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Kosten für hochwertige Tombolapreise nicht von der Steuer absetzbar

Die Anschaffungskosten für Kraftfahrzeuge, die bei einer Firmenjubiläumsfeier verlost werden, können nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn der Teilnehmerkreis so überschaubar ist, dass der Wert der Gewinnchance je Teilnehmer über 35 Euro liegt. Dies hat der 13. Senat des Finanzgerichts Köln mit Urteil vom 26.09.2013 (Az. 13 K 3908/09) entschieden.

Eine Computerfirma veranstaltete anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens eine „Hausmesse“, zu der nach vorheriger Anmeldung sowohl Bestandskunden als auch potenzielle Neukunden eingeladen wurden. Die Eintrittskarten stellten zugleich Lose für die Verlosung von fünf VW Golf zum Preis von jeweils 13.200 Euro netto dar. Voraussetzung für die Teilnahme an der Tombola war, dass der jeweilige Kunde an dem Messetag persönlich erschien und hierdurch sein Los aktivierte. Das Finanzamt versagte den Betriebsausgabenabzug für die Pkw-Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 66.000 Euro. Es vertrat die Auffassung, dass es sich hierbei um Aufwendungen für Geschenke an Geschäftsfreunde im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz handele, die nur steuerlich abziehbar seien, wenn sie nicht teurer als 35 Euro seien.

Der 13. Senat hat sich im Ergebnis der Meinung des Finanzamtes angeschlossen und die Klage der Computerfirma auf Anerkennung der Betriebsausgaben abgewiesen. Dabei sah das Gericht allerdings nicht den gewonnenen Pkw, sondern die in den aktivierten Losen verkörperte Gewinnchance als Gegenstand der Schenkung an. Da auf der Jubiläumsveranstaltung letztlich 1.331 Teilnehmer mit gewinnberechtigten Losen anwesend waren, ergab sich für jeden Teilnehmer eine Gewinnchance von ca. 49 Euro. Die Freigrenze von 35 Euro war überschritten und die Anschaffungskosten somit in vollem Umfang vom Steuerabzug ausgeschlossen. Ein Preisausschreiben oder eine sonstige Auslobung lägen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin könne sich schon deshalb nicht auf die einschlägigen Richtlinien der Finanzverwaltung berufen, wonach Preise anlässlich eines Preisausschreibens oder einer Auslobung keine Geschenke seien.

Der Senat hat gegen das Urteil die Revision zum Bundesfinanzhof in München wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

FG Köln, Pressemitteilung vom 16.12.2013 zum Urteil 13 K 3908/09 vom 26.09.2013

Kein grunderwerbsteuerliches Konzern-privileg, wenn Anteile im Privatvermögen gehalten werden

Die Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG (sog. Konzernprivileg) greift bei der Verschmelzung einer GmbH auf ihre Alleingesellschafterin nicht ein, wenn diese die Gesellschaftsanteile im Privatvermögen hielt. Dies hat der 8. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 15. November 2013 (Az. 8 K 1507/11 GrE) entschieden.

Die Klägerin, eine als Einzelunternehmerin tätige natürliche Person, war zugleich Alleingesellschafterin einer GmbH, zu deren Vermögen zwei Grundstücke gehörten. Die GmbH-Anteile hatte die Klägerin nicht in ihrer Bilanz ausgewiesen. Aufgrund einer Verschmelzung ging das gesamte Vermögen der GmbH einschließlich der Grundstücke auf die Klägerin über.

Das Finanzamt setzte im Hinblick auf diesen Vorgang Grunderwerbsteuer fest. Demgegenüber begehrte die Klägerin die Anwendung der Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG.

Das Gericht wies die Klage ab. Zwar werde Grunderwerbsteuer für Umwandlungsvorgänge, zu denen auch die Verschmelzung gehöre, gemäß § 6a GrEStG nicht erhoben. Die weitere gesetzliche Voraussetzung, dass an dem Vorgang ein „herrschendes Unternehmen“ und eine hiervon „abhängige Gesellschaft“ beteiligt sein müssen, erfülle die Klägerin jedoch nicht, weil sie die Anteile an der GmbH in ihrem Privatvermögen gehalten habe. Die Eigenschaft als herrschendes „Unternehmen“ könnten nur Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts erfüllen. Außerdem sei erforderlich, dass der Vorgang unternehmerisches Vermögen betreffe. Insoweit schloss sich der Senat einer in der Literatur weit verbreiteten Auffassung an.

Die ferner in diesem Zusammenhang umstrittene Frage, ob § 6a GrEStG Anwendung findet, wenn durch die Umwandlung der Konzernverbund endet, konnte der Senat offen lassen. Die Revision zum Bundesfinanzhof ließ er wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

FG Münster, Mitteilung vom 16.12.2013 zum Urteil 8 K 1507/11 vom 15.11.2013

Quelle: Newsletter 12/2013

 

Finanzgericht Münster, 8 K 1507/11 GrE

Datum:
15.11.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 1507/11 GrE
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1T a t b e s t a n d :

2Streitig ist, ob die Voraussetzungen des § 6 a Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) erfüllt sind.

3Die Klägerin war unter der Firma  O. Services e. Kfr. als Einzelhandelskauffrau im Handelsregister eingetragen. Gegenstand ihrer kaufmännischen Tätigkeit waren die Softwareberatung und -entwicklung. Im Jahr 2009 erzielte sie einen Umsatz von 0 EUR und einen Verlust von 723 EUR (Vorjahr: Umsatz: 3.576 EUR; Verlust: 6.778 EUR). Die Klägerin war zudem – seit 2002 – Alleingesellschafterin der E. GmbH (GmbH). Die GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Ankauf und die Verwaltung von Immobilien war, war Eigentümerin zweier Grundstücke (Grundbuch E-Stadt Blatt 1, Flur 1, Flurstück xxx –  C-Straße 1, WE Nr. 1 und Grundbuch E-Stadt Blatt 2, Flur 2, Flurstück xxx – L-Straße 2, WE Nr. 2). In der Bilanz der Klägerin auf den 31.12.2008, die am 07.01.2009 erstellt wurde, ist die Beteiligung an der GmbH nicht ausgewiesen. In der Bilanz auf den 31.12.2009, die vom 07.02.2011 datiert, ist die Beteiligung an der GmbH mit 26.000 EUR als Anlagevermögen erfasst.

4Am 26.08.2010 schlossen die GmbH und die Klägerin (diese in ihrer Eigenschaft als eingetragene Kauffrau) einen notariellen Verschmelzungsvertrag. In der Vereinbarung, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, übertrug die GmbH ihr Vermögen gemäß §§ 120-122 Umwandlungsgesetz (UmwG) i.V.m. §§ 2 ff., 46 ff. UmwG im Wege der Verschmelzung auf die Klägerin. Weiter heißt es in dem Vertrag, die Klägerin übernehme das Vermögen der übertragenden GmbH mit Wirkung zum 01.01.2010. Die Klägerin stimmte der Verschmelzung sowohl in ihrer Eigenschaft als Alleingesellschafterin der GmbH als auch als übernehmende Rechtsträgerin zu. Die Verschmelzung wurde – bei ihr – am 14.09.2010 in das Handelsregister eingetragen.

5Nachdem der für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständige Beklagte das Finanzamt E-Stadt gebeten hatte, die Grundbesitzwerte für die beiden Grundstücke festzustellen, vertrat die Klägerin die Ansicht, es handele sich um einen Vorgang, für den gemäß § 6 a GrEStG keine Grunderwerbsteuer zu erheben sei. Der Beklagte nahm demgegenüber den Standpunkt ein, die Voraussetzungen des § 6 a GrEStG lägen nicht vor, weil nach Auskunft des für die Einkommenbesteuerung der Klägerin zuständigen Finanzamts E-Stadt die Anteile an der GmbH in den Bilanzen der Klägerin nicht erfasst seien. Die Klägerin habe die Anteile dementsprechend nicht im Betriebsvermögen, sondern im Privatvermögen gehalten (Schreiben des Beklagten vom 16.11.2010).

6Der Beklagte erließ am 15.02.2011 einen (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden) Grunderwerbsteuerbescheid, wobei er die Grundbesitzwerte schätzte. Nach Ergehen der Bescheide über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 14.09.2010 für Zwecke der Grunderwerbsteuer erließ der Beklagte unter dem 01.03.2011 einen Änderungsbescheid. Er setzte die Grunderwerbsteuer auf 5.197 EUR fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf.

7Die Klägerin legte Einspruch ein. Sie machte geltend, die Ansicht des Beklagten, dass eine Anwendung des § 6 a GrEStG nur in Betracht komme, wenn sich die Anteile an der GmbH in ihrem Betriebsvermögen befunden hätten, ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus deren Sinn und Zweck. Letzterer liege darin, Grundstücksübertragungen im Rahmen von Umwandlungsvorgängen grunderwerbsteuerlich zu begünstigen. Sie, die Klägerin, sei übernehmende Rechtsträgerin im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 UmwG gewesen. Unerheblich sei, ob sie – als natürliche Personen – gleichzeitig eingetragene Kauffrau gewesen sei und ob sich die Anteile am Stammkapital der GmbH in ihrem Betriebsvermögen oder in ihrem Privatvermögen befunden hätten. Denn es bestehe (zivil-)rechtliche Personenidentität. Die Frage des gewillkürten Betriebsvermögens sei eine rein ertragsteuerliche und für § 6 a GrEStG unerheblich.

8Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Beklagte wies ihn mit Einspruchsentscheidung vom 25.03.2011 als unbegründet zurück. Nach § 6 a Satz 3 GrEStG sei erforderlich, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt seien. Das herrschende Unternehmen müsse dabei Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sein. Der Wortlaut des Gesetzes schließe daher bei natürlichen Personen eine Begünstigung aus, wenn die Anteile an der Gesellschaft – wie im Streitfall – im Privatvermögen gehalten würden.

9Zur Begründung ihrer Klage verweist die Klägerin auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren. Ergänzend macht sie geltend, der die Einführung § 6 a GrEStG betreffenden Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, dass die Begünstigungswirkung den Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugute kommen solle. Im Übrigen sei ihrer, der Klägerin, Bilanz auf den 31.12.2009 zu entnehmen, dass sie die Anteile an der GmbH als Anlagevermögen erfasst habe. Die Annahme des Beklagten, die Anteile hätten sich nicht im Betriebsvermögen befunden, sei daher unzutreffend. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang geltend mache, dass der Jahresabschluss 2009 erst am 07.02.2011 und damit nach Abschluss des Verschmelzungsvertrags erstellt worden sei, sei dies nicht von Belang. Von Bedeutung sei allenfalls, ob die Beteiligung am Verschmelzungsstichtag – dies sei der 01.01.2010 – zum Betriebsvermögen gehört habe. Dies sei der Fall gewesen.

10Der Beklagte hat im Verlauf des Klageverfahrens (nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung) einen Änderungsbescheid erlassen und die Grunderwerbsteuer auf 7.105 EUR festgesetzt.

11Die Klägerin beantragt,

12den Grunderwerbsteuerbescheid vom 19.07.2012 dahin zu ändern, dass die Grunderwerbsteuer auf 0 EUR festgesetzt wird,

13hilfsweise die Revision zuzulassen sowie

14die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

15Der Beklagte beantragt,

16die Klage abzuweisen sowie

17hilfsweise die Revision zuzulassen.

18Er hält an seiner bisher vertretenen Ansicht fest und macht ergänzend geltend, dass die Bilanz auf den 31.12.2009, in der die Beteiligung ausgewiesen sei, erst am 07.02.2011 erstellt worden sei. Eine rückwirkende grunderwerbsteuerliche Berücksichtigung sei insoweit nicht möglich.

19Der Senat hat die Sache am 15.11.2013 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

21Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Voraussetzungen des § 6 a GrEStG liegen nicht vor.

22Nach § 6 a Satz 1, 1. Halbsatz GrEStG in der für den Streitfall geltenden Fassung wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 a oder Abs. 3 GrEStG steuerbaren Rechtsvorgang auf Grund einer Umwandlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht erhoben. Die gilt jedoch nur, wenn an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind. Abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahre nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6 a Sätze 3 und 4 GrEStG).

23Zwar liegt in der auf Grund des notariellen Vertrags vom 26.08.2010 vorgenommenen Verschmelzung ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG steuerbarer Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Allerdings lässt sich die Klägerin gegenüber der GmbH nicht als „herrschendes Unternehmen“ im Sinne des § 6 a Satz 3 GrEStG qualifizieren. Denn sie hielt die Anteile am Stammkapital der GmbH in ihrem Privatvermögen. Die Anteile gehörten im Zeitpunkt der Verschmelzung – bei Eintragung des Verschmelzungsvorgangs im Handelsregister am 14.09.2010 – nicht zum Betriebsvermögen des Einzelunternehmens der Klägerin. Der Senat schließt sich insoweit der wohl herrschenden Meinung an, nach der eine natürliche Person kein herrschendes „Unternehmen“ sein kann, wenn sich die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft im Privatvermögen der natürlichen Person befindet, weil es in diesem Fall an der erforderlichen Unternehmereigenschaft fehlt (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. 2011, § 6 a Rn. 54 und Rn. 57; ders., Stbg 2010, 534, 537; Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 4. Aufl. 2010, § 6 a Rn. 18; ders., MittBayNot 2010, 169, 172; Mensching/Tyarks, BB 2010, 87, 91; Wälzholz, GmbH-StB 2010, 108, 111; Wagner/Köhler, BB 2011, 286, 287; gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 01.12.2010, BStBl. I 2010, 1321 und vom 22.06.2011, BStBl. I 2011, 673 sowie vom 19.06.2012, BStBl. I 2012, 662). Nach der Gegenauffassung kommt es nicht darauf an, ob die Konzernspitze den Unternehmerbegriff des § 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) erfüllt, so dass auch reine Holdinggesellschaften und natürliche Personen, die die Beteiligungen im Privatvermögen halten, „herrschende Unternehmen“ sein können (Behrens, AG 2010, 119, 120; ders., Ubg 2010, 845, 846; Neitz/Lange, Ubg 2010, 17, 26; krit. im Hinblick auf die h.M. auch Dettmeier/Geibel, NWB 2010, 582, 589; Klass/Möller, BB 2011, 407; Lieber/Wagner, DB 2012, 1772, 1777; Schaflitzl/Götz, DB 2011, 374). Für den Senat ist maßgeblich, dass das Gesetz zwischen „herrschendem Unternehmen“ und „abhängiger Gesellschaft“ unterscheidet. Dieser ausdrücklichen Differenzierung ist zu entnehmen, dass „herrschende Rechtsträger“, die keine Unternehmer sind, weil sie die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG nicht erfüllen, von § 6 a GrEStG nicht erfasst werden. Dementsprechend ergibt sich, dass das Merkmal der Unternehmereigenschaft den Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkt. Begünstigt ist nicht jeder Vorgang i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UmwG. Erforderlich ist vielmehr, dass von dem Rechtsvorgang unternehmerisches Vermögen betroffen und es Gegenstand der Umstrukturierungsmaßnahme ist (Viskorf in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. 2011, § 6 a Rn. 52). Hierin liegt entgegen der Ansicht der Klägerin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Dieser gebietet dem Normgeber wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe (z.B. BVerfG Beschluss vom 07.02.2012 1 BvL 14/07, BVerfGE 130, 240). Vorliegend durfte der Gesetzgeber – im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums – zwischen rein vermögensverwaltenden Rechtsträgern (zumal, wenn es sich – wie hier – um natürliche Personen handelt) und am Markt tätigen Unternehmen unterscheiden. Diese Differenzierung ist angesichts des Gesetzeszwecks, Unternehmensumstrukturierungen auf Grund veränderter Marktverhältnisse zu erleichtern (vgl. Bundestags-Drucksache 17/147, 10), nicht sachfremd.

24Die GmbH-Beteiligung befand sich im Privatvermögen der Klägerin. Sie war weder notwendiges noch gewillkürtes Betriebsvermögen. Zum notwendigen Betriebsvermögen gehören Wirtschaftsgüter, die ausschließlich und unmittelbar für eigenbetriebliche Zwecke des Steuerpflichtigen genutzt werden. Eine GmbH-Beteiligung stellt notwendiges Betriebsvermögen dar, wenn sie dazu bestimmt ist, die im Rahmen seines Einzelunternehmens ausgeübte Betätigung des Steuerpflichtigen entscheidend zu fördern oder wenn sie dazu dient, den Absatz von Produkten des Steuerpflichtigen zu gewährleisten (Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 02.09.2008 X R 32/05, BStBl. II 2009, 634 mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Anteile an der GmbH waren nicht geeignet, die kaufmännische Tätigkeit der Klägerin entscheidend zu fördern: Die Klägerin betrieb ein Unternehmen für Softwareberatung und -entwicklung. Gegenstand des Unternehmens der GmbH waren hingegen der Ankauf und die Verwaltung von Immobilien.

25Gewillkürtes Betriebsvermögen liegt ebenfalls nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BFH können Wirtschaftsgüter, die weder notwendiges Betriebsvermögen noch notwendiges Privatvermögen sind, als gewillkürtes Betriebsvermögen berücksichtigt werden, wenn sie objektiv geeignet und vom Betriebsinhaber erkennbar dazu bestimmt sind, den Betrieb zu fördern (z.B. BFH Urteil vom 21.04.2005 III R 4/04, BStBl. II 2005, 604). Der Senat muss nicht entscheiden, ob die GmbH-Beteiligung nicht deshalb zum notwendigen Privatvermögen der Klägerin gehörte, weil ihr objektiv die Eignung fehlte, das Einzelunternehmen der Klägerin zu fördern. Denn jedenfalls fehlt es an einer – vor der Verschmelzung liegenden und die zeitlichen Anforderungen der Vorbehaltensfrist von fünf Jahren erfüllenden – auf einem Einlagewillen beruhenden konkludenten oder ausdrücklichen Einlagehandlung als Widmungsakt. Für einen solchen Widmungsakt bedarf es einer unmissverständlichen Willensbekundung in der Weise, dass ein sachverständiger Dritter ohne weitere Erklärung des Steuerpflichtigen die Zugehörigkeit des eingelegten Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen erkennen kann. Die Einlagehandlung muss auf einer Willensentscheidung beruhen, die dann wirksam wird, wenn sie äußerlich erkennbar und damit in objektiv nachprüfbarer Weise dokumentiert ist. Bei buchführenden Steuerpflichtigen ist die Behandlung in der Buchführung ein – widerlegbares – Indiz für die Willensentscheidung des Steuerpflichtigen. Allerdings kann der Widmungswille auch in anderer Weise äußerlich erkennbar und objektiv nachprüfbar dokumentiert werden (BFH Urteil vom 21.04.2005 III R 4/04, BStBl. II 2005, 604; BFH Beschluss vom 03.08.2012 X B 153/11, NFH/NV 2012, 1956). Die GmbH-Beteiligung ist erstmals in der Bilanz der Klägerin auf den 31.12.2009 ausgewiesen, die am 07.02.2011 erstellt wurde. In der Bilanz auf den 31.12.2008 vom 07.01.2009 ist eine entsprechende Position nicht erfasst. Da für das Einzelunternehmen der Klägerin in den Jahren 2009 und 2010 keine laufenden Buchungen vorgenommen wurden und ein auf andere Weise dokumentierter Widmungsakt nicht ersichtlich ist, fehlt es an einer vor der Verschmelzung liegenden Einlagehandlung. Dementsprechend lässt sich erst Recht nicht feststellen, dass der herrschende Rechtsträger (die Klägerin als Einzelunternehmerin) bereits fünf Jahre vor der Verschmelzung an der abhängigen Gesellschaft beteiligt war.

26Der Senat muss vor diesem Hintergrund (weil es am Merkmal des herrschenden Unternehmens fehlt) nicht entscheiden, ob die in den gleich lautenden Erlassen vom 19.06.2012 (BStBl. I 2012, 662) vertretene Auffassung zutrifft, dass § 6 a GrEStG keine Anwendung findet, wenn der „Verbund“ auf Grund des Umwandlungsvorgangs endet, etwa weil – wie hier – die abhängige Gesellschaft mit ihrer Alleingesellschafterin verschmolzen wird (ablehnend z.B. Teiche BB 2012, 2659, 2665 f.).

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Verdeckte Gewinnausschüttung ist keine Schenkung!

Mit Urteil vom 24. Oktober 2013 (Az. 3 K 103/13 Erb) hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass der verbilligte Verkauf eines Grundstücks durch eine GmbH an den Bruder eines Gesellschafters keine freigiebige Zuwendung der Gesellschaft darstellt und dementsprechend keine Schenkungsteuer auslöst.

Der Kläger erwarb gegen Übernahme von Schulden zwei Grundstücke von einer GmbH, deren Gesellschafter sein Bruder war. Das Finanzamt war der Ansicht, dass die Verkehrswerte der Grundstücke höher als die übernommenen Schulden seien und nahm deshalb insoweit eine verdeckte Gewinnausschüttung an. Zugleich ging es davon aus, dass der Kläger eine freigebige Zuwendung von der GmbH erhalten habe und setzte Schenkungsteuer fest. Der Kläger machte demgegenüber geltend, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht zugleich als Schenkung behandelt werden könne.

Der 3. Senat teilte die Auffassung des Klägers und gab der Klage statt. Die GmbH habe dem Kläger nichts zugewendet. Im Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihren Gesellschaftern bzw. diesen nahestehenden Personen könne es neben betrieblich veranlassten Rechtsbeziehungen lediglich (offene und verdeckte) Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen geben. Für freigiebige Zuwendungen im Sinne von § 7 ErbStG bleibe kein Raum, da Gewinnausschüttungen nicht freigiebig erfolgten, sondern vielmehr auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhten. Der Senat folgte damit einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 30. Januar 2013 II R 6/12).

Im Hinblick auf die gegenläufigen Verwaltungsanweisungen ließ er die Revision zu, die unter dem Aktenzeichen II R 44/13 anhängig ist.

FG Münster, Mitteilung vom 16.12.2013 zum Urteil 3 K 103/13 vom 24.10.2013

Quelle: Newsletter 12/2013

 

Finanzgericht Münster, 3 K 103/13 Erb

Datum:
24.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 103/13 Erb
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Der Schenkungsteuerbescheid vom 05.03.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 11.12.2012 werden aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand2Die Beteiligten streiten, ob der Kläger seitens der O GmbH (GmbH) eine Schenkung erhalten hat.

3Am Stammkapital der GmbH in Höhe von insgesamt 80.000 DM waren ursprünglich der Vater des Kläger mit 40.800 DM (51 %), der Bruder des Klägers mit 24.000 DM ( 30%) und der Kläger selbst mit 15.200 DM (19 %) beteiligt. Im Zuge der Nachfolgeregelung schieden der Vater des Klägers und der Kläger selbst zum 14.12.2007 aus der GmbH aus. Dabei übertrug der Vater des Klägers seine Anteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich an den Bruder des Klägers. Der Kläger selbst übertrug seine Anteile auf seinen Bruder und dessen Frau zu einem Kaufpreis in Höhe von insgesamt 230.000 €. Zu den Einzelheiten wird auf die vor dem Notar H abgeschlossenen Verträge (UR Nr.  und UR-Nr. , jeweils vom 14.12.2007; Bl. 90 bis 97 der Gerichtsakte) hingewiesen.

4Mit notarieller Vereinbarung ebenfalls vom 14.12.2007 (UR-Nr.  des Notars H) übertrug der Bruder des Klägers, handelnd für die GmbH, diesem den Grundbesitz A-Straße 1 und B-Straße 2 in T mit Wirkung zum 31.12.2007. Zur Begleichung des vereinbarten Kaufpreises in Höhe von 734.000 € übernahm der Kläger die auf dem Grundbesitz lastenden Verbindlichkeiten in Höhe von 733.969 €. Auf § 6 des notariellen Vertrages in der Schenkungsteuerakte wird insoweit Bezug genommen.

5Im Rahmen einer bei der GmbH durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass der Wert der übertragenen Grundstücke B-Straße und A-Straße um 248.000 € über dem vereinbarten Kaufpreis liege mit der Folge, dass insoweit eine verdeckte Gewinnausschüttung der GmbH an den Bruder des Klägers vorliege. Die verdeckte Gewinnausschüttung sei auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst, da die Vorteilszuwendung der GmbH an den Kläger und somit an eine dem beherrschenden Gesellschafter, nämlich den Bruder des Klägers, nahestehende Person erfolge. Betriebliche Gründe für die verbilligte Überlassung des Grundbesitzes seien nicht ersichtlich. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Betriebsprüfung in Tz. 2.2 des Betriebsprüfungsberichts in der Steuerakte hingewiesen. Auf Grund der Feststellungen der Betriebsprüfung forderte der Beklagte den Kläger zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auf. Dieser Aufforderung kam der Kläger basierend auf seiner Rechtsauffassung, mangels entsprechender Bereicherungsabsicht von der GmbH keine Schenkung erhalten zu haben, nicht nach mit der Folge, dass der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen schätzte und durch Bescheid vom 05.03.2012 die Schenkungssteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 49.933 € festsetzte. Zu den Einzelheiten wird auf den Schenkungsteuerbescheid in der Steuerakte Bezug genommen.

6Dagegen wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 22.03.2012. Der Beklagte könne nicht darlegen, dass ein schenkungsteuerlich relevanter Vorgang vorliege. Im Übrigen sei die Übertragung des Grundbesitzes an den Kläger zum Marktwert erfolgt.

7Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung  vom 11.12.2012 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 07.11.2007 II R 28/06 (BStBl. II 2008, 258) vertrat der Beklagte die Auffassung, dass es sich um eine gemischte Schenkung der GmbH an den Kläger handele, wobei dem Kläger und seinem Bruder als Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH und langjährig im Immobiliengeschäft tätigen Personen die Wertdifferenz zwischen dem Verkehrswert der Grundstücke und dem vereinbarten Kaufpreis bewusst gewesen sei. Dies reiche für die Annahme des erforderlichen subjektiven Elementes der Schenkung aus.

8Mit seiner Klage vom 11.01.2013 verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Schenkungsteuerbescheides weiter. Er verweist darauf, dass die an der Grundstücksübertragung beteiligten Personen davon ausgegangen seien, das Geschäft zu Verkehrswerten abzuschließen. Für eine schenkweise Übertragung bleibe deshalb kein Raum. Das gelte auch deshalb, weil derselbe Sachverhalt nicht einerseits als verdeckte Gewinnausschüttung und andererseits als Schenkung behandelt werden könne. Denn ein Vorgang sei entweder entgeltlich oder unentgeltlich. Die verdeckte Gewinnausschüttung sei jedoch als gesellschaftlich gerechtfertigte Erfolgsteilhabe entgeltlich, da der Gesellschafter insoweit eine Gegenleistung für die Hingabe des Stammkapitals erhalte. Mit dem Auskehrung der verdeckten Gewinnausschüttung mindere sich der Wert seines Gesellschaftsanteils. Die Finanzverwaltung stütze ihre Rechtsauffassung auf ein obiter dictum in der Entscheidung des BFH vom 07.11.2007 (II R 28/06, BStBl. II 2008, 258). Diese Rechtsposition sei aber nicht haltbar. Es werde auf die neuere Entscheidung des BFH vom 30.01.2013 (II R 6/12, BFHE 2040, 178) hingewiesen. Darüber hinaus stehe die Steuerfestsetzung des Beklagten im Widerspruch zur Anwendungsregelung des Erlasses. Dieser sei erst auf Erwerbsfälle anzuwenden, für die die Steuer nach dem 20.10.2010 entstehe. Im vorliegenden Fall sei eine etwaige Steuer aber bereits im Jahr 2007 entstanden.

9Der Kläger beantragt,

10den Schenkungsteuerbescheid vom 05.03.2012 und die Einspruchsentscheidung vom 11.12.2012 aufzuheben.

11Der Beklagte beantragt,

12die Klage abzuweisen,

13hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

14Er verweist auf die Einspruchsentscheidung.

15Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 26.08.2013 erörtert und den Bruder des Klägers und seinen Vater als Zeugen vernommen. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins und das dort vom Kläger vorgelegte Schreiben des Notars H zu den Hintergründen der Vertragsgestaltung Bezug genommen (Bl. 80 bis 89 der Gerichtsakte).

16Der Senat hat in der Sache am 24.10.2013 mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

17Entscheidungsgründe

18Die zulässige Klage ist begründet.

19Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die Übertragung der Grundstücke seitens der GmbH an den Kläger erfüllt nicht den Tatbestand einer freigebigen Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG).

20Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Eine freigebige Zuwendung setzt dabei in objektiver Hinsicht voraus, dass die Leistung zu einer Bereicherung des Bedachten auf Kosten des Zuwendenden führt und die Zuwendung (objektiv) unentgeltlich ist. In subjektiver Hinsicht ist der Wille des Zuwendenden zur Freigebigkeit erforderlich. Eine freigebige Zuwendung kann auch in Form einer gemischten Schenkung erfolgen.

21Eine Zuwendung ist freigebig, wenn und soweit der Zuwendende dafür keine mit seiner Leistung in einem synallagmatischen, konditionalen oder kausalen Zusammenhang stehende (gleichwertige) Gegenleistung erhält.

22Dabei geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Zuwendung, die in rechtlichem Zusammenhang mit einem Gemeinschaftszweck steht, nicht als unentgeltlich anzusehen ist. Als Gemeinschaftszweck ist auch der gesellschaftsvertraglich bestimmte Zweck einer Kapitalgesellschaft zu verstehen, für dessen Erreichung sich die Gesellschafter zusammen geschlossen haben (vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2007 II R 63/05, BStBl. II 2008, 381 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).

23Diesen Gedanken hat der BFH in seinem Urteil vom 30.01.2013 (II R 6/12, BFHE 240, 178, BFH/NV 2013, 846) fortgeführt und darauf verwiesen, dass der Annahme einer freigebigen Zuwendung einer Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter bzw. an eine diesem nahestehende Person auch entgegen stehe, dass es im Verhältnis einer Kapi-talgesellschaft zu ihren Gesellschaftern neben betrieblich veranlassten Rechtsbeziehungen lediglich offene und verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Kapitalrückzahlungen, aber keine freigebigen Zuwendungen i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gebe. Denn die Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter erfolgten nicht freigebig. Sie beruhten vielmehr auf dem Gesellschaftsverhältnis, und zwar unabhängig davon, ob sie offen oder verdeckt vorgenommen würden, und hätten daher jedenfalls im Verhältnis zu den Gesellschaftern ausschließlich ertragsteuerliche Folgen. Der Senat schließt sich den Ausführungen dieser Entscheidung in vollem Umfang an.

24Das vom Beklagten noch in Bezug genommene Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.08.2009 (4 K 1477/09 Erb, EFG 2011, 1994) beruht ersichtlich noch auf dem Urteil des BFH vom 07.11.2007 (a. a. O.), an dessen Aussagen der BFH aber ausweislich der neueren Entscheidung vom 30.01.2013 ersichtlich nicht mehr festhält.

25Demnach kann die seitens der Betriebsprüfung festgestellte verdeckte Gewinnausschüttung an den Bruder des Klägers nicht gleichzeitig eine freigebige Zuwendung der GmbH an den Kläger sein. An dieser Beurteilung würde sich auch nichts ändern, wenn – wie vom Bruder des Klägers in einem anderen Verfahren angestrebt – ertragsteuerlich der Kläger selbst als Empfänger der verdeckten Gewinnausschüttung anzusehen wäre. Ob im Rahmen des gesamten Vorgangs zur Regelung der Nachfolge in die GmbH nach dem Vater des Klägers erbschaft- und schenkungsteuerlich relevante Zuwendungen erfolgt sind, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

26Der angefochtene Schenkungsteuerbescheid und auch die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig, da insoweit ein Lebenssachverhalt der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterworfen wird, der jedoch nach den Ausführungen des BFH allein nach ertragsteuerlichen Grundsätzen zu beurteilen ist.

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO, 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

28Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache unter Hinweis auf die fortgeltende gegenläufige Verwaltungsauffassung gemäß gleichlautender Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 14.03.2012 (VV BW FinMin 2012-03-12 3-S 380.6/84, dort Tz. 2.6) zugelassen.

Beherbergung der Begleitpersonen von Patienten unterliegt der Umsatzsteuer

Der 15. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 19.11.2013 (Az. 15 K 2352/10 U) entschieden, dass Reha-Kliniken mit der Beherbergung und Verpflegung von Begleitpersonen ihrer Patienten umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringen.

Die Klägerin ist ein gesetzlicher Träger der Sozialversicherung und betreibt mehrere Reha-Kliniken. Sie bietet auch Begleitpersonen ihrer Patienten die entgeltliche Unterbringung und Verpflegung in den Kliniken an. Das Finanzamt behandelte diese Leistungen als umsatzsteuerpflichtig, soweit es sich nicht um Begleitpersonen von Kindern unter 14 Jahren oder von Schwerstbehinderten handelte. Die Klägerin war demgegenüber der Auffassung, dass sie insoweit eine hoheitliche Tätigkeit ausübe, die Leistungen aber jedenfalls umsatzsteuerfrei seien.

Das Gericht folgte der Ansicht der Klägerin nicht und wies die Klage ab. Mit der Aufnahme von Begleitpersonen werde die Klägerin nicht hoheitlich, sondern im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art tätig. Sie mache insoweit nicht von ihren hoheitlichen Befugnissen Gebrauch, sondern erbringe die Leistungen vielmehr auf Grundlage privatrechtlicher Verträge.

Eine Steuerbefreiung greife nicht ein. Die Klägerin falle zwar als Träger der Sozialversicherung in den persönlichen Anwendungsbereich des § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG, erbringe jedoch keine begünstigten Leistungen. Diese Vorschrift sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass nur Dienstleistungen der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit oder damit eng verbundene Leistungen erfasst werden. Die Aufnahme von Begleitpersonen sei zur Ausübung der Tätigkeit der Reha-Kliniken nicht unerlässlich, soweit dies nicht als medizinisch notwendig erachtet werde. Zudem trete die Klägerin mit diesen Leistungen in einen Wettbewerb mit Unternehmen der Hotel- und Restaurationsbranche.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Mitteilung vom 16.12.2013 zum Urteil 15 K 2352/10 vom 19.11.2013

Quelle: Newsletter 12/2013

 

Finanzgericht Münster, 15 K 2352/10 U

Datum:
19.11.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
15. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 2352/10 U
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Streitig ist im Rahmen der Umsatzsteuer(USt)-Festsetzung für 2004 bis 2007, ob Umsätze betreffend die Aufnahme und Verpflegung von Begleitpersonen von Patienten hoheitlich und somit nicht umsatzsteuerbar sind oder ob diese Umsätze nicht jedenfalls gemäß § 4 Nr. 15 Umsatzsteuergesetz (UStG) als Umsätze eines Trägers der gesetzlichen Sozialversicherung gegenüber Versicherten oder als mit dem Krankenhausbetrieb eng verbundene Umsätze nach § 4 Nr. 16 UStG umsatzsteuerfrei sind. Außerdem ist streitig, ob Umsätze betreffend die Verpflegung von Mitarbeitern als Umsätze eines Trägers der gesetzlichen Sozialversicherung gegenüber Versicherten im Sinne des § 4 Nr. 15 UStG umsatzsteuerfrei sind.

3Die Klägerin ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung im Sinne von § 29 des Sozialgesetzbuchs (SGB) IV und nimmt als Regionalträger Aufgaben der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland wahr. Zu den Aufgaben der Klägerin gehören nach § 9 SGB VI die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wieder einzugliedern.

4Die Klägerin betrieb in den Streitjahren auf der Grundlage von § 15 Abs. 2 SGB VI an verschiedenen Orten Reha-Kliniken (X1   in C   , X2   auf der Insel O   , X3   in T   , X4    in F   und X5   in U   ) als eigene unselbstständige Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit.

5Im Rahmen dieser Reha-Kliniken erbrachte die Klägerin krankenhausübliche Nebenleistungen, wie z.B. die Zurverfügungstellung von Telefonen und Fernseher. Zu diesen krankenhausüblichen Nebenleistungen gehörten auch die Verpflegung von Begleitpersonen durch die Kantinen der Kliniken und die Aufnahme der Begleitpersonen, in der Regel mit Zusatzbett im Patientenzimmer, gelegentlich in Gästezimmern. Die Unterbringung von Begleitpersonen wurde auf den Internetseiten der jeweiligen Kliniken der Klägerin gesondert angeboten und beworben. Je nach Klinik sahen die Aufnahmeverträge bzw. Buchungen vor, dass der Patient für die Begleitperson oder die Begleitperson für sich selbst eine verbindliche Anmeldung abzugeben hatte.

6Die Klinik X2   verwendete im Streitzeitraum ein als „Vertrag“ betiteltes Muster, das der Patient im eigenen Namen abzuschließen hatte. Das Vertragsmuster enthielt die folgende Regelung:

7„Der Mehrpreis für die Übernachtung mit Vollverpflegung meiner Begleitung beträgt täglich 62,00 €. Hiermit verpflichte ich mich, den zuvor genannten Tagessatz an die Klinik X2   zu zahlen.“

8Die X3   verwendete ein Buchungsmuster, das eine Vereinbarung über die Aufnahme der Begleitperson mit dem Patienten oder unmittelbar mit der Begleitperson selbst erlaubte:

9„Hiermit beantrage ich

10              (   ) für mich selbst

11              (   ) für die o.g. Begleitperson

12die Aufnahme in die X3   als Begleitperson.“

13Das Buchungsmuster sah folgende Vereinbarung vor:

14„Die Unterbringung erfolgt in der Regel in Einzelzimmern. Der Service erfolgt im Rahmen der Möglichkeiten des Klinikbetriebs und entspricht dem Standard, der für die Patienten maßgebend ist. Das gilt insbesondere auch für die Beköstigung, die sich in erster Linie an den medizinischen und diätischen Bedürfnissen der Patienten in der Klinik orientiert. Der Unterbringungssatz hierfür beträgt für eine med. nicht notwendige Begleitperson täglich: 57,00 Euro. Hiermit verpflichte ich mich, den zuvor genannten Tagessatz an die X3   zu zahlen.“

15Die Klinik X1   verwendete ein als „Verbindliche Anmeldung“ betiteltes Muster. Die Anmeldung hatte der Patient für die Begleitperson abzugeben:

16„Hiermit melde ich folgende Begleitperson für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme verbindlich an: […].“

17Die Anmeldung enthielt die folgende Leistungsbeschreibung:

18„Für jede Übernachtung wird ein Betrag in Höhe von 58,85 EUR berechnet. In diesem Betrag sind folgende Leistungen enthalten:

19- Unterkunft im Doppelzimmer

20- Vollverpflegung

21- Kurkarte“

22Die Finanzierung der durch die Patienten in Anspruch genommenen stationären Leistungen der Klägerin erfolgte durch Pflegesätze. Diese wurden individuell für die einzelnen Kliniken nach dem Selbstkostendeckungsprinzip im Voraus für einen bestimmten Zeitraum ermittelt, indem von den hochgerechneten Personal- und Sachkosten die zu erwartenden Nebeneinnahmen (u.a. aus der Verpflegung und Unterbringung von Begleitpersonen) abgezogen wurden. Die Differenz wurde durch Rentenversicherungsbeiträge ausgeglichen. Durch die Anrechnung der Nebeneinnahmen wurden weniger Rentenbeiträge der Versicherten für die Reha-Behandlungen eingesetzt. Der Bedarf des Rentenversicherungsträgers, durch den Bund aus Steuermitteln unterstützt zu werden, reduzierte sich durch die Einbeziehung dieser Nebeneinnahmen.

23Die Unterbringung von Begleitpersonen war –zwischen den Beteiligten unstreitig– von den Patienten erwünscht und medizinisch zweckmäßig, aber nicht medizinisch notwendig.

24Die Klägerin reichte am 03.08.2005 eine USt-Erklärung für 2004 mit einem USt-Betrag von -1.017,27 € beim Beklagten ein. Am 11.10.2006 reichte sie eine USt-Erklärung für 2005 mit einem USt-Betrag von 40.821,45 € und am 19.12.2006 eine geänderte USt-Erklärung für 2005 mit einem USt-Betrag von 37.800,75 € beim Beklagten ein. Der geänderten USt-Erklärung wurde am 27.12.2006 durch den Beklagten zugestimmt. Am 23.10.2007 reichte die Klägerin eine USt-Erklärung für 2006 mit einem USt-Betrag von 63.313,77 € und am 07.11.2008 eine USt-Erklärung für 2007 mit einem USt-Betrag von 74.777,55 € beim Beklagten ein.

252009 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N   eine Außenprüfung beim Kläger durch. In Textziffer 2.6.2 des Berichts über die Außenprüfung vom 05.09.2009, auf den Bezug genommen wird, führte der Prüfer aus: Empfänger der Unterbringungs- und Verpflegungsleistungen seien die jeweiligen Begleitpersonen, und zwar unabhängig davon, ob der Aufnahmevertrag mit der Begleitperson selbst oder dem Patienten geschlossen werde. Die Aufnahme erfolge im Rahmen des insoweit begründeten Betriebs gewerblicher Art (BgA) und damit im Rahmen des Unternehmens der Klägerin. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15 UStG sei nicht anwendbar, da es sich nicht um aus dem Mitgliedschaftsverhältnis herrührende Leistungen handele. Die Steuerbefreiung umfasse zwar freiwillige Zusatzleistungen, nicht jedoch Leistungen an andere/fremde Personen. Die Steuerbefreiung könne nicht auf außerhalb der Heilbehandlung liegende Zwecke ausgedehnt werden. Die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 16 UStG sei ebenfalls nicht anwendbar. Bei den Leistungen handele es sich nicht um mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundene Umsätze. Die Beherbergung und Verpflegung von Begleitpersonen sei unter Verweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 01.12.2005 in der Rechtssache C-394/04, Ygeia, auch nicht nach § 4 Nr. 16 UStG begünstigt. Die Leistung sei nicht zur Erreichung der mit der Krankenhausbehandlung verfolgten Ziele unerlässlich und könne auch nicht gerichtsfest nachgewiesen werden. Diese rechtliche Beurteilung betreffend die Umsätze gegenüber Begleitpersonen führe zu den folgenden zusammengefassten Änderungen bei den Reha-Kliniken (ohne Klinik X5   ):

26

In € 2004 2005 2006 2007
Erhöhung Umsätze 410.738,00 454.417,00 422.503,00 472.786,00
Erhöhung USt 65.718,08 72.706,72 67.600,48 89.829,34
Erhöhung Vorsteuer 12.867,50 12.867,50 11.212,30 14.522,70
Änderung Gesamt 52.850,58 59.839,22 56.388,18 75.306,64

27Bei der gesondert betrachteten Klinik X5   (Textziffer 2.3 des Berichts über die Außenprüfung) führe diese rechtliche Beurteilung zu den folgenden zusammengefassten Änderungen:

28

In € 2004 2005 2006 2007
Erhöhung Umsätze 1.232,00 4.138,00
Erhöhung USt 197,12 786,22
Erhöhung Vorsteuer 59,14 235,87
Änderung Gesamt 137,98 550,35

29Der Beklagte erließ nach Maßgabe der Prüfungsfeststellungen am 25.11.2009 einen geänderten USt-Bescheid für 2004 und am 04.12.2009 jeweils geänderte USt-Bescheide für 2005, 2006 und 2007. Im Rahmen der geänderten USt-Bescheide wurden die Umsätze gegenüber Begleitpersonen von Schwerstbehinderten oder Kindern unter 14 Jahren durch den Beklagten keiner Umsatzbesteuerung unterworfen, da von einer medizinischen Notwendigkeit ausgegangen wurde.

30Mit ihren dagegen erhobenen Einsprüchen vom 10.12.2009 trug die Klägerin vor, dass die Aufnahme von Begleitpersonen zur hoheitlichen Tätigkeit gehöre. Sie führe Leistungen allein im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen oder gesetzlich zugelassenen Aufgaben durch. Die Reha-Leistungen müssten dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprechen. Die Aufnahme von Begleitpersonen erleichtere den Prozess der Rehabilitation bei den Patienten. Da auch bei einzelnen Therapiemaßnahmen nicht sicher sei, dass sie zum gewünschten Erfolg beitrügen, komme es auf das Gesamtkonzept an. Teil dieses Gesamtkonzepts sei auch die Begleitung der Patienten durch Nahestehende. Unter Verweis auf den Erlass des Finanzministeriums Sachsen vom 24.11.1999 sei es für die Steuerfreiheit ausreichend, wenn die medizinische Notwendigkeit einer Begleitperson durch die Bestätigung eines behandelnden Arztes oder auch des aufnehmenden Klinikarztes nachgewiesen werde. Vor diesem Hintergrund nehme sie keine Begleitpersonen in ihren Reha-Kliniken auf, wenn die Aufnahme der Begleitperson den Behandlungserfolg einschränken würde. Gemäß dem Qualitätsbericht 2008 der X3   , der beispielhaft für alle Reha-Kliniken sei, gehöre die Einbeziehung von Angehörigen sowohl zum Therapiekonzept Onkologie als auch Orthopädie. Die Mitaufnahme von Begleitpersonen erfolge auch nicht in Konkurrenz zu Hotelbetrieben, da der persönliche Komfort für Begleitpersonen gegenüber einer Hotelunterbringung deutlich eingeschränkt sei. Die Unterbringung der Begleitpersonen sei wenigstens nach § 4 Nr. 15 UStG umsatzsteuerfrei, da die Leistung gegenüber dem Patienten erbracht werde. Es handele sich, genauso wie die gegenüber dem Patienten erbrachten und vom Beklagten als umsatzsteuerfrei behandelten Telefonleistungen, um eine nach § 4 Nr. 15 UStG steuerbefreite Leistung. Selbst wenn der Patient nicht Leistungsempfänger sein sollte, greife die Steuerbefreiung, da in der Regel auch die Begleitperson Versicherter in der Rentenversicherung sei. Bei Unterbringungsleistungen liege eine einer freiwilligen Mehrleistung vergleichbare Leistung vor, die nach einschlägigem Schrifttum unter die Steuerbefreiung falle.

31Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 31.03.2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art Unternehmerin sei. Die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen sei keine Reha-Leistung gegenüber dem Patienten, so dass diese Leistung einen BgA begründe. Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15 UStG komme nicht in Betracht. Es handele sich nicht um Leistungen, die aus dem Mitgliedschaftsverhältnis herrührten. Die Aufnahme der Begleitperson sei keine Leistung des Sozialversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten im Sinne dieser Vorschrift, da die Begleitperson aus ihrer Mitgliedschaft heraus keinen Anspruch auf diese Leistung habe. Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 UStG sei ebenfalls nicht gegeben, da es sich nicht um einen mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsatz handele. Die nach der Rechtsprechung des EuGH für die Annahme dieser Steuerbefreiung erforderlichen Nachweise (ärztliche Dokumentation des behandelnden Arztes) seien nicht erbracht worden. Die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen stehe außerdem in unmittelbarem Wettbewerb zu örtlichen Hotels und Pensionen.

32Zur Begründung ihrer daraufhin erhobenen Klage trägt die Klägerin –teilweise unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens– vor: Die Leistung werde gegenüber dem Patienten erbracht, da nur dieser wünschen und zulassen könne, dass eine Begleitpersonen in seinem Zimmer übernachte. Daraus folge die umsatzsteuerliche Befreiung nach § 4 Nr. 15 UStG. Die Steuerbefreiung sei aber auch dann anzuwenden, wenn nicht der Patient, sondern die Begleitperson Leistungsempfänger sei. Da die Begleitpersonen in der Regel Mitglied in der Rentenversicherung seien, müsse die Leistung ebenfalls nach § 4 Nr. 15 UStG befreit werden. § 4 Nr. 15 UStG befreie generell mit einer einzigen klar definierten Ausnahme, nämlich der Lieferung von Brillen und Brillenersatzteilen. Für die Auslegung, die Steuerbefreiung könne nicht auf außerhalb der Heilbehandlung liegende Zwecke ausgedehnt werden, seien aus dem Gesetz keine Anhaltspunkte ersichtlich.

33Mit Schriftsatz vom 25.10.2013 trägt die Klägerin außerdem erstmals vor, dass die Umsätze betreffend die Verpflegung von Mitarbeitern im Rahmen der USt-Erklärungen 2005 bis 2007 als umsatzsteuerpflichtig behandelt worden seien. Da die Verpflegung von Mitarbeitern nach § 4 Nr. 15 UStG umsatzsteuerfrei sei, ergebe sich der folgende weitere Korrekturbedarf:

34

In € 2004 2005 2006 2007
Umsätze 102.302,87 96.420,58 82.566,25
Reduzierung USt 16.368,46 15.427,29 15.687,59
Erhöhung Vorsteuer 9.477,44 9.748,16 9.812,98
Saldo USt/VSt 6.891,02 5.679,13 5.874,61

35Die Klägerin beantragt,

36die USt-Bescheide 2004 bis 2007 vom 25.11.2009 bzw. 04.12.2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 31.03.2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze betreffend die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen in 2004 i.H.v. 410.738,00 €, in 2005 i.H.v. 454.417,00 €, in 2006 i.H.v. 422.503,00 € und in 2007 i.H.v. 472.786,00 € sowie die Umsätze betreffend die Verpflegung der Mitarbeiter in 2005 i.H.v. 102.302,87 €, in 2006 i.H.v. 96.420,58 € und in 2007 i.H.v. 82.566,25 € nicht der USt unterworfen werden,

37hilfsweise, die Revision zuzulassen.

38Der Beklagte beantragt,

39die Klage abzuweisen.

40Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Einspruchsentscheidung.

41Der Senat hat am 19.11.2013 mündlich verhandelt. Auf das darüber gefertigte Protokoll wird Bezug genommen.

42Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen. Es wurden die Akten aus dem finanzgerichtlichen Verfahren 9 K 1620/10 K,F vor dem Finanzgericht Münster beigezogen.

43Entscheidungsgründe:

44Die Klage ist unbegründet.

45Der USt-Bescheid für 2004 vom 25.11.2009 und die USt-Bescheide 2005, 2006 und 2007 vom 04.12.2009 sowie die Einspruchsentscheidung vom 31.03.2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO–).

46Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass die Klägerin durch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung gegenüber Begleitpersonen von Patienten und der Verpflegung von Mitarbeitern in ihren Reha-Kliniken unternehmerisch tätig ist und umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringt.

471) Der USt unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

48Die Klägerin ist bezogen auf die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung gegenüber Begleitpersonen von Patienten und bezogen auf die Verpflegung von Mitarbeitern in von ihr betriebenen Reha-Kliniken Unternehmerin im Sinne des § 2 UStG.

49Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer BgA (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG–) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG). Die Klägerin ist im Streitfall durch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung gegenüber Begleitpersonen von Patienten und durch die Verpflegung von Mitarbeitern in den von ihr betriebenen Reha-Kliniken im Rahmen eines BgA i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG tätig geworden und handelte deshalb insoweit als Unternehmerin.

50Gemäß § 4 Abs. 1 KStG sind Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben; die Absicht, Gewinn zu erzielen und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich. Nicht dazu gehören Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe); für die Annahme eines Hoheitsbetriebs reichen Zwangs- und Monopolrechte nicht aus (§ 4 Abs. 5 KStG).

51a) § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der sich der Senat anschließt, unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG richtlinienkonform auszulegen (vgl. Urteile des BFH vom 14.03.2012 XI R 8/10, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFH/NV– 2012, 1667; vom 01.12.2011 V R 1/11, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFHE– 236, 235; vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416; vom 05.02 2004 V R 90/01, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 2004, 795; vom 27.02.2003 V R 78/01, BStBl. II 2004, 431). Aufgrund der Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG gilt der Grundsatz umsatzsteuerrechtlicher und damit richtlinienkonformer Auslegung auch für § 4 KStG (BFH-Urteile vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416; vom 20.08.2009 V R 30/06, BFHE 226, 465). Daher wird § 4 KStG im Rahmen der durch § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG angeordneten Verweisung, die aus Vereinfachungsgründen nur dazu dient, den Wortlaut dieser Vorschrift nicht im Rahmen des UStG zu wiederholen, zum Bestandteil des Umsatzsteuerrechts, so dass die von § 4 KStG verwendeten Begriffe für die Bestimmung der Unternehmereigenschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts umsatzsteuerrechtlich und damit ggf. anders als bei einer ausschließlich körperschaftsteuerrechtlichen Anwendung dieser Vorschrift auszulegen sind (BFH, Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416).

52§ 4 Abs. 1 Satz 1 KStG definiert den im gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerrecht nicht vorgesehenen Begriff des „Betriebs gewerblicher Art“ dahingehend, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts eine „nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen“ ausübt. Dies entspricht der allgemeinen Unternehmerdefinition in § 2 Abs. 1 UStG. Danach ist Unternehmer, wer nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig ist und dadurch eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit ausübt (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG sind –ebenso wie nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG– Gewinnerzielungsabsicht und eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr unerheblich. Die somit von § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 2 Abs. 1 UStG zur Bestimmung der Unternehmereigenschaft verwendeten Begriffe entsprechen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG. Danach ist hinsichtlich der wirtschaftlichen Tätigkeit als Grundvoraussetzung der Unternehmerdefinition nicht zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und anderen Personen zu differenzieren. Ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, ist daher für alle Unternehmer und damit für juristische Personen des öffentlichen Rechts wie für andere Personen nach denselben Grundsätzen zu prüfen (BFH, Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416). Dementsprechend setzt die Anwendung der für Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehenden Sonderregelungen des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) voraus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Tätigkeit um eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG handelt (EuGH-Urteile vom 26.06.2007 C-284/04, T-Mobile, Sammlung der Rechtsprechung –Slg.– 2007, I-5189, Rdnr. 48, und C-369/04, Hutchison 3G, Slg. 2007, I-5247, Rdnr. 42, zur Vergabe von UMTS-Lizenzen; vom 13.12.2007 C-408/06, Götz, Slg. 2007, I-11295).

53Damit eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art ist, muss es sich entsprechend der allgemeinen Definition in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts um eine nachhaltig und gegen Entgelt ausgeübte Tätigkeit handeln (EuGH-Urteile Götz in Slg. 2007, I-11295, Rdnrn. 14 und 18). Dementsprechend begründen weder Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG noch § 2 Abs. 3 UStG i.V.m. § 4 Abs. 5 KStG die Umsatzsteuerpflicht der öffentlichen Hand, sondern schränken sie ein (BFH-Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416; BFH-Urteil vom 28.10.2004 V R 19/04, BFH/NV 2005, 725).

54Die Klägerin ist juristische Person des öffentlichen Rechts. Bei der Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen und der Verpflegung von Mitarbeitern handelt es sich um eine nachhaltige und gegen Entgelt ausgeübte Tätigkeit. Unerheblich ist, ob die Klägerin aufgrund ihrer Finanzierung nach dem Selbstkostendeckungsprinzips ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig wird (§ 4 Abs. 1 Satz 2 KStG, § 1 Abs. 1 Satz 2 UStG). Mit der Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen und der Verpflegung von Mitarbeitern liegt auch eine Einrichtung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG vor. Das Tatbestandsmerkmal „Einrichtung“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG setzt lediglich voraus, dass sich die Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts von deren sonstiger Tätigkeit funktionell abgrenzen lässt (BFH-Beschluss vom 03.02.2010 I R 8/09, BFHE 228, 273). Eine Einrichtung in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, jedenfalls bei einer nachhaltigen und zur Erzielung von Einnahmen ausgeübten Tätigkeit vor (BFH-Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416). Soweit § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG weiter voraussetzt, dass sich die wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts aus ihrer Gesamtbetätigung herausheben muss, ist die Maßgeblichkeit absoluter Gewinn- oder Umsatzgrenzen zu verneinen (BFH, Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416; Urteil vom 25.10.1989 V R 111/85, BStBl. II 1990, 868), da diese Grenzen weder mit dem Erfordernis der Gleichmäßigkeit der Besteuerung noch mit dem notwendigen Ausschluss von Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen vereinbar sind. Für eine einschränkende Auslegung dieses Kriteriums im Rahmen der Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG über § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG spricht im Übrigen, dass für das Erfordernis des „wirtschaftlichen Heraushebens“ zumindest keine ausdrückliche Grundlage in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG besteht (BFH, Urteil vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416).

55b) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 UStG i.V.m. § 4 Abs. 5 KStG, wonach eine juristische Person des öffentlichen Rechts nicht als Unternehmer handelt, wenn sie bei ihrer Tätigkeit öffentliche Gewalt ausübt, hinsichtlich der Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen nicht vor.

56§ 4 Abs. 5 KStG definiert den Begriff „Ausübung öffentlicher Gewalt“ nicht, sondern ordnet in Satz 2 dieser Vorschrift nur an, dass allein Zwangs- und Monopolrechte noch keine Ausübung öffentlicher Gewalt begründen. Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14. Dezember 2000 C-446/98, Fazenda Pública, Slg. 2000, I-11435, Rdnr. 16 m.w.N.) ist der Begriff der öffentlichen Gewalt unter Beachtung des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG umsatzsteuerrechtlich und daher richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27.02.2003 V R 78/01, BFHE 201, 554 m.w.N.; vom 15.04.2010 V R 10/09, BFHE 229, 416). Entscheidend ist danach insbesondere, ob die juristische Person (Einrichtung) des öffentlichen Rechts im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung oder unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer tätig ist (EuGH-Urteil Fazenda Pública in Slg. 2000, I-11435, Rdnr. 17, m.w.N.). Maßgeblich sind hierfür die im nationalen Recht vorgesehenen Ausübungsmodalitäten, wobei das Gebrauchmachen hoheitlicher Befugnisse für eine einer öffentlich-rechtlichen Sonderregelung unterliegenden Tätigkeit spricht (EuGH-Urteil Fazenda Pública in Slg. 2000, I-11435, Rdnrn. 21 f.). Ohne Belang ist insoweit, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts durch ihre Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnimmt, die ihr aus Gründen des Gemeinwohls und unabhängig von jedem unternehmerischen oder geschäftlichen Ziel durch Gesetz zugewiesen sind (EuGH-Urteil Kommission/Finnland in BFH/NV 2009, 2115 Rdnr. 40; vgl. auch BFH-Urteil vom 28.11.1991 V R 95/86, BFHE 167, 207). Sämtliche Vereinbarungen betreffend die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen beruhen auf privatrechtlichen schriftlichen Verträgen bzw. Buchungen/Anmeldungen zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Patienten bzw. der Begleitperson. Die Klägerin handelt daher als Unternehmerin und nicht Ausübung öffentlicher Gewalt. Gleiches gilt für die Verpflegung der Mitarbeiter. Das Entgelt für die Verpflegung wird aufgrund (mündlich) abgeschlossener privatrechtlicher Verträge vereinnahmt und nicht auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift. Eine solche Rechtsgrundlage hat die Klägerin nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.

572) Die Umsätze betreffend die Unterkunft und Verpflegung von Begleitpersonen (vgl. unter a) und betreffend die Verpflegung von Mitarbeitern (vgl. unter b) sind auch nicht nach § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG steuerfrei.

58a) Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG die Umsätze der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung, der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe sowie der Verwaltungsbehörden und sonstigen Stellen der Kriegsopferversorgung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge an die Versicherten. Die Klägerin fällt als gesetzlicher Träger der Sozialversicherung zwar in den persönlichen Anwendungsbereich der Steuerbefreiung. Jedoch unabhängig davon, ob die Begleitperson als Leistungsempfänger anzusehen ist oder der jeweilige nachweislich in der Rentenversicherung versicherte Patient und damit ein grundsätzlich begünstigter Leistungsempfänger i.S.v. § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG vorliegt, stellt die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen keinen von § 4 Nr. 15 UStG begünstigten Umsatz dar.

59Im Schrifttum ist umstritten, ob sämtliche Umsätze eines Trägers der Sozialversicherung an die Versicherten steuerfrei sind, oder ob sich die Steuerbefreiung auf bestimmte Umsätze beschränkt. Nach einer Ansicht sollen alle Leistungen, zu denen die begünstigte Einrichtung gesetzlich verpflichtet ist, aber auch die gesetzlich zugelassenen Mehrleistungen, die ergänzenden Leistungen, die freiwilligen Mehrleistungen und Hilfsgeschäfte zu steuerfrei sein (Waza in: Offerhaus/Söhn/Lange, § 4 Nr. 15 Rdnr. 28; Schuhmann in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 15 Rdnr. 23; Heidner in: Bunjes/Geist, UStG, § 4 Nr. 15 Rdnr. 4; Wegmüller in Sölch/Ringleb/List, UStG, § 4 Nr. 15 Rdnr. 15). Hingegen wird von Plückebaum in Plückbaum/Malitzky, UStG, § 4 Nr. 15 Rdnr. 13 unter Verweis auf Entscheidungen des Reichsfinanzhofs (RFH) vertreten, dass begünstigte Einrichtungen, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens ihrer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung Leistungen bewirken und hierfür Entgelt von den Versicherten vereinnahmen, steuerpflichtige Leistungen ausführen. Auch satzungsgemäß „freiwillige“ Leistungen, die nicht vom gesetzlichen Rahmen gedeckt seien, fallen danach nicht unter die Steuerbefreiung. Zum vergleichbaren § 2 Nr. 9 UStG in der Fassung von 1926 hatte der RFH entschieden, dass sowohl der Zahnersatz aus Edelmetall durch die Zahnklinik einer Ortskrankenkasse gegen Sonderentgelt als auch der Zuschuss eines Versicherten zu einem nicht gesetzlich, sondern nur satzungsgemäß gewährten Heilverfahren in einem Kurhaus nicht unter die Steuerbefreiung fallen (RFH-Urteil vom 30.09.1932 V A 956/31, RStBl. 33/287 und RFH-Urteil vom 02.12.1932 V A 863/32, RStBl. 33/297).

60§ 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG ist unter Berücksichtigung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g), Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. und g), Art. 134 Richtlinie 2006/112/EG richtlinienkonform auszulegen. Die im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften sind nach ständiger Rechtsprechung der EuGH eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (vgl.

61EuGH-Urteil vom 09.02.2006, C-415/04, Stichting Kinderopvang Enschede, Slg. 2006 Seite I-01385 m.w.N.).

62Durch Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG bzw. Art. 132 der Richtlinie 2006/112/EG sollen bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit werden. Durch diese Vorschriften werden jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer befreit, sondern nur diejenigen, die in ihr einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind (EuGH-Urteile vom 20.11.2003, C-8/01, Taksatorringen, Slg. 2003, I-13711, Rdnr. 60, und vom 01.12.2005, C-395/04, Ygeia, Slg. 2005, I-10373, Rdnr. 19).

63Die Verpflegung und Gewährung von Unterkunft für Begleitpersonen stellt keine Dienstleistung der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit. Nach den Richtlinienvorschriften sind jedoch auch Dienstleistungen erfasst, die mit Dienstleistungen der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit eng verbunden sind. Die Leistungen in den Reha-Kliniken gegenüber dem jeweiligen Patienten stellen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dar (§ 9 SGB VI), um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Patienten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit des Patienten oder sein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder ihn möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Diese Leistungen i.S.d. § 9 SGB VI sind von den Richtlinienvorgaben erfasst.

64Die Verpflegung und Gewährung von Unterkunft gegenüber Personen, die Patienten begleiten, und deren Begleitung nicht als medizinisch notwendig erachtet wurde, stellt auch keine mit den Leistungen der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit, d.h. im Streitfall den Leistungen medizinischer Rehabilitation, „eng verbundene“ Leistung dar. „Eng verbundene Umsätze“ liegen vor, wenn sie als Nebenleistung einer Hauptleistung anzusehen sind, also keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern das Mittel darstellen, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können (EuGH-Urteil vom 01.12.2005 Rs. C-394/04, Ygeia, Slg. 2005 I-10373, Rdnr. 18f. und BFH-Urteil vom 25.01.2006 V R 46/04, BStBl. II 2006, 481). Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenleistung ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt (z.B. BFH-Urteile vom 09.06.2005 V R 50/02, BStBl II 2006, 98; vom 18.08.2005 V R 20/03 BStBl. II 2005, 910 und vom 6.09.2007 V R 14/06, BFH/NV 2008, 624). Die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen kann grundsätzlich eine Nebenleistung der Hauptleistung der medizinischen Rehabilitation darstellen.

65Der Begriff der „engen Verbundenheit“ wird jedoch in Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b) der Richtlinie 77/388/EWG konkretisiert. Danach sind „[v]on der in Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung […] Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn […] sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind.“ Art. 134 Buchst. a) Richtlinie 2006/112/EG entspricht der Vorgängervorschrift im Wesentlichen: „In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen: a) sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich“. Obwohl der nationale Gesetzgeber diese Vorschrift nicht in das UStG übernommen hat, sind die Voraussetzungen des § 4 Nr. 15 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Steuerbefreiung bei Vorliegen der o.g. Voraussetzung zu versagen ist (so auch BFH-Urteile vom 18. August 2005 V R 20/03, BStBl. II 2005, 910 zu § 4 Nr. 20 Buchst. a) UStG und vom 21. März 2007 V R 28/04, BStBl. II 2010, 999 zu § 4 Nr. 21 Buchstabe b) UStG).

66Ohne die medizinische Notwendigkeit der Unterbringung und Verpflegung der Begleitperson, wie sie zwischen den Beteiligten unstreitig z.B. bei der Begleitung Minderjähriger oder Schwerstbehinderter anzunehmen ist, sind keine Leistungen gegeben, die zur Ausübung der Tätigkeit, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, unerlässlich sind.

67Die Verpflegung und Unterbringung von Begleitpersonen, deren Aufenthalt nicht medizinisch notwendig ist, wird außerdem vom Ausschlusstatbestand des Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b) 2. Spiegelstrich der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 134 Buchst. b) der Richtlinie 2006/112/EG erfasst. Danach sind Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von der Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden. Die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen soll nach ausdrücklichem Vortrag der Klägerin ihr zusätzliche Einnahmen verschaffen, um für die medizinischen Leistungen für die Patienten weniger Versicherungsbeiträge der Versicherten aufbringen zu müssen. Die Unterbringung und Verpflegung steht auch im Wettbewerb mit Tätigkeiten, die der Mehrwertsteuer unterliegen und von gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden, nämlich der Hotel- und Restaurationsbranche (vgl. EuGH-Urteil vom 01.12.2005, C-394/04, Ygeia, Slg. 2005, I-10373, Rdnr. 33; Böhme, DStR 2011, 825). Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG kommt eine Umsatzsteuerbefreiung der Unterbringungs- und Verpflegungsleistungen gegenüber Begleitpersonen nicht in Betracht. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b) Richtlinie 77/388/EWG und Art. 134 Buchst. b) der Richtlinie 2006/112/EG in den Fällen unanwendbar ist, in denen das UStG die steuerfreien Umsätze genau bezeichnet und sich der Steuerpflichtige auf das für ihn günstigere nationale Gesetz berufen kann (so FG Düsseldorf, Urteil vom 07.11.2008 1 K 356/06 U, EFG 2009, 143 zu § 4 Nr. 25 UStG). Dies kommt nur dann in Betracht, wenn nicht schon die nationale Regelung einer Auslegung zugänglich ist, die mit der Richtlinie übereinstimmt. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Vorschrift und der noch bestehenden Ausnahmeregelung zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen des Sozialversicherungsträgers gegenüber Optikern (§ 4 Nr. 15 Buchst. b) S. 2 UStG) können unter dem Begriff der „Umsätze gegenüber Versicherten“ nicht alle denkbaren Umsätze gefasst werden, sondern nur solche, die für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Sozialversicherungsträgers unerlässlich sind und nicht im Wettbewerb mit umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeiten stehen, die von gewerblichen Unternehmen ausgeübt werden.

68b) Auch die Verpflegung von Mitarbeitern ist nicht gemäß § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG umsatzsteuerfrei. Bei richtlinienkonformer Auslegung kann die Verpflegung bereits deshalb nicht als mit Dienstleistungen der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit eng verbunden angesehen werden, da es an einer Haupttätigkeit mangelt, die als Dienstleistung der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit angesehen werden kann. Weder die Verpflegung der Mitarbeiter selbst ist begünstigte Hauptleistung noch ist eine andere gegenüber den (versicherten) Mitarbeitern ausgeübte begünstigte Tätigkeit ersichtlich, von der man annehmen kann, dass die Verpflegung der Mitarbeiter zu dieser Tätigkeit eine untergeordnete Nebenleistung ist. Seien auch die Anforderungen an die Person des Leistenden und des Leistungsempfängers erfüllt, die Anforderung an die steuerbegünstigte Leistung sind es bei richtlinienkonformer Auslegung nicht.

693) Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. a) UStG i.d.F. von 2004 bis 2007 kommt für die Verpflegung und Gewährung von Unterkunft für Begleitpersonen ebenfalls nicht in Betracht. Gemäß § 4 Nr. 16 UStG sind die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung, Einrichtungen zur Geburtshilfe sowie der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime, Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden. Bei der Verpflegung und Gewährung von Unterkunft für Begleitpersonen handelt es sich nicht um einen mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsatz.

70Diese Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie 2006/112/EG. Danach befreien die Mitgliedstaaten Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze. Die ärztliche Heilbehandlung und die Krankenhausbehandlung im Sinne dieser Vorschrift müssen zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (EuGH-Urteile vom 6.11.2003 Rs. C-45/01, Dornier, Slg. 2003 I-12911, Rdnr. 48; vom 01.12.2005 Rs. C-394/04, Ygeia, Slg. 2005 I-10373, Rdnr. 24). Für die Beurteilung, ob ein „eng verbundener Umsatz“ mit einer ärztlichen Heilbehandlung oder einer Krankenhausbehandlung vorliegt, sind die gleichen Grundsätze heranzuziehen, wie zuvor bei der Beurteilung eines mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit eng verbundenen Umsatzes. Die Unterbringung und Verpflegung der Begleitpersonen kann danach grundsätzlich als Nebenleistung zur Behandlung der Patienten in den jeweiligen Reha-Kliniken der Klägerin angesehen werden, so dass die Steuerbefreiung grundsätzlich in Betracht kommt. Dies gilt jedoch aufgrund der in Art. 13 Teil A Abs. 2 Richtlinie 77/388/EWG und Art. 134 Buchst. a) Richtlinie 2006/112/EG vorgesehenen Einschränkungen nur für die Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen in den Fällen, in denen die medizinische Notwendigkeit nachgewiesen oder wie bei der Begleitung von Minderjährigen und Schwerstbehinderten generell zu vermuten ist. Eine Berufung auf das für den Steuerpflichtigen günstigere nationale Gesetz aufgrund genauer Bezeichnung eines steuerfreien Umsatzes im nationalen Recht kommt im Rahmen von § 4 Nr. 16 UStG nicht in Betracht, da sich die Bestimmung auf „eng mit dem Betrieb der Krankenhäuser verbundene“ Umsätze bezieht. Mangels genauer Bezeichnung der steuerfreien Umsätze kann § 4 Nr. 16 UStG richtlinienkonform ausgelegt werden (FG Münster, Urteil vom 12.05.2011 5 K 435/09 U EFG 2011, 1470).

71Da die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15 Buchst. b) UStG und § 4 Nr. 16 UStG im Falle einer Rehabilitationsmaßnahme gleichlaufend eine medizinische Leistung befreien, sind auch bei beiden Steuerbefreiungen Nebenleistungen nur dann befreit, wenn die medizinische Notwendigkeit der Nebenleistung festgestellt ist. Dies ist bei der Unterbringung und Verpflegung von Begleitpersonen – ohne ärztliche Feststellung der medizinischen Notwendigkeit oder deren genereller Vermutung bei Minderjährigen und Schwerstbehinderten – nicht der Fall.

72Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

73Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

Gemeinsame Nutzung von Daten, um Steuerflucht zu bekämpfen

Pläne der EU-Kommission, die EU-Länder bis 2017 zu verpflichten, Daten über Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Aufsichtsratsvergütungen, Lebensversicherungen, Renten und Immobilien zu sammeln und automatisch auszutauschen, wurden am 11.12.2013 von den Abgeordneten genehmigt.

Die aktuellen Regeln bieten Schlupflöcher, da sie die Länder nicht zur Sammlung dieser Daten verpflichten. Ab 2017 verpflichten die neuen Regeln auch Informationen über andere Einkünfte, unter anderem von Dividenden, Kapitalerträgen und Kontoguthaben zu sammeln und automatisch auszutauschen.

In der Abstimmung im Plenum lehnte das Parlament die Empfehlung des Wirtschafts- und Währungsausschusses ab, den „Grundsatz der Verfügbarkeit“, laut dem ein Land nur Einkommensdaten austauschen muss, die es selber sammelt, beizubehalten. Bei Verstößen gegen die Regeln haben Mitgliedstaaten mit Sanktionen zu rechnen, heißt es in dem Text, der mit 360 Ja-Stimmen gegen 59 Nein-Stimmen bei 287 Enthaltungen angenommen wurde.

Am 12.12.2013 werden die Abgeordneten mit der Kommission darüber debattieren, wie am besten ein messbares und spürbares Engagement gegen Steuerhinterziehung und -umgehung in der EU zu erreichen ist. Im Anschluss wird eine entsprechende Entschließung zur Abstimmung gebracht.

EU-Parlament, Pressemitteilung vom 11.12.2013

Organisatorische Eingliederung bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG)

Verlängerung der Übergangsregelung des BMF-Schreibens vom 7. März 2013

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7105 / 11 / 10001 vom 11.12.2013

Mit dem Bezugsschreiben wurden die Verwaltungsanweisungen zur organisatorischen Eingliederung bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft in Abschnitt 2.8 UStAE neu gefasst. Die Umsetzung dieser Regelungen macht auch im außersteuerlichen Bereich Anpassungen notwendig, die in vielen Unternehmen einen erheblichen zeitlichen Bedarf in Anspruch nehmen. Aufgrund dieser besonderen Umstände ist eine Verlängerung der Übergangsregelung erforderlich.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird die Übergangsregelung des Bezugsschreibens bis zum 1. Januar 2015 verlängert und wie folgt gefasst:

„Mit Wirkung vom 1. Januar 2013 wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass geändert. Die Regelungen dieses Schreibens sind auf alle offenen Fälle anzuwenden. Soweit die am vermeintlichen Organkreis beteiligten Unternehmer vor dem 1. Januar 2013 unter Berufung auf Abschnitt 2.8 Abs. 7 UStAE in der bis zu diesem Stichtag geltenden Fassung übereinstimmend von einer organisatorischen Eingliederung ausgegangen sind, wird es für vor dem 1. Januar 2015 ausgeführte Umsätze nicht beanstandet, wenn diese weiterhin unter Berufung auf Abschnitt 2.8 Abs. 7 UStAE in der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung übereinstimmend eine organisatorische Eingliederung annehmen.“

Quelle: BMF

Gewinnbeteiligung eines typischen stillen Gesellschafters sind Schuldzinsen i.S.d. § 4 Abs. 4 a EStG

Finanzgericht Köln, 14 K 3754/11

Datum:
21.08.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 3754/11
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Vergütungen für einen typisch stillen Gesellschafter im Rahmen der Ermittlung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen wie Schuldzinsen zu behandeln sind.

3Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einer Metzgerei. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. In der Bilanz zum 31.12.2004 wies er ein negatives Kapital i.H.v. 130.014,99 € aus. Dieses negative Kapital ergab sich ausgehend von einem Anfangskapital von 4.718,36 € aus Einlagen i.H.v. 20.227,13 €, Entnahmen von 144.595,87 € und einem Jahresfehlbetrag von 10.364,61 €. 2005 und 2006 standen Entnahmen von 161.051,45 € und 212.014,14 € Einlagen von 19.288,77 € und 15.146,06 € und Jahresüberschüssen von 84.529,65 € bzw. 84.818,15 € gegenüber.

4Zumindest bis zum 08.06.2005 wurden die die Einlagen und Überschüsse übersteigenden Entnahmen durch Belastung des betrieblichen Kontokorrentkontos (A-Bank Kto.-Nr. 1) finanziert, das ausweislich des Kontoauszugs Nr. 2/… (Kopie Bl. 57 der FG-Akte) an diesem Tag mit einem Sollsaldo von 147.291,33 € eröffnete. An diesem Tag erfolgte eine Gutschrift des Vaters des Klägers i.H.v. 120.000 €. Zur Erläuterung dieser Gutschrift reichten die Kläger den „Vertrag über die Errichtung einer atypischen stillen Gesellschaft“ in nicht unterschriebener und nicht datierter Fassung zu den Akten des Beklagten (Betriebsprüfungsakte Bd. II). Danach beteiligte sich der Vater des Klägers an dem Handelsgewerbe des Klägers als stiller Gesellschafter mit einer Einlage von 140.000 €. Die Einlage sei bereits in bar erbracht worden. Zur Geschäftsführung sollte allein der Kläger befugt sein. Zu bestimmten in § 3 Abs. 2 des Vertrags näher bezeichneten Geschäften war die Zustimmung des Vaters des Klägers erforderlich. Nach § 6 des Vertrags war eine Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters von 20 % vorgesehen. Eine Beteiligung am Verlust war ausgeschlossen.

5Der Kläger zahlte aufgrund dieser Vereinbarung an seinen Vater in den Streitjahren jeweils 4.600 € als Gewinnbeteiligung, die er in voller Höhe als Betriebsausgaben berücksichtigte.

6Nach einer steuerlichen Betriebsprüfung ließ der Beklagte mit den angefochtenen nach § 164 AO geänderten Einkommensteuerbescheiden vom 10.03.2011 den vollen Betriebsausgabenabzug der an den Vater gezahlten Gewinnbeteiligung nicht mehr zu, sondern berücksichtigte diese im Rahmen der Ermittlung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen. Wegen der Einzelheiten der Ermittlung wird auf Tz. 16 zum Betriebsprüfungsbericht vom 29.11.2010 Bezug genommen.

7Nach erfolglosem Einspruch machen die Kläger mit der Klage geltend, der Gewinnanteil des typischen stillen Gesellschafters werde nicht von § 4 Abs. 4a EStG erfasst. Zu Unrecht berufe sich der Beklagte für seine Auffassung auf das BFH-Urteil vom 06.03.2003 XI R 24/02, BStBl II 2003, 656. Dieses Urteil betreffe nicht die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG, sondern den Fall der Verwendung der Einlage eines stillen Gesellschafters für private Zwecke. Ein solcher Sachverhalt liege im Streitfall nicht vor. Vielmehr habe sich die Verlustsituation aus der allgemeinen Branchenkrise sowie durch Umsatzverlagerung in Richtung Supermärkte und Discounter, weiter durch negative Berichterstattungen in der Presse über Schweinepest, Maul- und Klauenseuche etc. entwickelt. Die Einlage des stillen Gesellschafters sei nicht zu Investitionszwecken geleistet worden, sondern zur Wiederherstellung der Liquidität des Metzgereibetriebs.

8Weiter spreche der Wortlaut der vertraglichen Ausgestaltung einer stillen Beteiligung gegen eine Gleichstellung der Gewinnbeteiligung mit sonstigen Schuldzinsen. Es erfolge keine im Voraus festgeschriebene Verzinsung des eingezahlten Kapitals, sondern der still Beteiligte werde an den zu erzielenden Gewinnen beteiligt. Insoweit übernehme er unternehmerisches Risiko, da er bei negativen Ergebnissen gar keine Vergütung auf seine Einlage erhalte. Es handele sich bei den vom Geschäftsinhaber zu leistenden Zahlungen also nicht um Zinsen, sondern ausdrücklich um Gewinnanteile. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger ergänzend geäußert, dass auch die Gesetzesgeschichte des § 4 Abs. 4a EStG ihre Ansicht stütze, da diese Regelung nur eingeführt worden sei, um Zinsgestaltungen bei Kontokorrentkonten entgegenzuwirken. Auch § 8 Nr. 1 GewStG stütze ihre Auffassung, da in dieser Vorschrift zwischen Entgelten für Schulden in Buchstabe a und Gewinnanteilen des stillen Gesellschafters in Buchstabe c) differenziert werde.

9Die Kläger beantragen,

10die Einkommensteuerbescheide vom 10.03.2011 in der Weise zu ändern, dass die Gewinnbeteiligungen des stillen Gesellschafters in Höhe von jeweils 4.600 € in vollem Umfang als unbeschränkt abzugsfähige Betriebsausgaben behandelt werden,

11hilfsweise, die Revision zuzulassen.

12Der Beklagte beantragt,

13die Klage abzuweisen.

14Er nimmt Bezug auf die Einspruchsentscheidung.

15Entscheidungsgründe

16Die Klage ist unbegründet.

17Der Beklagte hat zu Recht die an den stillen Gesellschafter ausgezahlten Gewinnbeteiligungen der Streitjahre von jeweils 4.600 € in die Berechnung der nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abzugsfähigen Schuldzinsen einbezogen.

181. Die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Betriebsausgaben ist zweistufig zu prüfen:

19a) Zunächst ist zu prüfen, ob die betreffende Schuld (Kredit) i.S. des § 4 Abs. 4 EStG betrieblich veranlasst ist oder ob es sich um eine private Schuld handelt. Maßgeblich sind insoweit die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze (insbesondere zweiter Kontokorrentbeschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 08.12.1997 GrS 1-2/95, BStBl II 1998, 193). Sofern eine betriebliche Veranlassung festgestellt wird, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang die betrieblich veranlassten Schuldzinsen nach § 4 Abs. 4a EStG abziehbar sind (BFH-Urteile vom 09.05.2012 X R 30/06, BStBl II 2012, 667; vom 30.08.2012 IV R 48/09, BFH/NV 2013, 187, jeweils m.w.N.). Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die stille Beteiligung des Vaters des Klägers und die vertragsgemäß an ihn gezahlte Gewinnbeteiligung ganz oder teilweise nicht betrieblich war, so dass auch eine Aufteilung der Beteiligung ausscheidet. Es handelt sich, da die Rechtsstellung des Vaters des Klägers nicht über diejenige eines typisch stillen Gesellschafters nach §§ 230 ff. HGB hinausgeht, auch nicht um eine mitunternehmerschaftliche Beteiligung an den Einkünften.

20b) Eine Überentnahme ist nach § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 % der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 3 Halbsatz 1 EStG). Dabei ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe des § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen (§ 4 Abs. 4a Satz  Halbsatz 2 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2.050 € verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist nach § 4 Abs. 4a Satz 4 EStG dem Gewinn hinzuzurechnen. Von der Abzugsbeschränkung sind Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten für Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens ausgenommen § 4 Abs. 4a Satz 5 EStG).

212. Der Kläger hat in den Streitjahren – unstreitig – Überentnahmen im Sinne des (§ 4 Abs. 4a Satz 2 und 3 EStG getätigt, so dass die Schuldzinsen nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 der Vorschrift nicht abziehbar waren. Darüber, ob der Beklagte § 4 Abs. 4a EStG im Streitfall zutreffend angewendet hat, besteht zwischen den Beteiligten ausschließlich insoweit Streit, als nach Auffassung der Kläger die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters begrifflich nicht zu den Schuldzinsen i.S. des § 4 Abs. 4a EStG gehört.

22Aus der systematischen, historischen und teleologischen Auslegung des § 4 Abs. 4a EStG folgt indes, dass der Regelung ein weiter Zinsbegriff zu Grunde liegt, der auch die Gewinnbeteiligung des typisch stillen Gesellschafters umfasst.

23a) Der Begriff der Schuldzinsen ist anders als derjenige der Überentnahme in § 4 Abs. 4a EStG oder an anderer Stelle im EStG nicht legaldefiniert. Das EStG verwendet den Begriff der Schuldzinsen außer in § 4 Abs. 4 Buchst. a in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 10e Abs. 6a Satz 1, § 13a Abs. 3 S. 2, früher auch in § 9a Satz 1 Nr. 2 und in § 21a Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4. Daneben wurde früher in § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG auch der Begriff der Finanzierungskosten verwandt; dieser ist durch die Änderung der Vorschrift durch Art. 1 des Alterseinkünftegesetzes – AltEinkG – vom 05.07.2004, (BGBl. I 2004, 1427) entfallen. Obgleich das Nebeneinander der Begriffe der Finanzierungskosten einerseits und der Schuldzinsen andererseits die Annahme nahe legen könnte, dass es sich bei „Finanzierungskosten“ um einen weiteren Oberbegriff und „Schuldzinsen“ um einen engeren Unterbegriff handeln könnte, hat die Rechtsprechung den Schuldzinsenbegriff auch vor dem Wegfall des Begriffs der Finanzierungskosten als Gesetzesbegriff stets weit ausgelegt. Danach sind Schuldzinsen alle einmaligen und laufenden Leistungen in Geld oder Geldeswert, die der Steuerpflichtige für die Überlassung von Kapital an den Gläubiger und an Dritte zu entrichten hat und die nicht zur Tilgung des Kapitals erbracht werden (z.B. BFH-Urteile vom 06.07.1973 VI R 379/70, BStBl II 1973, 868; vom 01.06.1978 IV R 109/74, BStBl II 1978, 618; vom 09.02.1994 IX R 110/90, BStBl II 1995, 47, 51; vom 01.10.2002 IX R 12/00 und IX R 72/99, BStBl II 2003, 398 und 399; vom 22.09.2005 IX R 44/03, BFH/NV 2006, 274). Die Bezeichnung der Geldleistung ist für die steuerrechtliche Qualifizierung dabei ohne Bedeutung (BFH-Urteil in BStBl II 1995, 47, 51). Der weite Schuldzinsenbegriff galt dabei gleichermaßen für den Bereich der Sonderausgaben (z.B. BFH-Urteile in BStBl II 1973, 868; 1978, 618) wie der Betriebsausgaben (z.B. BFH-Urteil in BStBl II 1978, 618) und der Werbungskosten (z.B. BFH-Urteile in BStBl II 1995, 47; 2003, 398; in BFH/NV 2006, 274). Unter den Schuldzinsbegriff fallen danach außer Darlehenszinsen auch sonstige Finanzierungskosten, wie etwa Bankgebühren, Abschlusskosten einer Bausparkasse (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 398), auch Kosten der Besicherung, wie Gerichts-und Notargebühren für eine Grundschuld- oder Hypothekenbestellung (BFH-Urteil in BStBl II 2003, 399).

24b) Aus der Gesetzesgeschichte des § 4 Abs. 4a EStG ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen abweichenden Schuldzinsbegriff. Ein Absatz 4a des § 4 EStG wurde erstmals eingeführt durch das Steuerentlastungsgesetz – StEntlG – 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl. I 1999, 402). Zwar erfolgte diese Einführung ausweislich der Gesetzesmotive (Einzelbegründung zu § 4 Abs. 4a EStG im Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002, BT-Drucks. 14/23, S. 169) als Reaktion auf den zweiten Kontokorrentbeschluss des Großen Senats des BFH (in BStBl II 1998, 193) und bezweckte in erster Linie zu verhindern, dass die aufgrund der Beschlusses durch die Rechtsprechung anerkannten Mehrkontenmodelle eine Verlagerung der Zinsaufwendungen für nicht betrieblich veranlasste Kredite in den Betriebsausgabenabzug verlagert werden konnten. Indes ist weder dem Beschluss des Großen Senats noch der Begründung des Gesetzentwurfs als Reaktion auf den Beschluss zu entnehmen, dass der gleichermaßen verwandte Begriff der Schuldzinsen damit eingeengt, insbesondere auf Kontokorrentzinsen beschränkt werden sollte. So werden in § 4 Abs. 4a Nr. 1 und Nr. 2 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 „Konten, insbesondere bei einem Kreditinstitut“ erwähnt und damit auch andere Konten erfasst, was darauf hindeutet, dass der Schuldzinsbegriff im Sinne des bisherigen weiten Begriffsverständnisses verwandt wurde.

25c) Letztlich bedarf es keiner näheren Untersuchung des Gesetzesverständnisses des § 4 Abs. 4a in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002, da diese Regelung faktisch nie zur Anwendung gelangt ist. Denn sie wurde durch das Steuerbereinigungsgesetz – StBereinG – 1999 vom 22.12.1999 (BGBl. I 1999, 2601) rückwirkend zum 01.01.1999 durch die im wesentlichen auch in den Streitjahren geltenden Fassung des Abs. 4a ersetzt. Diese Ersetzung ist aufgrund der Kritik an der mangelnden Praktikabilität der    vorangegangenen Fassung erfolgt, beinhaltete indes keine begriffliche Änderung, insbesondere keine Einschränkung, des zu Grunde gelegten Schuldzinsbegriffs. Vielmehr ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass dieser weit gefasst werden sollte. So sollen „in die zusammengefasste Betrachtung der Konten…auch Bestände von betrieblichen Zahlungsmitteln – zu denen auch das Kassenkonto (einschließlich Schecks) gehört“ einzubeziehen sein (Einzelbegründung zu § 4 EStG im Bericht des Finanzausschusses zu den Gesetzentwürfen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999 – StBereinG 1999) u.a., BT-Drucks. 14/2070, S. 17). Dabei sollte es bei der zusammengefassten Betrachtung der Konten mit betrieblichen Zahlungsvorgängen verbleiben (BT-Drucks. 14/2070, S. 16).

26d) Dafür, dass § 4 Abs. 4a EStG kein engerer Zinsbegriff zugrunde liegt, spricht auch, dass das Gesetz in Satz 5 der Vorschrift Schuldzinsen für Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens ausdrücklich von der Abzugsbeschränkung ausnimmt. Der Gesetzgeber hat demnach die Möglichkeit der Einschränkung des Zinsbegriffs gesehen. Er hat es indes unterlassen, eine weitergehende Einschränkung herbeizuführen.

27e) Die Annahme einer begrifflichen Einengung des Zinsbegriffs liefe auch der gesetzgeberischen Zielsetzung der Gestaltungsbeschränkung dadurch, dass Entnahmen nur bei Liquiditätsüberschüssen ohne steuerliche Auswirkungen auf den Zinsabzug bleiben sollten (s. BT-Drucks. 14/2070, S. 16), zuwider. Hätte der Gesetzgeber eine Einengung auf Kontokorrentzinsen herbeiführen wollen, wäre die Gestaltungspraxis sofort auf andere Modelle außerhalb eines Kontokorrentkontos ausgewichen. Die gesetzgeberische Zielsetzung wäre damit von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.

28f) Die Rechtsprechung hat die für die betriebliche Qualifizierung von Darlehenszinsen entwickelten Grundsätze (erste Stufe der Prüfung des Betriebsausgabenabzugs von Schuldzinsen) auf die Gewinnanteile des typisch stillen Gesellschafters übertragen (BFH-Urteil vom 06.03.2003 XI R 24/02, BStBl II 2003, 656). Ausschlaggebend hierfür war, dass die stille Gesellschaft zwar zivilrechtlich (Innen-)Gesellschaft i.S. des § 705 BGB ist, deren Gesellschafter – anders als die Parteien eines Darlehensverhältnisses – gemeinsame Ziele verfolgen. Für den Geschäftsinhaber ist jedoch die Vermögenseinlage des stillen Gesellschafters wirtschaftlich ein qualifizierter Kredit (bestätigt durch BFH-Urteile vom 27.03.2012 I R 62/08, BStBl II 2012, 745, unter Rz. 13; vom 14.11.2012 I R 19/12, BFH/NV 2013, 1389). Sie ist steuer- und bilanzrechtlich Fremdkapital, da sich Steuer- und Bilanzrecht vorrangig an wirtschaftlichen Gegebenheiten orientieren. In der Bilanz des Geschäftsinhabers ist sie als (sonstige) Verbindlichkeit zu passivieren. Gehört die Beteiligung beim stillen Gesellschafter zum Betriebsvermögen, hat auch dieser keine Beteiligung (vgl. § 266 Abs. 2 A.III.2 HGB), sondern die Einlage als forderungsähnliche sonstige Ausleihung i.S. von § 266 Abs. 2 A.III.6 HGB auszuweisen (BFH-Urteil in BStBl II 2012, 745).

29Dagegen spricht auch nicht die systematische Trennung der stillen Gesellschaft und des Darlehens in § 20 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 7 EStG. Abgesehen davon, dass die Frage, ob Aufwendungen eines Steuerpflichtigen nach § 4 Abs. 4 EStG betrieblich veranlasst sind, unabhängig von der steuerrechtlichen Qualifizierung der korrespondierenden Einnahmen beim Zahlungsempfänger zu beantworten ist, spricht gerade § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG für eine Gleichbehandlung der stillen Gesellschaft und des partiarischen Darlehens. Beide Rechtsinstitute sind auch zivilrechtlich artverwandt und haben starke wirtschaftliche Berührungspunkte (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2003, 656 m.w.N.). Der getrennte Ausweis der Einnahmen aus partiarischen Darlehen und sonstigen Kapitalforderungen in § 20 Abs. 1 EStG ist im Übrigen dadurch begründet, dass nur für die in § 20 Abs. 1 Nr. 4 genannten Einnahmen Kapitalertragssteuerpflicht besteht (vgl. § 43 Abs.1 Nr. 3 EStG).

30Entsprechend spricht auch die begriffliche Trennung zwischen „Entgelten für Schulden“ in § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG und Gewinnanteilen des stillen Gesellschafters in Buchst. c) der Vorschrift entgegen der Ansicht der Kläger nicht für eine begriffliche Einschränkung des Zinsbegriffs des § 4 Abs. 4a EStG. Abgesehen davon, dass die Terminologie des GewStG nicht für die Auslegung des EStG ausschlaggebend ist, behandelt § 8 GewStG beide Fälle der Aufwendungen für die Überlassung von Kapital gerade nicht unterschiedlich sondern gleich.

31g) Dafür, auf der zweiten Stufe der Prüfung des Betriebsausgabenabzugs von Schuldzinsen, eben der Prüfung des § 4 Abs. 4a EStG, Gewinnbeteiligungen stiller Gesellschafter auszunehmen, gibt es keinen sachlichen Grund. Dies widerspräche sowohl der Gesetzessystematik, nach der es sich um den zweiten Schritt der Prüfung desselben Lebenssachverhalts handelt, als auch der gesetzlichen Zielsetzung, den Betriebsausgabenabzug der Fremdfinanzierung von Überentnahmen zu verhindern.

323. Gegen die Berechnung der nichtabzugsfähigen Schuldzinsen unter Berücksichtigung der Gewinnanteile des stillen Gesellschafters bestehen – auch nach dem Vortrag des Klägers – im Streitfall keine Bedenken.

334. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

34Die Revision war wegen grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften: Zurechnung von Verlusten beim Nießbrauchsbesteller oder Nießbraucher eines Kommanditanteils

Finanzgericht Köln, 10 K 3432/12

Datum:
26.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 3432/12
Tenor:

Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 und 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2012 werden mit der Maßgabe abgeändert, dass

– das zu Wohnzwecken der Beigeladenen zu 3. und 4. genutzte Objekt A-Weg … als steuerliches Betriebsvermögen qualifiziert wird und sämtliche damit zusammenhängenden Einnahmen wie auch Ausgaben steuerlich berücksichtigt werden,

– die mit dem fremdvermieteten Objekt B-Straße … unmittelbar zusammenhängenden Schuldzinsen in vollem Umfang, d.h. 2008 i.H.v. 491,50 € und für 2009 i.H.v. 90.962,55 € als Betriebsausgaben berücksichtigt werden und

– die festgestellten bzw. neu festzustellenden Verluste auch insoweit den Beigeladenen zu 3. und 4. steuerlich zugerechnet werden, als diese ihre Gesellschaftsanteile unter Nießbrauchsvorbehalt auf die Beigeladenen zu 1. und 2. übertragen haben.

Die Ermittlung der danach festzustellenden Beträge und deren Verteilung auf die Beigeladenen zu 3. und 4. werden dem Beklagten übertragen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

1Tatbestand

2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Wohnhaus A-Weg … zum steuerlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört, ob die Schuldzinsen, die auf Darlehen entfallen, die für den Erwerb und den Bau auf dem Grundstück B-Straße … aufgenommen worden sind, in voller Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden können und wem die Einkünfte der Klägerin zuzurechnen sind.

3Die Klägerin wurde 2007 als C GmbH & Co D KG gegründet. Mit Notarvertrag vom 5. Dezember 2008 (Ur-Nr. 1) erwarben die Beigeladenen zu 3. und 4. die Kommanditanteile an der Klägerin sowie die Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH. Die Klägerin wurde auf ihren neuen Namen umfirmiert. Geschäftsführer der GmbH sind die Beigeladenen zu 3. und 4.

4Nach § 2 des Gesellschaftsvertrags ist Gegenstand des Unternehmens die eigene Vermögensverwaltung, die Verwaltung von eigenem Wertpapiervermögen sowie die Verwaltung, Vermietung und Verpachtung von eigenen Immobilien, Grundstücken, Gewerbe– und Wohnbauten sowie sonstiger Gewerbeanlagen und deren An– und Verkauf für eigene Rechnung. Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich.

5Nach § 4 des Gesellschaftsvertrags sind Gesellschafter die E Besitzverwaltungs-GmbH ohne Kapitaleinlage und ohne Beteiligung am Gesellschaftsvermögen sowie als Kommanditisten mit einer Kommanditeinlage (Hafteinlage) in Höhe von jeweils 500 € die Beigeladenen zu 3. und 4. Nach § 5 wird für jeden Kommanditisten ein Kapitalkonto eingerichtet, das – soweit die Kommanditeinlagen erbracht sind – die Höhe der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen wiedergibt (sog. Kapitalkonto I). Außerdem wird für jeden Gesellschafter ein variables Kapitalkonto eingerichtet (sog. Kapitalkonto II). Nach § 7 Abs. 4 werden Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Die Stimmrechtsverteilung erfolgt abweichend von der kapitalmäßigen Beteiligung der Gesellschafter dergestalt, dass den Gründungsgesellschaftern (den Beigeladenen zu 3. und 4.) jeweils zwei Stimmen sowie hinzutretenden neuen Gesellschaftern jeweils eine Stimme zustehen.

6§ 12 Abs. 4 sieht vor, dass im Fall der Liquidation der Klägerin die Kommanditisten an dem Reinvermögen im Verhältnis ihrer Kommanditeinlage teilnehmen.

7Scheidet ein Gesellschafter aus der Gesellschaft aus, so wird er gemäß folgender Regelung abgefunden: Bemessungsgrundlage für die Abfindung ist ein Vermögensstatus auf den Tag des Ausscheidens des Gesellschafters, aufzustellen nach den Grundsätzen des Bewertungsgesetzes in der Fassung vom 1.1.2007 abzüglich eines Abschlags von 50%. Ein Ansatz für den good will oder für nicht bilanzierungspflichtige schwebende Geschäfte unterbleibt (§ 16 Abs. 1).

8Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gesellschaftsvertrag Bezug genommen.

9Die Anteile an der Komplementär-GmbH wurden ebenfalls in das Gesamthands-vermögen übertragen, so dass eine sog. Einheitsgesellschaft entstand.

10Mit Notarvertrag vom 5.12.2008 (UR-Nr. 2) brachten die Beigeladenen zu 3. und 4. das fremdvermietete Grundstück B-Straße … in F sowie das Grundstück A-Weg … in K in das Gesamthandsvermögen der Klägerin ein. Das Grundstück B-Straße hatten die Beigeladenen zu 3. und 4. 2007 erworben und anschließend bebaut. Hierfür hatten sie ein Darlehen aufgenommen, das am 5.12.2008 noch mit 1.656.628,06 € valutierte. Die G-Bank hat bestätigt, dass die aufgenommenen Darlehen nur der Finanzierung des Objekts B-Straße … dienten. Das Grundstück A-Weg …, das ebenfalls den Beigeladenen zu 3. und 4. zu je ½ gehörte, war schuldenfrei. Hierbei handelt es sich um das zu eigenen Wohnzwecken genutzte Einfamilienhaus der Beigeladenen zu 3. und 4. Als Gegenleistung wurden den Einbringenden Gesellschaftsrechte an der Klägerin gewährt. Der Wert des jeweils eingebrachten Grundbesitzes wurde dem Kapitalkonto I des einbringenden Gesellschafters gutgeschrieben. Nach § 5 des Einbringungs- und Übertragungsvertrags übernahm die Klägerin im Innenverhältnis die Verbindlichkeiten, die den Grundpfandrechten zugrunde lagen.

11Außerdem brachten die Beigeladenen zu 3. und 4. mit einem anderen Vertrag drei Wertpapierdepots in die Klägerin ein. Da sie an dem gesamten eingebrachten Vermögen jeweils zur Hälfte beteiligt gewesen waren, ermittelten sie ihre Beteiligung an der Klägerin ebenfalls jeweils mit 50%.

12Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Verträge (Einbringung und Übertragungsvertrag vom 5.12.2008 sowie Vertrag über die Einbringung der Wertpapierdepots vom 5.12.2008) Bezug genommen.

13Des Weiteren schlossen die Beigeladenen am 5.12.2008 einen Schenkungs- und Übertragungsvertrag über Kommanditanteile an der E Besitzverwaltung GmbH & Co. KG unter Nießbrauchsvorbehalt. Danach übertrugen die Beigeladenen zu 3. und 4. im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich auf ihre gemeinsamen volljährigen Kinder, die Beigeladenen zu 1. und 2., jeweils einen Teil-Kommanditanteil in Höhe von 15% des Gesamtkommanditkapitals unter Vorbehalt des Nießbrauchsrechts. Nach § 3 des Vertrags behielten sich die Schenker hinsichtlich der Schenkungen jeweils das lebenslängliche und unentgeltliche Nießbrauchsrecht vor. Nach Abs. 3 gebühren den Nießbrauchern die während des Nießbrauchs auf die Beteiligung entfallenden Gewinnanteile. Die mit den Beteiligungen verbundenen Mitgliedschaftsrechte, insbesondere die Stimmrechte, stehen den jeweiligen Beschenkten zu. § 5 regelt, wann die Schenker berechtigt sind, die jeweilige Schenkung zu widerrufen. Nach Abs. 2 steht dem jeweiligen Schenker hinsichtlich der Schenkungen und Übertragungen ein nicht übertragbares aber vererbliches Rückforderungsrecht zu (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

14Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Vertrag Bezug genommen.

15Am 15.12.2008 wurde zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 3. und 4. ein Mietvertrag über das Grundstück A-Weg … abgeschlossen. Danach wurde das Grundstück zu einem ortsüblichen Mietzins vermietet. Weder an der Fremdüblichkeit des Vertrags noch an seiner vertragsgemäßen Durchführung bestehen Zweifel. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag Bezug genommen.

16Die Klägerin ermittelte für 2008 und 2009 jeweils einen Verlust, den sie aufgrund des Nießbrauchsrechts nur den Beigeladenen zu 3. und 4. zurechnete. Wegen der Einzelheiten wird auf die Jahresabschlüsse 2008 und 2009 sowie die Feststellungserklärungen Bezug genommen.

17Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 9.2.2012 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2008, mit dem der erstmalige Feststellungsbescheid vom 27.4.2010 nach § 164 Abs. 2 AO geändert wurde, sowie gegen den erstmaligen Bescheid für 2009 vom 9.2.2012 jeweils Einspruch ein, da der Beklagte u.a. wegen eines anderweitigen Ansatzes der Verkehrswerte der eingebrachten Grundstücke und der daraus folgenden niedrigeren AfA einen niedrigeren Verlust ermittelte.

18Die Beträge sind mittlerweile zwischen den Beteiligten unstreitig.

19In der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2012, mit der die Einkünfte auf -9.736,59 € für 2008 und -19.446,42 € festgestellt und gemäß den Beteiligungsquoten auf die Kommanditisten verteilt wurden, vertritt der Beklagte folgende Auffassung:

20Das zum Gesamthandsvermögen der Klägerin gehörende und von den Kommanditisten zu eigenen Wohnzwecken genutzte Objekt A-Weg … stelle kein steuerliches Betriebsvermögen der Klägerin dar. Einnahmen aus dem Objekt seien nicht als Betriebseinnahmen und Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben zu erfassen.

21Entgegen der Auffassung der Klägerin stünden mit dem Objekt Schuldzinsen in unmittelbarem Zusammenhang. Die Schuldübernahme durch die Klägerin habe im Zusammenhang mit der Übertragung beider Grundstücke gestanden und sei als Gegenleistung für beide Grundstücke erfolgt. In dem Einbringungs- und Übertragungsvertrag sei keine Vereinbarung getroffen worden, welche Darlehen für die Übertragung welchen Grundstücks zu übernehmen waren. Die Schuldzinsen seien nach dem Verhältnis der Verkehrswerte aufzuteilen. Danach entfielen auf das Objekt A-Weg in 2008 262,01 € und in 2009 48.489,76 € Schuldzinsen, die nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig seien.

22Soweit ein Nießbrauch an Kommanditanteilen bestellt sei, seien die auf diese Anteile entfallenden Verluste dem Nießbrauchsbesteller zuzurechnen. Eine abweichende vertragliche Regelung wäre zwar möglich, ergebe sich im Streitfall aber nicht aus dem Schenkungs- und Übertragungsvertrag vom 5.12.2008. In § 3 Abs. 3 des Vertrags sei geregelt, dass den Nießbrauchern die während des Nießbrauchs auf die Bestellung entfallenden Gewinnanteile gebühren. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sei nur ein Recht übertragen worden. Eine Verpflichtung zur Verlusttragung könne hierin nicht gesehen werden. Für den Fall, dass die Nießbraucher nach Vertrag auch Verluste zu tragen hätten, wäre zu erwarten, dass der Vertrag auch Regelungen zur Verlustausgleichs- oder Wertersatzpflicht bei Nießbrauchsrechtsende enthalten würde.

23Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

24Mit der Klage trägt die Klägerin vor:

25Das Grundstück A-Weg … gehöre entgegen der Auffassung des Beklagten zum steuerlichen Betriebsvermögen. Dieser Grundbesitz sei mit einem Mietzins von 8,50 € pro Quadratmeter, was dem örtlichen Mietspiegel von K entspreche, und damit zu Konditionen wie unter fremden Dritten von ihr mit entsprechender Gewinnerzielungsabsicht an die Beigeladenen zu 3. und 4. vermietet worden. Bei einem Überschuss von ca. 5000 € im Jahr für dieses Objekt bestehe kein Zweifel daran, dass sie langfristig einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Objekt habe, so dass dieses dem Betriebsvermögen zuzuordnen sei. Lediglich bei einer Überlassung ohne Entgelt für die Wohnzwecke von Gesellschaftern gehöre ein Grundstück zum Privatvermögen einer gewerblich geprägten Kommanditgesellschaft.

26Selbst wenn man der Auffassung des Beklagten folge und das Objekt A-Weg … ihrem steuerlichen Privatvermögen zuordne, seien die zur Finanzierung des Kaufs des Vermietungsobjekts B-Straße … aufgenommenen Darlehensverbindlichkeiten in vollem Umfang steuerliches Betriebsvermögen, so dass die Schuldzinsen daraus nicht nur anteilig, sondern in vollem Umfang als Betriebsausgaben abzugsfähig seien. Die vom Beklagten vorgenommene Aufteilung nach dem Verhältnis der Verkehrswerte entbehre jeglicher Rechtsgrundlage. Die betreffende Darlehensverpflichtung gegenüber der G-Bank sei von den Eheleuten E als Einbringende zuvor zweifelsfrei zu Finanzierung allein des unstreitig im steuerlichen Betriebsvermögen aktivierten Vermietungsobjekts eingegangen worden. Da eine direkte Zuordnung zu diesem Objekt zweifelsfrei möglich sei, entspreche es dem verfassungsrechtlichen Gebot der Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit, diese Darlehensverbindlichkeit und die damit zusammenhängenden Aufwendungen auch in voller Höhe dem Vermietungsobjekt B-Straße … und damit dem Einkünftebereich zuzuordnen. Diese eindeutige Zuordnung nach dem wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang werde auch nicht dadurch unterbrochen, dass dieses Objekt mit dem Einbringungs- und Übertragungsvertrag vom 5.12.2008 einschließlich der darauf lastenden Verbindlichkeiten gleichzeitig mit dem anderen Objekt und gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht worden sei. Auch nach dem Einbringungsvertrag sei eine konkrete Zuordnung dieser Darlehensverbindlichkeit erfolgt.

27Letztlich seien die angefochtenen Bescheide auch insoweit rechtswidrig, als der Beklagte die Verluste nicht den Beigeladenen zu 3. und 4. zugerechnet habe. Es treffe zwar zu, dass nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 des Schenkungsvertrags geregelt sei, dass den Nießbrauchern die während des Nießbrauchs auf die Beteiligung entfallenden „Gewinnanteile“ gebührten und damit nicht explizit eine Regelung über Verlustanteile getroffen wurde. Allerdings fielen unter den Begriff „Gewinnanteile“ nicht nur positive, sondern auch negative Ergebnisse. Dies ergebe sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG.

28Selbst wenn man die Formulierung im Schenkungsvertrag anders verstehen wolle, so hätten die Vertragsparteien diesen Passus zumindest konkludent dadurch abbedungen, dass sie die Verluste einvernehmlich den Kapitalkonten der Beigeladenen zu 3. und 4. belastet hätten und diese ihnen auch in den Steuererklärungen zugerechnet wurden. Auch die tatsächliche Durchführung der Vereinbarung spreche daher dafür, dass die Beteiligten von Anfang an die Verluste den Eltern und nicht den Kindern zurechnen wollten.

29Die Klägerin beantragt,

30die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 und 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2012 mit der Maßgabe abzuändern, dass das zu Wohnzwecken der Beigeladenen zu 3. und 4. genutzte Objekt A-Weg … als steuerliches Betriebsvermögen qualifiziert wird und sämtliche damit zusammenhängenden Einnahmen wie auch Ausgaben steuerlich berücksichtigt werden, dass die mit dem fremdvermieteten Objekt B-Straße … unmittelbar zusammenhängenden Schuldzinsen in vollem Umfang, d.h. 2008 i.H.v. 491,50 € und für 2009 i.H.v. 90.962,55 € als Betriebsausgaben berücksichtigt werden und die festgestellten Verluste auch insoweit den Beigeladenen zu 3. und 4. steuerlich zugerechnet werden, als diese ihre Gesellschaftsanteile unter Nießbrauchsvorbehalt auf ihre Kinder übertragen haben,

31hilfsweise, die Revision zuzulassen.

32Der Beklagte beantragt,

33die Klage abzuweisen,

34hilfsweise, die Revision zuzulassen.

35Die Beigeladenen haben keinen gesonderten Antrag gestellt.

36Der Berichterstatter hat die Kommanditisten gemäß § 60 Abs. 3 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 4 FGO zum Verfahren beigeladen.

37Entscheidungsgründe

38Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.

39Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin deshalb in ihren Rechten, vergleiche § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-.

401. A-Weg … als steuerliches Betriebsvermögen der Klägerin

41Das zu privaten Wohnzwecken der Gesellschafter genutzte Einfamilienhaus gehört zum steuerlichen Betriebsvermögen der Klägerin.

42Wirtschaftsgüter, die zivilrechtlich und wirtschaftlich zum Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen) einer gewerblich geprägten Kommanditgesellschaft gehören, sind grundsätzlich notwendiges Betriebsvermögen der KG (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 25.11.2004 IV R 7/03, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2005, 354, 355; Wacker in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 15 Rz. 481; Bode in Blümich, § 15 EStG, Rz. 454). Dies folgt aus der handelsrechtlichen Zuordnung zum Vermögen der Kommanditgesellschaft und der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, vergleiche § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG -.

43Die handelsrechtliche Zurechnung greift nur dann nicht ein, wenn die steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften, insbesondere die des § 4 EStG, eine Abweichung zwingend vorschreiben. Dies ist dann der Fall, wenn die Zugehörigkeit eines Wirtschaftsguts zum Gesellschaftsvermögen nicht betrieblich veranlasst ist. Die eng auszulegende Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn ein wirtschaftlicher Nutzen des Wirtschaftsguts für die Gesellschaft nicht zu erkennen ist und (kumulativ) das Wirtschaftsgut den Gesellschaftern unter Bedingungen zur Nutzung überlassen wird, die dem sog. Fremdvergleich nicht standhalten.

44In Bezug auf das streitbefangene Grundstück liegen die Voraussetzungen, wann ausnahmsweise ein Wirtschaftsgut des Gesamthandsvermögens nicht zum steuerlichen Betriebsvermögen gehört, unstreitig nicht vor. Das Grundstück wird von der KG zu fremdüblichen Bedingungen an die Gesellschafter vermietet und die KG erwirtschaftet hieraus jährlich einen Überschuss.

452. Volle Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen

46Die von der KG aufgewandten Schuldzinsen sind in voller Höhe als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Sie sind allein durch das fremdvermieteten Grundstück B-Straße veranlasst, wie sich unter anderem aus der Bestätigung der G-Bank ergibt. Dieser Veranlassungszusammenhang wurde durch die Einbringung nicht aufgehoben.

47Selbst wenn man den Veranlassungszusammenhang durch die Einbringung als aufgehoben ansähe, würde sich an der vollen Abzugsfähigkeit nichts ändern. Die Schuldzinsen werden nicht für Privatvermögen der KG, sondern ausschließlich (wie sich oben aus den Ausführungen unter 1. ergibt) für Betriebsvermögen aufgewandt.

483. Zurechnung der Einkünfte ausschließlich bei den Nießbrauchern

49Die Verluste sind in den Streitjahren auch insoweit den Beigeladenen zu 3. und 4. zuzurechnen, als sie auf die Kommanditanteile entfallen, die zu ihren Gunsten mit einem Nießbrauchsrecht belastet sind.

50a) Die Beteiligten haben sich in der mündlichen Verhandlung dahingehend verständigt, dass in Bezug auf die nießbrauchsbelasteten Kommanditanteile sowohl die Nießbrauchsbesteller als auch die Nießbraucher Mitunternehmer sind. Der Senat braucht im Streitfall die Frage nicht zu entscheiden (vgl. dazu BFH, Urteil vom 23.2.2010 II R 42/08, BStBl II 2010, 555 m.w.N.): Sind die Nießbrauchsbesteller nicht Mitunternehmer, sind die Verluste per se den Nießbrauchern zuzurechnen. Sind die Nießbrauchsbesteller ebenfalls Mitunternehmer, ergibt sich die Zurechnung der Verluste aus den nachfolgenden Überlegungen.

51b) Die Zurechnung der Verluste ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin zwar nicht aus § 3 Abs. 3 des Schenkungs- und Übertragungsvertrags. Der Klägerin ist zuzugeben, dass der Gewinnbegriff im Steuerrecht umfassend ist und auch Verluste umfasst. Zivilrechtlich und handelsrechtlich gilt das jedoch nicht. Der Vertrag ist dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäß auszulegen und nicht nach den besonderen steuerrechtlichen Definitionen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird jedoch zwischen Gewinnanteilen und Verlustanteile differenziert.

52Der Senat lässt offen, ob sich die Zurechnung der Verluste ausschließlich bei den Nießbrauchern aus der tatsächlichen Handhabung der Beteiligten ergeben könnte.

53Die Zurechnung der Verluste ausschließlich bei den Nießbrauchern ergibt sich nach Auffassung des Senats daraus, dass Verluste in der Regel ausschließlich dem Nießbraucher zugerechnet werden, und zwar auch ohne vertragliche Regelung (Wacker, a.a.O., § 15 Rz. 311; a.A. BFH, Urteil vom 1.3.1994 VIII R 35/92, BStBl II 1995, 241, 245 unter III.3.c) aa) aaa) letzter Absatz; Bode, a.a.O., § 15 EStG Rz. 368). Entgegen der Auffassung des Beklagten bedarf nicht die Zurechnung der Verluste beim Nießbraucher einer besonderen vertraglichen Regelung, sondern vielmehr bedarf es umgekehrt einer besonderen vertraglichen Regelung, wenn Verluste dem Nießbrauchsbesteller zugerechnet werden sollen. Der Senat folgt der Ansicht von Wacker, wonach die Zurechnung von Verlusten beim Nießbraucher daraus folgt, dass dieser künftige entnahmefähige Gewinnanteile verliert.

544. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, § 139 Abs. 4 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

55Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zu, wem in Verlustfällen die Verluste zuzurechnen sind, dem Nießbrauchsbesteller oder dem Nießbraucher eines Kommanditanteils, sowie wegen Abweichung von dem BFH-Urteil VIII R 35/92 vom 1.3.1994.

Abgabenordnung: Voraussetzungen für den Erlass bzw. die Erstattung von Nachzahlungs- und Aussetzungszinsen

Finanzgericht Köln, 10 K 1162/11

Datum:
10.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 1162/11
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

1Tatbestand

2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Nachzahlungs- bzw. Aussetzungszinsen zu erlassen und zu erstatten sind.

3Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2002 sind gegen die Kläger Nachzahlungszinsen im Sinne von § 233a AO i.H.v. 5.766 und im Zusammenhang mit der Einkommensteuerfestsetzung 2003 i.H.v. 21.188 € festgesetzt und erhoben worden.

4Mit Zinsbescheid vom 16.12.2009 sind Aussetzungszinsen von insgesamt 121.629 € festgesetzt worden, welche auf eine Einkommensteuernachzahlung für 2002 in Höhe von ca. 28.000 € sowie eine Einkommensteuernachzahlung für 2003 in Höhe von ca. 558.750 € entfielen.

5Die Einkommensteuernachzahlungen resultierten unstreitig aus der Umsetzung einer zwischen der deutschen und der britischen Finanzverwaltung erzielten Verständigung hinsichtlich der Zuordnung von Einkünften aus den Jahren 2002 und 2003 gemäß einem bilateralen Verständigungsvorschlag vom 06.04.2009, dem die Kläger zugestimmt hatten.

6Im Anschluss beantragten die Kläger den Erlass der festgesetzten Zinsen. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. 6. 2010 ab. Hiergegen wandten sich die Kläger mit Einspruch vom 01.07.2010, welcher mit Einspruchsentscheidung vom 14.03.2011 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

7Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sachliche Billigkeitsgründe für einen Erlass der Zinsen in einer Gesamthöhe von 72.235 € sowie die Erstattung dieses bereits gezahlten Betrages nicht vorliegen würden. Die Verzinsung nach § 233a AO sei gesetzlich vorgeschrieben und stehe nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Dies gelte auch für Verzögerungen bei der Steuerfestsetzung und einer daraus resultierenden langen Verfahrensdauer, selbst wenn diese allein vom Finanzamt zu vertreten sei. Hintergrund sei, dass die Vorschrift verschuldensunabhängig ausgestaltet sei. Die Vorschrift sei kein Sanktions- bzw. Druckmittel, sondern solle lediglich den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers ausgleichen. Auch die Kumulierung der britischen und der deutschen Steuerfestsetzung rechtfertige keinen Billigkeitserlass. Soweit bei den Klägern eine Doppelbelastung zeitweise – und durch die Veränderung von Umrechnungskursen auch endgültig – eingetreten sein sollte, so stelle dies eine typische Belastung durch die Beteiligung zweier Steuerverwaltungen dar. Sie rechtfertige keinen Erlass aus Billigkeitsgründen. Gerade im Hinblick auf die Wechselkursschwankungen sei zu berücksichtigen, dass solche auch zu Gunsten der Kläger hätten eintreten können. Hierbei handele es sich also nicht um ein ausschließlich vom Fiskus zu vertretendes Risiko.

8Gleiches gelte für die Aussetzungszinsen. Diese seien nach § 237 AO auch bei längerer Dauer eines Rechtsbehelfsverfahrens zu bezahlen. Dies gelte selbst bei schuldhaft verzögerter Rechtsbehelfsbearbeitung. Durch die Zinsen solle unter anderem auch der Zinsnachteil des Steuergläubigers durch die nicht rechtzeitige Zahlung von streitigen Steuern ausgeglichen werden.

9Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrer Klage vom 15.04.2011.

10Zur Begründung trugen sie vor, dass die Einkommensteuerfestsetzungen 2002 und 2003 in erheblichem Umfang bereits im Veranlagungsverfahren verzögert worden seien. Sodann hätten sich erhebliche Verzögerungen durch die bilateralen Verständigungen mit der britischen Verwaltung ergeben. Daneben sei der Umstand zu berücksichtigen, dass bereits 3 Monate nach Einreichen der deutschen Steuererklärung die britische Finanzverwaltung am 31.01.2005 die Erhebung abgeschlossen habe und hierdurch zeitlich versetzt nacheinander ohne die Möglichkeit einer Einflussnahme durch den Steuerpflichtigen eine Doppelbesteuerung erfolgt sei. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass nach der Verständigung es zu einer Erstattung durch die britische Steuerbehörde i.H.v. 38.603 £ kam, deren Wert aufgrund eines extrem verschlechterten Umrechnungskurses nicht mit den Werten der nunmehr bestandskräftig geworden Einkommensteuerfestsetzung – welche von erheblich höheren Umrechnungskursen ausging – vergleichbar gewesen wäre. Dies habe einen Liquiditätsnachteil im Umfang von nahezu 100.000 € bedeutet.

11Im Einzelnen habe der Beklagte während des Veranlagungs- und des ersten Einspruchsverfahrens 2002 bei einer Gesamtdauer von 39 Monaten eine Verzögerung von 12 Monaten verursacht. Hinsichtlich des zweiten Einspruchs- und Verständigungsverfahrens sei bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von 25 Monaten eine Verzögerung von 10 Monaten verursacht worden. Schließlich sei über einen Zeitraum von 46 Monaten hinweg in 6 einzelnen Schritten nacheinander von der Veranlagungsstelle stets neues Material zur Beurteilung der beschränkten Steuerpflicht angefordert worden. Somit seien 34 Monate ab Einreichung der Steuererklärung vergangen, bevor überhaupt erstmals die seinerzeit streitige Behandlung von Gehaltsbestandteilen für Dienstreisen angesprochen worden sei.

12Hinsichtlich der Veranlagung des Jahres 2003 habe der Beklagte eine Verzögerung von 5 Monaten bei einer Gesamtdauer des Verfahrens von 13 Monaten verursacht. Im Hinblick auf das Einspruchsverfahren habe er eine Verzögerung von 20 Monaten bei einer Gesamtdauer von 43 Monaten zu vertreten.

13Aufgrund dieser zeitlichen Gesichtspunkte sowie der wechselkursbedingten Liquiditätsnachteile sei es sachlich billig, einen Teilerlass der Zinsen vorzunehmen. Dies ergebe sich im Rahmen einer Gesamtbewertung aller einzelnen Faktoren. Es stehe fest, dass den Klägern durch die verspätete Steuerfestsetzung kein Vorteil zugeflossen sei.

14Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass unterdessen aufgrund einer geänderten Verwaltungsauffassung materiell-rechtlich der seinerzeit streitige Sachverhalt anders als in dem Verständigungsverfahren gelöst worden wäre. Das Ergebnis hätte sich zu Gunsten der Kläger ausgewirkt.

15Die Kläger beantragen,

16              den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.06.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.03.2011 zu verpflichten,

17              a. die mit dem Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 23.05.2007 in Höhe von insgesamt 5.766 € festgesetzten Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe eines Teilbetrages von 1.593 €;

18              b. die mit dem Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 09.07.2009 in Höhe von insgesamt 21.388 € festgesetzten Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO in Höhe eines Teilbetrages von 13.367,50 €;

19              c. Die mit Bescheid vom 16.12.2009 in Höhe von insgesamt 3.499 € festgesetzten Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO zur Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2002 in Höhe eines Teilbetrags von 1.400 €;

20              d. die mit dem Bescheid vom 16.12.2009 in Höhe von insgesamt 120.130 € festgesetzten Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO zur Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2003 in Höhe eines Teilbetrages von 55.875 €

21              aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen und aufgrund zwischenzeitlich geleisteter Zahlung zu erstatten;

22              hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 24.06.2010 und der Einspruchsentscheidung vom 14.03.2011 zu verpflichten, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

23Der Beklagte beantragt,

24die Klage abzuweisen.

25Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

26Entscheidungsgründe

27Die Klage ist unbegründet.

281. Die Ablehnung des Zinserlasses bzw. der Zinserstattung ist rechtmäßig, die Kläger haben keinen Anspruch auf den beantragten Zinserlass. Sie sind damit nicht in ihren Rechten verletzt, vgl. § 101 FGO.

29a. Die Kläger haben keinen Anspruch auf (teilweise) Erstattung der Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO.

30aa. Die Finanzbehörden können gemäß § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

31Es wird unterschieden zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen. Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Festsetzung der Steuer an sich zwar dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint, wenn also nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem von dem Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führt. Billigkeitsmaßnahmen sollen somit ein vom Gesetz gedecktes, aber vom Gesetzgeber nicht gewolltes Ergebnis vermeiden (Rüsken in Klein, § 227 AO, Rz. 17, § 163 AO, Rz. 32).

32Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Diese Nachprüfung der Erlassablehnung ist darauf beschränkt, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur im Falle einer sog. Ermessensreduzierung auf null kann das Gericht eine Verpflichtung der Finanzbehörde zum Erlass aussprechen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des BFH vom 11.07.1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

33bb. Gemäß § 233a Abs. 1 AO ist der Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter Einkommensteuer und anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen zu verzinsen. Gemäß Abs. 2 beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber verhindern, dass bei einzelnen Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Frage der Verzinsung vor Fälligkeit wegen unterschiedlicher Veranlagungszeitpunkte unterschiedliche Zinszeiträume entstehen. Das System der so genannten Vollverzinsung soll die Liquiditätsvorteile, die ein Steuerpflichtiger wegen später Steuerfestsetzung erzielt, typisiert abschöpfen (Rüsken in Klein, § 233a AO, Rz. 1). Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (BFH Urteil vom 23. Oktober 2003 – V R 2/02 –, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39).

34Nachzahlungszinsen sind auch nicht deswegen aus sachlichen Gründen zu erlassen, weil die verspätete Steuerfestsetzung auf einer durch das Finanzamt verzögerten Veranlagung beruht. Da die Zinsen weder ein Sanktionsmittel noch ein Druckmittel oder eine Strafe sind, sondern laufzeitabhängige Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung, ist es nicht entscheidend, ob der typisierend vom Gesetz unterstellte Zinsvorteil des Steuerpflichtigen auf einer verzögerten Einreichung der Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen oder einer verzögerten Bearbeitung durch das Finanzamt beruht (ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Beschluss vom 02. Februar 2001 – XI B 91/00 –, juris m. w. N.). In der Literatur wird bezweifelt, ob dies unbeschränkt für jede Dauer der Verzögerung gelten soll, erkennt aber an, dass bei der Beurteilung die Besonderheiten eines Steuerfalls individuell zu berücksichtigen sind (Rüsken in Klein, § 233a AO, Rz. 52 m. w. N.).

35cc. In Anwendung dieser Grundsätze hatten die Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der von Ihnen gezahlten Nachzahlungszinsen.

36Ausgehend von dem Umstand, dass § 233a AO typisierend einen Liquiditätsvorteil wegen verspäteter Steuerfestsetzung abschöpfen soll, ergibt sich aus der von den Klägern behaupteten schuldhaften verzögerten Bearbeitung der Steuererklärungen nicht, dass auf den gesetzlich angenommenen Zinsvorteil mit einem Billigkeitserlass reagiert werden musste. Grundsätzlich ist dies bereits höchstrichterlich – wie dargestellt – geklärt. Wegen der Besonderheiten des Falles ändert sich an diesem Grundsatz auch nichts dadurch, dass die Veranlagung erst erheblich später als üblicherweise durchgeführt wurde. Hier ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Tätigkeit des Klägers im Ausland besondere Ermittlungsmaßnahmen notwendig waren und in der Folge eine Verständigung zwischen der britischen und der deutschen Finanzverwaltung herzustellen war. Dass ein solches Verfahren im Hinblick auf die zu erwartende zeitliche Dauer nicht mit einem „normalen“ Steuerfall vergleichbar ist, liegt auf der Hand. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass letztlich die Art und Weise der Einkunftserzielung des Klägers im Ausland mit Anlass für die Verzögerung der Bearbeitung war, da wegen des Auslandsbezuges die Steuerfestsetzung mit Schwierigkeiten verbunden war. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keinen Anlass, von dem allgemeinen Grundsatz, dass sogar im Falle einer schuldhaften Verzögerung der Erklärungsbearbeitung ein Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen nicht in Betracht kommt, in diesem Fall abzuweichen. Unabhängig von der Frage, ob die Verzögerung tatsächlich „schuldhaft“ war, oder ob die Verzögerung in weiten Teilen auf den einem Verständigungsverfahren immanenten Koordinierungsschwierigkeiten beruhte, sind die Nachzahlungszinsen zu Recht festgesetzt worden und es bestand kein Anspruch auf Erlass.

37Ein Erlass kommt auch nicht vor dem Hintergrund des Vortrags der Kläger in Betracht, dass tatsächlich keine Zinsvorteile gezogen worden seien, insbesondere dass sogar ein Liquiditätsnachteil entstanden sei, da die durch die britische Finanzverwaltung erstattete Einkommensteuer aufgrund von Wechselkursschwankungen einen deutlich niedrigeren Wert hatte. Hierzu ist festzustellen, dass die Frage, welches Schicksal bereits an die britische Finanzverwaltung geleistete Steuerzahlungen haben, grundsätzlich im Hinblick auf wegen deutscher Steuern festzusetzender Nachzahlungszinsen keinen Einfluss hat. Hinzuweisen ist darauf, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein Liquiditätsvorteil der Kläger nicht deswegen verneint werden kann, weil Steuerzahlungen an einen ausländischen Fiskus geleistet wurden, da in diesem Fall ein unabhängiges weiteres Steuerschuldverhältnis betroffen sei (im Entscheidungsfall: Österreich, BFH, Beschluss vom 15. Januar 2008 – VIII B 222/06 –, juris). Der Senat folgt nicht der Auffassung der Kläger, dass Steuerzahlungen an den britischen Fiskus und der spätere Umrechnungswert der Erstattungen dieser Zahlungen bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob Ansprüche auf Einkommensteuerzahlungen der Vollverzinsung unterliegen. Der Beklagte war im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nicht gehalten, diesen Aspekt zu berücksichtigen. Zahlungen eines Steuerpflichtigen an einen ausländischen Fiskus betreffen nicht das Rechtsverhältnis des Steuerpflichtigen zur deutschen Finanzverwaltung. Das Finanzamt kann nicht überprüfen, inwieweit Zahlungen an einen ausländischen Fiskus freiwillig erfolgten, ob eine Aussetzung von der Vollziehung möglich gewesen wäre und inwieweit Erstattungszahlungen durch den ausländischen Fiskus zu verzinsen sind. Dementsprechend sind auch Verluste, die sich aus Wechselkursschwankungen im Zeitraum zwischen Steuerzahlung und – Erstattung ergeben, bei der Ermessensentscheidung, ob ein deutscher Steueranspruch der Vollverzinsung unterliegt, nicht zu berücksichtigen. Der Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass bei einer anderen Entwicklung der Wechselkurse für die Kläger auch ein „Gewinn“ hätte entstehen können, ohne dass dies einen Einfluss auf die Höhe der Vollverzinsung gehabt hätte.

38Weiterhin kommt ein Erlass der Nachzahlungszinsen auch nicht dem Hintergrund in Betracht, dass sich die Verwaltung im Nachgang zum Verständigungsverfahren nunmehr auf eine andere Behandlung vergleichbarer Fälle verständigt hat. Aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung können Änderungen der Rechtslage zu Gunsten der Steuerpflichtigen in Folgejahren nicht dazu führen, dass Steuerschulden aus Vorjahren nicht mehr der Vollverzinsung unterliegen.

39Schließlich kommt ein Erlass auch nicht vor dem Hintergrund der von den Klägern zitierten Urteile des FG Düsseldorf (Urteil vom 19.8.2010  14 K 364/8 AO, EFG 2010, 1968 und Urteil vom 9.12.2009 4 K 137/08 AO, EFG 2010,549) in Betracht. Das Gericht hat lediglich im ersten Fall der Klage stattgegeben und im Wesentlichen auch darauf hingewiesen, dass der Kläger zunächst Schenkungssteuer gezahlt und später Einkommensteuer nachgezahlt habe, während die Schenkungssteuer herabgesetzt worden sei und es hierdurch auf Seiten des Beklagten nicht zu einem Liquiditätsnachteil gekommen sei. Dieser Gesichtspunkt verfängt im vorliegenden Fall nicht, da der Beklagte nicht Empfänger der Zahlungen an den britischen Fiskus war.

40Persönliche Billigkeitsgründe liegen darüber hinaus unstreitig nicht vor.

41b. Die Kläger haben weiterhin keinen Anspruch auf Erlass der festgesetzten Aussetzungszinsen.

42aa. Soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen (§ 237 Abs. 1 AO). Nach Abs. 2 werden die Zinsen erhoben vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung endet.

43Zweck der Norm ist es, den während einer gewährten Aussetzung von der Vollziehung beim Steuerpflichtigen entstehenden Liquiditätsvorteil abzuschöpfen und zu verhindern, dass Rechtsbehelfs- und Klageverfahren lediglich geführt werden, um eine Entrichtung der Steuerschuld zinslos hinauszuschieben. Der durch die Aussetzung eingetretene Zinsvorteil wird durch ein Entgelt für die Dauer der Kapitalnutzung pauschal abgeschöpft. Auf die tatsächliche Entstehung des Zinsvorteils kommt es grundsätzlich nicht an (Koenig in Pahlke/Koenig, § 237, Rz. 2 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH ist bei Aussetzungszinsen insbesondere zu berücksichtigen, dass ein Steuerpflichtiger, der seiner Zahlungspflicht bei Fälligkeit der Steuern nicht nachkommen wolle und die Aussetzung der Vollziehung erwirke, bewusst das Zinsrisiko, welches sich aus den Bestimmungen zu den Aussetzungszinsen ergebe, in Kauf nehme. Durch die Aussetzungszinsen solle der Zinsnachteil des Steuergläubigers, der den Abgabenbetrag nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst bei Beendigung der Aussetzung der Vollziehung erhalte und der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden. Dieser vom Gesetzgeber verfolgte Zweck behalte auch in denjenigen Fällen seine Berechtigung, in denen ohne Zutun des Steuerpflichtigen eine angemessene Verfahrensdauer überschritten werde. Der Zinsvorteil und -nachteil werde nicht im Einzelfall genau errechnet, sondern pauschal ermittelt. Aufgrund des festen Zinssatzes lasse sich nicht ausschließen, dass sich dies je nach Höhe der am Markt erzielbaren Zinsen zeitweise zu Gunsten und zeitweise zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken könne. Dies begründe allerdings nicht einen Anspruch auf Erlass (BFH Urteil vom 21.02.1991 – V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II1991, 498).

44bb. Gemäß § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO kann auf die Zinsen ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

45Dies ist eine Sonderregelung, die § 227 AO vorgeht. Die zu § 227 AO entwickelten Grundsätze zum Billigkeitserlass sind jedoch auf den Zinsverzicht entsprechend anzuwenden. Die lange Dauer einer Aussetzung ist auch hier kein Verzichtsgrund, auch wenn das Finanzamt das Verfahren hätte beschleunigen können (Schwarz in Schwarz, § 237 AO, Rz. 16 m.w.N.). Ein Zinsverzicht soll lediglich in Betracht kommen bei Vorliegen einer Verrechnungssituation, d.h. wenn der ausgesetzten Steuerforderung ein demnächst fällig werdender unverzinsliche Erstattungsanspruch gegenüber steht (Kögel in Beermann/Gosch, § 237 AO, Rz. 36 m.w.N.).

46cc. In Anwendung dieser Grundsätze haben die Kläger auch bezüglich der Aussetzungszinsen keinen Anspruch auf (teilweisen) Erlass.

47Die Kläger haben es durch ihren Aussetzungsantrag vermieden, die festgesetzten Steuern zum Fälligkeitszeitpunkt bezahlen zu müssen. Hierdurch entstand ihnen ein Liquiditätsvorteil, welcher durch die Vorschriften über die Aussetzungszinsen gegenüber dem Steuergläubiger ausgeglichen werden soll.

48Auch in diesem Fall folgt der Senat nicht der Auffassung der Kläger, dass bereits geleistete Zahlungen an den britischen Fiskus sowie durch Wechselkursschwankungen entstandene Verluste bei Erstattungszahlungen durch den Beklagten hätten berücksichtigt werden müssen. Wie bei den Nachzahlungszinsen betrifft die Frage, in welchem Umfang die Kläger gegenüber den britischen Fiskus Zahlungen geleistet haben, nicht das Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und dem Beklagten. Der Beklagte konnte seinerseits auf die Durchführung des britischen Erhebungsverfahrens keinen Einfluss nehmen. Insoweit wird auf die Ausführungen zur Erstattung der Nachzahlungszinsen Bezug genommen.

49c. Nichts anderes ergibt sich sowohl im Hinblick auf die Nachzahlungszinsen als auch im Hinblick auf die Aussetzungszinsen vor dem Hintergrund, dass am Besteuerungsverfahren die Finanzverwaltungen zweier Mitgliedstaaten der EU beteiligt waren.

50Steuerliche Doppelbelastungen, soweit sie systematisch bedingt sind, rechtfertigen grundsätzlich keinen Erlass. Dies gilt auch bei Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (Stöcker in Beermann/Gosch, § 227, Stichwort „Doppelbelastungen“ und „Doppelbesteuerungsabkommen“ m.w.N.). Soweit die Doppelbelastung aus der Überschneidung von Besteuerungstatbeständen unterschiedlicher Besteuerungssysteme herrührt, ist sie in der Systematik der zu Grunde liegenden gesetzlichen Regelungen begründet und somit als typische Beeinträchtigung nicht sachlich unbillig (Fritsch in Pahlke/Koenig, § 227 AO, Rz. 20 m.w.N.).

51Vor diesem Hintergrund haben die Kläger nicht dargetan, dass die Besteuerungen durch die beteiligten Finanzverwaltungen nicht in Entsprechung der jeweils geltenden Steuergesetzgebung durchgeführt worden wären. Die im Ergebnis eingetretenen Belastungen der Kläger sind damit systemimmanente Härten, welche sich aus der Anwendung unterschiedlicher Rechtssysteme ergeben.

52Auch gebietet das von den Klägern angesprochene europarechtliche Äquivalenzgebot keine abweichende Beurteilung. Es ist nicht erkennbar, dass der vorliegende Sachverhalt wegen seines grenzüberschreitenden Bezuges ungünstiger behandelt worden wäre, als ein rein nationaler Fall. Soweit es gegenüber dem britischen Fiskus zu Überzahlungen gekommen ist, sind diese erstattet worden und nach Ausführung des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung auch verzinst worden. Dass der Wert dieser Erstattungszahlung in Euro aufgrund von Wechselkursschwankungen nicht mehr dem Wert der seinerzeitigen Zahlungen entsprach, kann keinen Verstoß gegen den europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz begründen.

532. Auch der Hilfsantrag hat keinen Erfolg. Der Beklagte war nicht zu verpflichten, die streitgegenständlichen Anträge erneut zu bescheiden.

54Der Beklagte hat in zutreffender Weise unter Würdigung des Sachverhalts sein Ermessen ausgeübt. Er hat sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Argumente der Kläger berücksichtigt und zutreffend gewertet. Insbesondere ergibt sich aus den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung Seite 4 letzter Absatz, dass der Beklagte sich – anders als die Kläger offensichtlich annehmen – durchaus mit dem Umstand auseinander gesetzt hat, dass vorliegend eine Doppelbelastung von britischer und deutscher Steuerfestsetzung gegeben war.

553. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Einkommensteuer: Veränderungen des Jahresbetrages einer Witwenrente aufgrund von Einkommensanrechnungen führen stets zu einer Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente

Finanzgericht Köln, 4 K 2322/10

Datum:
23.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2322/10
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Die Beteiligten streiten über die Höhe des steuerfreien Anteils einer Witwerrente.

3Der Kläger erklärte in seiner Einkommensteuererklärung 2008 u.a. eine Witwerrente, deren Höhe variabel ist, weil sie jährlich unter Berücksichtigung des aktuellen anderen Erwerbs- und/oder Erwerbsersatzeinkommens neu berechnet wird. Der Kläger bezieht die Witwerrente seit 01.01.2007. Nach den Angaben in der Einkommensteuererklärung 2008 hatte seine verstorbene Ehefrau eine der Witwerrente vorhergehende Altersrente vom 01.03.1997 bis 31.12.2006 bezogen.

4Für das Jahr 2007 hatte der Kläger eine Witwerrente in Höhe von 8.589 € erklärt, wovon 50 % d.h. 4.295 € als steuerpflichtiger Teil der Besteuerung zugrunde gelegt wurden.

5Für das Jahr 2008 erklärte der Kläger eine Witwerrente in Höhe von 6.406 €. Der Beklagte ermittelte den steuerpflichtigen Teil mit 50 %, d.h. 3.203 € und legte diesen Betrag der Besteuerung im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 29.06.2009 zugrunde.

6Hiergegen legte der Kläger form- und fristgerecht Einspruch ein und begründete diesen damit, dass seiner Ansicht nach bei der Besteuerung der Witwerrente wie 2007 ein steuerfreier Teil in Höhe von 4.295 € zu berücksichtigen sei.

7Mit Einspruchsentscheidung vom 16.07.2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass Renten, die bereits vor dem Jahr 2006 bezogen worden seien, gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Einkommensteuergesetzes mit 50 % der Besteuerung zu unterwerfen seien. Gemäß § 22 S. 4 EStG sei der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente der steuerfreie Teil der Rente. Dieser gelte gemäß § 22 S. 5 EStG ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folge und zwar grundsätzlich für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs. Abweichend hiervon sei der steuerfreie Teil der Rente bei einer Veränderung des Jahresbetrags der Rente – z.B. wie hier aufgrund von Einkommensanrechnungen bei Witwenrenten oder durch den Wechsel von Teil- zu Vollrenten – in dem Verhältnis anzupassen, in dem der veränderte Jahresbetrag der Rente zum Jahresbetrag der Rente stehe, der der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente zugrunde liege (§ 22 S. 6 EStG). Nur regelmäßige Anpassungen des Jahresbetrags der Rente – wie dies etwa bei den jährlichen Rentenerhöhungen der Fall sei – führten nicht zu einer Neuberechnung (§ 22 S. 7 EStG). Da der Kläger eine Witwerrente beziehe, die im Unterschied zur üblichen jährlichen Rentenerhöhung aufgrund der jeweils anzurechnenden anderen Einkünfte des Klägers variiere, sei § 22 S. 6 EStG für die Ermittlung des steuerfreien Teils der Witwerrente 2008 anzuwenden. Dabei werde der veränderte Jahresbetrag dividiert durch den ursprünglichen Jahresbetrag und dieses Ergebnis dann multipliziert mit dem bisherigen Freibetrag. Hieraus ergebe sich folgende Berechnung:

86.406/8.589 x 4.295 = 3.203 €

9Somit sei zu Recht hinsichtlich der Witwerrente ein steuerfreier Teil in Höhe von 3.203 € berücksichtigt worden.

10Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Einspruchsbegehren weiter.

11Der Kläger ist der Ansicht, dass der steuerfreie Teil der Rente ein fester Betrag sei, der den Steuerpflichtigen lebenslang begleite. Demgegenüber gehe der Beklagte davon aus, dass es sich lediglich um einen festen Prozentsatz handele. Auch sei § 22 S. 7 EStG anzuwenden, da die Witwerrente einmal jährlich und damit regelmäßig zum 1.7. eines Jahres aufgrund der Anrechnung des übrigen Einkommens angepasst werde.

12Der Kläger beantragt,

13den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 29.06.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.07.2010 dahingehend zu ändern, dass die Witwerrente nur in Höhe von 2.111 € der Besteuerung zugrunde gelegt wird,

14hilfsweise die Revision zuzulassen.

15Der Beklagte beantragt,

16die Klage abzuweisen.

17Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung.

18Entscheidungsgründe

19Die Klage ist unbegründet.

20Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

21Der Beklagte hat zu Recht die Rentenbezüge des Klägers aus der Rentenversicherung mit dem der Besteuerung unterliegenden Anteil nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a) aa) Satz 3 EStG zu 50 % der Besteuerung unterworfen.

22Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid den steuerpflichtigen Teil der Rente des Klägers aus der Rentenversicherung mit 50 % der bezogenen Rente in Höhe von 6.406 €, also 3.203 € angesetzt. Dieser Ansatz ist nicht zu Lasten des Klägers zu hoch, auch nicht unter Berücksichtigung, dass im Vorjahr noch der steuerfreie Teil der Rente in Höhe von 4.295 € berücksichtigt worden war.

23

  • 24a                Den Besteuerungsanteil hat der Beklagte mit dem niedrigst möglichen Satz i.H.v. 50 % angesetzt und ist damit den Angaben des Klägers in der Steuererklärung gefolgt, dass seine verstorbene Ehefrau die der Witwerrente vorhergehende Altersrente bereits vor 2005 bezogen hat (lt. Anlage R seit 01.03.1997), so dass sich der Ertragsanteil der – nachfolgenden – Witwerrente zutreffend nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchstabe a) aa) Satz 8 EStG richtete.

25

  • 26b                Soweit der Kläger hiervon abweichend einen steuerfreien Teil entsprechend dem Vorjahresbetrag in Höhe von 4.295 € berücksichtigt haben will und damit letztendlich einen steuerfreien Teil in Höhe von 4.295/6.406 = 67,05 % begehrt, kann er hiermit nicht durchdringen. Zwar wird der steuerfreie Teil der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) Sätze 4 und 5 EStG grundsätzlich in einem lebenslang geltenden und grundsätzlich gleichbleibenden Freibetrag festgeschrieben. Allerdings ist hiervon abweichend der steuerfreie Teil der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) Satz 6 EStG bei einer Veränderung des Jahresbetrags der Rente in dem Verhältnis anzupassen, in dem der veränderte Jahresbetrag der Rente zum Jahresbetrag der Rente steht, der der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente zugrunde liegt. Dies war hier der Fall, da sich die Höhe des Jahresbetrages der Rente des Klägers aufgrund der vorzunehmenden Anrechnung seiner aus der selbständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte vermindert hat. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine Neuberechnung der Rente gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) Satz 7 EStG nicht zu erfolgen habe. Nach dieser Vorschrift führen regelmäßige Anpassungen des Jahresbetrags der Rente nicht zu einer Neuberechnung und bleiben bei einer Neuberechnung außer Betracht. Im Streitfall könnte es sich zwar bei den Anpassungen des Jahresbetrags der Rente dem Wortlaut nach um eine regelmäßige Anpassung handeln, da die Neuberechnung im Fall des Klägers jedes Jahr zum 01.07. – und damit zeitlich gesehen „regelmäßig“ – vorgenommen wird. Der erkennende Senat ist allerdings der Auffassung, dass der Wortlaut nach dem Sinn und Zweck der Norm teleologisch zu reduzieren ist und Anpassungen des Jahresbetrages aufgrund von Einkommensanrechnungen bei Witwenrenten – mögen diese auch regelmäßig erfolgen – zu einer Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente führen.

27Ob eine Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente bei Anpassungen des Jahresbetrages einer Witwenrente aufgrund von Einkommensanrechnungen zu erfolgen oder zu unterbleiben hat, ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden. Die Finanzverwaltung vertritt im BMF-Schreiben vom 13.09.2010 IV C 3-S 2222/09/10041, IV C 5-S 2345/08/0001, 2010/0628045 (BStBl I 2010, 681 Rz. 171ff mit Berechnungsbeispiel) die Auffassung, dass Veränderungen des Jahresbetrages einer Witwenrente aufgrund von Einkommensanrechnungen stets zu einer Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente führen.

28Nach der Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 26. November 2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.3.b) ist § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) EStG wie folgt auszulegen: Satz 4 und 5 EStG sehen nach Auffassung des BFH vor, dass der steuerfreie Teil der Rente in einem lebenslang geltenden, grundsätzlich gleichbleibenden Freibetrag festgeschrieben wird. Regelmäßige Rentenanpassungen führen nach Auffassung des BFH (in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710) nicht zu einer Erhöhung des steuerfreien Teils der Rente (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) Satz 7 EStG), so dass spätere reguläre Rentenerhöhungen uneingeschränkt der Besteuerung unterworfen werden. Hintergrund dieser Festschreibung ist nach Auffassung des BFH die vom Gesetzgeber gesehene und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Notwendigkeit, der ansonsten in der Übergangsphase eintretenden erneuten Vergrößerung der Besteuerungsunterschiede zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen entgegenzuwirken (BTDrucks 15/2150, S. 41), weil die Erhöhung von Beamtenpensionen zu 100% steuerpflichtig ist. Für Sozialversicherungsrenten soll nach Auffassung des Gesetzgebers insoweit nichts anderes gelten.

29Diese Auslegung entspricht der Auffassung sowohl der Finanzverwaltung (z.B. BMF-Schreiben vom 13. September 2010, BStBl I 2010, 681, Tz. 156, 169 f.) als auch der Literatur (z.B. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 22 Rz. 103; Fischer in Kirchhof, EStG, § 22 Rz. 40; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 22 Rz. 286, 289; Blümich/ Stuhrmann, EStG, § 22 Rz. 126; Lindberg in Frotscher, EStG, § 22 EStG Rz. 152).

30Soweit der Kläger meint, auch in seinem Fall der Anpassung der Rentenbezüge aufgrund von Einkommensanrechnungen handele es sich um eine regelmäßige Rentenanpassung und sich hierfür auf den reinen Wortlaut beruft, steht dem nach Ansicht des erkennenden Senats der o.a. Sinn und Zweck der Norm entgegen.

31Bei der Auslegung einer Norm nach ihrem Wortlaut ist zu berücksichtigen, dass diese nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist. Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist auch der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106). Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte als historische Auslegung (BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BFHE 231, 544, BStBl II 2011, 277). Hinzu kommt die verfassungskonforme Auslegung, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen, die zu unterschiedlich starken Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen führen (z.B. BVerfG-Beschluss vom 22. September 2009 2 BvL 3/02, BVerfGE 124, 251, BFH/NV 2009, 2119, unter B.2.). Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (z.B. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1998 VII R 21/97, BFHE 187, 177, unter II.2.a der Gründe m.w.N.).

32Angewendet auf den Streitfall sprechen sowohl die historisch-teleologische Auslegung aufgrund der Erwägungen und Ziele des Gesetzgebers, die in den oben zitierten Gesetzesmaterialien niedergelegt sind und im Gesetzeswortlaut Niederschlag gefunden haben, als auch die verfassungskonforme Auslegung (steuerrechtliche Gleichbehandlung der Erhöhung von Sozialversicherungsrenten und Versorgungsbezügen) dafür, dass es sich bei der Neuanpassung der vorliegend im Streit stehenden Witwerrente aufgrund der Anrechnung anderen Erwerbseinkommens, die hier im Unterschied zu regulären Rentenerhöhungen in der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Minderung führt, nicht um eine regelmäßige Anpassung im Sinne der Norm handelt. Denn würde man dem Begehren des Klägers folgen, mit dem er letztendlich für seine Witwerrente einen steuerfreien Anteil von mehr als 50 % begehrt, so würden sich die Besteuerungsunterschiede zwischen Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen in der Übergangsphase erneut vergrößern.

33Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) S. 7 EStG im Regelfall zu einem Nachteil für den Steuerpflichtigen führt, indem Veränderungen der Rente aufgrund von regelmäßigen Anpassungen zu 100 % der Besteuerung unterworfen werden, so dass sich der steuerfreie Teil der Rente bis 2040 stetig vermindert. Aus dieser Regelung will der Kläger für seinen Fall einen Vorteil herleiten, indem die Veränderung des Jahresbetrags der Rente zu einem niedrigeren Besteuerungsanteil führen soll. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich im Fall des Klägers die (Witwer)Rente reduziert hat, was bei Rentenanpassungen von regulären Altersrenten zum 01.07. – jedenfalls bislang – nicht vorgekommen ist, da Rentenkürzungen in der Geschichte der Rentenversicherung bisher nicht vorgenommen wurden bzw. aufgrund der im Jahr 2009 aufgenommenen „erweiterten Rentenschutzklausel“ erst im Rahmen von künftigen Rentenerhöhungen verrechnet werden, so dass bei regulären Altersrenten der gesetzlichen Rentenversicherung Minderungen aufgrund von jährlichen Anpassungen zum 01.07. derzeit nicht denkbar sind.

34Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich damit, dass die Berechnung des steuerfreien Teils der Rente durch den Beklagten frei von Rechtsfehlern ist.

35Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

36Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da (höchstrichterliche) Entscheidungen zu der Frage, ob die jährliche Neuberechnung einer (Witwen-)Rente aufgrund von vorzunehmenden Einkommensanrechnungen aus einer anderen Tätigkeit eine regelmäßige Rentenanpassung i.S.d. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a) aa) S. 7 EStG darstellt, bislang nicht vorliegen.