Häusliches Arbeitszimmer: Abtrennung durch Raumteiler genügt nicht

Häusliches Arbeitszimmer: Abtrennung durch Raumteiler genügt nicht

Ein häusliches Arbeitszimmer erfordert einen abgeschlossenen Raum mit Wänden und Türen. Dieser liegt nicht vor, wenn der Arbeitsbereich lediglich durch ein Sideboard mit Durchgang zum Rest des Zimmers abgetrennt ist.

Hintergrund

A nutzte in seiner Wohnung die Kellerräume als Büro und Archiv. Im Obergeschoss befand sich das Wohn-/Esszimmer, das A sowohl zu Wohnzwecken als auch als Büro nutzte. Der Arbeitsbereich war durch ein 1 m hohes Sideboard abgetrennt. A konnte vom Arbeitsbereich aus am Sideboard vorbei den Rest des Zimmers betreten, in dem sich ein Tisch mit 4 Stühlen befand. Das Finanzamt und auch das Finanzgericht erkannten nur die Mietaufwendungen für die Kellerräume als Betriebsausgaben an. Die anteilig auf den Arbeitsbereich im Obergeschoss entfallenden Aufwendungen ließen sie unberücksichtigt.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof lehnt für den durch ein Sideboard abgetrennten Arbeitsbereich ebenfalls den Abzug als Betriebsausgaben ab. Ein häusliches Arbeitszimmer ist seiner Ansicht nach ein Raum, der zum einen typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet ist und zum anderen nahezu ausschließlich beruflich genutzt wird. Aufwendungen für in die private Sphäre eingebundene Räume, die bereits nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht dem Typus des Arbeitszimmers entsprechen, können daher nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Denn die nahezu ausschließliche betriebliche Nutzung liegt weder vor bei einem gemischt genutzten und als Arbeitszimmer eingerichteten Raum noch bei einem abgetrennten Arbeitsbereich in einem auch zu Wohnzwecken genutzten Raum. Nur ein durch Wände und Türen abgeschlossener Raum kann deshalb ein häusliches Arbeitszimmer sein.

Ein Arbeitsbereich, der vom angrenzenden Wohnbereich aus durch einen offenen Durchgang ohne Türabschluss betreten werden kann oder der lediglich durch einen Raumteiler abgetrennt ist oder sich auf einer Empore befindet, kann aus diesem Grund nicht als häusliches Arbeitszimmer anerkannt werden.

Verdeckte Gewinnausschüttung: Wann muss der Antrag auf Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren gestellt werden?

Verdeckte Gewinnausschüttung: Wann muss der Antrag auf Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren gestellt werden?

Eigentlich muss der Antrag auf Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren bis zur Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden. Ausnahmsweise ist der Antrag auch nach deren Abgabe zulässig, wenn das Finanzamt bei einer Außenprüfung erstmalig eine verdeckte Gewinnausschüttung feststellt.

Hintergrund

Der Kläger war neben seiner selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt als Geschäftsführer einer GmbH tätig. Als Geschäftsführer bezog er ein Jahresgehalt von 2.000.000 EUR, daneben noch eine Tantieme in erheblicher Höhe. Im Rahmen seiner Rechtsanwaltstätigkeit erhielt er 750.000 EUR von der GmbH für Beratungsleistungen. Gewinnausschüttungen aus der GmbH gab es nicht.

Das Finanzamt stufte bei einer steuerlichen Außenprüfung vom Jahresgehalt 800.000 EUR sowie die Tantieme und einen Teil der Beratungsleistungen als verdeckte Gewinnausschüttung ein und erließ entsprechend geänderte Steuerbescheide. Eine Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren lehnte es ab, da kein Antrag gestellt worden war.

Entscheidung

Vor dem Finanzgericht bekam der Kläger Recht. Nach Ansicht der Richter hatte das Finanzamt das Teileinkünfteverfahren zu Unrecht nicht angewendet.

Zwar muss laut Gesetz der Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung des betreffenden Jahres gestellt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn dem Steuerpflichtigen aus einer Beteiligung ausschließlich eine verdeckte Gewinnausschüttung zufließt und dies erst bei einer Außenprüfung festgestellt wird. In einem solchen Fall kann deshalb der Steuerpflichtige den Antrag stellen, solange der Einkommensteuerbescheid noch nicht bestandskräftig ist.

Arbeits-/Sozialrecht: Arbeitslosengeld trotz Beschäftigungsverhältnis

Meldet sich eine Beschäftigte arbeitslos, die sich wegen Mobbings nicht in der Lage sieht, an ihrem Arbeitsplatz tätig zu sein, kann sie Arbeitslosengeld beanspruchen.

Dies hat das Sozialgericht Dortmund im Falle einer Justizbeschäftigten entschieden, die sich bei der Agentur für Arbeit Dortmund arbeitslos meldete, nachdem sie sich nach längerer Arbeitsunfähigkeit und einer stufenweisen Wiedereingliederung an anderen Amtsgerichten geweigert hatte, an ihrem bisherigen Amtsgericht die Arbeit aufzunehmen. Sie sei nunmehr ohne Gehaltszahlung freigestellt worden und stelle sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Vorab wolle sie das Arbeitsverhältnis bei dem Land NRW jedoch nicht kündigen. Sie habe das Land NRW bei dem Arbeitsgericht Dortmund auf Versetzung verklagt.

Die Arbeitsagentur lehnte die Gewährung von Arbeitslosengeld I ab, weil die Antragstellerin in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehe und ihr Arbeitgeber nicht auf sein Direktionsrecht verzichtet habe. Sie sei damit nicht arbeitslos.

Das Sozialgericht Dortmund verurteilte die Arbeitsagentur zur Zahlung von Arbeitslosengeld I. Für die Arbeitslosigkeit genüge eine faktische Beschäftigungslosigkeit. Die Klägerin habe das Beschäftigungsverhältnis mit dem Land NRW faktisch dadurch beendet, dass sie das Direktionsrecht ihres Arbeitgebers nicht anerkenne und sich nicht an ihrem Stammgericht einsetzen lasse. Die Klägerin habe sich auch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt. Sie dürfe die förmliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Land NRW davon abhängig machen, eine anderweitige zumutbare Arbeit gefunden zu haben. Es sei unschädlich, dass sie versuche, die Wiederaufnahme der Beschäftigung bei dem bisherigen Arbeitgeber durch eine Versetzung zu erreichen. Die Kammer sehe dies als Verpflichtung der Klägerin im Rahmen von Eigenbemühungen zur Beendigung der Arbeitslosigkeit an.

Quelle: SG Dortmund, Pressemitteilung vom 07.11.2016 zum Urteil S 31 AL 84/16 vom 10.10.2016

 

Reform des Bußgeldkatalogs: Staffelung von Bußgeldern und höhere Strafen für Raser

Mit einer Bundesratsinitiative will Niedersachsen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und soziale Gerechtigkeit bei der Verhängung von Bußgeldern sorgen. In einem am 4. November 2016 vorgestellten Entschließungsantrag fordert das Land die Bundesregierung auf, den Bußgeldkatalog umfassend zu reformieren.

Besonders gefährliche Verkehrsdelikte und grobe Tempoverstöße sollen künftig deutlich härter bestraft werden. Wenn von dem Regelverstoß eine besondere Gefahr ausgeht – zum Beispiel zu hohes Tempo innerhalb einer Baustelle – sollen sich die Bußgelder automatisch verdoppeln. Auch Fahrverbote könnte es in Zukunft schneller geben.

Einkommensabhängige Bußgelder

Niedersachsen fordert außerdem, die Bußgelder nach dem Einkommen des Betroffenen zu staffeln. Die bestehende Bußgeld-Systematik differenziere nicht ausreichend nach den finanziellen Verhältnissen des Betroffenen. Insbesondere bei vermögenden Menschen verfehle sie ihre abschreckende Wirkung.

Weiteres Verfahren

Die Entschließung wurde am 4. November vorgestellt und in den Verkehrs-, den Innen- und den Rechtsausschuss überwiesen. Sobald alle Fachausschüsse ihre Beratungen beendet haben, entscheidet das Plenum endgültig über die Entschließung. Feste Fristvorgaben gibt es hierfür jedoch nicht.

Quelle: Bundesrat, Mitteilung vom 04.11.2016

 

Bewertung einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung

Vervielfältiger für Bewertungsstichtage ab 1. Januar 2017

Das BMF gibt in der Anlage gemäß § 14 Absatz 1 Satz 4 BewG die Vervielfältiger zur Berechnung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen oder Leistungen bekannt, die nach der am 20. Oktober 2016 veröffentlichten Sterbetafel 2013/2015 des Statistischen Bundesamtes ermittelt wurden und für Bewertungsstichtage ab dem 1. Januar 2017 anzuwenden sind.

 Anlage zu § 14 Absatz 1 BewG

Quelle: BMF, Schreiben IV C 7 – S-3104 / 09 / 10001 vom 04.11.2016

 

Kampf gegen Feinstaubbelastung: Blaue Plakette für saubere Dieselfahrzeuge

Baden-Württemberg möchte deutschlandweit die sog. blaue Plakette einführen und damit die Feinstaubbelastung in den Innenstädten vermindern. Es hat dazu am 4. November einen Verordnungsentwurf im Bundesrat vorgestellt. Eine blaue Plakette soll künftig besonders emissionsarme Pkw ausweisen. Bisher gibt es lediglich die grüne Plakette, die unterschiedslos für die Schadstoffnormen Euro 4 bis 6 sowie bestimmte nachgerüstete Euro 3 Fahrzeuge gilt.

Kein Dieselverbot, aber sauberere Innenstädte

Mit der blauen Plakette könnten generelle Fahrverbote für Dieselverbote vermieden und die Einhaltung der EU-Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub dennoch eingehalten werden. Sie ermöglicht es Kommunen, künftig nur noch „saubere“ Dieselfahrzeuge ab Euro-6-Norm in städtische Umweltzonen einfahren zu lassen. Benziner könnten bereits ab der Euro-3-Norm die blaue Plakette erhalten. Vor allem ältere Fahrzeuge mit höheren Partikelemissionen müssten dann belastete Innenstädte meiden. Sie gelten als Hauptverursacher der Luftverschmutzung mit Stickoxiden. Auch künftig läge es jedoch in der Hand der Kommunen, welche konkreten Einschränkungen sie in den Umweltzonen vornehmen.

Förderung von Euro 6-Fahrzeugen

Außerdem will Baden-Württemberg mit der neuen Plakette die Verbreitung von Euro 6-Fahrzeugen und Elektromobilen weiter fördern. Für die Übergangszeit, bis Handwerker und kleinere Betriebe ihre Fahrzeugflotten auf Elektromobilität umgestellt hätten, sollten möglichst saubere Diesel – gekennzeichnet durch die blaue Plakette – genutzt werden.

Wie es weiter geht

Der Verordnungsentwurf wurde in der Plenarsitzung am 4. November vorgestellt und in die Ausschüsse für Umwelt, Verkehr und Wirtschaft überwiesen. Sobald diese ihre Beratungen abgeschlossen haben, kommt der Verordnungsentwurf wieder auf die Plenartagesordnung. Feste Fristvorgaben gibt es hierzu jedoch nicht.

 Quelle: Bundesrat, Mitteilung vom 04.11.2016

 

Verfahrensrecht: Korrektur eines Steuerbescheids bei Abweichung zwischen Steuererklärung und „eDaten“

Der Kläger bezog im Streitjahr Arbeitslohn aus zwei Arbeitsverhältnissen, den er in seiner handschriftlich ausgefüllten Einkommensteuererklärung in zutreffender Höhe erfasste. Hingegen berücksichtigte das beklagte Finanzamt im Einkommensteuerbescheid nur den Arbeitslohn aus einem der beiden Arbeitsverhältnisse. Der weitere Arbeitslohn, den der Kläger von einem Arbeitgeber mit Sitz in Niedersachsen bezogen hatte, fand im Steuerbescheid keine Berücksichtigung.

Nach Bestandskraft änderte das Finanzamt den Bescheid und berief sich auf eine offenbare Unrichtigkeit. Im Rahmen der Veranlagung sei nur eine landesweite programmgesteuerte Suche nach elektronischen Mitteilungen im „eSpeicher“ erfolgt. Den elektronisch übermittelten Arbeitslohn habe der Sachbearbeiter per Mausklick aus den „eDaten“ übernommen. Weitere elektronisch übermittelte Lohnsteuerbescheinigungen seien nicht vorhanden gewesen. Erst im Rahmen der Veranlagung für das Folgejahr sei eine Suche im bundesweiten Speicher erfolgt und der Fehler festgestellt worden.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und eine Änderungsbefugnis des Finanzamts bejaht. Für einen verständigen Dritten sei die Abweichung zwischen Steuerbescheid und Steuererklärung ohne Weiteres ersichtlich. Es erscheine zudem ausgeschlossen, dass der Sachbearbeiter rechtliche Erwägungen angestellt habe. Ihm sei offensichtlich gar nicht bewusst gewesen, dass der Kläger Arbeitslohn aus zwei Arbeitsverhältnissen bezogen habe. Da er mithin davon ausgegangen sei, sämtliche relevante Lohndaten durch den Datenabruf erfasst zu haben, liege ein bloßer Eingabefehler vor.

Dass dem Sachbearbeiter der Fehler bei sorgfältigerer Bearbeitung hätte auffallen müssen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Eine Änderung wegen offenbarer Unrichtigkeit hänge nicht von Verschuldensfragen ab. Dementsprechend stehe die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls der Berichtigung nicht entgegen. Letztlich hätten sich dem Sachbearbeiter auch keine Zweifel aufdrängen müssen, da im Rahmen der Veranlagung insbesondere kein entsprechender Prüfhinweis erteilt worden sei.

Das Finanzgericht hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 03.11.2016 zum Urteil 10 K 1715/16 vom 11.10.2016

 

Leistungskürzungen wegen Pflegebetrugs – Sozialgericht bestätigt Linie der Sozialämter

Das Sozialamt darf die Sozialhilfe einer Pflegebedürftigen rückwirkend um Geldbeträge kürzen, die diese von einem kriminellen Pflegedienst als Belohnung für ihr Mitwirken beim Abrechnungsbetrug erhalten hat. Die daraus folgenden Rückforderungen darf das Sozialamt durch Anrechnung auf die laufende Grundsicherung sofort durchsetzen.

Zum Hintergrund:

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozialleistungsträger Pflegeleistungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflegeleistungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als „Kick-Back-Zahlung“ bezeichnet wird.

Im Fokus der Staatsanwaltschaft Berlin stand zuletzt der Pflegedienst „Mit Herz und Seele“ aus Berlin. Sichergestellte Kassenbücher und Dienstpläne begründen den Verdacht, dass hier rund 300 Patienten in den Abrechnungsbetrug verwickelt waren.

Zum Fall:

Die 1949 geborene Antragstellerin bezieht vom Antragsgegner, dem Sozialamt Steglitz-Zehlendorf, seit Jahren Grundsicherung im Alter. Zugleich war sie Patientin des Pflegedienstes „Mit Herz und Seele GmbH“.

Mit Bescheid vom 11. August 2016 nahm der Antragsgegner sämtliche Bescheide zurück, mit denen der Antragstellerin Sozialleistungen für den Zeitraum November 2014 bis Februar 2015 bewilligt worden waren. Die Antragstellerin habe in diesem Zeitraum für ihre Mitwirkung am Abrechnungsbetrug des Pflegedienstes ein Einkommen aus sog. „Kick-Back-Zahlungen“ zwischen 245 und 336 Euro monatlich erzielt. Dadurch sei ihre Hilfebedürftigkeit entsprechend verringert worden. 1.125 Euro zu viel gezahlte Sozialhilfe seien zurückzuzahlen. Zur Begleichung der Erstattungsforderung würden die laufende Grundsicherung ab sofort um monatlich 73 Euro gekürzt.

Die Antragstellerin hat hiergegen beim Antragsgegner Widerspruch eingelegt. Zusätzlich hat sie beim Sozialgericht Berlin ein Eilverfahren anhängig gemacht mit dem Ziel, die sofortige Vollziehung der Rückforderung zu stoppen. Sie bestreitet, überhaupt „Kick-Back-Zahlungen“ erhalten zu haben und trägt vor, an der Redlichkeit des Pflegedienstes nie gezweifelt zu haben. Sie selbst habe über erhaltene Pflegedienstleistungen kein Buch geführt. Soweit Unterschriften erforderlich geworden seien, habe sie diese im vollen Vertrauen in den Pflegedienst geleistet.

Durch Beschluss vom 26. Oktober 2016 hat der Vorsitzende der 145. Kammer des Sozialgerichts Berlin den Antrag abgewiesen. Nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei der Bescheid des Antragsgegners offensichtlich rechtmäßig.

Die Anrechnung der „Kick-Back-Zahlungen“ als Einkommen und die darauf gestützte Rückforderung von Sozialleistungen seien nicht zu beanstanden. Laut den von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Kassenbüchern habe die Antragstellerin über die Jahre von dem Pflegedienst insgesamt sogar Zahlungen in Höhe von 12.064 Euro erhalten. An der Richtigkeit der Kassenbücher habe das Gericht keine Zweifel. Offensichtlich habe der Pflegedienst derartige Unterlagen führen müssen, um angesichts von rund 300 am Betrugssystem beteiligten Patienten den Überblick über seine „Wirtschaftlichkeit“ zu behalten. Die Kassenbücher würden durch die ebenfalls beschlagnahmten Dienstpläne bestätigt.

Die Einwände der Antragstellerin seien in keiner Weise nachvollziehbar. Die Antragstellerin habe nämlich Nachweise über tägliche Pflege unterschrieben, obwohl sie laut Abschlussbericht des Landeskriminalamtes überhaupt nicht gepflegt worden sei. Die Unzuverlässigkeit des Pflegedienstes sei dem Gericht im übrigen aufgrund einer Vielzahl weiterer Verfahren bereits bekannt.

Es bestehe auch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rückforderung. Angesichts des Alters der Antragstellerin und der Dauer eines Hauptsacheverfahrens würde ein weiteres Abwarten die Vollstreckung des geltend gemachten Ersatzanspruchs ernsthaft gefährden. Aufgrund des Ausmaßes des Leistungsbetrugs mit einem Schaden in Höhe von mehreren Millionen Euro sei auch aus generalpräventiven Gründen eine sofortige Reaktion des Sozialhilfeträgers erforderlich. Das Verhalten der beteiligten Leistungsempfänger müsse zur Vermeidung von Wiederholungsfällen unmittelbare Konsequenzen haben. Das Vorgehen diene dem Schutze des Sozialversicherungssystems und der Gesamtheit der Steuerzahler.

Anmerkung der Pressestelle:

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Er kann von der Antragstellerin mit der Beschwerde zum Landessozialgericht in Potsdam angefochten werden.

Der Beschluss gibt die überwiegende Rechtsauffassung am Sozialgericht wieder. Eine abweichende Auffassung hat die 146. Kammer vertreten (Beschluss vom 21. Oktober 2016 – S 146 SO 1487/16 ER). Die 146. Kammer hält den vom Sozialamt gewählten Weg, Einkommen aus Straftaten auf erhaltene Sozialhilfe anzurechnen, aus dogmatischen Gründen für falsch. Es sei inkonsequent, Gewinne aus kriminellen Handlungen auf die Sozialhilfe anzurechnen, denn Hilfeempfänger dürften grundsätzlich nicht auf Einnahmequellen verwiesen werden, die von der Rechtsordnung missbilligt werden.

Zur Zeit sind am Sozialgericht Berlin rund 20 vergleichbare Fälle anhängig. Mit einer weiteren Zunahme von Fällen zu dieser Problematik wird gerechnet.

Quelle: SG Berlin, Pressemitteilung vom 02.11.2016 zum Beschluss S 145 SO 1411/16 ER vom 26.10.2016 (nrkr)

 

Hartz IV: Mehrbedarf für Alleinerziehende bei der Unterbringung im Internat

Auch wenn ein Kind während der Woche regelmäßig in einem Internat untergebracht ist, kann einem alleinerziehenden Elternteil ein Mehrbedarf nach dem SGB II zustehen. Dies hat das Sozialgericht Wiesbaden in einem am 02.11.2016 veröffentlichten Urteil entschieden.

Die Klägerin war alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern im Alter von 16 und 17 Jahren, die Internate für Gehörlose in Essen und Neuwied besuchten. Die Kinder waren regelmäßig von Montagmorgen bis Freitagmittag in der Schule. In den Ferien sowie während verlängerter Wochenenden und in Krankheitszeiten hielten sie sich zuhause in Wiesbaden auf. Nachdem die Schulen eine exakte Aufstellung der Anwesenheitszeiten der Kinder vorgelegt hatten, beurteilte das Gericht die Situation hinsichtlich der beiden Mädchen unterschiedlich. Das Gericht sprach der Mutter einen Mehrbedarf wegen der alleinigen Erziehung der jüngeren Tochter zu, denn diese war regelmäßig freitags nach Hause gefahren. Die ältere Tochter war an den Wochenenden häufiger in der Schule geblieben, weil ihr die langen Fahrten zu anstrengend waren. Für diese Tochter lehnte das Gericht den beantragten Zuschlag für Alleinerziehende ab.

Das Gericht sah den im Gesetz vorgesehenen Mehrbedarf für Alleinerziehende als gerechtfertigt an, wenn ein Elternteil das Kind tatsächlich mehr als 50 % alleine betreut und in der Regel keine längeren Abwesenheitszeiten von mindestens einer Woche vorliegen. Denn gerade solche längeren Entlastungszeiträume stellten ein wichtiges Kriterium für die besondere Bedarfssituation von Alleinerziehenden dar. Diese Kriterien waren nur bei der Tochter erfüllt, die sich an den Wochenenden regelmäßig zuhause aufhielt. Das Gericht hat die Berufung zugelassen.

Quelle: SG Wiesbaden, Pressemitteilung vom 02.11.2016 zum Urteil S 5 AS 306/13 vom 02.11.2016 (nrkr)

 

Mindestlohn – Belastung für junge Unternehmen stärker als erwartet

Junge Unternehmen in Deutschland sind von der seit Anfang 2015 in Deutschland geltenden Mindestlohnregelung stärker betroffen als von ihnen ursprünglich erwartet. Neben der Notwendigkeit, für eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Löhne anheben zu müssen, sind es vor allem zusätzliche bürokratische Erfordernisse wie Berichtspflichten und Nachweise von Stundenaufschrieben sowie die geringere Flexibilität bei Bezahlungsmodellen, die die jungen Unternehmen belasten. Dies kann zu negativen Konsequenzen für die Unternehmen führen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung junger Unternehmen im Rahmen des Mannheimer Gründungspanels des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Telefonisch befragt wurden rund 5.000 junge Unternehmen der Gründungskohorten 2011 bis 2014 in Deutschland. Die Ergebnisse der Befragung wurden dann für diesen Zeitraum auf die Grundgesamtheit der rund 313.700 Gründungen in den vom Mannheimer Gründungspanel abgedeckten Branchen hochgerechnet. Um zu erfahren, wie sich die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 auf die jungen Unternehmen mit angestellten Mitarbeitern ausgewirkt hat, wurden diese etwa ein halbes Jahr vor und dann erneut ein halbes Jahr nach dessen Einführung hierzu befragt.

Jungunternehmen haben Folgen des Mindestlohns unterschätzt

Vor der Einführung des Mindestlohns erwarteten elf Prozent der befragten Unternehmen, dass diese Regelung sie betreffen werde. Nach der Einführung gaben dann allerdings 28 Prozent an, tatsächlich betroffen zu sein. Rund 20 Prozent mussten Lohnanpassungen vornehmen und knapp zehn Prozent gaben an, durch bürokratischen Aufwand wie Berichtspflichten oder Nachweise von Stundenaufschrieben belastet zu sein. Besonders häufig erwähnt wird von den Unternehmen, nun Schwierigkeiten bei der Einstellung von Praktikanten sowie studentischen und anderen Hilfskräften zu haben. Die unterschiedlichen Befragungsergebnisse vor und nach der Einführung des Mindestlohns zeigen, dass anscheinend viele junge Unternehmen über die Konsequenzen dieser Neuregelung nicht ausreichend informiert waren beziehungsweise deren konkrete Auswirkungen auf flexible Entlohnungsmodelle bei Aushilfskräften wohl unterschätzt hatten.

Der höhere bürokratische Aufwand und die nun vorgeschriebene Lohnuntergrenze werden für die Entwicklung junger Unternehmen nicht ohne Folgen bleiben. Zum einen verfügen junge Unternehmen meist noch über keine spezialisierten Personalabteilungen, die sich mit der konkreten Umsetzung bestehender Berichtspflichten auskennen. Daher werden hierfür Ressourcen der Unternehmensgründer gebunden, die ansonsten in die Weiterentwicklung des Unternehmens geflossen wären. Zum anderen sind flexible, erfolgsabhängige Entlohnungsmodelle gerade für junge Unternehmen besonders wichtig, weil ihre Umsätze oft noch stark schwanken. Die mit der Mindestlohneinführung einhergehende Einschränkung dieser Flexibilität kann zu größerer Vorsicht und Zurückhaltung bei der Umsetzung von Wachstumsplänen führen. Und dies gerade bei Unternehmen, von denen sich die Wirtschaftspolitik besonderen Schub für die langfristige ökonomische Entwicklung in Deutschland erwartet.

Das Gutachten finden Sie auf der Homepage des ZEW.

Quelle: ZEW

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin