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Kein Splitting-Verfahren für Alleinerziehende

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass Alleinerziehende keinen Anspruch auf die Anwendung des Ehegatten-Splittings oder eines Familien-Splittings haben (Az.: 7 V 4/12).

Hintergrund:
Die Antragstellerin ist verwitwet und hat zwei minderjährige Kinder. Im Hauptsacheverfahren (anhängig unter Az. 7 K 114/10) macht sie geltend, ihre Besteuerung als Alleinerziehende sei verfassungswidrig. Gegenüber einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar (mit oder ohne Kinder) und gegenüber einem geschiedenen Ehepaar, das ein Real-Splitting in Anspruch nehme, zahle sie bei gleich hohen Einkünften mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer. Ein Familien-Splitting sei verfassungsrechtlich geboten. Im Übrigen seien die Grund- und Kinderfreibeträge und der Entlastungsbetrag zu niedrig und damit verfassungswidrig. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin, die von ihr nach Erhalt des Einkommensteuerbescheides nachgezahlte Einkommensteuer und die von ihr geleisteten Vorauszahlungen an sie zurückzuzahlen, soweit sie eine von ihr nach dem Modell eines Familien-Splittings errechnete Einkommensteuer übersteigen.

Das Gericht hat den Antrag mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:

1. Die derzeitige Besteuerung nach der Grundtabelle sei nicht verfassungswidrig. Auch wenn die von einer Alleinerziehenden erzielten Einkünfte gleich hoch seien wie die zusammengerechneten Einkünfte eines Ehepaares und ein Alleinerziehende(r) mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer als das zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehepaar zu zahlen habe, liege kein verfassungswidriger Begünstigungsausschluss vor. Es handele sich um unterschiedliche Sachverhalte, die die steuerliche Ungleichbehandlung rechtfertigten. Auch eine nach neuerer Rechtsprechung der Finanzgerichte denkbare bzw. verfassungsrechtlich gebotene Anwendung des Splitting-Verfahrens auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft führe nicht zu einem vergleichbaren Anspruch eines Alleinerziehenden.

2. Das Ehegatten-Splitting gewährleiste die verfassungsrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute zur Gestaltung ihrer ehelichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse und sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern verfassungsrechtlich geboten. Es diskriminiere nicht die Ehefrau bzw. den Partner mit dem niedrigeren Einkommen. Niedrigere Erwerbstätigkeitsquoten und niedrigere Durchschnittseinkommen von Frauen seien nicht Folge des Splitting-Verfahrens, sondern durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und die individuell aus vielfältigen Gründen getroffenen persönlichen Entscheidungen bedingt.

3. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch das Wahlrecht für die Zusammenveranlagung (mit Splitting-Verfahren) und die Kind bedingten Belastungen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplittings zu berücksichtigen. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung seien nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber dazu berufen, diese Regelungen zu überprüfen und ggf. zu ändern.

4. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende im Jahr 2008 sei bei summarischer Prüfung nicht evident zu niedrig und damit nicht verfassungswidrig.

Das NFG hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Verfahren ist unter dem Az. III B 68/12 beim Bundesfinanzhof anhängig.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Splitting-Tarif für Alleinerziehende – Aufhebung der Vollziehung – Einkommensteuer 2008
Alleinerziehenden steht aus verfassungsrechtlichen Gründen weder das Ehegatten-Splitting noch ein Familien-Splitting zu. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende (2008) sind bei summarischer Prüfung nicht verfassungswidrig.
Beschwerde eingelegt, BFH-Az. III B 68/12

Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, Beschluss vom 28.03.2012, 7 V 4/12

§ 10 Abs 1 Nr 1 EStG, § 22 Nr 1a EStG, § 24a EStG, § 25 EStG, § 26 EStG, § 32 Abs 6 EStG, § 32a EStG, § 69 FGO, Art 20 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 GG

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung, soweit sie nach ihrer Auffassung als Alleinerziehende mit zwei Kindern in verfassungswidriger Weise besteuert wird.
2
Die Antragstellerin ist Mutter zweier …und …geborener Kinder. Ihr Ehemann und Vater der Kinder verstarb im Jahr …. Seitdem ist die Antragstellerin verwitwet.
3
Die Antragstellerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus … als … in Höhe von rund € x. Des Weiteren erhielt sie Versorgungsbezüge in Höhe von rund € …. Ihre Kinder erhielten im Streitjahr Renten und Versorgungsbezüge (nach ihren Angaben in Höhe von jährlich € … und € …). In ihrer Gewinnermittlung und ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Antragstellerin keine Kinderbetreuungskosten geltend.
4
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom … (gemäß § 164 Abs. 1 AO unter Vorbehalt der Nachprüfung)  und in dem (gemäß § 164 Abs. 2 AO geringfügig geänderten) Bescheid vom … setzte das Finanzamt (FA) die Einkommensteuer unter Zugrundelegung der Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Für die beiden Kinder zog es Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von gesamt € 11.616 ab und rechnete im Gegenzug der Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 4 EStG das Kindergeld in Höhe von € 3.696 hinzu. Ferner zog das FA den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308 ab. Es veranlagte die Antragstellerin einzeln zur Einkommensteuer und setzte die Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen von rund € … nach der Grundtabelle mit € … an. Nach Berücksichtigung von Steuerermäßigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen und Hinzurechnung des Kindergeldes ergaben sich eine festzusetzende Einkommensteuer in Höhe von € … und ein festgesetzter Solidaritätszuschlag in Höhe von € ….
5
Aufgrund der entsprechend ihren Angaben festgesetzten und von der Antragstellerin geleisteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen ergab sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom … eine Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € … und aus dem Einkommensteuerbescheid in der Fassung vom … eine weitere Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …, zusammen € …. Die Antragstellerin leistete die Nachzahlungen.
6
Mit Schreiben vom … legte die Antragstellerin gegen den „ESt-Solz-Bescheid vom …“ Einspruch ein. Das FA legte das Schreiben als Einspruch gegen den Bescheid vom … aus. Mit Schreiben vom … begründete die Antragstellerin ihren Einspruch u.a. wie folgt:
7
Er richte sich gegen die Nichtgewährung des Splitting-Tarifs. Bei einem kinderlosen Ehepaar, bei dem einer der Ehepartner Einkünfte in der von ihr allein erzielten Höhe (rund € …) und der andere Ehepartner Einkünfte in Höhe von € 0 erzielt hätte, hätten nach den beigefügten Berechnungen die festgesetzte Einkommensteuer € … und der Solidaritätszuschlag  € … betragen, mithin gesamt rund € 7…. weniger. Bei einem Ehepaar mit denselben Einkünften mit einem Kind (ebenfalls drei Personen) ergebe sich eine um gesamt rund € 7…. niedrigere Steuer. Das kinderlose Ehepaar habe einen Grenzsteuersatz von rund 3… %, das Ehepaar mit einem Kind von rund 3… %, während sie einen Grenzsteuersatz von rund 4… % habe, mithin auf jeden mehr verdienten Euro … % (incl. Solidaritätszuschlag) mehr Steuer bezahlen müsse als ein Ehepaar mit einem Kind, welches sich Haus- und Erziehungsarbeit teilen könne, nur ein Kind statt zweien zu erziehen und zu betreuen habe und auch nur für ein Kind eine Ausbildung zu finanzieren habe.
8
Das steuerliche Ehegattensplitting in Deutschland sei ein antiquierter „Klassiker“ der staatlichen Instrumente zur Förderung des männlichen Ernährermodells. Es fördere die nicht unterstützungsbedürftige kinderlose Ehe. Das mit € 3.648 bewertete tatsächliche Existenzminimum eines Kindes (§ 32 Abs. 6 EStG) bleibe weit hinter dem funktionsgleichen Grundfreibetrag für Erwachsene in Höhe von € 7.664 zurück. Dies sei analog dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3, 4/09 BVerfGE 125, 175) verfassungswidrig. Unter Zugrundelegung der nach dem Sozialrecht angemessenen Wohnfläche entstünden ihr als drei-Personen-Haushalt sozialrechtlich angemessen höhere Kosten als einem kinderlosen Ehepaar. Verwitwete Steuerpflichtige erhielten weder Unterhaltsleistungen noch Unterhaltsersatzleistungen.
9
Neben der steuerlichen Benachteiligung sei sie dadurch benachteiligt, dass sie als Frau und allein erziehende Mutter von zwei Kindern ein deutlich geringeres Lebenseinkommen erreiche als Männer mit Kindern mit gleicher Bildung. Dadurch könne sie nur in einem deutlich geringeren Umfang für ihr Alter vorsorgen. Bei einem Ehepaar mit einem Kind werde der berufstätige Partner in der Regel von dem nicht oder nur teilweise berufstätigen Partner in der Haushaltsführung und Kinderbetreuung und -versorgung einschließlich Unterstützung bei Hausaufgaben der Kinder unterstützt. Durch diese von ihr allein zu erbringenden Tätigkeiten würden ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. habe sie entsprechend eine überdurchschnittliche Personalkostenquote. Aufgrund des höheren Grenzsteuersatzes müsse sie einen noch höheren Gewinn erzielen als ein gleich verdienendes Ehepaar ohne oder mit einem Kind, um nach Steuern das gleiche verfügbare Haushaltseinkommen zu haben. Ferner müsse sie einen höheren Organisationsgrad unter Einschaltung von Fremdverpflegung und Nachhilfe mit entsprechenden Kosten bewerkstelligen.
10
Die Antragstellerin führte „allgemeine weitere Kritikpunkte am Ehegattensplitting“ auf. Es fördere insbesondere die Ehen, in denen hohe Einkommen ungleich auf die Ehepartner verteilt seien, und zwar unabhängig davon, ob in dieser Familie Kinder lebten. Angesichts der gesellschaftlichen Realität, dass knapp 20 % der Jugendlichen in Deutschland bei einem alleinerziehenden Elternteil lebten und statistisch zur so genannten „traditionellen Familie“ auch verheiratete Paare mit Kindern aus früheren Beziehung sowie mit Stief-, Pflege- und Adoptivkindern zählten, seien die erheblichen Mittel für das Ehegattensplitting (über 20 Milliarden Euro jährlich) nicht mehr gerechtfertigt.
11
Art. 3 Abs. 1 GG gebiete in seiner Ausprägung als horizontale Steuergleichheit, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Mit der Versagung des Splittingtarifs für verwitwete Alleinerziehende bevorzuge das Steuerrecht einseitig die Ehe, insbesondere die kinderlose Ehe und belaste die Familie mit Kindern, in der ein Ehegatte gestorben sei, unverhältnismäßig hoch. Hierdurch sei Art. 20 GG verletzt. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse. Art. 6 Abs. 4 GG gebiete den Schutz der Mutter.
12
In sehr veralteten verfassungsrechtlichen Entscheidungen werde immer wieder auf eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1961 verwiesen (richtig: BVerfG, Urteil vom 3. November 1982, 1 BvR 620/78 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61,319, BStBl II 1982, 717). In den zwischenzeitlich ins Land gegangenen knapp 50 Jahren hätten sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen erheblich verändert. Das Unterhaltsrecht habe sich geändert. Die Ehe als Versorgungsinstitut habe ausgedient. Die Scheidungsraten, die Anzahl kinderloser Ehen und der ehelosen Eltern sei gestiegen.
13
Die der Begründung der Entscheidung des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ sei ein unbestimmter und durch die Realität überholter antiquierter Rechtsbegriff. Mit der Annahme, dass Eheleute als Erwerbsgemeinschaft gleichberechtigter Personen jegliche Einkünfte gleichmäßig und gerecht aufteilen und auch dementsprechend besteuert werden sollen, unterstelle der Staat ein Idealmodell, das empirisch häufig genug widerlegt worden sei. Geld sei auch in Ehen ein Machtfaktor. Wer das Einkommen erziele, bestimme letztendlich über die Art und Weise, wie es ausgegeben werde. Das Ehegattensplitting fördere diese Machtasymmetrie, in dem die Steuervergünstigung auch noch jenem zufließe, der das höhere Einkommen erziele – in der Regel immer noch dem Mann. Die OECD benenne diese Besonderheit des deutschen Steuersystems daher als einen wesentlichen Grund für die zu geringe Erwerbstätigkeit von Frauen und damit als steuerlichen Fehlanreiz. Darüber hinaus habe das Splittingverfahren nach seinem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Zweck u.a. „eine besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ bedeuten sollen. In einer kinderlosen Ehe gebe es begriffslogisch keine Mutter. Solange das Ehegattensplitting beibehalten werde, werde damit das Modell der traditionellen Arbeitsteilung perpetuiert. Statt endlich gleicher Bezahlung, Karrieremöglichkeiten und einem Ende der Frage für Frauen „Familie oder Beruf“ verharre die Gesellschaft teilweise (im Steuerrecht) in einer 50er-Jahre-Realität, obwohl die Ansprüche und Wünsche junger Frauen und Männer deutlich in eine egalitäre Gesellschaft wiesen.
14
Das FA wies mit Bescheid vom … den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurück. Die von der Antragstellerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob von Verfassungs wegen Alleinerziehenden mit Kindern das Splittingverfahren zu gewähren sei, sei durch ständige, bis in die jüngste Zeit bestätigte Rechtsprechung des BVerfG und des BFH geklärt. Die gesellschaftliche Entwicklung und die wachsende Zahl sogenannter Restfamilien mit Kindern führe zu keinem anderen Ergebnis.
15
Das Ehegattensplitting stelle eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG orientierte sachgerechte Besteuerung dar. Der Gleichheitssatz i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete es nicht, den Splittingvorteil auf Alleinerziehende auszudehnen. Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern bestehe weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führe, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis. Ebenso wenig komme für Alleinerziehende mit Kindern ein durch Art. 6 Abs. 1 GG zu schützendes Recht in Betracht, über die Aufgabenteilung partnerschaftlich zu entscheiden.
16
Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 3. November 1982 noch angenommen, der Splitting-Tarif erleichtere Eheleuten mit Kindern, ihre Lebensführung so einzurichten, dass ein zusätzlicher Betreuungsaufwand für die Kinder entweder nicht entstehe oder zumindest leichter getragen werden könne als bei Alleinerziehenden. Dies habe das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 (2 BvR 1057/91, 1226/91, 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) modifiziert. Das BVerfG gehe nunmehr davon aus, dass der Betreuungsbedarf eines Kindes generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere und als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensteuerlich unbelastet bleiben müsse. Die Abzugsfähigkeit eines Haushaltsfreibetrages und von Kinderbetreuungskosten nur bei Alleinstehenden benachteilige eheliche Erziehungsgemeinschaften. Diese Benachteiligung werde nicht dadurch gemindert, dass in ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern zusammen veranlagt werden könnten. Die Zusammenveranlagung setze eine Ehe, nicht hingegen einen kindbedingten Bedarf voraus. Betreuungs- und Erziehungsbedarf müssten bei allen Erziehungsgemeinschaften und Alleinstehenden in gleicher Weise und unabhängig davon berücksichtigt werden, in welcher statusrechtlichen Beziehung die Eltern lebten. Das BVerfG sehe das Benachteiligungsverbot nur zu Lasten der Ehe, nicht jedoch zu Lasten anderer Lebensgemeinschaften.
17
Mit ihrer Klage im Hauptsacheverfahren, die unter dem Aktenzeichen 7 K 114/10 beim Niedersächsischen Finanzgericht geführt wird, begehrt die Antragstellerin, den Einkommensteuer- und Solidaritätszuschlagsbescheid vom … abzuändern auf die festzusetzende Einkommensteuer, die sich unter Anwendung eines auf drei Personen angewendeten Splittingtarifs ergibt. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen macht sie geltend: Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken zeichne sich auch auf der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Ebene ein Paradigmenwechsel ab. Hierzu legt die Antragstellerin im Einzelnen politische Meinungen und Bestrebungen zur Abschaffung des Ehegattensplittings und zur Einführung eines Familiensplittings dar. Interessant seien die Ansätze der CDU/CSU und der FDP, die steuerliche Berücksichtigung von Kindern auf den für Erwachsene geltend gemachten Freibetrag von € 8.004 anzuheben. Diese Vorstellung berücksichtige das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) zur Verfassungswidrigkeit der abgeleiteten Höhe der Regelleistung für Kinder pauschal von der eines alleinstehenden Erwachsenen. Im Falle geschiedener Eheleute mit Realsplitting (insbesondere eines wieder verheirateten alleinverdienenden Unterhaltszahlers) falle die steuerliche Belastung für drei Erwachsene ohne Kinder sogar um über € 12.000 niedriger aus als für eine gleich verdienende Alleinerziehende mit zwei in Ausbildung befindlichen Kindern. Dies alles widerspreche dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dass die Zeit reif sei, sei auch dem Beschluss des BVerfG vom 21. Juli 2010 zur Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften (1 BvR 611/07, 2464/07, BVerfGE 126, 400) zu entnehmen. Das BVerfG habe ausdrücklich verworfen, andere Lebensformen mit bloßem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 GG zu benachteiligen.
18
Mit Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigten vom … und … macht die Antragstellerin weitere Ausführungen zu dem vorgetragenen Verfassungsverstoß und zur Besteuerung von Eheleuten und Eltern / Alleinerziehenden mit Kindern in anderen europäischen Ländern (insbesondere der Schweiz). Es komme nicht allein auf die Vergleichbarkeit von Sachverhalten (Eheleute einerseits, Eheleute und Kinder andererseits) an, sondern auch auf die Versagung einer Begünstigung. Aus dem Gleichheitssatz folge das Verbot eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses. Das BVerfG habe mit seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 den gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes bezüglich eingetragener Lebenspartner für alle noch offenen Verfahren aufgehoben und die dortigen Steuervorteile, die bislang nur Ehegatten erhielten, auf eingetragene Lebenspartner ausgedehnt. Nach dem (im Einzelnen dargestellten) Leistungsfähigkeitsprinzip und dem dualistischen Konzept „Erwerbseinkommen ./. private Abzüge“ zur Messung der objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit würden Alleinerziehende benachteiligt. § 26 EStG stelle eine kinderlose Ehefrau ohne eigenes Erwerbseinkommen besser als ein oder mehrere in Schulausbildung befindliche Kinder. Das BVerfG habe bezüglich des Betreuungsbedarfs eines Kindes festgestellt, dass dieser generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere. Die Leistungsfähigkeit einer Alleinerziehenden mit Kindern sei also anerkannt gemindert, dennoch bezahle sie mehr Steuern als ein Alleinverdiener-Ehepaar ohne Kinder. Da Alleinerziehende überwiegend weiblich seien, würden überwiegend Angehörige weiblichen Geschlechts benachteiligt und mittelbar diskriminiert. In über der Hälfte aller Haushalte lebten keine Kinder mehr. 43 % des Splittings kämen Kinderlosen zugute. Es fördere nicht die Familie, sondern die Alleinverdiener-Ehe. Die Entlastung falle zu ca. 93 % in den alten Bundesländern an. Für diese regionale Diskriminierung gebe es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Die Argumentation des Einkommens-Poolings in Haushalten sei empirisch nicht haltbar bzw. gebe es hierzu keine fundierten Erkenntnisse. Die im Urteil des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ habe sich in den Jahren seit 1982 so weit gewandelt, dass die Grundlage für die Argumentation des BVerfG entfallen sei.
19
Es werde als verfassungswidrig gerügt, dass in einer kinderlosen Alleinverdiener-Ehe ein nicht erwerbstätiger Ehegatte einen ungleich höheren Grundfreibetrag erhalte als ein Kind, dass die Ehe zusätzlich durch die Verdoppelung von Sonderausgabenhöchstbeträgen begünstigt werde und dass die Alleinverdiener-Ehe einen um ca. 10 % günstigeren Grenzsteuersatz habe als eine verwitwete Alleinerziehende mit zwei Kindern. Dies widerspreche insgesamt eklatant dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
20
Ergänzend und hilfsweise werde auf die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) verwiesen. Der für das Jahr 2008 geltende Sechste als auch der aktuelle Siebente Existenzminimumbericht basierten auf für verfassungswidrig erklärten Grundnormen des SGB. Bei der Einelternfamilie führe das Fehlen eines Elternteils auf der Ausgabenseite kaum zu Einsparungen. Auf der Einkommensseite fehle der in unbezahlter Arbeit geleistete Beitrag.
21
Der geringe Alleinverdiener-Freibetrag werde nur für das erste Kind gewährt. Für weitere Kinder gebe es keine Entlastung. Ein Alleinerziehender könne erst mit mehr als 6 Kindern den gleichen steuerlichen Vorteil erreichen, den ein Spitzenalleinverdiener maximal als Splitting-Vorteil für eine nicht arbeitende Frau bekomme.
22
Jedes Kind beschränke zudem die Leistungsfähigkeit durch den berechtigten Anspruch auf Zeitressourcen (für Betreuung und Versorgung) und damit die für die Einkommenserzielung zur Verfügung stehende Zeit.
23
Die Antragstellerin beantragt im Hauptsacheverfahren (unter Einbeziehung der Einkünfte ihrer Kinder), „unter analoger Anwendung des Splittingtarifs die Einkommensteuer 2008 in der Weise festzusetzen, dass das zu versteuernde Einkommen gedrittelt wird (da drei Personen und von drei Personen das Einkommen enthalten ist), auf das Drittel in einem Zwischenschritt die Einkommensteuer ermittelt wird und das Dreifache der so ermittelten Steuer festgesetzt wird.“ Auf die dem Schriftsatz vom … beigefügten Berechnungen wird Bezug genommen; hiernach ergebe sich eine Einkommensteuer in Höhe von € …. Es ergebe sich ein Nachteil bezüglich der Einkommensteuer in Höhe von € ….
24
Mit Schreiben vom … und … an das FA hat die Antragstellerin beantragt, „die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zur Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zzgl. entsprechendem Solidaritätszuschlag)“. Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen im Hauptsacheverfahren verwiesen. Das FA hat den Antrag mit Bescheid vom … unter Verweis auf seine im Einspruchs- und Klageverfahren gefertigten Schriftsätze abgelehnt.
25
Die Antragstellerin beantragt,
26
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zu Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zuzüglich entsprechender Solidaritätszuschlag).
27
Der Antragsgegner beantragt,
28
den Antrag abzulehnen.
29
Er verweist auf seine Ausführungen im Hauptsacheverfahren und hält an seiner Auffassung fest. Im Hauptsacheverfahren weist er ergänzend darauf hin, dass der BFH mit Beschluss vom 28. Januar 2005 (III B 97/04, BFH/NV 2005, 1050) dazu Stellung genommen habe, dass Aufwendungen für die Betreuung von Kindern nicht durch das auf einer anderen Grundlage beruhende und anderen Zwecken dienende Ehegattensplitting steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Das BVerfG habe die gegen dieses Urteil eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Zudem habe der BFH mit Beschluss vom 17. August 2004 (III B 121/03, BFH/NV 2005, 46) entschieden, dass das Ehegattensplitting mit den Grundwerten des Familienrechts sowie mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Die Rechtsprechung zur einkommensteuerlichen Gleichstellung von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sei mangels Vergleichbarkeit auf den Streitfall nicht anwendbar, denn die Gewährung des Splittingtarifs setze eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Partnern voraus.
30
Wegen des weiteren Sachverhaltes und Vorbringens wird auf den Inhalt der Steuerakten und der gewechselten Schriftsätze, auch im Hauptsacheverfahren 7 K 114/10, Bezug genommen.
II.
31
Der Antrag ist unbegründet.
32
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für die Betroffene eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen – wie im Streitfall – tritt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung.
33
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
34
1) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen der §§ 25 ff. EStG, nach denen die Antragstellerin als nicht verheiratete Alleinerziehende gemäß §§ 25, 32a Abs. 1 EStG einzeln (unter Anwendung der Grundtabelle) und nicht gemäß §§ 26 ff., 32a Abs. 5 EStG wie Eheleute (unter Anwendung der Splitting-Tabelle) zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Die Voraussetzungen des § 32a Abs. 6 Nr. 1 EStG zur Anwendung des sog. Gnadensplitting zur Milderung von Härten sind im Streitjahr unstreitig nicht mehr erfüllt.
35
Der von der Antragstellerin geltend gemachte verfassungswidrige Begünstigungsausschluss gegenüber einem kinderlosen Ehepaar oder einem Ehepaar mit einem Kind oder einem geschiedenen, ggf. teilweise wieder verheirateten Ehepaar, bei dem das Realsplitting (§§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 22 Nr. 1a EStG) in Anspruch genommen wird, liegt nicht vor.
36
Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 1 GG , wobei die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Familie mit zu beachten ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II  1990, 653). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG „gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen …. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. … Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Bevorzugung oder Benachteiligung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung, die ihren Anknüpfungspunkt in der Person findet, regelmäßig einer strengen Bindung …. Dabei kommt es hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. … Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten …“ (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, a.a.O., m.w.N.).
37
Dass sowohl Eheleute (mit oder ohne Kinder) als auch Alleinerziehende unter den Begriff „Familie“ fallen, führt nicht dazu, dass beide Gruppen trotz bestehender Unterschiede steuerlich gleich behandelt werden müssten. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Begünstigung für eine dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auf eine andere, ebenfalls dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auszudehnen, wenn zwischen den Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
38
Zwischen der alleinerziehenden Antragstellerin und Eheleuten (verheiratet oder geschieden mit Realsplitting, mit oder ohne Kindern) bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung – Splitting-Verfahren nur für zusammen zu veranlagende Eheleute, nicht für Alleinerziehende, Real-Splitting für Geschiedene – rechtfertigen können. Eheleute sind rechtlich gleichberechtigte Partner einer Lebensgemeinschaft, die untereinander bestimmen, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten und insbesondere auch, wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt und wie sie das Familieneinkommen verwenden. Die im Wege des Real-Splitting vom Unterhaltszahler abziehbaren, vom Unterhaltsempfänger zu versteuernden Unterhaltsleistungen sind eine Fortwirkung der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach Scheidung. Dagegen ist das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern dadurch geprägt, dass die Eltern zur Pflege und Erziehung (einschließlich der Unterhaltsgewährung) ihrer Kinder berechtigt und verpflichtet sind (Art. 6 Abs. 2 GG). „Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern besteht weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führt, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis“ (BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., m.w.N.). Das BVerfG und entsprechend der BFH haben nicht nur in der nach Meinung der Antragstellerin überholten Entscheidung vom 3. November 1982, sondern auch fortlaufend entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG es nicht gebietet, das Ehegattensplitting auf die Besteuerung von Alleinstehenden mit Kindern auszudehnen (BFH, Urteil vom 27. Juni 1996, IV R 4/84, BFHE 181,31, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 21. Dezember 1996, 2 BvR 2163/96, juris, BFH, Beschluss vom 20. September 2002, III B 40/02, BFH/NV 2003, 157, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2004, 2 BvR 1933/02; BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Das Gericht teilt diese Auffassung.
39
Eine sachlich nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt auch nicht deshalb vor, weil nach neueren Entscheidungen mehrerer Finanzgerichte den Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft aus Gleichbehandlungsgründen die einkommensteuerliche Zusammenveranlagung und entsprechend die Anwendung des Splitting-Verfahrens zustehen muss. Für die eingetragene Lebenspartnerschaft gelten die gleichen Rechtsnormen wie für die Ehe, insbesondere im Bereich der Regelungen zur Gestaltung der partnerschaftlichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, des Unterhalts- und des Erbrechts. Der Unterschied eingetragener Lebenspartner zu den Partnern einer Ehe besteht lediglich darin, dass die Lebenspartner gleichen, die Eheleute unterschiedlichen Geschlechts sind; dieser Unterscheid rechtfertigt nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte die einkommensteuerliche Ungleichbehandlung nicht. Naturgemäß können Lebenspartner keine gemeinsamen leiblichen Kinder haben. Dieser Unterschied ist unbeachtlich, weil das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung Ehegatten unabhängig davon zusteht, ob sie Kinder haben. Zudem gibt es auch Lebenspartnerschaften, zu deren Familie ein Kind gehört (vgl. den Sachverhalt im Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. August 2011, 7 K 65/10, juris).
40
Darüber hinaus wendet die Antragstellerin nicht den richtigen Vergleichsmaßstab an. Sie vergleicht die Besteuerung der von ihr als Erwachsene erzielten Einkünfte (rund € x) mit der Besteuerung eines Ehepaars, bei dem beide gemeinsam rund € x, d.h. durchschnittlich pro Erwachsenem jeweils ein Halb von € x erzielt haben, mithin mit einem wesentlich anderem Sachverhalt. Dass bei einem Einkommen pro erwachsenem Mitglied der Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft nur in Höhe der Hälfte des von der Antragstellerin erzielten Einkommens die Einkommensteuer und entsprechend der Grenzsteuersatz niedriger sind, liegt auf der Hand bzw. entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Kinder der Antragstellerin sind nicht einem Ehegatten oder Lebenspartner gleich zu setzende Mitglieder einer gemeinsam bestehenden Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Vorstellung, dass Eltern mit ihren pflege- und erziehungsbedürftigen minderjährigen (überspitzt: wickelbedürftigen Klein-) Kindern gemeinsam partnerschaftlich die Erzielung und Verwendung des Familieneinkommens als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft bestimmen und gestalten, ist nicht realitätsgerecht.
41
Die Einwendungen der Antragstellerin, das Ehegattensplitting sei nicht mehr zeitgemäß, trage auch im Vergleich zu Regelungen in anderen Ländern der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr Rechnung, fördere nur die Alleinverdiener-Ehe, dies überwiegend in den alten Bundesländern, bestärke eine Machtasymmetrie und führe zur Diskriminierung von Frauen, sind politische Argumente, deren Berechtigung nicht im Besteuerungsverfahren zu überprüfen ist. Die Antragstellerin übersieht, dass nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber berufen ist, im politischen Verfahren der Gesetzgebung einer ggf. geänderten gesellschaftlichen Realität entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen bzw. zu ändern (so bereits BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C II).
42
Die Antragstellerin übersieht ferner, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG als auch des BFH „das Ehegatten-Splitting keine beliebig veränderbare Steuer-‘Vergünstigung‘ ist, sondern eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung (z.B. BVerfG-Beschluss vom 28. Juni 1993 1 BvR 132/89, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 1993, 524; BVerfG-Urteil vom 3. November 1982  …, unter C.I.2. und C.I.4.)“ (BFH, Beschluss vom 5. August 2011, III B 158/10, BFH/NV 2011, 1870).
43
Das Gericht teilt diese Auffassung. Nachdem das BVerfG entschieden hat, dass Betreuungs- und Unterhaltskosten für Kinder unabhängig vom Status der Eltern bei allen Eltern zu berücksichtigen sind (Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O.) gewährleistet das Splittingverfahren nicht mehr die Berücksichtigung kindbedingter Belastungen, sondern (nur noch) die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute untereinander, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten wollen und insbesondere wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt (vgl. BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss a.a.O.). Bei der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG mit der Folge der Ermittlung der Einkommensteuer im Splitting-Verfahren nach § 32a Abs. 5 EStG wird das Einkommen beider Eheleute zusammen gerechnet und dann geteilt. Die auf die Hälfte des gemeinsamen Einkommens entfallende Einkommensteuer wird sodann verdoppelt. Anders als die Antragstellerin (und ein Teil der hierzu ersichtlichen frauen- und steuerpolitischen Literatur) meinen, wird dadurch nicht derjenige Ehegatte mit dem niedrigeren Einkommen (i.d.R. die Frau) diskriminiert. Vielmehr macht es einkommensteuerlich gerade keinen Unterschied, ob einer der Eheleute allein (oder mehr) verdient als der andere, da die Einkommensteuer immer in gleicher Höhe festzusetzen ist, so als ob beide Ehegatten jeweils gleich hohe Einkünfte erzielen würden. Dass Frauen im Durchschnitt in der Regel weniger verdienen als Männer und häufiger Frauen, insbesondere im Fall der Kindererziehung, ganz oder teilweise nicht berufstätig sind, ist nicht Folge des Splittingverfahrens, sondern u.a. durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und durch die von den Individuen nach ihren persönlichen Verhältnissen aus vielfältigen Gründen getroffenen Entscheidungen bedingt.
44
Das BVerfG hat im Urteil vom 3. November 1982 entschieden, aus Art. 6 Abs. 1 GG folge „die Pflicht des Staates, die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren …. Die Ehegatten bestimmen in gleichberechtigter Partnerschaft … ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung …. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt der freien Entscheidung der Eheleute …. Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten in ihren finanziellen Beziehungen untereinander wird insoweit verfassungsrechtlich geschützt.“ Diese durch Art. 6 Abs.. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit werde durch das Splitting für Ehegatten ermöglicht. (BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C I 4a, m.w.N.).
45
An der Auffassung, dass das Selbstbestimmungsrecht (von Eheleuten als auch Eltern) nach Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist, hält das BVerfG aktuell in seinen Beschlüssen zu Regelungen des Elterngeldes fest: „Art. 6 Abs. 1 GG garantiert … die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren.“ (Beschluss vom 20. April 2011, 1 BvR 1811/08, m.w.N., juris). „Demgemäß können Ehepaare nach eigenen Vorstellungen zwischen einer Doppelverdiener- und einer Einverdienerehe wählen und dürfen Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen.“ (Beschluss vom 9. November 2011, 1 BvR 1853/11, NJW 2012, 214, juris). Das BVerfG spricht in diesen zum Elterngeld ergangenen Entscheidungen die zu gewährleistende Gestaltungsfreiheit nicht nur des familiären Zusammenlebens (einschließlich Kindern), sondern auch des ehelichen Zusammenlebens an.
46
2) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen, nach denen die Antragstellerin nicht zusammen mit ihren Kindern im Wege eines Familiensplitting zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
47
Anders als die Antragstellerin meint, ist eine Besteuerung im Wege eines Familiensplitting nicht durch das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich geboten. Steuerlich freizustellen ist (nur) das Existenzminimum. „Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen …. Die somit von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen …. In einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis hierzu steht die Befugnis des Gesetzgebers, bei der Ordnung der steuerrechtlichen Massenverfahren die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen und auf dieser Grundlage typisierende Regelungen zu treffen …. Im Bereich der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat er dabei allerdings Sorge zu tragen, dass typisierende Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken“ (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 m.w.N.).
48
Bei der Besteuerung einer Familie gilt „das verfassungsrechtliche Gebot, dass der Staat das Einkommen dem Steuerpflichtigen insoweit steuerfrei belassen muss, als es Mindestvoraussetzung eines menschenwürdigen Daseins ist … unter zusätzlicher Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG – für das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder …. Bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muss der Staat daher den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem dieses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich ist.“ (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O., m.w.N.). Zum Existenzminimum eines Kindes gehören auch der Betreuungsbedarf (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 a.a.O.) und Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, a.a.O.).
49
Der Gesetzgeber hat sich nicht für ein Familiensplitting, sondern dafür entschieden, einkommensteuerlich das sächliche Existenzminimum sowie den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf eines Kindes durch den Abzug der in § 32 Abs. 6 EStG geregelten Freibeträge (soweit nicht das Kindergeld günstiger ist, § 31 EStG) steuerfrei zu stellen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
50
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bei der Einkommensbesteuerung (nur) dass Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie freizustellen. Das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, a.a.O.). Das Kinderexistenzminimum muss in jedem Fall vor dem steuerlichen Zugriff verschont werden, „mehr gebietet das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht“ (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2010, 2 BvR 2122/09, NJW 2010, 3564, juris). Der Gesetzgeber ist mithin nicht verpflichtet, über die steuerliche Freistellung des Existenzminimums hinaus sämtliche kindbedingten Aufwendungen bzw. zivilrechtlichen Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern in voller Höhe zu berücksichtigen oder gar die durch die kindbedingte verringerte Möglichkeit zur Einkommenserzielung entstehenden finanziellen Nachteile auszugleichen (so aber zur Ausgleichspflicht sog. „Negativeinkünfte“ Prof. Dr. Leisner-Egensperger, „Kindergerechte Familienbesteuerung, Plädoyer für ein demographiegünstiges und sozial gerechtes Familiensplitting“, FR 2010, 865, anders BFH, Urteil vom 13. August 2002, VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 4. August 2003, 2 BvR 1537/02, juris, BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Urteil vom 17. Juni 2010, III R 35/09, BFHE 230, 523 BStBl 2011, 176, BFH, Beschluss vom 8. Juni 2011, X B 176/10 BFH/NV 2011, 1679, jeweils m.w.N.).
51
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch die Möglichkeit der Zusammenveranlagung mit Splitting-Verfahren zu gewährleisten und das Existenzminimum der Kinder des Steuerpflichtigen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplitting zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass ein alleinerziehendes, d.h. einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagendes Elternteil mit Kindern – im Streitfall eine Familie mit drei Personen – im Vergleich zu einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar ohne oder mit einem Kind, bei dem beide Eheleute gemeinsam Einkünfte in derselben Höhe wie das alleinerziehende Elternteil erzielen, eine höhere Einkommensteuer (mit entsprechend höherem Grenzsteuersatz und der Notwendigkeit zur Erzielung höherer Einkünfte, um über den gleichen Betrag nach Steuern verfügen zu können) zu zahlen hat, wie von der Antragstellerin in ihren Berechnungen dargelegt. Der Gesetzgeber hat trotz der im Hinblick auf das Generationenproblem gesellschaftlich erwünschten höheren Kinderzahl die systematisch unterschiedliche Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse und der Lebensverhältnisse von Eltern (-teilen) mit Kindern nicht geändert.
52
Insoweit sind nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern ist der Gesetzgeber unter Wahrung der ihm durch die Verfassung vorgegebenen Parameter nach seiner politischen Überzeugung berufen, die derzeitige gesetzliche Systematik der Berücksichtigung der kindbedingten Aufwendungen beizubehalten, ggf. steuerlich oder anderweitig Familien mit Kindern mehr zu fördern oder ggf. geänderte gesetzliche Regelungen z.B. zur Einführung eines Familiensplitting zu schaffen.
53
3) Die Antragstellerin macht geltend, nach dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 sei es verfassungswidrig, dass der Freibetrag für Kinder niedriger als der Grundfreibetrag für Erwachsene sei. Damit macht sie konkludent geltend, Kinder hätten einen genauso hohen Bedarf wie ein Erwachsener. Dass dies so ist, hat die Antragstellerin weder im Einzelnen substantiiert dargelegt noch belegt. Weder das Sozial- noch das Unterhaltsrecht gehen davon aus, dass Erwachsene und Kinder der Höhe nach den gleichen existenznotwendigen Unterhaltsbedarf hätten. Die Regelungen im SGB II (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II) bzw. zur Grundsicherung im SGB XII (Regelbedarfssätze gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII, für das Streitjahr Regelbedarfsverordnungen auf der Grundlage des § 28 SGB XII) gehen ebenso wie die familienrechtlich normierten Unterhaltspflichten (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 71. Aufl. 2012, Rdz. 19 Einführung vor § 1601 BGB, Düsseldorfer Tabelle) von einem höheren existenznotwendigen Unterhaltsbedarf eines Erwachsenen gegenüber einem Minderjährigen aus. Anders als die Antragstellerin meint, hat auch das BVerfG in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 nicht entschieden, dass Kinder einen gleich hohen Bedarf wie Erwachsene hätten. Das BVerfG hat im Gegenteil entschieden, dass Kinder „einen besonderen kinder- und altersspezifischen Bedarf“ haben; „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ (Orientierungssatz 4e.bb, II 6.1a der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.6). Die Methode des Gesetzgebers, den Bedarf eines Kindes pauschal an dem Bedarf eines Erwachsenen angelehnt festzulegen, sei nicht geeignet, den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.
54
Das Gericht hat deshalb keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen, soweit die für das sächliche Existenzminimum einschließlich des Betreuungs- und Ausbildungsbedarfs für die Kinder der Antragstellerin abgezogenen Beträge nicht entsprechend dem für die Antragstellerin abgezogenen Grundfreibetrag gemäß § 32a EStG mit jeweils € 7.664 abgezogen worden sind.
55
4) Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch die im Bescheid angesetzten Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von jeweils € 5.808 ausreichend berücksichtigt ist. Die Bemessung des einkommensteuerlich freizustellenden Existenzminimums, d.h. die Höhe der Freibeträge, orientiert sich an dem im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf einschließlich des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs und ist für das Streitjahr unter Umrechnung des Bedarfs entsprechend den sozialrechtlichen Regelungen mit € 5.808 angesetzt worden (Sechster Existenzminimumbericht für das Jahr 2008, Bundestagsdrucksache 16/3265). Die Methode der Ermittlung des sozialrechtlich zu gewährleistenden kindbedingten existenznotwendigen Bedarfs ist, wie das BVerfG mit Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden hat, nicht verfassungsgemäß. Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmethode auch auf die Ermittlung der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge aus.
56
Hieraus folgt jedoch nicht zwingend, dass die gemäß § 32 Abs. 6 EStG abgezogenen Beträge von jeweils € 5.808 nicht dem existenznotwendigen Bedarf entsprechen bzw. zu niedrig sind. Dass der existenznotwendige Bedarf eines Kindes höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Des Weiteren können nach dem EStG zusätzlich zu der Umrechnung des sozialrechtlich angesetzten Bedarfs in einkommensteuerliche Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG weitere kindbedingte Aufwendungen abzogen werden, insbesondere für Kinderbetreuungskosten (im Streitjahr bis zur Höhe von € 4.000 je Kind bis zum 14. Lebensjahr als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG bzw. wie Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten gemäß § 4f bzw. § 9 Abs. 5 EStG); dies ist bei einem Vergleich der Höhe des sozialrechtlich festgelegten Bedarfs mit den einkommensteuerlichen Regelungen zu berücksichtigen. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden, dass die (den Freibeträgen gemäß § 32 Abs. 6 EStG zugrunde gelegten) sozialhilferechtlich als Bedarf eines Kindes angesetzten Beträge nicht „evident unzureichend“ sind (Orientierungssatz 4b.aa. und bb., II.2 der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.2). Weil in der Rechtsprechung des BVerfG bislang nicht geklärt worden war, nach welchen verfassungsrechtlichen Maßstäben im Einzelnen sich die Bemessung der existenznotwendigen Sozialleistungen richtet, hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2010 gesetzt, um ihm die Schaffung einer Neuregelung zu ermöglichen. Eine rückwirkende Verpflichtung zur Neuregelung hat das BVerfG dem Gesetzgeber aus diesem Grund nicht auferlegt (Orientierungssatz 4h.aa, D I.1 bis 5 der Entscheidung).
57
Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die nach Auffassung des BVerfG nicht „evident unzureichende“ Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs eines Kindes auch auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Höhe der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge als nicht evident unzureichend aus. Das Gericht hat deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe der Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG. Darüber hinaus hat das FA die Einkommensteuer u.a. hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig festgesetzt; die Rechte der Antragstellerin insoweit sind dadurch gewahrt.
58
5) Das Vorstehende gilt auch für die Höhe des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308. Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die durch die Alleinerziehung bedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch diesen Freibetrag ausreichend berücksichtigt ist. Dass der durch die Alleinerziehung bedingte Bedarf höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Kinderbetreuungskosten hat sie nicht geltend gemacht. Die von Antragstellerin vorgetragene Notwendigkeit, in erhöhtem Umfang Fremdleistungen z.B. bei Verpflegung und Nachhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, kann auch bei zusammenlebenden Eltern bestehen, z.B. wenn diese aufgrund niedriger Einkunftserzielungsmöglichkeiten beide berufstätig sein müssen. Dass aufgrund der für Kinder erforderlichen Zeit  weniger Zeit für die Einkommenserzielung zur Verfügung steht, wirkt sich bereits dadurch aus, dass das in der nicht zur Verfügung stehenden Zeit nicht erzielte Einkommen nicht besteuert wird. Auch der vorgetragenen höheren Personalkostenquote würde bereits dadurch steuerlich Rechnung getragen, dass die Antragstellerin die Personalkosten als Betriebsausgaben abziehen kann. Die Höhe des Freibetrages gemäß § 24b EStG entspricht in etwa einem einkommensteuerlich umgerechneten Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II, wobei die Regelungen wegen der einkommensteuerlich unabhängig, nach § 21 Abs. 3 SGB II jedoch abhängig von Alter und Zahl der Kinder bestimmten Beträge nicht direkt vergleichbar sind. Zudem können einkommensteuerlich zusätzlich Kinderbetreuungskosten abgezogen werden. Das Gericht hat deshalb keine eine Aufhebung der Vollziehung rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe des Freibetrages des § 24b EStG.
59
6) Bezüglich der von der Antragstellerin als verfassungswidrig gerügten unzureichenden Berücksichtigung der Sonderausgaben bzw. zum (Nicht-) Abzug der einkommensteuerlich zu verschonenden existenznotwendigen Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen für ihre unterhaltsberechtigten Kinder hat das BVerfG mit Urteil vom 13. Februar 2008 (a.a.O.) entschieden, dass die für das Streitjahr geltenden Regelungen in § 10 EStG nicht verfassungsgemäß sind. Es hat jedoch eine Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zum 31. Dezember 2009 angeordnet und damit dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist für eine verfassungsgemäße Neuregelung eingeräumt. Für das Streitjahr hat das Gericht deshalb keine Zweifel daran, dass die gesetzlichen Regelungen des § 10 EStG zum Sonderausgabenabzug für Eltern bzw. Alleinerziehende mit Kindern zu Recht der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegt worden sind.
60
7) Dass die Besteuerung den von der Antragstellerin erwähnten nach Art. 6 Abs. 4 GG geschützten Anspruch der Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft verletzt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
61
8) Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Aus den Bescheiden des FA vom … bzw. … ergab sich eine (geringe) Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …. Die Antragstellerin möchte über die Höhe der Nachzahlung hinaus im Vorgriff auf eine von ihr für erforderlich gehaltene gesetzliche Neuregelung – die Einführung eines Familiensplittings bzw. die Anwendung der Splittingtabelle auf ihr zu versteuerndes Einkommen bzw. die Berücksichtigung höherer als der gesetzlichen Frei- bzw. Zusatzbeträge – eine Aufhebung der Vollziehung erreichen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Nach § 361 Abs. 2 Satz 4 AO, § 69 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO sind die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich auf die Differenz zwischen der festgesetzten Jahressteuer und den anzurechnenden Abzugsbeträgen, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und den festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt. Nach dem Zweck der Vorschrift soll eine vorläufige Erstattung von Vorauszahlungen ausgeschlossen werden (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, Rdz. 46 zu § 69 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH sind im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO „wesentliche Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO … nur gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde“ (vgl. Beschluss vom 22. November 2001, V B 100/01, BFH/NV 2002, 519, ebenso BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010, VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935 m.w.N.), nicht jedoch, wenn es sich lediglich um Nachteile handelt, die typischerweise mit der Pflicht zur Steuerzahlung verbunden sind (vgl. Koch in Gräber a.a.O., Rdz. 47 zu § 69 FGO mit weiteren Nachweisen). Dass § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) verfassungswidrig seien, hat die Antragstellerin weder vorgetragen, noch ist dies ersichtlich (vgl. BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010 a.a.O. m.w.N., BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2002 1 BvR 66/02 zum Beschluss des BFH vom 22. November 2001, juris).
62
9) Die Aufhebung der Vollziehung ist auch nicht deshalb geboten, weil die erfolgte Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie die Antragstellerin substantiiert vorgetragen.
63
10) Das Gericht legt im Kosteninteresse der Antragstellerin den Antrag dahingehend aus, dass sie die Aufhebung der Vollziehung nur bezüglich der Einkommensteuer beantragt und nur nachrichtlich mitgeteilt hat, dass entsprechend der Solidaritätszuschlag ausgesetzt werden möge. Ein auch bezüglich des Solidaritätszuschlages gestellter Antrag wäre unzulässig. Eigenständige Einwendungen gegen dessen Festsetzung hat die Antragstellerin nicht erhoben. Sie begehrt dessen Aufhebung der Vollziehung als Folgewirkung aufgrund der begehrten Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuer, die hierfür die Grundlage bildet (§ 233 a Abs. 5 AO, § 1 Abs. 5 Satz 2 SolzG). Ein insoweit gestellter Antrag wäre unzulässig (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010. Rdz. 55 zu § 69 FGO, Stichwort Folgebescheide).
64
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
65
Das Gericht lässt gemäß § 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO die Beschwerde zu.

Bewertung eines Wohnrechts

Der für die Erbschaft- und Schenkungssteuer zuständige 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Urteil vom 19.09.2012 entschieden, dass der Jahreswert von Nutzungen eines Wirtschaftsguts, das für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungssteuer nach den §§ 157 ff. BewG mit dem Verkehrswert angesetzt wird, nicht nach § 16 BewG gedeckelt werden darf (Az.3 K 194/12).

Zum Hintergrund: Seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes am 1. Januar 2009 werden – entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts – alle wesentlichen Vermögensgruppen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungssteuer mit dem gemeinen Wert (bzw. Verkehrswert) angesetzt.

§ 177 BewG bestimmt ausdrücklich, dass den Bewertungen des Grundvermögens der gemeine Wert zugrunde zu legen ist. Die Berücksichtigung von Grundstücksbelastungen ist dabei grds. nicht vorgesehen. § 198 BewG erlaubt es dem Steuerpflichtigen aber, den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes zu führen. Der Gesetzgeber hat dabei die Möglichkeit zugelassen, dass der niedrigere Verkehrswert auch aus der Belastung des Grundbesitzes mit einem Nutzungsrecht resultieren kann.

Wird das Nutzungsrecht – im Streitfall handelte es sich um ein Wohnrecht – allerdings nicht bereits bei der Ermittlung des Grundbesitzwertes berücksichtigt, ist es (im Umkehrschluss zu § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG) bei der Festsetzung der Erbschaft- bzw. Schenkungssteuer abzuziehen. Es ist dann „nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes“ zu bewerten. In diesem Fall kommt grds. auch die Vorschrift des § 16 BewG zur Anwendung. Danach kann bei der Ermittlung des Kapitalwerts der Nutzungen eines Wirtschaftsgutes der Jahreswert dieser Nutzungen höchstens den Wert betragen, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende Wert“ durch 18,6 geteilt wird. Anders als bei einer Berücksichtigung der Nutzungen im Rahmen des nachgewiesenen niedrigeren Verkehrswertes nach § 198 BewG findet bei einem Abzug der Nutzungen bei der Erbschaft­- bzw. Schenkungsteuer somit eine wertmäßige Deckelung des Jahreswertes statt.

Je nachdem, ob die Nutzungen somit bei dem Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes im Rahmen der Feststellung des Grundbesitzwertes oder bei der Festsetzung der Erbschaft- bzw. Schenkungssteuer berücksichtigt werden, können sich bei identischem Sachverhalt und gleicher steuerlicher Leistungsfähigkeit somit stark unterschiedliche Steuerbelastungen ergeben, die alleine aus den unterschiedlichen Berechnungsmöglichkeiten resultieren.

Der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hält dieses Ergebnis für nicht folgerichtig und begrenzt § 16 BewG deshalb in verfassungskonformer Weise dahingehend, dass die Vorschrift nicht zur Anwendung kommt, wenn es sich bei dem „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert“ um den nach §§ 157 ff. BewG ermittelten Verkehrswert des Wirtschaftsgutes handelt.

Der Deckelungsvorschrift des § 16 BewG liegt die gesetzgeberische Überlegung zugrunde, dass der Wert der Nutzungen nicht den Wert des Eigentums als Vollrecht übersteigen soll. Dieses Ergebnis trat regelmäßig dann ein, wenn als „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[r] Wert“ eines Wirtschaftsgutes der unrealistisch niedrige Einheits- oder Bedarfswerte angesetzt wurde. § 16 BewG sorgte dann dafür, dass auch der Wert der Nutzungen auf dieses unrealistisch niedrige Wertniveau herabgesenkt wurde.

Diese Deckelung ist jedoch nach Auffassung des 3. Senats dann nicht mehr geboten und gerechtfertigt, wenn das belastete Wirtschaftsgut – wie vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben – nach §§ 157 ff. BewG mit dem Verkehrswert angesetzt wird. In diesem Fall verhinderte die Anwendung des § 16 BewG vielmehr eine Verkehrsbewertung der Nutzungen, die ebenfalls verfassungsrechtlich geboten ist.

Der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat die Revision zugelassen. Ein Revisionsaktenzeichen des Bundesfinanzhofs liegt derzeit noch nicht vor.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen -Rechtsprechung- unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Keine Begrenzung des Jahreswertes von Nutzungen eines Wirtschaftsgutes, das für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem Verkehrswert angesetzt wird

§ 16 BewG wird in verfassungskonformer Weise einschränkend dahingehend ausgelegt, dass die dortige Verweisung auf den „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert“ sich nur auf diejenigen Vorschriften des Bewertungsgesetzes bezieht, die bereits vor dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes am 1. Januar 2009 existiert haben.

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 19.09.2012, 3 K 194/12

§ 157 BewG, § 16 BewG, § 177 BewG, § 198 BewG, § 10 Abs 6 S 6 ErbStG, Art 3 Abs 1 GG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Bewertung eines Wohnrechts.

2
Dem im Oktober 1935 geborenen Kläger war im Jahr 2000 von seiner langjährigen Lebensgefährtin ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht an einem Hausgrundstück vermacht worden. Das Hausgrundstück selbst hatte die Lebensgefährtin an ihre Enkelin vererbt, die gleichzeitig die Pflegetochter des Klägers war.

3
Mit notariellem Vertrag vom 21. Dezember 2010 übertrug die Pflegetochter das Grundstück ohne Vereinbarung einer Gegenleistung auf den Kläger. Gleichzeitig wurde die Löschung des Wohnrechts des Klägers beantragt. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde in dem Vertrag mit 60.000 €, der des Wohnrechts mit 43.000 € beziffert. Die Werte basierten auf einem von dem Kläger eingeholten Sachverständigengutachten.

4
Der steuerlich zunächst nicht vertretene Kläger legte dieses Gutachten auch dem Beklagten im Verfahren über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes vor. Mit Bescheid des Beklagten vom 26. April 2011 stellte dieser jedoch – ohne Berücksichtigung des Wohnrechts – einen Grundbesitzwert in Höhe von 53.874 € fest und verwies in der Begründung des Bescheides darauf, dass „der ermittelte Grundbesitzwert nicht höher ist als der Verkehrswert“. Der Bescheid erwuchs in Bestandskraft.

5
In der Schenkungssteuererklärung gab der Kläger den Wert des Grundstücks mit 17.000 € an. Der Beklagte übernahm jedoch den festgestellten Grundbesitzwert von 53.874 €, wiederum ohne das Wohnrecht bei der Berechnung der Schenkungsteuer in Abzug zu bringen.

6
Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 15. September 2011 und bat um Berücksichtigung des Wohnrechts. Der Beklagte setzte daraufhin das Wohnrecht mit einem Wert von 23.000 € an. Bei der Ermittlung des Jahreswertes des Wohnrechts berücksichtigte er die in § 16 des Bewertungsgesetzes (im Folgenden: BewG) bestimmte Begrenzung des Jahreswertes von Nutzungen auf 1/18,6 des „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert[es]“. Unter Berücksichtigung eines Jahreswertes in Höhe von (53.874 € / 18,6 =) 2.896 und eines Vervielfältigers von 7,942 ergab sich – nach Abzug von Erwerbsnebenkosten in Höhe von 732 € – ein Steuerwert der Bereicherung in Höhe von (53.874 € ./. 23.000 € ./. 732 € =) 30.142 €.

7
Gegen den entsprechenden Einspruchsbescheid des Beklagten vom 27. Januar 2012 erhob der Kläger Klage.

8
Er ist der Auffassung, für Zwecke der Schenkungssteuer seien die von ihm durch Sachverständigengutachten nachgewiesenen Verkehrswerte in Höhe von 60.000 € für das Grundstück und in Höhe von 43.000 € für das Wohnrecht zugrunde zu legen, so dass sich aufgrund des für den Kläger geltenden erbschaftsteuerlichen Freibetrages in Höhe von 20.000 € keine steuerpflichtige Bereicherung mehr ergebe.

9
Der Kläger beantragt,

10
den Bescheid über Schenkungsteuer vom 25. August 2011 in der zuletzt ergangenen Fassung und der Einspruchsbescheid vom 27. Januar 2012 aufzuheben.

11
Der Beklagte beantragt,

12
die Klage abzuweisen.

13
Er trägt vor, der Jahreswert des Wohnrechts sei – wie geschehen – nach § 16 BewG auf ein 18,6tel des Steuerwertes des Grundstücks zu begrenzen und daher nur in der erfolgten Höhe von dem Grundbesitzwert abzuziehen.

 

Entscheidungsgründe

14
I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Begrenzung des Jahreswertes von Nutzungen in § 16 BewG ist nach Auffassung des Senates bei der Wertermittlung nach §§ 157 ff. BewG nicht anzuwenden.

15
1. Mit der unentgeltlichen Grundstücksübertragung liegt ein schenkungssteuerpflichtiger Vorgang nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes (im Folgenden: ErbStG) vor. Als steuerpflichtiger Erwerb gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist.

16
2. Erworbener Grundbesitz ist nach § 12 Abs. 3 ErbStG mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag festgestellten Wert, also mit dem Grundbesitzwert nach §§ 138, 157 BewG, anzusetzen. Die Grundbesitzwerte sind nach §§ 151 Abs. 1 Nr. 1, 179 AO gesondert festzustellen. Die entsprechend ergehenden Feststellungsbescheide sind nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für die Folgebescheide als Grundlagenbescheide bindend.

17
Im Streitfall wurde der Grundbesitzwert durch Bescheid vom 26. April 2011 des Beklagten mit 53.784 € festgestellt. Diesen Wert des unbelasteten Grundstücks hatte der Beklagte im Wege des Vergleichswertverfahrens ermittelt. Der vom Kläger durch Sachverständigengutachten nachgewiesene niedrigere Verkehrswert des unbelasteten Grundstückes war mit 60.000 € nicht niedriger als der von dem Beklagten ermittelte und wurde von diesen daher nicht nach § 198 BewG angesetzt. Auf den von dem Kläger vorgetragenen Wert des durch das Wohnrecht belasteten Grundstücks in Höhe von 17.000 € stellte der Beklagte – in zulässiger Weise – nicht ab. Die bestandskräftig gewordene Wertfeststellung ist für den Schenkungssteuerbescheid bindend und kann im Rahmen des gegen diesen gerichteten Einspruchs- und Klageverfahrens nach § 351 Abs. 2 AO nicht angegriffen werden.

18
3. Die Berücksichtigung des Wohnrechts erfolgte – entsprechend dem Umkehrschluss des § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG – im Rahmen der Schenkungssteuerveranlagung. Es ist dort als wiederkehrende Nutzung nach § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. §§ 13 ff. BewG zu bewerten. Zur Ermittlung des Wertes der wiederkehrenden Nutzung ist nach § 14 Abs. 1 BewG der Jahreswert der Nutzung mit dem in der Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG (BMF-Schreiben vom 1. Oktober 2009, BStBl. I. 2009, 1168) genannten Vervielfältiger zu multiplizieren. Als Jahreswert von Nutzungen, die in ihrem Betrag ungewiss sind oder schwanken, ist nach § 15 Abs. 3 BewG „der Betrag zugrunde zu legen, der in Zukunft im Durchschnitt der Jahre voraussichtlich erzielt werden wird“. Der von dem Kläger beauftragte Sachverständige hat in nicht zu beanstandender Weise einen Jahreswert von 4.744 € ermittelt.

19
Nach § 16 BewG kann jedoch bei der Ermittlung des Kapitalwerts von Nutzungen eines Wirtschaftsgutes der Jahreswert dieser Nutzungen höchstens den Wert betragen, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende Wert“ durch 18,6 geteilt wird. Im Streitfall ergäbe sich deshalb – wie von dem Beklagten ermittelt – höchstens ein Jahreswert von (53.784 € / 18,6 =) 2.896 € und unter Berücksichtigung eines – nach dem Lebensalter des Klägers bemessenen – Vervielfältigers von 7,942 für den am 22. Oktober 1935 geborenen Kläger zum Übertragungsstichtag, dem 21. Dezember 2010, ein Wert des Wohnrechts in Höhe von 23.000 €.

20
4. § 16 BewG ist jedoch nach Auffassung des Senats bei der Wertermittlung aufgrund der „Vorschriften für die Bewertung von Grundbesitz, von nicht notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Betriebsvermögen für die Erbschaftsteuer ab 1. Januar 2009“ in den §§ 157 BewG nicht anzuwenden. Dies ergibt sich aufgrund verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift. Die dortige Verweisung auf den „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert“ bezieht sich danach nur auf die Vorschriften des BewG, die bereits vor dem Erbschaftsteuerreformgesetz existiert haben.

21
a. Eine Anwendung des § 16 BewG im Streitfall verstieße nach Überzeugung des erkennenden Senats gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

22
(1) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen.

23
Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Die Freiheit des Gesetzgebers im Steuerrecht – auch im Erbschaftsteuerrecht – wird hierbei allerdings durch zwei Leitlinien begrenzt, nämlich durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Die mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffene Belastungsentscheidung hat der Gesetzgeber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig umzusetzen. Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010 – 1 BvR 611/07 u.a., BVerfGE 126, 400 m.w.N.).

24
(2) Die Vorschrift des § 16 BewG widerspräche – käme sie auch auf die nach den §§ 157 ff. BewG anzusetzenden Werte und somit im Streitfall zur Anwendung – dem Gebot einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit, da sie eine nicht zu rechtfertigende steuerliche Ungleichbehandlung ein- und desselben Lebenssachverhaltes zur Folge hat, die alleine davon abhängt, ob Nutzungen nach § 198 BewG bei dem Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes des Grundstückes im Rahmen der Feststellung des Grundbesitzwertes oder nach § 12 Abs. 1 ErbStG i. V. m. §§ 13 ff. BewG bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden.

25
(a) In seinem Beschluss vom 7. November 2006 (1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1) hat das Bundesverfassungsgericht bestimmt, dass eine mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare Besteuerung des Vermögenszuwachses durch die Erbschaft- und Schenkungssteuer nur dann gewährleistet werden könne, wenn das Gesetz für die Bewertung der einzelnen Vermögensgegenstände einheitlich den gemeinen Wert als maßgebenden Bewertungsmaßstab vorschreibe. Seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom 24. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, 3018, im Folgenden: ErbStRefG) am 1. Januar 2009 werden – entsprechend dieser Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts – alle wesentlichen Vermögensgruppen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem gemeinen Wert (bzw. Verkehrswert) angesetzt (vgl. BT-Drs. 16/7918, S. 1). Für Grundvermögen bestimmt § 177 BewG ausdrücklich, dass den Bewertungen nach §§ 179 und 182 bis 196 BewG der gemeine Wert (§ 9 BewG) zugrunde zu legen ist. § 182 Abs. 1 BewG sieht zur Ermittlung des Verkehrswertes das Vergleichswert-, das Ertragswert und das Sachwertverfahren vor.

26
Die Berücksichtigung von Grundstücksbelastungen ist bei der Bewertung des Grundvermögens nach den §§ 176 ff. BewG grds. nicht vorgesehen (vgl. Horn in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG. Kommentar, § 12 ErbStG Rz. 530). Für das Vergleichswertverfahren bestimmt § 183 Abs. 3 BewG vielmehr ausdrücklich, dass die den Wert des Grundvermögens beeinflussenden Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art nicht mindernd berücksichtigt werden dürfen. Der Abzug eines Nutzungsrechts ist damit an dieser Stelle nicht zulässig.

27
§ 198 BewG erlaubt es dem Steuerpflichtigen aber, den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes zu führen und damit die Feststellung eines niedrigeren Verkehrswertes zu erreichen. Zwar hat der BFH (in seinem Urteil vom 11. Juni 2008 – II R 71/05, BFHE 222, 57; BStBl. II 2009, 132) für § 146 Abs. 7 BewG a.F. den Nachweis für den Fall verneint, dass der niedrigere Verkehrswert alleine aus der Belastung des Grundbesitzes mit dem Nutzungsrecht (eines Dritten) resultiert. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit jedoch in § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG entgegen dieser Auffassung ausdrücklich zugelassen. Nach dieser Vorschrift ist der Abzug von Nutzungsrechten bei der Erbschaftsteuer ausgeschlossen, wenn diese sich als Grundstücksbelastung bereits bei der Ermittlung des gemeinen Werts einer wirtschaftlichen Einheit des Grundbesitzes ausgewirkt haben. Folglich muss es nach der Vorstellung des Gesetzgebers bereits bei der Feststellung des Grundbesitzwertes möglich sein, die auf einem Grundstück ruhende Belastungen in Höhe ihres Verkehrswertes mindernd zu berücksichtigen (vgl. Jüptner in Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG. Kommentar, § 12 ErbStG Rz. 271 ff.;Böge in Tiedtke, ErbStG. Kommentar, § 12 ErbStG Rz. 283).

28
Wird das Nutzungsrecht dagegen – wie im Streitfall – nicht bereits bei der Ermittlung des Grundbesitzwertes berücksichtigt, ist es im Umkehrschluss zu § 10 Abs. 6 ErbStG bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer abzuziehen. Es ist dann gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG „nach den Vorschriften des Ersten Teils des Bewertungsgesetzes“, insbesondere unter Berücksichtigung des § 16 BewG, zu bewerten. Danach kann bei der Ermittlung des Kapitalwerts der Nutzungen eines Wirtschaftsgutes der Jahreswert dieser Nutzungen höchstens den Wert betragen, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende Wert durch 18,6 geteilt wird. Anders als bei einer Berücksichtigung der Nutzungen im Rahmen des niedrigeren Verkehrswertes nach § 198 BewG findet bei einem Abzug der Nutzungen bei der Erbschaftsteuer somit eine wertmäßige Deckelung des Jahreswertes statt, die – wie im Streitfall – regelmäßig zu einer vom Verkehrswert abweichenden Bewertung der Nutzungen führt.

29
Je nachdem, ob die Nutzungen somit bei dem Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes im Rahmen der Feststellung des Grundbesitzwertes oder bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer berücksichtigt werden, können sich bei gleicher steuerlicher Leistungsfähigkeit somit stark unterschiedliche Steuerbelastungen ergeben, die alleine aus den unterschiedlichen Berechnungsmöglichkeiten resultieren (so ausdrücklich auchKrause/Grootens, NWB 2011, 1142 [1143] aus Sicht der Finanzverwaltung).

30
(b) Eine Rechtfertigung für diese steuerliche Ungleichbehandlung ein und desselben Lebenssachverhaltes ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist sie das Resultat einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung der Bewertungsvorschriften durch das ErbStRefG.

31
Die Höchstbetragsregelung des § 16 BewG geht von der Überlegung aus, dass das Nutzungsrecht an einem Wirtschaftsgut keinen größeren Wert haben kann als das Wirtschaftsgut selbst, weil gerade das Vollrecht an einem Wirtschaftsgut sämtliche Nutzungen und Vorteile umfasst. Der Bundesfinanzhof hatte diese Auffassung in seiner ständigen Rechtsprechung vertreten, sie aber mit Urteil vom 17. Mai 1963 (III 406/58 S, BStBl. III 1963, 530) aufgegeben. Als Reaktion auf diesen Rechtsprechungswechsel schuf der Gesetzgeber mit (der wortgleichen Vorgängerregelung des) § 16 BewG eine gesetzliche Regelung, die den Jahreswert der Nutzungen eines Wirtschaftsgutes auf (zunächst 1/18, später auf) 1/18,6 des Steuerwertes begrenzte. Diese Begrenzung war insbesondere von Bedeutung, solange der Erbschaftsteuer die weit unter dem Verkehrswert liegenden Einheits- und Bedarfswerte zugrunde gelegt wurden (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG. Kommentar, § 12 ErbStG Rz. 245). Durch die in § 16 BewG vorgenommene Verknüpfung des Kapitalwertes der Nutzungen mit dem Steuerwert des Wirtschaftsgutes wurde „das wirklichkeitsfremde Niveau der Einheitswerte des Grundbesitzes sowie der Grundbesitzwerte auf das Niveau des Kapitalwerts von Nutzungsrechten übertragen“ (so die Formulierung von Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG/BewG. Kommentar, § 16 BewG Rz. 3). Nachdem aufgrund des ErbStRefG nunmehr für die Besteuerung regelmäßig die Verkehrswerte maßgeblich sind, wird in der Literatur vertreten, § 16 BewG habe seine frühere Bedeutung verloren (Horn in Fischer/Jüptner/Pahlke/ Wachter, ErbStG. Kommentar, § 12 ErbStG Rz. 159). Nach der Auffassung von Meincke(ErbStG. Kommentar, 16. Auflage 2012, § 12 ErbStG Rz. 37) ist es gar fraglich, ob § 16 BewG „nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts unverändert beibehalten werden“ könne, denn auch die Bewertung von Nutzungen müsse sich am Verkehrswert orientieren. Das Ziel der Verkehrsbewertung wird unter Anwendung des § 16 BewG aber gerade nicht erreicht. Entsprechend hat der Bundesfinanzhof (Urteil vom 15. Dezember 2010 – II R 41/08, BStBl. II 2011, 363) – für die Feststellung einer gemischten Schenkung – entschieden, dass § 16 BewG bei der Ermittlung des Verkehrswertes von Nutzungen nicht anzuwenden ist, und ausgeführt, dass die Vorschrift zur Bestimmung des Verkehrswertes von Nutzungen ungeeignet sei, da „sie auf die Vorschriften des BewG und somit – bei grundstücksbezogenen Nutzungen – auf die Bedarfsbewertung von Grundstücken“ verweise.

32
Ungeachtet eines evtl. verbliebenen Anwendungsbereiches des § 16 BewG kann jedoch die genannte Zielsetzung auch nicht rechtfertigen, dass eine entsprechende Deckelung zwar bei der Berücksichtigung von Nutzungen im Rahmen der Schenkungssteuerveranlagung, nicht aber deren Berücksichtigung im Rahmen der gesonderten Feststellung der Grundbesitzwerte nach §§ 176 ff. BewG erfolgt. Sollte der Gesetzgeber sich bewusst für die Beibehaltung der Begrenzung der Jahreswerte in § 16 BewG entschieden haben, so hätte es – folgerichtig – auch einer entsprechenden Begrenzung bei der Ermittlung der Grundbesitzwerte aufgrund der §§ 176 ff. BewG bedurft (so auch Krause/Grootens, NWB 2011, 1142 [1148 f.]). Allerdings ist aus den Gesetzgebungsmaterialien zum ErbStRefG nicht ersichtlich, dass die Vorschrift des § 16 BewG in die Überlegungen mit einbezogen wurde (vgl. BT-Drs. 16/7918 und BR-Drs. 4/08, S. 50).

33
b. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Bedenken an der Vorschrift legt der Senat § 16 BewG in verfassungskonformer Weise einschränkend dahingehend aus, dass die dortige Verweisung auf den „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert“ sich nur auf diejenigen Vorschriften des BewG bezieht, die bereits vor dem Erbschaftsteuerreformgesetz existiert haben.

34
(1) Lässt eine Norm unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweck und Gesetzeszusammenhang mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, ist diejenige Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Wortlaut und Gesetzeszweck ziehen einer verfassungskonformen Auslegung aber zugleich Grenzen. Ein Normverständnis, das mit dem Wortlaut und Zweck der anzuwendenden Normen sowie dem Gesetzeszusammenhang nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch eine verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers treten würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1996 – 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64; vgl. zum Ganzen eingehend jüngst Drüen, StuW 2012, 269).

35
(2) Die vom Senat gewählte Auslegung widerspricht weder dem Wortlaut der Vorschrift noch dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Vielmehr führt sie lediglich zu einer teleologischen Reduktion des Wortlauts, die mit dem durch das ErbStRefG verfolgten gesetzgeberischen Ziel der regelmäßigen Bewertung mit dem Verkehrswert im Einklang steht. Entsprechend dem oben genannten Zweck des § 16 BewG, „das wirklichkeitsfremde Niveau der Einheitswerte des Grundbesitzes sowie der Grundbesitzwerte auf das Niveau des Kapitalwerts von Nutzungsrechten [zu] übertragen“ und unter Berücksichtigung der Feststellung des Bundesfinanzhofs, dass § 16 BewG zur Bestimmung des – verfassungsrechtlich gebotenen – Verkehrswertes von Nutzungen ungeeignet ist, kann der Verweis auf den „nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes anzusetzende[n] Wert“ nur die niedrigen Einheitswerte (§§ 19 ff. BewG) und Bedarfswerte (§§ 138 ff. BewG), nicht aber die durch das ErbStRefG in §§ 176 ff. BewG bestimmten Verkehrswerte betreffen.

36
5. Im Streitfall sind von dem bindend festgestellten Grundbesitzwert in Höhe von 53.784 € ein Wert des Wohnrechts in Höhe von (4.744 € x 7,942 =) 37.676,85 € sowie die Erwerbsnebenkosten in Höhe von 732 € abzuziehen. Es ergibt sich eine Bereicherung des Klägers in Höhe von 15.375,15 €, die wegen des Freibetrages nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG in Höhe von 20.000 € nicht zu einer Schenkungsteuer führt.

37
II. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (im Folgenden: FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

38
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

39
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Sammelauskunftsersuchen zu Internetverkäufen

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 23.02.2012 (Az. 5 K 397/10) einer Klage gegen ein Sammelauskunftsersuchen der niedersächsischen Steuerverwaltung stattgegeben.

Hintergrund: Das beklagte Finanzamt für Fahndung und Strafsachen hatte die Klägerin um Auskunft über Verkäufe niedersächsischer Unternehmen in den Jahren 2007 bis 2009 als Drittanbieter über eine Internethandelsplattform ersucht.

Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass die website mit der darauf eingerichteten Internethandelsplattform in den Jahren 2007 bis 2009 nicht von der Klägerin, sondern ihrer luxemburgischen Muttergesellschaft betrieben und das Drittanbietergeschäft über diesen Internetmarktplatz von einer luxemburgischen Schwestergesellschaft abgewickelt wurde. Die Klägerin, eine inländische Kapitalgesellschaft, erbrachte gegenüber Mutter- und Schwestergesellschaft eine Vielzahl von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Internethandelsplattform.

Das Niedersächsische Finanzgericht gab der Klage gegen das Auskunftsersuchen statt, weil es der Klägerin nach Auffassung des erkennenden Senates nicht möglich ist, die ersuchten Auskünfte zu erteilen.

Die Auskunftsrechte der Finanzbehörden unterliegen nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen: Die verlangte Auskunft muss zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein. Eine Auskunft über den Inhalt elektronisch gespeicherter personenbezogener Daten – um die es im Streitfall ging – ist nach Auffassung des 5. Senates des NFG möglich, wenn der um Auskunft Ersuchte tatsächlich über die Speichermedien, auf denen die personenbezogenen Daten gespeichert sind, verfügen kann oder wenn er gegen den Verfügungsberechtigten einen rechtlichen Anspruch auf Herausgabe der Daten oder jedenfalls eine entsprechende Auskunft hat.

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist der Klägerin die Erteilung der ersuchten Auskünfte nicht möglich.

In tatsächlicher Hinsicht ist die Auskunft unmöglich, weil die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgerichts mangels Zugriffsberechtigung über keinen eigenen Zugriff auf die im Ausland befindlichen Server verfügt, auf denen die zur Auskunftserteilung benötigten Daten gespeichert sind.

Einen rechtlichen Anspruch gegen die Schwestergesellschaft als Betreiberin des Drittanbietergeschäfts auf Herausgabe der Daten, Erteilung einer Auskunft oder auf Verschaffung einer Berechtigung zum Zugriff auf die elektronischen Speichermedien hat die Klägerin nicht. Ein solcher Anspruch ergibt sich nach Auffassung des Gerichts weder aus dem zwischen ihnen geschlossen Datenverarbeitungsvertrag noch aus dem Umstand, dass es sich bei der Betreiberin des Drittanbietergeschäfts um eine ausländische Schwestergesellschaft der Klägerin handelt. Konkrete gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten der Klägerin konnte das Finanzgericht nicht feststellen. Allein der Umstand, dass die Klägerin und die luxemburgische Schwestergesellschaft Teil eines Konzerns sind, begründet keine solchen Einflussmöglichkeiten. Insofern bezog sich das NFG auf einen Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.5.2001 (Az. I S 3/01, BFH/NV 2001, 957).

Auf die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob die Finanzbehörde einen hinreichenden Anlass für das Ausbringen des Sammelauskunftsersuchens im Sinne der finanzgerichtlichen Rechtsprechung hatte (vgl. BFH-Urteil vom 16.01.2009 VII R 25/08, BStBl II 2009, 582), kam es für die Entscheidung nicht an.

Das Finanzgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Ein Aktenzeichen des BFH liegt derzeit noch nicht vor.

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Unzulässige Doppelbelastung aus Grunderwerb- und Umsatzsteuer für Empfänger von Bauerrichtungsleistungen

„Einheitlicher Leistungsgegenstand“ erneut auf dem Prüfstand

Die Kläger – ein junges Bauherren-Ehepaar – klagen gegen die vom Finanzamt festgesetzte Grunderwerbsteuer. Mit ihren Klagen hatten sie jetzt Erfolg. Die angefochtenen Grunderwerbsteuer-Festsetzungen wurden um insgesamt mehr als dreitausend Euro herabgesetzt (Az. 7 K 192/09 und 7 K 193/09).

Die Kläger hatten im Jahr 2005 ein unbebautes Grundstück erworben. Zwei Wochen nach dem notariellen Grundstücksübertragungsvertrag schlossen sie mit einem Bauunternehmen einen Bauvertrag über eine Doppelhaushälfte, in dem der Bauträger Umsatzsteuer auswies, die die Kläger als Endverbraucher jedoch nicht als Vorsteuer in Abzug bringen konnten. Das Finanzamt legte als Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer nicht nur den Kaufpreis für das unbebaute Grundstück, sondern auch die Bausumme für das herzustellende Gebäude zugrunde. Hiergegen wandten sich die Kläger.

Der konsentierte Einzelrichter des 7. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) gab dem Klagebegehren statt. Die Aufwendungen aus einem Bauerrichtungsvertrag (zivilrechtlich: Werkvertrag), der im Zusammenhang mit dem Erwerb eines unbebauten Grundstücks abgeschlossen werde und der für den Bauherrn eine Umsatzsteuerbelastung auslöse, unterlägen nicht der Grunderwerbsteuer. Insofern seien die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes nicht erfüllt, denn die Vorschrift verlange ein Rechtsgeschäft, das den „Anspruch auf Übereignung“ begründe. Diese Maßgabe erfülle ein Bauerrichtungsvertrag nicht. Entsprechend sei Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer lediglich der Kaufpreis für das unbebaute Grundstück.

Das NFG folgt damit der Rechtsprechung der für Umsatzsteuer zuständigen Senate des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der die Verschaffung eines Grundstücks in einem Zustand, den dieses erst künftig durch Bebauung erhalten soll, nicht wie der Erwerb eines bebauten Grundstücks durch einen einheitlichen Erwerbsvertrag erfüllt werden kann (Hinweis auf BFH-Urteil vom 10.9.1992 – V R 99/88, BStBl. II 1993, S. 316). Im Gegensatz dazu fasst der für Grunderwerbsteuer zuständige Senat des BFH regelmäßig die noch auszuführenden Bauleistungen mit Lieferungen von unbebauten Grundstücken zu „einheitlichen Leistungsgegenständen“ zusammen (z.B. BFH-Urteil vom 27.10. 1999 – II R 17/99, BStBl. II 2000, S. 34). Auf diese Rechtsprechung hatte sich das Finanzamt gestützt.

Das NFG hat die Revision mit der Anregung zugelassen wegen der divergierenden Rechtsprechung innerhalb des BFH den Großen Senat des BFH anzurufen.

Revision:

Der BFH hat die Entscheidung des Nds. Finanzgerichts mit Urteil vom 27.09.2012 – II R 7/12 – aufgehoben und damit im Ergebnis die Rechtsauffassung des beklagten Finanzamts bestätigt. Die Kläger haben gegen dieses Urteil des BFH Verfassungsbeschwerde erhoben, die unter dem Az. 1 BvR 2766/12 beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist.

Die vollständige Entscheidung können Sie auf der Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen Justiz finden.

Antrag auf Günstigerprüfung bei Abgeltungsteuer fristgebunden? (FG)

Das Niedersächsische Finanzgericht hat sich mit der Frage befasst, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids ein Antrag auf Günstigerprüfung gestellt werden und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer steuermindernd berücksichtigt werden kann. Im Streitfall hat das Gericht dies verneint. Die daraufhin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hatte jedoch Erfolg (FG Niedersachsen, Urteil v. 23.5.2012 – 2 K 250/11; Revision anhängig).

 

Einkommensteuer 2010

Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG fristgebunden?

Nichtzulassungsbeschwerde, BFH-Az. VII B 95/12 – Revision zugelassen
Revision eingelegt, BFH-Az. VIII R 14/13

Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Urteil vom 23.05.2012, 2 K 250/11

 

Tatbestand

1
Streitig ist, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2010 ein Antrag auf Günstigerprüfung im Sinne des § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) gestellt werden kann und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag steuermindernd zu berücksichtigen ist.

2
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2010 als Mini-Jobberin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 16.765 €. Daneben erhielt sie nach ihrem verstorbenen Ehemann eine Leibrente in Höhe von 2.432 €. In der am 27. Januar 2011 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung gab die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht an. Die Einkommensteuererklärung wurde gefertigt von der Vereinigten X. Aufgrund der Einkommensteuererklärung ermittelte das Finanzamt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 7.849 € und daraus resultierend eine Einkommensteuer von 0,00 €. Der Einkommensteuerbescheid vom 3. März 2011 wurde bestandskräftig.

3
Mit Schreiben vom 12. Mai 2011, Eingang beim Finanzamt am 25. Mai 2011, beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Steuerbescheinigung der K über die Kapitalerträge sowie anrechenbare Abzugsbeträge die Verrechnung der Abzugsbeträge mit der persönlichen Einkommensteuer. Die Bescheinigung der K (Bl. 17 der Einkommensteuerheftung) trägt das Datum vom 20. August 2010. Die Bescheinigung ist ausdrücklich als Steuerbescheinigung bezeichnet. Bestätigt wurde darin, dass Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in Höhe von 1.523,72 € im Jahr 2010 ausgezahlt wurden. Die Kapitalertragssteuer wurde in Höhe von 380,93 € ausgewiesen, der Solidaritätszuschlag mit 20,95 €. In der Steuerbescheinigung findet sich weiter der Hinweis, dass die Höhe des in Anspruch genommenen Sparerpauschbetrages 0,00 € beträgt.

4
Der Beklagte lehnte die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides ab. Bei den Wahlrechten nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG seien die allgemeinen Grundsätze über steuerliche Wahlrechte zu beachten. Eine Anrechnung von Abgeltungssteuern sei somit nach Rechtskraft nicht möglich, wenn zuvor kein Antrag auf Günstigerprüfung bzw. auf Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge gestellt worden sei.

5
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.

6
Die Klägerin ist weiterhin der Rechtsansicht, dass der Einkommensteuerbescheid 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) dergestalt zu ändern sei, dass bisher nicht erklärte Kapitalerträge im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG in die Veranlagung einbezogen werden müssen, mit der Folge, dass sich die festzusetzenden Steuern erhöhen und die von den Kapitalerträgen einbehaltenen Abzugssteuern (Abgeltungssteuer) anzurechnen seien. Die alleinstehende Klägerin sei in steuerlichen Dingen unerfahren. Sie erziele Versorgungsbezüge, eine kleine Rente sowie Einnahmen aus einem Minijob. Kapitalerträge aus den üblichen Spar- oder Wertpapiereinlagen habe sie im Jahr 2010 nicht erzielt. Allerdings habe sie per 1. September 2010 eine vor 2005 abgeschlossene Lebensversicherung innerhalb der Sperrfrist von 12 Jahren gekündigt. Es seien deshalb nach § 43 Abs. 1 EStG Kapitalertragssteuern auf die Auszahlung rechnungsmäßiger und außerrechnungsmäßiger Zinsen aus Sparanteilen einzubehalten gewesen. Die Klägerin habe nicht erkannt, dass die von der Versicherungsleistung einbehaltenen Abzugssteuern im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG zu deren teilweisen Erstattung hätte führen können. Daher habe sie die Steuerbescheinigung der K ihrem Berater zunächst auch nicht vorgelegt. Mangels irgendeines Hinweises auf einbehaltene Kapitalertragssteuern habe die für die Klägerin zuständige Beratungsstellenleiterin der Einkommensteuererklärung 2010 keine Anlage KAP beigefügt. Erst nachdem die Klägerin im Mai 2011 ihrem Berater die Steuerbescheinigung der K für 2010 doch noch zur Kenntnis gegeben habe, habe die Beratungsstellenleiterin sodann eine nachträgliche Günstigerprüfung beim Beklagten beantragt.

7
Die Finanzrechtsprechung habe sich bis heute noch nicht mit der Frage beschäftigt, ob ein Antrag nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG fristgebunden sei oder nicht. Im Gegensatz zu § 32d Abs. 4 EStG enthalte der Text des § 32d Abs. 6 EStG jedenfalls keine Verpflichtung, eine Günstigerprüfung schon mit der Erklärung zu beantragen. Die unterschiedlichen Formulierungen in den Absätzen 4 und 6 sprächen für ein nicht fristgebundenes Wahlrecht für eine Günstigerprüfung.

8
Zwar sei im ersten Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Bundestagsdrucksache 16/4841) zu § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt worden, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeiten im Rahmen seiner Veranlagung geltend machen könne; diese Formulierung sei später allerdings nicht mehr wiederholt und auch, anders als im Rahmen des § 32d Abs. 4 EStG, nicht ansatzweise in den Gesetzestext des Absatzes 6 übernommen worden. Da der Gesetzentwurf vom BMF stamme, gebe er nur die Auffassung der Finanzverwaltung wieder, die aber im weiteren Verfahren nicht ausdrücklich übernommen worden sei und demgemäß nicht als Willen des Gesetzgebers anzusehen sei. In der Literatur werde indes davon ausgegangen, dass dem Gesetz insoweit eine eindeutige Regelung nicht zu entnehmen sei und nicht auszuschließen sei, dass der Gesetzgeber eine Frist bewusst nicht aufgenommen habe.

9
Die Bundesregierung habe auf eine entsprechende Nachfrage in der Gesetzesberatung mitgeteilt, die Antragswahlrechte nach § 32d Abs. 4 und 6 EStG seien nicht fristgebunden, nach Eintritt der Bestandskraft könnten sie allerdings nur noch im Rahmen der Änderungsvorschriften ausgeübt werden, einschlägig könne insbesondere § 173 Abgabenordnung sein.

10
Auch im Streitfall sei aufgrund eines nicht fristgebundenen Wahlrechtes eine Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnet, weil die für die Ausübung des Wahlrechtes relevanten Tatsachen (Kapitaleinkünfte) und Beweismittel (Steuerbescheinigung) dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden seien und die nachträgliche Einbeziehung der Kapitaleinkünfte zum tariflichen Steuersatz zu einer höheren festzusetzenden Einkommensteuer führt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Klägerin durch die Anrechnung der Kapitalertragssteuer und der Solidaritätsbeitrage letztlich ein Vorteil entstehe, weil die Mehrbeträge an festzusetzenden Steuern niedriger seien als die zu erstattenden Steuereinbehalte. Es komme bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 AO allein auf das Ergebnis der Steuerfestsetzung an, die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen sei nicht dem Festsetzungs-, sondern dem Erhebungsverfahren zuzuordnen.

11
Die Klägerin beantragt,

12
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 20. Juli 2007 und des Einspruchsbescheides vom 30. August 2011 den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 7. April 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dergestalt zu ändern, dass die bisher nicht erklärten Kapitalerträge noch in die Veranlagung einbezogen werden.

13
Der Beklagte beantragt,

14
die Klage abzuweisen.

15
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

16
Der BMF habe Einzelfragen zur Abgeltungssteuer mit bindender Wirkung für die Finanzbehörden im Anwendungsschreiben vom 22. Dezember 2009 (BStBl. I 2010, 94) geregelt. Dabei sei unter Randziffer 149 zur Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt, dass der Steuerpflichtige diese Wahlmöglichkeit im Rahmen seiner Veranlagung geltend zu machen habe.

17
Die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes oder die nachträgliche Antragstellung sei auch keine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, sondern lediglich eine Verfahrenshandlung. Tatsachen im Sinne des § 173 AO seien die zugrunde liegende Einkünfte aus § 20 EStG. Bei Antragsstellung nach Bestandskraft eines Steuerbescheides werden dem Finanzamt diese Tatsachen nachträglich bekannt.

18
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

19
In der mündlichen Verhandlung sind wurden die Parteien darauf hingewiesen worden, dass im Streitfall der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet sein könnte.

 

Entscheidungsgründe

20
I. Die Klage ist unter Berücksichtigung von anrechenbaren Steuerabzugsbeträgen trotz höherer Steuerfestsetzung zulässig, vgl. BFH VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72.

21
II. Die Klage ist allerdings nicht begründet, da der Beklagte zu Recht eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides abgelehnt hat.

22
1. In Betracht kommt vorliegend im Hinblick auf die bei der erstmaligen Veranlagung nicht bekannten Kapitaleinkünfte des Klägers allein eine Änderung gem. § 173 AO. Die Eröffnung des Anwendungsbereiches ist allerdings nur gegeben, wenn der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden wäre, andernfalls wären die neuen Tatsachen nicht rechtserheblich.

23
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist für die Frage der Rechtserheblichkeit im Fall unterbliebener Anträge oder im Zusammenhang mit Wahrechten maßgeblich, ob der entsprechende Antrag fristgebunden oder nicht fristgebunden ist. Dementsprechend hat der BFH im Urteil vom 30. September 1991, II R 105/81 BStBl II 1982, 80 die Rechtserheblichkeit im Fall eines grunderwerbsteuerlichen Befreiungstatbestandes verneint unter Hinweis darauf, dass der entsprechende Antrag nach dem im entschiedenen Fall einschlägigen § 26 Abs. 2 GrEStG Berlin nicht in der dort ausdrücklich geregelten Frist gestellt worden war. Nach dieser Vorschrift konnte der Steuerpflichtige Anträge auf Steuervergünstigen ausdrücklich nur „bis zum Eintritt der Rechtskraft der Steuerfestsetzung oder im Anfechtungsverfahren bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht stellen.“ Die für die begehrte Steuerbefreiung relevanten Tatsachen waren deshalb zwar nachträglich bekannt geworden, aber nicht rechtserheblich, weil die Antragstellung ihrerseits nicht rechtzeitig bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit, sondern erst nach Bestandskraft erfolgt ist.

24
Demgegenüber hat der BFH im Urteil vom 28. September 1984, VI R 48/82 BStBl II 1985, 117 die Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen bejaht bei der Ausübung nicht fristgebundener Wahlrechte und dabei zwischen Antrag und Wahlrecht nicht differenziert. Im entschiedenen Fall ging es um das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1976 geltenden Fassung, für das sich im Gesetz kein Hinweis auf eine Befristung ergibt.

25
Entsprechend dieser Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass eine Befristung im Sinne dieser Differenzierung nicht in den generell bestehenden Einschränkungen durch die Bestandskraft zu sehen ist. Wäre Bestandskraft nicht eingetreten, würde sich die Frage nach einer Änderungsvorschrift indes nicht stellen.

26
b) Es spricht zunächst einiges dafür, ohne dass dies allerdings abschließend entschieden werden müsste, dass der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden ist.

27
Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich keine Befristung. Sofern sich aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ergibt, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeit im Rahmen der Veranlagung geltend machen könne, so ist dies ebenfalls keine eindeutige Begrenzung auf die Bestandskraft, die sich zudem im Gesetzestext nicht niedergeschlagen hat. Wäre eine entsprechende Befristung gewollt gewesen, ist im Hinblick auf die ausdrücklichen Regelungen in § 32d Abs. 4 sowie Abs. 2 Nr. 3 EStG davon auszugehen, dass dies auch ausdrücklich geregelt worden wäre.

28
Diese Auslegung entspricht auch der ausdrücklichen Aussage des aus dem Geschäftsbereich des BMF vom 15. April 2011 (Drucksache 17/5568, Frage Nr. 19), nach der der Antrag entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für steuerliche Wahlrechte nicht fristgebunden sei und die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung lediglich insoweit einschränke, als die nachträgliche Antragstellung nur unter den Voraussetzung der §§ 172ff AO möglich ist.

29
Gleiches folgt aus Tz. 8 AEAO vor §§ 172 bis 177 AO: Danach können Wahlrechte grundsätzlich bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ausgeübt werden, wobei allerdings die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung einschränke und die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes keine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO sei.

30
c) Seitens der Verwaltung wird allerdings eine andere Auffassung vertreten (vgl. z.B. Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2011, S 0351, juris). Für eine Befristung könnte möglicherweise die in § 32d Abs. 6 EStG enthaltene Verweisung auf die Absätze 1, 3 und 4 der Norm sprechen, anstelle derer die Besteuerung mit der tariflichen Einkommensteuer beantragt werden kann. Jedenfalls sofern der Antrag auf Günstigerprüfung in einem Fall des § 32d Abs. 4 EStG gestellt wird, könnte ebenfalls eine Antragstellung bereits mit der Einkommensteuererklärung zu fordern sein.

31
2. Die Frage braucht indes letztlich nicht abschließend entschieden zu werden, weil eine Änderung im vorliegenden Fall auch bei Annahme eines fristungebundenen Antragsrechts nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO trifft.

32
a) Auch wenn die Klägerin die Festsetzung einer höheren Steuer beantragt und sich der Vorteil für ihn erst aus der Anrechnung der eingehaltenen Steuerbeträge ergibt, ist vorliegend der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet.

33
aa) Grundsätzlich ist bei der Frage, ob sich die Änderung eines Steuerbescheids zugunsten oder zuungunsten eines Steuerpflichtigen auswirkt, allein auf den zu ändernden Bescheid abzustellen. Ebenso kann im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO nur aus einem Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung abgeleitet werden, ob die beabsichtigte Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1990, VI R 90/86 BStBl. II 1990, 610). Allerdings hat der BFH in dem zitierten Fall ausnahmsweise nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende Steuerbeträge in die Betrachtung einbezogen, weil im konkreten Fall der Nettolohnvereinbarung mit einer Einbeziehung des Differenzbetrages in die Einkommensteuerveranlagung zugleich die Entscheidung der Streitfrage verknüpft sei, ob zwischen dem Kläger und dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden ist und diese Entscheidung zugleich die Grundlage dafür biete, dass sämtliche im Rahmen der Nettolohnvereinbarung als einbehalten behaupteten Abzugsbeträge zugunsten des Klägers angerechnet werden können.

34
bb) In der vorliegenden Fallgestaltung ist die Einbeziehung der anrechenbaren Steuerabzugsbeträge ebenfalls in den Vergleich mit einzubeziehen. Dies folgt aus der Überlegung, dass die mit dem Antrag verfolgte Günstigerprüfung zwingend nur unter Berücksichtigung der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge erfolgen kann und der Antrag in dem Fall, dass die Versteuerung der Einkünfte mit dem individuellen Steuersatz insgesamt gesehen (also unter Berücksichtigung der anrechenbaren Abzugsbeträge) für den Steuerpflichtigen nicht günstiger ist, als nicht gestellt gilt.

35
Vorliegend ergäbe sich bei Berücksichtigung der Kapitalerträge sowie der anzurechnenden Steuerbeträge mit über 400,00 € eine im Vergleich zur ursprünglichen Festsetzung (0,00 €) um 78,00 € höhere Steuerfestsetzung, allerdings nach Abzug der Kapitalertragsteuer von 380,93 € eine um ca. 300,00 € verminderte Steuerlast. Die Günstigerprüfung würde dementsprechend vorliegend dazu führen, dass entsprechend dem Antrag die Kapitalerträge der tariflichen Einkommensteuer der Klägerin zu unterwerfen wären.

36
Die Entscheidung über die Änderung der Steuerfestsetzung kann danach nicht ohne Berücksichtigung der gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechenbaren Steuerabzugsbeträge getroffen werden, dementsprechend sind auch im vorliegenden Fall die anzurechnenden Steuerbeträge in die Betrachtung mit einzubeziehen und führen die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen zu einer niedrigeren Steuer.

37
b) Die Klägerin trifft ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen (Einkünfte aus Kapitalvermögen).

38
aa) Grobes Verschulden i.S.d § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Letztere ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. August 1994, VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl. II 1995, 264; vom 23. Januar 2001, XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl. II 2001, 379, und vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 369, BStBl. II 2005, 75, jeweils m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

39
Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986, III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl. II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993, III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl. II 1994, 346; vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl. II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988, IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl. II 1989, 131; vom 23. Februar 2000, VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005, VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).

40
Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteile in BFHE 175, 500, BStBl. II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, BStBl. II 2001, 379). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige auch dann nicht berufen, wenn er eine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 441, sowie in BFH/NV 2007, 866).

41
bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte die Klägerin ihre Kapitaleinkünfte sowie anrechenbaren Steuerabzugsbeträge dem Beklagten spätestens im Rahmen eines Einspruchsverfahrens mitteilen müssen. Es bestehen zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst keine Kenntnis von den Erträgen hatte. Die Steuerbescheinigung über Kapitalerträge von 1.523,72 € sowie anzurechnende Steuerabzugsbeträge von 380,93 € (KapESt) sowie 20,95 € (Solidaritätszuschlag) ist der Klägerin von der K bereits am 20. August 2010, also weit vor Erstellung der Steuererklärung, übermittelt worden.

42
Soweit sich die Klägerin auf einen Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruft, ist dies wenig plausibel. Sie hat eine als solche ausdrücklich bezeichnete Steuerbescheinigung erhalten, in der aufgeführt war, in welche Zeilen der Anlage „KAP“ die Beträge einzutragen sind, ein Hinweis auf eine Abgeltungswirkung war indes nicht enthalten. Bei der dargelegten Unsicherheit wäre die Klägerin zumindest gehalten gewesen, ihren Steuerberater über die (außerordentlichen) Erträge und einbehaltenen Steuerabzugsbeträge zu informieren und über die Rechtslage zu befragen. Im Übrigen wäre es auch Aufgabe des Steuerberaters gewesen, die Klägerin zu befragen, welche Anlagen zur Einkommensteuererklärung zu erstellen sind und welche Änderungen sich ggf. gegenüber dem Vorjahr bei den einzelnen Einkunftsarten ergeben haben.

43
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Steuererklärung 2012 für Rentner

Finanzämter fordern Rentner zur Steuererklärung auf

Ursache ist das Alterseinkünftegesetz, wonach Rentner verpflichtet sind, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, weil immer mehr Rentner Einkommensteuer auf Ihre Rente zahlen müssen. Die Einkommensteuererklärung 2012 müssen Rentner – wie alle anderen Steuerpflichtigen auch – bis zum 31.05.2013 beim Finanzamt eingereicht haben. Jetzt beginnen die Finanzämter bereits damit, die Steuererklärungen 2012 zu bearbeiten. Daher wird es auch für Rentner jetzt Zeit, ihre Steuererklärung für das vergangene Jahr abzugeben.

Die Besteuerung der Renten wird sichergestellt, durch das Rentenbezugsmitteilungsverfahren, d.h. die Finanzämter werden über sämtliche seit 2005 ausgezahlten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie von privaten Versicherungen oder Versorgungswerken informiert. Die Überprüfung hat jahrelang Zeit in Anspruch genommen, da die Steuerindentifikationsnummer erst eingeführt werden musste. Jetzt beginnen die Finanzämter damit, betroffene Rentner anzuschreiben und diese aufzufordern, ihre Steuererklärung abzugeben. Die Finanzämter prüfen auch, ob die Renten für die Jahre 2005 bis 2009 steuerpflichtig sind. Neben den Steuernachzahlungen drohen auch Nachzahlungszinsen. Auch Rentner können betroffen sein, die vom Finanzamt in früheren Jahren eine  Nichtveranlagungsbescheinigung erhalten haben.

Nach wie vor stellen sich viele Rentner folgende Fragen:

  • Wer muss überhaupt eine Steuererklärung einreichen?
  • Welche Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen können steuerlich abgesetzt werden?

Hier finden Sie viele Tipps und praktische Beispiele, die Rentnern beim Ausfüllen der Steuererklärung helfen und finden Sie Antworten auf Fragen zur

Rentenbesteuerung.

Es handelt sich um ein kostenloses Angebot im Internet. Außerdem können Sie Ihre Steuererklärung auch gleich online über Elster abgeben.

Änderung des Steuerrechts muss im Vermittlungsausschuss nachverhandelt werden

Der Bundesrat hat das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz, das unter anderem Rechtsänderungen zur Anpassung des Steuerrechts enthält, in den Vermittlungsausschuss verwiesen. Die Länder bemängeln, dass in dem Gesetz wichtige Regelungen zur Verhinderung von ungewollten Steuergestaltungen fehlen, zum Beispiel im Zusammenhang mit hybriden Finanzierungen und den so genannten Cash-GmbHs bei der Erbschaftsteuer. Im Ergebnis sei das Gesetz daher so zu fassen, wie es der Vermittlungsausschuss – ohne die Vorschläge zur steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften – bereits am 12. Dezember 2012 vorgeschlagen hatte.

Das Gesetz enthält zahlreiche Rechtsänderungen, die das deutsche Steuerrecht insbesondere an Recht und Rechtsprechung der Europäischen Union anpassen sollen. Weitere Maßnahmen dienen der Sicherung des Steueraufkommens oder der Funktionsfähigkeit des Besteuerungsverfahrens. Es handelt sich um eine „abgespeckte“ Version des Jahressteuergesetzes 2013, dem der Bundesrat am 1. Februar des Jahres die erforderliche Zustimmung verweigerte. Zuvor hatte der Bundestag den vom Vermittlungsausschuss vorgelegten Einigungsvorschlag abgelehnt.

Das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) finden Sie auf den Seiten des Bundesrats.

Quelle: Bundesrat, Pressemitteilung vom 22.03.2013

Neue Bundesfinanzrichter kommen aus Köln und Freiburg

Die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht Köln Ellen Siegers und der Richter am Finanzgericht Köln Dr. Christian Levedag wurden in der Bundesrichterwahl in Berlin zum Bundesfinanzhof (BFH) gewählt.

Ellen Siegers wurde 1961 in Osnabrück geboren. Nach einer Ausbildung zur Bankkauffrau studierte sie Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo sie später auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht tätig war. 1993 trat sie in die Finanzverwaltung des Landes Hessen ein und arbeitete dort zuletzt im hessischen Finanzministerium. Im März 1996 begann sie ihre Tätigkeit als Richterin beim Finanzgericht Köln. Hier ist sie seit dem 1. Januar 2010 Vorsitzende des 11. Senats. Frau Siegers ist verheiratet und wohnt mit ihrem Mann in Bonn.

Dr. Levedag ist 41 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist seit 2004 Richter am Finanzgericht Köln. Von 2008 bis Ende 2011 war Dr. Levedag als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Bundesfinanzhof abgeordnet. Vor dem Eintritt in das Finanzgericht Köln arbeitete er als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in der Steuerabteilung einer international tätigen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in Düsseldorf. Er hat zahlreiche Beiträge im Bereich des Unternehmenssteuerrechts veröffentlicht und ist darüber hinaus auch in der Steuerberater-Fortbildung tätig.

Der Präsident des Finanzgerichts Köln, Benno Scharpenberg, ist davon überzeugt, dass der Bundesrichterwahlausschuss die richtige Wahl getroffen hat: “Mit Frau Siegers und Herrn Dr. Levedag wird der BFH durch äußerst kompetente und leidenschaftliche Steuerrechtler verstärkt. Auch wenn ich ihren Weggang menschlich wie fachlich sehr bedaure, verstehe ich ihre Wahl auch als generelle Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit des Finanzgerichts Köln, das als eines der größten Finanzgerichte Deutschlands den Bürgerinnen und Bürgern umfassend und kompetent Rechtsschutz in Steuersachen gewährt. Ich wünsche Frau Siegers und Herrn Dr. Levedag alles Gute und viel Erfolg für ihre verantwortungsvolle Aufgabe.“

Der Bundesrichterwahlausschuss setzt sich aus den 16 zuständigen Landesministerinnen und Landesministern sowie 16 vom Bundestag gewählten Mitgliedern zusammen. Er entscheidet in geheimer Abstimmung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Wahlvorschläge können von den Mitgliedern des Bundesrichterwahlausschusses und der für das entsprechende Bundesgericht jeweils zuständigen Bundesministerin oder dem zuständigen Bundesminister gemacht werden.

Auch Herrn Richter am Finanzgericht Baden-Württemberg Andreas Treiber hat der Richterwahlausschuss zum Richter am Bundesfinanzhof gewählt. “Ich freue mich sehr auf meine neue Aufgabe in München und danke den Mitgliederinnen und Mitgliedern des Richterwahlausschusses für das in mich gesetzte Vertrauen”, so der dreifache Familienvater in einer ersten Stellungnahme.

Der 1971 in Heidelberg geborene Andreas Treiber ist in Plankstadt aufgewachsen. Nach seinem Zweiten juristischen Staatsexamen im April 1997 war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Herrn Prof. Dr. Holger Stadie am Lehrstuhl für Steuerrecht und Öffentliches Recht der Universität Leipzig tätig, bevor er im Mai 2000 in die Finanzverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz eintrat. Nach einer zweijährigen Tätigkeit als Sachgebietsleiter bei den Finanzämtern Ludwigshafen und Landau in der Pfalz wurde er von August 2002 bis Oktober 2006 an den Bundesfinanzhof als wissenschaftlicher Mitarbeiter abgeordnet.

Seit November 2006 ist Andreas Treiber als Richter beim Finanzgericht Baden-Württemberg tätig. Er gehört dem u.a. für Körperschaftsteuer zuständigen 3. Senat bei den Außensenaten Freiburg an.

Andreas Treiber ist verheiratet und hat drei Kinder.

Finanzgericht Köln
Finanzgericht Baden-Württemberg

Entscheidungen des FG Niedersachsen (20.03.2013)

Folgende Entscheidungen hat das Finanzgericht (FG) Niedersachsen mit Datum von gestern (20.03.2013) veröffentlicht:

– FG Niedersachsen Urteil vom 23.03.2012 – 1 K 275/09 (Beginn der sachlichen Gewerbesteuerpflicht einer gewerblich geprägten Personengesellschaft Legt eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG – hier: eine GmbH & Co KG – eingezahltes Kommanditkapital verzinslich an, beteiligt sie sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und beginnt ihre werbende Tätigkeit mit der Folge, dass danach erzielte Erträge gewerbesteuerpflichtig sind. Nichtzulassungsbeschwerde, BFH-Az. IV B 73/12 – Revision zugelassen Revision eingelegt, BFH-Az. IV R 1/13);

– FG Niedersachsen Urteil vom 23.05.2012 – 2 K 250/11 (Einkommensteuer 2010 Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG fristgebunden? Revision eingelegt, BFH-Az.: VIII R 14/13);

– FG Niedersachsen Urteil vom 16.01.2013 – 2 K 239/12 (Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen Für empfangene Sachleistungen, die ein Altenteiler als wiederkehrende Bezüge versteuert, kann er die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen im Haushalt geltend machen, soweit sie auf seinen Haushalt entfallen und in der Person des die Sachleistungen erbringenden Altenteilsverpflichteten alle Voraussetzungen der Steuerermäßigung vorliegen. Revision eingelegt, BFH-Az.: VI R 8/13);

– FG Niedersachsen Beschluss vom 28.11.2012 – 2 K 240/12 (Kindergeldbezug für ein drogensüchtiges, inhaftiertes Kind (Prozesskostenhilfe) Eine Drogentherapie im Jugendstrafvollzug führt per se nicht zur Kindergeldberechtigung. Rechtskräftig, da Klage nach diesem Beschluss zurückgenommen);

– FG Niedersachsen Urteil vom 14.02.2013 – 5 K 318/10 (Zurechnung von Umsätzen bei einem Bordellbetrieb: Zu den Voraussetzungen, unter denen ein Steuerpflichtiger als Betreiber (Unternehmer) eines Bordellbetriebs angesehen werden kann. Vorläufig nicht rechtskräftig);

– FG Niedersachsen Urteil vom 14.02.2013 – 5 K 281/11 (Umsätze aus Pensionspferdehaltung: Umsätze aus Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken unterliegen nur insoweit der Durchschnittssatzbesteuerung, als der Pferdeeinsteller selbst Landwirt ist. Revision zugelassen);

– FG Niedersachsen Urteil vom 12.12.2012 – 7 K 122/09 (Grunderwerbsteuer: Anteilsvereinigung, Rückgängigmachung, Nichtbeachtung bestimmter Anzeigepflichten Die anteilsvereinigende Übertragung eines Geschäftsanteils an einer grundbesitzenden GmbH kann auch dann mit Grunderwerbsteuer belastet bleiben, wenn sich bei der Rückgängigmachung herausstellen sollte, dass bestimmte Anzeigepflichten nicht beachtet worden sind. Revision zugelassen);

– FG Niedersachsen Urteil vom 03.07.2012 – 8 K 121/11 (Kindergeld: Ist die Kindergeldzahlung befristet, setzt die Fortzahlung des Kindergeldes einen Antrag des Kindergeldberechtigten voraus. Stimmt die Kindesmutter dem Antrag des Kindesvaters auf Zahlung des Kindesgeldes an diesen zu, hat sie selbst keinen Kindergeldanspruch mehr. Revision eingelegt, BFH-Az.: III R 6/13);

– FG Niedersachsen Urteil vom 23.01.2013 – 9 K 293/11 (Einkünftequalifikation bei Verpachtung von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen: Der Erwerber von land- und forstwirtschaftlich genutzten einzelnen Wirtschaftsgütern (im Streitfall: Acker- und Wiesenflächen), der nur das Eigentum erwirbt, aber zu keinem Zeitpunkt als Land- und Forstwirt tätig wird, erzielt im Falle der sofortigen Verpachtung dieser Wirtschaftsgüter grundsätzlich nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Vorläufig nicht rechtskräftig);

– FG Niedersachsen Urteil vom 23.01.2013 – 9 K 43/12 (Rechtsfehlerkompensation im Rahmen der Änderung einer vorläufigen Steuerfestsetzung: 1. Bei einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO dürfen grundsätzlich sämtliche materiellen (Rechts-)Fehler, die bei der Festsetzung unterlaufen sind, beseitigt werden, soweit die Änderung reicht. 2. Die Honorar-Tätigkeit einer Redakteurin in einem Übergangszeitraum von 2 Monaten zwischen einer angestellten Redakteurstätigkeit (Schwangerschaftsvertretung) und dem geplanten Antritt einer Planstelle als Angestellte bei dem gleichen Verlag kann als nichtselbständige Tätigkeit im Sinne des § 19 Abs. 1 EStG zu qualifizieren sein, auch wenn bei Krankheit und Urlaub in diesem Zeitraum kein Anspruch auf Entgeltsfortzahlung bestanden hat. Vorläufig nicht rechtskräftig);

– FG Niedersachsen Urteil vom 17.01.2013 – 14 K 399/11 (Behinderungsbedingter Mehraufwand durch Grundstückskauf Zu den gem. § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Gestaltung seines individuellen Wohnumfeldes erforderlich sind, gehören auch Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks. Vorläufig nicht rechtskräftig);

– FG Niedersachsen Urteil vom 10.05.2012 – 16 K 281/11 (Besteuerung eines Lebensmittels: Zur umsatzsteuerlichen Einordnung eines diätetischen Lebensmittels. Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, BFH-Az. VII B 176/12).

Finanzgericht Niedersachsen

FG Köln zum gleichzeitigen Kindergeldbezug in mehreren EU-Staaten

FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 47/09
FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 930/09
FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 2058/09

Pressemitteilung des Gerichts:

“Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, können auch dann in Deutschland kindergeldberechtigt sein, wenn sie weiterhin in das Sozialsystem ihres Heimatlandes eingegliedert bleiben und auch dort Kindergeld beziehen. In diesen Fällen ist das deutsche Kindergeld allerdings um die ausländischen Leistungen zu kürzen. Dies hat der 15. Senat des Finanzgerichts Köln in drei Urteilen vom 30.01.2013 für niederländische und polnische Arbeitnehmer entschieden (15 K 47/09, 15 K 930/09 und 15 K 2058/09). Der Senat stützt sich hierin auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.06.2012 (RS C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak). Gegenstand des EuGH-Urteils waren die Kindergeldansprüche eines von Polen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmers und eines polnischen Saisonarbeiters. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass entsandte Arbeitnehmer und Saisonarbeiter aus Polen und anderen EU-Ländern nicht deshalb gänzlich vom Kindergeld in Deutschland ausgeschlossen werden dürften, weil sie in ihrem Heimatland vergleichbare Familienleistungen erhielten. Dies verstoße gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte.

Der 15. Senat vertritt in seinen Urteilen die Auffassung, dass der Anwendungsbereich dieser EuGH-Entscheidung nicht auf die entschiedenen Fallkonstellationen beschränkt sei, sondern dass diese Grundsätze auch und erst Recht für andere als entsandte oder nur saisonal beschäftigte Arbeitnehmer gelten, wenn diese von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegt haben. § 65 des Einkommensteuergesetzes, der einen inländischen Kindergeldanspruch im Falle des Bezuges ausländischer Familienleistungen ausschließt, verstoße nach Auffassung des Senats gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte. Diese Vorschrift sei daher dahingehend auszulegen, dass das deutsche Kindergeld lediglich um die ausländischen Familienleistungen gekürzt werden dürfe.

Der 15. Senat hat gegen die Urteile die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen.”

Finanzgericht Köln