Betriebsprüfung für Zeitraum von elf Jahren rechtmäßig

Die Beteiligten stritten um die Rechtmäßigkeit einer Betriebsprüfungsanordnung. Die klagende Gesellschaft betrieb ein Restaurant. Im Februar 2011 gab einer ihrer Gesellschafter eine Selbstanzeige beim Finanzamt ab, in der er Kapitalerträge für die Jahre 2000 bis 2009 nacherklärte. Im März 2011 zeigte die Klägerin dem Finanzamt an, dass der Gesellschafter jährlich ca. 24.000 Euro an Trinkgeldern erzielt habe und diese als steuerfrei behandelt worden seien. Im August 2012 ordnete das Finanzamt – ohne weitere Begründung – eine steuerliche Außenprüfung für die Jahre 2000 bis 2010 bei der Gesellschaft an. Im Anschluss daran wurden steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Gesellschafter eingeleitet.

Die Klägerin wandte sich gegen die Prüfungsanordnung und machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Dagegen wies das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung auf den bestehenden Verdacht einer Steuerstraftat und die Wahrscheinlichkeit erheblicher Mehrergebnisse hin.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Die Prüfungsanordnung sei formell rechtmäßig, insbesondere ausreichend begründet worden. Bei Gewerbetreibenden genüge der Hinweis auf die einschlägige Ermächtigungsgrundlage der Abgabenordnung. Zudem sei die Abweichung vom Regel-Prüfungszeitraum in der Einspruchsentscheidung nachträglich erläutert worden.

Auch in der Sache sei die Prüfungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie habe zulässigerweise mehr als drei Jahre umfasst. Die in der Betriebsprüfungsordnung aufgeführten Ausnahmetatbestände (Erwartung erheblicher Änderungen, Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit) seien unter Zugrundelegung der Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung erfüllt. Schließlich begründeten die laufenden Ermittlungsverfahren keinen Ermessensfehler.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 13 K 4630/12 vom 26.09.2013, Newsletter Oktober 2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 4630/12 AO

Datum:
26.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4630/12 AO
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

1Tatbestand:

2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung.

3Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr „A“ und Herr „B“ zu je 50% beteiligt sind. Die Klägerin betreibt seit 1995 in „E-Stadt“ den Restaurationsbetrieb „C“. Der Gesellschafter Herr „B“ ist nicht in das operative Tagesgeschäft des Restaurationsbetriebs eingebunden.

4Der Gesellschafter Herr „A“ gab am 08.02.2011 eine Selbstanzeige bei dem Beklagten ab. In dieser erklärte er für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt über 130.000 € nach.

5Die Klägerin gab mit Schreiben vom 25.03.2011 für alle noch nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume eine Erklärung nach § 153 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Beklagten ab. Darin führte sie aus, der Gesellschafter Herr „A“ habe jährlich ca. 24.000 € Einnahmen aus Trinkgeldern erzielt, die bisher entsprechend der Regelung in § 3 Nr. 51 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerfrei behandelt worden seien.

6Mit Prüfungsanordnung vom 27.08.2012 – die keine weitere Begründung enthielt – ordnete der Beklagte bei der Klägerin gem. § 193 Abs. 1 AO die steuerliche Außenprüfung für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010 an.

7Der Beklagte begann am 28.08.2012 mit der Außenprüfung. Am selben Tag fand eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der Klägerin durch Beamte des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ statt. Im Rahmen der Außenprüfung reichte die Klägerin die Buchführungsunterlagen für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 beim Beklagten ein.

8Die Klägerin legte mit Schreiben vom 03.09.2012 gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein. Sie machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Sofern dieser regelmäßige Prüfungszeitraum überschritten werde, bedürfe die Prüfungsanordnung einer substantiierten Begründung.

9Der Beklagte führte mit Schreiben vom 13.09.2012 aus, die Prüfungsanordnung umfasse gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei.

10Im September 2012 gelangte der Beklagte aufgrund einer anonymen Anzeige in den Besitz von an die Klägerin adressierten Lieferscheinen, die ihn vermuten ließen, der Wareneinkauf sei in der Buchführung der Klägerin nicht vollständig erfasst.

11Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ leitete daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Herrn „A“ ein.

12Mit Schreiben vom 30.10.2012 erweiterte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ das Strafverfahren gegen den Gesellschafter Herrn „B“ wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens der Klägerin für die Jahre 2005 bis 2010.

13Am 14.11.2012 fand eine Schlussbesprechung im Rahmen der Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 statt, die Hinzuschätzungen anhand eines Zeitreihenvergleichs zum Gegenstand hatte.

14Der Beklagte, der den Einspruch dahingehend auslegte, dass sich dieser nur  gegen die Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2007 richte, wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, dass der Prüfungszeitraum gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 drei Besteuerungszeiträume übersteigen könne, wenn der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe. Diese Voraussetzung liege im Streitfall vor. Diese Voraussage werde gestützt auf die Einleitung der Strafverfahren in Sachen der einzelnen Gesellschafter der Klägerin hinsichtlich des Verdachts von Schwarzeinnahmen und deren Zuordnung unter Berücksichtigung der dem Beklagten vorliegenden Unterlagen und Erkenntnisse. Dass das Strafverfahren lediglich für die Jahre 2005 bis 2010 eingeleitet worden sei, habe ausschließlich strafprozessuale Gründe. Ferner sei aufgrund unterschiedlicher Verprobungsmethoden, die für den Prüfungszeitraum 2008 bis 2010 durchgeführt worden seien, mit erheblichen Mehrergebnissen zu rechnen. Es sei wahrscheinlich, dass in dem davor liegenden Zeitraum 2000 bis 2007 gleichermaßen erhebliche Mehrsteuern zu erwarten seien. Hierzu sei lediglich eine Prognoseentscheidung erforderlich.

15Mit Teil-Betriebsprüfungsbericht betreffend die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 vom 30.11.2012 vertraten die Prüfer die Auffassung, dass die Kassenbuchführung der Klägerin Buchführungsmängel aufweise. Deshalb schätzten sie anhand eines Zeitreihenvergleichs Erlöse von netto 643.500 € (2008), 575.000 € (2009) und 532.000 € (2010) hinzu.

16Die Klägerin hat am 17.12.2012 Klage gegen die Prüfungsanordnung erhoben.

17Sie macht geltend, dass die Strafverfahren gegen ihre beiden Gesellschafter zeitlich erst nach Erlass der Prüfungsanordnung eingeleitet worden seien. Deshalb hätte es zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums in der Prüfungsanordnung einer Darstellung der konkreten Verdachtsmomente bedurft. Eine Selbstanzeige eines Gesellschafters für Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 sei nicht geeignet, die Anordnung einer Außenprüfung für insgesamt elf Veranlagungszeiträume einer gewerblich tätigen GbR zu rechtfertigen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die nachträglich erklärten Einkünfte des Gesellschafters Herrn „A“ aus der Anlage von erhaltenen Trinkgeldern aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammten, welche dem Beklagten im Rahmen der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 angezeigt worden seien. Soweit die aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammenden Einnahmen des Gesellschafters Herrn „A“ aus Trinkgeldern entsprechend § 3 Nr. 51 EStG als steuerfrei behandelt worden seien, erscheine das Vorliegen einer Steuerhinterziehung äußerst zweifelhaft. Denn der Gesellschafter Herr „A“ habe in der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 den relevanten Sachverhalt gegenüber dem Beklagten vollständig dargelegt. Der erweiterte Prüfungszeitraum könne auch nicht mit der Durchführung verschiedener Verprobungsmethoden begründet werden. Denn etwaige Erkenntnisse aus einem – allein durchgeführten – Zeitreihenvergleich hätten bei Erlass der Prüfungsanordnung noch nicht vorgelegen. Hinsichtlich der Frage, ob die Prüfungsanordnung ermessensfehlerfrei ergangen sei, könne nicht auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt werden. Denn Tatsachen und Beweismittel, die erst im Rahmen von Prüfungshandlungen ermittelt und aufgefunden würden, dürften nicht nachträglich zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums herangezogen werden. Soweit das Gericht in dem Beschluss im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vom 25.03.2013 auf die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677) Bezug genommen habe, beträfen diese jeweils Sachverhalte, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert worden sei. Vorliegend gehe es jedoch nicht um eine Prüfungserweiterung, sondern um einen Prüfungszeitraum, der von vorneherein den dreijährigen Regelzeitraum überschreite. Außerdem werde die Außenprüfung im Streitfall möglicherweise als Maßnahme zur Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten eingesetzt.

18Die Klägerin beantragt,

19die Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 insoweit aufzuheben, als die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

20Der Beklagte beantragt,

21die Klage abzuweisen.

22Er trägt vor, für die Ausweitung des Prüfungszeitraums über drei Veranlagungszeiträume hinaus reiche der Verdacht einer Straftat aus. Aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafters Herrn „A“ und aufgrund der Berichtigungserklärung vom 25.03.2012 habe bei Erlass der Prüfungsanordnung ein solcher Verdacht bestanden. Dieser sei zudem durch die im September 2012 eingegangene anonyme Anzeige bestätigt worden. Die Einleitung des Strafverfahrens sei nicht erforderlich.

23Entscheidungsgründe:

24Das Gericht legt die Klage dahingehend aus, dass die Klägerin von vorneherein nur die Aufhebung der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung, soweit die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, begehrte. Dies hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.09.2013 bestätigt.

25Die Klage ist unbegründet.

261. Die Anordnung der steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

27a) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist formell rechtmäßig.

28aa) Die auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung entspricht den formellen Anforderungen des § 196 AO. Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung schriftlich erteilt und das Prüfungssubjekt (Klägerin) sowie den Prüfungsumfang (gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010) hinreichend bezeichnet.

29bb) Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung auch hinreichend begründet. Eine Prüfungsanordnung ist gem. § 196 AO schriftlich zu erteilen und deshalb nach § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist.

30Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, genügt bei Steuerpflichtigen, bei denen nach § 193 Abs. 1 AO eine Außenprüfung zulässig ist (Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte sowie Freiberufler), als Begründung für die Anordnung einer Außenprüfung grundsätzlich der Hinweis auf die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO (BFH-Beschlüsse vom 26.06.2007 V B 97/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2007, 1805, unter II.1.b cc; vom 11.06.2004 IV B 231/02, BFH/NV 2004, 1501, unter 1.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin betreibt einen Restaurationsbetrieb und unterliegt deshalb gem. § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung. Nach der Rechtsprechung muss die Begründung der Prüfungsanordnung jedoch die Ermessenserwägungen erkennen lassen, wenn von dem nach § 4 Abs. 3 BpO 2000 von der Finanzverwaltung im Wege einer Selbstbindung ihres Ermessens festgelegten Prüfungszeitraum abgewichen wird (BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c). Dabei reicht es aus, wenn die erforderliche Begründung in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf enthalten ist, denn nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO kann die notwendige Begründung auch nachträglich bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. noch zu früheren Gesetzeslage, nach der die Begründung bis zum Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nachgeholt werden konnte: BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.1.). Im Streitfall liegt eine Abweichung von dem nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 regelmäßig vorgesehenen Prüfungszeitraum von drei zusammenhängenden Besteuerungszeiträumen vor. Der Beklagte ordnete einen Prüfungszeitraum von elf Veranlagungszeiträumen (2000 bis 2010) an. Diese Abweichung hat der Beklagte zwar nicht im Rahmen der Prüfungsanordnung vom 27.08.2012, jedoch in dem Schreiben vom 13.09.2012, in dem er ausführte, die Prüfungsanordnung umfasse den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei, sowie – ausführlicher – in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 hinreichend begründet.

31b) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist auch materiell rechtmäßig.

32aa) Die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin erzielt durch den Restaurationsbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

33bb) Der Erlass der Prüfungsanordnung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.

34aaa) Die Prüfungsanordnung ist hinsichtlich des angeordneten Prüfungszeitraums ermessensfehlerfrei ergangen.

35Gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann die Außenprüfung eine oder mehrere Steuerarten und einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen. Der zeitliche Umfang einer Außenprüfung liegt daher im Ermessen der Finanzbehörde. Da die Finanzbehörde aufgrund ihrer begrenzten Prüfungskapazitäten nicht sämtliche gemäß § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen für alle Besteuerungszeiträume prüfen kann, muss sie unter den zu prüfenden Betrieben und hinsichtlich des Prüfungsumfangs eine Auswahl treffen. Das der Finanzbehörde zustehende Ermessen ist allerdings durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften BpO 2000 vom 15.03.2000 (BStBl I 2000, 368, zuletzt geändert durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 20.07.2011, BStBl I 2011, 710) eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (BFH-Urteil vom 08.12.1993 XI R 69/92, BFH/NV 1994, 500). Der Erlass einer Prüfungsanordnung kann als Ermessensentscheidung vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 Satz 1 FGO).

36Nach § 4 Abs. 1 BpO 2000 bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei soll nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 bei anderen als den in § 4 Abs. 2 BpO 2000 genannten Betrieben – zu denen derjenige der Klägerin nicht gehört – der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann jedoch gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Die in § 4 Abs. 3 BpO 2000 getroffene Regelung selbst ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ermessensgerecht (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 XI B 207/04, BFH/NV 2006, 9, unter 1.). Ob mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d. h. der Einspruchsentscheidung, und nicht wie die Klägerin meint, nach den Verhältnissen bei Erlass der Prüfungsanordnung (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4., wonach bei einer Entscheidung durch die Oberfinanzdirektion über eine Erweiterung des Prüfungszeitraums die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich waren; ebenso BFH-Urteil vom 01.08.1984 I R 138/80, BStBl II 1985, 350, unter II.1.b bb; BFH-Urteil vom 14.09.1993 VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II.2.a). Die Behörde muss in die letzte Verwaltungsentscheidung alle ihr bekannten Umstände einbeziehen. Der BFH hat insoweit zu der Erweiterung eines Prüfungszeitraums ausgeführt, bei der Entscheidung über eine solche Erweiterung müssten auch bereits für diesen Zeitraum bekanntgewordene Prüfungsergebnisse berücksichtigt werden, falls trotz der Anfechtung der Prüfungsanordnung die erweiterte Prüfung ganz oder teilweise durchgeführt worden sei. Diese Auffassung wirke sich zu Lasten des Steuerpflichtigen aus, wenn sich erst durch diese Prüfung Anhaltspunkte für nicht unerhebliche Nachforderungen ergeben hätten. Sie wirke sich zu Gunsten aus, wenn nach den Ergebnissen der ursprünglichen Prüfung mit nicht unerheblichen Mehrsteuern im erweiterten Prüfungszeitraum zu rechnen gewesen sei, diese Erwartungen sich aber nach den im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannten Ergebnisse der erweiterten Prüfung nicht bewahrheitet hätten (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4.).

37Die angefochtene Prüfungsanordnung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Sie entspricht der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 und umfasst zulässigerweise mehr als drei, nämlich elf, zusammenhängende Besteuerungszeiträume.

38Im Streitfall war im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als der maßgeblichen letzten Verwaltungsentscheidung der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit gegeben. Auf diesen Verdacht stützte der Beklagte sowohl im Schreiben vom 13.09.2012 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 den Prüfungszeitraum. Er machte insoweit geltend, dass bereits vor Ergehen der Einspruchsentscheidung Strafverfahren gegen die Gesellschafter der Klägerin eingeleitet worden waren. Für den Erlass einer mehr als drei Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungsanordnung ist insoweit nicht entscheidend, ob eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit begangen oder nicht begangen wurde. Maßgeblich ist nur, ob der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit besteht. Dies ist vorliegend bereits aufgrund der Einleitung der Strafverfahren der Fall. Entgegen der Ansicht der Klägerin mussten die konkreten Verdachtsmomente auch nicht im Einzelnen dargestellt werden. Der Hinweis in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012, dass ein Verdacht von Schwarzeinnahmen bestehe, genügt insoweit.

39Im Streitfall war außerdem im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen. Aufgrund der bei Erlass der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 bereits für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 durchgeführten Außenprüfung, bei der Buchführungsmängel festgestellt wurden, ergaben sich aufgrund der angewandten Verprobungsmethode erhebliche Mehreinnahmen für diese Veranlagungszeiträume. Es war von dem Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, auch für die Vorjahre ähnliche Buchführungsmängel und Mehreinnahmen zu erwarten. Der Hinweis auf die erwarteten Mehrsteuern für den Zeitraum 2000 bis 2007 in der Einspruchsentscheidung genügt insoweit. Denn der Beklagte hat der Klägerin das Ergebnis seiner Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 bereits in der Schlussbesprechung am 14.11.2012 und damit vor Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 mitgeteilt.

40Soweit die Klägerin zutreffend darauf hinweist, dass die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677), in denen der BFH die Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als maßgeblich angesehen hat, jeweils Sachverhalte betreffen, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert wurde, lässt sich daraus nicht folgern, dass es vorliegend auf den Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung ankommt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist bei Ermessensentscheidungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. allgemein zu Ermessensentscheidungen: von Groll in: Gräber, FGO, 7. Auflage, § 102 Rn. 13; BFH-Urteil vom 28.06.2000 X R 24/95, BStBl II 2000, 514, unter II.2.c; BFH-Urteil vom 11.06.1997 X R 14/95, BStBl II 1997, 642, unter II.1.; BFH-Urteil vom 26.03.1991 VII R 66/90, BStBl II 1991, 545). Dies muss gleichermaßen bei der unmittelbaren Anordnung einer Außenprüfung für mehr als drei Veranlagungszeiträume wie auch bei der Erweiterung einer Außenprüfung gelten.

41bbb) Die Prüfungsanordnung ist auch, obwohl das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ inzwischen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Gesellschafter der Klägerin eingeleitet hat, ermessensfehlerfrei.

42Nach der Rechtsprechung des BFH sind Ermittlungen im Rahmen einer Außenprüfung nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nicht ausgeschlossen. Es besteht keine sich gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung. Die Zulässigkeit des Nebeneinanders von Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung ergibt sich eindeutig aus § 393 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Dementsprechend hindert die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens weitere Ermittlungen durch die Außenprüfung nicht. Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt auch bei Verdacht einer Steuerstraftat. Mit welchen Mitteln oder auf welche Weise sie dieser Ermittlungspflicht nachkommt, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Praktikabilität (vgl. BFH-Beschluss vom 03.04.2003 XI B 60/02, BFH/NV 2003, 1034, unter 1.a; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.2.).

43Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Beklagte nicht gehindert, eine Außenprüfung bei der Klägerin anzuordnen und diese Außenprüfung durchzuführen. Insbesondere liegt im Streitfall kein Anlass dafür vor, die Finanzbehörden von vornherein ausschließlich auf eine Steuerfahndungsprüfung zu verweisen.

442. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

453. Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO).

Umsatzsteuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 UStG)

Mit Urteil vom 15. November 2012, C-532/11 (BStBl 2013 II S. XXX), hat der EuGH u. a entschieden, dass die Steuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken auch die Verpachtung eines Hausboots einschließlich der dazugehörenden Liegefläche und Steganlage umfasst, wenn das Hausboot mit nicht leicht zu lösenden Befestigungen, die am Ufer oder auf dem Grund eines Gewässers angebracht sind, ortsfest gehalten wird, an einem abgegrenzten und identifizierbaren Liegeplatz im Gewässer liegt und nach den Bestimmungen des Pachtvertrages ausschließlich zur auf Dauer angelegten Nutzung an diesem Liegeplatz bestimmt ist. Diese Verpachtung stellt nach Ansicht des EuGH insgesamt eine einheitliche steuerfreie Leistung dar.

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 4.12.1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 31. Oktober 2013 – IV D 3 – S 7170/13/10002 (2013/0984292), BStBl I S. xxxx, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1.Absatz 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

1Zum Begriff des Grundstücks vgl. im Einzelnen Abschnitt 3a.3 Abs. 2 Sätze 2 und 3.“

2. In Absatz 4 wird folgender Satz 4 angefügt:

4Gleiches gilt für die Verpachtung eines Hausboots einschließlich der dazugehörenden Liegefläche und Steganlage, wenn das Hausboot mit nicht leicht zu lösenden Befestigungen, die am Ufer oder auf dem Grund eines Gewässers angebracht sind, ortsfest gehalten wird und an einem abgegrenzten und identifizierbaren Liegeplatz im Gewässer liegt sowie vertraglich und tatsächlich auf Dauer ausschließlich ortsfest und damit wie ein mit einem Grundstück fest verbundenes Gebäude genutzt wird (vgl. EuGH-Urteil vom 15. 11. 2012, C-532/11, BStBl 2013 II S. XXX).“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 31. Dezember 2013 erbrachte Umsätze und Teilleistungen wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.12.1 Abs. 4 Satz 4 UStAE als umsatzsteuerpflichtig behandelt.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7168 / 12 / 10002 vom 31.10.2013

BMF: Umsatzsteuerliche Behandlung von labordiagnostischen Typisierungsleistungen

Nach Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 Satz 4 und 5 UStAE sind labordiagnostische Typisierungs-leistungen, die im Rahmen der Vorbereitung einer Stammzellentransplantation zur Suche nach einem geeigneten Spender für die Behandlung einer lebensbedrohlich erkrankten Person durch Einrichtungen erbracht werden, die durch das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland beauftragt werden, gemäß § 4 Nr. 14 Buchstabe b Satz 2 Doppelbuchstabe bb UStG umsatzsteuerfrei.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird in Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 28. Oktober 2013 – IV D 3 – S-7160-h / 08 / 10002 (2013/0976379), BStBl I S. XXXX, geändert worden ist, nach Satz 5 folgender neuer Satz 6 angefügt:

„6) Die vertragliche Regelung zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland schließt auch labordiagnostische Typisierungsleistungen von durch zugelassene Spenderdateien beauftragte Labore mit ein.“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für Umsätze, die vor dem 1. Januar 2014 erbracht werden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschnitt 4.14.5 Abs. 7 Satz 6 UStAE umsatzsteuerpflichtig behandelt.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7170 / 13 / 10002 vom 31.10.2013

Eine Einkommensteuererstattung, die aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit resultiert, gehört nicht zur Insolvenzmasse!

Der 14. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem am 04.11.2013 veröffentlichten Urteil vom 27. September 2013 (14 K 1917/12 AO) entschieden, dass der durch eine vom Insolvenzverwalter freigegebene Tätigkeit erworbene Einkommensteuererstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt. Er kann daher vom Finanzamt mit vorinsolvenzrechtlichen Steuerschulden verrechnet werden.

Über das Vermögen des Insolvenzschuldners war im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Als Insolvenzverwalter wurde der Kläger bestellt. Der Insolvenzschuldner war weiterhin als gewerblicher Dienstleister selbständig tätig. Diese Tätigkeit hatte der Kläger noch im Jahr 2009 aus der Insolvenzmasse freigegeben (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO).

Das beklagte Finanzamt setzte für das Jahr 2010 Einkommensteuervorauszahlungen gegenüber dem Insolvenzschuldner fest, der die Vorauszahlungen aus seinem insolvenzfreien Vermögen leistete. Im Jahr 2011 erließ das Finanzamt einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010. Den sich danach zugunsten des Insolvenzschuldners ergebenden Erstattungsanspruch verrechnete das Finanzamt mit dessen Einkommensteuerrückständen aus dem Jahr 2009. Der Kläger sah dies als unzulässig an und begehrte die Auszahlung des Erstattungsanspruchs zur Insolvenzmasse. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Zu Recht, wie jetzt der 14. Senat des Finanzgerichts Münster bestätigt hat. Entgegen der Auffassung des Klägers stehe § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung durch das Finanzamt nicht entgegen. Werde eine selbständige Tätigkeit – wie im Streitfall – vom Insolvenzverwalter ohne Einschränkung freigegeben, gehörten die Forderungen und Verbindlichkeiten, die hierdurch veranlasst seien, nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen. Dies gelte auch für Steuerschulden und Steuererstattungsansprüche. Der Insolvenzschuldner müsse nicht nur die im Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit entstehenden Steuern zahlen, sondern habe konsequenterweise auch einen Anspruch auf Erstattung überzahlter Beträge. Die vom Bundesfinanzhof für Umsatzsteuervergütungsansprüche entwickelte Rechtsprechung sei auf Einkommensteuererstattungsansprüche zu übertragen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 04.11.2013 zum Urteil 14 K 1917/12 vom 27.09.2013

Finanzgericht Münster, 14 K 1917/12 AO

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 1917/12 AO
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Streitig ist, ob ein Einkommensteuer(ESt)-Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört.

3Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn X   K   (K   ) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 21.12.2009 eröffnet. K   betrieb sowohl vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen gewerblichen Dienstleistungsbetrieb. Mit Schreiben vom 22.12.2009 gab der Kläger die vorgenannte selbstständige Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 Satz 1, 2 InsO aus der Insolvenzmasse frei. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

4″Insolvenzverfahren über das Vermögen des …

5hier: Freigabe selbstständige Tätigkeit

6Sehr geehrter Herr K   ,

7in der vorgenannten Angelegenheit sind Sie unter der Anschrift … selbstständig tätig. Geschäftsgegenstand sind Montagearbeiten, Sonstige Tätigkeiten und Arbeiten für andere Unternehmen. Diese selbstständige Tätigkeit gebe ich hiermit gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO aus der Insolzvenzmasse zu Ihren Gunsten frei. Auf § 295 Abs. 2 InsO weise ich vorsorglich hin.“

8Die Freigabe wurde vom Insolvenzgericht am 23.12.2009 veröffentlicht. Das Unternehmen wurde zum 30.06.2010 abgemeldet.

9Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einkünfte aus der freigegebenen gewerblichen Tätigkeit setzte der Beklagte mit Bescheid vom 09.12.2009, zuletzt geändert am 15.02.2011, für das I. bis III. Quartal 2010 jeweils ESt-Vorauszahlungen i.H.v. 278 € gegenüber K   und seiner mit ihm zusammen zur ESt veranlagten Ehefrau fest. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Vorauszahlungen von dem Girokonto des K   aus dessen insolvenzfreien Vermögen bezahlt wurden.

10Die ESt 2010 für die Eheleute K   wurde mit Bescheid vom 05.05.2011 auf null festgesetzt. Hierbei wurden Einkünfte des K   aus Gewerbebetrieb i.H.v. 10.796 € und aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 8.880 € berücksichtigt. Für die Ehefrau des K    wurden keine Einkünfte angesetzt.

11Unter Berücksichtigung der Vorauszahlungen i.H.v. 834 € und Säumniszuschlägen i.H.v. 18 € ergab sich ein Steuererstattungsanspruch i.H.v. 816 €. Mit Schreiben vom 09.06.2011, gerichtet an die Eheleute K   , rechnete der Beklagte den Erstattungsanspruch in voller Höhe gegen Einkommensteuerrückstände 2009 auf.

12Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 11.07.2011 die Auszahlung des ESt-Guthabens 2010 begehrt hatte, wurde am 07.03.2012 der streitgegenständliche Abrechnungsbescheid erlassen. Der Beklagte stellte hierin im Ergebnis fest, dass dem Kläger kein Erstattungsanspruch zustehe. Der sich aus der ESt-Veranlagung 2010 ergebende Erstattungsanspruch sei in Höhe von 18 € durch Umbuchung auf Säumniszuschläge zur ESt-Vorauszahlung IV. Quartal 2010 und in Höhe von 816 € durch Aufrechnung mit ESt-Schulden 2009 der Eheleute K   erloschen. Zur Begründung heißt es weiter, der Erstattungsanspruch sei dem insolvenzfreien Vermögen zugerechnet worden, weil aus diesem auch die zur Erstattung führenden Vorauszahlungen geleistet worden seien. Dementsprechend stehe das Guthaben zur Verrechnung mit Insolvenzforderungen zur Verfügung, zumal Aufrechnungsverbote – insbesondere § 96 Abs. 1 Nr. 1-4 InsO – nicht einschlägig seien.

13Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 als unbegründet zurückgewiesen.

14Der Kläger wandte sich sodann an das Gericht und beantragte Prozesskostenhilfe (PKH) für eine gegen den Abrechnungsbescheid noch zu erhebende Klage, die sich auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 834 € richten sollte. Der Senat gewährte dem Kläger mit Beschluss vom 08.10.2012 lediglich PKH, soweit sich die beabsichtigte Klage auf die Feststellung eines Erstattungsanspruch i.H.v. 417 € beziehen würde. Begründet wurde dies damit, dass der Erstattungsanspruch auf beide Ehegatten je zur Hälfte entfalle und der Kläger allenfalls hinsichtlich der Hälfte des K    anspruchsberechtigt sein könne.

15Der Kläger hat sodann mit dem Ziel der Feststellung eines Erstattungsanspruch von 417 € Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die Klagefrist beantragt.

16Er ist der Auffassung, dass der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehöre. Nach § 35 InsO erfasse das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Folglich würden auch Steueransprüche, die ein Insolvenzschuldner während des Insolvenzverfahrens erlange, in die Insolvenzmasse fallen. Zu betonen sei in diesem Zusammenhang, dass etwaige Steuererstattungsansprüche von ihm – dem Kläger – auch nicht freigegeben worden seien. Nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO könne der Insolvenzverwalter lediglich Vermögen aus einer Tätigkeit freigegeben. Bei dem ESt-Erstattungsanspruch handele es sich nicht um Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis.

17Der Kläger beantragt,

18den Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 dahingehend zu ändern, dass festgestellt wird, dass er Anspruch auf Erstattung der ESt 2010 in Höhe von 417 € hat,

19hilfsweise, die Revision zuzulassen.

20Der Beklagte beantragt,

21die Klage abzuweisen,

22hilfsweise, die Revision zuzulassen.

23Er verweist darauf, dass die ESt-Vorauszahlungen in keinerlei Zusammenhang mit der „insolvenzverursachenden bisherigen Tätigkeit“ stehen würden. In dem Vorauszahlungsbescheid sei nur der aus der freigegebenen Tätigkeit zu erwartende Gewinn berücksichtigt worden, nicht aber etwaige Gewinne/Verluste aus der insolvenzbehafteten Tätigkeit. Auch habe K   die Vorauszahlungen aus seinem insolvenzfreien Vermögen bezahlt. Würde man den Erstattungsanspruch dennoch der Insolvenzmasse zurechnen, würde sich der Steuerpflichtige schlechter stellen, als wenn er die ESt-Vorauszahlungen gar nicht entrichtete hätte.

24Der Einwand des Klägers, dass keine Freigabe vorliege, weil es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit“ handele, überzeuge nicht. Denn zum einen seien die aufgrund der aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit erworbenen Ansprüche aus dem Insolvenzbeschlag vorbehaltlos freigegeben worden und zum anderen handele es sich auch bei ESt-Erstattungsansprüchen um Forderungen, die auf Geld gerichtet seien und damit Vermögen darstellen würden. Sei dieser Vermögensgegenstand, wie z.B. ein USt-Erstattungsanspruch, eindeutig auf die freigegebene Tätigkeit zurückzuführen, dann gehöre er nicht zur Insolvenzmasse.

25Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegte Finanzamtsakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

26Entscheidungsgründe:

271. Die Klage ist zulässig.

28Insbesondere ist die Klagefrist gewahrt.

29Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist in den Fällen, in denen ein isolierter Antrag auf PKH gestellt worden ist, dem Kläger Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren, wenn dieser bis zum Ablauf der Klagefrist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Erhebung der Klage geschaffen hat und er nach der –stattgebenden oder ablehnenden– Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbehelfsfrist stellt (vgl. BFH, Beschluss vom 09.04.2013 – III B 247/11, BFH/NV 2013, 1112 m.w.N).

30So verhält es sich auch hier. Der Kläger hat innerhalb der Klagefrist das PKH-Gesuch zusammen mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den entsprechenden Belegen eingereicht und die Gründe für die beabsichtigte Klage dargelegt. Außerdem hat er innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des PKH-Beschlusses vom 08.10.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

312. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

32Der Abrechnungsbescheid vom 07.03.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.05.2012 ist rechtmäßig.

33Streitgegenstand sind dabei lediglich die Feststellungen des Abrechnungsbescheids, die sich auf die auf K   entfallende Hälfte des Erstattungsanspruchs beziehen. Der Beklagte hat insoweit zu Recht festgestellt, dass dieser Erstattungsanspruch zum insolvenzfreien Vermögen gehört und durch Aufrechnung mit Steuerschulden des K    erloschen ist.

34Dass K   ein ESt-Erstattungsanspruch für 2010 i.H.v. 417 € zustand, dass diesem Anspruch Steuerforderungen des Beklagten für ESt 2009 und Säumniszuschläge zur ESt IV. Quartal 2010 gegenüberstanden und dass die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 AO, §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs) vorlagen, ist weder fraglich noch streitig. Streitig ist vielmehr im Wesentlichen, ob der Erstattungsanspruch zur Insolvenzmasse gehört, mit der Folge, dass das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Anwendung kommt. Dies ist zu verneinen.

35Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung.

36Von der Insolvenzmasse ist zum einen der vorinsolvenzrechtliche Vermögensteil abzugrenzen und zum anderen das nicht zur Insolvenzmasse gehörende insolvenzfreie Vermögen. Letzteres entsteht dann, wenn der Insolvenzverwalter einen zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese fallenden Vermögensgegenstand freigibt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten, wonach der Insolvenzverwalter in den Fällen, in denen der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt oder auszuüben beabsichtigt, dem Schuldner gegenüber zu erklären hat, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

37Im Streitfall hat der Kläger die gewerbliche Tätigkeit des K   unmittelbar nach Insolvenzeröffnung, nämlich am 22.12.2009, freigegeben. Wird eine selbständige Tätigkeit freigegeben, gehören die Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen. Dies gilt auch für die Steuerschulden und Steuererstattungsansprüche, die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit stehen. Soweit der Kläger insoweit vorträgt, dass ein Insolvenzverwalter nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 2 InsO lediglich „Vermögen aus einer Tätigkeit“ freigeben könne und es sich bei einem ESt-Erstattungsanspruch nicht um „Vermögen aus einer Tätigkeit des Schuldners“ handele, sondern um einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis, welchen er – der Kläger – gerade nicht frei gegeben habe, verkennt er die Reichweite der Freigabe. Wird die Freigabe – wie hier mit Schreiben vom 22.12.2009 – ohne Einschränkungen ausgesprochen, sind alle Forderungen und Verbindlichkeiten, die durch die selbständige Tätigkeit veranlasst sind, freigegeben. Hierzu gehören zweifelsohne auch die Steuern, die auf die durch eine freigegebene Tätigkeit erzielten Umsätze und Gewinne entfallen, und daher – im Gegenzug – zugleich auch die Steuererstattungsansprüche, die sich durch eine Überzahlung der durch die insolvenzfreie Tätigkeit ausgelösten Steuern ergeben.

38Für den Bereich der Umsatzsteuer hat der BFH bereits mehrfach entschieden, dass ein durch eine freigegebene Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt und vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden kann (BFH, Beschluss vom 01.09.2010 – VII R 35/08, BStBl II 2011, 336; Beschluss vom 23.08.2011 – VII B 8/11, BFH/NV 2011, 2115). Daran, dass diese Grundsätze auch für sonstige Steuerarten – insbesondere für die ESt – gelten, hat der Senat keinen Zweifel. Zu beachten ist in Bezug auf die ESt lediglich, dass der Erstattungsanspruch – je nach der Art der erzielten Einkünfte – ggfs. aufzuteilen ist in einen Teil, der zum insolvenzfreien Vermögen gehört, und einen Teil, der in die  Insolvenzmasse fällt.

39Der ESt-Erstattungsanspruch des K   für das Jahr 2010 gehört in voller Höhe zum insolvenzfreien Vermögen, und zwar schon deshalb, weil die ESt auf null festgesetzt worden ist und die Überzahlung von insgesamt 834 € (davon 417 € für K   ) ausschließlich auf den mit Bescheid vom 09.12.2009 angeforderten Vorauszahlungen zur ESt 2010 beruht, bei deren Berechnung nur die Einkünfte des K   aus Gewerbebetrieb zu Grunde gelegt worden sind. Auf die im ESt-Bescheid 2010 vom 05.05.2011 ebenfalls angesetzten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des K    sind dagegen keine Vorauszahlungen geleistet worden und es sind insoweit auch keine Steuern vom Lohn einbehalten worden.

40Davon abgesehen wurden die Vorauszahlungen auch aus dem insolvenzfreien Vermögen des K   bezahlt. Hier zeigt sich letztlich auch die Widersprüchlichkeit der Argumentation des Klägers. Denn dieser will nur in den Genuss der mit der freigegebenen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Steuererstattungsansprüche kommen, nicht aber zugleich auch die durch die freigegebene Tätigkeit ausgelösten Steuern zahlen. Es kann jedoch nicht richtig sein, dass der Insolvenzschuldner die in Zusammenhang mit der freigegebenen Tätigkeit festgesetzten Steuern aus seinem eigenen (insolvenzfreien) Vermögen bezahlen muss, er diese im Fall einer Überzahlung jedoch nicht wieder zurückerhält, sondern die überzahlten Beträge der Insolvenzmasse zu Gute kommen. Denn dies würde letztlich bedeuten, dass sich der Steuerpflichtige, der die durch die freigegebene Tätigkeit veranlassten Steuervorauszahlungen pflichtwidrig nicht begleicht (und infolgedessen auch nichts überzahlt), sich im Ergebnis besser stellt als derjenige, der seine Steuerpflichten ordnungsgemäß erfüllt.

41Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Eine ausdrückliche höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob ein ESt-Erstattungsanspruch, der in Zusammenhang mit einer aus dem Insolvenzbeschlag freigegebenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners steht, zum insolvenzfreien Vermögen gehört, liegt – soweit ersichtlich – bislang nicht vor.

Kindergeldanspruch für Kinder in dualem Studium nicht eingeschränkt

Der 2. Senat hat in einem heute veröffentlichten Urteil vom 15. Mai 2013 (2 K 2949/12 Kg ) entschieden, dass ein duales Studium als Erstausbildung bzw. Erststudium anzusehen und daher die Erwerbstätigkeit des Kindes unschädlich ist (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).

Im Streitfall begann der Sohn der Klägerin nach dem Abitur ein duales Studium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht. Neben dem Studium absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Beides schloss er erfolgreich ab: Die Prüfung zum Steuerfachangestellten legte der Sohn bereits im Jahr 2011 ab, der „Bachelor“ wurde ihm im März 2013 – noch vor Vollendung des 25. Lebensjahres – verliehen. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2012 auf, weil sie der Auffassung war, dass die Erstausbildung des Sohnes der Klägerin bereits mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten im Jahr 2011 beendet gewesen sei. Das (erst später beendete) Studium stelle eine Zweitausbildung dar.

Dem ist der 2. Senat des Finanzgerichts Münster entgegen getreten. Er hat klargestellt, dass sich der Sohn der Klägerin noch bis zum Abschluss seines Studiums in einer Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG befunden habe. Die seit 2012 geltende gesetzliche Neuregelung des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG, die den Anspruch auf Kindergeld einschränke, wenn das Kind seine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium abgeschlossen habe, stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Ein ausbildungs- und praxisintegrierender Studiengang (Duales Studium) sei als Erstausbildung bzw. Erststudium anzusehen. Dieser sei erst abgeschlossen, wenn der angestrebte akademische Grad erreicht sei bzw. das Studium aus anderen Gründen ende.

Die Familienkasse hat gegen die Entscheidung Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Az. III B 63/13).

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 04.11.2013 zum Urteil 2 K 2949/12 vom 15.05.2013

Finanzgericht Münster, 2 K 2949/12 Kg

Datum:
15.05.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2949/12 Kg
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Der Aufhebungsbescheid vom 21.02.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

1T a t b e s t a n d

2Zu entscheiden ist, ob sich der Sohn der Klägerin noch in einer Erstausbildung bzw. in einem Erststudium i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVerG) 2011 (n.F.) befindet.

3Die Klägerin bezog laufend Kindergeld für ihren am xx.yy.1988 geborenen Sohn Q.. Dieser nahm nach dem Abitur am 01.09.2008 eine duales Studium zum Bachelor in dem Studiengang Steuerrecht an der Hochschule für Ökonomie & Management in F-Stadt auf (F). Das Studium sollte enden am 29.02.2012. Parallel absolvierte er eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Diese Ausbildung begann er am 01.08.2008. Im Juni 2011 legte er die Prüfung zum Steuerfachangestellten vor der Steuerberaterkammer xxx ab. Im März 2013 bescheinigte ihm die F den erfolgreichen Abschluss des Studiengangs Steuerrecht. Sie verlieh ihm den Titel Bachelor of Arts.

4Bis zum Abschluss seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten war der Kläger in der Steuerberaterpraxis N. GbR (N.) angestellt. Hier war ihm die Möglichkeit der dualen Ausbildung angeboten worden. Seit dem 01.08.2011 ist er bei den Steuerberatern T. und E. beschäftigt. Nach deren Erklärungen vom 12.04. und 12.06.2012 setzt der Sohn der Klägerin seine Ausbildung in dieser Steuerberaterkanzlei fort. Er werde hier studienbegleitend betreut. Ein schriftlicher Vertrag über Inhalt und Umfang der Tätigkeit liegt nicht vor. Der Sohn der Klägerin arbeitet nach eigenen Angaben mehr als 20 Stunden wöchentlich. Seine Entlohnung entspricht der eines Steuerfachangestellten.

5Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 16.02.2012 ab dem 01.01.2012 auf. Gleichzeitig forderte die Beklagte das überzahlte Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2012 zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

6Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Weiterzahlung des Kindergeldes über den 01.01.2012 hinaus. Zur Begründung führt sie aus, ihr Sohn befinde sich bis zum Abschluss des dualen Studiums noch in der Ausbildung. Er habe mit Ablegen der Prüfung zum Steuerfachangestellten seine Erstausbildung noch nicht beendet. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellten der Studiengang an der F und die Ausbildung zum Steuerfachangestellten keine zwei verschiedenen Ausbildungen dar. Dem stehe schon entgegen, dass die Aufnahme des Studiums eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten zur Bedingung mache. So habe die ausbildende Steuerkanzlei N. damit geworben, dass sie eine dualen Ausbildung durchführe.

7Die Klägerin beantragt,

8den Bescheid vom 16.02.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 aufzuheben.

9Die Beklagte beantragt,

10die Klage abzuweisen.

11Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihre Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie aus, der Sohn der Klägerin habe seine Ausbildung mit Ablegen der Prüfung zum Steuerfachangestellten am 22.06.2011 erfolgreich absolviert. Bei der Ausbildung zum Steuerfachangestellten und dem Studiengang Steuerrecht an der F handele es sich um zwei verschiedene Ausbildungen. Das Studium stelle eine Zweitausbildung dar. Entgegen der Auffassung der Klägerin befinde sich ihr Sohn auch nicht weiter in einem Ausbildungsverhältnis. Mit den Steuerberatern T. und E. bestehe keine entsprechende vertragliche Vereinbarung. Außerdem ergebe sich aus der Höhe der Bezüge und dem auf den Gehaltsmitteilungen ersichtlichen Personalgruppenschlüssel, dass der Sohn der Klägerin nicht als Auszubildender, sondern als Sozialversicherungspflichtiger ohne besondere Merkmale angemeldet sei. Der Sohn der Klägerin gehe nach Abschluss seiner Erstausbildung auch keiner unschädlichen Erwerbstätigkeit nach. Es liege kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vor. Die maßgebliche Grenze von 20 Wochenstunden werde ebenfalls überschritten.

12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Rechtsvortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die Kindergeldakte der Beklagten verwiesen.

13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

14Die zulässige Klage, über die die Berichterstatterin gem. §§ 79a Abs. 3 und 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist begründet. Der Bescheid vom 16.02.2012 ist rechtswidrig. Die Klägerin wird hierdurch in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

15Zu Unrecht hat die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab dem 01.01.2012 aufgehoben. Denn ihr Sohn befindet sich auch nach 2011 noch in der Erstausbildung bzw. in einem Erststudium.

16Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für eine Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen der Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Sozialgesetzbuches sind unschädlich, § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F.

17Der Sohn der Klägerin befindet sich bis zum Abschluss seines Studiums noch in der Berufsausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG.

18Berufsausbildung ist jede ernstlich betriebene Vorbereitung auf einen künftigen Beruf. Es handelt sich um einen eigenständigen Begriff, der grundsätzlich weit auszulegen ist. Auf den deutlich engeren Begriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. darf im Rahmen der Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG nicht zurückgegriffen werden. Erfasst werden alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Eine neben einer ernsthaft betriebenen Berufsausbildung ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ist grundsätzlich unschädlich. Zur Ausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG gehört daher auch ein ernsthaft betriebenes Studium bis zu dessen Abschluss, d.h. zumindest bis zur Bekanntgabe der Prüfungsergebnisses (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG 32. Aufl. 2013 § 32 Rz. 26, 27, 29, 49 m.w.N.).

19Nach diesen Grundsätzen befand sich der Sohn der Klägerin bis März 2013 (Verleihung des Bachelor of Arts) noch in der Ausbildung i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG. Anhaltspunkte dafür, dass das Studium angesichts der in Vollzeit ausgeübten Berufstätigkeit nicht ernsthaft betrieben wurde, bestehen nicht, da das Studium zeitnah und mit Erfolg abgeschlossen wurde.

20Der Sohn der Klägerin befand sich bis März 2013 auch noch in einer Erstausbildung bzw. in einem Erststudium i.S.v. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. Ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. vorliegen, kann daher dahinstehen. Im übrigen ist unstreitig, dass der Kläger weder eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt hat noch weniger als 20 Wochenstunden tätig war.

21Die Begrifflichkeiten Erstausbildung und Erststudium sind nach Wortlaut und Zielsetzung der Vorschrift (zugunsten des Kindergeldberechtigten) sehr viel enger auszulegen als das Tatbestandsmerkmal „Berufsausbildung“ in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG. Erstmalig ist die Berufsausbildung, wenn ihr weder eine andere abgeschlossene Berufsausbildung noch ein Erststudium vorausgegangen sind (Schmidt/Loschelder aaO § 32 Rz. 49 m.w.N.). Erststudium ist ein Studium, das zugleich eine erstmalige Berufsausbildung vermittelt (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 12. Rz. 59 m.w.N.).

22Die Begriffe Erstausbildung und Erststudium sind dabei unter systematischen Gesichtspunkten in Abstimmung mit der Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und anderer Gesetze vom 21.07.2004 bzw. dem Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (n.F.) auszulegen. Denn nach § 12 Nr. 5 EStG n.F. können die Kosten einer Erstausbildung bzw. eines Erststudiums nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden. Als begleitende Maßnahme ist der Höchstbetrag für Berufsausbildungskosten i.R.d. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG n.F von 4.000 EUR auf 6.000 EUR erhöht worden. Darüber hinaus ist mit dem StVerG 2011 die Einkünfte- und Bezügegrenze in § 32 Abs. 4 EStG für volljährige Kinder während einer erstmaligen Berufsausbildung mit Wirkung ab 2012 entfallen. Hintergrund waren befürchtete Steuerausfälle und zusätzliche Verwaltungskosten, wenn die Aufwendungen einer Erstausbildung oder eines Erststudiums als Werbungskosten oder Betriebsausgaben hätten anerkannt werden müssen (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 12. Rz. 56 m.w.N.).

23Durch die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. hat der Gesetzgeber deshalb weiter geregelt, dass die nach § 12 Nr. 5 EStG n.F. nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abzugsfähigen Aufwendungen einer Erstausbildung oder eines Erststudiums grundsätzlich über die Eltern i.R.d. Familienleistungsausgleichs Berücksichtigung finden sollen. Nur Ausbildungskosten nach Abschluss einer Erstausbildung oder eines Erststudiums werden als Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei den Einkünften des Kindes berücksichtigt (vgl. Schmidt/Loschelder aaO § 32 Rz. 49 m.w.N.).

24Der BFH hat mit Urteilen vom 18.06.2009 VI R 49/07, BFH/NV 2009, 1799 und VI R 14/07, BStBl. 2010, 816 dazu Stellung genommen, wann Aufwendungen für ein Erststudium vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG n.F. erfasst werden. Dabei hat er entschieden, dass Aufwendungen für ein sogenanntes Erststudium dann als Werbungskosten anzuerkennen sind, wenn eine – vorausgegangene – abgeschlossene Berufsausbildung vorliegt. Im Fall des Urteils zu dem Aktenzeichen VI R 49/07 hatte der Kläger nach Abschluss einer Berufsausbildung zum Koch erstmals ein Studium zum Diplom-Betriebswirt im Studiengang Hotelmanagement aufgenommen. Im zweiten Fall hatte die Klägerin nach Abschluss einer Berufsausbildung als Buchhändlerin ein Studium zur Grund, Haupt- und Realschullehrerin aufgenommen. Der BFH hat in beiden Fällen die Auffassung vertreten, dass die Kosten des Studiums als Werbungskosten abgezogen werden können, da sich die Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG nicht auf Umschulungen und Zweitausbildungen beziehe.

25Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein zeitgleich mit integrierter Berufsausbildung begonnenes Studium vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 5 EStG erfasst wird. Denn es liegt keine Umschulung oder Zweitausbildung nach abgeschlossener Berufsausbildung vor, wenn Studium und Berufsausbildung parallel und zeitgleich begonnen und durchgeführt werden und wenn sie sich im Sinne einer dualen Ausbildung konzeptionell bedingen und ergänzen. Dabei kann es nicht entscheidend sein, ob die studienbegleitende Berufsausbildung regelmäßig oder auch zufällig vor Abschluss des Studiums abgeschlossen wird. Es liegt vielmehr eine einheitliche Erstausbildung bzw. ein Erststudium vor, die bzw. das nach dem angestrebten Berufsziel erst mit dem Abschluss sowohl der praktischen Ausbildung als auch mit der Erlangung des angestrebten akademischen Grades beendet ist.

26Für die gebotene korrespondierende Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. bedeutet dies, dass ausbildungs- und praxisintegrierende Studiengänge (Duales Studium) als Erststudium bzw. Erstausbildung  i.S. dieser Vorschrift anzusehen sind, bis der bei Aufnahme des Studiums mit integrierter Berufsausbildung angestrebte akademische Grad erreicht ist oder das Studium aus anderen Gründen beendet wird.

27Hiernach hat der Sohn der Klägerin seine Erstausbildung bzw. sein Erststudium erst in 2013 beendet. Er hat nach den vorgelegten Unterlagen an der F ein duales Studium im Studiengang Steuerrecht mit integrierter Ausbildung zum Steuerfachangestellten absolviert. Dass er die Prüfung zum Steuerfachangestellten bereits vor Abschluss des Studiums abgelegt und bestanden hat, steht der Annahme einer über das Jahr 2011 hinaus vorliegenden Erstausbildung bzw. eines Erststudiums nicht entgegen.

28Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 und § 155 FGO und § 708 Nr. 10 und § 711 Zivilprozessordnung.

Vorsicht bei Gutschriften

Vorsicht bei Gutschriften

Kernaussage
Das Umsatzsteuergesetz (UStG) versteht unter einer Gutschrift die Abrechnung einer Leistung durch deren Empfänger. Gutschriften werden z. B. häufig bei Provisionsabrechnungen eingesetzt. Hier erbringen die Vertreter die Leistung an das Unternehmen, welches deren Leistung per Gutschrift abrechnet, da es über die entsprechenden Abrechnungsgrundlagen verfügt. In der Praxis wird jedoch unter einer Gutschrift die Korrektur einer Rechnung verstanden (kaufmännische Gutschrift). Umgangssprachlich mag dies zutreffend sein, umsatzsteuerlich muss jedoch strikt zwischen Gutschrift und Rechnungskorrektur unterschieden werden.

Rechtslage
Seit dem 30.6.2013 muss eine Gutschrift (im umsatzsteuerlichen Sinne) zwingend die Angabe „Gutschrift“ enthalten. In der übrigen EU schon seit dem 1.1.2013.

Rechtsfolgen
Nur Gutschriften i. S. d. Umsatzsteuergesetzes sind als Gutschrift zu bezeichnen. Dies ignorierend werden aber in der Praxis unverändert Rechnungskorrekturen als Gutschriften bezeichnet. Ursache hierfür ist, dass vielen Unternehmern die o. g. Differenzierung nicht bekannt ist, sie diese (verständlicherweise) nicht verstehen oder die Rechtsfolgen nicht kennen. So macht der Leistungsempfänger sich selbst den Vorsteuerabzug zunichte, wenn er die Angabe „Gutschrift“ in einer solchen unterlässt. Werden Rechnungskorrekturen unverändert als „Gutschriften“ bezeichnet, so besteht das Risiko für den Empfänger der Korrektur, dass diese vom Fiskus nicht als das interpretiert werden, was sie tatsächlich sind, nämlich ein Rechnungskorrekturen, sondern als Gutschrift im umsatzsteuerlichen Sinne. Der Empfänger würde dann behandelt, als hätte er selbst eine Rechnung ausgestellt, ohne eine Leistung erbracht zu haben. Folglich würde er die ausgewiesene Umsatzsteuer schulden (§ 14c UStG). Ob diese Rechtsfolge tatsächlich eintritt, ist derzeit noch unklar.

Eingabe der Bundesteuerberaterkammer
Die Bundessteuerberaterkammer hat das Bundesfinanzministerium (BMF) aufgefordert, diesbezüglich eine Klarstellung herbeizuführen. Eine Antwort steht noch (immer) aus. Um diesen Problemen zu begegnen sollten die Unternehmen wie folgt verfahren: Nur Gutschriften im umsatzsteuerlichen Sinne sind noch als Gutschrift zu bezeichnen bzw. mit dieser Bezeichnung zu akzeptieren. In der Praxis werden solche Fälle eher selten sein. Für Rechnungskorrekturen sind andere Begriffe zu verwenden, z. B. „Rechnungskorrektur“ oder „Korrekturbeleg“. Sollten die eigenen Lieferanten noch Rechnungskorrekturen als Gutschrift bezeichnen, so sollte deren Berichtigung gefordert werden.

Welche Beweiskraft kommt einer Postzustellungsurkunde zu?

Welche Beweiskraft kommt einer Postzustellungsurkunde zu?

Kernaussage
Als öffentliche Urkunde begründet die Postzustellungsurkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der Zustellungsurkunde genannte Person. Ein Gegenbeweis kann nur durch Nachweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden.

Sachverhalt
Der Kläger wurde vom beklagten Finanzamt für rückständige Umsatzsteuern einer Kommanditgesellschaft als Geschäftsführer der Komplementärin in Haftung genommen. Nachdem das Finanzamt den ersten Haftungsbescheid zurücknahm, erließ es am 31.3.2009 einen neuen Haftungsbescheid, in dem es die Ermessensausübung näher begründete. Der Bescheid erging mittels Postzustellungsurkunde. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 2.6.2010 Einspruch mit Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ein. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass er von dem Bescheid erst in einer mündlichen Verhandlung wegen einer vom Finanzamt erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung gehört habe. Er habe den Bescheid nie erhalten und könne sich an die Zustellung nicht erinnern. Die Klage hatte weder vor dem Finanzgericht noch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Erfolg.

Entscheidung
Die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde erstreckt sich auch auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der Urkunde genannte Person. Ein Gegenbeweis kann nur durch Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger nicht ansatzweise geführt. Eine weitere Sachaufklärung in Form der Zeugenvernehmung des Zustellers musste das Gericht nicht betreiben. Zumal der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls keine Beweisanträge gestellt und damit sein Rügerecht verloren hatte. Der Untersuchungsgrundsatz des finanzgerichtlichen Verfahrens ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung ein Beteiligter auch durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann.

Konsequenz
Die revisionsrechtliche Rüge der mangelnden Sachaufklärung greift nicht durch, wenn der Beteiligte in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesend oder fachkundig vertreten war, die mangelhafte Sachaufklärung erkennen musste und den Verfahrensverstoß trotzdem nicht gerügt hat. Der BFH bestätigt damit ein Verzicht auf Verfahrensrechte durch Unterlassen.

Finanzierung von Kfz, Konsumentenkredite etc. in der Umsatzsteuer

Finanzierung von Kfz, Konsumentenkredite etc. in der Umsatzsteuer

Kernaussage
Wer kennt die Werbung nicht: „Finanzierung zu 0 %“. Die günstige Finanzierung soll den Kunden einen Anreiz zum Kauf bieten. Um dies zu erreichen, zahlen die Hersteller bzw. Händler an die finanzierenden Institute einen Ausgleich für die vergünstigten Kredite. Auch wenn die Geschäftsidee immer die gleiche ist, so gibt es Unterschiede in der umsatzsteuerlichen Behandlung der Zuzahlung, auf die ein neues Schreiben des Bundesfinanzministerium (BMF) hinweist.

Neue Verwaltungsanweisung
Das BMF unterscheidet zunächst zwischen der Finanzierung durch Autobanken sowie durch andere Institute. Autobanken zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit dem Händler bzw. Hersteller verbunden sind. I. d. R. handelt es sich um eine Tochtergesellschaft des Herstellers. Da die Autobank primär den Absatz fördern soll, wird die Zuzahlung des Herstellers/Händlers als Zahlung für eine Werbeleistung der Autobank qualifiziert. Erfolgt die Finanzierung durch andere Institute (i. d. R. Konsumentenkredite) ist zwischen der Vergabe von Krediten und der Finanzierung durch Leasing zu unterscheiden. Im Rahmen der Finanzierung per Kredit stellt die Zahlung des Händlers Entgelt von dritter Seite für die Leistung des Institutes an den Kunden dar. Erfolgt hingegen die Finanzierung per Leasing, so wird die Zahlung des Herstellers/Händlers als Rabatt für die Lieferung des Leasinggegenstandes an den Leasinggeber qualifiziert. Der Hersteller/Händler kann eine Entgeltminderung geltend machen, das Leasinginstitut muss korrespondierend die Vorsteuer korrigieren. Die im Vergleich zur Kreditvergabe unterschiedliche Behandlung beim Leasing resultiert daraus, dass beim Leasing kein Kaufvertrag zwischen Hersteller/Händler und dem Kunden abgeschlossen wird, sondern mit dem späteren Leasinggeber.

Konsequenz
Hersteller bzw. Händler, die derartige Zuzahlungen leisten, um Kunden mit zinsgünstigen Finanzierungen zu ködern, müssen die vom BMF vorgenommene Differenzierung aufgrund der unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Folgen beachten. Soweit die Finanzierung durch andere Institute erfolgt, kann die Zuzahlung allerdings bis zum 31.12.2013 noch als Entgelt für eine Werbeleistung des Instituts angesehen werden, sofern dies schon vor Veröffentlichung des BMF-Schreibens so gehandhabt wurde.

Gelangensbestätigung: BMF veröffentlicht endgültiges Schreiben

Gelangensbestätigung: BMF veröffentlicht endgültiges Schreiben

Kernaussage
Innergemeinschaftliche Lieferungen sind steuerfrei. Der liefernde Unternehmer muss allerdings nachweisen, dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Scheitert dies, ergeben sich häufig empfindlich hohe Nachzahlungen für die betroffenen Lieferanten.

Rechtslage
Mit Wirkung vom 1.10.2013 wurden die Nachweispflichten für innergemeinschaftliche Lieferungen neu geregelt (§ 17a-c Umsatzsteuerdurchführungsverordnung – UStDV). Hierdurch sollen die Nachweise praktikabler als bisher ausgestaltet werden. Neben der Gelangensbestätigung sind nun auch alternative Nachweise zulässig.

Neue Verwaltungsanweisung
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat zur Neuregelung Stellung bezogen. Das Schreiben behandelt die Gelangensbestätigung sowie die alternativen Nachweise.

Konsequenz
Zunächst ist festzuhalten, dass das nun veröffentlichte Schreiben noch Abweichungen von dem zuvor in Umlauf gegebenen Entwurf enthält. Neu ist u. a., dass den Unternehmern nochmals eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2013 sowie weitere Vereinfachungen, z. B. bei Einschaltung von Kurierdiensten, zugestanden werden. Die Umstellung auf die Neuregelung muss nun spätestens zum 1.1.2014 erfolgt sein. Die Unternehmen sollten sich aber nicht so viel Zeit lassen. Zum einen ist die Übergangsregelung nicht im Gesetz verankert, so dass die Finanzgerichte nicht hieran gebunden sind, sollte es Streit über die Nachweise geben. Zum anderen zeigt sich schon jetzt in der Praxis, dass trotz des umfangreichen BMF-Schreibens der Teufel im Detail sitzt. Schwierigkeiten können jetzt noch in Ruhe beseitigt werden, kurz vor dem Jahreswechsel dürfte dies schwierig sein. Dies gilt auch für die Überzeugungsarbeit, die bei den Kunden geleistet werden muss, damit diese die neuen Nachweise akzeptieren. So mag die elektronische Gelangensbestätigung aus deutscher Sicht zwar häufig der „einfachste“ Nachweis sein, für die Kunden ist dies hingegen neu, da in anderen EU-Staaten Frachtpapiere als Nachweis dienen. Methodisch sollte der Umstellung eine Analyse der vorhandenen Lieferbeziehungen vorangehen. Hierauf aufbauend ist festzulegen, in welcher Form der Nachweis geführt werden soll. Dies ist mit den Kunden und den eingeschalteten Transportunternehmen abzustimmen. Das eigene Personal (z. B. Fibu, Versand, Auftragsannahme) ist im Hinblick auf die neuen Anforderungen zu schulen, ggf. sind auch Anpassungen der EDV erforderlich.

Keine steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten eines Hobbyautors

Keine steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten eines Hobbyautors

Kernaussage
Mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil hat das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz entschieden, dass Verluste, die ein (Hobby)Autor wegen der Veröffentlichung eines Buches mit Kurzgeschichten erzielt, steuerlich nicht anzuerkennen sind.

Sachverhalt
Der Kläger, ein selbstständiger Logopäde, machte für die Jahre 2008-2010 Aufwendungen für seine Autorentätigkeit geltend, u. a. Publikationskosten, Fahrtkosten, Kosten für ein Arbeitszimmer und die Geschäftsausstattung (insgesamt rund 11.000 EUR). Einnahmen erklärte er keine. Im Jahr 2011 gab er seine Autorentätigkeit auf. Für die Einkommensteuerveranlagung prüfte das beklagte Finanzamt die Gewinnerzielungsabsicht des Klägers in Bezug auf seine Autorentätigkeit und forderte entsprechende Angaben und Unterlagen. Eine Antwort blieb aus, so dass die Verluste aus der Autorentätigkeit des Klägers nicht anerkannt wurden. Mit seiner dagegen gerichteten Klage machte der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe mit einem Verlag einen Autorenvertrag geschlossen. Dies belege seine Gewinnerzielungsabsicht. Ohne entsprechende Gewinnerzielungsabsicht hätte er auch keine Publikationskosten in Höhe von 4841 EUR übernommen. Mit der Autorentätigkeit habe er sich ein zweites Standbein aufbauen wollen, da er wegen gesundheitlicher Probleme in der Ausübung seines Hauptberufes zusehends eingeschränkt werde. Im Übrigen sei er vom Verlag getäuscht worden, da dieser nicht die zugesagten Aktivitäten entfaltet habe.

Entscheidung
Das Finanzgericht wies die Klage ab. Der Kläger konnte nicht den Nachweis führen, dass er mit seiner Autorentätigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht gehabt habe. Die Gewinnerzielungsabsicht als sog. „innere Tatsache“ (Vorgang, der sich in der Vorstellung von Menschen abspielt) kann nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden. Nach diesen allein maßgeblichen objektiven Umständen war davon auszugehen, dass der Kläger mit seiner Autorentätigkeit keinen Totalgewinn hätte erzielen können. Der Kläger übte die verlustbringende Tätigkeit aus im Bereich der Lebensführung liegenden persönlichen Gründen und Neigungen aus. Der besondere Charakter des vom Kläger behandelten Themas erlaubte hier den Schluss, dass die Tätigkeit nicht allein auf der Absicht beruhte, sich ein zweites berufliches Standbein zu schaffen. Auch die Bereitschaft zur Übernahme nicht unerheblicher Druckkosten sprach dafür, dass überwiegend private Interessen für die Tätigkeit ursächlich waren.

Konsequenz
Derartige Verluste wie die des Klägers können im Einzelfall nur dann als sog. „Anlaufverluste“ anerkannt werden, wenn bereits zu Beginn der Tätigkeit ein schlüssiges Betriebskonzept existiert, das den Steuerpflichtigen zu der Annahme veranlassen darf, durch die selbstständige Tätigkeit könne insgesamt ein positives Gesamtergebnis erzielt werden. Der Betrieb muss jedenfalls objektiv geeignet sein, einen Totalgewinn abzuwerfen. Dies war hier nicht der Fall, weil die Druckkosten des Klägers bereits zu Beginn der Tätigkeit einen Verlust auslösten, der in den nachfolgenden Jahren nicht auszugleichen war. Um überhaupt mit Honoraren rechnen zu können, hätte der Kläger mehr als 1000 Stück seines Werkes verkaufen müssen. Derartige Verkaufszahlen sind indes auch bei einem „aktiveren“ Marketing des Verlags bei einem Erstlingswerk schwer zu erreichen.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin