherung erreicht werde. Zudem würden die Grundsicherungsleistungen im Vergleich zu anderen Sozialleistungen aus Steuermitteln gewährt. Hier komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung aber auch bei der Einschränkung der Leistungen zu. Der Gesetzgeber habe hiervon Gebrauch gemacht und in seiner Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Vierjahresfrist für Leistungen, die als steuerfinanzierte Leistung der Sicherung des Lebensunterhalts dienten und dabei in besonderem Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollten, zu lang sei. Eine kürzere Frist von einem Jahr könne hier nach dem sogenannten Aktualitätsgrundsatz als sach- und interessengerecht angesehen werden.

Quelle: SG Detmold, Pressemitteilung vom 26.02.2018 zum Urteil S 23 AS 1850/14 vom 20.06.2017 (rkr)

 

Nachforderung von Betriebskosten für die ehemals bewohnte Wohnung sind vom Jobcenter zu übernehmen

Dieses urteilte das Sozialgericht, nachdem das beklagte Jobcenter zuvor einen entsprechenden Antrag der Klägerin abgelehnt hatte. Diese erhielt nach dem Umzug in eine neue Wohnung noch eine Schlussrechnung der Stadtwerke hinsichtlich der Strom-, Heiz- und Wasserkosten für die ehemals bewohnte Wohnung. Da das Mietverhältnis hinsichtlich der alten Wohnung beendet sei, kämen – so das Jobcenter – unterkunftssichernde Leistungen für diese grundsätzlich nicht mehr im Betracht. Ein Ausnahmefall liege ebenfalls nicht vor, da die Klägerin auf eigenen Wunsch und nicht nach einer Kostensenkungsaufforderung des Jobcenters umgezogen sei.

Dies sah die 23. Kammer des Sozialgerichts Detmold anders. Zwar seien grundsätzlich die Aufwendungen für die tatsächlich konkret genutzte Wohnung zu übernehmen. Das Bundessozialgericht habe aber für Nachforderungen aus früheren, inzwischen beendeten Mietverhältnissen Ausnahmen zugelassen, wenn der Leistungsberechtigte durchgehend seit dem Zeitraum der tatsächlichen Entstehung der Kosten bis zu dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung im Leistungsbezug stand und eine Kostensenkungsaufforderung oder eine Zusicherung des Jobcenters hinsichtlich des Umzugs vorlag. Die Richter der 23. Kammer hielten die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf den vorliegenden Fall für übertragbar, obwohl weder eine Kostensenkungsaufforderung des Jobcenters noch eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs vorlag. Denn auch das Bundessozialgericht sieht eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen Bedarf, weil sowohl die Entstehung der Nachforderung als auch ihre Fälligkeit einen Zeitraum der ununterbrochenen Hilfebedürftigkeit betrifft. In einem solchen Fall hat der Leistungsträger für die unterkunftsbezogenen Bedarfe der Leistungsbezieher einschließlich der Nebenkosten aufzukommen.

Eine andere Sicht der Dinge würde praktisch eine Umzugssperre begründen, weil Leistungsbezieher sich dann dem Risiko ausgesetzt sähen, dass sie mit Schulden in Form der Nebenkostennachzahlungen belastet würden. Auch könnten Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation drohen, wenn für den Leistungsberechtigten derselbe Energielieferant zuständig sei und deshalb Zahlungsschwierigkeiten aus dem früheren Miet- oder Versorgungsverhältnis auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen würden.

Quelle: SG Detmold, Pressemitteilung vom 26.02.2018 zum Urteil S 23 AS 1759/16 vom 30.11.2017 (rkr)

 

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