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Einkommensteuer: Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides

Finanzgericht Köln, 6 K 2552/10

Datum:
20.06.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2552/10
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erzielte in diesem Jahr Einkünfte aus verschiedenen Beteiligungen, unter anderem als Gesellschafterin der D Vermögensverwaltungs GbR. Für diese GbR wurde durch das zuständige Finanzamt A am 08.12.1994 ein Feststellungsbescheid für 1992 erlassen, durch den der Klägerin neben Einnahmen und Werbungskosten aus Kapitalvermögen ein Verlust aus Spekulationsgeschäften in Höhe von 583.967 DM zugewiesen wurde. Sonstige Verluste aus Spekulationsgeschäften erzielten die Kläger im Streitjahr nicht. Im Rahmen ihrer am 24.11.1994 eingereichten Einkommensteuererklärung setzten die Kläger sowohl die festgestellten Einnahmen und Werbungskosten aus der GbR als Einkünfte aus Kapitalvermögen an als auch in der Rubrik Spekulationsgeschäfte (Zeile 50 der Anlage KSO) einen Betrag in Höhe von -583.967 DM mit dem maschinenschriftlichen Zusatz „D Vermögensverw. GbR“.

3In dem daraufhin ergangenen erstmaligen Einkommensteuerbescheid vom 20.03.1995 blieb der Spekulationsverlust unberücksichtigt. In den Erläuterungen zum Bescheid wird hierzu ausgeführt: „Der Spekulationsverlust konnte nicht zum Ansatz kommen, da dieser nur mit einem im gleichen Jahr erzielten Spekulationsgewinn ausgeglichen werden kann (vgl. § 23 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG –).“ Dieser Bescheid wurde bestandskräftig, ebenso wie die zahlreichen in der Folgezeit ergangenen Änderungsbescheide, in denen der Spekulationsverlust nicht mehr erwähnt wurde, zuletzt der Bescheid vom 20.11.2000.

4Am 27.10.2000 erließ das Finanzamt A für die GbR einen (u.a. für 1992) geänderten Feststellungsbescheid, durch den der Klägerin neben geänderten Einnahmen aus Kapitalvermögen Einkünfte aus Spekulationsgeschäften in Höhe von nunmehr-588.378 DM zugewiesen wurden. Diesen Änderungsbescheid wertete der Beklagte aus, indem er am 01.03.2001 einen geänderten Einkommensteuerbescheid erließ, der gegenüber dem Vorbescheid zu einer Herabsetzung des festgesetzten Steuer führte, in dem aber der Spekulationsverlust weiterhin unberücksichtigt blieb. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger durch Schreiben vom 03.04.2001 Einspruch ein und machten geltend, dass die Einschränkung der Verlustverrechnung von Spekulationsverlusten nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG (vormals: § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG) verfassungswidrig sei. Dieses Einspruchsverfahren ruhte zunächst.

5Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) in der Folgezeit in verfassungskonformer Auslegung entschieden hatte, dass Spekulationsverluste aus den Jahren vor 1999 grundsätzlich uneingeschränkt ausgleichsfähig sind (etwa Urteil vom 01.06.2004 IX R 35/01, BStBl II 2005, 26), erließ der Beklagte am 02.07.2010 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem er einen Spekulationsverlust in Höhe von 4.413 DM berücksichtigte. Hierbei handelte es sich um den Betrag, um den der Spekulationsverlust durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 27.10.2000 gegenüber dem ursprünglichen Feststellungsbescheid erhöht wurde. In Höhe des ursprünglich festgestellten Verlustes sei, so der Beklagte, angesichts der Bestandskraft der vorhergehenden Einkommensteuerbescheide keine Änderung möglich. Er wies daher durch Einspruchsentscheidung vom 22.07.2010 den Einspruch der Kläger im Übrigen als unbegründet zurück.

6Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger geltend machen, dass der Ansatz des gesamten Spekulationsverlustes nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geboten sei. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verpflichte das Finanzamt für den Folgebescheid, die zutreffenden Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen; sie begründe eine „absolute Anpassungsverpflichtung“. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn im Rahmen der Umsetzung früherer Feststellungsbescheide materiell-rechtliche Fehler gemacht worden seien und zwar unabhängig davon, ob der materiell-rechtlich fehlerhafte Folgebescheid angefochten worden sei oder nicht. Maßstab für die Änderung des Folgebescheides sei in derartigen Konstellationen der vorausgegangene (nicht vollständig ausgewertete) Grundlagenbescheid, nicht aber der vorausgegangene (und wegen unvollständiger bzw. unzutreffender Auswertung des Grundlagenbescheides unrichtige) Folgebescheid. Da vorliegend die Spekulationsverluste auf Ebene der D Vermögensverwaltungs GbR angefallen und auch dort durch Feststellungsbescheid festgestellt worden seien, hätten die Kläger Anspruch auf rechtlich einwandfreie vollständige Auswertung des entsprechenden Feststellungsbescheides.

7Der ursprüngliche Feststellungsbescheid sei seinerzeit nicht vollständig ausgewertet worden. Es sei zumindest für die Kläger nicht erkennbar gewesen, dass just der Spekulationsverlust aus der D Verwaltungs GbR mit Absicht unberücksichtigt geblieben sei.

8Die Kläger beantragen,

9unter Abänderung des Bescheids für 1992 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 01.03.2001, geändert durch Bescheid vom 02.07.2010, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2010 die Einkommensteuer für 1992 unter Berücksichtigung von Spekulationsverlusten in Höhe von insgesamt 588.378 DM festzusetzen,

10hilfsweise die Revision zuzulassen.

11Der Beklagte beantragt,

12die Klage abzuweisen,

13hilfsweise die Revision zuzulassen.

14Er vertritt auch unter Bezugnahme auf seine Schreiben im Einspruchsverfahren die Ansicht, dass die Frage, ob ein festgestellter Spekulationsverlust ausgleichs- bzw. verrechnungsfähig sei, zum Regelungsinhalt des Einkommensteuerbescheides und nicht des Grundlagenbescheides gehöre und damit nicht der Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 AO und der Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO unterliege. Die geänderte Rechtsauffassung zur Ausgleichsfähigkeit von Verlusten aus Einkünften nach § 23 EStG nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts könne sich daher nur im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung niederschlagen. Da im Rahmen der ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung der damals festgesetzte Spekulationsverlust aus der D Vermögensverwaltungs GbR erkennbar wegen der damals gültigen Regelung in § 23 Abs. 4 EStG unberücksichtigt geblieben sei, sei der ursprüngliche Feststellungsbescheid seinerzeit vollständig ausgewertet worden. Eine Anpassungsverpflichtung an den geänderten Feststellungsbescheid nach § 175 AO bestehe daher nur insoweit, als ein höherer Verlust festgestellt worden sei. Im Übrigen scheitere ein höherer Ansatz an der Bestandskraft des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides sowie an der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO.

15Entscheidungsgründe

16Die Klage ist unbegründet.

17Der Beklagte hat zu Recht die Berücksichtigung eines den Betrag von 4.413 DM übersteigenden Spekulationsverlustes abgelehnt. Die insoweit allein in Frage kommende Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vermag das Änderungsbegehren der Kläger nicht zu tragen.

18Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, aufgehoben oder geändert wird. Diese Bindungswirkung (vgl. § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1 AO) verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Sie beschränkt sich mithin nicht auf die bloße mechanische Übernahme von Zahlen, sondern fordert, dass der Folgebescheid zutreffend und vollständig an den Regelungsinhalt angepasst wird.

19Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird und das Finanzamt aus dem Änderungsbescheid die gebotenen Konsequenzen zieht (BFH-Urteile vom 14.04.1988 IV R 219/85, BStBl II 1988, 711; vom 29.06.2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.).

20Die Aufgabe, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt allerdings keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung; sie reicht nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids verlangt. Der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Grundlagenbescheids darf deshalb nicht zum Anlass genommen werden, für den Folgebescheid bedeutsame Besteuerungsgrundlagen zu ändern, wegzulassen oder erstmals aufzunehmen, die weder Gegenstand des Grundlagenbescheids sind noch durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst werden (BFH-Beschluss vom 24.09.2008 I B 28/08, BFH/NV 2009, 117).

21Nach diesen Grundsätzen kommt eine Berücksichtigung des gesamten Spekulationsverlustes in Höhe von 588.378 DM nicht in Betracht. Denn der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 08.12.1994, der einen Verlust in Höhe von 583.967 DM festgestellt hatte, wurde vom Beklagten im Rahmen des Einkommensteuerbescheides vom 20.03.1995 im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vollständig und zutreffend ausgewertet. Denn in diesem Bescheid wurde der festgestellte und auch von den Klägern in ihrer Einkommensteuererklärung ausdrücklich erklärte Spekulationsverlust aus der D Vermögensverwaltungs GbR in Höhe von 583.967 DM in der Kennziffer 63 der Anlage KSO tatsächlich erfasst.

22Dass sich dieser Verlust – für die Kläger, wie der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, erkennbar – wegen der damals geltenden Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht auswirkte, steht dem nicht entgegen. Denn die Frage, ob und in welchem Umfang der festgestellte Spekulationsverlust im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung verrechnet werden kann, war weder Gegenstand noch Regelungsinhalt des Feststellungsbescheides.

23Dementsprechend hat der Erlass des geänderten Feststellungsbescheides nur Bedeutung hinsichtlich der Verlusterhöhung. Der geänderte Bescheid kann nicht dazu führen, die unterbliebene Verrechnung des ursprünglich festgestellten Verlustes, die sich angesichts der mittlerweile ergangenen BFH-Rechtsprechung als materiell-rechtlich fehlerhaft erwiesen hat, nachträglich zu korrigieren. Denn die Frage der Verrechnungsmöglichkeit ist, wie dargelegt, von der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids nicht umfasst.

24Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

25Die Revision wird zugelassen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Zur Bindungswirkung der Feststellungen des Lagefinanzamts

Zur Bindungswirkung der Feststellungen des Lagefinanzamts

Kernaussage

Feststellungsbescheide sind für Steuerbescheide nur insoweit bindend, als die dort getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind (§ 182 Abs. 1 AO). Das Finanzgericht Schleswig-Holstein entschied nun, dass die Feststellungen des Lagefinanzamts betreffend die Zugehörigkeit eines Grundstücks zum Betriebsvermögen eines Gewerbebetriebes das Erbschaftsteuerfinanzamt nicht binden.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte einen Anteil an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) geschenkt bekommen. Die GbR ist Eigentümerin eines Grundstücks, das sie an einen Gewerbebetrieb, Kfz-Handel mit Reparaturwerkstatt und Tankstelle, verpachtet. In der entsprechenden Schenkungsteuererklärung der Klägerin war angegeben, dass es sich um ein Betriebsgrundstück handelte. Auf Anfrage des beklagten Finanzamts erließ das Lagefinanzamt für das Grundstück einen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Schenkungsteuer und setzte den Grundbesitzwert auf rd. 2,4 Mio. DM fest. Laut Bescheid gehörte das Grundstück „beim bisherigen Rechtsträger als Betriebsgrundstück zum Gewerbebetrieb Grundstücksgemeinschaft GbR“. Streitig war nun, ob mit der Anteilsschenkung auch Betriebsvermögen auf die Klägerin übergegangen war und ob dieses Betriebsvermögen nach den Bestimmungen des Erbschaftsteuergesetzes begünstigt war (§ 13a ErbStG). Bei der Berechnung der Schenkungsteuer ging das beklagte Finanzamt nämlich davon aus, dass es sich bei dem Grundstück nicht um Betriebsvermögen handelte und wandte die Steuervergünstigung nicht an. Es meinte, für die Qualifizierung als Betriebsgrundstück müsse sich das Grundstück auch in der Hand des Erwerbers als solches darstellen.

Entscheidung

Das Finanzgericht wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die streitgegenständlichen Steuervergünstigungen stehen der Klägerin nicht zu; es lag kein Übergang von Betriebsvermögen vor, weil die GbR nur grundstücksverwaltend tätig war und mangels vorherigen eigenen Betriebs der Werkstatt auch keinen ruhenden Gewerbebetrieb inne hatte. Die anderslautenden Feststellungen des Lagefinanzamts im Bedarfswertfeststellungsbescheid binden das für die Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht, obwohl im Feststellungsbescheid regelmäßig auch Feststellungen über die Art der wirtschaftlichen Einheit, bei Betriebsgrundstücken, die die zu einem Gewerbebetrieb gehören, auch über den Gewerbebetrieb, zu treffen sind.

Konsequenz

Die Bedarfswertfeststellungen der Lagefinanzämter entfalten nur in Bezug auf die Grundbesitzwerte für die Erbschaft- und Schenkungsteuer als Grundlagenbescheide Bindungswirkung.