Festsetzung noch nicht gezahlter Umsatzsteuer-Vorauszahlungen als Masseverbindlichkeit

Der klagende Insolvenzverwalter wandte sich gegen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen, die das Finanzamt ihm gegenüber festgesetzt hatte. Er war im Oktober 2011 zum sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter einer Kommanditgesellschaft bestellt worden und führte deren Geschäftsbetrieb zunächst fort. Im Dezember 2011 gab die Gesellschaft Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Oktober und November 2011 ab, leistete jedoch keine Zahlungen auf die Umsatzsteuerschuld. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Bestellung des Klägers zum Insolvenzverwalter im Januar 2012 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen abweichend von den Voranmeldungen gegenüber dem Insolvenzverwalter fest.

Diese Vorgehensweise hat das Finanzgericht Düsseldorf auf der Grundlage der entsprechenden gesetzlichen Neuregelung gebilligt. Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen seien nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wie Masseverbindlichkeiten zu behandeln. Sie seien mit Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden. Insofern reiche es aus, wenn sich der Insolvenzverwalter mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren aktiv oder konkludent einverstanden erkläre.

Zudem sei das Finanzamt berechtigt gewesen, die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen durch entsprechende Bescheide gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Ein schlichtes Leistungsgebot habe nicht ausgereicht, da die nunmehr festgesetzte Steuer von der angemeldeten abgewichen habe.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 1 K 3372/12 vom 27.09.2013, Newsletter Oktober 2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 3372/12 U

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3372/12 U
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Der Kläger begehrt die Aufhebung der an ihn als Insolvenzverwalter einer KG (KG) gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011.

3Die KG wurde im Jahr 1999 gegründet. Gesellschaftszweck der KG war die Erbringung von Speditionsleistungen. Die KG wurde unter der Steuernummer () (sog. erste Steuernummer) beim Finanzamt geführt.

4Am 06.10.2011 beantragte die KG wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung beschäftigte sie 11 Mitarbeiter.

5Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 7.10.2011 () wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der KG über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Den Drittschuldnern wurde verboten, an die KG zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der KG einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegen zu nehmen (vgl. Blatt 87 der GA).

6Ausweislich des Gutachtens des Klägers vom 28.12.2011, Seite 6, gelang es dem Kläger – insbesondere durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes – im Vorverfahren, den Geschäftsbetrieb der KG fortzuführen. Hierzu seien – so der Kläger – intensive Gespräche mit den Hauptauftraggebern erforderlich gewesen. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen hätten bei der KG zum Zeitpunkt der Antragstellung mit 40.066,29 EUR ermittelt werden können. Hiervon seien bis zum 28.12.2011 36.880,09 eingezogen worden (vgl. Seite 8 des Gutachtens vom 28.12.2011).

7Die KG reichte unter der ersten Steuernummer für die Monate Oktober und November 2011 am 09.12.2011 Umsatzsteuervoranmeldungen beim Finanzamt ein. Ausgehend von Umsätzen in Höhe von 45.484 EUR (10/2011) bzw. 36.090 EUR (11/2011) und Vorsteuerbeträgen in Höhe von 1.422,73 EUR bzw. 3.403,86 EUR erklärte die KG eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 7.219,36 EUR (10/2011) bzw. 3.453,30 EUR (11/2011) (vgl. Blatt 55 ff. bzw. Blatt 57 ff der GA). Zahlungen auf die Umsatzsteuer durch die KG erfolgten jedoch nicht.

8Da die Hauptauftraggeber nicht bereit waren, über den Jahreswechsel (2011/2012) hinaus die KG bei der weiteren Auftragsvergabe zu berücksichtigen, stellte die KG den Geschäftsbetrieb zum 31.12.2011 ein und kündigte mit Zustimmung des Klägers sämtlichen Mitarbeitern zum 31.12.2011.

9Mit Beschluss des Amtsgerichts vom   1. 1.2012 wurde über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

10Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 31. 1.2012 in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter unter Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO auf, unter der Massesteuernummer () (sogenannte. zweite Steuernummer) für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung Umsatzsteuervoranmeldungen einzureichen.

11Unter der ersten Steuernummer schätze der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für die Jahressteuerschuld 2011 der KG, weil für den vorinsolvenzlichen Unternehmensteil bisher keine Umsatzsteuerjahreserklärung eingereicht wurde. Ausweislich der Abrechnung vom 13. 3.2012 betrug die Jahresumsatzsteuer 2011 nach der Berechnung des Beklagten 176.473,07 EUR, wobei der Beklagte bei seiner Schätzung die vorangemeldeten Umsätze für die Monate Oktober bis Dezember 2011 nicht berücksichtigte (vgl. Berechnung Blatt 77 der GA).

12Am  5. 3.2012 wurden von der KG für den Monat November unter der ersten Steuernummer eine geänderte Voranmeldung abgegeben. Die festzusetzende Steuer betrug nunmehr 3.247,38 EUR statt bisher 3.403,86 EUR (vgl. Blatt 59 ff der GA).

13Mit Bescheiden vom 20. 3.2012 (10/2011) und vom  3. 4.2012 (11/2011) setzt das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober bzw. November 2011 unter der zweiten Steuernummer fest, und zwar in Höhe von 4.548,88 EUR (10/2011; angemeldet waren 7.219,36 EUR) und 3.247,38 EUR (11/2011, angemeldet waren 3.403,86 EUR). Die Vorauszahlungs-Bescheide wurden jeweils dem Kläger als Insolvenzverwalter für die KG bekannt gegeben. Die Umsatzsteuerfestsetzungen wurden mit einem Leistungsgebot verbunden. Die Vorauszahlungen 10/2011 sollten bis zum 30. 3.2012 und die Vorauszahlungen 11/2011 bis zum 10. 5.2012 gezahlt werden. Ein Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO enthielten die Bescheide nicht.

14Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er machte geltend, dass hinsichtlich der geforderten Beträge keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO anzunehmen seien. Die durchgeführten Steuerfestsetzungen widersprächen auch dem BMF Schreiben vom 17. 1.2012, IV A 3-S 0550/10/10020-05, 2012/0042691, BStBl I 2012, 120 ff, Tz. 34 bis 39. Danach sei im Falle einer bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Steuerfestsetzung eine erneute Steuerfestsetzung von Masseverbindlichkeiten gegen die Insolvenzmasse nicht mehr zulässig. Zudem habe der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter keine Steuerschulden genehmigt.

15Im Laufe der Einspruchsverfahren reichte der Kläger mit Schreiben vom 12. 6.2012 Ausdrucke des Monatskontos der KG (Oktober 2011) zu den Erlösen und den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 31. 7.2012 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Oktober 2011 unter der zweiten Steuernummer. Die Umsatzsteuer wurde auf 2.874,97 EUR herabgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Der Bescheid enthielt einen handschriftlichen Zusatz: „Es handelt sich um die Festsetzung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO (Zeitraum  7.10.2011 bis 31.10.2011).“

16Am 26. 7.2012 zeigte der Kläger dem Insolvenzgericht an, dass Masseunzulänglichkeit vorliege.

17Mit Einspruchsentscheidung vom 16. 8.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus: Eine erneute Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 10/2011 und 11/2011 als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger sei verfahrensrechtlich zulässig. Die bisher für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen seien insoweit durch die Insolvenzeröffnung rechtswidrig geworden, als darin unselbständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt worden seien, die Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründeten. Ein schlichtes Leistungsgebot wäre für die Durchsetzung der Steuerforderungen gegen die Insolvenzmasse nicht ausreichend gewesen. Soweit diese Vorgehensweise im Widerspruch zu dem BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. Tz. 35 und 37 stünde, werde darauf hingewiesen, dass diese Textziffern dahingehend geändert werden würden, dass eine Festsetzung gegenüber der Insolvenzmasse zu erfolgen habe.

18Selbst wenn die erstmalige Steuerfestsetzung vor Insolvenzeröffnung fortwirken würde, wäre die erneute Festsetzung in unveränderter Höhe gegenüber der Insolvenzmasse ein lediglich wiederholender Verwaltungsakt ohne eigenständigen Regelungsinhalt. Die weiteren Verwaltungsakte in Form der Leistungsgebote seien erforderlich gewesen und nicht zu beanstanden.

19Materiell-rechtlich handle es sich bei den festgesetzten Vorauszahlungen um Masseverbindlichkeiten. Diese seien durch Handlungen der KG mit Zustimmung des Klägers begründet worden. Die Zustimmung könne aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen). Im Streifall habe der Kläger aktiv gehandelt, indem er durch sein Handeln (z.B. intensive Gespräche mit Auftraggebern, Antrag zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld) die Fortführung des Betriebes bis zum 31.12.2011 entscheidend mitgeprägt habe. Damit habe er auch der Begründung der hier zu beurteilenden Umsatzsteuerschulden als zwangsläufigen Annex des Hauptgeschäftes zugestimmt.

20Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor:

21Die unter der zweiten Steuernummer erlassenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide seien aus verfahrensrechtlichen und aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben.

22Verfahrensrechtliche Gründe

23Die Schuldnerin habe im Eröffnungsverfahren die steuerlichen Pflichten wie z.B. die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen zu beachten. Dementsprechend seien die Voranmeldungen für Oktober und November 2011 eingereicht worden. Diese stünden gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am  1. 1.2012 seien die eingereichten Voranmeldungen nicht gegenstandslos geworden. Vielmehr richte sich nur die Beitreibung nach den Vorschriften des Insolvenzrechtes. Dies entspreche auch der Auffassung der Finanzverwaltung in dem BMF Schreiben vom 17. 1.2012 Rz. 34 ff. Die erneuten Steuerfestsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Oktober 2011 vom 20. 3.2012 bzw. 31. 7.2012 sowie die Vorauszahlungen für November 2011 vom  3. 4.2012 gegenüber dem Kläger seien daher unwirksam.

24Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens würden die durch § 55 Abs. 4 InsO umfassten Ansprüche zu Masseverbindlichkeiten. Voraussetzung sei aber das Vorliegen einer an den Insolvenzverwalter gerichteten und ihm bekannt gegebenen Steuerfestsetzung. Im Streitfall habe sich die Steuerfestsetzung aber nur an die Schuldnerin gerichtet, die die Steueranmeldungen beim Finanzamt abgegeben hatte. Eine Bekanntgabe an den Insolvenzverwalter sei hierin nicht zu sehen. Auf die Bekanntgabe an den Insolvenzverwalter könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Gesamtrechtsnachfolge oder Haftung der Insolvenzmasse verzichtet werden.

25Soweit der Beklagte die Ansicht vertrete, es handle sich bei den angefochtenen Vorauszahlungsbescheiden um Änderungsbescheide, werde darauf hingewiesen, dass die Festsetzungen unter zwei verschiedenen Steuernummern vorgenommen worden seien. Insoweit seien nunmehr für die Monate Oktober und November zwei Steuerfestsetzungen vorhanden. Der Beklagte hätte die von der KG angemeldeten Steuerbeträge auf 0 festsetzen müssen, um so eine Doppelerfassung zu verhindern.

26Auch die Voraussetzungen, die an ein Leistungsgebot zu stellen seien, würden durch die angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide nicht erfüllt. Es seien darin keinerlei Angaben zur ursprünglichen Fälligkeit der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen enthalten.

27Im Bescheid vom 31. 7.2012 für Oktober 2011 fehle zudem ein Leistungsgebot gänzlich. Dies wäre aber notwendig gewesen, da erstmalig der Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO in dem Bescheid aufgenommen worden sei.

28Materiell-rechtliche Gründe

29Der (schwache) vorläufige Insolvenzverwalter benötige eine ausdrückliche Ermächtigung seitens des Insolvenzgerichtes zur Begründung von Masseverbindlichkeiten; diese Ermächtigung sei im Streitfall nur in Bezug auf das Insolvenzgeld erteilt worden. In dem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt, der sich nur auf Verfügungen des Insolvenzschuldners beziehe, sei keine ausdrückliche Ermächtigung enthalten. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei rechtlich nicht in der Lage, den Insolvenzschuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten. Den Abschluss rechtswirksamer Verpflichtungsgeschäfte durch den Insolvenzschuldner vermöge er nicht zu verhindern; er könne lediglich Verfügungen des Schuldners untersagen. Darüber hinaus bedürften Dienstleistungen in Form von Speditionsleitungen keiner Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Auch ein ausdrücklich ausgesprochener Widerspruch des Klägers hätte keinerlei rechtliche Konsequenzen gehabt.

30Aus diesem Grund sei die Auslegung des „Zustimmungsbegriffs“ durch den BMF unzutreffend. Die Auslegung führe zu einer ungerechtfertigten Gleichstellung eines sog. starken und eines sog. Schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters.

31Hinsichtlich der Eingangsleistungen habe der Kläger entgegen der Ansicht des Beklagten auch keine allgemeine Zustimmung erteilt, sondern jede einzelne geprüft. Die Eingang- und Ausgangsleistungen seien hier getrennt zu beurteilen.

32Der Kläger beantragt,

33die Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011 vom 20. 3.2013,  3. 4.2012 und 31. 7.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. 8.2012 aufzuheben,

34hilfsweise die Revision zuzulassen.

35Der Beklagte beantragt,

36die Klage abzuweisen,

37hilfsweise die Revision zuzulassen.

38Er trägt vor:

39Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen seien als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO einzustufen, die trotz der bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Steuerfestsetzung gegenüber der KG nicht durch ein bloßes Leistungsgebot, sondern durch eine mit einem Leistungsgebot verbundene Steuerfestsetzung gegen die Insolvenzmasse geltend zu machen seien. Insoweit werde auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung verwiesen.

40Selbst wenn man verfahrensrechtlich der Ansicht des Klägers folgen würde, wären die angefochtenen Bescheide dennoch nicht rechtswidrig. Hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums 11/2011 sei nach Insolvenzeröffnung am  2. 3.2012 durch die KG eine berichtigte Voranmeldung eingereicht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bereits auf den Kläger übergegangen. Die notwendige Minderung der festgesetzten Umsatzsteuer habe nur im Wege eines („geänderten“) Steuerbescheides erfolgen können. Dieser sei – da es sich um Masseforderungen handle – zwingend an den Insolvenzverwalter zu richten.

41Ähnliche Überlegungen ergäben sich auch in Bezug auf die Umsatzsteuerfestsetzung Oktober 2011. Auf Grund der Angaben des Klägers (eingereichten Monatskonten) habe sich die ursprüngliche Steuerfestsetzung gegenüber der KG als unzutreffend erwiesen. Auch insoweit sei eine Änderung nur im Wege einer geänderten und gegenüber dem Kläger bekanntgegebenen Steuerfestsetzung möglich gewesen.

42Die Steuerfestsetzungen seien auch nicht doppelt erfasst worden, weil der Beklagte korrespondierend zu den Masseforderungen die als Insolvenzforderung geltend gemachten Umsatzsteuerforderung für das Kalenderjahr 2011 um die Umsätze in dem Zeitraum  7.10.2011 bis 31.12.2011 gemindert habe. Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, diese Minderung gegenüber dem vorinsolvenzlichen Unternehmensteil zunächst im Rahmen geänderter Vorauszahlungsbescheide durchzuführen, da für das Steuerschuldverhältnis die Jahressteuerschuld maßgeblich sei.

43Anders als der Kläger meine, sei das in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Leistungsgebot nicht zu beanstanden. Die notwendigen Bestandteile (Vollstreckungsschuldner, Benennung des Gegenstandes der Leistung, Aufforderung zur Bewirkung der Leistung) seien darin enthalten gewesen. Da es sich um eine erstmalige Festsetzung gegen die Insolvenzmasse gehandelt habe, seien auch keine Angaben zu den vorinsolvenzlichen Fälligkeiten der Umsatzsteuerforderungen notwendig gewesen. Zudem sei der Kläger hierdurch nicht benachteiligt, sondern deutlich besser gestellt als bei Anwendung der Tz. 38 in dem BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. (danach: alte Fälligkeit). Darüber hinaus würde das BMF –Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. hinsichtlich der Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten geändert werden (Bescheid + Leistungsgebot).

44Soweit der Bescheid vom 31. 7.2012 für 10/2011 kein Leistungsgebot enthalte, sei dies nicht notwendig, da bereits im ursprünglichen Bescheid vom 20. 3.2012 ein wirksames Leistungsgebot vorhanden gewesen sei. Für die Wirksamkeit des Steuerbescheides und des Leistungsgebotes sei ein Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO nicht erforderlich.

45Materiell-rechtlich werde daran festgehalten, dass die hier zu beurteilenden Umsatzsteuerschulden mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden seien. Erst durch seine Zustimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Eingangsleistungen, sei die Fortführung der geschäftlichen Tätigkeit der KG überhaupt möglich gewesen. Denn ohne den Ausgleich z.B. der laufenden Fahrzeugkosten sei die Erbringung von Speditionsleistungen ausgeschlossen gewesen. Vor diesem Hintergrund könnten die Eingangs- und Ausgangsleistungen im Rahmen des § 55 Abs. 4 InsO auch nicht isoliert betrachtet werden. Der Kläger habe maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes beigetragen.

46Die Begründung von Masseverbindlichkeiten bedürfe entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht einer Ermächtigung durch das Insolvenzgericht. Der Gesetzgeber habe – anders als z.B. in § 270 b Abs. 3 InsO – bei der Formulierung des § 55 Abs. 4 InsO bewusst von einer speziellen gerichtlichen Ermächtigung abgesehen. Solange sich keine Anhaltspunkte für eine masseschädigende Tätigkeit des Schuldners ergeben würden, sei der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Tätigkeit einverstanden und stimme dadurch den begründeten Umsatzsteuerschulden im Sinn des § 55 Abs. 4 InsO zu.

47Diese weite Auslegung des Zustimmungsbegriffs entspreche auch dem Normzweck.  Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/3030 vom 27. 9.2010, S. 43) habe durch die Vorschrift verhindert werden sollen, dass der Fiskus aufgrund der Anreicherung der Insolvenzmasse durch die im Eröffnungsverfahren zusätzlich entstehenden Steuerausfälle ungerechtfertigt benachteiligt werde.

48Die vom Kläger verlangte Einzelermächtigung würde hingegen dazu führen, dass § 55 Abs. 4 InsO faktisch in nahezu keinem Insolvenzverfahren mehr einschlägig wäre.

49Entscheidungsgründe

50Die Klage ist unbegründet.

51Die angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

52Der Beklagte hat zu Recht die von der KG zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ( 1. 1. 2012) noch nicht gezahlten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in Höhe von 2.874,97 EUR (10/2011) und 3.247,38 EUR (11/2011) gemäß § 55 Abs. 4 InsO wie Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der KG durch Steuerbescheide festgesetzt.

53I. Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Oktober und November 2011 sind gemäß § 55 Abs. 4 InsO wie Masseverbindlichkeiten zu behandeln.

54Nach dieser Vorschrift gelten u.a. Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.

55Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen sind im Streitfall hinsichtlich der o.g. Umsatzsteuer-Vorauszahlungen erfüllt.

561. Umsatzsteuerschulden sind Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, denn hierzu gehören gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AO insbesondere Steuerschulden.

57Die in § 55 Abs. 4 InsO genannte (aufschiebende) Bedingung, dass das Insolvenzverfahren eröffnet sein muss, ist vorliegend mit Beschluss des Amtsgerichts (Az. vom  1. 1.2012 eingetreten. Die KG ist hierdurch Insolvenzschuldnerin geworden.

58Die Umsatz-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 sind auch Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin. Denn die KG ist Schuldnerin (vgl. § 33 AO) der Umsatzsteuern, die in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens durch ihre unternehmerische Tätigkeit (Eingangs- und Ausgangsleistungen) gemäߠ38 AO und §§ 2, 13 UStG entstanden sind. Die KG bzw. ihren gesetzlichen Vertreter trifft im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens insoweit auch weiterhin die Pflicht, ihre Steuerschulden zu erklären und zu zahlen.

59Diese Pflichten sind nicht auf den Kläger übergegangen. Ein sogenannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter, der für ein Unternehmen im Sinne des § 2 UStG bestellt wird, ist kein Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO (vgl. auch Waza, Uhländer und Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 686). Im Streitfall wurde der Kläger (nur) zu einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter ernannt, denn das Insolvenzgericht ordnete durch den Beschluss vom  7.10.2011 kein allgemeines Verfügungsverbot sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) an. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der KG ist hierdurch im vorläufigen Insolvenzverfahren bei der KG verblieben (vgl. § 22 Abs. 1 InsO im Umkehrschluss).

60Der Höhe nach besteht auch kein Streit darüber, dass es sich bei den nunmehr – abweichend von den von der KG beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen – gegenüber dem Kläger festgesetzten Beträgen in Höhe von 2.874,97 EUR (10/2011) und in Höhe von 3.247,38 EUR (11/2011) um die für die Zeiträume  7.10.2011 bis 31.10.2011 bzw.  1.11.2011 bis 30.11.2011 gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer handelt. Eine Zahlung durch die KG als Steuerschuldnerin erfolgte jedoch nicht.

612. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen auch im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO mit „Zustimmung“ des Klägers als (schwacher) vorläufiger Insolvenzverwalter „begründet worden“.

62a) Zwar ist der Rechtsbegriff „Zustimmung“ in § 55 Abs. 4 InsO nicht näher definiert.

63Insoweit wird teilweise in der Literatur die Ansicht vertreten, dass der Begriff der „Zustimmung“ in § 55 Abs. 4 InsO innerhalb der Insolvenzordnung nicht anders ausgelegt werden könne als in § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, AO, § 251 Rz. 70 b), wonach ein durch das Gericht angeordneter Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) lediglich für die Wirksamkeit von Vermögensverfügungen des zukünftigen Insolvenzschuldners Bedeutung habe (vgl. auch Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, 3. Auflage, § 55 Rz. 54). Diese (enge) Auslegung hätte aber zur Folge, dass bei einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO nicht erfüllt werden könnten, denn die Begründung neuer Rechte oder Pflichten für sich ist keine (zustimmungsbedürftige) Verfügung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO (vgl. Kreft, InsO, 6. Auflage, § 21 Rz. 18). Insoweit wäre eine Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zu den vom Steuerschuldner begründeten Verbindlichkeiten rechtlich unerheblich.

64Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bedeutet der Begriff „Zustimmung“ eine Einverständniserklärung zu dem von einem anderen vorgenommenen Rechtsgeschäft (vgl. §§ 182 ff BG), die vorher (Einwilligung § 183 BGB) oder nachträglich (Genehmigung § 184 BGB) erteilt werden kann. Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form bedarf (vgl. § 182 Abs. 2 BGB), und daher (objektiv) nicht nur durch Benutzung von Wort und Schrift sondern auch stillschweigend erfolgen kann, wenn (subjektiv) ein Erklärungswille vorhanden ist. Allerdings werden Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis nicht durch ein Rechtsgeschäft, sondern durch die Verwirklichung eines bestimmten gesetzlichen Tatbestandes begründet (§ 38 AO). Insoweit ist die Anwendung des zivilrechtlichen Zustimmungsbegriffs hier auch nicht uneingeschränkt möglich.

65Zudem dürfte mit dem Tatbestandsmerkmal „Steuerverbindlichkeiten, die mit Zustimmung begründet worden sind“ auch nicht gemeint sein, dass die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners mit Zustimmung des Insolvenzverwalters „entstanden“ sind, denn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – hier die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 – entstehen bereits kraft Gesetzes (§ 38 AO) und nicht erst mit oder durch Zustimmung eines vorläufigen Verwalters.

66b) Diese Unklarheiten in der Formulierung des Gesetzeswortlautes führen nach Ansicht des Senats jedoch nicht dazu, dass das Tatbestandsmerkmal „Verbindlichkeiten, die mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden“ ins Leere geht (vgl. hierzu Leithaus in Andres/Leithaus/Dahl, Kommentar InsO, 2. Auflage, § 55 Rz. 19; kritisch auch Loose in Tipke/Kruse, AO, § 251 Rz. 70 a ff mit weiteren Literaturhinweisen) und deshalb die Rechtsfolgen des § 55 Abs. 4 InsO vorliegend nicht eintreten könnten. Vielmehr gilt auch hier, dass Ziel jeder Auslegung die Feststellung des Inhalts einer Norm ist, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist; die Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. BFH-Urteil 19. 4.2005 VIII R 12/04, BFHE 209, 409, BStBl II 2005, 683 mit Hinweis auf BVerfG—Beschluss vom 19. 6.1973  1 BvL 39/69 und 14/72, BVerfGE 35, 263, 278 f.).

67Der Abs. 4 des § 55 InsO wurde nach einer Reihe von gescheiterten Gesetzesinitiativen durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom  9.12.2010 (BGBl I 2010, 1885) mit Wirkung zum  1. 1.2011 (vgl. Art. 103 e EGInsO) in die Insolvenzordnung eingefügt. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 17/3030, Seite 23) sollte diese Änderung der Insolvenzordnung zur Verbesserung der Einnahmesituation des Fiskus beitragen.

68In der weiteren Begründung (vgl. BT-Drs. 17/3030, Seite 42 und 43) wird vorrangig auf umsatzsteuerliche Erwägungen abgestellt: Die bisherige Rechtslage habe die Erwartung, dass Personen, die Geschäfte mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter abschlössen, dadurch besonders geschützt seien, dass ihnen regelmäßig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit zustünde, nicht erfüllt, weil die Insolvenzgerichte regelmäßig „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter bestellten, auf die die Regelung in § 55 Abs. 2 InsO mangels Verfügungsbefugnis über das schuldner-ische Vermögen nicht anzuwenden sei. Darüber hinaus hätten auch manche schwache vorläufige Insolvenzverwalter ihre Rechtsstellung gezielt ausgenutzt, um die Insolvenzmasse durch aktive Gestaltungen zulasten des Fiskus weiter anzureichern. Die schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter hätten durch Umsatztätigkeiten im Insolvenzeröffnungsverfahren weitere Steuerrückstände entstehen lassen, mit denen der Fiskus dann regelmäßig, weil es sich nur um Insolvenzforderungen gehandelt habe (vgl. §§ 174 ff InsO), ausgefallen sei. Durch den neu angefügten Abs. 4 des § 55 InsO, nach dem diese Forderungen nunmehr (aufschiebend bedingt) als Masseverbindlichkeiten gelten, werde dieser Praxis ein Riegel vorgeschoben. Es liege insofern auch keine ungerechtfertigte Bereicherung vor, da der in diesen Geschäften anfallende Vorsteuerabzug regelmäßig auch in voller Höhe dem schuldnerischen Unternehmen vor Verfahrenseröffnung zugutekomme.

69Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter in der Phase des vorläufigen Verfahrens nicht anstelle des Schuldners selbst die Umsatztätigkeit ausübt, sondern nur „neben“ dem unternehmerisch tätigten zukünftigen Insolvenzschuldner eine mitbestimmende Funktion inne hat, können mit „Zustimmung“ des vorläufigen Insolvenzverwalters vom Schuldner „begründete“ Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach dem Gesetzeszweck nur die Steuern sein, die durch die Fortführung des Unternehmens im Insolvenzeröffnungsverfahren verursacht wurden und der vorläufige Insolvenzverwalter zugleich mit dieser Handlungsweise (Unternehmensfortführung) einverstanden war. Denn der vorläufige Verwalter kann denklogisch nicht auf der einen Seite die fortlaufende Geschäftstätigkeit des zukünftigen Insolvenzschuldners tolerieren und andererseits den Eintritt der zwangsläufigen Konsequenzen aus dieser Handlungsweise in Form von Umsatzsteuerverbindlichkeiten missbilligen. Vielmehr versteht es sich von selbst, dass eine Fortführung der Umsatztätigkeit die Entstehung der entsprechenden Umsatzsteuern zur Folge hat. Damit der Fiskus mit genau diesen (zwangsläufig bei Unternehmensfortführung entstehenden) Umsatzsteuerforderungen im nachfolgenden Insolvenzverfahren nicht ausfällt, wurde die Vorschrift § 55 Abs. 4 InsO in das Gesetz eingefügt. Der vorläufige Insolvenzverwalter nimmt dadurch, dass er der Handlungsweise des zukünftigen Schuldners bzw. der jeweiligen Umsatztätigkeit nicht ausdrücklich widerspricht, zwangsläufig kausal die Entstehung der Steuerschulden billigend in Kauf. Danach reicht es zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals „Zustimmung“ in Bezug auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren sich aktiv (durch Wort und Schrift) oder konkludent (stillschweigend) einverstanden erklärt.

70Der Senat folgt damit der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 IV A 3-S 0550/10/10020-05, 2012/0042691, BStBl I 2012, 120 ff, Tz. 3), wonach die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen) kann. Soweit der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht ausdrücklich (einzelnen) Umsätzen widerspricht, würden grundsätzlich sämtliche Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, die nach seiner Bestellung begründet werden, von § 55 Abs. 4 InsO erfasst (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. Tz. 11).

71Diese (weite) Auslegung des Rechtsbegriffs „Zustimmung“ entspricht auch der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl § 55 Rz. 245 ff m.w.N.). Danach bedeutet der Begriff Zustimmung in § 55 Abs. 4 InsO ein tatsächliches Einverständnis des vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters mit der Handlung des Schuldners (hier Fortführung des Unternehmens) und umfasst jede Art von aktiver oder konkludenter Billigung, wobei sich der Zustimmungsvorbehalt allein auf Neugeschäfte des Schuldners beziehe. Der vorläufige Verwalter stimmt demnach nicht mehr zu, sobald er Umsatzgeschäften des Schuldners widerspricht.

72Der Senat vermag der Ansicht des Klägers, dass diese (weite) Auslegung des Zustimmungsbegriffs zu einer ungerechtfertigten Gleichstellung eines sogenannten starken und eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters führen würde, nicht zu folgen. Ausweislich der oben dargestellten Gesetzesbegründung war es gerade die Absicht des Gesetzgebers – korrespondierend zu § 55 Abs. 2 InsO, welcher nur bei einem starken vorläufigen Verwalter anzuwenden ist, – eine Regelung für den vorläufig schwachen Verwalter zu treffen, um Steuerausfälle zu verhindern. Insoweit werden von § 55 Abs. 4 InsO auch nur Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis erfasst, der Regelungsbereich des § 55 Abs. 2 InsO betrifft hingegen sämtliche Verbindlichkeiten, die die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind. Hinsichtlich der Begründung von anderen Verbindlichkeiten als Steuerschulden werden schwache vorläufige Verwalter und starke vorläufige Verwalter weiterhin unterschiedlich behandelt.

73Nach diesen Grundsätzen sind die hier streitigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten mit Zustimmung des Klägers begründet worden. Denn der Kläger war nach dem Akteninhalt offensichtlich mit der Fortführung des Unternehmens in der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens ausdrücklich einverstanden.

74Ausweislich des Gutachtens vom 28.12.2011 hat er sich selbst durch intensive Gespräche erfolgreich um Auftragsvergaben bemüht. Während der Fortführung sei es gelungen, Forderungen in einem Volumen von 100.976,87 EUR zu fakturieren. Des Weiteren hat der Kläger während des streitigen Zeitraums beim Amtsgericht beantragt, ihn zu ermächtigen, Verbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zu begründen. Dem Antrag folgte das Amtsgericht für Verbindlichkeiten bis zu 1.500 EUR (vgl. Seite 4 des Gutachtens 28.12.2011). Auch diese Maßnahme diente der Fortführung der Unternehmenstätigkeit der KG in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Dieser Geschehensablauf macht deutlich, dass der Kläger sämtliche Ausgangsleistungen der KG nicht nur stillschweigend gebilligt hat, sondern er hat aktiv und entscheidend dazu beigetragen, dass die KG ihre umsatzsteuerpflichtigen Speditionsleistungen im streitigen Zeitraum weiter ausführen konnte.

75Darüber hinaus hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er hinsichtlich der einzelnen Eingangsleistungen keine allgemeine Zustimmung erteilt habe. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass er vor Zustimmungserteilung die einzelnen Eingangsrechnungen in dem Zeitraum  7.10.2011 bis 30.11.2011, die dem geltend gemachten Vorsteuerabzug in Höhe von 5.175,14 EUR (10/2011) und 3.941,69 EUR (11/2011) zu Grunde lagen, geprüft hat. Da es die wesentliche Aufgabe eines vorläufigen Insolvenzverwalter ist, die künftige Masse zu sichern und zu erhalten (vgl. BGH-Urteil vom  4.11.2004 IX ZR 22/03, BGHZ 161, 49), liegt es auf der Hand, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter eines Speditionsunternehmens einer Verfügung des Schuldners in Form von beispielsweise Bezahlung von Benzin- und sonstigen Kfz-Rechnungen widersprechen könnte und müsste (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO), falls der zukünftige Insolvenzschuldner Speditionsleistungen gegen Willen des vorläufigen Verwalters erbringen sollte. Denn die Aufgabe des Verwalters wäre nicht erfüllt, wenn er der Minderung der Insolvenzmasse durch die Bezahlung von nicht notwendigen Eingangsleistungen zustimmen würde. Insoweit indiziert die Zustimmung zu den einzelnen Eingangsleistungen ebenfalls das Einverständnis des Klägers zu der Handlungsweise des KG, das Unternehmen in dem streitigen Zeitraum fortzuführen und entsprechende Umsatzsteuerverbindlichkeiten für Oktober und November 2011 zu begründen.

76Der Umstand, dass die KG im streitigen Zeitraum überwiegend sonstige Leistungen und keine Lieferungen erbracht hat, ist vorliegend für die Gesamtwürdigung unerheblich. Zwar kann im Einzelfall eine aufgrund sonstiger Leistungen begründete Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit sein, wenn die Umsätze im Wesentlichen auf dem Einsatz der persönlichen Arbeitskraft des Insolvenzschuldners beruhen. Eine andere Beurteilung ist jedoch vorzunehmen, wenn die Umsätze im Wesentlichen aufgrund der Nutzung eines Massegegenstandes erzielt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 8. 9.2011 V R 38/10, BFHE 235, 488, BStBl II 2012, 270). Entsprechendes gilt – nach Ansicht des Senates – , wenn die Umsätze (Speditionsleistungen) im Wesentlichen mit vom Insolvenzschuldner geleasten Gegenständen (Fuhrpark) erbracht werden.

77c) Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, den Insolvenzschuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten und er auch Verpflichtungsgeschäfte nicht habe verhindern können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis in der Sache. Vorliegend sind nur die tatsächlichen Geschehnisse zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erfolglos versucht haben könnte, einzelne Handlungen der KG zu unterbinden, sind nicht ersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen.

78II. Der Beklagte war auch berechtigt, die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch entsprechende Vorauszahlungs-Bescheide für Oktober und November 2011 gegenüber dem Kläger festzusetzen.

79Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 Abs. 1 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Dieser hat als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht.

80Hinsichtlich der Geltendmachung der noch offenen Steuerforderungen im Insolvenzverfahren ist zwischen Steuerforderungen als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und Steuerforderungen als Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zu unterscheiden.

81Die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Steuerforderungen können grundsätzlich nur noch als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend gemacht werden (vgl. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO). Das Finanzamt hat als Insolvenzgläubiger diese Steuerforderungen als Insolvenzforderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden (§ 174 ff InsO). Ein Erlass von Steuerbescheiden, welche Insolvenzforderungen betreffen, ist ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; vgl. auch Bartone, AO-StB 2002, 22).

82Sofern Steuerforderungen durch Handlungen des Insolvenzverwalters (z.B. Umsatzsteuer bei Fortführung des Unternehmens in der Insolvenz durch den Insolvenzverwalter) begründet werden, handelt es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Insolvenzmasse betreffende Steuerbescheide können nicht mehr durch Bekanntgabe an den Insolvenzschuldner wirksam werden, weil dieser – wie oben dargestellt – durch die Verfahrenseröffnung seine Verfügungsrechte hinsichtlich der Insolvenzmasse verloren hat. Diese Steuerforderungen sind insoweit durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen (BFH-Urteil vom  9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996), denn der Insolvenzschuldner kann nach Verfahrenseröffnung die im Bescheid enthaltene Anordnung hinsichtlich der Vermögensmasse aus Rechtsgründen nicht mehr befolgen.

83Durch die Einfügung des § 55 Abs. 4 InsO sind seit dem  1. 1.2011 zu den Masseverbindlichkeiten und den Insolvenzforderungen noch die Steuerforderungen hinzugekommen, die nach dieser Vorschrift „als Masseverbindlichkeiten gelten“. Die Besonderheit bei diesen Steuerforderungen liegt darin, dass sie gleichsam wie Insolvenzforderungen vor Eröffnung entstanden sind, aber nach Eintritt der Bedingung (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) nunmehr (rückwirkend) als Masseverbindlichkeiten gelten, die – wie oben dargestellt – nur gegenüber dem Insolvenzverwalter als Bekanntgabeadressat wirksam festgesetzt werden können.

84Wie die Geltendmachung von solchen Steuerforderungen (hier: Umsatzsteuerforderungen), die nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten gelten, durch das Finanzamt in der Praxis zu erfolgen hat, ist in der Abgabenordnung nicht geregelt und wurde – soweit ersichtlich – höchstrichterlich bisher auch noch nicht entschieden.

85Falls das Schuldnerunternehmen – wie im Streitfall – im vorläufigen Insolvenzverfahren Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einer Zahllast beim Finanzamt eingereicht hat, die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§ 168 Satz 1 AO), stellt sich zudem die Frage, mit welcher Maßnahme die Finanzbehörde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die bereits festgesetzten, aber nunmehr als Masseforderungen geltenden Steuerforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter einfordern kann.

86Nach (bisheriger) Auffassung der Finanzverwaltung bedarf es, soweit eine Steuerfestsetzung (Steueranmeldung) gegenüber dem Insolvenzschuldner bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei, für nach § 55 Abs. 4 als Masseverbindlichkeiten geltenden Steuerverbindlichkeiten keiner neuen Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzverwalter. Denn diese (erstmalige) Steuerfestsetzung gelte nach Verfahrenseröffnung gegenüber dem Insolvenzverwalter fort (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012, a.a.O. Tz. 35).

87Gegen diese Auffassung wird jedoch eingewendet, dass eine Steuerfestsetzung gegenüber dem zukünftigen Insolvenzschuldner in der Phase des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverfahrens nur Wirkung gegen den zukünftigen Insolvenzschuldner entfalten könne. Diese Steuerfestsetzungen würden aber keine wirksame Grundlage für eine Steuererhebung oder Vollstreckung gegen den Insolvenzverwalter darstellen (vgl. Rennert-Bergenthal, ZInsO 2011, 1922 ff).

88Der erkennenden Senates hat im summarischen Verfahren den Erlass eines schlichten Leistungsgebotes für ausreichend erachtet, wenn die bisher gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzte Umsatzsteuerschuld und der nunmehr vom Insolvenzverwalter geforderte Umsatzsteuerbetrag als Masseforderung übereinstimmen (vgl. Beschluss vom 21. 3.2012 (1 V 152/12 A (U), ZIP 2012, 688). Denn auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelte der Grundsatz der Unternehmereinheit (BFH-Urteil vom  9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996; BFH-Urteil vom 24.11.2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298). Die bisherigen Steuerfestsetzungen seinen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gegenstandslos geworden. Lediglich die Möglichkeit der Beitreibung richte sich nunmehr nach den Vorschriften des Insolvenzrechts.

89Im Streitfall ist indes die nunmehr gegenüber dem Kläger festgesetzte Steuer mit der ursprünglich von der KG angemeldeten Steuer nicht identisch.

90Der Beklagte hat für Oktober 2011 – abweichend von dem vorangemeldeten Betrag von 7.219,36 EUR – mit Bescheid vom 20.03.2012 die Umsatzsteuer auf 4.548,88 EUR herabgesetzt. Da auf Grund der Angaben des Klägers (eingereichten Monatskonten) sich diese Steuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit der Höhe nach als unzutreffend erwies, änderte der Beklagte die Steuerfestsetzung erneut mit Bescheid vom 31. 7.2012 (Herabsetzung auf 2.874,97 EUR). Insbesondere wurde berücksichtigt, dass die Umsätze, die vor dem  7.10.2011 von der KG erzielt wurden, nicht unter § 55 Abs. 4 InsO fallen können, weil diese nicht mit Zustimmung des Klägers entstanden sind. Die notwendige Herabsetzung der Steuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit im Laufe des Insolvenzverfahrens ist aber nur im Wege eines an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheides möglich, weil die die Insolvenzmasse betreffenden Steuerfestsetzungen, wie oben dargestellt, verfahrensrechtlich gegenüber der KG nicht mehr wirksam bekannt gegeben werden können. Andere Maßnahmen des Finanzamtes, um die bisherigen Steuerfestsetzungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens herabzusetzen, sind nicht ersichtlich.

91Hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums November 2011 wurde nach Insolvenzeröffnung am  2. 3.2012 eine berichtigte Voranmeldung mit einer geringeren festzusetzenden Umsatzsteuer eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bereits auf den Kläger übergegangen. Insoweit konnte auch für diesen Voranmeldungszeitraum die notwendige Minderung der festgesetzten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen nur im Wege eines Steuerbescheides erfolgen, der zwingend an den Kläger als Insolvenzverwalter zu richten war. Der Umstand, dass der Bescheid keinen Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO enthielt, berührt dessen Wirksamkeit nicht. Zudem wurde der Formfehler durch die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung geheilt (§126 Abs. 1 Nr. 3 AO).

92Ob nunmehr die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 vom Beklagten doppelt festgesetzt wurden – einmal unter der ersten Steuernummer gegenüber der KG und ein zweites Mal unter der zweiten Steuernummer (Massesteuernummer) gegenüber dem Kläger – kann dahinstehen. Der Senat braucht im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu entscheiden, ob der Beklagte verpflichtet war, die ursprünglichen Festsetzungen gegenüber der KG für Oktober und November 2011 (unter der ersten Steuernummer) ausdrücklich aufzuheben. Denn die Klage richtet sich nur gegen die an den Kläger gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide. Aus diesem Grund kann der Senat auch offen lassen, ob es sich bei den angefochtenen Bescheiden um eine neue Festsetzung (unter der zweiten Steuernummer) oder um eine geänderte Steuerfestsetzung handelt. Die ursprünglichen Festsetzungen (unter der ersten Steuernummer) wäre jedenfalls nach § 164 Abs. 2 AO änderbar gewesen (§ 168 AO).

93Zudem beinhalten die vom Beklagten als Insolvenzforderung geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen für das Kalenderjahr 2011 die hier streitigen Beträge nicht.

94III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

95IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Besteuerung von Vergütungen an Mitglieder der OSZE-Mission im Kosovo

Die Klägerin hatte einen Wohnsitz im Inland. Sie war als abgeordnetes Missionsmitglied im Rahmen einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo tätig. Im Streitjahr 2009 hielt sie sich vom 1. Januar bis zum 9. April im Kosovo und im Anschluss daran in Deutschland auf. Für diese Tätigkeit erhielt die Klägerin von der OSZE-Mission im Kosovo ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung. Das Finanzamt behandelte die Einnahmen als im Inland steuerpflichtig.

Dem ist das Finanzgericht Düsseldorf entgegengetreten. Die Einnahmen seien nach dem fortgeltenden Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der BRD und Jugoslawien im Inland steuerfrei und unterfielen allein dem sog. Progressionsvorbehalt. Zwar habe sich die Klägerin im Jahr 2009 nicht länger als 183 Tage im Kosovo aufgehalten. Zudem sei die Vergütung von einer nicht im Kosovo ansässigen Person – der OSZE mit Sitz in Wien – gezahlt worden. Die Vergütung sei indes von der OSZE-Mission im Kosovo mit fünf Außenstellen und ca. 1.200 Bediensteten und damit von einer festen Einrichtung der OSZE im Kosovo getragen worden. Insofern sei allein maßgebend, dass die Tätigkeit der Klägerin objektiv der OSZE-Mission im Kosovo zuzuordnen sei.

Schließlich folge auch aus der sog. Rückfallklausel kein inländisches Besteuerungsrecht. Der Kosovo habe nämlich auf der Grundlage einer entsprechenden – auch für die OSZE geltenden – innerstaatlichen Regelung bewusst auf sein Besteuerungsrecht verzichtet.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 13 K 4438/12 vom 11.10.2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 4438/12 E

Datum:
11.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4438/12 E
Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2009 auf „…“ € festgesetzt wird.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

1Tatbestand:

2Die Kläger sind Eheleute und wohnen in „X-Stadt“. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3Die Klägerin, die die „…“ Staatsbürgerschaft besitzt, war seit 01.11.2008 als abgeordnetes Missionsmitglied (Seconded Mission Member) der „…“ Regierung im Rahmen einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Landesteil Kosovo der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien tätig. Für diese Tätigkeit erhielt sie von der OSZE-Mission im Kosovo ein Tagegeld für die Kosten von Unterkunft und Verpflegung. Ihre Einnahmen aus den Tagegeldern beliefen sich im Jahr 2009 (Streitjahr) auf insgesamt 24.237 €. Die Klägerin hielt sich im Streitjahr vom 01.01. bis 09.04.2009 im Kosovo und vom 10.04. bis 31.12.2009 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) auf. Da sie schwanger war, ließ sie sich für die Zeit vom 10.04. bis 08.07.2009 von der OSZE-Mission im Kosovo unbezahlt beurlauben. Ab dem 09.07.2009 befand sie sich im bezahlten Mutterschutz. Nach der Geburt des Kindes am „…“ und dem Ende des Mutterschutzes nahm die Klägerin den ihr zustehenden Resturlaub. Anschließend beantragte sie ihre Entlassung und schied aus dem Dienst der OSZE-Mission im Kosovo aus.

4Im Rahmen des Einkommensteuerbescheids 2009 vom 29.09.2010 behandelte der Beklagte die Einnahmen der Klägerin als im Inland steuerpflichtig. Er berücksichtigte nach dem Abzug von Werbungskosten von 3.801 € Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 20.436 €. In den Werbungskosten waren Verpflegungsmehraufwendungen für die Monate Januar bis April 2009 enthalten.

5Der Beklagte wies den fristgerecht eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 als unbegründet zurück.

6Die Kläger haben am 03.12.2012 Klage erhoben, mit der sie zunächst begehrt haben, die Einkünfte der Klägerin in Höhe von 20.436 € nicht der deutschen Besteuerung zu unterwerfen, sondern lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

7Am 19.09.2013 hat ein Erörterungstermin vor der Berichterstatterin stattgefunden. Im Rahmen dieses Erörterungstermins haben die Kläger ihr Begehren dahingehend eingeschränkt, dass Verpflegungsmehraufwendungen nur noch für Januar 2009, und nicht wie bisher für Januar bis April 2009, zu berücksichtigen seien.

8Die Kläger machen geltend, die Einkünfte der Klägerin seien im Inland von der Besteuerung freizustellen und unterlägen dem Progressionsvorbehalt.

9Die Kläger beantragten,

10den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 dahingehend zu ändern, dass die ausländischen Einkünfte der Klägerin nicht als steuerpflichtig behandelt werden, sondern lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

11Der Beklagte beantragt,

12              die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

13Der Beklagte macht geltend, der BRD stehe das Besteuerungsrecht zu. Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der BRD und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 26.03.1987 (DBA-Jugoslawien) seien erfüllt. Bei der OSZE-Mission im Kosovo handele es sich weder um eine Betriebsstätte noch um eine feste Einrichtung der OSZE i. S. des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien. Die OSZE-Mission im Kosovo habe die Vergütungen auch nicht getragen. Außerdem hätten die Kläger nicht gem. § 50d Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nachgewiesen, dass der Kosovo auf sein Besteuerungsrecht verzichtet habe.

14Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 19.09.2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

15Entscheidungsgründe:

16Angesichts des Einverständnisses der Beteiligten hält der Senat es für sachgerecht, gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

17Die Klage ist begründet.

18Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

191. Die Klägerin erzielt durch ihre Tätigkeit bei der OSZE-Mission im Kosovo Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Da die Klägerin im Streitjahr im Inland einen Wohnsitz hatte, unterliegt sie grundsätzlich mit sämtlichen Einkünften der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 8 der Abgabenordnung –AO–). Diese Einkünfte der Klägerin aus der Tätigkeit bei der OSZE-Mission im Kosovo sind jedoch im Inland steuerfrei und unterliegen gem. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt. Das Besteuerungsrecht der BRD hinsichtlich dieser Einkünfte ist durch das DBA-Jugoslawien, das nach der Vereinbarung der BRD und der Bundesrepublik Jugoslawien vom 20.03.1997 (BGBl II 1997, 961) auch nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien weiter anzuwenden ist, ausgeschlossen.

202. Die Einnahmen der Klägerin sind nach Maßgabe von Art. 16 Abs. 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 1 DBA-Jugoslawien von der inländischen Besteuerung freizustellen. Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte steht dem Kosovo zu.

21a) Gem. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 DBA-Jugoslawien können Einkünfte aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich nur im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Tätigkeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 DBA-Jugoslawien). Gem. Art. 24 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien werden bei einer in der BRD ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Jugoslawien ausgenommen, die nach diesem Abkommen in Jugoslawien besteuert werden können.

22b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

23Da die Klägerin im Streitjahr im Inland einen Wohnsitz und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatte, ist sie abkommensrechtlich in Deutschland ansässig (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien). Sie war auch bis zum 09.04.2009 aktiv für die OSZE-Mission im Kosovo tätig und hat dort ihre Tätigkeit ausgeübt. Die ihr zugeflossenen Tagegelder rühren, auch soweit sie erst während des Mutterschutzes und während der Gewährung des Resturlaubs ausgezahlt wurden, insgesamt aus dieser Tätigkeit her. Auch bei nachträglich ausbezahltem Arbeitslohn handelt es sich um entsprechende Einkünfte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 12.01.2011 I R 49/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH –BFHE– 232, 436, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2011, 446, unter II.3.a, zu Bezügen, welche ein in Frankreich ansässiger Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber für eine in Deutschland ausgeübte nichtselbständige Arbeit während der Freistellungsphase nach dem sog. Blockmodell im Rahmen der Altersteilzeit erhält).

243. Dem Besteuerungsrecht des Kosovo steht Art. 16 Abs. 2 DBA-Jugoslawien nicht entgegen.

25a) Das Besteuerungsrecht des Kosovo entfällt, wenn die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 DBA-Jugoslawien erfüllt sind. Nach dieser Regelung steht dem Ansässigkeitsstaat – hier der BRD – das alleinige Besteuerungsrecht zu, wenn

26

  • 27der Empfänger – der Arbeitnehmer – sich im anderen Staat (Kosovo) insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält (Art. 16 Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien) und
  • 28die Vergütungen von einer Person oder für eine Person gezahlt werden, die nicht im anderen Staat (Kosovo) ansässig ist, (Art. 16 Abs. 2 Buchst. b DBA-Jugoslawien) und
  • 29die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, welche die Person im anderen Staat (Kosovo) hat (Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien).

30b) Im Streitfall sind nicht sämtliche in Art. 16 Abs. 2 Buchst. a bis c DBA-Jugoslawien genannten Voraussetzungen erfüllt. Es liegen nur die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. a und b DBA-Jugoslawien vor, nicht aber die des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien.

31aa) Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien sind erfüllt, da die Klägerin sich an weniger als 183 Tagen während des Streitjahres im Kosovo aufgehalten hat.

32bb) Auch die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. b DBA-Jugoslawien liegen vor, denn die Tagegelder wurden von einer Person, der OSZE, gezahlt, die nicht im Kosovo, sondern in Wien (Österreich), ansässig ist. Der in dem DBA-Jugoslawien verwendete Begriff „Person“ ist gleichgestellt mit dem Begriff des Arbeitgebers in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) (vgl. Raber in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Jugoslawien Art. 16 Tz. 17). Arbeitgeberin der Klägerin ist – entgegen der Ansicht der Kläger – nicht die OSZE-Mission im Kosovo, sondern die OSZE in Wien. Auch der BFH hat in seinem Urteil vom 20.08.2008 (I R 35/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2009, 26, unter II.3.c) ausgeführt, bei einer Mitarbeiterin der OSZE-Mission im Kosovo habe ein Dienstverhältnis zwischen der OSZE (in Wien) und ihr bestanden.

33cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien nicht erfüllt. Die Tagegelder wurden nämlich von einer festen Einrichtung getragen, welche die Person (OSZE) im anderen Staat (Kosovo) hat.

34(1) Bei der OSZE-Mission im Kosovo handelt es sich um eine feste Einrichtung der OSZE im Kosovo.

35Durch die Formulierung „feste Einrichtung“ in Art. Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien sollen Fälle in die Regelung mit einbezogen werden, in denen der Arbeitgeber keine unternehmerische Tätigkeit, sondern eine selbständige Arbeit i. S. des Art. 15 DBA-Jugoslawien ausübt, für die ihm eine feste Einrichtung zur Verfügung steht (vgl. Raber in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Jugoslawien Art. 16 Tz. 18 i. V. m. Wassermeyer/Schwenke in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15 Tz. 129). Eine feste Einrichtung liegt vor, wenn eine bestimmte selbständige unternehmerische Tätigkeit durch eine Geschäftseinrichtung mit einer festen örtlichen Bindung ausgeübt wird und der Bezug der Tätigkeit zum Ort der Ausübung auf eine gewisse Dauer angelegt ist (BFH-Urteil vom 28.06.2006 I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100, unter II.3.; BFH-Urteil vom 02.12.1992 I R 77/91, BFHE 170, 126, unter II.1. zur ständigen Einrichtung i. S. des Art. 12 Abs. 2 DBA-Frankreich).

36Die OSZE-Mission im Kosovo verfügt im Kosovo über feste Geschäftseinrichtungen, die auf eine gewisse Dauer angelegt sind. Die OSZE-Mission im Kosovo wurde im Jahr 1999 ins Leben gerufen. Sie hat dort fünf Außenstellen, nämlich in Gjilan, Mitrovica, Peć, Priština und Prizren, beschäftigt ca. 1.200 Bedienstete und verfügt über ein Budget von jährlich über 20 Mio. € (OSCE Mission in Kosovo Fact Sheet 2013, facts and figures, unter www.osce.org/kosovo).

37Gegen die Einordnung der OSZE-Mission im Kosovo als feste Einrichtung der OSZE spricht nach Ansicht des Senats nicht, dass die OSZE kein Unternehmen ist, das eine Geschäftstätigkeit i. S. des Art. 7 DBA-Jugoslawien oder eine selbständige Arbeit i. S. des Art. 15 DBA-Jugoslawien ausübt. Internationalen Organisationen, Vertragsstaaten und deren Gebietskörperschaften üben grundsätzlich keine Geschäftstätigkeit und keine selbständige Arbeit aus. Dies allein kann nach Ansicht des Senats jedoch nicht dazu führen, dass das Besteuerungsrecht an den Wohnsitzstaat zurückfällt.

38(2) Die OSZE-Mission im Kosovo hat die an die Klägerin gezahlten Vergütungen getragen.

39Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, kommt es für die Frage, wer im Sinne dieser Vorschrift den Arbeitslohn getragen hat, darauf an, ob eine Betriebsstätte oder feste Einrichtung wirtschaftlich gesehen mit dem Arbeitslohn belastet ist. Hierfür ist allein entscheidend, ob und ggf. in welchem Umfang die von dem Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit nach den Grundsätzen der Betriebsstättenbesteuerung (Art. 7 DBA-Jugoslawien und Art. 15 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien) der Betriebsstätte oder der festen Einrichtung zuzuordnen ist. Ob das Stammhaus später den Arbeitslohn für die Zeit, für die der Arbeitnehmer für das Stammhaus im Ausland tätig war, erstattet oder dies intern auf anderem Weg verrechnet wird, ist unerheblich. Das Besteuerungsrecht steht allein dem Staat des Arbeitsorts zu, soweit die Tätigkeit des Arbeitnehmers objektiv der dortigen Betriebsstätte oder der dortigen festen Einrichtung zuzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819, unter II.4.b; ebenso Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 30.05.2000 9 K 228/95, Entscheidung der Finanzgerichte 2000, 941, beide zur Betriebsstätte).

40Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die OSZE-Mission im Kosovo die Tagegelder der Klägerin getragen. Die OSZE-Mission im Kosovo war durch diese wirtschaftlich belastet. Die Klägerin war im fraglichen Zeitraum für die OSZE-Mission im Kosovo tätig. Die OSZE-Mission hat die Tagegelder unmittelbar mit der Klägerin abgerechnet und sie ausgezahlt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist insoweit nicht entscheidungserheblich, dass die OSZE (in Wien) der OSZE-Mission im Kosovo das Budget zur Verfügung gestellt hat. Maßgeblich ist, dass die Tätigkeit der Klägerin objektiv der OSZE-Mission im Kosovo zuzuordnen ist.

414. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG begründet kein Besteuerungsrecht der BRD an den der Klägerin zugeflossenen Einkünften.

42Nach dieser Vorschrift wird, wenn Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind, die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dabei erfasst § 50d Abs. 8 EStG die Fälle, in denen Einkünfte nicht oder zu gering besteuert werden, weil die Vertragsstaaten entweder von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen oder das Abkommen unterschiedlich auslegen, z. B. weil sie ein unterschiedliches Verständnis von Abkommensbegriffen haben (BFH-Urteil vom 05.03.2008 I R 54/07, I R 55/07, BFH/NV 2008, 1487, unter II.3.b).

43Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sind nicht erfüllt.

44Der Kosovo hat die Tagegelder der Klägerin nicht aufgrund einer abweichenden Auslegung von Bestimmungen des DBA-Jugoslawien oder deshalb nicht besteuert, weil er einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Die unterbliebene Besteuerung beruht darauf, dass der Kosovo nach Art. 7 Abs. 1.4 des Law No. 03/L-115 on personal income tax i. V. m. Section 1 der Regulation No. 2000/47 vom 18.08.2000 on the status, privileges and immunities of KFOR und UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, deutsch: Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo) and their personnel in Kosovo Gehälter von Angestellten der OSZE nicht besteuert. Nach diesen Regelungen sind Löhne von ausländischen „UNMIK“-Angestellten steuerfrei. Gem. Section 1 der Regulation No. 2000/47 wird die OSZE als Teil der UNMIK angesehen. Der Kosovo ist sich mithin als Ausübungsort der nichtselbständigen Tätigkeit der Mitarbeiter der OSZE-Mission seines Besteuerungsrechts hinsichtlich dieser Einkünfte bewusst, hat jedoch auf dieses verzichtet.

455. Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte ermitteln sich wie folgt:

46

Einnahmen 24.237,30 €
Flugkosten 1.619,72 €
Telefonkosten 183,83 €
Verpflegungsmehraufwendungen 1.014,00 €
Einkünfte 21.419,75 €
abgerundet 21.419,00 €

476. Der Senat berechnet die festzusetzende Einkommensteuer 2009 wie folgt:

48

zu versteuerndes Einkommen bisher „…“ €
Verminderung Einkünfte Klägerin -20.436 €
zu versteuerndes Einkommen neu „…“ €
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt bisher 3.860 €
Erhöhung Einkünfte Klägerin + 21.419 €
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt neu 25.279 €
zu versteuern nach Splittingtarif „…“ €
Ermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen -251 €
dazu Kindergeld 920 €
festzusetzende Einkommensteuer „…“ €

497. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Kläger sind nur zu einem geringen Teil unterlegen.

508. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Besteuerung von durch internationale Organisationen gezahlten Vergütungen erscheint für den Fall, dass der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält, grundsätzlich klärungsbedürftig.

519. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Betriebsprüfung für Zeitraum von elf Jahren rechtmäßig

Die Beteiligten stritten um die Rechtmäßigkeit einer Betriebsprüfungsanordnung. Die klagende Gesellschaft betrieb ein Restaurant. Im Februar 2011 gab einer ihrer Gesellschafter eine Selbstanzeige beim Finanzamt ab, in der er Kapitalerträge für die Jahre 2000 bis 2009 nacherklärte. Im März 2011 zeigte die Klägerin dem Finanzamt an, dass der Gesellschafter jährlich ca. 24.000 Euro an Trinkgeldern erzielt habe und diese als steuerfrei behandelt worden seien. Im August 2012 ordnete das Finanzamt – ohne weitere Begründung – eine steuerliche Außenprüfung für die Jahre 2000 bis 2010 bei der Gesellschaft an. Im Anschluss daran wurden steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Gesellschafter eingeleitet.

Die Klägerin wandte sich gegen die Prüfungsanordnung und machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Dagegen wies das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung auf den bestehenden Verdacht einer Steuerstraftat und die Wahrscheinlichkeit erheblicher Mehrergebnisse hin.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Die Prüfungsanordnung sei formell rechtmäßig, insbesondere ausreichend begründet worden. Bei Gewerbetreibenden genüge der Hinweis auf die einschlägige Ermächtigungsgrundlage der Abgabenordnung. Zudem sei die Abweichung vom Regel-Prüfungszeitraum in der Einspruchsentscheidung nachträglich erläutert worden.

Auch in der Sache sei die Prüfungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie habe zulässigerweise mehr als drei Jahre umfasst. Die in der Betriebsprüfungsordnung aufgeführten Ausnahmetatbestände (Erwartung erheblicher Änderungen, Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit) seien unter Zugrundelegung der Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung erfüllt. Schließlich begründeten die laufenden Ermittlungsverfahren keinen Ermessensfehler.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 13 K 4630/12 vom 26.09.2013, Newsletter Oktober 2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 4630/12 AO

Datum:
26.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4630/12 AO
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

1Tatbestand:

2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung.

3Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr „A“ und Herr „B“ zu je 50% beteiligt sind. Die Klägerin betreibt seit 1995 in „E-Stadt“ den Restaurationsbetrieb „C“. Der Gesellschafter Herr „B“ ist nicht in das operative Tagesgeschäft des Restaurationsbetriebs eingebunden.

4Der Gesellschafter Herr „A“ gab am 08.02.2011 eine Selbstanzeige bei dem Beklagten ab. In dieser erklärte er für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt über 130.000 € nach.

5Die Klägerin gab mit Schreiben vom 25.03.2011 für alle noch nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume eine Erklärung nach § 153 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Beklagten ab. Darin führte sie aus, der Gesellschafter Herr „A“ habe jährlich ca. 24.000 € Einnahmen aus Trinkgeldern erzielt, die bisher entsprechend der Regelung in § 3 Nr. 51 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerfrei behandelt worden seien.

6Mit Prüfungsanordnung vom 27.08.2012 – die keine weitere Begründung enthielt – ordnete der Beklagte bei der Klägerin gem. § 193 Abs. 1 AO die steuerliche Außenprüfung für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010 an.

7Der Beklagte begann am 28.08.2012 mit der Außenprüfung. Am selben Tag fand eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der Klägerin durch Beamte des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ statt. Im Rahmen der Außenprüfung reichte die Klägerin die Buchführungsunterlagen für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 beim Beklagten ein.

8Die Klägerin legte mit Schreiben vom 03.09.2012 gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein. Sie machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Sofern dieser regelmäßige Prüfungszeitraum überschritten werde, bedürfe die Prüfungsanordnung einer substantiierten Begründung.

9Der Beklagte führte mit Schreiben vom 13.09.2012 aus, die Prüfungsanordnung umfasse gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei.

10Im September 2012 gelangte der Beklagte aufgrund einer anonymen Anzeige in den Besitz von an die Klägerin adressierten Lieferscheinen, die ihn vermuten ließen, der Wareneinkauf sei in der Buchführung der Klägerin nicht vollständig erfasst.

11Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ leitete daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Herrn „A“ ein.

12Mit Schreiben vom 30.10.2012 erweiterte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ das Strafverfahren gegen den Gesellschafter Herrn „B“ wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens der Klägerin für die Jahre 2005 bis 2010.

13Am 14.11.2012 fand eine Schlussbesprechung im Rahmen der Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 statt, die Hinzuschätzungen anhand eines Zeitreihenvergleichs zum Gegenstand hatte.

14Der Beklagte, der den Einspruch dahingehend auslegte, dass sich dieser nur  gegen die Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2007 richte, wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, dass der Prüfungszeitraum gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 drei Besteuerungszeiträume übersteigen könne, wenn der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe. Diese Voraussetzung liege im Streitfall vor. Diese Voraussage werde gestützt auf die Einleitung der Strafverfahren in Sachen der einzelnen Gesellschafter der Klägerin hinsichtlich des Verdachts von Schwarzeinnahmen und deren Zuordnung unter Berücksichtigung der dem Beklagten vorliegenden Unterlagen und Erkenntnisse. Dass das Strafverfahren lediglich für die Jahre 2005 bis 2010 eingeleitet worden sei, habe ausschließlich strafprozessuale Gründe. Ferner sei aufgrund unterschiedlicher Verprobungsmethoden, die für den Prüfungszeitraum 2008 bis 2010 durchgeführt worden seien, mit erheblichen Mehrergebnissen zu rechnen. Es sei wahrscheinlich, dass in dem davor liegenden Zeitraum 2000 bis 2007 gleichermaßen erhebliche Mehrsteuern zu erwarten seien. Hierzu sei lediglich eine Prognoseentscheidung erforderlich.

15Mit Teil-Betriebsprüfungsbericht betreffend die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 vom 30.11.2012 vertraten die Prüfer die Auffassung, dass die Kassenbuchführung der Klägerin Buchführungsmängel aufweise. Deshalb schätzten sie anhand eines Zeitreihenvergleichs Erlöse von netto 643.500 € (2008), 575.000 € (2009) und 532.000 € (2010) hinzu.

16Die Klägerin hat am 17.12.2012 Klage gegen die Prüfungsanordnung erhoben.

17Sie macht geltend, dass die Strafverfahren gegen ihre beiden Gesellschafter zeitlich erst nach Erlass der Prüfungsanordnung eingeleitet worden seien. Deshalb hätte es zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums in der Prüfungsanordnung einer Darstellung der konkreten Verdachtsmomente bedurft. Eine Selbstanzeige eines Gesellschafters für Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 sei nicht geeignet, die Anordnung einer Außenprüfung für insgesamt elf Veranlagungszeiträume einer gewerblich tätigen GbR zu rechtfertigen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die nachträglich erklärten Einkünfte des Gesellschafters Herrn „A“ aus der Anlage von erhaltenen Trinkgeldern aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammten, welche dem Beklagten im Rahmen der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 angezeigt worden seien. Soweit die aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammenden Einnahmen des Gesellschafters Herrn „A“ aus Trinkgeldern entsprechend § 3 Nr. 51 EStG als steuerfrei behandelt worden seien, erscheine das Vorliegen einer Steuerhinterziehung äußerst zweifelhaft. Denn der Gesellschafter Herr „A“ habe in der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 den relevanten Sachverhalt gegenüber dem Beklagten vollständig dargelegt. Der erweiterte Prüfungszeitraum könne auch nicht mit der Durchführung verschiedener Verprobungsmethoden begründet werden. Denn etwaige Erkenntnisse aus einem – allein durchgeführten – Zeitreihenvergleich hätten bei Erlass der Prüfungsanordnung noch nicht vorgelegen. Hinsichtlich der Frage, ob die Prüfungsanordnung ermessensfehlerfrei ergangen sei, könne nicht auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt werden. Denn Tatsachen und Beweismittel, die erst im Rahmen von Prüfungshandlungen ermittelt und aufgefunden würden, dürften nicht nachträglich zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums herangezogen werden. Soweit das Gericht in dem Beschluss im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vom 25.03.2013 auf die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677) Bezug genommen habe, beträfen diese jeweils Sachverhalte, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert worden sei. Vorliegend gehe es jedoch nicht um eine Prüfungserweiterung, sondern um einen Prüfungszeitraum, der von vorneherein den dreijährigen Regelzeitraum überschreite. Außerdem werde die Außenprüfung im Streitfall möglicherweise als Maßnahme zur Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten eingesetzt.

18Die Klägerin beantragt,

19die Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 insoweit aufzuheben, als die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

20Der Beklagte beantragt,

21die Klage abzuweisen.

22Er trägt vor, für die Ausweitung des Prüfungszeitraums über drei Veranlagungszeiträume hinaus reiche der Verdacht einer Straftat aus. Aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafters Herrn „A“ und aufgrund der Berichtigungserklärung vom 25.03.2012 habe bei Erlass der Prüfungsanordnung ein solcher Verdacht bestanden. Dieser sei zudem durch die im September 2012 eingegangene anonyme Anzeige bestätigt worden. Die Einleitung des Strafverfahrens sei nicht erforderlich.

23Entscheidungsgründe:

24Das Gericht legt die Klage dahingehend aus, dass die Klägerin von vorneherein nur die Aufhebung der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung, soweit die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, begehrte. Dies hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.09.2013 bestätigt.

25Die Klage ist unbegründet.

261. Die Anordnung der steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

27a) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist formell rechtmäßig.

28aa) Die auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung entspricht den formellen Anforderungen des § 196 AO. Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung schriftlich erteilt und das Prüfungssubjekt (Klägerin) sowie den Prüfungsumfang (gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010) hinreichend bezeichnet.

29bb) Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung auch hinreichend begründet. Eine Prüfungsanordnung ist gem. § 196 AO schriftlich zu erteilen und deshalb nach § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist.

30Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, genügt bei Steuerpflichtigen, bei denen nach § 193 Abs. 1 AO eine Außenprüfung zulässig ist (Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte sowie Freiberufler), als Begründung für die Anordnung einer Außenprüfung grundsätzlich der Hinweis auf die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO (BFH-Beschlüsse vom 26.06.2007 V B 97/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2007, 1805, unter II.1.b cc; vom 11.06.2004 IV B 231/02, BFH/NV 2004, 1501, unter 1.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin betreibt einen Restaurationsbetrieb und unterliegt deshalb gem. § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung. Nach der Rechtsprechung muss die Begründung der Prüfungsanordnung jedoch die Ermessenserwägungen erkennen lassen, wenn von dem nach § 4 Abs. 3 BpO 2000 von der Finanzverwaltung im Wege einer Selbstbindung ihres Ermessens festgelegten Prüfungszeitraum abgewichen wird (BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c). Dabei reicht es aus, wenn die erforderliche Begründung in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf enthalten ist, denn nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO kann die notwendige Begründung auch nachträglich bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. noch zu früheren Gesetzeslage, nach der die Begründung bis zum Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nachgeholt werden konnte: BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.1.). Im Streitfall liegt eine Abweichung von dem nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 regelmäßig vorgesehenen Prüfungszeitraum von drei zusammenhängenden Besteuerungszeiträumen vor. Der Beklagte ordnete einen Prüfungszeitraum von elf Veranlagungszeiträumen (2000 bis 2010) an. Diese Abweichung hat der Beklagte zwar nicht im Rahmen der Prüfungsanordnung vom 27.08.2012, jedoch in dem Schreiben vom 13.09.2012, in dem er ausführte, die Prüfungsanordnung umfasse den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei, sowie – ausführlicher – in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 hinreichend begründet.

31b) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist auch materiell rechtmäßig.

32aa) Die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin erzielt durch den Restaurationsbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

33bb) Der Erlass der Prüfungsanordnung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.

34aaa) Die Prüfungsanordnung ist hinsichtlich des angeordneten Prüfungszeitraums ermessensfehlerfrei ergangen.

35Gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann die Außenprüfung eine oder mehrere Steuerarten und einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen. Der zeitliche Umfang einer Außenprüfung liegt daher im Ermessen der Finanzbehörde. Da die Finanzbehörde aufgrund ihrer begrenzten Prüfungskapazitäten nicht sämtliche gemäß § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen für alle Besteuerungszeiträume prüfen kann, muss sie unter den zu prüfenden Betrieben und hinsichtlich des Prüfungsumfangs eine Auswahl treffen. Das der Finanzbehörde zustehende Ermessen ist allerdings durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften BpO 2000 vom 15.03.2000 (BStBl I 2000, 368, zuletzt geändert durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 20.07.2011, BStBl I 2011, 710) eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (BFH-Urteil vom 08.12.1993 XI R 69/92, BFH/NV 1994, 500). Der Erlass einer Prüfungsanordnung kann als Ermessensentscheidung vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 Satz 1 FGO).

36Nach § 4 Abs. 1 BpO 2000 bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei soll nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 bei anderen als den in § 4 Abs. 2 BpO 2000 genannten Betrieben – zu denen derjenige der Klägerin nicht gehört – der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann jedoch gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Die in § 4 Abs. 3 BpO 2000 getroffene Regelung selbst ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ermessensgerecht (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 XI B 207/04, BFH/NV 2006, 9, unter 1.). Ob mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d. h. der Einspruchsentscheidung, und nicht wie die Klägerin meint, nach den Verhältnissen bei Erlass der Prüfungsanordnung (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4., wonach bei einer Entscheidung durch die Oberfinanzdirektion über eine Erweiterung des Prüfungszeitraums die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich waren; ebenso BFH-Urteil vom 01.08.1984 I R 138/80, BStBl II 1985, 350, unter II.1.b bb; BFH-Urteil vom 14.09.1993 VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II.2.a). Die Behörde muss in die letzte Verwaltungsentscheidung alle ihr bekannten Umstände einbeziehen. Der BFH hat insoweit zu der Erweiterung eines Prüfungszeitraums ausgeführt, bei der Entscheidung über eine solche Erweiterung müssten auch bereits für diesen Zeitraum bekanntgewordene Prüfungsergebnisse berücksichtigt werden, falls trotz der Anfechtung der Prüfungsanordnung die erweiterte Prüfung ganz oder teilweise durchgeführt worden sei. Diese Auffassung wirke sich zu Lasten des Steuerpflichtigen aus, wenn sich erst durch diese Prüfung Anhaltspunkte für nicht unerhebliche Nachforderungen ergeben hätten. Sie wirke sich zu Gunsten aus, wenn nach den Ergebnissen der ursprünglichen Prüfung mit nicht unerheblichen Mehrsteuern im erweiterten Prüfungszeitraum zu rechnen gewesen sei, diese Erwartungen sich aber nach den im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannten Ergebnisse der erweiterten Prüfung nicht bewahrheitet hätten (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4.).

37Die angefochtene Prüfungsanordnung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Sie entspricht der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 und umfasst zulässigerweise mehr als drei, nämlich elf, zusammenhängende Besteuerungszeiträume.

38Im Streitfall war im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als der maßgeblichen letzten Verwaltungsentscheidung der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit gegeben. Auf diesen Verdacht stützte der Beklagte sowohl im Schreiben vom 13.09.2012 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 den Prüfungszeitraum. Er machte insoweit geltend, dass bereits vor Ergehen der Einspruchsentscheidung Strafverfahren gegen die Gesellschafter der Klägerin eingeleitet worden waren. Für den Erlass einer mehr als drei Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungsanordnung ist insoweit nicht entscheidend, ob eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit begangen oder nicht begangen wurde. Maßgeblich ist nur, ob der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit besteht. Dies ist vorliegend bereits aufgrund der Einleitung der Strafverfahren der Fall. Entgegen der Ansicht der Klägerin mussten die konkreten Verdachtsmomente auch nicht im Einzelnen dargestellt werden. Der Hinweis in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012, dass ein Verdacht von Schwarzeinnahmen bestehe, genügt insoweit.

39Im Streitfall war außerdem im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen. Aufgrund der bei Erlass der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 bereits für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 durchgeführten Außenprüfung, bei der Buchführungsmängel festgestellt wurden, ergaben sich aufgrund der angewandten Verprobungsmethode erhebliche Mehreinnahmen für diese Veranlagungszeiträume. Es war von dem Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, auch für die Vorjahre ähnliche Buchführungsmängel und Mehreinnahmen zu erwarten. Der Hinweis auf die erwarteten Mehrsteuern für den Zeitraum 2000 bis 2007 in der Einspruchsentscheidung genügt insoweit. Denn der Beklagte hat der Klägerin das Ergebnis seiner Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 bereits in der Schlussbesprechung am 14.11.2012 und damit vor Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 mitgeteilt.

40Soweit die Klägerin zutreffend darauf hinweist, dass die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677), in denen der BFH die Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als maßgeblich angesehen hat, jeweils Sachverhalte betreffen, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert wurde, lässt sich daraus nicht folgern, dass es vorliegend auf den Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung ankommt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist bei Ermessensentscheidungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. allgemein zu Ermessensentscheidungen: von Groll in: Gräber, FGO, 7. Auflage, § 102 Rn. 13; BFH-Urteil vom 28.06.2000 X R 24/95, BStBl II 2000, 514, unter II.2.c; BFH-Urteil vom 11.06.1997 X R 14/95, BStBl II 1997, 642, unter II.1.; BFH-Urteil vom 26.03.1991 VII R 66/90, BStBl II 1991, 545). Dies muss gleichermaßen bei der unmittelbaren Anordnung einer Außenprüfung für mehr als drei Veranlagungszeiträume wie auch bei der Erweiterung einer Außenprüfung gelten.

41bbb) Die Prüfungsanordnung ist auch, obwohl das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ inzwischen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Gesellschafter der Klägerin eingeleitet hat, ermessensfehlerfrei.

42Nach der Rechtsprechung des BFH sind Ermittlungen im Rahmen einer Außenprüfung nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nicht ausgeschlossen. Es besteht keine sich gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung. Die Zulässigkeit des Nebeneinanders von Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung ergibt sich eindeutig aus § 393 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Dementsprechend hindert die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens weitere Ermittlungen durch die Außenprüfung nicht. Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt auch bei Verdacht einer Steuerstraftat. Mit welchen Mitteln oder auf welche Weise sie dieser Ermittlungspflicht nachkommt, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Praktikabilität (vgl. BFH-Beschluss vom 03.04.2003 XI B 60/02, BFH/NV 2003, 1034, unter 1.a; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.2.).

43Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Beklagte nicht gehindert, eine Außenprüfung bei der Klägerin anzuordnen und diese Außenprüfung durchzuführen. Insbesondere liegt im Streitfall kein Anlass dafür vor, die Finanzbehörden von vornherein ausschließlich auf eine Steuerfahndungsprüfung zu verweisen.

442. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

453. Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO).

Umsatzsteuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 UStG)

Mit Urteil vom 15. November 2012, C-532/11 (BStBl 2013 II S. XXX), hat der EuGH u. a entschieden, dass die Steuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken auch die Verpachtung eines Hausboots einschließlich der dazugehörenden Liegefläche und Steganlage umfasst, wenn das Hausboot mit nicht leicht zu lösenden Befestigungen, die am Ufer oder auf dem Grund eines Gewässers angebracht sind, ortsfest gehalten wird, an einem abgegrenzten und identifizierbaren Liegeplatz im Gewässer liegt und nach den Bestimmungen des Pachtvertrages ausschließlich zur auf Dauer angelegten Nutzung an diesem Liegeplatz bestimmt ist. Diese Verpachtung stellt nach Ansicht des EuGH insgesamt eine einheitliche steuerfreie Leistung dar.

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 4.12.1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 31. Oktober 2013 – IV D 3 – S 7170/13/10002 (2013/0984292), BStBl I S. xxxx, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1.Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Zum Begriff des Grundstücks vgl. im Einzelnen Abschnitt 3a.3 Abs. 2 Sätze 2 und 3.“

2. In Absatz 4 wird folgender Satz 4 angefügt:

4Gleiches gilt für die Verpachtung eines Hausboots einschließlich der dazugehörenden Liegefläche und Steganlage, wenn das Hausboot mit nicht leicht zu lösenden Befestigungen, die am Ufer oder auf dem Grund eines Gewässers angebracht sind, ortsfest gehalten wird und an einem abgegrenzten und identifizierbaren Liegeplatz im Gewässer liegt sowie vertraglich und tatsächlich auf Dauer ausschließlich ortsfest und damit wie ein mit einem Grundstück fest verbundenes Gebäude genutzt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 15. 11. 2012, C-532/11, BStBl 2013 II S. XXX).“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 31. Dezember 2013 erbrachte Umsätze und Teilleistungen wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.12.1 Abs. 4 Satz 4 UStAE als umsatzsteuerpflichtig behandelt.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7168 / 12 / 10002 vom 31.10.2013

BMF: Umsatzsteuerliche Behandlung von labordiagnostischen Typisierungsleistungen

Nach Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 Satz 4 und 5 UStAE sind labordiagnostische Typisierungs-leistungen, die im Rahmen der Vorbereitung einer Stammzellentransplantation zur Suche nach einem geeigneten Spender für die Behandlung einer lebensbedrohlich erkrankten Person durch Einrichtungen erbracht werden, die durch das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland beauftragt werden, gemäß § 4 Nr. 14 Buchstabe b Satz 2 Doppelbuchstabe bb UStG umsatzsteuerfrei.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird in Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 28. Oktober 2013 – IV D 3 – S-7160-h / 08 / 10002 (2013/0976379), BStBl I S. XXXX, geändert worden ist, nach Satz 5 folgender neuer Satz 6 angefügt:

„6) Die vertragliche Regelung zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland schließt auch labordiagnostische Typisierungsleistungen von durch zugelassene Spenderdateien beauftragte Labore mit ein.“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Umsätze, die vor dem 1. Januar 2014 erbracht werden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 Satz 6 UStAE umsatzsteuerpflichtig behandelt.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7170 / 13 / 10002 vom 31.10.2013

Eine Einkommensteuererstattung, die aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit resultiert, gehört nicht zur Insolvenzmasse!

Der 14. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem am 04.11.2013 veröffentlichten Urteil vom 27. September 2013 (14 K 1917/12 AO) entschieden, dass der durch eine vom Insolvenzverwalter freigegebene Tätigkeit erworbene Einkommensteuererstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt. Er kann daher vom Finanzamt mit vorinsolvenzrechtlichen Steuerschulden verrechnet werden.

Über das Vermögen des Insolvenzschuldners war im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Als Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt. Der Insolvenzschuldner war weiterhin als gewerblicher Dienstleister selbständig tätig. Diese Tätigkeit hatte der Kläger noch im Jahr 2009 aus der Insolvenzmasse freigegeben (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Das beklagte Finanzamt setzte für das Jahr 2010 Einkommensteuervorauszahlungen gegenüber dem Insolvenzschuldner fest, der die Vorauszahlungen aus seinem insolvenzfreien Vermögen leistete. Im Jahr 2011 erließ das Finanzamt einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010. Den sich danach zugunsten des Insolvenzschuldners ergebenden Erstattungsanspruch verrechnete das Finanzamt mit dessen Einkommensteuerrückständen aus dem Jahr 2009. Der Kläger sah dies als unzulässig an und begehrte die Auszahlung des Erstattungsanspruchs zur Insolvenzmasse. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Zu Recht, wie jetzt der 14. Senat des Finanzgerichts Münster bestätigt hat. Entgegen der Auffassung des Klägers stehe § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch das Finanzamt nicht entgegen. Werde eine selbständige Tätigkeit – wie im Streitfall – vom Insolvenzverwalter ohne Einschränkung freigegeben, gehörten die Forderungen und Verbindlichkeiten, die hierdurch veranlasst seien, nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen. Dies gelte auch für Steuerschulden und Steuererstattungsansprüche. Der Insolvenzschuldner müsse nicht nur die im Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit entstehenden Steuern zahlen, sondern habe konsequenterweise auch einen Anspruch auf Erstattung überzahlter Beträge. Die vom Bundesfinanzhof für Umsatzsteuervergütungsansprüche entwickelte Rechtsprechung sei auf Einkommensteuererstattungsansprüche zu übertragen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 04.11.2013 zum Urteil 14 K 1917/12 vom 27.09.2013

Finanzgericht Münster, 14 K 1917/12 AO

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 1917/12 AO
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Streitig ist, ob ein Einkommensteuer(ESt)-Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört.

3Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn X   K   (K   ) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 21.12.2009 eröffnet. K   betrieb sowohl vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen gewerblichen Dienstleistungsbetrieb. Mit Schreiben vom 22.12.2009 gab der Kläger die vorgenannte selbstständige Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 1, 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

4″Insolvenzverfahren über das Vermögen des …

5hier: Freigabe selbstständige Tätigkeit

6Sehr geehrter Herr K   ,

7in der vorgenannten Angelegenheit sind Sie unter der Anschrift … selbstständig tätig. Geschäftsgegenstand sind Montagearbeiten, Sonstige Tätigkeiten und Arbeiten für andere Unternehmen. Diese selbstständige Tätigkeit gebe ich hiermit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO aus der Insolzvenzmasse zu Ihren Gunsten frei. Auf § 295 Abs. 2 InsO weise ich vorsorglich hin.“

8Die Freigabe wurde vom Insolvenzgericht am 23.12.2009 veröffentlicht. Das Unternehmen wurde zum 30.06.2010 abgemeldet.

9Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einkünfte aus der freigegebenen gewerblichen Tätigkeit setzte der Beklagte mit Bescheid vom 09.12.2009, zuletzt geändert am 15.02.2011, für das I. bis III. Quartal 2010 jeweils ESt-Vorauszahlungen i.H.v. 278 € gegenüber K   und seiner mit ihm zusammen zur ESt veranlagten Ehefrau fest. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Vorauszahlungen von dem Girokonto des K   aus dessen insolvenzfreien Vermögen bezahlt wurden.

10Die ESt 2010 für die Eheleute K   wurde mit Bescheid vom 05.05.2011 auf null festgesetzt. Hierbei wurden Einkünfte des K   aus Gewerbebetrieb i.H.v. 10.796 € und aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 8.880 € berücksichtigt. Für die Ehefrau des K    wurden keine Einkünfte angesetzt.

11Unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen i.H.v. 834 € und Säumniszuschlägen i.H.v. 18 € ergab sich ein Steuererstattungsanspruch i.H.v. 816 €. Mit Schreiben vom 09.06.2011, gerichtet an die Eheleute K   , rechnete der Beklagte den Erstattungsanspruch in voller Höhe gegen Einkommensteuerrückstände 2009 auf.

12Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 11.07.2011 die Auszahlung des ESt-Guthabens 2010 begehrt hatte, wurde am 07.03.2012 der streitgegenständliche Abrechnungsbescheid erlassen. Der Beklagte stellte hierin im Ergebnis fest, dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zustehe. Der sich aus der ESt-Veranlagung 2010 ergebende Erstattungsanspruch sei in Höhe von 18 € durch Umbuchung auf Säumniszuschläge zur ESt-Vorauszahlung IV. Quartal 2010 und in Höhe von 816 € durch Aufrechnung mit ESt-Schulden 2009 der Eheleute K   erloschen. Zur Begründung heißt es weiter, der Erstattungsanspruch sei dem insolvenzfreien Vermögen zugerechnet worden, weil aus diesem auch die zur Erstattung führenden Vorauszahlungen geleistet worden seien. Dementsprechend stehe das Guthaben zur Verrechnung mit Insolvenzforderungen zur Verfügung, zumal Aufrechnungsverbote – insbesondere § 96 Abs. 1 Nr. 1-4 InsO – nicht einschlägig seien.

13Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 als unbegründet zurückgewiesen.

14Der Kläger wandte sich sodann an das Gericht und beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) für eine gegen den Abrechnungsbescheid noch zu erhebende Klage, die sich auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 834 € richten sollte. Der Senat gewährte dem Kläger mit Beschluss vom 08.10.2012 lediglich PKH, soweit sich die beabsichtigte Klage auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 417 € beziehen würde. Begründet wurde dies damit, dass der Erstattungsanspruch auf beide Ehegatten je zur Hälfte entfalle und der Kläger allenfalls hinsichtlich der Hälfte des K    anspruchsberechtigt sein könne.

15Der Kläger hat sodann mit dem Ziel der Feststellung eines Erstattungsanspruch von 417 € Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt.

16Er ist der Auffassung, dass der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehöre. Nach § 35 InsO erfasse das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Folglich würden auch Steueransprüche, die ein Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens erlange, in die Insolvenzmasse fallen. Zu betonen sei in diesem Zusammenhang, dass etwaige Steuererstattungsansprüche von ihm – dem Kläger – auch nicht freigegeben worden seien. Nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO könne der Insolvenzverwalter lediglich Vermögen aus einer Tätigkeit freigegeben. Bei dem ESt-Erstattungsanspruch handele es sich nicht um Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis.

17Der Kläger beantragt,

18den Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 dahingehend zu ändern, dass festgestellt wird, dass er Anspruch auf Erstattung der ESt 2010 in Höhe von 417 € hat,

19hilfsweise, die Revision zuzulassen.

20Der Beklagte beantragt,

21die Klage abzuweisen,

22hilfsweise, die Revision zuzulassen.

23Er verweist darauf, dass die ESt-Vorauszahlungen in keinerlei Zusammenhang mit der „insolvenzverursachenden bisherigen Tätigkeit“ stehen würden. In dem Vorauszahlungsbescheid sei nur der aus der freigegebenen Tätigkeit zu erwartende Gewinn berücksichtigt worden, nicht aber etwaige Gewinne/Verluste aus der insolvenzbehafteten Tätigkeit. Auch habe K   die Vorauszahlungen aus seinem insolvenzfreien Vermögen bezahlt. Würde man den Erstattungsanspruch dennoch der Insolvenzmasse zurechnen, würde sich der Steuerpflichtige schlechter stellen, als wenn er die ESt-Vorauszahlungen gar nicht entrichtete hätte.

24Der Einwand des Klägers, dass keine Freigabe vorliege, weil es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit“ handele, überzeuge nicht. Denn zum einen seien die aufgrund der aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag vorbehaltlos freigegeben worden und zum anderen handele es sich auch bei ESt-Erstattungsansprüchen um Forderungen, die auf Geld gerichtet seien und damit Vermögen darstellen würden. Sei dieser Vermögensgegenstand, wie z.B. ein USt-Erstattungsanspruch, eindeutig auf die freigegebene Tätigkeit zurückzuführen, dann gehöre er nicht zur Insolvenzmasse.

25Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegte Finanzamtsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

26Entscheidungsgründe:

271. Die Klage ist zulässig.

28Insbesondere ist die Klagefrist gewahrt.

29Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist in den Fällen, in denen ein isolierter Antrag auf PKH gestellt worden ist, dem Kläger Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren, wenn dieser bis zum Ablauf der Klagefrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Erhebung der Klage geschaffen hat und er nach der –stattgebenden oder ablehnenden– Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbehelfsfrist stellt (vgl. BFH, Beschluss vom 09.04.2013 – III B 247/11, BFH/NV 2013, 1112 m.w.N).

30So verhält es sich auch hier. Der Kläger hat innerhalb der Klagefrist das PKH-Gesuch zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den entsprechenden Belegen eingereicht und die Gründe für die beabsichtigte Klage dargelegt. Außerdem hat er innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des PKH-Beschlusses vom 08.10.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

312. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

32Der Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 ist rechtmäßig.

33Streitgegenstand sind dabei lediglich die Feststellungen des Abrechnungsbescheids, die sich auf die auf K   entfallende Hälfte des Erstattungsanspruchs beziehen. Der Beklagte hat insoweit zu Recht festgestellt, dass dieser Erstattungsanspruch zum insolvenzfreien Vermögen gehört und durch Aufrechnung mit Steuerschulden des K    erloschen ist.

34Dass K   ein ESt-Erstattungsanspruch für 2010 i.H.v. 417 € zustand, dass diesem Anspruch Steuerforderungen des Beklagten für ESt 2009 und Säumniszuschläge zur ESt IV. Quartal 2010 gegenüberstanden und dass die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 AO, §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs) vorlagen, ist weder fraglich noch streitig. Streitig ist vielmehr im Wesentlichen, ob der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört, mit der Folge, dass das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Anwendung kommt. Dies ist zu verneinen.

35Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung.

36Von der Insolvenzmasse ist zum einen der vorinsolvenzrechtliche Vermögensteil abzugrenzen und zum anderen das nicht zur Insolvenzmasse gehörende insolvenzfreie Vermögen. Letzteres entsteht dann, wenn der Insolvenzverwalter einen zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese fallenden Vermögensgegenstand freigibt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten, wonach der Insolvenzverwalter in den Fällen, in denen der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt, dem Schuldner gegenüber zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

37Im Streitfall hat der Kläger die gewerbliche Tätigkeit des K   unmittelbar nach Insolvenzeröffnung, nämlich am 22.12.2009, freigegeben. Wird eine selbständige Tätigkeit freigegeben, gehören die Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen. Dies gilt auch für die Steuerschulden und Steuererstattungsansprüche, die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit stehen. Soweit der Kläger insoweit vorträgt, dass ein Insolvenzverwalter nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO lediglich „Vermögen aus einer Tätigkeit“ freigeben könne und es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners“ handele, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis, welchen er – der Kläger – gerade nicht frei gegeben habe, verkennt er die Reichweite der Freigabe. Wird die Freigabe – wie hier mit Schreiben vom 22.12.2009 – ohne Einschränkungen ausgesprochen, sind alle Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, freigegeben. Hierzu gehören zweifelsohne auch die Steuern, die auf die durch eine freigegebene Tätigkeit erzielten Umsätze und Gewinne entfallen, und daher – im Gegenzug – zugleich auch die Steuererstattungsansprüche, die sich durch eine Überzahlung der durch die insolvenzfreie Tätigkeit ausgelösten Steuern ergeben.

38Für den Bereich der Umsatzsteuer hat der BFH bereits mehrfach entschieden, dass ein durch eine freigegebene Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt und vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden kann (BFH, Beschluss vom 01.09.2010 – VII R 35/08, BStBl II 2011, 336; Beschluss vom 23.08.2011 – VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115). Daran, dass diese Grundsätze auch für sonstige Steuerarten – insbesondere für die ESt – gelten, hat der Senat keinen Zweifel. Zu beachten ist in Bezug auf die ESt lediglich, dass der Erstattungsanspruch – je nach der Art der erzielten Einkünfte – ggfs. aufzuteilen ist in einen Teil, der zum insolvenzfreien Vermögen gehört, und einen Teil, der in die  Insolvenzmasse fällt.

39Der ESt-Erstattungsanspruch des K   für das Jahr 2010 gehört in voller Höhe zum insolvenzfreien Vermögen, und zwar schon deshalb, weil die ESt auf null festgesetzt worden ist und die Überzahlung von insgesamt 834 € (davon 417 € für K   ) ausschließlich auf den mit Bescheid vom 09.12.2009 angeforderten Vorauszahlungen zur ESt 2010 beruht, bei deren Berechnung nur die Einkünfte des K   aus Gewerbebetrieb zu Grunde gelegt worden sind. Auf die im ESt-Bescheid 2010 vom 05.05.2011 ebenfalls angesetzten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des K    sind dagegen keine Vorauszahlungen geleistet worden und es sind insoweit auch keine Steuern vom Lohn einbehalten worden.

40Davon abgesehen wurden die Vorauszahlungen auch aus dem insolvenzfreien Vermögen des K   bezahlt. Hier zeigt sich letztlich auch die Widersprüchlichkeit der Argumentation des Klägers. Denn dieser will nur in den Genuss der mit der freigegebenen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Steuererstattungsansprüche kommen, nicht aber zugleich auch die durch die freigegebene Tätigkeit ausgelösten Steuern zahlen. Es kann jedoch nicht richtig sein, dass der Insolvenzschuldner die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit festgesetzten Steuern aus seinem eigenen (insolvenzfreien) Vermögen bezahlen muss, er diese im Fall einer Überzahlung jedoch nicht wieder zurückerhält, sondern die überzahlten Beträge der Insolvenzmasse zu Gute kommen. Denn dies würde letztlich bedeuten, dass sich der Steuerpflichtige, der die durch die freigegebene Tätigkeit veranlassten Steuervorauszahlungen pflichtwidrig nicht begleicht (und infolgedessen auch nichts überzahlt), sich im Ergebnis besser stellt als derjenige, der seine Steuerpflichten ordnungsgemäß erfüllt.

41Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Eine ausdrückliche höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob ein ESt-Erstattungsanspruch, der in Zusammenhang mit einer aus dem Insolvenzbeschlag freigegebenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners steht, zum insolvenzfreien Vermögen gehört, liegt – soweit ersichtlich – bislang nicht vor.

Kindergeldanspruch für Kinder in dualem Studium nicht eingeschränkt

Der 2. Senat hat in einem heute veröffentlichten Urteil vom 15. Mai 2013 (2 K 2949/12 Kg ) entschieden, dass ein duales Studium als Erstausbildung bzw. Erststudium anzusehen und daher die Erwerbstätigkeit des Kindes unschädlich ist (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

Im Streitfall begann der Sohn der Klägerin nach dem Abitur ein duales Studium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht. Neben dem Studium absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Beides schloss er erfolgreich ab: Die Prüfung zum Steuerfachangestellten legte der Sohn bereits im Jahr 2011 ab, der „Bachelor“ wurde ihm im März 2013 – noch vor Vollendung des 25. Lebensjahres – verliehen. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2012 auf, weil sie der Auffassung war, dass die Erstausbildung des Sohnes der Klägerin bereits mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten im Jahr 2011 beendet gewesen sei. Das (erst später beendete) Studium stelle eine Zweitausbildung dar.

Dem ist der 2. Senat des Finanzgerichts Münster entgegen getreten. Er hat klargestellt, dass sich der Sohn der Klägerin noch bis zum Abschluss seines Studiums in einer Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG befunden habe. Die seit 2012 geltende gesetzliche Neuregelung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG, die den Anspruch auf Kindergeld einschränke, wenn das Kind seine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen habe, stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Ein ausbildungs- und praxisintegrierender Studiengang (Duales Studium) sei als Erstausbildung bzw. Erststudium anzusehen. Dieser sei erst abgeschlossen, wenn der angestrebte akademische Grad erreicht sei bzw. das Studium aus anderen Gründen ende.

Die Familienkasse hat gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. III B 63/13).

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 04.11.2013 zum Urteil 2 K 2949/12 vom 15.05.2013

Finanzgericht Münster, 2 K 2949/12 Kg

Datum:
15.05.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2949/12 Kg
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Der Aufhebungsbescheid vom 21.02.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

1T a t b e s t a n d

2Zu entscheiden ist, ob sich der Sohn der Klägerin noch in einer Erstausbildung bzw. in einem Erststudium i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVerG) 2011 (n.F.) befindet.

3Die Klägerin bezog laufend Kindergeld für ihren am xx.yy.1988 geborenen Sohn Q.. Dieser nahm nach dem Abitur am 01.09.2008 eine duales Studium zum Bachelor in dem Studiengang Steuerrecht an der Hochschule für Ökonomie & Management in F-Stadt auf (F). Das Studium sollte enden am 29.02.2012. Parallel absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Diese Ausbildung begann er am 01.08.2008. Im Juni 2011 legte er die Prüfung zum Steuerfachangestellten vor der Steuerberaterkammer xxx ab. Im März 2013 bescheinigte ihm die F den erfolgreichen Abschluss des Studiengangs Steuerrecht. Sie verlieh ihm den Titel Bachelor of Arts.

4Bis zum Abschluss seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten war der Kläger in der Steuerberaterpraxis N. GbR (N.) angestellt. Hier war ihm die Möglichkeit der dualen Ausbildung angeboten worden. Seit dem 01.08.2011 ist er bei den Steuerberatern T. und E. beschäftigt. Nach deren Erklärungen vom 12.04. und 12.06.2012 setzt der Sohn der Klägerin seine Ausbildung in dieser Steuerberaterkanzlei fort. Er werde hier studienbegleitend betreut. Ein schriftlicher Vertrag über Inhalt und Umfang der Tätigkeit liegt nicht vor. Der Sohn der Klägerin arbeitet nach eigenen Angaben mehr als 20 Stunden wöchentlich. Seine Entlohnung entspricht der eines Steuerfachangestellten.

5Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 16.02.2012 ab dem 01.01.2012 auf. Gleichzeitig forderte die Beklagte das überzahlte Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2012 zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

6Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Weiterzahlung des Kindergeldes über den 01.01.2012 hinaus. Zur Begründung führt sie aus, ihr Sohn befinde sich bis zum Abschluss des dualen Studiums noch in der Ausbildung. Er habe mit Ablegen der Prüfung zum Steuerfachangestellten seine Erstausbildung noch nicht beendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellten der Studiengang an der F und die Ausbildung zum Steuerfachangestellten keine zwei verschiedenen Ausbildungen dar. Dem stehe schon entgegen, dass die Aufnahme des Studiums eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten zur Bedingung mache. So habe die ausbildende Steuerkanzlei N. damit geworben, dass sie eine dualen Ausbildung durchführe.

7Die Klägerin beantragt,

8den Bescheid vom 16.02.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 aufzuheben.

9Die Beklagte beantragt,

10die Klage abzuweisen.

11Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihre Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie aus, der Sohn der Klägerin habe seine Ausbildung mit Ablegen der Prüfung zum Steuerfachangestellten am 22.06.2011 erfolgreich absolviert. Bei der Ausbildung zum Steuerfachangestellten und dem Studiengang Steuerrecht an der F handele es sich um zwei verschiedene Ausbildungen. Das Studium stelle eine Zweitausbildung dar. Entgegen der Auffassung der Klägerin befinde sich ihr Sohn auch nicht weiter in einem Ausbildungsverhältnis. Mit den Steuerberatern T. und E. bestehe keine entsprechende vertragliche Vereinbarung. Außerdem ergebe sich aus der Höhe der Bezüge und dem auf den Gehaltsmitteilungen ersichtlichen Personalgruppenschlüssel, dass der Sohn der Klägerin nicht als Auszubildender, sondern als Sozialversicherungspflichtiger ohne besondere Merkmale angemeldet sei. Der Sohn der Klägerin gehe nach Abschluss seiner Erstausbildung auch keiner unschädlichen Erwerbstätigkeit nach. Es liege kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vor. Die maßgebliche Grenze von 20 Wochenstunden werde ebenfalls überschritten.

12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Kindergeldakte der Beklagten verwiesen.

13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

14Die zulässige Klage, über die die Berichterstatterin gem. §§ 79a Abs. 3 und 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist begründet. Der Bescheid vom 16.02.2012 ist rechtswidrig. Die Klägerin wird hierdurch in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

15Zu Unrecht hat die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem 01.01.2012 aufgehoben. Denn ihr Sohn befindet sich auch nach 2011 noch in der Erstausbildung bzw. in einem Erststudium.

16Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für eine Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen der Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Sozialgesetzbuches sind unschädlich, § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F.

17Der Sohn der Klägerin befindet sich bis zum Abschluss seines Studiums noch in der Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG.

18Berufsausbildung ist jede ernstlich betriebene Vorbereitung auf einen künftigen Beruf. Es handelt sich um einen eigenständigen Begriff, der grundsätzlich weit auszulegen ist. Auf den deutlich engeren Begriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. darf im Rahmen der Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG nicht zurückgegriffen werden. Erfasst werden alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Eine neben einer ernsthaft betriebenen Berufsausbildung ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ist grundsätzlich unschädlich. Zur Ausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG gehört daher auch ein ernsthaft betriebenes Studium bis zu dessen Abschluss, d.h. zumindest bis zur Bekanntgabe der Prüfungsergebnisses (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG 32. Aufl. 2013 § 32 Rz. 26, 27, 29, 49 m.w.N.).

19Nach diesen Grundsätzen befand sich der Sohn der Klägerin bis März 2013 (Verleihung des Bachelor of Arts) noch in der Ausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG. Anhaltspunkte dafür, dass das Studium angesichts der in Vollzeit ausgeübten Berufstätigkeit nicht ernsthaft betrieben wurde, bestehen nicht, da das Studium zeitnah und mit Erfolg abgeschlossen wurde.

20Der Sohn der Klägerin befand sich bis März 2013 auch noch in einer Erstausbildung bzw. in einem Erststudium i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. Ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. vorliegen, kann daher dahinstehen. Im übrigen ist unstreitig, dass der Kläger weder eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt hat noch weniger als 20 Wochenstunden tätig war.

21Die Begrifflichkeiten Erstausbildung und Erststudium sind nach Wortlaut und Zielsetzung der Vorschrift (zugunsten des Kindergeldberechtigten) sehr viel enger auszulegen als das Tatbestandsmerkmal „Berufsausbildung“ in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG. Erstmalig ist die Berufsausbildung, wenn ihr weder eine andere abgeschlossene Berufsausbildung noch ein Erststudium vorausgegangen sind (Schmidt/Loschelder aaO § 32 Rz. 49 m.w.N.). Erststudium ist ein Studium, das zugleich eine erstmalige Berufsausbildung vermittelt (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 12. Rz. 59 m.w.N.).

22Die Begriffe Erstausbildung und Erststudium sind dabei unter systematischen Gesichtspunkten in Abstimmung mit der Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und anderer Gesetze vom 21.07.2004 bzw. dem Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (n.F.) auszulegen. Denn nach § 12 Nr. 5 EStG n.F. können die Kosten einer Erstausbildung bzw. eines Erststudiums nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden. Als begleitende Maßnahme ist der Höchstbetrag für Berufsausbildungskosten i.R.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F von 4.000 EUR auf 6.000 EUR erhöht worden. Darüber hinaus ist mit dem StVerG 2011 die Einkünfte- und Bezügegrenze in § 32 Abs. 4 EStG für volljährige Kinder während einer erstmaligen Berufsausbildung mit Wirkung ab 2012 entfallen. Hintergrund waren befürchtete Steuerausfälle und zusätzliche Verwaltungskosten, wenn die Aufwendungen einer Erstausbildung oder eines Erststudiums als Werbungskosten oder Betriebsausgaben hätten anerkannt werden müssen (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 12. Rz. 56 m.w.N.).

23Durch die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. hat der Gesetzgeber deshalb weiter geregelt, dass die nach § 12 Nr. 5 EStG n.F. nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abzugsfähigen Aufwendungen einer Erstausbildung oder eines Erststudiums grundsätzlich über die Eltern i.R.d. Familienleistungsausgleichs Berücksichtigung finden sollen. Nur Ausbildungskosten nach Abschluss einer Erstausbildung oder eines Erststudiums werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei den Einkünften des Kindes berücksichtigt (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 32 Rz. 49 m.w.N.).

24Der BFH hat mit Urteilen vom 18.06.2009 VI R 49/07, BFH/NV 2009, 1799 und VI R 14/07, BStBl. 2010, 816 dazu Stellung genommen, wann Aufwendungen für ein Erststudium vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG n.F. erfasst werden. Dabei hat er entschieden, dass Aufwendungen für ein sogenanntes Erststudium dann als Werbungskosten anzuerkennen sind, wenn eine – vorausgegangene – abgeschlossene Berufsausbildung vorliegt. Im Fall des Urteils zu dem Aktenzeichen VI R 49/07 hatte der Kläger nach Abschluss einer Berufsausbildung zum Koch erstmals ein Studium zum Diplom-Betriebswirt im Studiengang Hotelmanagement aufgenommen. Im zweiten Fall hatte die Klägerin nach Abschluss einer Berufsausbildung als Buchhändlerin ein Studium zur Grund, Haupt- und Realschullehrerin aufgenommen. Der BFH hat in beiden Fällen die Auffassung vertreten, dass die Kosten des Studiums als Werbungskosten abgezogen werden können, da sich die Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG nicht auf Umschulungen und Zweitausbildungen beziehe.

25Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein zeitgleich mit integrierter Berufsausbildung begonnenes Studium vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG erfasst wird. Denn es liegt keine Umschulung oder Zweitausbildung nach abgeschlossener Berufsausbildung vor, wenn Studium und Berufsausbildung parallel und zeitgleich begonnen und durchgeführt werden und wenn sie sich im Sinne einer dualen Ausbildung konzeptionell bedingen und ergänzen. Dabei kann es nicht entscheidend sein, ob die studienbegleitende Berufsausbildung regelmäßig oder auch zufällig vor Abschluss des Studiums abgeschlossen wird. Es liegt vielmehr eine einheitliche Erstausbildung bzw. ein Erststudium vor, die bzw. das nach dem angestrebten Berufsziel erst mit dem Abschluss sowohl der praktischen Ausbildung als auch mit der Erlangung des angestrebten akademischen Grades beendet ist.

26Für die gebotene korrespondierende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. bedeutet dies, dass ausbildungs- und praxisintegrierende Studiengänge (Duales Studium) als Erststudium bzw. Erstausbildung  i.S. dieser Vorschrift anzusehen sind, bis der bei Aufnahme des Studiums mit integrierter Berufsausbildung angestrebte akademische Grad erreicht ist oder das Studium aus anderen Gründen beendet wird.

27Hiernach hat der Sohn der Klägerin seine Erstausbildung bzw. sein Erststudium erst in 2013 beendet. Er hat nach den vorgelegten Unterlagen an der F ein duales Studium im Studiengang Steuerrecht mit integrierter Ausbildung zum Steuerfachangestellten absolviert. Dass er die Prüfung zum Steuerfachangestellten bereits vor Abschluss des Studiums abgelegt und bestanden hat, steht der Annahme einer über das Jahr 2011 hinaus vorliegenden Erstausbildung bzw. eines Erststudiums nicht entgegen.

28Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 und § 155 FGO und § 708 Nr. 10 und § 711 Zivilprozessordnung.

Vorsicht bei Gutschriften

Vorsicht bei Gutschriften

Kernaussage
Das Umsatzsteuergesetz (UStG) versteht unter einer Gutschrift die Abrechnung einer Leistung durch deren Empfänger. Gutschriften werden z. B. häufig bei Provisionsabrechnungen eingesetzt. Hier erbringen die Vertreter die Leistung an das Unternehmen, welches deren Leistung per Gutschrift abrechnet, da es über die entsprechenden Abrechnungsgrundlagen verfügt. In der Praxis wird jedoch unter einer Gutschrift die Korrektur einer Rechnung verstanden (kaufmännische Gutschrift). Umgangssprachlich mag dies zutreffend sein, umsatzsteuerlich muss jedoch strikt zwischen Gutschrift und Rechnungskorrektur unterschieden werden.

Rechtslage
Seit dem 30.6.2013 muss eine Gutschrift (im umsatzsteuerlichen Sinne) zwingend die Angabe „Gutschrift“ enthalten. In der übrigen EU schon seit dem 1.1.2013.

Rechtsfolgen
Nur Gutschriften i. S. d. Umsatzsteuergesetzes sind als Gutschrift zu bezeichnen. Dies ignorierend werden aber in der Praxis unverändert Rechnungskorrekturen als Gutschriften bezeichnet. Ursache hierfür ist, dass vielen Unternehmern die o. g. Differenzierung nicht bekannt ist, sie diese (verständlicherweise) nicht verstehen oder die Rechtsfolgen nicht kennen. So macht der Leistungsempfänger sich selbst den Vorsteuerabzug zunichte, wenn er die Angabe „Gutschrift“ in einer solchen unterlässt. Werden Rechnungskorrekturen unverändert als „Gutschriften“ bezeichnet, so besteht das Risiko für den Empfänger der Korrektur, dass diese vom Fiskus nicht als das interpretiert werden, was sie tatsächlich sind, nämlich ein Rechnungskorrekturen, sondern als Gutschrift im umsatzsteuerlichen Sinne. Der Empfänger würde dann behandelt, als hätte er selbst eine Rechnung ausgestellt, ohne eine Leistung erbracht zu haben. Folglich würde er die ausgewiesene Umsatzsteuer schulden (§ 14c UStG). Ob diese Rechtsfolge tatsächlich eintritt, ist derzeit noch unklar.

Eingabe der Bundesteuerberaterkammer
Die Bundessteuerberaterkammer hat das Bundesfinanzministerium (BMF) aufgefordert, diesbezüglich eine Klarstellung herbeizuführen. Eine Antwort steht noch (immer) aus. Um diesen Problemen zu begegnen sollten die Unternehmen wie folgt verfahren: Nur Gutschriften im umsatzsteuerlichen Sinne sind noch als Gutschrift zu bezeichnen bzw. mit dieser Bezeichnung zu akzeptieren. In der Praxis werden solche Fälle eher selten sein. Für Rechnungskorrekturen sind andere Begriffe zu verwenden, z. B. „Rechnungskorrektur“ oder „Korrekturbeleg“. Sollten die eigenen Lieferanten noch Rechnungskorrekturen als Gutschrift bezeichnen, so sollte deren Berichtigung gefordert werden.

Welche Beweiskraft kommt einer Postzustellungsurkunde zu?

Welche Beweiskraft kommt einer Postzustellungsurkunde zu?

Kernaussage
Als öffentliche Urkunde begründet die Postzustellungsurkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der Zustellungsurkunde genannte Person. Ein Gegenbeweis kann nur durch Nachweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden.

Sachverhalt
Der Kläger wurde vom beklagten Finanzamt für rückständige Umsatzsteuern einer Kommanditgesellschaft als Geschäftsführer der Komplementärin in Haftung genommen. Nachdem das Finanzamt den ersten Haftungsbescheid zurücknahm, erließ es am 31.3.2009 einen neuen Haftungsbescheid, in dem es die Ermessensausübung näher begründete. Der Bescheid erging mittels Postzustellungsurkunde. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 2.6.2010 Einspruch mit Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ein. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass er von dem Bescheid erst in einer mündlichen Verhandlung wegen einer vom Finanzamt erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung gehört habe. Er habe den Bescheid nie erhalten und könne sich an die Zustellung nicht erinnern. Die Klage hatte weder vor dem Finanzgericht noch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Erfolg.

Entscheidung
Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erstreckt sich auch auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der Urkunde genannte Person. Ein Gegenbeweis kann nur durch Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger nicht ansatzweise geführt. Eine weitere Sachaufklärung in Form der Zeugenvernehmung des Zustellers musste das Gericht nicht betreiben. Zumal der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls keine Beweisanträge gestellt und damit sein Rügerecht verloren hatte. Der Untersuchungsgrundsatz des finanzgerichtlichen Verfahrens ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung ein Beteiligter auch durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann.

Konsequenz
Die revisionsrechtliche Rüge der mangelnden Sachaufklärung greift nicht durch, wenn der Beteiligte in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesend oder fachkundig vertreten war, die mangelhafte Sachaufklärung erkennen musste und den Verfahrensverstoß trotzdem nicht gerügt hat. Der BFH bestätigt damit ein Verzicht auf Verfahrensrechte durch Unterlassen.

Finanzierung von Kfz, Konsumentenkredite etc. in der Umsatzsteuer

Finanzierung von Kfz, Konsumentenkredite etc. in der Umsatzsteuer

Kernaussage
Wer kennt die Werbung nicht: „Finanzierung zu 0 %“. Die günstige Finanzierung soll den Kunden einen Anreiz zum Kauf bieten. Um dies zu erreichen, zahlen die Hersteller bzw. Händler an die finanzierenden Institute einen Ausgleich für die vergünstigten Kredite. Auch wenn die Geschäftsidee immer die gleiche ist, so gibt es Unterschiede in der umsatzsteuerlichen Behandlung der Zuzahlung, auf die ein neues Schreiben des Bundesfinanzministerium (BMF) hinweist.

Neue Verwaltungsanweisung
Das BMF unterscheidet zunächst zwischen der Finanzierung durch Autobanken sowie durch andere Institute. Autobanken zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit dem Händler bzw. Hersteller verbunden sind. I. d. R. handelt es sich um eine Tochtergesellschaft des Herstellers. Da die Autobank primär den Absatz fördern soll, wird die Zuzahlung des Herstellers/Händlers als Zahlung für eine Werbeleistung der Autobank qualifiziert. Erfolgt die Finanzierung durch andere Institute (i. d. R. Konsumentenkredite) ist zwischen der Vergabe von Krediten und der Finanzierung durch Leasing zu unterscheiden. Im Rahmen der Finanzierung per Kredit stellt die Zahlung des Händlers Entgelt von dritter Seite für die Leistung des Institutes an den Kunden dar. Erfolgt hingegen die Finanzierung per Leasing, so wird die Zahlung des Herstellers/Händlers als Rabatt für die Lieferung des Leasinggegenstandes an den Leasinggeber qualifiziert. Der Hersteller/Händler kann eine Entgeltminderung geltend machen, das Leasinginstitut muss korrespondierend die Vorsteuer korrigieren. Die im Vergleich zur Kreditvergabe unterschiedliche Behandlung beim Leasing resultiert daraus, dass beim Leasing kein Kaufvertrag zwischen Hersteller/Händler und dem Kunden abgeschlossen wird, sondern mit dem späteren Leasinggeber.

Konsequenz
Hersteller bzw. Händler, die derartige Zuzahlungen leisten, um Kunden mit zinsgünstigen Finanzierungen zu ködern, müssen die vom BMF vorgenommene Differenzierung aufgrund der unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Folgen beachten. Soweit die Finanzierung durch andere Institute erfolgt, kann die Zuzahlung allerdings bis zum 31.12.2013 noch als Entgelt für eine Werbeleistung des Instituts angesehen werden, sofern dies schon vor Veröffentlichung des BMF-Schreibens so gehandhabt wurde.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin