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Rehabilitationsinteresse des Steuerpflichtigen bei rechtswidrigem Auskunftsersuchen der Steuerfahndung

BFH-Urteil vom 04.12.12   VIII R 5/10

Der Steuerpflichtige hat ein Rehabilitationsinteresse, wenn die Steuerfahndung im steuerlichen Ermittlungsverfahren den Eindruck erweckt, dass trotz der Einstellung des Strafermittlungsverfahrens weiter wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt werde, hierdurch das Ansehen des Steuerpflichtigen erheblich gefährdet wird und mit einem Auskunftsersuchen durch die Veranlagungsstelle ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 4. Dezember 2012 VIII R 5/10 entschieden.

 

Der Kläger erzielte unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit für eine leitende Tätigkeit in einem Verein. Im Verlauf eines gegen ihn eingeleiteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durchsuchte die Steuerfahndung auch die Räume des Vereins. Nach der Einstellung des Strafverfahrens wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung forderte das Finanzamt unter dem Briefkopf der Dienststelle für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung den Verein auf, in dem steuerlichen Ermittlungsverfahren Auskunft darüber zu geben, welche Konten der Verein für den Kläger geführt habe.

 

Der BFH entschied, dass das Auskunftsersuchen unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig war, weil es von der Steuerfahndung und nicht von der Veranlagungsstelle stammte. Zwar habe ein Auskunftsersuchen der Finanzbehörde grundsätzlich keine diskriminierende Wirkung. Dies gelte jedoch nicht, wenn sich daraus – trotz der vollständigen Einstellung des Strafermittlungsverfahrens – der Vorwurf der Steuerhinterziehung herleiten lasse. Dies sei hier der Fall, da dem Verein aufgrund der Durchsuchung bekannt gewesen sei, dass die Steuerfahndung gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt habe. Dass sich das Finanzamt im Betreff seines Auskunftsersuchens auf ein „steuerliches Ermittlungsverfahren“ bezogen habe, rechtfertige keine andere Beurteilung, da die Unterscheidung der doppelfunktionalen Aufgabenbereiche der Steuerfahndung, Steuerstraftaten zu erforschen und die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, dem Rechtsunkundigen nicht geläufig sei. Das Ansehen des Klägers in seiner leitenden Tätigkeit für den Verein sei durch das Auskunftsersuchen der Steuerfahndung erheblich gefährdet worden, weil der Verdacht der Steuerhinterziehung bei Dritten Zweifel an der persönlichen Integrität des Verdächtigen begründen könnten.

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 4.12.2012, VIII R 5/10

Verwertungsverbot – Rehabilitationsinteresse des Steuerpflichtigen – Verhältnismäßigkeit eines von der Steuerfahndung gestellten Auskunftsersuchens – Feststellungsinteresse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO

Leitsätze

1. Ein rechtswidriger Durchsuchungsbeschluss führt nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot, das auch nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden kann, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden.

 

2. Ein von der Steuerfahndung im steuerlichen Ermittlungsverfahren gestelltes Auskunftsersuchen ist rechtswidrig, wenn es den Eindruck erweckt, dass trotz der Einstellung des Strafermittlungsverfahrens weiter wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt werde, hierdurch das Ansehen des Steuerpflichtigen erheblich gefährdet wird und mit einem Auskunftsersuchen durch die Veranlagungsstelle ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Jahren 1998 bis 2001 u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit für eine leitende Tätigkeit in einem eingetragenen Verein (X), die gemäß seiner Einkommensteuererklärung in folgender Höhe der Besteuerung zugrunde gelegt wurden: 1997: 15.233 DM, 1998: 20.793 DM, 1999: 10.871 DM, 2000: 19.297 DM, 2001: 21.647 DM.
2
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) leitete gegen den Kläger ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuer- und Umsatzsteuerverkürzung ein.
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Das Amtsgericht (AG) ordnete auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft die Durchsuchung der Wohnung des Klägers, der Geschäftsräume von Bankinstituten und des X an. Zur Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses wurde der Kläger von den Beamten des FA in seiner Wohnung aufgesucht. Nachdem sich der Kläger hinsichtlich des Vorwurfs der Steuerhinterziehung entlasten konnte, verzichteten die Vertreter des FA auf die Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses. Der Kläger überließ dem FA diverse Unterlagen zur weiteren Nachprüfung seiner Angaben, u.a. auch Kontoauszüge des X. Bei deren Auswertung stellte das FA fest, dass der Kläger in seinen Einkommensteuererklärungen die Einnahmen aus seiner Tätigkeit für den Verein in einer Größenordnung von 600 DM zu viel und bis 4.900 DM zu wenig erklärt hatte. Der Aufforderung des FA, eine Bescheinigung über sämtliche Konten beim X vorzulegen, kam der Kläger nicht nach.
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Auf die Beschwerde des Klägers hob das Landgericht die Durchsuchungsbeschlüsse des AG auf. Diese seien rechtswidrig, da ein gegen den Kläger gerichteter Anfangsverdacht hinsichtlich einer Steuerhinterziehung nicht bestanden habe. Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen den Kläger nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ein. Die Einstellung umfasste auch den Vorwurf der Einkommensteuerhinterziehung in Bezug auf die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit für den X. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle des FA teilte dem Kläger schriftlich mit, dass diesbezüglich auch keine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege.
5
Danach forderte das FA den X unter dem Briefkopf der Dienststelle für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung auf, in dem steuerlichen Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. §§ 93, 97 AO Auskunft darüber zu geben, welche Konten bzw. welche Verrechnungskonten in den Jahren 1998 bis 2001 für den Kläger geführt worden seien. Zudem forderte es den X auf, für die festgestellten Geschäftsbeziehungen die entsprechenden Kontoverdichtungen vorzulegen, da die Unterlagen für das steuerliche Ermittlungsverfahren des Klägers benötigt würden.
6
Den hiergegen vom Kläger eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Die Steuerfahndung sei gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auch für die Ermittlung unbekannter steuerlicher Sachverhalte zuständig. Für das Auskunftsersuchen bestehe auch ein hinreichender Anlass, denn aus den vom Kläger herausgegebenen Unterlagen des X ergebe sich eine Diskrepanz zu den von ihm erklärten Einkünften aus seiner Tätigkeit für den Verein, die der Aufklärung bedürfe. Das vom Kläger geltend gemachte Verwertungsverbot entfalte keine Fernwirkung in der Weise, dass die Erkenntnisse aus den herausgegebenen Unterlagen nicht als Anlass genutzt werden könnten, nunmehr auf verfahrensrechtlich zulässige Weise den relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Das Auskunftsersuchen sei auch ermessensgerecht. Es sei geeignet, die Höhe der Nebeneinnahmen des Klägers aus der Tätigkeit für den X festzustellen. Es sei auch notwendig, weil der Kläger nicht zur Mitwirkung bereit sei. Verhältnismäßig sei es, weil nicht „ins Blaue hinein“ ermittelt werde, sondern Auskünfte von der einzig denkbaren Auskunftsperson erbeten würden.
7
Der X übersandte dem FA die angeforderten Unterlagen, aus denen sich keine weiteren Erkenntnisse ergaben.
8
Die von dem Kläger nach der Auskunftserteilung durch den X erhobene Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Auskunftsersuchens hat das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 551 veröffentlichtem Urteil abgewiesen.
9
Mit der Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das FG habe das aus der Aufhebung des rechtswidrigen Durchsuchungsbeschlusses folgende qualifizierte materielle Verwertungsverbot verkannt. Da die Ermittlungen bewusst fehlerhaft durchgeführt worden seien, bestehe keine Einschränkung des Verwertungsverbots. Das Auskunftsersuchen an den X sei unverhältnismäßig, da dem FA andere Mittel zur Aufklärung zur Verfügung gestanden hätten.
10
Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des FG Köln (Az.: 8 K 2933/06) vom 15. Dezember 2009 aufzuheben und festzustellen, dass das Auskunftsverlangen des Beklagten an den X vom 7. Juni 2006 rechtswidrig gewesen ist.

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Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

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Der rechtswidrige Durchsuchungsbeschluss habe nicht zu einem qualifizierten Verwertungsverbot geführt. Das Auskunftsersuchen sei erforderlich gewesen, da sich aus den Steuerakten des Klägers lediglich die von diesem erklärten Einnahmen ergeben hätten. Zwar seien auch beim X Unterlagen und Konten beschlagnahmt worden. Diese hätten jedoch einen anderen steuerlichen Sachverhalt betroffen und hätten in keinerlei Zusammenhang mit den Einnahmen des Klägers aus seiner Tätigkeit für den X gestanden. Aufgrund der Weigerung des Klägers, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, sei das Auskunftsersuchen die einzige Möglichkeit gewesen, den Sachverhalt vollständig zu ermitteln.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Feststellung, dass das Auskunftsverlangen des FA an den X rechtswidrig gewesen ist, weil es von der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststelle und nicht von der Veranlagungsstelle gestellt worden ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass das Auskunftsersuchen rechtswidrig gewesen ist.
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a) Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann, wenn ein mit der Klage angefochtener Verwaltungsakt sich im Verlauf des Klageverfahrens erledigt hat, das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entsprechend anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt sich schon vor der Klageerhebung erledigt hat (BFH-Urteil vom 26. September 2007 I R 43/06, BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, da der X die Auskunft bereits vor Klageerhebung erteilt hat.
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b) „Berechtigtes Interesse“ i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen. Erforderlich ist ein gewisser die Verfahrensfortsetzung aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigender Zusammenhang (BFH-Urteil vom 9. November 1994 XI R 33/93, BFH/NV 1995, 621).
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aa) Das berechtigte Interesse ist u.a. dann gegeben, wenn die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu einem Verwertungsverbot führt (BFH-Urteil vom 21. April 1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649). Um ein Verwertungsverbot hinsichtlich der vom X erteilten Auskunft geht es im Streitfall jedoch nicht, da diese nach den Feststellungen des FG keine weiteren –verwertbaren– Erkenntnisse gebracht hat.
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Das Feststellungsinteresse kann entgegen der Auffassung des FG auch nicht auf ein qualifiziertes materielles Verwertungsverbot mit Fernwirkung auf das Auskunftsersuchen gestützt werden, da die Voraussetzungen für ein solches offensichtlich nicht vorliegen. Ein Beweisverwertungsverbot, das auch nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden kann, kommt als Folge einer fehlerhaften Durchsuchung nur dann in Betracht, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden (Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht –BVerfG– vom 2. Juli 2009  2 BvR 2225/08, BVerfGK 16, 22; vom 9. November 2010  2 BvR 2101/09, BFH/NV 2011, 182; BFH-Urteil vom 4. Oktober 2006 VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227). Fehlt es an einem derart schwerwiegenden Verfahrensmangel, insbesondere an einem grundrechtsrelevanten Verstoß einer unmittelbaren Ermittlungsmaßnahme, so ist es bei der gebotenen Abwägung zwischen den Individualinteressen von Steuerpflichtigen, nicht aufgrund verfahrensfehlerhafter Ermittlungsmaßnahmen mit einer materiell-rechtlich an sich zutreffenden Steuer belastet zu werden, und der Pflicht des Staates, eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung zu gewährleisten, gerechtfertigt, eine Fernwirkung eventueller Verwertungsverbote auf spätere, rechtmäßig erlangte Ermittlungsergebnisse zu verneinen (BFH-Urteil in BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227).
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Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen qualifizierten Verfahrensverstoß nicht erfüllt, da der rechtswidrige Durchsuchungsbeschluss nicht vollzogen worden ist und für ein bewusst rechtsstaatswidriges oder willkürliches Verhalten des FA keine Anhaltspunkte vorliegen.
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bb) Das Feststellungsinteresse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedoch deshalb gegeben, weil der Kläger durch das Auskunftsersuchen in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen war und deshalb ein Interesse an seiner Rehabilitierung beim X hat. Es kann einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre bedeuten, wenn der erledigte Verwaltungsakt als Fortsetzung des erkennbar unzutreffenden Vorwurfs der Steuerhinterziehung verstanden werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Mai 2002 I B 8/02, I S 13/01, BFH/NV 2002, 1317; vom 15. Dezember 2004 X B 56/04, BFH/NV 2005, 714; vom 12. Juni 2008 VI B 62/07, BFH/NV 2008, 1514).
21
Für die Beantwortung der Frage, ob sich aus einem Auskunftsersuchen, das per se keine diskriminierende Wirkung hat, der –unzutreffende– Vorwurf der Steuerhinterziehung herleiten lässt, sind die gesamten Umstände, die zu dem Auskunftsersuchen geführt haben und unter denen das Auskunftsersuchen gestellt wird, von Bedeutung. Danach ist im vorliegenden Fall eine diskriminierende Wirkung des Auskunftsersuchens zu bejahen: Das FA hat trotz der Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO unter dem Briefkopf der Steuerfahndung ein Auskunftsersuchen an den X gestellt. Dadurch konnte beim X der Eindruck erweckt werden, dass weiter gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung strafrechtlich ermittelt werde. Dem X war aufgrund der Durchsuchung seiner Geschäftsräume bekannt, dass gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt worden war. Zwar hat sich das FA im Betreff seines Auskunftsersuchens auf ein „steuerliches Ermittlungsverfahren“ bezogen. Dies rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung, da die Unterscheidung der doppelfunktionalen Aufgabenbereiche der Steuerfahndung, Steuerstraftaten zu erforschen und die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, dem Rechtsunkundigen nicht geläufig ist.
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2. Selbst wenn man ungeachtet der weitgehenden Kenntnisse der Steuerfahndung über den besteuerungsrelevanten Sachverhalt zu ihren Gunsten von einem hinreichenden Anlass für einen unbekannten Steuerfall i.S. des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO ausgehen könnte, war das an den X gestellte Auskunftsersuchen jedenfalls wegen Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insoweit rechtswidrig, als es angesichts der bestehenden Zuständigkeitskonkurrenz von der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststelle und nicht von der Veranlagungsstelle gestellt worden ist.
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a) Die Finanzbehörde kann eine Auskunft nach § 93 AO nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 4. April 2006 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 320, 345, ständige Rechtsprechung).
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b) Unzweifelhaft war die geforderte Auskunft geeignet, einer möglichen Steuerverkürzung auf die Spur zu kommen. Die Erteilung der Auskunft war dem X auch möglich. Wie bereits ausgeführt ist jedoch zweifelhaft, ob das Auskunftsersuchen zur Sachverhaltsaufklärung notwendig und erforderlich war, da der Kläger die Kontounterlagen des X dem FA bereits vorgelegt hatte.
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c) Ungeachtet dessen ist das Auskunftsersuchen jedenfalls rechtswidrig, weil das FA den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Zweck-Mittel-Verhältnis) nicht gewahrt hat. Danach darf ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel zur Durchsetzung von Allgemeininteressen nicht angewandt werden, wenn die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schwerer wiegen als die durchzusetzenden Interessen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 115, 320, 345 f.). Eine informationsbezogene Maßnahme kann sich bereits deshalb als schwerwiegend darstellen, weil sie auf eine Weise durchgeführt wird, die die Persönlichkeit erheblich berührt. Die rechtliche Bewertung des Eingriffs richtet sich bei einem Auskunftsersuchen nach der Intensität der Beeinträchtigung des Betroffenen, gegen den sich die behördliche Ermittlung richtet. Das Gewicht der Beeinträchtigung hängt auch davon ab, ob der von dem Auskunftsersuchen Betroffene anonym bleibt und welche Nachteile ihm aus der Ermittlungsmaßnahme drohen oder von dieser nicht ohne Grund befürchtet werden (vgl. BVerfG-Urteil vom 3. März 2004  1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, 353; BVerfG-Beschluss vom 13. Juni 2007  1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05, BVerfGE 118, 168, 196 f.).
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Nach diesen Grundsätzen führen die Nachteile, die dem von dem Auskunftsersuchen betroffenen Kläger durch das weitere Tätigwerden der Steuerfahndung drohten, unter Berücksichtigung der mit dem Auskunftsersuchen verfolgten Ziele zur Unangemessenheit der Ermittlungsmaßnahme der Steuerfahndung: Dem Kläger war von der Staatsanwaltschaft und von der Straf- und Bußgeldsachenstelle mitgeteilt worden, dass auch in Bezug auf seine unrichtig erklärten Einkünfte aus der Tätigkeit für den Verein ein Verdacht wegen Steuerhinterziehung bzw. leichtfertiger Steuerverkürzung nicht bestehe. Dennoch ermittelte das FA unter dem Briefkopf der Steuerfahndung bei dem X weiter, wodurch –wie unter II.1.b bb ausgeführt– bei diesem der Eindruck entstehen konnte, dass die strafverfahrensrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger fortdauerten. Da der Verdacht der Steuerhinterziehung bei Dritten Zweifel an der persönlichen Integrität des Verdächtigten begründen können, wurde hierdurch das Ansehen des Klägers erheblich gefährdet. Denn dieser war nicht nur Mitglied des X, sondern übte bei diesem eine leitende Tätigkeit aus. Dies machte es für ihn in besonderem Maße erforderlich, nicht aufgrund des Verdachts der Steuerhinterziehung als kriminell zu erscheinen.
27
Unter Berücksichtigung der geringen Bedeutung der Sache wiegt die durch das Handeln der Steuerfahndung verursachte Gefährdung des persönlichen Ansehens des Klägers schwerer als die durch die Ermittlungstätigkeit zu wahrenden Rechtsgüter der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern, zumal dieses Ziel auch durch Ermittlungen des für die Besteuerung zuständigen Veranlagungsbezirks hätte verfolgt werden können, ohne dass der Anschein der Fortsetzung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erweckt worden wäre. Die Aufgabenzuweisung an die Fahndungsstellen lässt die Aufgaben und Befugnisse der Finanzämter unberührt (vgl. § 208 Abs. 3 AO). Die Finanzämter sind daher nicht gehindert, in derselben Sache wie die Fahndung tätig zu werden. Es besteht regelmäßig kein zwingender Anlass, die Verwaltung von vornherein ausschließlich auf den Einsatz der Steuerfahndung zu verweisen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227). Danach wäre im vorliegenden Fall ein Auskunftsersuchen durch die Veranlagungsstelle ein gegenüber dem Handeln der Steuerfahndung milderes Mittel gewesen, sodass das Auskunftsersuchen der Steuerfahndung wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz –unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein hinreichender Anlass für die Ermittlungsmaßnahme bestanden hat– rechtswidrig gewesen ist.

Rechtsbehelfsbelehrung braucht nicht auf Einspruch per Mail hinweisen

Kernaussage 

Die Rechtsbehelfsbelehrung eines Steuerbescheids ist nicht deshalb unrichtig, weil sie nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweist, dass der Einspruch auch per E-Mail erhoben werden kann. Es gilt daher die normale einmonatige Einspruchsfrist und nicht die wegen unvollständiger Belehrung verlängerte Jahresfrist.

Sachverhalt 

Das Finanzamt hatte gegenüber der Antragstellerin einen Steuerabzug in Höhe eines gewissen Prozentsatzes der Vergütungen aus einem Grundstückskaufvertrag mit einer ausländischen Gesellschaft angesetzt. Der als Vordruck gestaltete Bescheid enthielt keinen Hinweis auf eine E-Mailadresse des Finanzamts und enthielt die Rechtsbelehrung, dass der Einspruch schriftlich beim Finanzamt einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären ist. Am 12.10.2011 ging der Bescheid zu. Nachdem über das Vermögen der ausländischen Verkäuferin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.4.2012 Einspruch gegen den Bescheid ein, der wegen Fristversäumnis zurückgewiesen wurde. Hiergegen richten sich die Klage und der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Die Klägerin meint, die Einspruchsfrist sei noch nicht abgelaufen, da die Rechtsbehelfsbelehrung falsch sei, denn sie enthielte keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Einlegung per E-Mail. Der Aussetzungsantrag wurde abgelehnt.

Entscheidung 

Die Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, wenn die gesetzlich vorgegebenen Angaben nicht vollständig bzw. unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich wiedergegeben sind, dass hierdurch bei objektiver Betrachtung die Möglichkeit der Fristwahrung gefährdet erscheint. Enthält die Belehrung noch andere Angaben, müssen auch diese richtig, vollständig und unmissverständlich sein. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail wäre bereits problematisch, da diese Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Zudem wäre der Inhalt dieser Form, insbesondere ob die einfache E-Mail genügt, rechtlich zweifelhaft. Die erweiterte Form führt zudem zu einer überfrachteten Rechtsbehelfsbelehrung, die statt Klarheit Verwirrung schafft. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat das Finanzgericht Münster die Revision gegen das Urteil zugelassen.

Konsequenz 

Das niedersächsische Finanzgericht vertrat in einem anderen Fall die gegensätzliche Rechtsauffassung; das Verfahren ist bereits beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH zu dieser Rechtsfrage entscheiden wird.

Steuererklärungsfristen für 2011

Abgabefrist für Steuererklärungen

Für das Kalenderjahr 2011 sind folgende Erklärungen bis zum 31.5.2012 bei den Finanzämtern abzugeben: die Erklärungen zur Einkommensteuer, einschließlich der Erklärungen zur gesonderten sowie zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung sowie zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags. Ferner die Erklärungen zur Körperschaftsteuer, einschließlich der Erklärungen zu gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die in Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerveranlagung durchzuführen sind, sowie für die Zerlegung der Körperschaftsteuer. Ebenfalls bis zu diesem Datum abzugeben sind die Erklärungen zur Gewerbesteuer, einschließlich der Erklärungen zur gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes und zur gesonderten Feststellung des Zuwendungsvortrags sowie für die Zerlegung des Steuermessbetrags. Schließlich auch die Erklärungen zur Umsatzsteuer sowie zur gesonderten oder zur gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 18 des Außensteuergesetzes.

Sonderfrist

Bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln, endet die Frist nicht vor Ablauf des fünften Monats, der auf den Schluss des Wirtschaftsjahres 2011/2012 folgt.

Fristverlängerung

Sofern die vorbezeichneten Steuererklärungen durch Personen, Gesellschaften, Verbände, Vereinigungen, Behörden oder Körperschaften im Sinne der §§ 3 und 4 StBerG angefertigt werden, wird die Frist allgemein bis zum 31.12.2012 verlängert. Bei Steuererklärungen für Steuerpflichtige, die den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln, tritt an die Stelle des 31.12.2012 der 31.5.2013. Es bleibt den Finanzämtern vorbehalten, Erklärungen mit angemessener Frist für einen Zeitpunkt vor Ablauf der allgemein verlängerten Frist anzufordern. Von dieser Möglichkeit soll insbesondere Gebrauch gemacht werden, wenn für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum die erforderlichen Erklärungen verspätet oder nicht abgegeben wurden. Ferner dann, wenn für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum kurz vor Abgabe der Erklärung bzw. vor dem Ende der Karenzzeit nachträgliche Vorauszahlungen festgesetzt wurden oder sich aus der Veranlagung für den vorangegangenen Veranlagungszeitraum eine hohe Abschlusszahlung ergeben hat. Des Weiteren soll von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, wenn hohe Abschlusszahlungen erwartet werden oder für Beteiligte an Gesellschaften und Gemeinschaften Verluste festzustellen sind oder die Arbeitslage der Finanzämter es erfordert. Im Übrigen wird davon ausgegangen, dass die Erklärungen laufend fertig gestellt und unverzüglich eingereicht werden. Aufgrund begründeter Einzelanträge kann die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen bis zum 28.2.2013 bzw. in den Fällen, in denen die vorbezeichnete Sonderfrist gilt, bis zum 31.7.2013 verlängert werden. Eine weitergehende Fristverlängerung kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Die allgemeine Fristverlängerung gilt nicht für Anträge auf Steuervergütungen. Sie gilt auch nicht für die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen, wenn die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit mit Ablauf des 31.12.2011 endete. Hat die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit vor dem 31.12.2011 geendet, ist die Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr einen Monat nach Beendigung der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit abzugeben.

 

Geburtstagsfeiern mit Mitarbeitern/Geschäftspartnern in der Regel privat veranlasst

Kernproblem

Oftmals werden Bewirtungsaufwendungen im Zusammenhang mit persönlichen Ereignissen getätigt. Hierbei ist dann für die Zuordnung der Aufwendungen zum beruflichen oder privaten Bereich auch von Bedeutung, wer als Gastgeber auftritt, wer die Gästeliste bestimmt und ob es sich bei den Gästen um Kollegen, Geschäftsfreunde oder Mitarbeiter, Angehörige des öffentlichen Lebens, der Presse, um Verbandsvertreter oder um private Bekannte oder Angehörige handelt. Bei der Bewirtung von Kollegen im Zusammenhang mit Feiern für Abschied, Jubiläum, Weihnachten, Jahresabschluss oder Versetzung sieht der Bundesfinanzhof (BFH) durchaus einen betrieblichen Charakter. Bei einem runden Geburtstag aber hört die Feierlaune beim Finanzamt auf.

Sachverhalt

Der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ingenieurgesellschaft wurde 60 Jahre alt und ließ sich nicht lumpen. So lud er mit einem netten Vers die Mitarbeiter des Unternehmens in ein Burghotel zu einer Feier ein: „Wird Mann wird Frau bald 60 Jahre – es gilt für alle Jubilare: den Runden feiert man ganz groß, denn Kneifen ist charakterlos. Und dazu ist es angeraten, recht viele Gäste einzuladen. So ist es gute alte Sitte, der schöne Ruf sonst etwas litte“. Zuletzt bat er die Kollegen im Schreiben auf dem Briefkopf des Unternehmens darum, ihn bei „diesem schweren Schritt“ zu unterstützen. Dem Aufruf folgten 117 Personen, davon 18 Geschäftspartner und lediglich 6 Verwandte. Die große Beliebtheit des Geschäftsführers färbte jedoch nicht auf das Finanzamt ab, denn dieses wollte die Rechnung von über 6.000 EUR nicht als Werbungskosten anerkennen. So ging es zum Finanzgericht. Ob es dort weiterhalf, dass im gleichen Jahr seine 35jährige Betriebszugehörigkeit dazukam?

Entscheidung

Das FG Münster nimmt u. a. den Einladungstext zum Anlass, eine private Veranlassung der Feier zu unterstellen. Denn hier fehlten ebenso Aussagen zur Betriebszugehörigkeit, wie auf der Gästeliste. Zudem wurde dem 60jährigen vorgehalten, in dem Einladungsschreiben persönlich (und nicht als Unternehmensvertreter) aufgetreten zu sein, Gästeliste und Inhalt der Einladung nicht mit den beiden anderen Geschäftsführern abgestimmt zu haben und die Veranstaltung nicht auf dem Betriebsgelände, sondern auf einer Burg (und dann noch mit überdurchschnittlich 55,43 EUR je Person) durchgeführt zu haben. Der Tatsache, dass außer 6 Verwandten nur Betriebsangehörige und Geschäftspartner an der Veranstaltung teilnahmen, wollte das FG nicht die gewünschte Bedeutung beimessen.

Konsequenz

Ob das Urteil angesichts des mittlerweile aufgeweichten Aufteilungsverbots noch stimmig ist, erscheint fragwürdig. Will man Streit vermeiden, bietet der Einladungstext erste Möglichkeiten für einen günstigeren Ausgang.