Kfz: Überschreiten der Richtgeschwindigkeit muss keine Haftungsquote begründen

Verursacht ein vom rechten auf den linken Fahrstreifen einer Autobahn wechselnder Verkehrsteilnehmer einen Auffahrunfall, weil er den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet, kann dem auffahrenden Verkehrsteilnehmer 100 %-iger Schadensersatz zustehen, auch wenn er die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h vor dem Zusammenstoß – maßvoll – überschritten hat. Unter Hinweis auf diese Rechtslage hat der 7. Senat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 08.02.2018 das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Essen vom 28.04.2017 (Az. 19 O 252/15 LG Essen) bestätigt.Der Kläger aus Oberhausen nimmt den Beklagten aus Dortmund und den Haftpflichtversicherer des Beklagten aus einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch, der sich am 14.05.2015 auf der BAB 31 in Bottrop ereignete. Der seinerzeit 30 Jahre alte Sohn des Klägers befuhr mit dessen Seat die linke Fahrspur und beabsichtigte, den auf der rechten Fahrspur mit seinem Dacia fahrenden, seinerzeit 45 Jahre alten Beklagten mit einer Geschwindigkeit von ca. 150 km/h zu überholen. Als sich das klägerische Fahrzeug dem Fahrzeug des Beklagten bereits genähert hatte, wechselte dieser ohne ersichtlichen Grund und ohne Betätigen des Fahrtrichtungsanzeigers auf die linke Fahrspur. Es kam zum Auffahrunfall, weil der Sohn des Klägers das klägerische Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig abbremsen und dem Fahrzeug des Beklagten auch nicht ausweichen konnte.

Den Ersatz des dem Kläger durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von ca. 7.640 Euro hat das Landgericht dem Kläger in vollem Umfang zuerkannt. Der Beklagte habe den Unfall verschuldet, so das Landgericht, weil er den Fahrstreifenwechsel nicht rechtzeitig und deutlich angekündigt und auch nicht so ausgeführt habe, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen sei. Dass der Sohn des Klägers den Unfall durch das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit mitverursacht habe, rechtfertige aufgrund des groben Verschuldens des Beklagten keine Mithaftung des Klägers.

Mit ihrer gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Berufung haben die Beklagten geltend gemacht, das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit durch den Sohn des Klägers habe die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs so erhöht, dass eine Mithaftung des Klägers in Höhe 25 % gerechtfertigt sei.

Der Argumentation der Beklagten hat sich der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nicht angeschlossen. Nach seinem Hinweisbeschluss vom 21.12.2017 hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 08.02.2018 zurückgewiesen.

Das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit begründe im vorliegenden Fall keine Mithaftung des Klägers, so der Senat. Dies folge aus der gebotenen Haftungsabwägung.

Den Beklagten treffe ein erhebliches Verschulden. Aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr zu beobachten habe er sein Fahrzeug auf die linke Fahrspur herübergezogen.

Ein schuldhafter, den Unfall mitverursachender Verkehrsverstoß des Sohnes des Klägers sei demgegenüber nicht bewiesen. Bei der vor den beiden Fahrzeugen freien Autobahn habe er nicht mit einem plötzlichen Spurwechsel des Beklagten rechnen müssen. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung sei auf dem Streckenabschnitt der BAB nicht angeordnet, die nach den Angaben des Sohnes des Klägers gefahrene Geschwindigkeit von 150 km/h sei mit den Straßen- und Sichtverhältnissen vereinbar gewesen. Eine höhere Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs sei nicht feststellbar.

Die damit auf Seiten des Klägers zu berücksichtigende Betriebsgefahr seines Fahrzeugs falle aufgrund des erheblichen Verschuldens des Beklagten im Abwägungsverhältnis nicht mehr ins Gewicht. Aus der maßvollen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit um 20 km/h habe sich keine Gefahrensituation für den vorausfahrenden Beklagten ergeben. Im Unfall habe sich die mit der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit für einen vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer häufig verbundene Gefahr, dass die Annäherungsgeschwindigkeit des rückwärtigen Verkehrs unterschätzt werde, nicht verwirklicht. Der Beklagte habe aus Unachtsamkeit und ohne den rückwärtigen Verkehr überhaupt zu beobachten einen ungewollten Fahrstreifenwechsel ausgeführt. In diesem Fall habe das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit für den Beklagten nicht gefahrerhöhend gewirkt. Davon habe auch der Sohn des Klägers ausgehen dürfen. Er habe aufgrund der freien Autobahn darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte den rechten Fahrstreifen nicht grundlos verlasse.

Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung vom 08.03.2018 zu den Beschlüssen 7 U 39/17 vom 21.12.2017 und 08.02.2018

 

Elterngeld trotz Verlust des Kindes im ersten Monat

Ein Adoptionspflegevater hat Anspruch auf einen Monat Elterngeld, auch wenn er die zweimonatige Mindestbezugsdauer nicht erreichen kann, weil er das Kind bereits nach drei Wochen den leiblichen Eltern zurückgeben musste. Dies hat der 10. Senat des Bundessozialgerichts am 08.03.2018 entschieden.

Der Kläger und seine Ehefrau nahmen im Jahr 2010 ein neugeborenes Kind für die gesetzlich vorgesehene Probezeit zur Adoptionspflege bei sich auf. Die Adoption scheiterte, weil die leiblichen Eltern das Kind bereits nach etwa drei Wochen wieder bei sich aufnahmen. Die beklagte Landeshauptstadt lehnte das für den Betreuungsmonat beantragte Elterngeld ab, weil dieses seit dem Jahr 2009 erst beim Erreichen einer Mindestbezugsdauer von insgesamt zwei Monaten gewährt wird.

Anders als die erste Instanz hat das Berufungsgericht dem Kläger Elterngeld für einen Monat zugesprochen. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht zurückgewiesen. Mit der Beendigung der Adoptionspflege ist zwar eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Elterngeldanspruch noch vor Ablauf des ersten Betreuungsmonats auf Dauer wieder entfallen. Gleichwohl belässt das Gesetz dem Berechtigten den einmal entstandenen Elterngeldanspruch noch für den gesamten Betreuungsmonat (§ 4 Abs. 4 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in der Fassung ab 24. Januar 2009). Dieser Bestandsschutz entfällt nicht deshalb, weil die vorgegebene Mindestbezugszeit von 2 Monaten nicht erfüllt wird. Mit der zum 24. Januar 2009 eingeführten Mindestbezugszeit (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) sollte eine noch bessere Rechtfertigung für eine längere Elternzeit gegenüber Dritten ermöglicht und eine intensivere Bindung des zweiten Elternteils zum Kind gefördert werden. Verhindert werden sollte mit der Mindestbezugszeit nur, dass ein Elternteil – vor allem der Vater – lediglich einen der beiden „Partnermonate“ beanspruchte. Der Verlust des Elterngeldanspruchs ist in diesen Fällen also die Folge einer Entscheidung im Verantwortungsbereich des Elterngeldberechtigten, was im entschiedenen Fall nicht gegeben war.

Hinweis auf Rechtsvorschriften

§ 1741 BGB

(1) 1Die Annahme als Kind ist zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht.

§ 1744 BGB

Die Annahme soll in der Regel erst ausgesprochen werden, wenn der Annehmende das Kind eine angemessene Zeit in Pflege gehabt hat.

§ 4 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 BEEG (in der ab 24.01.2009 geltenden Fassung)

(3) 1Ein Elternteil kann mindestens für zwei und höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen…

(4) Der Anspruch endet mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist.

§ 4 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Satz 1 und 2 BEEG (in der ab 01.01.2015 geltenden Fassung)

(2) …3Der Anspruch endet mit dem Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen ist…

(5) 1Ein Elternteil kann höchstens zwölf Monatsbeträge Elterngeld im Sinne des Abs. 2 Satz 2 zuzüglich der vier nach Abs. 4 Satz 3 zustehenden Monatsbeträge Elterngeld Plus beziehen. 2Er kann Elterngeld nur beziehen, wenn er es mindestens für zwei Monate in Anspruch nimmt…

Quelle: BSG, Pressemitteilung vom 08.03.2018 zur Entscheidung B 10 EG 7/16 R vom 08.03.2018

 

Kein Elterngeldverlust durch Heiratsbeihilfe und Weihnachtsgeld

Anlassbezogene oder einmalige Zahlungen wie eine Heiratsbeihilfe oder Weihnachtsgeld reduzieren das Elterngeld auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber keinen Lohnsteuerabzug vom Arbeitslohn vornimmt, sondern das Einkommen während des Elterngeldbezugs pauschal versteuert. Dies hat der 10. Senat des Bundessozialgerichts am 08.03.2018 entschieden (Az. B 10 EG 8/16 R).

Die Klägerin war vor der Geburt ihres Kindes am 07.01.2014 als Angestellte eines Steuerbüros tätig. Nach der Geburt ihres Kindes beschäftigte ihr Arbeitgeber sie mit einem pauschal versteuerten Minijob weiter. Zusätzlich zum laufenden Arbeitslohn zahlte er ihr während des Elterngeldbezugs eine einmalige Heiratsbeihilfe sowie Urlaubs-und Weihnachtsgeld. Diese Leistungen versteuerte er ebenfalls pauschal.

Der beklagte Freistaat rechnete diese Zahlungen wegen der pauschalen Versteuerung als Einkommen auf das Elterngeld der Klägerin an. Der hiergegen gerichteten Klage haben die Vorinstanzen stattgegeben. Das Bundessozialgericht hat die dagegen gerichtete Revision des Beklagten zurückgewiesen. Für den Fall eines Lohnsteuerabzugsverfahrens bleiben einmal gezahlte Vergütungsbestandteile als sonstige Bezüge bei der Elterngeldberechnung unberücksichtigt. Hierbei verbleibt es auch, wenn sich der Arbeitgeber bei einem Mini-Job für eine pauschale Versteuerung entscheidet. Hierfür gibt es keine besondere Regelung im Elterngeldrecht.

Hinweis auf Rechtsvorschriften

§ 2 Abs 3 BEEG i. d. F. ab 18.09.2012

(3) Für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat, das durchschnittlich geringer ist als das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, wird Elterngeld in Höhe des nach Abs. 1 oder 2 maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt…

§ 2c Abs 1 BEEG i. d. F. ab 18.09.2012

(1) 1Der … Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit … über ein Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben …, ergibt das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. 2Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren als sonstige Bezüge behandelt werden…

§ 2c Abs 1 BEEG i. d. F. ab 01.01.2015

(1) 1Der … Überschuss der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit …, ergibt das Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit. 2Nicht berücksichtigt werden Einnahmen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den lohnsteuerlichen Vorgaben als sonstige Bezüge zu behandeln sind…

Quelle: BSG, Pressemitteilung vom 08.03.2018 zur Entscheidung B 10 EG 8/16 R vom 08.03.2018

 

Terminplan für Pkw-Maut noch unklar

Berlin: (hib/HAU) Die Bundesregierung kann noch keinen Termin für die Einführung der Infrastrukturabgabe (Pkw-Maut) nennen. Das geht aus der Antwort (19/990) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/724) hervor. Der Einführungstermin sei abhängig von den Ergebnissen der noch laufenden Vergabeverfahren, schreibt die Regierung. In den Jahren 2014 bis 2017, so heißt es in der Antwort weiter, seien für die Einführung der Infrastrukturabgabe Kosten in Höhe von insgesamt 23 Millionen Euro entstanden. Im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), im Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und im Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seien für die Vorbereitung der Infrastrukturabgabe insgesamt 76 Stellen und Planstellen vorgesehen. Davon seien 30 besetzt, teilt die Regierung mit.

Was die Ausweitung der Lkw-Maut auf das Bundesstraßennetz betrifft, so geht die Bundesregierung der Vorlage zufolge davon aus, „dass der Termin 1. Juli 2018 für die Ausweitung auf alle Bundesstraßen eingehalten werden kann“. Die gegenwärtigen Mautsätze sollen dann weitergelten, bis die Arbeiten an dem neuen Wegekostengutachten 2018 – 2022 abgeschlossen sind und auf dieser Basis die aktuellen Mautsätze überprüft werden könnten. Auf der Grundlage des neuen Wegekostengutachtens will die Bundesregierung nach eigener Aussage auch eine Ausweitung der Maut auf kleinere Lkw mit 3,5 bis 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht und auf Fernbusse sowie die Einbeziehung der Lärmkosten prüfen.

Verkehr und digitale Infrastruktur/Antwort – 09.03.2018 (hib 140/2018)

 

1 %-Regelung für Elektro- und Hybridelektrofahrzeuge

Evaluierung: Nachteilsausgleich für Elektro- und Hybridelektrofahrzeuge bei der Ermittlung des privaten Nutzungsvorteils

Retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung –

Stand: 21.11.2017

Durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1809) wurde die sog. 1 %-Regelung zur Ermittlung der Entnahme für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG geändert. Bei der Nutzung von Elektro- und Hybridelektrofahrzeugen wird der Listenpreis um einen pauschalen Abschlag für das Batteriesystem gemindert, um so eine vergleichbare Besteuerung mit Kraftfahrzeugen mit herkömmlichen Antrieben (Verbrennungsmotoren) zu erreichen (sog. Nachteilsausgleich). Die Begründung zum Gesetzentwurf des AmtshilfeRLUmsG der Koalitions-Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Drs. 17/12375, S. 37) sah eine Evaluierung der gesetzlichen Regelung vor. Es sei zu prüfen, ob diese auf Grund der zu erwartenden schnell voranschreitenden technischen Entwicklung in diesem Sektor weiter erforderlich und ob sie dem Grunde und der Höhe nach weiterhin gerechtfertigt ist. Die Evaluierung sollte dem Zweck dienen nachzuweisen, dass die Vorschrift nicht als Subvention wirkt. Dieser Nachweis konnte erbracht werden.

 Evaluierung: Nachteilsausgleich für Elektro- und Hybridelektrofahrzeuge bei der Ermittlung des privaten Nutzungsvorteils

Quelle: BMF, Mitteilung vom 05.03.2018

 

Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 AO

Zu Abschnitt 2.1.2 und 2.1.5 – Aufzeichnungsumfang der Kundendaten

Abschnitt 2.1.2:„Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung erfordern (…) nicht nur die Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners“.  

Abschnitt 2.1.5: „Branchenspezifische Mindestaufzeichnungspflichten und Zumutbarkeitsgesichtspunkte sind zu berücksichtigen. Es wird z. B. nicht beanstandet, wenn in einem Einzelhandelsgeschäft oder einem vergleichbaren Dienstleistungsunternehmen mit hohem Anteil an Laufkundschaft die Mindestangaben zur Nachvollziehbarkeit des Geschäftsvorfalls (vgl. AEAO zu § 146, Nr. 2.1.3) einzeln aufgezeichnet werden, nicht jedoch die Kundendaten, da diese im Regelfall im typischen Einzelhandel nicht zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des Geschäftsvorfalls benötigt werden“.

Es ist zu begrüßen, dass branchenübliche Aufzeichnungspflichten und Zumutbarkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden und bei Geschäften des täglichen Lebens der Name des Kunden weder beim Einsatz eines elektronischen Aufzeichnungssystems noch einer offenen Ladenkasse aufzuzeichnen ist. Damit wurde eine Forderung der Bundessteuerberaterkammer umgesetzt.

Nach unserer Auffassung sollte eine Anpassung der Formulierung vorgenommen werden, da die Begrifflichkeit „branchenspezifische Mindestaufzeichnungspflichten“ sehr unbestimmt ist und nur ein Beispiel aus dem Einzelhandel gewählt wurde. Es sollte deutlich werden, dass die Kundendaten grundsätzlich nicht aufgezeichnet werden müssen, wenn sie nicht zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des Geschäftsvorfalls und aufgrund anderer Vorschriften vgl. § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG (bei Rechnungen > 250,00 €) benötigt werden.

Zu Abschnitt 2.1.3 – Detailtiefe zur Aufzeichnung des einzelnen Geschäftsvorfalls – Vereinfachungsregelung und Zusammenfassung in Warengruppen

Jeder der ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut der Einzelaufzeichnungspflicht und muss jeden einzelnen Geschäftsvorfall einzeln und vollständig erfassen. Ausnahmen gelten grundsätzlich nur für offene Ladenkassen und für die Aufzeichnung der Kundendaten. Nach den Ausführungen im Entwurfsschreiben müssen folgende Daten bei jeder Aufzeichnung erfasst werden:

  • eindeutig bezeichnete Artikel,
  • endgültiger Einzelverkaufspreis,
  • dazugehöriger Umsatzsteuersatz und -betrag,
  • vereinbarte Preisminderung,
  • Zahlungsart,
  • Datum und Zeitpunkt des Umsatzes sowie
  • verkaufte Menge und Anzahl.

Gleichzeitig wurde hier folgende Nichtbeanstandungsregelung getroffen:

Werden der Art nach gleiche Waren mit demselben Einzelverkaufspreis in einer Warengruppe zusammengefasst, wird dies nicht beanstandet, sofern die verkaufte Menge bzw. Anzahl ersichtlich bleibt. Dies gilt entsprechend für Dienstleistungen.

Die Vereinfachung in Bezug auf die Zusammenfassung in einer Warengruppe, greift kaum, da nur Waren mit demselben Einzelverkaufspreis in einer Warengruppe zusammengefasst werden können. Das bedeutet nunmehr, dass die Erfassung in das Kassensystem sicherstellen muss, dass der eindeutig bezeichnete Artikel erfasst wird. Für Unternehmen, die aufgrund ihrer Systeme, der technischen Ausstattung und der Verknüpfung mit Warenwirtschaftssystemen ohne Probleme solche Einzelaufzeichnungen führen können, sind die Vorgaben ohne weiteres umsetzbar.

Diese Aufzeichnungspflicht ist aber für viele kleine Unternehmen unzumutbar und überbordend. Insbesondere ist es gerade für kleine Ladengeschäfte (z. B. Tante Emma-Laden, Bäcker, Fleischer etc.) und Kioske unzumutbar, die einzelnen Geschäftsvorfälle detailliert insbesondere mit ihrer eindeutigen Artikelbezeichnung aufzuzeichnen. Sie müssten anstelle von der bisherigen Aufzeichnung einiger weniger Warengruppen (z. B. Süßwaren 7 % und Getränke 19 %, Tabak 19%) zur Unterscheidung der Umsatzsteuersätze i. S. v. § 22 UStG immensen Aufwand betreiben und neue Warengruppen programmieren, um jede Ware mit ihrer eindeutigen Artikelbezeichnung zu erfassen. Massenhafte Neuanschaffungen, Umprogrammierungen und überschießender Bürokratieaufwand bei kleinen Ladengeschäften wären die Folge. Zumindest käme es zu einer insgesamt erheblichen zeitlichen Verzögerung des Verkaufsvorgangs. Künftig müsse beim Kassiervorgang z. B. unterschieden werden, ob der Kunde ein Kürbiskernbrötchen oder Mehrkornbrötchen kauft.

Es sollte auch bedacht werden, dass die Betriebe zukünftig aufgrund des überbordenden organisatorischen Aufwandes von der Nutzung einer Registrierkasse absehen könnten und auf offene Ladenkassen umschwenken. Dies sollte nach Auffassung der Bundessteuerberaterkammer auf jeden Fall verhindert werden.

Der BFH hat in seiner Rechtsprechung die Zumutbarkeitsregelung nicht auf offene Ladenkassen eingeschränkt und lässt sie auch bei elektronischen Kassen gelten. [1]Bisher ist davon ausgegangen worden, dass diese Unternehmen aufgrund der GoBD insbesondere wegen der Zumutbarkeitsregelung (beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung) von der Einzelaufzeichnungspflicht befreit sind. Mit dem BMF-Schreiben und der Gesetzesänderung der Abgabenordnung durch das Kassengesetz kommen neue Anforderungen auf die Unternehmen zu, die bisher nicht galten.

Daher sollte in den geschilderten Fällen die Bezeichnung der Warenlieferung/sonstigen Leistungen durch die Bildung von Warengruppen ausreichend sein. In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass hier eine einheitliche Regelung mit den Vorgaben für einen Kassenbeleg getroffen werden sollte (§ 6 Satz 1 Nr. 1 der KassenSichV). Eine Bildung von Warenobergruppen bzw. Oberbezeichnungen von Dienstleistungen muss möglich sein. Das BMF-Schreiben sollte ggf. Beispiele dazu aufnehmen. Unseres Erachtens gibt es in Österreich sinnvolle Abgrenzungen. Beispiele für handelsübliche Warenbezeichnungen kann man auf der Webseite des österreichischen BMF finden. [2]

Zu Abschnitt – 2.1.6 Aufzeichnung bei Ausfall des elektronischen Aufzeichnungssystems

Die Klarstellungen in diesem Abschnitt sind grundsätzlich zu begrüßen. Es sollte in jedem Fall geklärt werden, wie die „Aufzeichnungen auf Papier“ geführt werden müssen. Sinnvoll wäre ein Verweis auf die Ausführungen zur offenen Ladenkasse. Die Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht sollte in diesen Fällen ebenfalls greifen.

Zu Abschnitt 2.2.1 – Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht wegen Unzumutbarkeit und technisch, betriebswirtschaftlicher und praktischer Unmöglichkeit

Um die o. g. Belastungen insbesondere für kleine Unternehmen abzumildern, sind die Ausführungen im Abschnitt 2.2.1 grundsätzlich geeignet. Hiernach greift die Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht, wenn die Erfüllung der Aufzeichnungspflicht technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich ist.

Im Entwurfsschreiben heißt es weiter, dass das Vorliegen dieser Voraussetzungen durch den Steuerpflichtigen nachzuweisen ist. Bei dieser Formulierung ist die Rechtsunsicherheit sehr groß, da nicht klar ist, wie und wann der Nachweis zu erfolgen hat und unter welchen Umständen der Nachweis gelingen kann.

Die Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht sollte daher aus Vereinfachungsgründen greifen, wenn bestimmte Umsatz- oder Gewinngrenzen nicht überschritten sind. Ein Verweis auf § 141 AO wäre denkbar.

Zu Abschnitt 2.2.2 – Ausnahmen gelten nur für offene Ladenkassen – Begrenzung der Ausnahme entspricht nicht dem Gesetz

Abschnitt 2.2.2: „Wird hingegen ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, gilt die Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO unabhängig davon, ob das elektronische Aufzeichnungssystem und die digitalen Aufzeichnungen nach § 146a Abs. 3 AO i. V. m. der KassenSichV mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung zu schützen sind“.

Abschnitt 2.2.6: „Die Zumutbarkeitsüberlegungen, die der Ausnahmeregelung nach § 146 Abs. 1 Satz 3 AO zugrunde liegen, sind grundsätzlich auch auf Dienstleistungen übertragbar. Es wird vor diesem Hintergrund nicht beanstandet, wenn diese Ausnahmeregelung auf Dienstleistungen angewendet wird, die an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung erbracht werden (vgl. AEAO zu § 146, Nr. 2.2.5) und kein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet wird.“

Das Gesetz sieht nur dann Ausnahmen von der Einzelaufzeichnungspflicht vor, wenn keine Aufzeichnungsgeräte i. S. d. § 146a AO verwendet werden und ein „Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung“ (§ 146 Abs. 1 Satz 3 und 4 AO) erfolgt. Da der § 146a AO erst ab dem Kalenderjahr 2020 anzuwenden ist, gilt die Einschränkung zurzeit noch nicht. Ab diesem Zeitpunkt gilt diese auch dann nur für Geräte im Sinne der KassenSichV (§ 146a Abs. 3 AO). Die Ausnahmen von der Einzelaufzeichnungspflicht gelten daher nach dem Gesetzeswortlaut auch für Fahrscheinautomaten, Fahrscheindrucker, elektronische Buchhaltungsprogramme, Waren und Dienstleistungsautomaten, Geldautomaten, Taxameter und Wegstreckenzähler sowie Geld- und Warenspielgeräte.

Die Ausweitung der Einschränkungen entspricht daher nicht dem Gesetz.

Der Versuch mittels des Anwendungserlasses über das Gesetz hinaus Regelungen zu treffen, ist nicht geeignet Rechtsicherheit zu schaffen und ist daher abzulehnen.

Zu Abschnitt 2.2.6 – Ausnahmen von der Einzelaufzeichnungspflicht nur beschränkt auf Dienstleistungen anwendbar

Die Zumutbarkeitsüberlegungen, die der Ausnahmeregelung nach § 146 Abs. 1

Satz 3 AO zugrunde liegen, sind grundsätzlich auch auf Dienstleistungen übertragbar. Es wird vor diesem Hintergrund nicht beanstandet, wenn diese Ausnahmeregelung auf Dienstleistungen angewendet wird, die an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung erbracht werden (vgl. AEAO zu § 146, Nr. 2.2.5) und kein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet wird. Hierbei muss der Geschäftsbetrieb auf eine Vielzahl von Kundenkontakten ausgerichtet und der Kundenkontakt des Dienstleisters und seiner Angestellten im Wesentlichen auf die Bestellung und den kurzen Bezahlvorgang beschränkt sein.

Einzelaufzeichnungen sind dagegen zu führen, wenn der Kundenkontakt in etwa der Dauer der Dienstleistung entspricht und der Kunde auf die Ausübung der Dienstleistung üblicherweise individuell Einfluss nehmen kann.

Vorab möchten wir Sie darauf hinweisen, dass zum Ende des Abschnittes ein Absatz (versehentlich) doppelt enthalten ist. Wir bitten dies zu korrigieren.

Wie von der Bundessteuerberaterkammer in Ihrer o. g. Eingabe angeregt, wird die Befreiung von der Einzelaufzeichnungspflicht nunmehr auch auf vergleichbare Dienstleistungen ausgedehnt. Die Erweiterung der Erleichterung auf Dienstleistungen ist prinzipiell zu begrüßen.

In der Folge wird dies jedoch wieder eingeschränkt. Einzelaufzeichnungen sollen dann wieder zu führen sein, wenn der Kundenkontakt in etwa der Dauer der Dienstleistung entspricht und der Kunde auf die Ausübung der Dienstleistung üblicherweise individuell Einfluss nehmen kann.

Diese Anforderungen wären typischerweise bei einem Friseur, Kosmetiker, Masseur etc. erfüllt, denn der Kundenkontakt dauert so lange, wie er die Haare bzw. den Körper des Kunden behandelt und die individuelle Einflussnahme des Kunden ist in diesem Bereich auch gewährleistet.

Folgende Anregungen möchten wir in diesem Zusammenhang geben:

  • Es sollte klargestellt werden, dass die Erleichterungen aus Abschnitt 2.1.5 (keine Aufzeichnung von Kundendaten) unter den Voraussetzungen von Abschnitt 2.1.5 uneingeschränkt auch bei Dienstleistungen gelten – auch wenn der Kundenkontakt in etwa der Dauer der Dienstleistung entspricht. Andernfalls stünde Abschnitt 2.1.5 und 2.2.6 im Widerspruch.
  • Im Rahmen des Anwendungserlasses müsste zudem klargestellt werden, dass der Begriff des „ Verkaufes von Waren“ nicht identisch ist mit dem Begriff der „Lieferung“ des § 3 UStG. Insbesondere sollten zumindest auch die sonstige Leistung eines Imbissbetreibers oder Gastwirtes von den Erleichterungen umfasst werden, die eine erhebliche Nähe zu dem Verkauf von Waren“ (BFH-Beschluss vom 12. Juli 2017, Az. X-B-16/17) aufweist.

Zu Abschnitt 3.4 – tägliche Aufzeichnung von Kasseneinnahmen- und Ausgaben

Es sollte eine Klarstellung vorgenommen werden, dass sog. „Vertrauenskassen“ (Kassen ohne Verkaufspersonal) nicht täglich, sondern grundsätzlich erst bei der Leerung auszuzählen sind. Es handelt sich hier um Kassen auf Feldern (z. B. Blumen zum selber Schneiden, Kohl oder Kartoffeln zur Selbstentnahme, technisch einfache Milchautomaten). Derartige Kassen werden i. d. R. nicht täglich geleert, da es sich um Einnahmen von untergeordneter Bedeutung handelt. Der betriebsgewöhnliche Geschäftsablauf bestimmt die Frequenz der Kassenleerung, z. B. werden die Geldbehältnisse nur ein- bis zweimal pro Woche ausgeleert. Der BFH führte im Urteil vom 20. März 2017, BStBl. 2017, S. 992 zur bisherigen Fassung der Abgabenordnung aus, dass die tägliche Erfassung bei verschlossenen Behältern nicht notwendig sei, aber regelmäßig bei Ausleerung zu erfolgen habe. Soweit dies der zutreffende gewöhnliche Betriebsablauf für Kassen ohne Verkaufspersonal ist, sollte dies sachlich und aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden sein. Dies gilt auch aus Gründen der Zumutbarkeit und zur Verminderung von Bürokratielasten für den Steuerpflichtigen.

Zu Abschnitt 3.5 – umsatzsteuerliche Aufzeichnungspflichten

In dem „Merkblatt zur Ordnungsmäßigkeit der Kassenbuchführung der OFD Niedersachsen für Angehörige der steuerberatenden Berufe“ wird erläutert, dass in der Regel eine Einzelaufzeichnung bei Warenverkauf mit unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen erforderlich ist (auch bei offener Ladenkasse und Verkauf von Waren an eine Vielzahl von unbekannten Personen). Dies ergibt sich aus § 22 UStG.

Im Anwendungserlass sollten Ausführungen aufgenommen werden, unter welchen Voraussetzungen bei Umsätzen mit verschiedenen Umsatzsteuersätzen eine summarische Aufzeichnung der Tageseinnahmen möglich ist. Ferner sollte auf die Möglichkeit des Antrags nach § 63 Abs. 4 UStDV hingewiesen werden.

 

Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zum Entwurf eines BMF-Schreibens zur gesetzlichenNeuregelung des § 146b AO durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22. Dezember 2016; Anwendungserlass zu § 146b AO (Kassen-Nachschau)

Allgemeines

Die Kassen-Nachschau wird in der Regel bei Betrieben mit hohem Bargeldaufkommen während der Geschäftszeiten in den Geschäftsräumen stattfinden. Daher wird sie in der Regel nicht von der Öffentlichkeit unbemerkt bleiben. Damit eine negative Außenwirkung unterbleibt, sollte sie behutsam vorgenommen werden. Diese Grundintention ist dem vorliegenden Entwurf nicht zu entnehmen.

Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit regen wir zudem an, dass dem Steuerpflichtigen grundsätzlich immer die Möglichkeit zu geben ist, zunächst mit seinem steuerlichen Berater Rücksprache zu halten und – wenn immer zeitlich zumutbar – bis zum Eintreffen des Beraters zu warten. Damit können langwierige Einspruchsverfahren, Anfechtungsklagen und Fortsetzungs-Feststellungsklagen von vornherein vermieden werden.

Wir regen an, ein Merkblatt zu entwickeln, welches den Ablauf der Kassen-Nachschau sowie die Befugnisse des Amtsträgers und die Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen einschließlich der jeweiligen Rechtsgrundlagen beschreibt. Es sollte auch geregelt werden, dass Amtsträger grundsätzlich nicht auf Bargeldbestände in Kassen direkt zugreifen dürfen. Das Merkblatt sollte dem Steuerpflichtigen bei Beginn der Kassen-Nachschau zur Verfügung gestellt werden.

Die Kassen-Nachschau ist ein Instrument zur Prüfung der zeitnahen Kassenaufzeichnungen. Deshalb sollte der Prüfungszeitraum auf das notwendige Maß beschränkt werden.

Aus Gründen der Transparenz und Fairness sollte zu Beginn der Kassen-Nachschau eine schriftliche Bekanntgabe erfolgen. Damit wird dokumentiert, dass der Steuerpflichtige die Kassen-Nachschau dulden muss. Ferner wird der sachliche Umfang der zu prüfenden Steuerarten und der zu prüfende Zeitraum der Kassenaufzeichnungen auch für eine spätere Selbstanzeige dokumentiert.

Den Amtsträgern muss klar sein, dass sie grundsätzlich nicht als Steuerfahnder tätig werden. Die Kassen-Nachschau kann als Maßnahme verstanden werden, in gemeinsamer Kooperation mit dem Steuerpflichtigen in zumutbarer Weise die Kassenhandhabung zu verbessern und im Sinne einer gerechten Besteuerung transparenter zu machen.

Zu Ziff. 1 Satz 3 – Die Angemessenheit eines Kassensturzes

Nach Ziff. 1 Satz 3 des entworfenen AEAO zu § 146b AO „kann“ der Amtsträger einen Kassensturz verlangen, „es sei denn, dies ist unangemessen“. Mit dieser abstrakten Formulierung erhält der Amtsträger keinerlei Anhaltspunkte für die pflichtgemäße Ausübung seines Beurteilungsspielraumes, ob ein Kassensturz „angemessen“ oder „unangemessen“ wäre.

Ein Kassensturz sollte z. B. im Ladengeschäft mit Kundenverkehr nicht durchgeführt werden, wenn durch die zeitliche Unterbrechung der Verkaufstätigkeit ein wirtschaftlicher Schaden und Imageverlust des Steuerpflichtigen befürchtet werden muss.

Bei Ladengeschäften bietet sich daher grundsätzlich an, einen Kassensturz – wenn überhaupt erforderlich – nach Geschäftsschluss durchzuführen, wenn alle Kunden das Ladengeschäft verlassen haben und ohnehin ein Abschluss über die Tageseinnahmen aus den Barverkäufen angefertigt werden muss.

Bislang fehlen Ausführungen zur Verfahrensweise in Fällen, in denen Bargeld außerhalb der Kassen z. B. im Safe aufbewahrt wird. Hier sollten Klarstellungen vorgenommen werden.

Zu Ziff. 3 – Die üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten

Zu begrüßen ist, dass dem Amtsträger ein Ermessen eingeräumt wird, die Kassen-Nachschau auch außerhalb der Geschäftszeiten durchzuführen, wenn im Unternehmen noch oder schon gearbeitet wird. Die Angemessenheit des Zeitpunktes und der Dauer der Kassen-Nachschau ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.

Die Dauer der Kassen-Nachschau muss so bemessen sein, dass der Steuerpflichtige und sein Personal die Prüfung während ihrer normalen Arbeitszeiten bewältigen können und nicht durch Überstunden ein wirtschaftlicher Schaden befürchtet werden muss.

Zu Ziff. 3 – Betretungsrecht bei gemischt genutzten Geschäfts- und Wohnräumen

Im Hinblick auf die gemischt genutzten Geschäfts- und Wohnräume sollten im Anwendungserlass Ausführungen gemacht werden. Aufgrund der verfassungsrechtlich gebotenen Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) dürfen die Wohnräume des Steuerpflichtigen nicht ohne seine Zustimmung durchschritten werden. Es sollte das Betretungsrecht für innerhalb der Wohnung belegende Arbeitszimmer oder Büros geregelt werden.

Zu Ziff. 4 – Die Kassen-Nachschau ohne Anwesenheit des Steuerpflichtigen

Entgegen dem Gesetzeswortlaut – dort wird nur der Steuerpflichtige als auskunftspflichtige Person genannt – wird die Auskunftspflicht auf weitere Personen ausgeweitet, von denen angenommen werden kann, dass sie über Zugriffs- und Benutzungsrechte für das Kassensystem verfügen. Diese Annahme kann nur aus der Beobachtung des Kassenprüfers stammen. Ob ausreichende Kenntnisse der weiteren Person zum Kassensystem vorhanden sind, bleibt unklar. Es sollte lediglich der Geschäftsinhaber bzw. von ihm ernannte Stellvertreter als auskunftspflichtige Person verpflichtet werden können, da nur diese die Pflichten des Steuerpflichtigen entsprechend vertreten können.

In der Regel muss sich das Ladenpersonal nur mit der Kasse auskennen und ist nur zum Verkauf von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt vom Steuerpflichtigen ermächtigt. Von einer Bevollmächtigung des Ladenpersonals, den Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde zu vertreten und für ihn Verwaltungsakte entgegen zu nehmen, kann nicht ausgegangen werden. Die rechtlichen Möglichkeiten des Steuerpflichtigen, sich z. B. frühzeitig gegen den Verwaltungsakt zu wehren, würden damit erheblich eingeschränkt, was nicht zulässig ist.

Bei der unangekündigten Kassen-Nachschau ohne Anwesenheit und Anhörung des Steuerpflichtigen würde immer das Grundrecht auf rechtliches Gehör (§ 91 AO, Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt werden.

Die unangekündigte Kassen-Nachschau ohne Anwesenheit des Steuerpflichtigen kann sich nur auf Ausnahmefälle und nur auf die Beobachtung der Kassenhandhabung begrenzen. Ergeben sich hieraus Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Handhabung der Kassensysteme, kann dem durch eine nachfolgende Kassen-Nachschau weiter auf den Grund gegangen werden.

Zu Ziff. 5 – Die digitale Schnittstelle

Zu begrüßen ist, dass die Datenübertragung mittels digitaler Schnittstelle – wenn vorhanden – schon vor dem 1. Januar 2020 mit Zustimmung des Steuerpflichtigen erfolgen kann. Diese Form der Kassen-Nachschau bietet ein schnelles Mittel zur Datenübertragung und ist mit einer geringstmöglichen Unterbrechung des Geschäftsbetriebes des Steuerpflichtigen verbunden, sofern kein Kassensturz verlangt wird.

Die Nichtverwendung einer digitalen Schnittstelle vor dem 1. Januar 2020 darf dem Steuerpflichtigen nicht zum Nachteil gereicht werden.

Zu Ziff. 5 – Die „sonstigen Organisationsunterlagen“

Es muss konkretisiert werden, welche Unterlagen unter die vorzulegenden „sonstigen Organisationsunterlagen“ fallen. Diese können durch Nennung von Beispielen konkretisiert werden. In dem Entwurf fehlen bislang Ausführungen zur Verfahrensweise, wenn die Unterlagen sich nicht beim Steuerpflichtigen, sondern bei dessen steuerlichen Berater befinden.

Zu Ziff. 5 und 6 – Die Mitnahme von Aufzeichnungen auf Datenträgern sowie das Scannen und Fotografieren von Unterlagen und Belegen

Das Scannen und Fotografieren von Unterlagen und Belegen darf nur soweit zugelassen werden, wie dies für die Zwecke der Kassen-Nachschau erforderlich ist.

Der Transport von Fotos, Scans und Daten auf mobilen Datenträgern wie auch das Scannen und Fotografieren von Unterlagen und Belegen mittels mobiler Geräte des Amtsträgers ist schon aus Datenschutzgründen dringend regelungsbedürftig. Hierbei müssen Verfahren eingerichtet werden, die einen Verlust der Daten oder den Zugriff Unbefugter hierauf verhindern. Es muss gewährleistet sein, dass die Daten unmittelbar zur Dienststelle verbracht und nach unmittelbarer Übertragung auf den Dienstrechner auf dem Datenträger gelöscht werden (vgl. zur Mitnahme von Daten auf mobilen Rechnern bei der Außenprüfung BFH-Urteil vom 16. Dezember 2014, Az. VIII R 52/12).

Die Amtsträger müssen dafür ausgestattet sein, sowohl die Datenträger als auch die mobilen Foto- und Scangeräte ausreichend zu verschlüsseln. Eine Auswertung im privaten Umfeld des Amtsträgers (z. B. zu Hause am Wohnzimmertisch) darf nicht gestattet sein.

Zu Ziff. 6 – Der Übergang zur Außenprüfung

Nach dieser Regelung kann eine Kassen-Nachschau nach schriftlichem Übergangshinweis sofort als Außenprüfung fortgesetzt werden. Der schriftliche Übergangshinweis ersetzt die Prüfungsanordnung. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob mit der Übergabe des schriftlichen Übergangshinweises sämtliche Anforderungen an eine Prüfungsanordnung erfüllt werden müssen. Unklar ist, ob hier nur die „allgemeinen Grundsätze über den notwendigen Inhalt von Prüfungsordnungen sowie den sachlichen und zeitlichen Umfang von Außenprüfungen“ gelten, oder ob die Vorschriften zur Prüfungsanordnung entsprechend gelten. Dies sollte dringend klargestellt werden.

Aus dem BMF-Schreiben sollte hervorgehen, dass die Ermessensentscheidung über das Übergehen zur unmittelbar anschließenden Außenprüfung ohne Prüfungsankündigung pflichtgemäß ausgeübt werden muss.

Der Verwaltungsakt zur Einleitung der Außenprüfung kann nur dem Steuerpflichtigen selbst bekannt gegeben werden, dem rechtliches Gehör gewährt werden muss (s. o.). Das Ladenpersonal ist weder zur Entgegennahme der Bekanntgabe noch zur Vertretung des Steuerpflichtigen in seinen steuerlichen Angelegenheiten bevollmächtigt, noch dazu in der Lage (s. o.).

Sollte der Steuerpflichtige bei einer unangekündigten Kassen-Nachschau nicht anwesend sein, darf keinesfalls zu einer Außenprüfung übergegangen werden. Zum einen ist das Personal des Steuerpflichtigen in der Regel nicht vertretungsbefugt und nicht in der Lage, Dokumentationsunterlagen und Protokolle herauszugeben. Zum anderen fehlt dem Steuerpflichtigen beim ad-hoc-Übergang zur Außenprüfung jede Möglichkeit, seine Rechte wahrzunehmen.

Im Gegensatz zum UStAE (hier Abschn. 27b.1 Abs. 9 Satz 8) wird im BMF-Schreiben der Übergang von der Kassen-Nachschau zur Außenprüfung nicht explizit als Verwaltungsakt definiert, gegen den grundsätzlich Rechtsmittel eingelegt werden könnten. Dies sollte unbedingt im Anwendungsschreiben nachgeholt werden.

Zu Ziff. 7 – Das fehlende Erfordernis eines Prüfungsberichts

Im Verlauf einer Kassen-Nachschau können Mängel oder mögliche Schwachpunkte oder Fehlerquellen für eine ordnungsgemäße Kassenführung festgestellt werden, die nicht sofort zu einer Änderung von Besteuerungsgrundlagen führen. Der Anwendungserlass sollte hierzu eine verpflichtende Regelung enthalten, dass der Steuerpflichtige oder der steuerliche Berater schriftlich auch über solche Feststellungen nach Abschluss der Kassen-Nachschau unterrichtet wird, die nicht sofort zu einer Änderung von Besteuerungsgrundlagen führen. Mündliche Hinweise an den Steuerpflichtigen im Verlauf der Kassen-Nachschau reichen hier nicht aus.

Nach § 202 Abs. 1 AO erhält der Steuerpflichtige eine schriftliche Mitteilung, wenn eine Außenprüfung nicht zu einer Änderung von Besteuerungsgrundlagen führt. Diese oder eine vergleichbare Regelung sollte auch bei einer Kassen-Nachschau gelten. Dem Steuerpflichtigen sollte auch bestätigt werden, dass sein elektronisches Aufzeichnungssystem die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Kassenführung erfüllt.

Zudem sind Beginn und Ende der Kassen-Nachschau zu protokollieren und dem Steuerpflichtigen mitzuteilen. In diesem Zusammenhang weisen wir auf die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO hin. Danach ist mit Beginn der Kassen-Nachschau die strafbefreiende Selbstanzeige nicht mehr möglich. Die Sperrwirkung bezieht sich auf die überprüften Zeiträume und Sachverhalte. Für den Steuerpflichtigen muss objektiv erkennbar sein, ob und für welche Bereiche eine Selbstanzeige noch möglich ist. Diese Sperrwirkung entfällt, wenn der Steuerpflichtige über die beanstandungsfreie Beendigung der Kassen-Nachschau informiert wird.

Die aufgeführten Probleme  lassen sich lösen, indem der Amtsträger dem Steuerpflichtigen einen Kurzbericht über die ohnehin zu dokumentierende Kassen-Nachschau zur Verfügung stellt.

Zu Ziff. 8 – Antrag auf verbindliche Zusage

Ergibt sich im Rahmen einer an die Kassen-Nachschau anschließenden Außenprüfung eine neue steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts, hat der Steuerpflichtige einen Anspruch auf die verbindliche Zusage über die zukünftige steuerrechtliche Behandlung (§ 204 AO). Im BMF-Schreiben sollte klargestellt werden, dass sich der Rechtsanspruch auf verbindliche Zusage im Fall einer Außenprüfung auch auf die zukünftige Behandlung derjenigen Sachverhalte bezieht, die mit der Kassen-Nachschau festgestellt und in der Außenprüfung mitbewertet wurden.

Zu Ziff. 9 – Belehrung des Steuerpflichtigen über die Einspruchsmöglichkeit und Form des Einspruchs

In den Entwurf sollte aufgenommen werden, dass der Steuerpflichtige über die Möglichkeit der Einspruchseinlegung zu Beginn der Kassen-Nachschau belehrt wird. Nur so kann er von seinem Recht zur Einspruchseinlegung Gebrauch machen. Neben der schriftlichen Einspruchsmöglichkeit kann dieser auch elektronisch übermittelt oder dem Amtsträger mündlich zur Niederschrift erklärt werden (§ 357 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Zeitpunkte der Einspruchseinlegung und der Beendigung der Kassen-Nachschau sollten vom Amtsträger protokolliert werden, da nach Beendigung der Kassen-Nachschau sowohl der Einspruch als auch die Anfechtungsklage unzulässig werden.

BFH verpasst Chance auf zeitgemäße Verzinsung von Steuernachforderungen

Am 27. Februar 2018 verkündete der Bundesfinanzhof (BFH), dass der gesetzliche Zinssatz von 6 % für Steuernachforderungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Er führt damit seine bisherige Rechtsprechung fort, nach der sich die das Zinsniveau bestimmenden Verhältnisse nicht in einer Weise geändert haben, die eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erforderlich machten.

„Für uns ist es unverständlich, dass der BFH die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch immer nicht berücksichtigt. Eine Anpassung des gesetzlichen Zinssatzes auf Steuernachzahlungen ist seit Jahren überfällig!“, erklärt der Vizepräsident der Bundessteuerberaterkammer, Dr. Hartmut Schwab. Zu den konkreten Auswirkungen für mittelständische Unternehmen führt Schwab weiter aus: „Die Zinsen auf Steuernachzahlungen werden faktisch zu einem Strafzuschlag. Viele Unternehmer fühlen sich gedrängt, in einer Betriebsprüfung schnell zu einer Verständigung mit dem Prüfer zu kommen und streitige Fragen nicht gerichtlich klären zu lassen. Damit wird letztlich auch der Rechtsschutz beschnitten.“

Der Zinssatz für die Verzinsung von Steuernachforderungen, Steuererstattungen, Steuerstundungen etc. liegt seit Veröffentlichung der Abgabenordnung 1977 unverändert bei 0,5 % pro Monat, also 6 % im Jahr. Mit der Verzinsung soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern trotz gleichen gesetzlichen Entstehungszeitpunkts zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und erhoben werden.

Auch für die Abzinsung von Pensionsrückstellungen gilt ein Zinssatz von 6 %. Das Bundesverfassungsgericht wird nach einem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Köln die Gelegenheit haben, sich mit der Höhe dieses Zinssatzes auseinanderzusetzen. Nach Auffassung des Finanzgerichts hat sich in dem heutigen Zinsumfeld der gesetzlich vorgeschriebene Zinsfuß so weit von der Realität entfernt, dass er vom Gesetzgeber hätte überprüft werden müssen. „Wir sehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit Spannung entgegen“, so Schwab. „Unserer Auffassung nach kann die Entscheidung über den Abzinsungssatz für Pensionsrückstellungen nicht ohne Auswirkungen auf den gesetzlichen Zinssatz in der Abgabenordnung bleiben.“

 Quelle: BStBK, Pressemitteilung vom 28.02.2018

 

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin