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Rücknahme des Antrags auf ermäßigte Besteuerung eines Veräußerungsgewinns

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 3624/11 E

Datum:
19.11.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 3624/11 E
Tenor:

Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 23.03.2009 und der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2011 wird der Beklagte verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 16.02.2009 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 2002 ohne Anwendung der Tarifbegünstigung gem. § 34 Abs. 3 EStG festgesetzt wird.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

1Tatbestand:

2Streitig ist, ob die Kläger einen Antrag auf ermäßigte Besteuerung eines Veräußerungsgewinns nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zurücknehmen konnten.

3Die Klägerin und ihr am „…“.2008 verstorbener Ehemann, der Vater des Klägers, erklärten im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung 2002 laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Ehemanns der Klägerin aus einer Beteiligung an der „T-KG“ von

4-835.697 € und einen Veräußerungsgewinn, für den der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG beantragt wurde, von 1.134.763 €. Der Beklagte führte die Veranlagung mit Einkommensteuerbescheid 2002 vom 16.3.2005 erklärungsgemäß durch und setzte die Einkommensteuer auf 90.029 € fest.

5Aufgrund einer Mitteilung für 2002 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 5.1.2009 erließ der Beklagte am 16.2.2009 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2002, mit dem er laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb von -871.604 € und weiterhin einen Veräußerungsgewinn von 1.134.763 €, der nach § 34 Abs. 3 EStG versteuert wurde, ansetzte und die Einkommensteuer auf 81.323 € festsetzte.

6Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 13.3.2009 Einspruch ein und beantragten, hinsichtlich der außerordentlichen Einkünfte die Einkommensteuer 2002 nicht nach dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG zu bemessen.

7Mit Schreiben vom 23.3.2009, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, führte der Beklagte aus, dass er das Begehren auf verbösernde Festsetzung der Einkommensteuer 2002 mit der Folge eines im Saldo höheren Vorteils wegen Berücksichtigung in einem Folgejahr nach pflichtgemäßem Ermessen ablehne.

8Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 27.5.2009 Einspruch ein und machten geltend, dass der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung jederzeit widerrufen werden könne.

9Der Beklagte wies den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 mit Einspruchsentscheidung vom 15.9.2011 als unbegründet zurück.

10Den Einspruch gegen die Ablehnung vom 23.3.2009 verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung ebenfalls vom 15.9.2011 als unzulässig. Er führte aus, dass es sich bei dem Schreiben vom 23.3.2009 nicht um einen Verwaltungsakt handele.

11Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 17.10.2011 Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 16.2.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.9.2011 erhoben.

12Sie machen geltend, dass es sich bei dem Schreiben des Beklagten vom 23.3.2009 um einen Verwaltungsakt handele. In der Sache seien die Kläger zu einer Änderung ihrer Wahlrechtsausübung nach § 34 Abs. 3 EStG berechtigt gewesen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Kläger wird auf Schriftsätze vom 28.11.2011 und 11.11.2013 Bezug genommen.

13Die Kläger beantragen sinngemäß,

14unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 23.3.2009 und der Einspruchsentscheidung vom 15.9.2011 den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2002 mit der Maßgabe zu ändern, dass der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG keine Anwendung findet.

15Der Beklagte beantragt,

16              die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

17Er macht geltend, sein Schreiben vom 23.3.2009 habe keine Verwaltungsaktqualität. Es handele sich nicht um eine endgültige Entscheidung in Form der Ablehnung des gestellten Antrags, sondern sei so zu verstehen, dass der Beklagte nicht bereit gewesen sei, dem Änderungsbegehren zuzustimmen und dem Einspruch abzuhelfen. Einer Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 stehe § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) entgegen. Insbesondere sei die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zum Wahlrecht zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung nicht auf das Wahlrecht gem. § 34 Abs. 3 EStG übertragbar, weil die Kläger nicht die vollständig neue Veranlagung mit der Aufhebung des ursprünglichen Steuerbescheids, sondern die Änderung des bisherigen Bescheids begehrten. Aus der in der Gesetzesbegründung enthaltenen Formulierung „soweit es nach den Vorschriften der AO zulässig ist“ ergebe sich, dass der Gesetzgeber im Falle des § 34 Abs. 3 EStG nicht von der Anwendung des § 351 Abs. 1 AO habe absehen wollen. Eine Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG sei nur möglich, wenn die Steuerermäßigung aufgrund der Änderung des Bescheids vollkommen ins Leere liefe, da dies zu einer nicht vertretbaren Härte für den Steuerpflichtigen führen würde, oder wenn die eingetretene Änderung entscheidungserheblich für die Antragstellung gewesen sei. Der Einkommensteuerbescheid 2002 könne zudem nicht gem. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden, weil kein rückwirkendes Ereignis vorliege.

18Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 7.11.2013 und 11.11.2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

19Entscheidungsgründe:

201. Angesichts des Einverständnisses der Beteiligten hält der Senat es für sachgerecht, gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

212. Das Gericht legt die Klage dahingehend aus, dass die Kläger sich gegen den Ablehnungsbescheid vom 23.3.2009 und die zugehörige Einspruchsentscheidung vom 15.9.2011 wenden. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der Kläger im Klageschriftsatz vom 17.10.2011, dass ihrem Antrag auf Nichtberücksichtigung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG nicht entsprochen worden sei.

223. Die Klage ist zulässig.

23a) Bei der Klage handelt es sich um eine Verpflichtungsklage i. S. des § 40 Abs. 1 2. Alternative FGO, d. h. eine Klage, die auf Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts gerichtet ist. Der im „Einspruch“ vom 13.3.2009 enthaltene Antrag der Kläger auf Festsetzung der Einkommensteuer 2002 ohne Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG ist der Sache nach ein (Verpflichtungs)Antrag auf Erlass eines geänderten Einkommensteuerbescheids 2002.

24b) Im Streitfall ist auch ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt worden.

25Gem. § 44 Abs. 1 FGO ist eine Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.

26Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat den Antrag vom 13.3.2009 mit Schreiben vom 23.3.2009 abgelehnt. Den wegen der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung fristgerecht mit Schreiben vom 27.05.2009 dagegen eingelegten Einspruch hat der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.09.2011 als unzulässig verworfen.

27Das Schreiben des Beklagten vom 23.3.2009 ist – entgegen der Ansicht des Beklagten – als ablehnender Bescheid auszulegen.

28Bei der Auslegung einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung kommt es nicht darauf an, was die Finanzbehörde damit gewollt hat. Vielmehr ist ausschlaggebend, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Maßgebend ist die Sicht eines objektiven Betrachters. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde. Dies gilt auch für die Frage, ob einer Erklärung Regelungscharakter zukommt (BFH-Urteil vom 24.6.2008 IX R 64/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2008, 1676, unter II.1.a aa; BFH-Urteil vom 19.5.2004 III R 18/02, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2004, 980, unter II.2.b).

29Danach handelt es sich bei dem Schreiben des Beklagten vom 23.3.2009 um einen Verwaltungsakt. Die Ausführungen des Beklagten in diesem Schreiben „Das Begehren auf verbösernde Festsetzung der Einkommensteuer 2002 mit der Folge eines im Saldo höheren Vorteils wegen Abzuges in einem Folgejahr nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO lehne ich nach pflichtgemäßen Ermessen hiermit ab.“ konnte nach dem objektiven Empfängerhorizont nur als verbindliche Ablehnung des Antrags verstanden werden.

304. Die Klage ist auch begründet.

31Der Ablehnungsbescheid vom 23.3.2009 und die Einspruchsentscheidung vom 15.9.2011 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO). Der Beklagte war verpflichtet, dem Antrag auf Festsetzung der Einkommensteuer 2002 ohne Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG zu entsprechen.

32a) Die Kläger waren berechtigt, ihr Wahlrecht gem. § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG dahingehend auszuüben, dass die Einkommensteuer 2002 ohne Anwendung des ermäßigten Steuersatzes festgesetzt werden sollte.

33Gem. § 34 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 EStG in der im Jahr 2002 geltenden Fassung kann auf Antrag die auf Veräußerungsgewinne i. S. des § 16 EStG entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz bemessen werden, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Diese Ermäßigung kann der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen (§ 34 Abs. 3 Satz 4 EStG).

34§ 34 Abs. 3 Satz 1 EStG eröffnet ein Wahlrecht, dessen Ausübung nach dem klaren Gesetzeswortlaut zeitlich nicht befristet ist. Unbefristete Wahlrechte können grundsätzlich bis zur Bestandskraft der jeweiligen Steuerbescheide ausgeübt werden und sind erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheids verbraucht. Unanfechtbar ist eine Steuerfestsetzung, wenn sie nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren (§§ 347 f. AO) oder mit Rechtsbehelfen des Steuerprozesses (§§ 40 f., 115 f. FGO) angefochten werden kann (BFH-Urteil vom 30.08.2001 IV R 30/99, BStBl II 2002, 49, unter II.2.a). Deshalb kann der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG bis zur Rechts- oder Bestandskraft des Bescheids gestellt oder zurückgenommen werden (vgl. Graf in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 34 Rz. 42; Sieker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 C 26; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 34 EStG Rz. 83; Gänger in Bordewin/Brandt, EStG, § 34 Rz. 7; Wacker in Schmidt, EStG, 32. Aufl., § 34 Rz. 55).

35Danach konnten die Kläger ihren Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gem. § 34 Abs. 3 EStG mit dem „Einspruch“ vom 13.03.2009 zurücknehmen. Denn der nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheid 2002 vom 16.2.2009 ist erst mit Ablauf der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 AO – wieder – bestandskräftig geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte das Wahlrecht frei ausgeübt werden.

36b) Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Rücknahme des Antrags auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes die Vorschrift des § 351 Abs. 1 AO nicht entgegen.

37Gem. § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht.

38Bezüglich der Wahl der Veranlagungsart bei Ehegatten hat der BFH wiederholt entschieden, das Wahlrecht könne bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids in vollem Umfang – und nicht nur, soweit die Änderung reicht – ausgeübt werden. § 351 Abs. 1 AO begrenze schon nach seinem Wortlaut nur den Umfang der Anfechtung eines Steuerbescheids. Das Begehren auf Änderung der Veranlagungsart sei jedoch nicht als Anfechtung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung gerichtetes Verpflichtungsbegehren, das die Besteuerungsgrundlagen unberührt lasse und nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG auslöse (BFH-Urteil vom 25.6.1993 III R 32/91, BStBl II 1993, 824, unter 2.; BFH-Urteil vom 20.1.1999 XI R 31/96, BFH/NV 1999, 1333, unter II.B.2.a; BFH-Urteil vom 24.1.2002 III R 49/00, BStBl II 2002, 408, unter II.3.).

39Diese Grundsätze sind nach Ansicht des Senats auch auf das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden (ebenso Wacker in Schmidt, EStG, 32. Aufl., § 34 Rz. 55). Der Antrag und die Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG sind ebenfalls nicht als Anfechtung der Besteuerungsgrundlagen zu verstehen, sondern als ein auf Anwendung oder (im Fall der Rücknahme des Antrags) auf Nichtanwendung des ermäßigten Steuersatzes gerichtetes Verpflichtungsbegehren, das die Besteuerungsgrundlagen unberührt lässt. Das ergibt sich im Streitfall schon daraus, dass die Beteiligungseinkünfte des Ehemanns der Klägerin einheitlich und gesondert festgestellt werden, mit der Folge, dass eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen nur im Wege der Anfechtung des Grundlagenbescheids zu erreichen ist, wohingegen der Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bei der Festsetzung der persönlichen Einkommensteuer gestellt oder zurückgenommen werden muss. Die Ausübung und die Nichtausübung des Wahlrechts auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gehört in diesem Sinne nicht zu den nach Maßgabe des § 351 Abs. 1 AO materiell bestandskräftig gewordenen Besteuerungsgrundlagen (so auch zu § 34 Abs. 1 EStG a. F. Finanzgericht –FG– Schleswig-Holstein, Urteil vom 2.10.2003 5 K 394/02, Entscheidung der Finanzgerichte –EFG– 2004, 349, FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 18.2.2005 III 157/04, EFG 2005, 965, unter 2.b aa).

40Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass der Antrag ohne Unwiderruflichkeit im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens oder, soweit es nach den Vorschriften der AO zulässig sei, im Rahmen der Änderung von Steuerbescheiden zurückgenommen werden könne (BT-Drucks. 14/2683, 115 f.). Dass der Gesetzgeber damit auf die Regelung des § 351 Abs. 1 AO Bezug genommen hat, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung jedoch nicht. Die Gesetzesbegründung enthält auch keinen Hinweis darauf, dass eine Rücknahme des Antrags nur möglich sein soll, wenn es ansonsten zu nicht vertretbaren Härten für den Steuerpflichtigen käme oder die Änderung des Bescheids entscheidungserheblich für die Antragstellung wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch § 34 Abs. 3 i. V. m. 52 Abs. 47 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes 2001/2002 das erst durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 geschaffene Erfordernis der Unwiderruflichkeit des Antrags rückwirkend wieder aufgehoben, weil dieses zu nicht vertretbaren Härten für den Steuerpflichtigen geführt hatte (vgl. BT-Drucks. 14/2683, 115).

41c) Es kann dahinstehen, ob im Fall der Rücknahme des Antrags gem. § 34 Abs. 3 EStG die Regelung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entsprechend anwendbar ist (bejahend für die Ausübung des Wahlrechts gem. § 6c EStG: BFH-Urteil vom 30.8.2001 IV R 30/99, BStBl II 2002, 49, unter 3.). Denn die materielle Reichweite eines Wahlrechts hängt nicht vom Bestehen einer Änderungsnorm ab und die effektive Durchsetzung eines bestehenden Rechts entspricht dem aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes folgenden Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Anwendung und Auslegung der Verfahrensvorschriften (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 2.10.2003 5 K 394/02, EFG 2004, 349).

425. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

436. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

447. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Frage, ob § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG ein unbefristetes Wahlrecht eröffnet, das ohne Einschränkung durch § 351 AO auch noch nach Ergehen eines Änderungsbescheids ausgeübt werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Veräußerung eines Teilgesellschaftsanteils: Ermittlung des Buchwerts

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 2696/11 F

Datum:
22.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 2696/11 F
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

1Tatbestand:

2Die Beteiligten streiten über die Höhe eines bei der Veräußerung eines Bruchteils eines Mitunternehmeranteils entstandenen Gewinns.

3Der Kläger ist Gesellschafter der „A-GbR“ (Beigeladene), die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt. Gem. § 13 Abs. 6 Satz 1 des Gesellschaftsvertrags in der Fassung vom 01.01.1997 steht dem Kläger im Hinblick auf die Gesellschaftsanteile ausscheidender Gesellschafter ein Übernahmerecht zu.

4Der Kläger war zu Beginn des Streitjahres 2006 mit 50,5% an der Beigeladenen beteiligt. Er erwarb am 30.09.2006 von einem ausscheidenden Gesellschafter einen fünfprozentigen Gesellschaftsanteil für 331.093,40 € hinzu. Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs die Absicht der zeitnahen Weiterveräußerung. Die Kaufpreiszahlung wurde in der Einnahmen-Überschussrechnung der Beigeladenen als sofort abzugsfähiger Aufwand behandelt. Am 02.10.2006 veräußerte der Kläger die fünfprozentige Beteiligung zu gleichen Teilen an zwei neu in die Beigeladene eintretende Gesellschafter für insgesamt 421.607 €.

5Die Beigeladene erklärte aus diesem Vorgang im Rahmen der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2006 einen dem Kläger zuzuordnenden Veräußerungsgewinn gem. § 18 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 90.514,60 €.

6Der Beklagte stellte die Besteuerungsgrundlagen insoweit mit Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 18.03.2008 erklärungsgemäß fest.

7Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung „E-Stadt“ führte ab November 2009 bei der Beigeladenen eine Außenprüfung durch, in deren Rahmen der Prüfer Folgendes feststellte (Betriebsprüfungsbericht vom „…“.05.2010):

8Die von dem Kläger anlässlich früherer Erwerbe von Teilgesellschaftsanteilen gezahlten Kaufpreise seien zunächst auf die erworbenen Wirtschaftsgüter aufgeteilt und dann gesondert für jeden Erwerb durch eine entsprechende Abschreibung im Rahmen der Nutzungsdauer als Aufwand und Sonderbetriebsausgaben bei der Gewinnfeststellung der Beigeladenen berücksichtigt worden. Erstmals beim Erwerb des Teilgesellschaftsanteils zum 30.09.2006 sei dieser Erwerb und die damit zusammenhängenden Aufwendungen als sofort abzugsfähiger Aufwand behandelt worden.

9Der Betriebsprüfer vertrat die Auffassung, dass es sich bei der Beteiligung des Klägers an der Beigeladenen um einen einheitlichen Gesellschaftsanteil handele, der nach und nach zu unterschiedlichen Anschaffungskosten erworben worden sei. Werde der Bruchteil eines Mitunternehmeranteils veräußert, so sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 13.02.1997 (IV R 15/96, Bundessteuerblatt –BStBl– II 1997, 535) der Buchwert des veräußerten Teilgesellschaftsanteils im Wege der Durchschnittsbewertung zu ermitteln. Der Veräußerungsgewinn gem. § 18 Abs. 3 EStG betrage deshalb 419.270,00 €.

10Der Beklagte folgte den Feststellungen des Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung „E-Stadt“ und erließ am 16.07.2010 einen entsprechend geänderten Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.

11Der Kläger legte hiergegen fristgerecht Einspruch ein.

12Nach entsprechender Anhörung des Klägers erließ der Beklagte am 04.07.2011 einen geänderten Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, mit dem er den Gewinn aus der Veräußerung des Teilgesellschaftsanteils nicht mehr als Veräußerungsgewinn gem. § 18 Abs. 3 EStG, sondern als laufenden Gewinn behandelte.

13Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 12.07.2011 als unbegründet zurück.

14Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 03.08.2011 Klage erhoben.

15Er macht geltend, der zivilrechtliche Grundsatz der Einheitlichkeit von Personengesellschaftsanteilen sei bereits in Teilen eingeschränkt worden. Da vorliegend der Drittschutz nicht entgegenstehe, habe er den fünfprozentigen Anteil hinzuerworben, ohne dass – aufgrund seiner von vorneherein bestehenden und dokumentierten Weiterver- äußerungsabsicht – eine zivilrechtliche Vereinigung mit seinem bisherigen Gesellschaftsanteil eingetreten sei. Selbst wenn der hinzuerworbene Gesellschaftsanteil zivilrechtlich mit dem ursprünglichen Anteil verschmolzen sei, seien die Anteile aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise steuerlich getrennt zu behandeln. Der ursprüngliche Anteil habe zum Anlagevermögen gehört. Der am 30.09.2006 hinzuerworbene Anteil sei jedoch als Umlaufvermögen auszuweisen. Es gebe eine Anzahl von Fällen, bei denen aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die steuerliche Beurteilung von Gesellschaftsanteilen von der zivilrechtlichen Rechtssituation abweiche.

16Der Kläger beantragt,

17den Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 04.07.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.07.2011 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus der Veräußerung des fünfprozentigen Gesellschaftsanteils an der Beigeladenen vom 30.09.2006 in Höhe von 90.514,60 € als laufender Gewinn festgestellt und dem Kläger zugerechnet wird, hilfsweise, im Unterliegensfalle, die Revision zuzulassen.

18Der Beklagte beantragt,

19              die Klage abzuweisen.

20Er führt aus, vorliegend finde der zivilrechtliche Grundsatz der „Einheitlichkeit der Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft“ Anwendung. Deshalb seien die Anschaffungskosten des Gesellschaftsanteils des Klägers nach dem Durchschnittswert zu ermitteln.

21Entscheidungsgründe:

22Die Klage ist unbegründet.

23Der Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 04.07.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.07.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

241. Der Beklagte hat bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung des Teils des Gesellschaftsanteils des Klägers an der Beigeladenen zutreffend den im Wege der Durchschnittsbewertung ermittelten Bruchteil des Buchwertes des gesamten Gesellschaftsanteils dem Veräußerungserlös gegenübergestellt.

25a) Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehört auch der Gewinn, der bei der Veräußerung eines Teils eines Gesellschaftsanteils an einer freiberuflichen Sozietät erzielt wird. Wird der gesamte Anteil eines Mitunternehmers veräußert, ist der Veräußerungsgewinn gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. 18 Abs. 3 Satz 2 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Dabei ist der Buchwert des gesamten Mitunternehmeranteils in der Steuerbilanz der Gesellschaft (Kapitalkonto) sowie in den Ergänzungsbilanzen maßgeblich. Veräußert ein Mitunternehmer nur einen Teil seines Mitunternehmeranteils, so ist dessen Wert mit dem entsprechenden Bruchteil des Buchwerts des gesamten Mitunternehmeranteils anzusetzen (sog. Durchschnittsbewertung, BFH-Urteil vom 13.2.1997 IV R 15/96, BStBl II 1997, 535 unter 1.).

26Diese rechtliche Wertung ergibt sich daraus, dass nach dem Zivilrecht ein Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich nur einen Anteil (Mitgliedschaftsrecht) haben kann. Die Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft ist daher notwendig „einheitlich“ (Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 11.4.1957 II ZR 182/55, Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen –BGHZ– 24, 106 unter 1., BGH-Urteil vom 20.4.1972 II ZR 143/69, BGHZ 58, 316 unter II.1.; BGH-Urteil vom 1.6.1987 II ZR 259/86, BGHZ 101, 123 unter 2.b, Hessisches Finanzgericht –FG–, Urteil vom 24.03.2010 13 K 2850/07, Entscheidung der FG –EFG– 2011, 622). Erwirbt ein Gesellschafter einer Personengesellschaft einen weiteren Anteil hinzu, so behält dieser neu hinzu erworbene Anteil grundsätzlich nicht seine rechtliche Selbständigkeit (BGH-Urteil vom 10.6.1963 II ZR 88/61, Betriebsberater 1963, 1076 unter I.1.a; Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 124 Rn. 16).

27Zum Teil wird jedoch – worauf der Kläger hinweist – eine Ausnahme von der Einheitlichkeit des Gesellschaftsanteils angenommen, wenn die Anteile mit unterschiedlichen Sonderrechten ausgestattet sind oder Beschränkungen unterliegen, wie z. B. Testamentsvollstreckung, Treuhandschaft, Nießbrauch, Pfandrechte, Vor- und Nacherbschaft (vgl. BGH-Urteil vom 10.1.1996 IV ZB 21/94, Der Betrieb –DB– 1996, 468 unter II.2.b für den Fall der Testamentsvollstreckung; FG Baden-Württemberg Urteil vom 5.6.2002 2 K 367/99, EFG 2002, 1309; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. Aufl., § 45 I 2.b S. 1312 f.; Schulze zur Wiesche, DB 1998, 2552 ff.; ders. in: Festschrift für Reiß, 413 (417); Priester, DB 1998, 55 ff.; offen gelassen Hessisches FG, Urteil vom 24.3.2010 13 K 2850/07, EFG 2011, 622).

28b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besaß der Kläger nach dem Hinzuerwerb des fünfprozentigen Gesellschaftsanteils am 30.09.2006 einen zivilrechtlich einheitlichen Gesellschaftsanteil von 55,5%. Ob die oben erwähnten Fälle als Ausnahmen von der Einheitlichkeit des Gesellschaftsanteils zuzulassen sind, muss vorliegend nicht entschieden werden. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nämlich nicht vor. Der hinzuerworbene Anteil unterliegt weder erbrechtlichen Belastungen noch sachenrechtlichen Bindungen. Auch ein schuldrechtliches Treuhandverhältnis ist nicht gegeben.

29c) Daraus, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs am 30.09.2006 die Absicht der zeitnahen Weiterveräußerung des hinzuerworbenen Anteils hatte, ergibt sich nicht, dass der ursprüngliche Gesellschaftsanteil von 50,5% und der hinzuerworbene Anteil von 5,0% bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise steuerlich als zwei separate Mitunternehmeranteile zu behandeln sind.

30Der ursprüngliche Gesellschaftsanteil des Klägers von 50,5% und der hinzuerworbene Anteil von 5,0% sind mit gleichen Rechten ausgestattet. Im Gegensatz zu den oben genannten möglichen erbrechtlichen (Testamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbschaft) und sachenrechtlichen (Nießbrauch, Pfandrechte) Ausnahmefällen, bei denen der bisher gehaltene Anteil und der hinzuerworbene Anteil mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet sind, wirkt sich der beabsichtigte Durchgangserwerb nicht beschränkend auf den Umfang der Rechte an dem Anteil aus. Der beabsichtigte Durchgangserwerb ist wirtschaftlich auch nicht mit dem oben genannten möglichen Ausnahmefall des Treuhandverhältnisses vergleichbar. Bei einem Treuhandverhältnis ist der Treunehmer durch einen Treuhandvertrag gebunden, die Sache im Sinne des Treugebers zu verwalten und nur zulässige Verfügungen vorzunehmen. Demgegenüber konnte der Kläger nach dem Erwerb des fünfprozentigen Gesellschaftsanteils eigenmächtig über diesen verfügen. Insbesondere hätte der Kläger die Absicht der zeitnahen Weiterveräußerung aufgeben können. Vorliegend kann dahinstehen, ob ein die Anteilsvereinigung verhinderndes Sondermerkmal vorliegt, wenn der Durchgangserwerber sich im Zeitpunkt des Anteilserwerbs bereits schuldrechtlich zur Weiterveräußerung des Anteils verpflichtet hat (vgl. dazu Wüllenkemper, EFG 2011, 624). Im Streitfall bestand im Zeitpunkt des Anteilserwerbs am 30.09.2006 keine schuldrechtliche Verpflichtung des Klägers zur Weitergabe des Anteils. Der Kläger hat den fünfprozentigen Gesellschaftsanteil erst am 02.10.2006 aufgrund neuer Verpflichtungen und selbständiger Verträge weiterveräußert.

31d) Die hinzuerworbenen Gesellschaftsanteile sind – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht als Umlaufvermögen auszuweisen.

32Nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, ist der entgeltliche Erwerb eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft einkommensteuerrechtlich nicht als Erwerb eines Gesellschaftsanteils als besonderes Wirtschaftsgut, vergleichbar der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, zu werten, sondern als entgeltliche Anschaffung von Anteilen an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern (BFH-Beschluss vom 25.2.1991 GrS 7/89, BStBl II 1991, 691, unter C.III.3. b cc; BFH-Urteil vom 6.7.1995 IV R 30/93, BStBl II 1995, 831, unter 1.). Bei bilanzierenden Personengesellschaften sind die Aufwendungen des Erwerbers, die den Betrag des übergehenden Kapitalkontos in der Steuerbilanz der Personengesellschaft übersteigen, in einer Ergänzungsbilanz zu aktivieren, soweit sie als Anschaffungskosten für die Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens anzusehen sind (BFH-Urteil vom 18.02.1993 IV R 40/92, BStBl II 1994, 224, unter 2.). Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sind die Anschaffungskosten eines Gesellschafters für den Erwerb seiner mitunternehmerischen Beteiligung in einer steuerlichen Ergänzungsrechnung nach Maßgabe der Grundsätze über die Aufstellung von Ergänzungsbilanzen zu erfassen, soweit sie in der Einnahmen-Überschussrechnung der Gesamthand nicht berücksichtigt werden können (BFH-Urteil vom 24.6.2009 VIII R 13/07, BStBl II 2009, 993, unter II.2.a).

33Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Frage, ob der Kläger den hinzuerworbenen Gesellschaftsanteil unmittelbar weiterveräußern oder langfristig halten wollte, keine Auswirkung auf die Erfassung des Beteiligungserwerbs in der Einnahmen-Überschussrechnung der Beigeladenen. Die hinzuerworbenen Gesellschaftsanteile sind weder als Umlaufvermögen noch als Anlagevermögen zu behandeln. Der von dem Kläger gezahlte Kaufpreis von 331.093,40 € ist, soweit er den Betrag des übergehenden Kapitalkontos übersteigt, in der steuerlichen Ergänzungsrechnung auf die verschiedenen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens der Beigeladenen zu verteilen.

342. Der Beklagte hat den Gewinn aus der Teilanteilsveräußerung zutreffend als laufenden Gewinn und nicht als begünstigen Veräußerungsgewinn i. S. des § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG behandelt. Gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung führt nur die Veräußerung eines gesamten Mitunternehmeranteils zu einem begünstigten Veräußerungsgewinn.

353. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gemäß § 139 Abs. 4 FGO sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Im Streitfall sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht erstattungsfähig, da diese keine Sachanträge gestellt hat und daher gem. § 135 Abs. 3 FGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt war (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.1991 VIII R 81/87, BStBl II 1992,147).

364. Die Revision war nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 13.2.1997 IV R 15/96, BStBl II 1997, 535) hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine weitere Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO).

Bewertungsrecht: Einordnung eines Hochregallagers als Betriebsvorrichtung

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 211/12 BG

Datum:
19.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 211/12 BG
Tenor:

Der Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts auf den 01.01.2010 für die wirtschaftliche Einheit “A“- Stadt vom 13.10.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.12.2011 wird dahingehend abgeändert, dass der durch das Hochregallager (Bauteil 11 und 12 bzw. Lageplan Nr. 20 und 21) umbaute Raum bei der Berechnung des Einheitswertes unberücksichtigt bleibt. Die Berechnung des festzustellenden Einheitswertes wird dem Beklagten übertragen.

Der Beklagte trägt die Verfahrenskosten.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

1E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

2I. Die Klage ist begründet.

3Der angefochtene Einheitswertbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO). Das Finanzamt hat das Hochregallager einschließlich Vorzone zu Unrecht als Gebäude bewertet.

4Das Betriebsgrundstück der Klägerin ist gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BewG wie Grundvermögen zu bewerten. Nach § 68 Abs. 1 BewG gehören zum Grundvermögen außer dem Grund und Boden auch die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör. Nicht in das Grundvermögen einzubeziehen sind nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören (Betriebsvorrichtungen), auch wenn sie wesentliche Bestandteile sind.

5Für die Abgrenzung zwischen Gebäuden und Betriebsvorrichtungen ist vom Gebäudebegriff auszugehen, weil Gebäude grundsätzlich zum Grundvermögen gehören. Deshalb kann ein Bauwerk, das als Gebäude zu betrachten ist, nicht Betriebsvorrichtung sein (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 18.03.1987 II R 222/84, BStBl II 1987, 551 unter Hinweis auf das Urteil vom 25.03. 1977 III R 5/75, BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594 mit weiteren Nachweisen).

6Ein Bauwerk ist als Gebäude anzusehen, wenn es nicht nur fest mit dem Grund und Boden verbunden, von einiger Beständigkeit und ausreichend standfest ist, sondern es muss auch Menschen oder Sachen durch räumliche Umschließung Schutz gegen Witterungseinflüsse gewähren und den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestatten (BFH-Urteil vom 28.05.2003 II R 41/01, BStBl. II 2003, 693, BFHE 202, 376 unter Hinweis auf BFH-Urteile in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517, sowie vom 30. Januar 1991 II R 48/88, BFHE 163, 236, BStBl II 1991, 618). Alle Bauwerke, die sämtliche dieser Begriffsmerkmale aufweisen, sind ausnahmslos als Gebäude zu behandeln (BFH-Urteil vom 13. Juni 1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612).

7Dabei dürfen die einzelnen Flächen, welche den Aufenthalt von Menschen erlauben, im Verhältnis zum Ganzen nicht von untergeordneter Bedeutung sein (BFH-Urteil vom 14.11.1975 III R 150/74, BStBl. II 1976, 198). Diesbezüglich ist nicht nur auf die Größenverhältnisse der jeweils maßgebenden Bauteile abzustellen, sondern auch auf die Nutzungsintensität (BFH-Urteil vom 14.11.1975, a.a.O.).

8Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze stellt das Hochregallager nebst Vorzone kein Gebäude sondern eine Betriebsvorrichtung dar.

91. Die Eigenschaft als Gebäude ist deshalb nicht gegeben, weil das Hochregallager nicht den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gestattet.

10Nach dem Inhalt der Akten und aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung steht fest, dass das vollautomatisch betriebene Hochregallager während des laufenden Betriebs von Menschen nicht betreten werden kann und aufgrund der automatisiert ablaufenden Ein- und Auslagerungsvorgänge auch nicht betreten werden darf. Das betriebliche Transport- und Lagersystem schaltet sich ab, sobald von der Vorzone, dem einzig möglichen Zugang, die Türe zum Hochregallagerraum geöffnet wird. Im Bereich des Regallagers selbst befinden sich außer den dem automatisierten Warentransport dienenden Lagergassen keinerlei Wartungs- und Beobachtungsgänge, auf denen sich Menschen ungestört durch das interne Transportsystem aufhalten können. Soweit sich Menschen zeitweilig außerhalb des Betriebsablaufs zu Wartungs-, Inspektions- und Reparaturarbeiten in dem Bauwerk (Lagerbereich) aufhalten, also während einer Betriebspause, ist dieser nur für kurze Zeitspannen mögliche Aufenthalt von untergeordneter Bedeutung (so schon BFH-Urteil vom 18.03.1987 II R 222/84, BStBl. II 1987, 551 zu einem vollautomatischen Hochregallager).

112. Anders als im eigentlichen Regallagerbereich ist zwar in der Vorzone wegen der neben dem Transportsystem verbliebenen Raumflächen der nicht nur vorübergehende Aufenthalt von Menschen möglich.

12a) Gleichwohl führt dies nicht dazu, den aus dem Hochregallagerbereich und der Vorzone bestehenden Bauwerkskomplex insgesamt als Gebäude im Sinne des Bewertungsgesetzes anzusehen. Hier greift die oben erwähnte BFH-Rechtsprechung (BStBl. II 1976,198), wonach es nötig ist, dass der Teil des Bauwerks, der zum Aufenthalt von Menschen geeignet ist, nicht nach Größenverhältnis und Nutzungsintensität von untergeordneter Bedeutung ist. In Bezug auf Größenverhältnisse ist die von der Rechtsprechung praktizierte 10 % Grenze als im Steuerrecht vertretene Erheblichkeitsschwelle zu berücksichtigen (vergleiche zu dieser Grenze etwa BFH-Urteil vom 21.09.2011, I R 89/10, BFHE 235, 263 unter Hinweis auf BFH Beschluss vom 07.04.2011 IV B 157/09, BFH/NV 2011, 1392).

13Nach Maßgabe beider Kriterien ist die Vorzone (einschließlich ihrer Zwischenebene) als Räumlichkeit von untergeordneter Bedeutung anzusehen.

14Hinsichtlich der Größenverhältnisse liegt die Vorzone unstreitig deutlich unter 10 % der Gesamtfläche (je nach Berechnungsart 7 % bzw. sogar nur 1,87 %).

15Auch die Nutzungsintensität der Vorzone spricht nur für eine untergeordnete Bedeutung. Die Zone wird lediglich zur Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten aufgesucht. Die Steuerung des gesamten Hochregallagers, welche als eine intensive und prägende Nutzung angesehen werden könnte, erfolgt von einem anderen Raum aus, der etwa 200 m vom Regallager- und Vorzonenbereich entfernt liegt und dessen Bewertung hier nicht strittig ist.

16b) Die Vorzone selbst ist außerdem nicht als (eigenständiges) Gebäude einzuordnen. Insoweit fehlt es an der für den Gebäudebegriff nötigen eigenen räumlichen Umschließung. Die Vorzone befindet sich zusammen mit dem Hochregallager in einem Bauwerk. Die tragenden Außenwände sind sowohl Umschließungen des Hochregallagerbereiches als auch des Vorzonenbereiches. Die Trennung im Inneren durch den Metallgitterzaun (Klägerschriftsatz vom 03.09.2013 i.V.m. der Anlage 1, insbesondere auch den Anlagen 20 – 23), welcher ohnehin keinerlei tragende Funktion aufweist, ist nur wenig mehr als „mannshoch“. Infolge der durch die Vorzone verlaufenden Förderbänder für die Hänge- und die Liegeware ist die Vorzone zudem funktionstechnisch untrennbar mit dem eigentlichen Hochregallagersystem verbunden.

173. Die bautechnisch separate Konstruktion des Hochregallagersystems einerseits und des sie sowie die Vorzone umschließenden Bauwerks andererseits (die Außenwände sind keine Umwandungen, die notwendiger Bestandteil der Betriebsvorrichtung “Hochregallagersystem“ sind, vergleiche hierzu BFH-Urteil vom 13.06.1969 III 17/65, BStBl. II

181969, 517 – Förderturm als Betriebsvorrichtung) führt entgegen der Ansicht des Finanzamtes nicht zur Bejahung der Gebäudeeigenschaft.

19a) Der BFH hat seinerzeit einen in Stahlbetonbauweise errichteten Förderturm als Betriebsvorrichtung angesehen, da seine Außenwände zum größten Teil ausschließlich als Tragscheiben zur Betriebsvorrichtung gehörten. Damit habe die Fläche der Außenwände des gesamten Bauwerks größtenteils aus Umwandungen bestanden, die notwendiger Bestandteil der Betriebsvorrichtungen seien. Denke man sich von der gesamten Umschließung den Teil der Außenwände weg, der ausschließlich und unmittelbar zu einer Betriebsvorrichtung gehöre, so würde die Umschließung unzweifelhaft in sich zusammenfallen, d.h. sie wären nicht mehr standfest im Sinne der Begriffsbestimmung des Gebäudes. Die Umschließung erfülle damit nicht alle Merkmale des Gebäudebegriffs. Dementsprechend sei der ganze Förderturm einschließlich der von seinen Außenwänden gebildeten Umschließung als Betriebsvorrichtung zum beweglichen Betriebsvermögen zu rechnen.

20Abweichend von diesem Sachverhalt, welcher der vorerwähnten BFH-Entscheidung vom 13.06.1969 zu Grunde lag, kann im Streitfall die für eine Gebäudeeigenschaft nötige Standfestigkeit des die Betriebsvorrichtung umschließenden Bauwerks zwar nicht infrage gestellt werden. Dies führt aber gleichwohl nicht zu der Annahme der Gebäudeeigenschaft des das Regalsystem umschließenden Bauwerkes.

21Entscheidend für die Bewertung sind stets die tatsächlichen Verhältnisse. Zu diesen tatsächlichen Verhältnissen gehört im Streitfall das im Betrieb befindliche vollautomatische Hochregallagersystem. Aufgrund dieser tatsächlichen Verhältnisse müssen alle Kriterien erfüllt sein, die den Gebäudebegriff ausfüllen.

22Nach diesen Grundsätzen sind zwar die feste Verbindung mit dem Grund und Boden, die Standfestigkeit sowie die räumliche Umschließung des Bauwerks gegeben.

23Das Bauwerk gestattet aber bei laufendem Betrieb unabhängig davon, ob zwischen der Regalanlage und der äußeren Bauwerkshülle eine konstruktive, bautechnisch bedingte Verbindung in Gestalt einer untrennbaren Einheit besteht oder nicht besteht, aus den oben aufgezeigten Gründen keinen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen. Damit ist nach wie vor ein wesentliches Gebäudemerkmal nicht erfüllt.

24b) Die Argumentation des Beklagten, bei dem Bauwerk handele es sich um ein Gebäude, in dem eine (übergroße) Betriebsvorrichtung untergebracht sei, beruht offensichtlich auf der Vorstellung, den Streitfall mit den Fällen gleich zu behandeln, bei denen in Lagergebäuden kleinere Betriebsvorrichtungen installiert sind. In derartigen Fällen ist infolge der verbleibenden freien Raumflächen der nicht nur vorübergehende Aufenthalt von Menschen möglich und die Gebäudeeigenschaft demnach zu bejahen.

25Der Senat folgt dieser Ansicht für den Streitfall aus zweierlei Gründen nicht.

26Zum einen würde diese Betrachtungsweise nicht den tatsächlichen sondern einen anderen fiktiven Sachverhalt erfassen.

27Zum anderen läuft eine solche Argumentation letztlich darauf hinaus, den Gebäudebegriff über die Verkehrsauffassung zu korrigieren. Das aber hat die Rechtsprechung stets abgelehnt (BFH-Urteil vom 18.03.1987 a.a.O. unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 13.06.1969 III R 132/67, BFHE 96, 365, BStBl II 1969, 612 sowie in BFHE 96, 57, BStBl II 1969, 517 und in BFHE 122, 150, BStBl II 1977, 594).

28c) Soweit der Beklagte die Annahme der Gebäudeeigenschaft damit begründet, dass nach Herausnahme der Hochregalanlage der die Anlage umgebende Baukörper im gesamten Umfang unverändert vorhanden ist, kann der Senat dieser Überlegung zur Bejahung der Gebäudeeigenschaft ebenfalls nicht zustimmen. Auch diese Betrachtungsweise erfasst nicht den tatsächlichen sondern einen anderen fiktiven Sachverhalt.

29II. Die Übertragung der Berechnung des festzustellenden Einheitswerts beruht auf

30§ 100 Abs. 2 S. 1 und 2 FGO.

31Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

32Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

33Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Ausführungen oben unter I.3. zugelassen.

Berücksichtigung von Sonderabschreibungen bei der Ermittlung des steuerfreien Wertzuwachses eines Grundstücks

Finanzgericht Düsseldorf, 8 K 3988/11 F

Datum:
25.04.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 3988/11 F
Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 vom 01.08.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2011 wird dahingehend geändert, dass ein verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2006 für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers auf 43.942 Euro und der Klägerin auf 43.202 Euro festgestellt wird.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

1T a t b e s t a n d:2Streitig ist, ob der Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks zu den sonstigen Einkünften im Sinne der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) gehört.

3Die Kläger sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden.

4Der Kläger erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag vom 28.06.1996 das Grundstück A in B einschließlich eines noch zu errichtenden Einfamilienhauses zu einem Preis von 285.000 DM (umgerechnet 145.718 Euro). Hinsichtlich der Gebäudeherstellungskosten i.H.v.138.120 Euro machte er eine Sonderabschreibung nach dem Fördergebietsgesetz (FöGbG) i.H.v. insgesamt 68.530 Euro (67.999 Euro für 1996, 210 Euro für 1997 und 321 Euro für 1998) geltend. Im Übrigen erfolgten Absetzungen für Abnutzung (AfA) gemäß § 7 Abs. 4 EStG i.H.v. 2% der Gesamtkosten, bis Ende 2006 betrug die AfA insgesamt 26.220 Euro (227 Euro für 1996, 2.737 Euro für 1997, 2.763 für 1998 bis 2005 und 1.152 Euro für 2006).

5Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 09.08.2005 übertrug der Kläger das Grundstück im Wege einer ehebedingten Zuwendung unentgeltlich an die Klägerin. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 30.03.2006 veräußerte die Klägerin das Grundstück zu einem Kaufpreis i.H.v. 91.000 Euro an fremde Dritte.

6In der Einkommensteuererklärung für 2006 erklärten die Kläger einen steuerlichen Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Grundstücks A gemäß § 23 EStG i.H.v. 31.829 Euro. Wegen der Gewinnberechnung wird auf die entsprechende Anlage zur Steuererklärung Bezug genommen.

7Der Beklagte folgte zwar der Berechnung der Kläger; unter Berücksichtigung der zum 31.12.2005 festgestellten verbleibenden Verlustvorträge ergaben sich jedoch im Einkommensteuerbescheid 2006 vom 20.06.2007 Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften von 0 Euro. Außerdem stellte er mit Bescheid vom 20.06.2007 den verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2006 des Klägers auf 27.892 Euro und der Klägerin auf 27.432 Euro fest.

8Mit Einspruchsschreiben vom 25.06.2007 wandten sich die Kläger u. a. gegen die Erfassung des Veräußerungsgewinns unter Hinweis auf die damals beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter den Aktenzeichen 2 BvL 14/02 und 2 BvL 2/04 anhängigen Normenkontrollverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlängerung der sog. Spekulationsfrist bei der Veräußerung von Grundstücken von zwei auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999. Nachdem das BVerfG mit Beschluss vom 07.07.2010 (Bundessteuerblatt II 2011, 76) entschieden hatte, dass die Neuregelung insoweit verfassungswidrig ist, als Wertzuwächse besteuert werden, die bis zum Zeitpunkt der Verkündung der Gesetzesänderung am 31.03.1999 eingetreten sind und die nach Maßgabe der zuvor geltenden Rechtslage hätten steuerfrei realisiert werden können, beantragten die Kläger, die Erfassung des Veräußerungsgewinns rückgängig zu machen.

9Der Beklagte vertrat hingegen im Hinblick auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20.12.2010, wonach zur Vereinfachung regelmäßig der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31.03.1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear zu ermitteln ist, und im Hinblick auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Rheinland vom 18.01.2011 die Auffassung, dass Sonderabschreibungen nach dem FöGbG „pro rata temporis“ anzusetzen seien und keine Zuordnung zu den einzelnen Besitzzeiträumen erfolge. Unter Berücksichtigung eines nicht steuerbaren Zeitraums vom 28.06.1996 bis 31.03.1999 (33 Monate gerundet) und eines steuerbaren Zeitraums vom 01.04.1999 bis zur Veräußerung (84 Monate gerundet) teilte er den Veräußerungsgewinn i.H.v. 31.829 Euro auf und ging von einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn für die Zeit ab 01.04.1999 i.H.v. 22.851 Euro aus. Entsprechend erließ er am 01.08.2011 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006. Der angesetzte Gewinn wirkte sich wegen der Verrechnung mit Verlustvorträgen steuerlich erneut nicht aus; die festgesetzte Einkommensteuer blieb gegenüber der Steuer aus dem vorangegangenen Änderungsbescheid vom 29.12.2009 unverändert.

10Außerdem erließ der Beklagte am 01.08.2011 einen geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006, mit dem er den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers auf 32.419 Euro und der Klägerin auf 31.874 Euro feststellte.

11Den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2006 verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 04.08.2011 als unzulässig; durch den Ansatz des Veräußerungsgewinns von 22.851 Euro sei die Steuerfestsetzung nicht betroffen, da die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften aufgrund der Verrechnung mit Verlustvorträgen 0 Euro betragen. Die hiergegen unter dem Aktenzeichen 8 K 2893/11 E,F erhobene Klage haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2013 zurückgenommen.

12Den Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 wies der Beklagte als unbegründet zurück; er hielt an der vorgenommenen zeitanteiligen Aufteilung des Veräußerungsgewinns fest.

13Die Kläger haben sodann die vorliegende Klage erhoben.

14Sie sind der Ansicht, dass der Veräußerungsgewinn nicht zeitanteilig, sondern nach den tatsächlichen Wertverhältnissen aufzuteilen sei. Der ermittelte Gewinn von 31.829 Euro beruhe auf den in den Jahren 1996 bis 1998 vorgenommenen Sonderabschreibungen nach dem FöGbG. Daher sei der entstandene Gewinn diesen Jahren zuzurechnen. Ohne die Sonderabschreibung hätte sich ein Veräußerungsverlust ergeben. Durch die zeitanteilige Aufteilung konterkariere der Beklagte den vom BVerfG festgelegten Grundsatz, den Veräußerungsgewinn von Wirtschaftsgütern nicht der Besteuerung zu unterwerfen, bei denen die Spekulationsfrist am 31.03.1999 abgelaufen war.

15Die Entscheidung des Beklagten stehe auch im Widerspruch zu der Günstigerregelung im BMF-Schreiben vom 20.12.2010, wonach die lineare Aufteilung des Gewinn auf Antrag des Steuerpflichtigen keine Anwendung finde, wenn dieser einen tatsächlichen Wertzuwachs für den Zeitraum zwischen der Anschaffung des Wirtschaftsguts und dem 31.03.1999 nachweise. Diese Bedingung sei erfüllt.

16Denn aus einer vom Landesamt für Vermessung und Geoinformation des Landes …………….. eingeholten Übersicht der Verkaufswerte für Reihenhäuser in B ergebe sich ein Werteverfall in den Jahren 1996 bis 1998 von 15 %, in den Jahren 1999 bis 2006 lediglich von rd. 1 %. Im Umkehrschluss folge daraus, dass die Wertaufholung durch die Sonderabschreibungen ausschließlich in den Jahren 1996 bis 1998 erfolgt sei und der Veräußerungsgewinn in diese Jahre falle.

17Sie beantragen,

18den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 vom 01.08.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.11.2011 dahingehend zu ändern, dass ein verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2006 des Klägers auf 43.942 Euro und der Klägerin auf 43.202 Euro festgestellt wird.

19Der Beklagte beantragt,

20die Klage abzuweisen.

21Er hält an seiner Auffassung fest, dass eine Aufteilung des Veräußerungsgewinns pro rata temporis erfolgen müsse. Die Kläger hätten den Wert des Grundstücks zum 31.03.1999 nicht im Wege eines Sachverständigengutachtens nachgewiesen. Die Zusammenstellung von Wohnflächenpreisen aus verschiedenen Grundstücksmarktberichten sei als Nachweis des Grundstückswerts nicht geeignet, da es sich dabei um allgemeine Werte handele.

22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

23Die Klage ist begründet.

24Der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

25Entsprechend § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG a.F. i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 9, 2. HS EStG a.F. ist der verbleibende Verlustvortrag für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf 43.942 Euro für den Kläger und 43.202 Euro für die Klägerin festzustellen. Denn der Beklagte hat die verbleibenden Verlustvorträge der Kläger um insgesamt 22.851 Euro zu niedrig festgestellt, da er im Jahr 2006 zu Unrecht den zum 31.12.2005 festgestellten Verlustvortrag der Kläger mit einem Veräußerungsgewinn der Klägerin gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG verrechnet hat. Für die Kläger ergab sich jeweils eine anteilige Erhöhung, da der Beklagte den Verlustabzug im Jahr 2006 entsprechend dem Rechtsgedanken des § 62d Abs. 2 Satz 2 Einkommensteuerdurchführungsverordnung auf die Kläger aufgeteilt hatte.

26Hinsichtlich der Veräußerung des Grundstücks A in B liegt grundsätzlich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft der Klägerin gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor. Darunter fallen Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Gebäude und Außenanlagen sind einzubeziehen, soweit sie innerhalb dieses Zeitraums errichtet, ausgebaut oder erweitert werden. Die Klägerin ist aufgrund der ehebedingten Zuwendung in die Rechtsposition des Klägers eingetreten.

27Jedoch ist der in der Zeit von der Anschaffung des Grundstücks bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 durch die Veräußerung entstandene Wertzuwachs steuerfrei zu stellen. In dem genannten Zeitraum war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 nachträglich entwertet wurde. Denn nach der Entscheidung des BVerfG vom 07.07.2010 ist diese rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre wegen des Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes insoweit verfassungswidrig und daher nichtig, soweit durch Versteuerung eines Veräußerungsgewinns Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zu Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31.03.1999 entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war.

28Die Höhe des bis zum 31.03.1999 durch die Veräußerung des Grundstücks A in B entstandenen und steuerfrei zu stellenden Wertzuwachses der Klägerin ist in Anlehnung an die Vorschrift des § 23 Abs. 3 EStG zu ermitteln. Da der tatsächliche Wert des Grundstücks zum 31.03.1999 nicht feststeht, ist der durch die Veräußerung entstandene Gewinn i.H.v. 31.829 Euro grundsätzlich im Wege der Schätzung gemäß § 162 Abgabenordnung (AO) aufzuteilen in einen Anteil für den bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 entstandenen – und steuerfreien – Wertzuwachs und in einen Anteil für den nach Verkündung dieses Gesetzes entstandenen steuerpflichtigen Wertzuwachs.

29Nach Ansicht des Gerichts ergibt sich für die Zeit nach dem 01.04.1999 kein Veräußerungsgewinn. Der Beklagte hat – unabhängig von der Anwendung der Günstigerregelung nach II.2.a) des BMF-Schreibens vom 20.12.2010, wonach die Vereinfachungsregelung der linearen Aufteilung des Wertzuwachses auf Antrag des Steuerpflichtigen keine Anwendung findet, sofern er einen tatsächlich höheren Wertzuwachs für den Zeitraum bis zum 31.03.1999 nachweist – zu Unrecht entsprechend der Verfügung der OFD Rheinland die von den Klägern bis zum 31.03.1999 in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen nach dem FöGbG „pro rata temporis“ auf die gesamte Besitzzeit aufgeteilt. Vielmehr sind entgegen dieser Ansicht die Abschreibungsbeträge den Zeiträumen zuzuordnen, in denen sie tatsächlich gewährt wurden und sich steuerlich im Rahmen einer Einkunftsart im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG (hier: Vermietung und Verpachtung) steuerlich ausgewirkt haben (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschlüsse vom 12.07.2012 IX B 64/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH (BFH/NV) 2012, 1782 und 11.04.2012 IX B 14/12, BFH/NV 2012, 1130). Denn nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG mindern sich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten um die AfA, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG abgezogen worden sind. Die Höhe des bis zum 31.03.1999 infolge der gewährten Sonderabschreibungen entstandenen Wertzuwachses der Klägerin steht fest und ist einer Schätzung gemäß § 162 AO nicht zugänglich. Sofern der Beklagte davon abweichend eine andere Wertermittlung zugrunde legen will, trifft ihn die Feststellungslast für die Höhe eines nach dem 31.03.1999 entstandenen Veräußerungsgewinns, da es sich es sich um eine steuerbegründende Tatsache handelt.

30Da entsprechend der Angaben der Kläger und der von ihnen vorgelegten Unterlagen seit Anschaffung bis zur Veräußerung des Grundstücks in B kontinuierlich ein Werteverfall zu verzeichnen war – der Veräußerungspreis lag ebenfalls deutlich unter den Anschaffungs- und Herstellungskosten -, beruht die Ermittlung eines Veräußerungsgewinns durch den Beklagten für die Zeit nach dem 31.03.1999 ausschließlich auf der zeitanteiligen Aufteilung der von den Klägern in Anspruch genommenen Sonderabschreibungen nach dem FöGbG. Entsprechend ergibt sich bei Zuordnung der Sonderabschreibungen zu dem Besitzzeitraum, in dem sie sich steuerlich ausgewirkt haben, dass in der Zeit bis zum 31.03.1999 hierdurch ein steuerfreier Wertzuwachs und in der Zeit danach – in dieser Zeit bis zum Verkauf wurde nur noch AfA in geringer Höhe in Anspruch genommen – kein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstanden ist.

31Die direkte Zuordnung der Sonderabschreibungen zu den Besitzzeiten entspricht den Überlegungen des BVerfG im Beschluss vom 07.07.2010. In der Höhe der gewährten Sonderabschreibungen ist eine konkret verfestigte Vermögensposition objektiv entstanden, die bei einer zeitanteiligen Aufteilung der in Anspruch genommenen Abschreibungsbeträge nachträglich entwertet würde. Denn hätte die Klägerin nach Ablauf der alten Spekulationsfrist von zwei Jahren das Grundstück bis zum 31.03.1999 veräußert, so hätten die bis dahin gewährten Sonderabschreibungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG die Herstellungskosten gemindert und damit den entsprechenden Veräußerungsgewinn erhöht. Dieser wäre aber unstreitig in voller Höhe steuerfrei gewesen (vgl. auch Niedersächsisches Finanzgericht (FG), Beschluss vom 27.12.2011 9 V 280/11, Entscheidungen der FG (EFG) 2012, 1460; Hessisches FG, Beschluss vom 17.02.2012 1 V 2821/11, EFG 2012, 1148; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.03.2012 7 V 7191/11, EFG 2012, 1462).

32Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Keine Schenkungsteuerpflicht bei Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum Nennwert

Die Beteiligten stritten um die Frage, ob Schenkungsteuer entsteht, wenn ein Gesellschafter unter Auszahlung nur des Nennbetrags seines Geschäftsanteils aus einer Kapitalgesellschaft ausscheidet, die nach dem sog. Managermodell organisiert ist. Die Frage hat insbesondere für Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften große praktische Bedeutung. Das Managermodell zeichnet sich dadurch aus, dass den Seniorpartnern der Gesellschaft regelmäßig eine Gesellschafterstellung eingeräumt wird, für die sie nur ein Entgelt in Höhe des Nennwerts zu zahlen haben und die sie bei Beendigung ihrer Gesellschafterstellung gegen eine der Höhe nach begrenzte Abfindung zurück zu übertragen haben.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben und eine Schenkungsteuerpflicht verneint. Im Streitfall war der Geschäftsanteil des ausscheidenden Gesellschafters zum Nennwert auf einen Treuhänder übertragen worden, der den Anteil bis zum Eintritt eines neuen Gesellschafters in die Gesellschaft für die verbliebenen Altgesellschafter zu halten hatte. Maßgebend für die Entscheidung des Gerichts war, dass es an einer Bereicherung der Gesellschaft und der verbleibenden Gesellschafter fehle. Der Treuhänder habe weder für die klagende Gesellschaft noch für die anderen Gesellschafter frei über den Geschäftsanteil verfügen können. Es sei nicht zu einem Übergang der Vermögenssubstanz auf die Gesellschaft oder die anderen Gesellschafter gekommen.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Die Entscheidungen im Volltext: 4 K 834/13 Erb und 4 K 788/13 Erb

 

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 834/13 Erb

Datum:
13.11.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 834/13 Erb
Tenor:

Der Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

1T a t b e s t a n d:

2Die Klägerin ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit beschränkter Haftung, die durch Umwandlung der A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Jahr 2001 entstanden ist. Nach § 15 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin vom 30. Juni 2004 bedarf die Abtretung von Geschäftsanteilen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung und der Gesellschaft. Neben dem Gesellschaftsvertrag haben die Gesellschafter der Klägerin, die Geschäftsanteile von jeweils 50.000 € halten, einen notariell beurkundeten Poolvertrag vom 30. Juni 2004 abgeschlossen. Gegenstand des Poolvertrags ist nach dessen § 1 Abs. 1 die Regelung der Verhältnisse der Gesellschafter untereinander sowie die gemeinschaftliche Ausübung der Gesellschafterrechte. Parteien des Poolvertrags können nach dessen § 2 Abs. 1 nur Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte sowie sonstige Personen sein, die nach dem Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) als Geschäftsführer einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zugelassen werden können. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Poolvertrags endet die Mitgliedschaft unter anderem aus Altersgründen gemäß § 14 des Vertrags. Nach § 14 Abs. 1 des Poolvertrags verkauft und überträgt ein Poolmitglied mit Vollendung seines 63. Lebensjahres mit schuldrechtlicher Wirkung zum Ende des Tages der Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses der Klägerin sowie über die Rechnungslegung über die Gewinnverteilung und die Nebenrechnung nach § 10 Abs. 4 des Vertrags für das Geschäftsjahr, in dem es das 63. Lebensjahr vollendet hat, seinen Geschäftsanteil an einen Pooltreuhänder. Der Pooltreuhänder hat unter anderem die Aufgabe, die Geschäftsanteile, die für die Aufnahme neuer Poolmitglieder vorgesehen sind, bis zu ihrer Übertragung treuhänderisch für alle Poolmitglieder zu halten, sowie die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder treuhänderisch für alle in der Klägerin verbleidenden Poolmitglieder zu erwerben und zu halten. Die Einzelheiten sind in einem Treuhandvertrag (Anlage 13 zum Poolvertrag) geregelt (§ 19 Abs. 9 des Poolvertrags). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags hält der Treuhänder die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder für die verbleibenden Poolmitglieder als fremdnütziger Treuhänder. Im Außenverhältnis ist der Pooltreuhänder Vollrechtsinhaber (§ 1 Abs. 3 des Treuhandvertrags). Für die Übertragung des Geschäftsanteils ausscheidender Gesellschafter sieht § 13 Abs. 1 des Poolvertrags i.V.m. § 3 des Kauf- und Übertragungsvertrags – Typ A – (Anlage 8 zum Poolvertrag) vor, dass der Pooltreuhänder an den Verkäufer ein Entgelt in Höhe des Nennbetrags des Geschäftsanteils zu zahlen hat. Ein Anspruch auf stille Reserven oder einen Goodwill besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Kauf- und Übertragungsvertrags – Typ A – (Anlage 8 zum Poolvertrag) nicht.

3Gesellschafter der Klägerin war unter anderem X, der nach der Umwandlung der A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in die Klägerin einen Geschäftsanteil von 50.000 € hielt. X kündigte aus Altersgründen und übertrug seinen Geschäftsanteil auf der Grundlage der für ihn geltenden Übergangsregelung für Gesellschafter der vormaligen A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Anlage 5 zum Poolvertrag) zum 30. Juni 2005 auf den Pooltreuhänder. Hierfür erhielt er ein Entgelt von 50.000 €.

4Das beklagte Finanzamt erlangte am 3. April 2007 Kenntnis von der Übertragung. Es forderte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Oktober 2011 auf, eine Schenkungsteuererklärung abzugeben. Dem kam die Klägerin am 22. November 2011 nach.

5Das beklagte Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, dass die Übertragung des Geschäftsanteils des X gegen Zahlung eines Kaufpreises von 50.000 € nach § 7 Abs. 7 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) der Schenkungsteuer unterliege. Es setzte deshalb gegen die Klägerin mit Bescheid vom 25. November 2011  513.730 € Schenkungsteuer fest. Dabei schätzte es den gemeinen Wert des übertragenen Geschäftsanteils mit 1.473.000 €, wovon es den Kaufpreis von 50.000 € abzog.

6Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, den sie mit Schreiben vom 15. März 2012 begründete.

7Das beklagte Finanzamt wies die Klägerin mit Schreiben vom 22. August 2012 darauf hin, dass der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils mit 4.296,85 € je 100 €-Geschäftsanteil anzusetzen sei, so dass der Wert ihres Erwerbs mit 2.098.425 € anzunehmen sei. Demgemäß setzte das beklagte Finanzamt die Schenkungsteuer gegen die Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2013 auf 585.445 € neu fest. Zur Begründung führte es aus: Die Übertragung des Geschäftsanteils beruhe auf einem Gesellschaftsvertrag, obgleich dies nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG in der im Streitfall anzuwendenden Fassung nicht mehr erforderlich sei. Der Poolvertrag enthalte den Gesellschaftsvertrag der Klägerin ergänzende wesentliche Regelungen und betreffe damit die Grundlagen der Gesellschaft. § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG finde auch bei sog. Managermodellen Anwendung, bei denen eine zeitlich befristete Beteiligung an einer GmbH vorgesehen sei und der Erwerb sowie die spätere Veräußerung eines Geschäftsanteils nur zum Nennwert erfolge. Bei dem an X gezahlten Kaufpreis handele es sich um eine Abfindung, weil das Entgelt nicht frei ausgehandelt worden sei. Ein Wille zur Unentgeltlichkeit des Zuwendenden müsse nicht vorliegen. Die Klägerin sei als Erwerberin auch Steuerschuldnerin, weil das Ausscheiden des X ihre Beziehung zu ihm betreffe. Unerheblich sei, dass der Geschäftsanteil an den Pooltreuhänder veräußert worden sei. Hierdurch sei nur der Leistungsweg abgekürzt worden.

8Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die Übertragung des Geschäftsanteils des X unterliege nicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG der Schenkungsteuer, weil sie nicht auf Gesetz oder Gesellschaftsvertrag beruhe. Die Übertragung beruhe vielmehr auf dem Poolvertrag sowie auf dem Kauf- und Übertragungsvertrag. Hierbei handele es sich um schuldrechtliche Vereinbarungen. Entsprechendes gelte für den gezahlten Kaufpreis, der deshalb keine Abfindung sei. Jedenfalls sei § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG im Streitfall nicht anwendbar, weil bei einem Managermodell andere Grundsätze zu gelten hätten als bei einer gewöhnlichen kapitalistisch geprägten Beteiligung. Bei dem vorliegenden Managermodell sei eine Gesellschafterstellung nur auf Zeit eingeräumt und gleichzeitig eine Kaufpreisbeschränkung für den Rückkauf vereinbart worden. Im Vordergrund stehe nicht die Überlassung von Kapital, sondern die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft. Durch die Kapitalbeteiligung werde dem Gesellschafter ein zusätzliches Arbeitsentgelt in Gestalt von Gewinnausschüttungen gewährt. Demgemäß bringe die Rückübertragung der Beteiligung nur zum Ausdruck, dass der Gesellschafter nicht mehr Geschäftsführer sei und keinen Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit mehr habe. Ein Zugriff auf stille Reserven sei ausgeschlossen, weil diese in nennenswertem Umfang ohnehin nicht vorhanden seien. Die Gewinne würden vollständig ausgeschüttet. Zudem fehle einem neu eintretenden Gesellschafter nach dem Poolvertrag die freie Verfügungsmöglichkeit über seinen Geschäftsanteil. Die Besteuerung führe zu einem nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das ihr zustehende Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Bei ihr komme es laufend zu einem Wechsel von Gesellschaftern, um die Nachfolge von hoch qualifizierten Berufsträgern zu sichern. Die vom beklagten Finanzamt aufgegriffenen Fälle führten zu einer Schenkungsteuer von insgesamt etwa 13.000.000 €. Ihre wirtschaftliche Existenz stehe deshalb auf dem Spiel. In Anbetracht der drohenden Steuerbelastung sei es für sie überdies schwer, neue qualifizierte Gesellschafter zu finden. Aus diesen Gründen sei § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass für eine Besteuerung eine objektive Unentgeltlichkeit und eine Bereicherungsabsicht erforderlich seien. Sie sei jedenfalls nicht Steuerschuldnerin. Parteien des Kauf- und Übertragungsvertrags seien nur  X und der Pooltreuhänder, der den Geschäftsanteil für die Gesellschafter halte. X habe in Bezug auf sie auch keinen Zuwendungswillen gehabt. Selbst wenn man sie als Erwerberin ansähe, sei zu berücksichtigen, dass sie den Geschäftsanteil nur vorübergehend bis zum Eintritt eines neuen Gesellschafters halten würde, der den Anteil zum Nennwert erwerben werde. Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage allenfalls 50.000 €. Die Übertragungen anderer Gesellschafter zum Nennwert ein Jahr vor dem 30. Juni 2005 stellten Verkäufe dar, die Vorrang vor einer Schätzung des gemeinen Werts hätten. Im Übrigen sei die Schätzung des beklagten Finanzamts unzutreffend und führe zu einer krassen Überbewertung. Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage bei einer Anwendung des Stuttgarter Verfahrens höchstens 1.151.500 €.

9Das beklagte Finanzamt hat die Schenkungsteuer gegen die Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2013 auf 416.780 € neu festgesetzt. Dabei ist es von einem gemeinen Wert des übertragenen Geschäftsanteils von 1.246.000 € ausgegangen, wovon es den Kaufpreis von 50.000 € abgezogen hat.

10Die Klägerin beantragt,

11

  • 121 den Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013 aufzuheben;
  • 132 hilfsweise die Revision zu zulassen.

14Das beklagte Finanzamt beantragt,

15

  • 161 die Klage abzuweisen;
  • 172 hilfsweise die Revision zuzulassen.

18Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus trägt es vor: Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage unter teilweiser Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin 1.246.000 €.

19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

20Die Klage ist begründet. Der Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013, der gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das beklagte Finanzamt hat die Schenkungsteuer zu Unrecht gegen die Klägerin festgesetzt.

21Die Klägerin ist schon nicht Steuerschuldnerin für den vom beklagten Finanzamt besteuerten Vorgang. Steuerschuldner ist nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG unter anderem der Erwerber. Nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung auch der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang des Anteils oder des Teils eines Anteils eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil zur Zeit seines Ausscheidens nach § 12 ErbStG ergibt, den Abfindungsanspruch übersteigt. Bei der Prüfung der Frage, wer als Zuwendender und Bedachter an einer freigebigen Zuwendung beteiligt ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage und nicht darauf an, wem nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise Vermögen zuzurechnen ist (vgl. Bundesfinanzhof – BFH -, Urteile vom 9. Juli 2009 II R 47/07, BFHE 226, 399, BStBl II 2010, 74 sowie vom 9. Dezember 2009 II R 22/08, BFHE 228, 165, BStBl II 2010, 363).

22Der Geschäftsanteil des X ist nicht auf die Klägerin übergegangen. X hat seinen Geschäftsanteil vielmehr gemäß § 17 Abs. 1 des Poolvertrags i.V.m. den §§ 1 Abs. 1, 2 Buchst. a und 13 Abs. 1 der Anlage 8 zum Poolvertrag an den Pooltreuhänder verkauft und abgetreten (§ 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 des Poolvertrags und § 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags (Anlage 13 zum Poolvertrag) hält der Treuhänder die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder für die verbleibenden Poolmitglieder – d.h. für die Gesellschafter der Klägerin – als fremdnütziger Treuhänder. Im Außenverhältnis ist der Pooltreuhänder Vollrechtsinhaber (§ 1 Abs. 3 des Treuhandvertrags). Die Poolmitglieder und nicht die Klägerin sind nach § 19 Abs. 4 des Poolvertrags und nach § 3 Abs. 2 des Treuhandvertrags verpflichtet, dem Treuhänder das für den Erwerb des Geschäftsanteils zu zahlende Entgelt zur Verfügung zu stellen. Der Erwerb des Geschäftsanteils des X kann daher schenkungsteuerrechtlich nicht der Klägerin zugerechnet werden, die weder Partei des Poolvertrags noch Partei des Kauf- und Übertragungsvertrags (Anlage 8 zum Poolvertrag) war.

23Der Senat kann nicht der vom beklagten Finanzamt vertretenen Auffassung folgen, dass die Übertragung des Geschäftsanteils auf den Pooltreuhänder der Klägerin zuzurechnen sei, weil das Ausscheiden des X ihre Beziehung zu ihm betreffe (vgl. ähnlich: Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 7 Randnr. 410; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 7 Randnr. 547; Ostermeyer/Riedel, BB 2006, 1662, 1664). Der Senat vermag keine Rechtsgrundlage für eine solche Zurechnung zu erkennen. Es würde zudem der maßgeblichen Zivilrechtslage widersprechen, der Klägerin den Erwerb des Pooltreuhänders schenkungsteuerrechtlich zuzurechnen.

24Nicht zu entscheiden hat der Senat, ob der Erwerb des Geschäftsanteils den Gesellschaftern der Klägerin zuzurechnen ist, die sich durch den Abschluss des Poolvertrags zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zusammengeschlossen haben (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. September 1986 II ZR 272/85, NJW 1987, 890).

25Unbeschadet dessen ist der angefochtene Steuerbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil es im Streitfall an einem Übergang des Geschäftsanteils i.S. des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG auf die anderen Gesellschafter oder die Klägerin fehlt. Die vorgenannte Bestimmung enthält zwar eine Fiktion. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie eine objektive Bereicherung der anderen Gesellschafter oder der Gesellschaft voraussetzt (vgl. BFH, Urteil vom 1. Juli 1992 II R 12/90, BFHE 168, 390, BStBl II 1992, 925; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 7 Randnr. 542). Erforderlich für die Annahme einer Bereicherung ist eine Vermögensverschiebung, die sich auf die Vermögenssubstanz beziehen muss (vgl. BFH, Urteil vom 30. Januar 2013 II R 38/11, BFHE 240, 287). Der Bedachte muss über den Gegenstand der Zuwendung tatsächlich und rechtlich frei verfügen können (vgl. Urteil vom 22. August 2007 II R 33/06, BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28).

26Hiervon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Der Pooltreuhänder hält den von X erworbenen Geschäftsanteil nur treuhänderisch auf Zeit bis zur Aufnahme neuer Gesellschafter (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 des Poolvertrags; §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags; Vortrag der Klägerin auf Bl. 136 GA), die den Anteil zum Nennwert erwerben werden. Der Treuhänder kann mithin weder für die Klägerin noch für die anderen Gesellschafter frei über den Geschäftsanteil verfügen. Mangels Realisierbarkeit eines über den Nennwert des Geschäftsanteils hinausgehenden Wertes ist es nicht zu einem Übergang der Vermögenssubstanz auf die Klägerin oder die anderen Gesellschafter gekommen.

27Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 138 Abs. 2 Satz 1, 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Keine Verzinsung der Wegzugsteuer

Die Kläger wendeten sich gegen die Verzinsung der sog. Wegzugsteuer. Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und unterhielten bis 2011 einen Wohnsitz in Deutschland. Der Kläger war zu 25 % an einer inländischen GmbH beteiligt. Dabei handelte es sich zum Teil um eine steuerlich relevante Beteiligung des Privatvermögens, zum Teil um sog. einbringungsgeborene Anteile. Im Jahr 2006 begründeten die Kläger einen weiteren Wohnsitz in Österreich und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt dorthin. Auf Antrag der Kläger unterwarf das Finanzamt den in den Anteilen entstandenen Vermögenszuwachs im Jahr 2011 der Wegzugsteuer und stundete diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung. Zugleich setzte es Zinsen auf die verspätet festgesetzte Wegzugsteuer fest, stundete diese aber ebenfalls.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass zwar die gesetzlichen Voraussetzungen des Zinstatbestands erfüllt seien, dieser jedoch durch die Regelung über die zinslose Stundung der Wegzugsteuer verdrängt werde. Diese stehe nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen, sondern auch der Vollverzinsung entgegen. Denn der Gesetzgeber habe die Wegzugsteuer nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs europarechtskonform ausgestalten wollen. Die Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätet festgesetzte Steuer verletze ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit. Die Stundung der Zinsen genüge den europarechtlichen Anforderungen nicht. Schließlich hätten die Steuerpflichtigen auch keinen Liquiditätsvorteil erlangt, der die Vollverzinsung rechtfertige.

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 3233/11 AO

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3233/11 AO
Tenor:

Der Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer 2006 gemäß § 233a AO vom 18.5.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 wird dahingehend gehändert, dass die Zinsen auf „…“ € herabgesetzt werden.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer.

3Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und unterhielten bis zum Jahr 2011 einen Wohnsitz in „N-Stadt“. Im Streitjahr 2006 begründeten die Kläger einen weiteren Wohnsitz in „S-Stadt“/Österreich und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt dorthin, nachdem sie zuvor seit mehr als 10 Jahren ihren Wohnsitz in Deutschland inne hatten. Zur Zeit des Wegzugs war der Kläger mit 25 % an der „U-Holding GmbH“ ‑GmbH‑ mit Sitz in „E-Stadt“ beteiligt. Ein geringfügiger Teil im Nennwert von „…“ € gehörte zum Sonderbetriebsvermögen des Klägers bei der „V-GmbH & Co KG“. Im Übrigen waren die Anteile iHv „…“ € teilweise einbringungsgeborene Anteile iSv § 21 Abs. 1 Umwandlungssteuergesetz vom 20.12.1996 ‑UmwStG 1995‑, ansonsten solche iSv § 17 EStG. Durch den Wegzug verwirklichte der Kläger, was unstreitig ist, den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG (hinsichtlich seiner Anteile iSv § 17 EStG) bzw. des § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG 1995 (hinsichtlich der einbringungsgeborenen Anteile).

4Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 am 11.10.2007 beim zuständigen Finanzamt „O-Stadt“ ein. Mit dem beigefügten Anschreiben des steuerlichen Beraters der Kläger teilten sie mit, dass sie ihren Wohnsitz in „N-Stadt“ beibehalten hätten, aufgrund der Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes nach Österreich jedoch die in 2006 erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen und die erhaltenen Pensionen in Österreich zu versteuern seien. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 27.2.2008 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, ohne Berücksichtigung eines Gewinnes iSv § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG bzw. § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG 1995, ebenso wie die nachfolgenden Änderungsbescheide, zuletzt vom 23.7.2010.

5„…“

6Mit Schreiben vom 14.4.2011 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger, die Steuerfestsetzung für den Wegzug im Jahr 2006 nachzuholen, und fügte eine vorläufige Berechnung des zu berücksichtigenden Vermögenszuwachses der GmbH-Anteile bei. Mit einem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 18.5.2011 erfasste das FA einen Veräußerungsgewinn iHv „…“ € als zu versteuernden Vermögenszuwachs, und erhöhte die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2006 um „…“ €. Gleichzeitig setzte das FA gemäß § 233a AO Zinsen zur Einkommensteuer iHv „…“ € fest, wovon ein Betrag von „…“ € auf die durch den Wegzug entstandene Einkommensteuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG entfiel. In den Erläuterungen des Steuerbescheides führte das FA aus, dass die Steuer auf den Vermögenszuwachs unter den in § 6 Abs. 5 Satz 1 – 3 AStG genannten Voraussetzungen von Amts wegen zinslos gestundet werde. Zur Prüfung, ob diese Stundung ihre Berechtigung habe oder zu widerrufen sei, habe der Steuerpflichtige die in § 6 Abs. 7 AStG genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Mit Bescheid vom 25.5.2011 wurden die Einkommensteuer, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer, soweit sie noch nicht entrichtet waren, gemäß § 6 Abs. 4 AStG befristet auf maximal 5 Jahre gestundet.

7Gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO und gegen die befristete Stundung erhoben die Kläger mit Schreiben vom 22.6.2011 Einspruch. Daraufhin hob das FA den Stundungsbescheid vom 25.5.2011 auf und stundete mit Bescheid vom 28.6.2011 Einkommensteuer und Zinsen 2006, „…“ Kirchensteuer 2006 und Solidaritätszuschlag 2006 gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung. Zudem wurde ausgeführt, dass die Stundung über den 31.1.2012 hinaus verlängert werde, wenn jährlich bis zum Ablauf des 31.1., erstmals bis zum Ablauf des 31.1.2012 die Meldung nach § 6 Abs. 7 AStG an das FA gesandt werde. Die Stundung werde bei Eintritt der Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 2 AStG widerrufen.

8Zur Begründung des Einspruchs gegen die Festsetzung der Zinsen auf die Wegzug-steuer gemäß § 233a AO führten die Kläger aus, dass diese Vorschrift bei zweckkonformer Auslegung in den Fällen verspäteter Festsetzung einer von Amts wegen zu stundenden Wegzugsteuer nicht anwendbar sei, hilfsweise seien die Zinsen aufgrund sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

9Mit Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 wurde der Einspruch der Kläger gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO als unbegründet zurückgewiesen. Die Zinsfestsetzung sei rechtmäßig. Die Vorschrift der zinsfreien Stundung von Steuerbeträgen gemäß § 6 Abs. 5 AStG hindere nicht die Festsetzung von Nachforderungszinsen oder Erstattungszinsen, die sich in Folge von Änderungen der Steuerfestsetzung nach § 233a AO ergäben. § 233a AO sei auch nicht unter Berücksichtigung des § 6 Abs. 5 AStG dahingehend auszulegen, dass Nachzahlungszinsen nicht festgesetzt werden dürften, wenn die festgesetzte Steuer auf einen Entstrickungsgewinn entfalle und diese Steuer bei erstmaliger zutreffender Steuerfestsetzung zu stunden sei. Die festgesetzte und gestundete Entstrickungssteuer könne im Rahmen der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach § 233a AO nicht so behandelt werden, als wäre sie gezahlt worden.

10Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage wenden sich die Kläger weiterhin gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO. Zwar seien die Voraussetzungen des § 233a AO dem Wortlaut nach erfüllt, die Vorschrift bedürfe jedoch im Fall der verspäteten Festsetzung der sog. Wegzugsteuer wegen § 6 Abs. 5 AStG und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben einer Einschränkung.

11a. Auslegung des § 233a AO im Lichte des § 6 Abs. 5 AStG

12Die Vollverzinsung nach § 233a AO bezwecke, einen Ausgleich dafür zu schaffen, wenn die Steuern bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung sollten solche Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen abgeschöpft und Zinsnachteile auf Seiten des Steuergläubigers ausgeglichen werden, die mit einer Steuerfestsetzung nach Ablauf der Karenzfrist von 15 Monaten verbunden seien.

13Demgegenüber bewirke § 6 Abs. 5 AStG eine andere Verteilung des aus der Stundung der Wegzugsteuer resultierenden Liquiditätsvorteils. Beim Wegzug eines Unionsbürgers in einen anderen EU-Mitgliedsstaat, in dem er einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt, sei die gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstehende Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Hier werde die Fälligkeit des Steueranspruchs hinausgeschoben und der damit verbundene Liquiditätsvorteil dem Steuerpflichtigen zugewiesen.

14§ 6 Abs. 5 AStG verdränge nicht nur die Erhebung von Stundungszinsen nach § 234 AO, sondern sei auch bei der Anwendung des § 233a AO zu berücksichtigen. Es sei widersprüchlich, eine Steuerforderung vor ihrer Festsetzung zu verzinsen, wenn sie nach der Festsetzung kraft Gesetzes ohne Antrag unverzinslich gestundet werde. Andernfalls wandele sich § 233a AO von einer Vorschrift zum Ausgleich eines Liquiditätsvorteils zu einer solchen zur Sanktion für eine verspätete Festsetzung. Werde der Steueranspruch nicht mit seiner Festsetzung fällig, gebe es keinen Grund, die verspätete Festsetzung mit einem Zinsnachteil zu belegen. In diesem speziellen Fall fehle es an dem von § 233a AO vorausgesetzten ausgleichspflichtigen Liquiditätsvorteil.

15Einer solchen einschränkenden Auslegung des § 233a AO stehe nicht entgegen, dass der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung der Vollverzinsung für eine typisierende Betrachtung entschieden habe, so dass es für das Entstehen der Nachzahlungszinsen nicht auf einen konkreten Zinsvorteil ankomme. Stehe zweifelsfrei fest, dass dem Steuerpflichtigen aus der verspäteten Festsetzung kein Vorteil erwachse, widerspreche die Vollverzinsung dem Gesetzeszweck von § 233a AO und habe zu unterbleiben.

16In einer solchen Situation befänden sich die Kläger. Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 6 Abs. 5 AStG habe die verspätete Festsetzung der Wegzugsteuer den Klägern keinen Vorteil gebracht, den sie nicht gehabt hätten, wenn die Festsetzung innerhalb der Karenzfrist des § 233a AO erfolgt wäre.

17Die Vorschriften der § 233a AO und §§ 222, 234 AO beträfen den gleichen Regelungskreis. Zwar überschnitten sich die Anwendungsbereiche der § 233a AO und § 234 AO grundsätzlich nicht. Beide Vorschriften hätten jedoch den Ausgleich von Liquiditätsvorteilen bzw. –nachteilen aus dem Steuerschuldverhältnis im Zeitraum zwischen Steuerentstehung und Begleichung der Steuerschuld zum Gegenstand. Diese Zerlegung in eine Zeit vor und eine Zeit nach der Steuerfestsetzung habe vor allem historische Gründe.

18Soweit eine Steuerstundung die Höhe der gemäß § 233a AO festzusetzenden Zinsen grundsätzlich nicht beeinflusse, gelte dies nur für die Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen des Steuerpflichtigen iSv § 233a Abs. 3 Satz 3 AO, nicht jedoch für die bloße Festsetzung von Zinsen auf eine festgesetzte Steuer.

19Auch ein Vergleich des § 6 Abs. 5 AStG mit § 21 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 führe nicht weiter. Letzterer schließe lediglich die Erhebung von Stundungszinsen aus, während § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG anordne, dass die geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden sei. Es bestehe gerade kein Zusammenhang zwischen Steuerfestsetzung und Fälligkeit des Steueranspruchs. Nach diesem Wortlaut sei selbst eine Verzinsung des Steueranspruchs auch aufgrund anderer Rechtsgrundlagen als § 234 AO ausgeschlossen. Zudem ermögliche § 21 UmwStG 1995 keine dauerhafte Stundung, sondern lediglich eine Ratenzahlung in einem genau definierten Zeitraum von 5 Jahren ab Festsetzung der Steuer.

20b. Vollverzinsung der Wegzugsteuer im Lichte des Unionsrechtes

21Die Vollverzinsung der Wegzugsteuer sei mit Unionsrecht nicht vereinbar. Die Zuweisung des Liquiditätsvorteils zum Steuerpflichtigen in § 6 Abs. 5 AStG beruhe nicht auf einer autonomen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers. Die Regelung sei vielmehr Ausfluss europarechtlicher Vorgaben, wonach den Mitgliedstaaten eine an den Wegzug ins EU-Ausland anknüpfende Steuer erlaubt sei, sofern die damit verbundenen Belastungen des Steuerpflichtigen nicht über das hinausgingen, was unbedingt erforderlich sei, um das mit der Wegzugsteuer verfolgte Ziel einer angemessenen Aufteilung von Steuerhoheiten zu erreichen. Hierzu gehöre eine vollständige Freistellung von Zinsen, was nicht durch den Rückgriff auf nationale Zinsvorschriften wie den § 233a AO unterlaufen werden dürfe.

22Art. 49 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑AEUV‑ verbiete die Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates. Hieraus folge zwar nicht das Verbot einer Wegzugsteuer, aber das einer sofortigen Fälligkeit einer derartigen Steuer, zudem dürfe der Aufschub der Fälligkeit nicht mit einer Zinspflicht verbunden werden. Dieses Gebot der Unverzinslichkeit des Steueraufschubs sei mit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO nicht vereinbar. Die Niederlassungsfreiheit stehe einer durch den Wegzug ausgelösten Zinsbelastung ohne Rücksicht auf deren Einordnung in die Kategorien des nationalen Rechts entgegen, wenn diese Belastung bei einem Umzug im Inland nicht entstehen würde.

23Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass § 233a AO unterschiedslos auf grenzüberschreitende und inländische Sachverhalte angewandt werde. Eine Steuer auf den Vermögenszuwachs werde nur bei einem Wegzug ins Ausland, nicht jedoch bei einem Umzug im Inland festgesetzt. Zudem dürfe die Wegzugsteuer nach der Rechtsprechung des EuGH nur deswegen festgesetzt werden, um bei einer u.U. nach Jahrzehnten erfolgenden Veräußerung der Anteile Unsicherheiten über die Höhe der der Besteuerung des Herkunftsstaates unterfallenden stillen Reserven zu vermeiden. Weitergehende Belastungen dürften an die Festsetzung nicht geknüpft werden. Die Anwendung des § 233a AO bei einem ins Ausland umziehenden Steuerpflichtigen schöpfe einen angeblichen Liquiditätsvorteil ab, der einem im Inland umziehenden Steuerpflichtigen bis zur Veräußerung belassen werde.

24c. tatsächlicher Nachteil durch Festsetzung der Zinsen

25Trotz der erfolgten Stundung auch der Zinsen nach § 6 Abs. 5 AStG sei den Klägern durch die Festsetzung ein Nachteil entstanden. Werde der Steueranspruch in Zukunft fällig, müssten die Kläger auch die festgesetzten Zinsen bezahlen. Wäre dies anders, würde es den Klägern an einer Beschwer durch die Zinsfestsetzung fehlen und der Beklagte hätte den Einspruch gegen die Zinsfestsetzung als unzulässig zurückweisen müssen.

26Die Kläger beantragen,

27den Bescheid für 2006 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. August 2011 insoweit aufzuheben, als darin Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von „…“ € festgesetzt werden,

28hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, diese Zinsen zu erlassen, sowie

29hilfsweise die Revision zuzulassen.

30Der Beklagte beantragt,

31die Klage abzuweisen,

32hilfsweise die Revision zuzulassen.

33Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 und führt ergänzend aus, dass die Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG und unionsrechtliche Vorgabe nicht eingeschränkt werde. Betroffen sei das Verhältnis von § 233a AO zur Stundung nach § 222 ff AO. § 6 Abs. 5 AStG sei ausschließlich lex specialis zu § 222 AO (FG Hamburg, Urteil vom 28.2.2006 VI 401/03 EFG 2006, 1380). Demgegenüber werde die Höhe der gemäß § 233a AO festzusetzenden Zinsen durch eine etwaige Stundung nicht beeinflusst (BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827). Die durch den Wegzug der Kläger nach Österreich entstandene Wegzugsteuer sei tatsächlich verspätet festgesetzt worden, obwohl die Kläger hätten darauf hinwirken können, dass mit Verwirklichung des Wegzugstatbestandes zeitnah ein entsprechender Steuerbescheid erging, und die Rechtsfolgen des § 233a AO so vermieden worden wären.

34Die Vollverzinsung gemäß § 233a AO sei bereits im Jahre 1990 durch das Steuerreformgesetz ‑StReformG 1990‑ eingeführt worden. Dem Gesetzgeber wäre es bei der Schaffung des § 6 AStG, der erst im Jahre 2006 durch das SEStEG auch zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 11.03.2004 C- 9/02 Lasteyrie du Saillent, IStR 2004, 236) geschaffen wurde, möglich gewesen, das Entstehen von Zinsen gemäß § 233a AO auf die Wegzugsteuer zu verhindern, indem er eine dem § 234 Abs. 3 AO vergleichbare Regelung getroffen hätte. Dass der Gesetzgeber eine solche Regelung nicht getroffen habe, spreche gegen eine planwidrige Lücke.

35Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des  Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.

36Entscheidungsgründe:

37Die Klage ist begründet.

38Die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO zur Einkommensteuer für das Jahr 2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, als die Zinsen iHv „…“ € auf die sog. Wegzugsteuer entfallen, § 100 Abs. 1 FGO.

39Zu Unrecht hat das FA im Rahmen der Ermittlung der nach § 233a Abs. 1 AO festzusetzenden Zinsen bei der festgesetzten Steuer iSv § 233a Abs. 3 AO auch die gemäß § 6 Abs. 1 AStG geschuldete und nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Satz AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stundende Steuer berücksichtigt.

40a. Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 AO

41Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 3 AO auch hinsichtlich der gemäß § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG festgesetzten Wegzugsteuer der Kläger vor.

42Führt die Festsetzung der Einkommensteuer zu einem Unterschiedsbetrag, resultierend aus der festgesetzten Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO), ist dieser unabhängig davon, zu wessen Gunsten er ausfällt, nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

43Die gemäß § 233a AO festgesetzten Zinsen iHv „…“ € auf die gemäß § 6 Abs. 1 AStG durch den Wegzug entstandene und verspätetet festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2006 wurden, was unstreitig ist, rechnerisch richtig für 37 volle Monate, vom 1.4.2008 bis 23.5.2011, mit 0,5 % pro Monat, insgesamt 18,5 %, berechnet.

44b. Verdrängung des § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG

45Die Regelung des § 233a AO wird jedoch im Streitfall durch § 6 Abs. 5 AStG verdrängt. Zwar regelt § 6 Abs. 5 AStG dem Wortlaut nach lediglich die – zinslose – Stundung der Wegzugsteuer. Nach der Zielsetzung der Neuregelung des § 6 Abs. 5 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung steht dieser nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen gemäß § 234 AO, sondern auch der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO entgegen.

46aa. Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG

47Die durch den Wegzug der Kläger entstandene Wegzugsteuer ist, wie das FA dies auch mit Bescheid vom 28.6.2011 durchgeführt hat, gemäß § 6 Abs.5 AStG zinslos zu stunden.

48Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staats ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist (Vertragsstaat des EWR-Abkommens), und er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt.

49Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.

50§ 27 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 UmwStG 2006 ordnet in den Fällen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 die Anwendung von § 6 Abs. 5 AStG für alle noch nicht bestandkräftigen Einkommensteuerveranlagungen an.

51Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, hat der Kläger durch die mit dem Umzug verbundene Verlagerung seines Lebensmittelpunktes von Deutschland nach Österreich im Streitjahr den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG iVm § 17 EStG bzw. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 hinsichtlich der einbringungsgeborenen Anteile verwirklicht. Die Kläger waren als deutsche Staatsangehörige zuvor über 10 Jahre in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach der Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Kläger nach Österreich unterliegen sie dort gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 öEStG mit allen in- und ausländischen Einkünften der österreichischen Einkommensbesteuerung.

52bb. Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG reicht über den Wortlaut hinaus

53Der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG, wonach die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, steht der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG nicht entgegen. Hiernach handelt es sich bei der Regelung des § 6 Abs. 5 AStG um eine Sonderregelung zu §§ 222, 234 AO: die geschuldete Wegzugsteuer ist – im Gegensatz zur Stundung nach der Abgabenordnung – zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden.

54Nach der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG steht dieser jedoch nicht nur einer zinsbewehrten Stundung, sondern auch der sog. Vollverzinsung des § 233a AO für eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer entgegen.

55Mit den durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) geänderten Vorschriften insbesondere des § 6 AStG sollte die Wegzugsbesteuerung des AStG den Vorgaben des EuGH in seiner Entscheidung vom 11. März 2004 (C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236) angepasst und europarechtskonform ausgestaltet werden. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der in Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung nunmehr Art. 49 AEUV) verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung einzuführen, wonach latente – also noch nicht realisierte – Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt (vgl. auch EuGH-Urteil vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702). Zwar steht der Bundesrepublik Deutschland das Recht zu, den Wertzuwachs wesentlicher Beteiligungen bei Wegzug von Steuerpflichtigen zu besteuern, die Steuer soll aber erst dann erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen Veräußerungsgewinn erzielt (Bt-Drs. – 16/2710, S. 27).

56In der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG heißt es hierzu:

57Der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland löst die Steuerpflicht aus. Da aber der Wegzug eines unbeschränkt steuerpflichtigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR, der aus Deutschland in einen dieser Staaten zieht, nach EG-Recht (z. B. Niederlassungsfreiheit) nicht behindert werden darf, wird die nach Absatz 1 zusätzlich geschuldete Steuer nach Satz 1 von Amts wegen zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet. Der Betrag der zusätzlich geschuldeten Steuer entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen unter Einbeziehung der Einkünfte nach Absatz 1 und der tariflichen Einkommensteuer ohne Anwendung des Absatzes (Bt-Drs. 16/2710, S. 53).

58Der Fall der Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätete festgesetzte Steuer verletzt ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Auch in der Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO auf die Wegzugsteuer liegt eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen, der von Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat verzieht, gegenüber dem Steuerpflichtigen, der innerhalb Deutschlands umzieht, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung erkennbar wäre.

59(1) Benachteiligung des Umzugs in das EU-Ausland gegenüber Inlandsumzug

60Wären die Kläger nicht nach Österreich, sondern lediglich im Inland verzogen, wäre keine Steuer allein durch den Wegzug entstanden; dementsprechend wäre – mangels Steuer – auch keine Zinsfestsetzung nach § 233a AO möglich. Der Fall des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat wird folglich gegenüber dem Inlandsfall benachteiligt und macht die Ausübung der durch Art. 49 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit zumindest weniger attraktiv.

61(2) Fehlen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung

62Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO auf eine zwar verspätet festgesetzte, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundende Wegzugsteuer geht über das hinaus, was zur Erreichung des mit der Festsetzung der Wegzugsteuer verfolgten Zieles erforderlich ist.

63Nationale Maßnahmen sind europarechtlich trotz Behinderung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zulässig, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist (EuGH, Urteile vom 11. März 2004 C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236; und vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702).

64Die Festsetzung der Steuer nach § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG ist lediglich in Hinblick auf die Sicherstellung der Rechte auf Besteuerung der auf dem Staatsgebiet des Mitgliedstaates Deutschland entstandenen stillen Reserven zulässig. Ein Mitgliedstaat darf den zugrunde liegenden Betrag, über den er seine Besteuerungshoheit wahren will, festlegen, sofern dies nicht zu einer sofortigen Erhebung der Steuer führt und der Steueraufschub an keine weiteren, den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig belastenden Bedingungen gebunden ist. Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben darf es nicht zu einer mit wirtschaftlichen Nachteilen belasteten Festsetzung der Wegzugsteuer kommen (EuGH, Urteile vom 11. März 2004 C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236; und vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702; Dörfler/Ribbrock in BB 2008, 304 (308)).

65Um die in Deutschland angefallenen Wertzuwächse für den in der Zukunft liegenden Fall zu erfassen, dass der Steuerpflichtige diese Wertzuwächse auch realisiert, ist ausreichend, dass die Steuer gleichsam festgestellt wird, wie dies mit Festsetzung und zinsloser Stundung nach § 6 AStG realisiert werden soll. Nicht erforderlich zur Sicherstellung dieses Besteuerungsrechts ist jedoch, dass bei verspäteter Festsetzung der zu stundenden Steuer Zinsen gemäß § 233a AO festgesetzt werden.

66Nach den Vorgaben des EuGH und der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommen, ist die Vorschrift daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur eine geschuldete und festgesetzte Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, sondern auch, dass eine geschuldete und verspätet festgesetzte Wegzugsteuer ohne eine aus der Verspätung resultierende Zinsbelastung festzusetzen ist, wenn diese nach § 6 Abs. 5 AStG nach Festsetzung zinslos zu stunden ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind in die betroffene nationale Norm hineinzulesen (vgl. BFH, Urteil vom 25.08.2009 I R 88,89/07, BFHE 226, 296; BFH/NV 2009, 2295).

67(3) Stundung auch der Zinsen kein Nachteilsausgleich

68Diesen europarechtlichen Erfordernisse wird nicht dadurch genügt, dass – wie im Streitfall – die gemäß § 233a AO festgesetzten Zinsen auf die Wegzugsteuer ebenso wie diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werden. Hierdurch wird der Zeitpunkt der europarechtlich unzulässigen Belastung mit den festgesetzten Zinsen lediglich hinausgeschoben, aber die Belastung selber nicht beseitigt.

69Zum einen geht bereits diese Stundung über den Wortlaut des § 6 Abs. 5 AStG hinaus: hiernach ist nur die gemäß § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zu stunden, von etwaigen Zinsen ist keine Rede. Zum anderen ändert diese Stundung nichts an der erfolgten Festsetzung der Zinsen und der hiermit verbundenen Belastung; wird die Stundung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG widerrufen, weil der Steuerpflichtige die in Deutschland begründeten Wertzuwächse tatsächlich realisiert oder in ein Drittland verzieht, werden auch die festgesetzten Zinsen gemäß § 233a AO fällig.

70cc. Sinn und Zweck des § 233a AO

71Es entspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 233a AO, wenn die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stundende Wegzugsteuer nicht der Vollverzinsung unterfällt.

72Zinsen sind steuerliche Nebenleistungen iSv § 3 Abs. 4 AO, die das Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis voraussetzen und nur erhoben werden, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Es besteht kein allgemeiner Grundsatz der Abgabenordnung, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen sind (BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827). Dementsprechend handelt es sich bei der gesetzlich geregelten Verzinsung nicht um eine steuerliche Sanktion, sondern diese dient allein dem Zweck, potentielle Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. Die Vollverzinsung des § 233a AO hat zwei Zielsetzungen: zum einen dient sie der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, indem sie einen Ausgleich dafür schafft, dass die Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. Bt-Drs. 11/2157,194). Zum anderen sollen erlangte Nutzungsvorteile abgeschöpft werden, indem der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und der Zinsvorteil des Steuergläubigers gleichermaßen ausgeglichen werden (vgl. BFH, Urteil vom 19.3.1997 I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446; Seer/Klemke, Neuordnung der Verzinsung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnis, Berlin 2013, S. 21, 125).

73Beiden Zielsetzungen der Verzinsung nach der Abgabenordnung widerspricht eine Verzinsung der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stunden ist:

74Der Kläger, dessen gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstandene Steuer nach Ablauf der Karenzfrist des § 233 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzt wurde, erlangte hierdurch keinen, auch keinen abstrakten, Nutzungsvorteil gegenüber demjenigen, dessen Steuerfestsetzung innerhalb dieser Karenzfrist erfolgte, weil die Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 5 AStG von Anfang an zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden war. In beiden Fällen ist die Steuer nicht fällig, ohne dass das Herausschieben der Fälligkeit einen Nutzungsvorteil auf Seiten des einen Steuerpflichtigen begründet, den ein anderer Steuerpflichtiger, dessen Wegzugsteuer zeitnah festgesetzt wurde, nicht hätte.

75Auch ist kein Zinsnachteil des Steuergläubigers bei einer verspätet festgesetzten, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundenden Wegzugsteuer erkennbar.

76Zwar ist für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Zinsvorteil oder -nachteil entstanden ist, weil § 233a AO den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers ausgleichen soll, ohne dass es auf eine konkrete Berechnung tatsächlich eingetretener Zinsvorteile und Zinsnachteile ankommt; diese sollen für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen (BFH, Urteil vom 19.3.1997 I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446). Bei der Wegzug-steuer nach § 6 Abs. 1 AStG kann es aufgrund der Ausgestaltung des § 6 Abs. 5 AStG jedoch generell nicht zu einem Vorteil des Steuerpflichtigen kommen, dessen Steuer nicht zeitnah festgesetzt und beigetrieben wird, ohne dass es einer konkreten Berechnung bedürfte. Die Erhebung der Wegzugsteuer soll gerade nicht zeitnah, sondern erst dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen der Tatbestände des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG erfüllt. Steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Festsetzung keine Vor- oder Nachteile hatte, kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenen Steuernachforderung kein Vor- oder Nachteil ausgeglichen werden. Für den durch die Vorschrift des § 233a AO bezweckten Ausgleich ist dann kein Raum (BFH, Urteil vom 10.7.1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

77Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (BFH, Urteil vom 16.10.1991 I R 145/90, BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 321). Anders als im Falle einer Stundung nach § 222 AO wird der Steuerpflichtige durch eine auf § 6 Abs. 5 AStG gestützte Stundung in die Lage versetzt, das Geldkapital, das die gestundete Steuerschuld verkörpert, ohne Zinsen, also ohne Entgelt anderweitig zu nutzen. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum für die Zeit zwischen materiell-rechtlicher Entstehung und Festsetzung einer Steuerschuld Zinsen für diese entstehen sollen, wenn dies auch für die Zeit nach der Festsetzung durch die Verpflichtung zur zinslosen Stundung ausgeschlossen ist.

78Das Absehen von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzug-steuer führt auch nicht dazu, dass diese als gezahlte Steuer iSv § 233a Abs. 3 AO bei der Berechnung von Zinsen zugunsten des Steuerpflichtigen und damit gleichsam doppelt berücksichtigt wird (vgl. zur Berücksichtigung einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten „Entstrickungssteuer“ als „gezahlte Steuer“ iSv § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 28.2.2006 VI 401/03, EFG 2006, 1380; zur Berücksichtigung einer zu Unrecht erfolgten Aufrechnung von zu erstattenden Steuerabzugsbeträgen mit einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten Entstrickungssteuer im Rahmen der Zinsberechnung des § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 24.4.2009 6 K 44/08, juris; BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827: hier ist der Ausgleich des Liquiditätsvorteils über den Erlass eines Abrechnungsbescheides hinsichtlich der zu Unrecht erfolgten Aufrechnung zu suchen).

79Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

80Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig

Der Kläger ist Eigentümer eines Zweifamilienhauses in einem ehemaligen Bergbaugebiet. In seiner Einkommensteuererklärung für 2010 machte er Rechtsanwaltsgebühren und Gutachterkosten im Zusammenhang mit einem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Kläger hatte Schadensersatzansprüche gegen das Bergbauunternehmen erhoben und schließlich vor der Schlichtungsstelle einen Vergleich erwirkt. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung unter Hinweis auf die fehlende Zwangsläufigkeit ab.

Dem ist das Finanzgericht Düsseldorf unter Berufung auf die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die einen Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung zulässt, entgegen getreten. Zwar handele es sich bei der Anrufung der Schlichtungsstelle Bergschaden nicht um die Beschreitung des Rechtswegs im engeren Sinne, das Schlichtungsverfahren stelle aber eine „Vorstufe“ zum Zivilprozess dar. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens sei ebenfalls Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Tragfähige Gründe, die eine Differenzierung zwischen zivilgerichtlichen Verfahren und Schlichtungsverfahren rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat hier ebenfalls die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 06.12.2013 zum Urteil 11 K 3540/12 vom 08.08.2013 aus Newsletter 11/2013

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 3540/12 E

Datum:
08.08.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 3540/12 E
Tenor:

Der Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2010 vom 21. November 2012 wird dahingehend abgeändert, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Die Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrags wird dem Beklagten übertragen.

Die Verfahrenskosten trägt der Beklagte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:2Streitig ist die Berücksichtigung von Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung.

3Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielt der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Solaranlage).

4Der Kläger ist seit 8. Dezember 2010 Eigentümer des Objekts A-Weg in A-Stadt, das sich in einem ehemaligen Bergbaugebiet befindet. Er hat das Zweifamilienhaus aufgrund des notariellen Übergabevertrags vom 4. März 2010 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern, den Eheleuten E, übernommen. Besitz, Nutzungen und Lasten sind am 1. April 2010 auf den Kläger übergegangen. Nachdem der Vater des Klägers zwischenzeitlich verstorben und von der Mutter des Klägers beerbt worden war, änderten der Kläger und seine Mutter den Vertrag mit notarieller Urkunde vom 28. Oktober 2010 im Hinblick auf nicht streitrelevante Regelungen ab. Zugleich wurde der Vertrag vom 4. März 2010 genehmigt.

5In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2010 machten die Kläger Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Bergbauschaden an dem vorgenannten Objekt i. H. v. 5.388 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Hierbei handelte es sich um Rechtsanwaltsgebühren für die Vertretung in einem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW i. H. v. 3.111,85 €, die den Eltern des Klägers in Rechnung gestellt worden waren, sowie um gegenüber dem Kläger selbst abgerechnete Gutachterkosten im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 2.275,28 €. Im Einzelnen wurden folgende Aufwendungen geltend gemacht:

6

Zahlungsempfänger (Rechnungsdatum) Abgerechnete Tätigkeit Betrag
RA R (24.04.2010) Vorschussrechnung für die Vertretung im Schlichtungsverfahren 3.111,85 €
Dipl.-Ing. D (27.10.2010) Bergschadenkundliche Begleitung im Verhandlungstermin vor der Schlichtungsstelle 547,40 €
Dipl.-Ing. D (29.06.2010) Erstellung der Schadensdokumentation 561,68 €
Dipl.-Ing. D (04.06.2010) Markscheiderische Fachbegleitung im Schlichtungsverfahren 309,40 €
Dipl.-Ing. D (26.05.2010) Markscheiderische Fachbegleitung im Schlichtungsverfahren 309,40 €
Dipl.-Ing. D (21.04..2010) Bergschadenkundliche Begleitung im Verhandlungstermin vor der Schlichtungsstelle 547,40 €

7Hintergrund dieser Aufwendungen war, dass die Eltern des Klägers im Jahr 2009 einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem zuständigen Bergbauunternehmen geltend gemacht hatten. Diese hatte zunächst weitere – über eine im Jahr 2007 erfolgte Schadensregulierung hinausgehende – Entschädigungszahlungen abgelehnt (vgl. Schreiben vom 9. Oktober 2009, Blatt 21 ff. der Gerichtsakte). Daraufhin hatten die Eltern des Klägers ein Schlichtungsverfahren bei der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW beim Regionalverband Ruhr eingeleitet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2011 hatten die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, wonach das Bergbauunternehmen 22.000 € zu zahlen hatte (Blatt 24 der Gerichtsakte). Die Zahlung war auf das Konto des Klägers erfolgt.

8Der Beklagte versagte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Einkommensteuerbescheid vom 10. August 2011 und wies auf die fehlende Zwangsläufigkeit der Aufwendungen hin. Dagegen legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein und beriefen sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015). Mit Bescheid vom 17. Oktober 2011 änderte der Beklagte die Festsetzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO –, allerdings ohne die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens verwies er auf den Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2011 (BStBl I 2011, 1286).

9Mit Einspruchsentscheidung vom 21. August 2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass dem Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung die fehlende Zwangsläufigkeit entgegenstehe. Das BFH-Urteil vom 12. Mai 2012 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) sei zu Zivilprozesskosten ergangen. Anders als der Zivilprozess, dem sich der Steuerpflichtige aufgrund des Rechtsstaatsprinzips nicht entziehen könne, sei das Schlichtungsverfahren ein freiwilliges Verfahren. Zudem seien die Gutachterkosten im Zeitraum April bis Oktober 2010 und damit vor dem Eigentumsübergang auf den Kläger abgerechnet worden. Der Kläger selbst habe den Sachverständigen beauftragt, Schadensersatzansprüche hätten jedoch allein seinen Eltern zugestanden. Daher lägen steuerlich nicht absetzbare Zuwendungen des Klägers an seine Eltern vor. Soweit die Eltern selbst Rechnungsempfänger gewesen seien, komme eine Berücksichtigung nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungs- oder Vertragswegs ebenfalls nicht in Betracht.

10Die Kläger haben am 24. September 2012 Klage erhoben. Zur Begründung berufen sie sich weiterhin auf das BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) und machen geltend, die Aufwendungen seien zwangsläufig entstanden. Das Bergbauunternehmen habe eine Schadensregulierung mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 abschließend zurückgewiesen. Für derartige Fälle sei beim Regionalverband Ruhr eine Schlichtungsstelle für Bergschäden eingerichtet, an die sich Bergschadensbetroffene in NRW wenden könnten. Der ordentliche Rechtsweg werde durch dieses Schlichtungsverfahren nicht ausgeschlossen, allerdings werde die Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche gehemmt. Da sich im Schlichtungsverfahren regelmäßig Kostenvorteile ergäben, da insbesondere für das Verfahren selbst keine Kosten – insbesondere keine Gerichtskosten – anfielen, sei dies für Betroffene der günstigste Weg, ihre Entschädigungsansprüche geltend zu machen, ohne einen Rechtsverlust zu erleiden. Im Rahmen des Schlichtungsverfahrens sei in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2011 hinsichtlich der geltend gemachten Schäden eine Einigung gefunden worden. Dieses Verfahren habe der Kläger selbst geführt, die Entschädigung sei auf sein Konto geflossen. Das Verhandlungsergebnis zeige, dass das Schlichtungsverfahren nicht mutwillig gewesen sei, sondern Aussicht auf Erfolg geboten habe, denn ansonsten hätte sich das Bergbauunternehmen zu der entsprechenden Zahlung nicht verpflichtet.

11Die angefallenen Rechtsverfolgungskosten seien zwangsläufig, da die Bergbauschäden insbesondere im Hinblick auf die damit regelmäßig verbundenen Schadenshöhen und die Auswirkungen in vermögensrechtlicher Sicht gravierend und existenzberührend seien. Insbesondere aufgrund dieser für die Geschädigten mit der Geltendmachung verbundenen Folgen, der bergbaurechtlichen Besonderheiten und gesetzlichen Regelungen sei auch die anwaltliche Zuhilfenahme im Verfahren dringend geboten und daher im Sinne der gesetzlichen Regelung zwangsläufig. Denn alternativ zum Schlichtungsverfahren wäre den Klägern nur die Durchführung der Zivilklage möglich gewesen, um die eindeutige und endgültige Zurückweisung der Ansprüche durch das Bergbauunternehmen angreifen zu können. In diesem Verfahren wären jedoch nicht nur identische, sondern tatsächlich sogar noch höhere Kosten – insbesondere Gerichtskosten – angefallen, die durch die Durchführung des Schlichtungsverfahrens tatsächlich hätten vermieden werden können. Die Auffassung des Beklagten, es würde sich insoweit nicht um Prozesskosten handeln, sei jedenfalls falsch. Tatsächlich sei der ordnungsgemäße Rechtsweg beschritten und eine staatliche Stelle genutzt worden. Im Übrigen werde auch ein Zivilprozess freiwillig eingeleitet. Es könne keinerlei Unterschied machen, ob der Steuerpflichtige unmittelbar ein (kostenträchtigeres) Zivilverfahren einleite oder ein staatlich zur Verfügung gestelltes Schlichtungsverfahren nutze. Die Ausführungen des BFH im vorgenannten Urteil seien eins zu eins auf das Schlichtungsverfahren übertragbar.

12Im Hinblick auf die angefallenen Gutachterkosten werde auf die einzelnen Rechnungen und Gutachten (Blatt 104 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Hintergrund der Aufwendungen sei die Schadensdokumentation und -feststellung sowie die fachkundliche Begleitung in dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle gewesen. Daher seien auch diese Aufwendungen zwangsläufig angefallen.

13Schließlich komme der Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung auch auf der Grundlage der früheren – strengeren – Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung in Betracht. Da die dem Kläger gehörende und durch Bergschäden erheblich beschädigte Immobilie betroffen sei, habe das Schlichtungsverfahren eine existenziell wichtige Lebensfrage im Kernbereich des Lebens berührt. Dies gelte umso mehr, als die Bergschäden zu einer Beschädigung des Entwässerungssystems und damit zu einer Verunreinigung des Grundwasserbrunnens geführt hätten.

14Nachdem der Beklagte den angefochtenen Bescheid am 21. November 2012 wegen nicht streitiger Gesichtspunkte nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert hat, beantragen die Kläger,

15den Einkommensteueränderungsbescheid vom 21. November 2012 dahingehend abzuändern, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden sowie

16die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,

17hilfsweise, die Revision zuzulassen.

18Der Beklagte beantragt,

19              die Klage abzuweisen,

20              hilfsweise, die Revision zuzulassen.

21Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, das Schlichtungsverfahren sei – anders als der Zivilprozess – ein freiwilliges Verfahren. Denn der ordentliche Rechtsweg sei durch das Schlichtungsverfahren nicht ausgeschlossen worden. Der Steuerpflichtige müsse aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols zur Durchsetzung seiner Ansprüche den Rechtsweg beschreiten, nicht aber ein Schlichtungsverfahren durchführen.

22Darüber hinaus hat der Beklagte im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren das Ruhen des Verfahrens angeregt.

23Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschrift vom 8. August 2013, und der beigezogenen Steuerakte des Beklagten Bezug genommen.

24Entscheidungsgründe:

25Die vom Beklagten vor dem Hintergrund der anhängigen Revisionsverfahren angeregte Verfahrensruhe (§ 155 der Finanzgerichtsordnung – FGO – in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –) kommt nicht in Betracht, da die Kläger ihr nicht zugestimmt haben. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO hält der Senat im Hinblick auf die besonderen Umstände des Streitfalls (Schlichtungsverfahren als besondere „Form“ des Zivilprozesses) für nicht angezeigt.

26Die Klage ist begründet

27Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 21. November 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit der Beklagte Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG berücksichtigt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

28Die geltend gemachten Aufwendungen können i. H. v. 5.388 € unter Abzug der zumutbaren Belatung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes – EStG – abgezogen werden.

29Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

30Nach dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 mit weiteren Nachweisen) können Zivilprozesskosten – in Änderung der bis dato ständigen Rechtsprechung – unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, dass die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko „freiwillig“, verkenne, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren seien. Dies folge aus dem Rechtsstaatsgrundsatz. Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung sei für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) belastet sei. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, werde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Als außergewöhnliche Belastungen seien Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Er müsse diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein. Demgemäß seien Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe.

311. In Anwendung dieser Grundsätze sind dem Kläger die streitgegenständlichen Aufwendungen aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zwar handelt es sich bei der Anrufung der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW nicht um die Beschreitung des Rechtsweges im engeren Sinne. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens stellt insbesondere keine Prozessvoraussetzung für das zivilgerichtliche Verfahren (vgl. die obligatorische Streitschlichtung in § 15a des Einführungsgesetzes zur ZPO – EGZPO –) dar. Zudem ist die Einrichtung der Schlichtungsstelle nicht auf gesetzlicher Grundlage erfolgt, vielmehr haben sich das Bergbauunternehmen und weitere Bergbauunternehmen vertraglich zur Beilegung von Streitigkeiten aus Bergschadensersatzansprüchen im Steinkohlerevier in NRW verpflichtet. Gleichwohl sieht der erkennende Senat im Schlichtungsverfahren eine „Vorstufe“ zum Zivilprozess und damit eine Maßnahme zur Beschreitung des Rechtswegs im weiteren Sinne. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ist ebenfalls Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Dafür spricht insbesondere, dass das Wirtschaftsministerium des Landes NRW die Schlichtungsstelle auf Anregung des Landesverbandes der Bergbaubetroffenen und auf Initiative des Unterausschusses „Bergbausicherheit“ des Landtages unter Mitwirkung der beteiligten Interessenverbände, der Unternehmen des Steinkohlenbergbaus sowie des Regionalverbands Ruhr und des Justizministeriums organisiert hat (vgl. Presseinformation des Landesministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 6. Februar 2009, abrufbar unter. Zudem ist die Schlichtungsstelle beim Regionalverband Ruhr, dem Zusammenschluss der elf kreisfreien Städte und vier Kreise in der Metropole Ruhr, und damit bei einer staatlichen Stelle eingerichtet worden.

32Der erkennende Senat kann keine tragfähigen Gründe erkennen, die eine Differenzierung zwischen zivilgerichtlichen Verfahren und Schlichtungsverfahren im Anwendungsbereich des § 33 EStG rechtfertigen könnten. Beide Verfahren werden auf der Grundlage einer freien Entscheidung des Steuerpflichtigen eingeleitet. Gleichwohl handelt es sich jeweils um vom Verfassungsstaat legitimierte geordnete (staatliche) Verfahren. Sie dienen letztlich beide dazu, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen zu verwehren, einem zentralen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015). Die Schlichtungsstelle trifft ihre Entscheidungen ebenfalls auf der Grundlage der Rechtsvorschriften der BRD (§ 4 Ziff. 2 der Schlichtungsordnung). Das Schlichtungsverfahren stellt aus der Sicht der Betroffenen allein eine kostengünstige Maßnahme zur Streitbeilegung dar, wobei der (ordentliche) Rechtsweg nicht ausgeschlossen und die Verjährung von Bergschadensersatzansprüchen gehemmt wird (§ 8 der Schlichtungsordnung). Dies rechtfertigt mit Blick auf § 33 EStG aber keine abweichende Beurteilung. Es kann dem Steuerpflichtigen aus steuerlicher Sicht nicht zum Nachteil gereichen, wenn er aus wirtschaftlichen Gründen nicht den Weg zu den Zivilgerichten beschreitet, sondern ein Schlichtungsverfahren einleitet. Auch dann wird die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gemindert, so dass der Sinn und Zweck des § 33 EStG die Berücksichtigung der Aufwendungen gebietet.

33Der Kläger hat sich auch nicht mutwillig oder leichtfertig auf das Schlichtungsverfahren eingelassen. Die Kosten stellen sich als unausweichlich dar, da die Rechtsverfolgung aus der Sicht eines verständigen Dritten – wie der Ausgang des Schlichtungsverfahrens zeigt – hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.

34Vor diesem Hintergrund kann der Senat offen lassen, ob sich die Schlichtungskosten – wie die Kläger meinen – auch in Anwendung der mittlerweile überholten BFH-Rechtsprechung zu Prozesskosten als abzugsfähig darstellen. Danach konnten Zivilprozesskosten (nur dann) abzugsfähig sein, wenn der Steuerpflichtige ohne den Prozess Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren, oder wenn um Kernbereiche des Lebens gestritten wird (vgl. nur BFH-Urteil vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726; Loschelder, in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 33 Rn. 35 „Prozesskosten“). Im Hinblick auf die aus den streitgegenständlichen Bergschäden resultierende Trinkwasserproblematik liegt eine Berührung des Kernbereichs des Lebens zumindest nicht fern. Darauf kommt es jedoch nicht mehr an, da die rechtliche Zwangsläufigkeit ohnehin zu bejahen ist.

352. Die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 EStG sind erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Aufwendungen i. H. v. 5.388 € können daher nach Abzug der zumutbaren Belastung im Sinne des § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i. H. v. 945,90 € (31.530 € Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß Bescheid vom 21. November 2012 x 3 %) – mithin im Umfang von 4.442,10 € – als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden.

363. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, 1809) – AmthilfeRLUmsG –, wonach Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug ausgeschlossen sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, gelangt im Streitfall nicht zur Anwendung. Da der Gesetzgeber keine besondere Anwendungsbestimmung aufgestellt hat, gilt die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Norm (Art. 31 Abs. 1 des AmtshilfeRLUmsG) ab dem Veranlagungszeitraum 2013 (§ 52 Abs. 1 EStG).

37Die Übertragung der Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrags auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

38Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

39Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

40Die Revision war zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zuzulassen.

Voraussetzungen für Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 3a Satz 3 AO)

Voraussetzungen für Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 3a Satz 3 AO)

Kernaussage

In der Abgabenordnung wird die sog. Ablaufhemmung des Rechtsbehelfsverfahrens erweitert, sofern das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft und ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist. Das Gericht trifft keine abschließende Sachentscheidung, wenn es den angefochtenen Bescheid aus Gründen aufhebt, die dem Bescheid selbst anhaften und die nicht den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Steueranspruch betreffen.

Sachverhalt

Die Kläger sind Erben ihrer 2002 verstorbenen Mutter. Der 1984 verstorbene Vater hatte seine Kinder zu Erben eingesetzt und seine Ehefrau mit mehreren Vermächtnissen bedacht. 1988 setzte das Finanzamt gegen die Mutter Erbschaftssteuer in Höhe von 629.469 DM fest. Hiergegen wurde durch mehrere Instanzen vorgegangen und am Ende obsiegt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hob den ursprünglichen Bescheid 2009 vollumfänglich auf. Das Finanzamt erließ daraufhin 2010 einen neuen Bescheid über die obige Summe gegenüber den Erben.

Entscheidung

Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor dem BFH erfolglos. Das Finanzamt war nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gehindert, den angefochtenen Erbschaftssteuerbescheid erneut zu erlassen. Durch die vollständige Kassation des ursprünglichen Bescheids war der Anwendungsbereich der Erweiterungsvorschrift (§ 171 Abs. 3a Satz 3 AO) eröffnet. Infolgedessen war im vorliegenden Fall im Jahr 2010 die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten. Durch den Einspruch, das Klageverfahren und den anschließenden Bescheid war der Ablauf der Festsetzungsfrist bis zum Erlass des neuen Bescheids im Jahr 2010 gehemmt.

Konsequenz

Die verlängerte Ablaufhemmung gilt nur bei der sog. echten Kassation, nicht bei der unechten Kassation (Aufhebung durch Gericht hat selbst regelnden Charakter). Ob eine echte oder unechte Kassation vorliegt, ist anhand der Rechtskraftwirkung des Urteils festzustellen.

Insolvenzanfechtung: Rückforderung von Arbeitsvergütung

Insolvenzanfechtung: Rückforderung von Arbeitsvergütung

Kernaussage

Eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, ist anfechtbar. Soweit Gehaltszahlungen des Arbeitgebers für Arbeitsleistungen der dem Insolvenzantrag vorausgehenden 3 Monaten gezahlt werden, unterliegen sie als Bargeschäft nicht der Anfechtung. Anders verhält es sich allerdings, wenn der Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung seine Arbeitsvergütung erlangt. In diesem Fall kann ein Insolvenzverwalter grundsätzlich die Rückzahlung des Arbeitsentgelts zur Masse verlangen. Der Rückforderungsanspruch unterliegt auch keinen tariflichen Ausschlussfristen.

Sachverhalt

Die Klägerin hat in den letzten 3 Monaten vor dem Insolvenzantrag durch Forderungspfändungen rückständiges Arbeitsentgelt erlangt. Fast 3 Jahre später hat der Insolvenzverwalter die Zahlungen angefochten. Mit der Widerklage verlangt er die Rückzahlung an die Masse. Das Arbeitsgericht gab der Widerklage statt, das Landesarbeitsgericht (LAG) wies sie wegen der Versäumung tariflicher Ausschlussfristen ab. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab dem Insolvenzverwalter grundsätzlich Recht und verwies die Sache zurück.

Entscheidung

Eine im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Befriedigung ist nicht „in der Art“, wie sie der Gläubiger zu beanspruchen hat, erfolgt. Es liegt eine sog. inkongruente Deckung vor. Liegen die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen vor, kann der Insolvenzverwalter daher die Rückzahlung von Arbeitsvergütung zur Masse verlangen. Ferner sind tarifliche Ausschlussfristen auf die insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln nicht anwendbar. Die Tarifvertragsparteien dürfen in die Insolvenzregelungen nicht eingreifen. Diese sind zwingendes Recht. Das LAG wird zu klären haben, ob die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Zustellung des Pfändungsbeschlusses bereits vorlag.

Konsequenz

Mit dem vorliegenden Urteil hat das BAG die rechtliche Stellung des Insolvenzverwalters gestärkt. Wurde die rückständige Arbeitsvergütung im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt, ist verstärkt mit der Insolvenzanfechtung zu rechnen.

Wann hat ein Gläubiger Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners?

Wann hat ein Gläubiger Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners?

Kernaussage

Eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger setzt voraus, dass der Anfechtungsgegner zur Zeit der angefochtenen Handlung den Vorsatz des Schuldners zur Gläubigerbenachteiligung kannte. Dabei kommt den Beweisanzeichen der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und der Inkongruenz der von ihm erbrachten Leistung besondere Bedeutung zu. Eine Kenntnis wird dann vermutet, wenn der Anfechtungsgegner um die Willensrichtung des Schuldners weiß und nach allgemeiner Erfahrung eine gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung zugrunde liegen muss. Unerheblich ist, ob er über den genauen Hergang des Zahlungsflusses unterrichtet war.

Sachverhalt

Wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge pfändete die Beklagte das Konto der Schuldnerin. Mangels Zahlung stellte sie im September 2008 sodann gegen die Schuldnerin einen Insolvenzantrag. Daraufhin bewirkte die Schuldnerin eine Zahlung auf das Konto, weshalb die Bank die rückständigen Beiträge an die Beklagte zahlte. Diese erklärte ihren Insolvenzantrag für erledigt. Im Juli 2009 wurde für die Schuldnerin erneut ein Insolvenzantrag gestellt. Der Kläger ist Insolvenzverwalter und verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Erstattung der an die Beklagte bewirkten Zahlung. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab dem Kläger Recht.

Entscheidung

Anfechtbar ist die Rechtshandlung der Schuldnerin zur Auffüllung des gepfändeten Kontos, die erst das Pfandrecht werthaltig machte und eine Befriedigung der Beklagten ermöglichte. Mit der Zahlung aus dem eigenen Vermögen hat die Schuldnerin ihre Gläubiger vorsätzlich benachteiligt, was die Beklagte erkannt hat. Im Streitfall ist die Kontenpfändung mangels Deckung fehlgeschlagen. Eine Befriedigung konnte, nachdem die Beklagte einen Insolvenzantrag stellte, nur noch aufgrund der Rechtshandlung des Schuldnerin eintreten, die offensichtlich zur Vermeidung der Verfahrenseröffnung vorgenommen wurde. Anhaltspunkte für die Zahlung eines Dritten waren nicht ersichtlich.

Konsequenz

Das Urteil zeigt die Grenzen bei fehlgeschlagenen Zwangsvollstreckungsversuchen auf. Selbst im Falle von sanierungswilligen Schuldnern bedarf es zum Ausschluss von Anfechtungsrechten eines schlüssigen Sanierungskonzepts.