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Sachverhalt
2Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Die Klägerin bezog im Streitjahr 2009 von ihrer Krankenkasse, der …/in A, € 9.649,- Krankengeld. Ein Restbetrag von € 466,- für 2009 wurde der Klägerin im Laufe des Jahres 2010 ausgezahlt.
3Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 der Kläger mit Bescheid vom 30.08.2010 auf € 2.979,- fest. Bei der Veranlagung unterwarf er erklärungsgemäß Krankengeld in Höhe von € 10.115,- dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage.
4Mit der Klage machen sie – wie bereits im Einspruchsverfahren – geltend, die Regelung des § 32 b EStG sei verfassungswidrig, soweit von ihr das Krankengeld unter Progressionsvorbehalt gestellt werde. Sie verstoße gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. § 32 b EStG stelle nämlich lediglich das von einer gesetzlichen Krankenversicherung bezogene Krankengeld unter Progressionsvorbehalt, während das von einer privaten Krankenversicherung bezogene Krankentagegeld nicht erfasst werde. Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung sei willkürlich. Denn in beiden Fällen handele es sich um eine nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfreie Leistung. Und in beiden Fällen habe der Arbeitnehmer die Beiträge für diese Versicherung allein aufgebracht, denn der vom gesetzlich pflichtversicherten Arbeitnehmer allein aufzubringende Beitragsanteil von 0,9 % entspreche genau der Differenz zwischen dem allgemeinen Beitragssatz mit Krankengeldversicherung und dem verminderten Beitragssatz ohne Krankengeldversicherung. Wenn überhaupt sei die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Krankengeld aus gesetzlichen und privaten Kassen früher gerechtfertigt gewesen, als nämlich der gesamte Krankenversicherungsbeitrag eines pflichtversicherten Arbeitnehmers hälftig vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen worden sei. Die diesbezüglichen Regelungen seien aber ab dem 01.01.2009 dahingehend geändert worden, dass der Beitragsanteil für das Krankengeld allein vom Arbeitnehmer zu tragen sei.
5Aber selbst in der Vergangenheit dürfte die unterschiedliche Behandlung entgegen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26.11.2008 (X R 59/06, BFH/NV 2009, 739) schon nicht gerechtfertigt gewesen sein. Denn schon damals habe Arbeitnehmern, die nicht krankenversicherungspflichtig seien, ein Zuschuss bis zur Hälfte des Gesamtbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung (einschließlich Krankengeld) zu den Prämien, die sie für eine gleichartige private Krankenversicherung aufzuwenden hätten, zugestanden. Demgemäß bezuschusse der Arbeitgeber in zahlreichen Fällen auch den Anteil für die private Krankentagegeldversicherung hälftig. Vor diesem Hintergrund sei es nicht hinnehmbar, dass das Krankengeld, das pflichtversicherte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien, bezögen, dem Progressionsvorbehalt unterfalle, hingegen aber das – aufgrund vom Arbeitgeber genauso bezuschusster Prämienzahlungen – von einem privat versicherten Arbeitnehmer bezogene Krankentagegeld dem Progressionsvorbehalt nicht unterfalle.
6Letztlich verstoße die Regelung des § 32 b EStG auch gegen das Sozialstaatsprinzip, denn Krankengeld bezögen im Regelfall diejenigen Arbeitnehmer, deren Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze liege, während höher verdienende Arbeitnehmer die Möglichkeit hätten, dem Progressionsvorbehalt durch Abschluss einer privaten Krankenversicherung auszuweichen, von den zu erwartenden höheren Leistungen für privatärztliche Versorgung ganz zu schweigen. Das Sozialstaatsprinzip gebiete es aber, die Steuerlast für einkommensschwache Personen im Grundsatz niedriger als für einkommensstärkere Personen zu gestalten.
7Hilfsweise begehren die Kläger den Ansatz des Krankengelds in tatsächlich gezahlter Höhe von € 9.649,- anstelle des derzeit berücksichtigen Betrags von € 10.115,-.
8Die Kläger beantragen,
9den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 30.08.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2010 dahingehend zu ändern, dass das Krankengeld nicht dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird,
10hilfsweise Krankengeld in Höhe von € 9.649,- dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.
11Der Beklagte beantragt,
12lediglich Krankengeld in Höhe von € 9.649,- dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen und im Übrigen die Klage abzuweisen.
13Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, das im Streitjahr zugeflossene Krankengeld unterfalle dem Progressionsvorbehalt.
14Entscheidungsgründe
15Die Klage ist teilweise begründet.
16Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz FGO. Der Beklagte hat zwar dem Grunde nach zutreffend das Krankengeld dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG unterworfen. Der angesetzte Betrag ist jedoch zu hoch bemessen.
17Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in dem Veranlagungszeitraum Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Übergangsgeld oder vergleichbare Lohnersatzleistungen nach dem Fünften, Sechsten oder Siebten Buch Sozialgesetzbuch, der Reichsversicherungsordnung, dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte oder dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte bezogen, ist gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG auf das nach § 32 a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin bezog im Streitjahr von der …/in A Krankengeld nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, nämlich gemäß § 44 Abs. 1 SGB V.
18§ 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG verletzt die Kläger auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 GG. Wie der Bundesfinanzhof bereits mehrfach entschieden hat (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739, BFH-Beschluss vom 09.09.1996 VI B 86/96, BFH/NV 1997), begegnet die Einbeziehung des Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verstößt die Einbeziehung des Krankengeldes lediglich gesetzlicher Krankenkassen und nicht privater Krankenkassen nicht gegen Art. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Einbeziehung des von einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbständig Erwerbstätigen bezogenen Krankengeldes in § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG als auch für die gleichzeitige Nichteinbeziehung des Krankengel-des aus einer privaten Krankenversicherung in den Progressionsvorbehalt (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739). Die Einbeziehung des von einem freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbständigen Erwerbstätigen wird mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechtfertigt. Die Nichteinbeziehung des Krankengeldes aus einer privaten Krankenversicherung ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofes nicht willkürlich, sondern gerechtfertigt, da sich die gesetzliche Krankenversicherung von der privaten Krankenversicherung maßgeblich unterscheide: Die gesetzliche Krankenversicherung sei wesentlich durch das Solidarprinzip geprägt. Die Kassen nähmen als Träger öffentlicher Verwaltung die Aufgaben der Sozialversicherung i.S. des Art. 74 Nr. 12 GG wahr und seien öffentlich-rechtliche Körperschaften. Der Anspruch auf Krankengeld ergebe sich als Sozialleistung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog des § 11 SGB V. Er sei Teil des Sozialversicherungsverhältnisses und damit eines öffentlich rechtlichen Schuldverhältnisses. Dagegen folge die private Krankenversicherung dem Äquivalenzprinzip. Die Bemessung der Beiträge bestimme sich nach dem versicherten Risiko. Der Anspruch auf Krankengeld des Versicherungsnehmers einer privaten Versicherung beruhe auf dem Versicherungsvertrag. Die gesetzliche Krankenversicherung sei zwar im Grundsatz dem Privatversicherungsverhältnis nachgebildet sei, jedoch durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs modifiziert worden. Diese entsprechend den Geboten des Sozialstaats vorgenommene Ergänzung des Versicherungsprinzips sei die Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Krankengelder. Darüber hinaus rechtfertige auch der Aspekt der Administrierbarkeit die unterschiedliche Behandlung (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739). Diesen Erwägungen des Bundesfinanzhofs schließt sich der erkennende Senat an und sieht deshalb in der genannten Regelung keinen Verstoß gegen Art. 3 GG.
19Entgegen der Ansicht der Kläger ist auch nicht deshalb eine andere Beurteilung geboten, weil sich die Rechtslage seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs geändert habe und die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten den Beitrag für das Krankengeld nunmehr allein, d.h. ohne hälftige Beteiligung des Arbeitgebers, aufzubringen haben. Zum einen hat der Bundesfinanzhof der Frage, wer den Beitrag für die Krankenversicherung zu entrichten hat, keine Bedeutung beigemessen. Das Urteil vom 26.11.2008 (X R 59/06, BFH/NV 2009, 739) betraf einen selbständigen Unternehmer, der in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert war. Der Bundesfinanzhof hielt die unterschiedliche Behandlung von Krankengeld aus gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen für gerechtfertigt, obwohl ein freiwillig in der gesetzlichen Versicherung versicherter selbständiger Unternehmer naturgemäß seine Beiträge in vollem Umfang selbst finanziert.
20Zum anderen stimmt die Behauptung der Kläger nicht, die Klägerin finanziere den Beitrag für das Krankengeld allein. Es ist zwar richtig, dass bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Arbeitgeber gemäß § 249 Abs. 1 SGB V lediglich die Hälfte der Beiträge des Mitglieds aus dem Arbeitsentgelt nach dem um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen oder ermäßigten Beitragssatz trägt, d.h. das Mitglied trägt einen Beitrag von 0,9 % selbst. Dieser selbst zu tragende Anteil von 0,9 Beitragssatzpunkten steht jedoch entgegen der Behauptung der Kläger in keinem Zusammenhang mit dem Beitrag für das Krankengeld. Er geht zurück auf einen Sonderbeitrag von 0,9 % der beitragspflichtigen Einnahmen, den die Mitglieder allein zu finanzieren hatten. Dieser Sonderbeitrag wurde zum 01.07.2005 durch das Gesetz zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004 in Form eines zusätzlichen Beitragssatzes gemäß § 241 a SGB V eingeführt. Hintergrund der Regelung war die Absicht, die Mitglieder stärker an den Leistungen für Zahnersatz zu beteiligen. Weiterhin sollten Unternehmen bei den Lohnnebenkosten entlastet und so das Wachstum der Wirtschaft und eines Unternehmens gefördert werden. Da seit dem 01.01.2009 dieser zusätzliche Beitragssatz Teil des einheitlichen Beitragssatzes geworden ist, wurde § 249 Abs. 1 SGB V geändert und der bisherige Grundsatz der hälftigen Teilung der Beiträge aufgehoben. Die Neuformulierung trägt der Tatsache Rechnung, dass der bislang vom Mitglied allein zu tragende zusätzliche Beitragssatz von 0,9 % im allgemeinen bzw. ermäßigten Beitragssatz aufgegangen ist. Die Verteilung der Beitragslast sollte nach dem Willen des Gesetzgebers im gleichen Verhältnis wie zuvor bestehen bleiben. Einen Bezug zum Krankengeld hat dieser zusätzliche Beitrag bzw. selbst zu tragende Beitragsanteil von 0,9 Punkten nicht.
21Er entspricht – entgegen der Behauptung der Kläger – auch nicht der Differenz zwischen dem das Krankengeld umfassenden allgemeinen Beitragssatz nach § 241 SGB V zu dem ermäßigten, keinen Krankengeldanspruch umfassenden, Beitragssatz nach § 243 SGB V. Die Differenz zwischen den Beitragssätzen beträgt vielmehr lediglich 0,6 %. Der allgemeine Beitragssatz betrug im ersten Halbjahr des Streitjahres 15,5 % und im zweiten Halbjahr 14,9 %, wohingegen der ermäßigte 14,9 % bzw. 14,3 % betrug.
22Schließlich steht die Regelung des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG auch nicht im Widerspruch zum sich aus Art. 20 GG ergebenden Sozialstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03.05.1995 (1 BvR 1176/88, BStBl II 1995, 758) entschieden, dass der Gesetzgeber von der Verfassung – insbesondere aufgrund des Sozialstaatsprinzips – nicht gehindert sei, Arbeitslosenbezüge oder sonstige Einkommenssurrogate im Rahmen der Besteuerung zu berücksichtigen, sofern die Grundsätze der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beachtet werden. Dies ist aufgrund der Steuerfreiheit des Krankengeldes gemäß § 3 Nr. 1 a EStG und seiner ausschließlichen Bedeutung für die Berechnung des Steuersatzes gewährleistet. Denn Steuerpflichtige, die neben eigenen Einkünften Lohnersatzleistungen bezogen haben, sind wirtschaftlich leistungsfähiger als Steuerpflichtige, die gleich hohe Einkünfte ohne Lohnersatzleistungen erhalten haben. Die Regelung ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil vom Progressionsvorbehalt lediglich das Krankengeld der Geringverdiener, nicht aber das Krankengeld besserverdienender privat krankenversicherter Arbeitnehmer erfasst wird. Die Kläger übersehen bei ihrer Argumentation, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur Geringverdiener versichert sind, sondern auch freiwillig Versicherte, deren Gehalt die Bemessungsgrenze übersteigt. In der privaten Krankenversicherung dagegen sind auch nicht nur Besserverdiener versichert, sondern gerade auch eine Vielzahl von Selbständigen mit relativ geringen Einkünften.
23Da die Klägerin im Streitjahr lediglich € 9.649,- anstelle des derzeit berücksichtigen Betrags von € 10.115,- Krankengeld erhalten hat, ist gemäß § 11 Abs. 1 EStG nur dieser Betrag in die Einkommensteuerfestsetzung in der vom Beklagten vorgenommenen Art und Weise einzubeziehen. Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 137 FGO. Soweit die Kläger obsiegt haben, tragen sie Kosten des Verfahrens, da sie den Nachweis über den Zeitpunkt der Auszahlung des Krankengeldes früher hätten vorlegen können und müssen.