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Mandantenbrief April 2023

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Steuertermine

11.04. Umsatzsteuer
Lohnsteuer
Kirchensteuer zur Lohnsteuer

Die dreitägige Zahlungsschonfrist endet am 14.04. für den Eingang der Zahlung. Diese Frist gilt nicht für die Barzahlung und die Zahlung per Scheck.

Zahlungen per Scheck gelten erst drei Tage nach Eingang des Schecks bei der Finanzbehörde (Gewerbesteuer und Grundsteuer: bei der Gemeinde- oder Stadtkasse) als rechtzeitig geleistet. Um Säumniszuschläge zu vermeiden, muss der Scheck spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstag vorliegen.

Alle Angaben ohne Gewähr

Vorschau auf die Steuertermine Mai 2023:

10.05. Umsatzsteuer
Lohnsteuer
Kirchensteuer zur Lohnsteuer

Die dreitägige Zahlungsschonfrist endet am 15.05. für den Eingang der Zahlung. Diese Frist gilt nicht für die Barzahlung und die Zahlung per Scheck.

15.05. Gewerbesteuer
Grundsteuer

Die dreitägige Zahlungsschonfrist endet am 19.05. für den Eingang der Zahlung. Diese Frist gilt nicht für die Barzahlung und die Zahlung per Scheck.

Zahlungen per Scheck gelten erst drei Tage nach Eingang des Schecks bei der Finanzbehörde (Gewerbesteuer und Grundsteuer: bei der Gemeinde- oder Stadtkasse) als rechtzeitig geleistet. Um Säumniszuschläge zu vermeiden, muss der Scheck spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstag vorliegen.

Alle Angaben ohne Gewähr

Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge April 2023

Die Beiträge sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankenarbeitstag eines Monats fällig. Für April ergibt sich demnach als Fälligkeitstermin der 26.04.2023.

1. Für alle Steuerpflichtigen: Zugangsvermutung innerhalb der Drei-Tages-Frist bei zustellungsfreien Tagen

Das Finanzgericht in Berlin-Brandenburg musste sich mit der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nummer 1 der Abgabenordnung (AO) beschäftigen, wenn innerhalb der dort genannten Drei-Tages-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet. Tatsächlich dürfte dieser Sachverhalt in der Praxis gar nicht so selten vorkommen, weshalb die Entscheidung aus Berlin-Brandenburg durchaus eine gewisse allgemeine Wichtigkeit besitzt. Ebenso werden darin die verfahrensrechtlichen Grundlagen gut erklärt, was auch in anderen Steuerstreitigkeiten mit der Finanzbehörde hilfreich sein kann.

Im vorliegenden Finanzgerichtsverfahren kommt das erstinstanzliche Finanzgericht mit Entscheidung vom 24.8.2022 unter dem Aktenzeichen 7 K 7045/20 zu dem Schluss, dass in entsprechenden Fällen die Zugangsvermutung keine Anwendung findet, wenn die Post regelmäßig nicht an allen Werktagen vom Postdienstleistungsunternehmen zugestellt wird.

In der Urteilsbegründung der erstinstanzlichen Entscheidungen heißt es unter anderem: Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nummer 1 AO ist zu einer Zeit kodifiziert worden, als ausschließlich die Deutsche Bundespost Briefpost in der Bundesrepublik Deutschland beförderte und zustellte und das regelmäßig an sechs Tagen in der Woche machte. Die Regelung des § 122 Abs. 2 AO stammt nämlich bereits aus dem Jahre 1976.

Auch wenn dem Grunde nach auch bei der Beauftragung privater (also nicht mit der Deutschen Bundespost bzw. der Deutschen Post AG identischer) Postdienstleister die Zugangsvermutung gilt, muss dennoch die Arbeitsweise der Postdienstleister in den wesentlichen Zügen mit denen der Deutschen Bundespost übereinstimmen. Anders könnte die Zugangsvermutung nicht kodifiziert werden, was sich bereits aus der sogenannten Subunternehmer-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs durch Beschluss vom 7.5.2019 unter dem Aktenzeichen III B 59/18 ergibt. In diesem Beschluss hatte der Bundesfinanzhof dargelegt, dass die Zugangsvermutung widerlegt ist, wenn ein beauftragtes Postdienstleistungsunternehmen zur Beförderung von Postsendungen einen anderen Postdienstleister einschaltet und es insgesamt nicht feststeht, dass es hierdurch eben nicht zu Verzögerungen kommt.

Zwar findet die Zugangsvermutung auch Anwendung, wenn beispielsweise wegen mehrerer arbeitsfreier Tage oder Personalausfall innerhalb der Drei -Tages-Frist an zwei Tagen keine Zustellung stattfindet. So wird beispielsweise bei Aufgabe zur Post am Freitag, den 30. April, trotz des Feiertages am 1. Mai der Zugang am Montag, dem 3. Mai grundsätzlich vermutet. Insoweit handelt es sich jedoch um eine Sonderkonstellation, die die grundsätzliche Anwendung der Zugangsvermutung nicht infrage stellen kann.

Dies stellt sich jedenfalls dann anders dar, wenn innerhalb der Drei-Tages-Frist vollkommen planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Zustellung erfolgt. Dann ist dies nämlich keine Sonderkonstellation mehr.

Im Urteilssachverhalt verhielt es sich so, dass nach glaubhafter Aussage eines Zeugen die Post am Samstag, den 16.6.2018, und dann erst wieder am Dienstag, den 19.6.2018, im Zustellerzentrum angeliefert wurde. Am Montag, den 18.6.2018, wurden dann die am Samstag, den 16.6.2018, angelieferte oder an diesem Tag nicht zugestellte Post ausgetragen. Die Zustellung durch das Postzustellungsunternehmen wäre daher der Zugangsvermutung nur dann gerecht geworden, wenn der angefochtene Bescheid am Samstag, dem 16.6.2018, als an dem auf die Aufgabe zur Post folgenden Tag im für die Wohnung der Klägerin zuständigen Zustellerzentrum des Postzustellungsunternehmens angeliefert und daraufhin am Montag, den 18.6.2018, in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen worden wäre. Das Gericht kommt daher zu dem Schluss, dass angesichts der Tatsache, dass im Jahresdurchschnitt nur 80 % der Briefe am Tag nach der Einlieferung zuzustellen sind und dass weniger als 12 Stunden zwischen Einlieferung im Verteilerzentrum und Anlieferung im Zustellerzentrum lagen, Verzögerungen ohne weiteres denkbar erscheinen.

Zulasten der Klägerin ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass sie den Briefumschlag, in dem ihr der angefochtene Bescheid übersandt wurde, nicht vorlegen konnte. Selbstverständlich ist die Klägerin zwar grundsätzlich zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet, indem sie den Briefumschlag, in dem ihr der angefochtene Bescheid übersandt wurde, vorlegt. Zu dieser Frage hat sie auch bereits der Bundesfinanzhof in einem Beschluss vom 21.12.2001 unter dem Aktenzeichen VIII B 132/00 geäußert. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Beispielsweise gilt es dann nicht, wenn sich auch aus dem übrigen Vortrag des Steuerpflichtigen Zweifel am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist ergeben. So auch bereits der Bundesfinanzhof in einem Urteil vom 22.5.2019 unter dem Aktenzeichen X B 109/18.

Auch in dem oben bereits zitierten „Subunternehmer-Urteil“ hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 14.6.2018 unter dem Aktenzeichen III R 27/17 der von der Vorinstanz festgestellten Tatsache, dass der Briefumschlag nicht vorgelegt wurde, keine Bedeutung zugemessen. Jedenfalls betonen die Entscheidungen, die grundsätzlich von einer derartigen Beweispflicht ausgehen, dass das Finanzgericht den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post in freier Beweiswürdigung ermitteln muss. So auch der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 27.11.2002 unter dem Aktenzeichen X R 17/01. Insoweit versteht das erstinstanzliche Gericht die höchstrichterliche Rechtsprechung dahingehend, dass etwaige Mängel bei der Substantiierung des Bestreitens unerheblich sind, wenn die Zugangsvermutung nicht greift. Folglich ist der Umstand, dass die Klägerin im vorliegenden Fall den Briefumschlag, in dem der Einkommensteuerbescheid übersandt wurde, nicht mehr vorlegen kann, nicht streiterheblich.

Abschließend betont das erstinstanzliche Finanzgericht noch, dass verbleibende Unsicherheiten im Sachverhalt, beispielsweise dass der Postzusteller sich nicht mehr erinnern konnte, in welcher Reihenfolge er seine Zustellertour gefahren ist, grundsätzlich zulasten des Beklagten, sprich des Finanzamtes, gehen. Der Fiskus trägt die Feststellungslast für den Zeitpunkt der Bekanntgabe des von ihm erlassenen Bescheides. Auch insoweit kann sich der Fiskus daher in einem entsprechenden Fall nicht auf die Zugangsvermutung berufen.

Hinweis: Da es das Finanzgericht jedoch für höchstrichterlich klärungsbedürftig hält, ob die Zugangsvermutung tatsächlich entfällt, wenn innerhalb der dort genannten Drei-Tages-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet, hat es die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Da sich der Fiskus nicht mit der steuerzahlerfreundlichen Entscheidung zufriedengeben möchte, hat er wiederum die Revision eingelegt. Beim Bundesfinanzhof in München wird diese unter dem Aktenzeichen VI R 18/22 geführt. Betroffenen sei durchaus empfohlen, sich an das Verfahren anzuhängen, wenn es denn aufgrund der Nichtzustellung innerhalb der Drei-Tages-Frist tatsächlich zu einem Fristproblem gekommen ist.

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2. Für alle Steuerpflichtigen: Bekanntgabe eines Steuerbescheides zu einer neuen Steuernummer bei umfassend erteilter Empfangsvollmacht

Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seiner Entscheidung vom 18.3.2022 unter dem Aktenzeichen 7 K 272/20 klargestellt, dass wenn einem Steuerberater ohne Einschränkung eine Empfangsvollmacht erteilt wird, dieser also als Empfangsbevollmächtigter bestellt wird, die Empfangsvollmacht auch für neue Steuernummern des Steuerpflichtigen gilt. Eine irgendwie geartete Einschränkung ergibt sich auch nicht aus dem Beiblatt des amtlichen Vollmachtsformulars.

Auch wenn sich der Leitsatz der Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichtes eher sehr technisch anhört, ist die Entscheidung doch von enormer Bedeutung. Denn an der ordnungsgemäßen Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes hängt so einiges. Beispielsweise der Beginn der Rechtsbehelfsfrist. Tatsächlich ist die Entscheidung jedoch auch noch für andere Fragen von außerordentlicher Relevanz, beispielsweise beim Thema der Säumniszuschläge. Entsprechend der gesetzlichen Vorschrift in § 240 Abs. 1 AO ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von einem Prozent des rückständigen Steuerbetrags verwirkt, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet wird. Entsprechend § 220 Abs. 1 AO richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis grundsätzlich nach den Vorschriften der Steuergesetze. Allerdings tritt gemäß § 220 Abs. 2 Satz 2 AO die Fälligkeit nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung ein. Insoweit ist auch hier relevant, ob ein entsprechender Verwaltungsakt korrekt bekanntgegeben wurde.

Nach § 122 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Gemäß § 80 Absatz 1 Satz 1 AO kann sich ein Beteiligter auch von einem Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Vollmachtserteilung ist nicht formbedürftig, sie kann mündlich oder schriftlich, ausdrücklich oder konkludent erfolgen, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 15.11.1991 unter dem Aktenzeichen VI R 81/89 klargestellt hat. Nur bei der elektronischen Übermittlung von Vollmachtdaten an Landesfinanzbehörden nach § 80 a AO ist das amtliche Muster für Vollmachten im Besteuerungsverfahren zwingend zu verwenden.

Ist nun für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt, so soll sich die Finanzbehörde gemäß § 80 Abs. 5 AO an ihn wenden. Für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten an einen Bevollmächtigten gilt insoweit § 122 Absatz 1 Satz 3 und 4 AO. Danach kann der Verwaltungsakt auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden. Er soll sogar dem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden, wenn der Finanzbehörde eine schriftliche oder eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht vorliegt, solange dem Bevollmächtigten nicht eine Zurückweisung bekannt geworden ist.

Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes an den Bevollmächtigten besteht somit dann, wenn ein Bevollmächtigter eindeutig und unmissverständlich auch als Bekanntgabeadressat bestellt worden ist und sich dies unmittelbar aus einer diesbezüglichen Erklärung des Steuerpflichtigen ergibt. So geregelt in § 122 Abs. 1 Satz 4 AO und auch bereits durch den Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 5.10.2000 unter dem Aktenzeichen VII R 96/99 bestätigt. Wird daher ein Steuerbescheid dem betroffenen Steuerpflichtigen bekanntgegeben und dadurch eine von ihm erteilte Bekanntgabevollmacht zu Gunsten seines Steuerberaters nicht beachtet, ist die Bekanntgabe unwirksam! Der Bekanntgabemangel wird durch die Weiterleitung des Steuerbescheids an den Bevollmächtigten allerdings geheilt, wie beispielsweise der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 8.12.1988 unter dem Aktenzeichen IV R 24/87 entschieden hat.

Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt daher das Folgende: Hat ein Steuerpflichtiger seinen Bevollmächtigten schriftlich umfassend für alle Steuerarten bevollmächtigt und ihm auch eine umfassende Bekanntgabevollmacht erteilt, wird das Ermessen der Finanzverwaltung hinsichtlich der Auswahl des Bekanntgabeadressaten auf null reduziert. Jeder Bescheid, auch ein solcher, bei dem eine neue Steuernummer vergeben wird, wie es beispielsweise in Grunderwerbsteuerbescheiden der Fall ist, muss somit über den Bevollmächtigten bekanntgegeben werden.

Klar und deutlich führen die Richter des Niedersächsischen Finanzgerichtes weiter aus, dass sich etwas anderes auch nicht daraus ergibt, dass die Klägerin im vorliegenden Fall das amtliche Vollmachtsformular inklusive Beiblatt zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen genutzt hat. Zunächst hat die Klägerin keine Beschränkung der Vollmacht auf bestimmte Steuernummern vorgenommen. Sie hat bei der Steuernummer lediglich „neu“ angegeben. Damit hat sie zur Überzeugung des Senats zum Ausdruck gebracht, dass die Vollmacht für alle (auch zukünftig zu erteilende) Steuernummern gelten soll. Der Vortrag des Finanzamtes, die Vollmacht habe sich nur auf die Einkommensteuernummer bezogen, ist auch insoweit nicht schlüssig nach Meinung der erstinstanzlichen Richter, da auf dem Beiblatt von der Klägerin keine Steuernummer angegeben wurde. Das Finanzamt hätte daher die Vollmacht also entweder gar nicht oder eben für alle (auch künftigen Steuernummern) beachten müssen.

Hinweis: Insoweit kommt einer uneingeschränkten Empfangsvollmacht eine sehr hohe Bedeutung zu. Leider ist die Streitfrage vorliegend jedoch noch nicht erledigt, da die Finanzverwaltung Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt hat. Unter dem Aktenzeichen II R 10/22 müssen die obersten Finanzrichter der Republik daher nun prüfen, ob die Empfangsvollmacht auch für neue Steuernummern gilt, wenn ein Steuerberater ohne Einschränkung als Empfangsbevollmächtigter bestellt wird.

Ebenso ist im konkreten Streitfall noch zu prüfen, ob es eine Bedeutung hat, dass sich die Zuständigkeit hinsichtlich der Veranlagung der Personengesellschaft, hier wurde die Vollmacht abgegeben, und der Grunderwerbsteuerstelle in einem Finanzamt konzentriert.

Da damit zu rechnen ist, dass entsprechende Fälle in der Praxis nicht gerade selten auftreten, sollten sich Betroffene an das Musterverfahren anhängen, wenn das Finanzamt eine uneingeschränkte Empfangsvollmacht nicht beachtet hat.

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3. Für alle Steuerpflichtigen: Zur Unterbrechung der Verjährung eines Anspruchs

Mit Entscheidung vom 23.8.2022 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VII R 46/20 klargestellt, dass die Verjährung eines Anspruchs nur dann entsprechend der Regelung in § 231 der Abgabenordnung (AO) unterbrochen werden kann, wenn die Verjährungsfrist bereits in Gang gesetzt worden ist und noch läuft. Diesem Grundsatz folgend unterbricht eine Pfändung, die vor Beginn der Verjährung entsprechend § 229 Absatz 1 Satz 1 AO vorgenommen worden ist, die Verjährung nicht.

Der Bundesfinanzhof begründet seine Entscheidung, die durchaus auch für andere Fälle von praktischer Bedeutung sein kann, wie folgt.

So führen die obersten Finanzrichter der Republik aus, dass der Haftungsanspruch gemäß § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehört und gemäß § 228 Satz 2 AO nach fünf Jahren verjährt.

Die Zahlungsverjährung beginnt hingegen mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, wie § 229 Abs. 1 Satz 1 AO zu entnehmen ist. Ist ein Haftungsbescheid hingegen ohne Zahlungsforderung ergangen, so beginnt die Verjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Haftungsbescheid wirksam geworden ist, wie entsprechend der weitergehenden Vorschrift in § 229 Abs. 2 gesehen werden kann.

Durch die Verjährung erlöschen der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und die von ihm abhängenden Zinsen.

Die Verjährung eines Anspruchs wird gemäß § 231 Abs. 1 AO durch die dort genannten Maßnahmen unterbrochen, entweder punktuell oder aber für die dort bestimmt Dauer (§ 32 Abs. 2 AO). Unterbrochen im Sinne des Abs. 1 bedeutet dabei, dass der nach § 229 Absatz 1 Satz 1 AO in Gang gesetzte Fristablauf abgebrochen wird und mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterbrechung endet, eine neue Verjährungsfrist beginnt. Die bereits verstrichene Zeit bleibt somit unberücksichtigt.

Zu unterscheiden ist die Unterbrechung einer Frist von ihrer Hemmung. Die Hemmung bewirkt nämlich nur einen Stillstand des Fristlaufs. Im Fall der Anlaufhemmung wird der Beginn der Verjährungsfrist auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben. Im Fall der Ablaufhemmung wird der planmäßige Eintritt der Verjährung hinausgeschoben.

Für die Zahlungsverjährung ist eine Anlaufhemmung in § 229 Absatz 1 Satz 2 AO geregelt, demzufolge der Beginn der Verjährungsfrist in den dort genannten Fällen hinausgeschoben wird.

Eine Ablaufhemmung enthält § 230 AO. Nach dieser Regelung ist die Zahlungsverjährung gehemmt, solange der Anspruch wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Verjährungsfrist nicht verfolgt werden kann. Hemmung bedeutet hier, dass der Zeitraum, während dessen die Hemmung besteht, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, dass aber nach dem Wegfall der Hemmung die bereits begonnene „alte“ Verjährungsfrist weiterläuft.

Schon aus den Begriff der Unterbrechung und der Systematik der § § 228 ff. AO folgt somit, dass eine Verjährungsfrist nur dann unterbrochen werden kann, wenn sie bereits in Gang gesetzt worden ist und noch läuft. Mithin kann die Verjährung eines Anspruchs auch nur durch ein Ereignis unterbrochen werden, das nach dem Beginn der Verjährungsfrist eingetreten ist.

Dies hat die oberste Rechtsprechung in Bezug auf § 147 der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits entschieden. Das gilt aber aufgrund der dargelegten Systematik in der AO und der rechtssystematischen Unterscheidung zwischen der Unterbrechung und der Hemmung einer Frist ebenso für § 231 AO. Diese Ansicht wird nicht nur an zahlreichen Stellen in der einschlägigen Literatur vertreten, sondern auch das Finanzgericht Hamburg hat bereits in einer Entscheidung vom 25.10.1989 unter dem Aktenzeichen II 117/86 diese Auffassung vertreten.

Zudem entspricht dies im Übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der Unterbrechung der Verjährung in § 217 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. den diesen ersetzen Begriff des Neubeginns der Verjährung in § 212 BGB. Danach setzt ein Neubeginn der Verjährung denknotwendig voraus, dass die Verjährung schon in Gang gesetzt worden ist, und kann damit frühestens ab dem eigentlichen Verjährungsbeginn einsetzen. So konkret zu entnehmen beispielsweise dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8.1.2013 unter dem Aktenzeichen VIII ZR 344/12.

Der Sinn und Zweck der Regelungen zur Hemmung und zur Unterbrechung der Verjährung erschließt sich aus dem allgemeinen Sinn und Zweck der Regelverjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche. Diese dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Sie ist eine durch die Zweckmäßigkeit gebotene Einrichtung, denn sie zwingt den Gläubiger, seine Ansprüche zügig geltend zu machen.

Damit berücksichtigen die Verjährungsvorschriften einerseits, dass die Beweisbarkeit von Ansprüchen oder auch ihre Abweisung umso schwieriger wird, je älter die Ansprüche werden. Sie haben aber zudem auch die Aufgabe, einen gegenwärtigen zeitnahen Steuervollzug zu gewährleisten.

Für den Steuerpflichtigen bedeuten sie andererseits, dass er nach Eintritt der Verjährung nicht mehr damit zu rechnen braucht, für die betreffenden Steuern in Anspruch genommen zu werden. In diesem Sinne soll das Institut der Zahlungsverjährung dafür sorgen, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist.

Die Verjährungsfristen schaffen somit einen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und Rechtssicherheit, wie insbesondere auch in der einschlägigen Literatur erklärt wird.

Vor diesem Hintergrund sind die Bestimmungen zu Hemmung und zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung als Ausnahmeregelung zu verstehen. Sie öffnen dem Fiskus die Möglichkeit, über die Frist der fünfjährigen Regelverjährung hinaus den staatlichen Steueranspruch durchzusetzen. Das Bedürfnis der Steuerpflichtigen nach Rechtssicherheit muss im gesetzlich geregelten Umfang hinter dem Fiskalinteresse zurücktreten.

Daraus folgt, dass die Regelverjährung nur in den Fällen gehemmt oder unterbrochen wird, die ausdrücklich im Gesetz geregelt sind. Das Gesetz enthält insbesondere in § 231 AO eine abschließende Aufzählung der Unterbrechungstatbestände, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 21.12.2021 unter dem Aktenzeichen VII R 21/19 verdeutlicht hat. Diese Auffassung ist dabei nicht neu, denn ebenso hat der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 26.4.1999 unter dem Aktenzeichen V R 90/87 die vorgenannte Auffassung der abschließenden Aufzählung vertreten.

Das alles schließt eine extensive Auslegung des § 231 AO zur Erfassung einer Sachpfändung, die im Rahmen eines Arrestverfahrens bereits vor Fälligkeit der Hauptschuld vorgenommen worden ist, aus. Denn eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Regelung zur Verjährungsunterbrechung würde den gesetzlich vorgesehenen Ausgleich zwischen Fiskalinteresse und Rechtssicherheit durchbrechen.

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4. Für Rentner: Entscheidendes Jahr des Rentenbeginns bei aufgeschobener Altersrente

Insbesondere Leibrenten, die unter anderem aus den berufsständischen Versorgungswerken erbracht werden, gehören zu den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen im Bereich der sonstigen Einkünfte. Der Anteil der Rente, der der Besteuerung unterliegt, ist dabei nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem für dieses Jahr maßgeblichen Prozentsatz entsprechend der Tabelle in § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu entnehmen. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente ist der steuerfreie Teil der Rente. Dieser gilt ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezuges. Hinsichtlich des Besteuerungsanteils kann daher pauschal festgehalten werden, dass dieser umso niedriger ist, je früher die Rente beginnt. So beträgt der Besteuerungsanteil für 2023 83 % und steigt dann bis ins Jahr 2040 jährlich um einen Prozentpunkt auf bis zu 100 %.

Schon ausweislich der Rechtslage vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes war die Höhe des damals für die Rentenbesteuerung maßgebenden Ertragsanteils vom Beginn der Rente abhängig und in einer Tabelle in § 22 EStG alte Fassung geregelt. Hierzu hatte bereits der Bundesfinanzhof entschieden, dass als Beginn der Rente der Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs (also die Erfüllung seiner Voraussetzungen) anzusehen ist. So beispielsweise in der Ursprungsentscheidung des Bundesfinanzhofs mit Urteil vom 6.4.1976 unter dem Aktenzeichen VIII R 184/72. Soweit ersichtlich, hat der Bundesfinanzhof seine Auffassung zudem mit Entscheidung vom 14.11.2001 unter dem Aktenzeichen X R 90/98 zuletzt wiederholt.

Zu der ab 2005 durch das Alterseinkünftegesetz geltenden Rechtslage ist dabei die bisherige Rechtsprechung zum damaligen Begriff des „Beginns der Rente“ weiterhin maßgeblich, auch wenn das Einkommensteuergesetz ab dem Jahre 2005 den Begriff „Jahr des Rentenbeginns“ verwendet. Fakt ist nämlich insoweit, dass sich an den Grundlagen auch durch den Systemwechsel aufgrund des Alterseinkünftegesetzes nichts geändert hat und für die Ermittlung des steuerpflichtigen Anteils der Rente weiterhin das Jahr des Rentenbeginns entscheidend ist. So auch zu entnehmen einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9.12.2015 unter dem Aktenzeichen X R 30/14.

In Übereinstimmung mit der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs legt auch die Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.8.2013 als Rentenbeginn denjenigen Zeitpunkt fest, ab dem die Rente (gegebenenfalls nach rückwirkender Zubilligung) tatsächlich bewilligt wird. Der Rentenbescheid ist insoweit maßgeblich. Dem hat sich die einhellige Literaturauffassung angeschlossen, soweit dies allgemein ersichtlich ist.

Nach diesen Grundsätzen ist in Fällen, in denen der Beginn des Renteneintritts auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben wird, zur Bestimmung des „Jahres des Rentenbeginns“ der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn der aufgeschobenen Altersrente bestimmt.

Auf Basis dieser Grundlagen formuliert der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 31.8.2022 unter dem Aktenzeichen X R 29/20 den Leitsatz, dass das für die Höhe des Besteuerungsanteils maßgebliche Jahr des Rentenbeginns immer das Jahr ist, in dem der Rentenanspruch entstanden ist, also die Voraussetzungen für den Rentenanspruch erfüllt sind. Ganz klar führen die obersten Richter aus: Wird der Renteneintritt auf Antrag des Rentenberechtigten zur Erlangung eines höheren Rentenanspruchs über das Erreichen der Regelaltersgrenze hinaus aufgeschoben, ist der Zeitpunkt maßgeblich, den der Rentenberechtigte in Übereinstimmung mit den entsprechenden Rechtsgrundlagen des für ihn geltenden Versorgungssystems als Beginn seiner aufgeschobenen Altersrente bestimmt.

Ausdrücklich betont der Bundesfinanzhof in seiner vorgenannten Entscheidung schließlich noch, dass diese Auffassung auch verfassungsrechtlich haltbar ist und nicht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Insoweit hatte sowohl der Bundesfinanzhof, sogar bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht, bereits mehrfach entschieden, dass im Rahmen der gesetzlichen Übergangsregelung für die Umstellung von der Ertragsanteilsbesteuerung auf die nachgelagerte Besteuerung der Altersbezüge aus der Basisversorgung auch größere Typisierungen und Generalisierungen zulässig sind. So beispielsweise der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 19.5.2021 unter dem Aktenzeichen X R 33/19 mit zahlreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Die verfassungsrechtlich zulässigen Typisierungen umfassen auch den Umstand, dass der Gesetzgeber den steuerfreien Rententeilbetrag vom Zeitpunkt des jeweiligen Jahres des Rentenbeginns abhängig machen darf. Insoweit wurde lediglich die schon vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetz bestehende Typisierung fortgeführt.

Zudem hat der Bundesfinanzhof auch bereits entschieden, dass die Regelung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt wird, dass bei einer Rentennachzahlung (unabhängig vom Zeitpunkt des Zuflusses des Nachzahlungsbetrages und dem erstmaligen Einsetzen laufender Zahlungen) auf den Zeitpunkt des Entstehens des Rentenanspruchs abgestellt wird, weil Fälle rechtzeitiger und verspäteter Antragstellung voneinander verschieden sind und daher auch zu verschiedenen steuerlichen Folgen führen können. Zudem würde der vom Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise mit der Typisierung verfolgte Vereinfachungseffekt verloren gehen, wenn entsprechend dem Begehren des hier klagenden Steuerpflichtigen unterschiedliche Besteuerungsanteile und Rentenfreibeträge anzusetzen wären.

Weiterhin geht der Bundesfinanzhof auch noch darauf ein, dass das vom Kläger bemühte Leistungsfähigkeitsprinzip nicht verletzt wird. Im Endeffekt wird es also dabei bleiben, dass sich der Besteuerungsanteil unabhängig von der Zahlung der Rente nach dem Jahr des Rentenbeginns richten wird.

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5. Für Eltern und Kinder: Kindergeldanspruch bei Wegfall der Arbeitssuchendmeldung

Entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht für ein über 18 Jahre altes Kind, dass das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Anspruch auf Kindergeld, wenn es nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei der Agentur für Arbeit im Inland als arbeitssuchend gemeldet ist. Soweit die Basics.

Streitbefangen war in einem aktuellen Verfahren beim Bundesfinanzhof, wann man als arbeitssuchend gemeldet ist. Dazu der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 22.9.2022 unter dem Aktenzeichen III R 37/21: Bei einer Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet ist, wer gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit persönlich die Tatsache einer künftigen oder gegenwärtigen Arbeitslosigkeit anzeigt. Dies hat so bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 18.6.2015 unter dem Aktenzeichen VI R 10/14 klargestellt. Die Registrierung des arbeitssuchenden Kindes und einer etwaigen daran anknüpfen Bescheinigung kommt keine echte Tatbestandswirkung für den Kindergeldanspruch zu. Entscheidend ist, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als arbeitssuchend gemeldet hat.

Da keine ausdrückliche steuerrechtliche Regelung besteht, wann der durch eine Meldung als arbeitssuchend begründet Status wieder entfällt, sind für das Kindergeld insoweit die Vorschriften des Sozialrechts, hier insbesondere § 38 des Sozialgesetzbuches (SGB) III, heranzuziehen. Auch dies hat bereits der Bundesfinanzhof in verschiedenen Entscheidungen geklärt. So beispielsweise in einem Urteil vom 19.6.2008 unter dem Aktenzeichen III R 68/05 sowie auch in einer Entscheidung vom 26.8.2014 unter dem Aktenzeichen XI R 1/13.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs setzt der Wegfall der Wirkung einer Meldung als arbeitssuchend nicht konstitutiv die wirksame Bekanntgabe einer Einstellungsverfügung voraus. Liegt hingegen eine der Arbeitsagentur zur Einstellung berechtigte Pflichtverletzung nicht vor, entfällt die Wirkung einer Meldung als arbeitssuchend nur, wenn das Kind von sich aus die Beendigung der Arbeitslosmeldung verlangt oder die wirksame Bekanntgabe einer Einstellungsverfügung vorliegt. Ist die Vermittlung mangels einer beachtlichen Pflichtverletzung des arbeitssuchenden Kindes zu Unrecht eingestellt worden und fehlt es auch an einer wirksamen Einstellungsverfügung oder einem Antrag des Kindes auf Beendigung der Arbeitssuche, besteht die Arbeitssuchendmeldung für Zwecke des Kindergeldrechts grundsätzlich zeitlich unbefristet fort, was bedeutet, dass sie gegebenenfalls bis zum Erreichen des 21. Lebensjahres läuft.

Auf Basis dieser Grundsätze kommt der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung unter dem Aktenzeichen III R 73/21 zu dem Ergebnis: Hat die Agentur für Arbeit das arbeitssuchend Kind aus der Vermittlung abgemeldet, fehlt es aber an einer wirksamen Bekanntgabe der Einstellungsverfügung oder an einer einvernehmlichen Beendigung der Arbeitssuchendmeldung, hängt der Fortbestand der Arbeitssuchendmeldung davon ab, ob das arbeitssuchende Kind eine Pflichtverletzung begangen hat, welche die Agentur für Arbeit zur Einstellung der Vermittlung berechtigt hat. Weder die Löschung der Registrierung noch die einvernehmliche Beendigung eines Berufsberatungstermins führen zum Wegfall der Arbeitssuchendmeldung.

Hinweis: Auch wenn die Familienkassen dies scheinbar nicht wahrhaben wollen, ist dies die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und insoweit nur eine Bestätigung von früheren Entscheidungen.

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6. Für Immobilieneigentümer: Zur Wahl der Wertermittlungsmethode bei der Aufteilung eines Gesamtkaufpreises einer Immobilie in Grund- und Bodenanteil sowie Gebäude

Werbungskosten sind entsprechend der gesetzlichen Definition in § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Diese Werbungskosten können bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung steuermindernd abgezogen werden, wenn sie durch die Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung veranlasst sind. Zu den bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbaren Werbungskosten gehört entsprechend § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 7 EStG auch die Abschreibung für Abnutzung für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude. Bemessungsgrundlage der Abschreibung sind dabei die Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Ist in der Praxis für die Anschaffung eines Immobilienobjektes ein Gesamtkaufpreis gezahlt worden, ist der Kaufpreis zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Abschreibung aufzuteilen. Zunächst sind Boden- und Gebäudewert gesondert zu ermitteln und sodann die Anschaffungskosten nach dem Verhältnis der beiden Wertanteile in Anschaffungskosten für den Grund und Boden sowie den Gebäudeanteil aufzuteilen. Dies hat bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 21.7.2020 unter dem Aktenzeichen IX R 26/19 ausgeführt.

In der vorgenannten Entscheidung ging es dabei jedoch wesentlich um die Frage, ob das Finanzgericht die vertragliche Kaufpreisaufteilung durch eine Kaufpreisaufteilung, welche mittels der Arbeitshilfe des Bundesfinanzministeriums ermittelt wurde, ersetzen darf. Dies hatten die obersten Finanzrichter der Republik seinerzeit ganz klar verneint und somit der Finanzverwaltung eine schallende Ohrfeige erteilt. Eine vertragliche Kaufpreisaufteilung auf Grund und Boden sowie Gebäude, die die realen Wertverhältnisse in grundsätzlicher Weise verfehlt und wirtschaftlich nicht haltbar erscheint, darf nämlich nicht durch die unter Verwendung der Arbeitshilfe des Bundesfinanzministeriums ermittelte Aufteilung ersetzt werden. Ganz klar entschieden die Richter seinerzeit, dass die Arbeitshilfe die von der Rechtsprechung geforderte Aufteilung nach den realen Verkehrswerten von Grund und Boden im Hinblick auf die Verengung der zur Verfügung stehenden Bewertungsverfahren auf das vereinfachte Sachwertverfahren und die Nichtberücksichtigung eines sogenannten Orts- oder Regionalisierungsfaktors bei der Ermittlung des Gebäudewerts nicht gewährleistet.

Mit einer neuen Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 20.9.2022 klärt dieser nun unter dem Aktenzeichen IX R 12/21, dass für die Schätzung des Werts von Grund und Boden sowie des Gebäudeanteils die Immobilienwert-Verordnung herangezogen werden kann, denn sie enthält anerkannte Grundsätze für die Schätzung von Verkehrswerten von Grundstücken. Nach deren Bestimmungen ist der Verkehrswert mithilfe des Vergleichswertverfahrens (einschließlich des Verfahrens zur Bodenwertermittlung), des Ertragswertverfahrens, des Sachwertverfahrens oder mehrerer dieser Verfahren zu ermitteln. Die Verfahren sind nach der Art des Wertermittlungsobjektes unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten unter sonstigen Umständen des Einzelfalls, insbesondere der zur Verfügung stehenden Daten, zu wählen. Die Wahl muss dabei begründet sein. Dabei stehen die nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu wählenden Wertermittlungsverfahren einander gleichwertig gegenüber. Der Verkehrswert ist dann aus dem Ergebnis des oder der herangezogenen Verfahren unter Würdigung seines oder ihrer Aussagefähigkeit zu ermitteln.

Die Ermittlung der Verkehrswertrelation ist zwar Teil der Sachverhaltsfeststellung des Finanzgerichtes, die für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend ist. Der Bundesfinanzhof als Revisionsgericht muss allerdings bei Heranziehung der Immobilienwert-Verordnung durch die Vorinstanz prüfen, ob dabei die rechtlichen Vorgaben der maßgeblichen Bestimmungen beachtet worden sind.

Insbesondere im Hinblick auf die Wahl des Bewertungsverfahrens zur Ermittlung der Verkehrswerte von Grund und Boden sowie Gebäude hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die nachfolgenden Grundsätze aufgestellt:

Zum einen hat die Rechtsprechung bei Mietwohngrundstücken im Privatvermögen im Regelfall eine Kaufpreisaufteilung unter Anwendung des Sachwertverfahrens mit der Erwägung für angebracht gehalten, dass für den Erwerb einer solchen Immobilie neben Ertragsgesichtspunkten und der sicheren Kapitalanlage auch die Aussicht auf einen langfristigen steuerfreien Wertzuwachs des Vermögens ausschlaggebend sein könnte. So beispielsweise der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 29.5.2008 unter dem Aktenzeichen IX R 36/06 und in einem Beschluss vom 23.6.2005 unter dem Aktenzeichen IX B 132/04. Ferner hat der Bundesfinanzhof stets betont, dass nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden ist, welches Wertermittlungsverfahren anzuwenden ist.

Zum anderen hat die Rechtsprechung bei der Bewertung von Mietwohngrundstücken im Privatvermögen auch eine Anwendung des Ertragswertverfahrens für möglich erachtet, wenn dieses zum zutreffenderen Wert geführt und die tatsächlichen Wertverhältnisse besser abgebildet hat. Überdies hat der Bundesfinanzhof in anderem materiell-rechtlichen Zusammenhang schon früher entschieden, dass die zur Aufteilung des gebäudebezogenen Aufwands zu bestimmenden Verkehrswerte des eigengenutzten sowie des fremdvermieteten Teils eines Gebäudes nach dem Ertragswertverfahren ermittelt werden können, wenn eine Bewertung im Sachwertverfahren der zur Vermietung genutzten Flächen und der eigengenutzten Flächen wegen der unterschiedlichen Nutzbarkeit der jeweiligen Bereiche zu einem ersichtlich sachwidrigen Ergebnis führt. So beispielsweise der Bundesfinanzhof im Urteil vom 25.5.2005 unter dem Aktenzeichen IX R 46/04 mit weiteren Nennungen.

Das Vergleichswertverfahren hat die frühere Rechtsprechung zur Ermittlung des Verkehrswerts des Boden- und des Gebäudeanteils einer privaten Eigentumswohnung als nicht brauchbar angesehen, da diese Bewertungsmethode nur erlaube, die Eigentumswohnung als eine Einheit von Miteigentumsanteil und Sondereigentum zu bewerten. Daher ist das Vergleichswertverfahren mit dem Gebot der Einzelbewertung nicht vereinbar, wie der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 15.1.1985 unter dem Aktenzeichen IX R 81/83 bereits herausgearbeitet hat.

Von diesen vorgenannten Grundsätzen ausgehend hat sich die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dahingehend fortentwickelt, dass einerseits bei umfassend sanierten, denkmalgeschützten Mietwohngebäuden die Wertanteile für Grund und Boden sowie Gebäude auf der Grundlage des Sachwertverfahrens ermittelt werden können, wenn anderweitig ermittelte Ertrags- und Vergleichswerte die tatsächlichen, an einem angemessenen Kaufpreis zu messenden Wertverhältnisse nicht einmal annähernd abbilden können. Andererseits kann aber bei Mietwohngebäuden auch das Ertragswertverfahren anzuwenden sein, wenn es sich im Einzelfall, etwa mit Blick auf den Renovierungszustand oder die begehrte innerstädtische Lage, um Renditeobjekte handelt und das Sachwertverfahren nicht in gleicher Weise zur Wertfindung geeignet erscheint, weil der mit dieser Methode ermittelte Wert ganz erheblich von dem zwischen den Kaufvertragsparteien vereinbarten und tatsächlich gezahlten Kaufpreis abweicht.

Insoweit hält der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung vom 20.9.2022 an den dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen zur Aufteilung eines Gesamtkaufpreises durch getrennte Ermittlung des Verkehrswertes von Grund und Boden sowie Gebäude unter Rückgriff auf die gleichwertigen Wertermittlungsverfahren der Immobilienwert-Verordnung fest.

Die genannten Grundsätze haben weiterhin ihre Berechtigung und werden (soweit ersichtlich) weder in der Rechtsprechung, noch in der Finanzverwaltung oder in der Literatur grundsätzlich infrage gestellt.

Insoweit betont der hier erkennende IX. Senat ganz ausdrücklich, dass er die vorliegende Entscheidung zum Anlass nehmen möchte besonders hervorzuheben, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung kein steuerrechtlicher (insbesondere kein typisierender) Vorrang bestimmter Wertermittlungsverfahren für bestimmte Gebäudearten ergibt. Das bedeutet auch, dass sich die Wahl der Ermittlungsmethode einer Verallgemeinerung schon dem Grunde nach entzieht und auch nicht auf ein fallgruppenspezifisch vorrangiges Wertermittlungsverfahren beschränkt werden kann. Denn einen von der Beurteilung im Einzelfall unabhängigen Vorrang einzelner Bewertungsmethoden bei bestimmten Objektarten kann es, entgegen der immer wieder bei der Finanzverwaltung und in der erstinstanzlichen Rechtsprechung auftretenden Meinung, schon von Gesetzes wegen nicht gegeben.

Ganz konkret ergibt sich aus den Bestimmungen der Immobilienwert-Verordnung kein Vorrang bestimmter Wertermittlungsverfahren. Die Wertermittlungsverfahren sind vielmehr nach der Art des Wertermittlungsobjektes unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und den sonstigen Umständen des Einzelfalls zu wählen. Die Immobilienwert-Verordnung ist auch nicht abschließend. Es besteht daher die Möglichkeit, Wertermittlungsverfahren weiterzuentwickeln oder neue Verfahren zu entwickeln. Dies ist schon einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.1.1996 unter dem Aktenzeichen 4 B 69/95 zum Baurecht zu entnehmen. Diese baurechtliche Ausgangslage schließt es aus, dass die finanzgerichtliche Rechtsprechung ein bestimmtes Verfahren zur Ermittlung des Verkehrswertes eines bebauten Grundstücks bindend vorgibt. Eine Rechtfertigung, von dem baurechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit der Bewertungsverfahren aus steuerrechtlichen Gründen abzuweichen, besteht nicht. Nach Ansicht des Senats verbietet es insbesondere der Grundsatz der Einzelbewertung nicht, einen einheitlichen Kaufpreis nach dem Verhältnis der Ertragswerte auf Grund und Boden einerseits sowie Gebäude andererseits aufzuteilen. Obwohl der Ertragswert des Gebäudes nur in der Weise ermittelt werden kann, dass von dem für die Vermietung des gesamten Grundstücks erzielten Reinertrag der Verzinsungsbetrag des Bodenwerts abgezogen wird, handelt es sich doch um eine Methode, mit der der Wert des Gebäudes als solcher ausreichend sicher geschätzt werden kann. Dabei darf die Ertragswertmethode nicht mit dem von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verworfenen Restwertverfahren verglichen werden, bei dem vom gezahlten Kaufpreis zunächst der Grundstückswert abgezogen und lediglich der verbleibende Rest der Anschaffungskosten des Gebäudes zugerechnet wird.

Soweit der Bundesfinanzhof bislang schwerpunktmäßig eine Bewertung von Geschäftsgrundstücken im Ertragswertverfahren für angezeigt gehalten und dabei auf deren Charakter als Renditeobjekte abgestellt hat, ist darauf hinzuweisen, dass im Kontext der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung auch reine Wohnimmobilien als Renditeobjekte angesehen werden können. Dafür spricht beispielsweise die dynamische Entwicklung des Immobilienmarktes in der Vergangenheit und des (jedenfalls bis vor kurzem) noch sehr niedrigen Zinsniveaus. Dementsprechend liegen auch dem Erwerb von zur Vermietung bestimmtem Wohneigentum regelmäßig Ertragsüberlegungen zugrunde. Die Verhältnisse unterscheiden sich damit von denen in früheren Jahren, für die der Bundesfinanzhof davon ausgegangen ist, dass für den Erwerb von Mietwohngrundstücken neben Ertragsgesichtspunkten und dem Aspekt der sicheren Kapitalanlage vor allem die Aussicht auf einen langfristigen steuerfreien Wertzuwachs des Vermögens ausschlaggebend war. Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, das Ertragswertverfahren außerhalb der Bewertung von Geschäftsgrundstücken von vornherein für weniger geeignet oder auch nur für nachrangig zu halten.

Neben diesen dogmatischen Erwägungen kommt in rechtsstaatlicher Hinsicht hinzu, dass in der Praxis der Immobilienbewertung das Sachwertverfahren keineswegs überwiegt. Vielmehr entspricht es den Gepflogenheiten des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs, sowohl das Vergleichswertverfahren bei der Ermittlung von Bodenwerten und auch bei bebauten Grundstücken anzuwenden, als auch auf das Ertragswertverfahren zurückzugreifen, wenn vergleichbare Objekte üblicherweise mit der Absicht erworben werden, Erträge zu erzielen und/oder den Wert des eingesetzten Kapitals zu vermehren, sowie eine Anwendung des Sachwertverfahrens in Betracht zu ziehen, wenn es sich um Sonderobjekte (beispielsweise denkmalgeschützte Immobilien) handelt oder wenn vergleichbare Objekte regelmäßig durch Käufe erworben werden, deren Alternative im Neubau eines entsprechendes Objektes besteht, was am ehesten bei eigengenutzten Wohnimmobilien der Fall sein dürfte.

In der Praxis der Immobilienbewertung wird dem Ertragswertverfahren die weiteste Verbreitung zugesprochen. Dies soll für nahezu alle Gebäudearten gelten, auch für Wohn- und Teileigentum. Zum Teil wird aber auch eine Dominanz des Vergleichswertverfahrens gesehen. Ganz deutlich betonen die Richter in der vorliegenden Entscheidung jedoch, dass der Bundesfinanzhof dem nicht weiter nachzugehen braucht.

Hinweis: Insoweit kann nur abschließend wiederholt werden, dass für die Schätzung des Wertes des Grund und Bodens sowie des Gebäudeanteils die Immobilienwert-Verordnung herangezogen werden kann. Welches Wertermittlungsverfahren dabei anzuwenden ist, ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Die Wahl der Ermittlungsmethode entzieht sich einer Verallgemeinerung. Ein Vorrang bestimmter Wertermittlungsverfahren für bestimmte Gebäudearten besteht nicht, sodass sogar auch Wertermittlungsverfahren außerhalb der Immobilienwert-Verordnung Anwendung finden können.

Für die Praxis sollte damit entgegen der häufig fiskalischen Auffassung der Finanzverwaltung eine weitere, erhebliche Vereinfachung geschaffen worden sein. Das Urteil ist daher zu begrüßen und zeigt, dass man in etwaigen Streitigkeiten hinsichtlich der Aufteilung des Gesamtkaufpreises gegenüber dem Finanzamt nicht unbedingt nachgeben sollte.

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7. Für (ehemalige) Unternehmer: Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung auch bei Veräußerung von Wirtschaftsgütern gegen wiederkehrende Bezüge im Rahmen einer Betriebsaufgabe

Wenn ein Unternehmer seinen Betrieb im Ganzen veräußert, also eine Betriebsveräußerung im Ganzen stattfindet, ist diese immer zu besteuern. Erfolgt die Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge, steht dem (ehemaligen) Unternehmer mit Blick auf die Besteuerung ein Wahlrecht zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung des entsprechenden Gewinnes zu.

Mit Urteil vom 29.6.2022 hat der Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen X R 6/20 entschieden, dass auch der Gewinn aus der Veräußerung eines großen Teils der betrieblichen Wirtschaftsgüter gegen eine Leibrente aufgrund der mit einer Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge vergleichbaren Interessenlage ebenfalls der Zuflussbesteuerung unterliegen kann. Ganz konkret: Auch in diesem Fall steht dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zu, den Gewinn aus der Veräußerung einzelner betrieblicher Wirtschaftsgüter im Rahmen der Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe des Zuflusses der wiederkehrende Bezüge und zudem erst dann als realisiert anzusehen, wenn die wiederkehrenden Bezüge die Buchwerte der veräußerten Wirtschaftsgüter und die insoweit angefallenen Aufgabekosten übersteigen. Die Finanzverwaltung ist hingegen bis zu dieser Entscheidung davon ausgegangen, dass im Fall der Betriebsaufgabe nur die Sofortbesteuerung greifen kann. Eine Zuflussbesteuerung wollte der Fiskus in Fällen der Betriebsaufgabe (im Gegensatz zur Betriebsveräußerung) hingegen nicht gewähren. Mit dieser fiskalischen Meinung macht der Bundesfinanzhof durch die aktuelle Entscheidung nun jedoch Schluss.

Zur Begründung: Im Fall der Betriebsveräußerung gegen bestimmte wiederkehrende Bezüge entsprechend der Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige zwischen der Sofortbesteuerung und der Zuflussbesteuerung wählen. Dies war bisher auch mit der Finanzverwaltung unumstritten.

Veräußert also ein Steuerpflichtiger seinen Betrieb gegen wiederkehrende Bezüge, insbesondere gegen eine Leibrente, gewähren sowohl die Rechtsprechung als auch die Finanzverwaltung in Richtlinie 16 Abs. 11 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) einkommensteuerrechtliche Erleichterungen. Die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung geht dabei davon aus, dass zwar die Sofortbesteuerung der gesetzliche Normalfall ist, die Zuflussbesteuerung aber eine auf Billigkeitserwägungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhende Ausnahmeregelung darstellt. So beispielsweise der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 17.7.2013 unter dem Aktenzeichen X R 40/10. Aus diesem Grund muss der Steuerpflichtige bei einer Betriebsveräußerung die Zuflussbesteuerung auch ausdrücklich wählen, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 5.11.2019 unter dem Aktenzeichen X R 12/17 klargestellt hat.

Die Eröffnung dieses Wahlrechts zur Zuflussbesteuerung hat der Bundesfinanzhof mit dem für den Veräußerer verbundenen Wagnis begründet und ergänzend auf den Versorgungscharakter dieser Zahlungen abgestellt.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt seit langem bei der Betriebsveräußerung gegen Leibrente das Wagnis in der personenbedingten Ungewissheit der Rentenlaufzeit durch die lebenslängliche Bindung. So bereits zu entnehmen einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30.1.1974 unter dem Aktenzeichen IV R 80/70. Demzufolge wird dem Veräußerer ein Wahlrecht eingeräumt, den Veräußerungsgewinn entsprechend dem Zufluss zu versteuern. Das Einkommensteuergesetz enthält keine eindeutige Regelung über das Verhältnis zwischen § 16 und § 34 EStG einerseits und § 24 Nummer 2 EStG andererseits. Deshalb ist die Einkommensbesteuerung einer den Besonderheiten der Vertragsgestaltung im Einzelfall gerecht werdenden Auslegung zugänglich, deren Ergebnis darin bestehen kann, dass das Gesetz dem Steuerpflichtigen insoweit ein Wahlrecht einräumt. So auch bereits der seinerzeitigen Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus 1974 zu entnehmen.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat darüber hinaus das Wahlrecht zwischen Sofortbesteuerung und Zuflussbesteuerung in Fällen anderer langfristig wiederkehrender Bezüge zugelassen, die nicht im Interesse des Erwerbers, sondern hauptsächlich im Interesse des Veräußerers vereinbart wurden, um dessen Versorgung zu sichern. Dabei hat der Bundesfinanzhof darauf hingewiesen, dass im Fall eines ungewöhnlich langen, nicht mehr übersehbaren Zeitraums diese Bezüge ähnlich wagnisbehaftet sind wie eine Leibrente. So beispielsweise in der Entscheidung vom 26.7.1984 unter dem Aktenzeichen IV R 137/82 mit weiteren Nennungen.

Auch hat der Bundesfinanzhof in diesen Fällen auf die ungewisse Versorgung des Veräußerers abgestellt. Erstreckt sich die Versorgung des Berechtigten nämlich über eine längere Zeit, ist eine Milderung des Grundsatzes der sofortigen Besteuerung der durch die Veräußerung des Betriebs realisierten stillen Reserven geboten und wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Besteuerung die Erfassung des Veräußerungserlöses erst im Zeitpunkt des Zuflusses notwendig.

Im Vordergrund der Argumentation dieser Rechtsprechung steht also das Risiko, dass im Fall eines frühen Todes des Veräußerers bei einer Sofortbesteuerung mehr versteuert werden muss, als dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen ist. So auch der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 17.7.2013 unter dem Aktenzeichen X R 40/10. Das Wahlrecht trägt daher dem Umstand Rechnung, dass einerseits die wiederkehrenden Bezüge mit ihrem Gegenstandswert zu bewerten sind und damit der Veräußerungsgewinn bereits im Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den wesentlichen Betriebsgrundlage verwirklicht wird, andererseits jedoch das (gemessen an der statistischen Wahrscheinlichkeit) vorzeitige Versterben des Rentenberechtigten nicht zu einer rückwirkenden Korrektur des Veräußerungsgewinns führt. So zu entnehmen einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 14.5.2002 unter dem Aktenzeichen VIII R 8/01.

Die Zuflussbesteuerung bewirkt insoweit lediglich eine zeitliche Streckung der anfallenden Steuerzahlungen, die sich der Steuerpflichtige durch den Verlust der Begünstigungen des § 16 Abs. 4 EStG, also des Freibetrags und des § 34 EStG, also des ermäßigten Steuersatzes, quasi erkauft.

Im Fall einer Betriebsaufgabe, bei der Wirtschaftsgüter gegen langfristig wiederkehrende Bezüge, insbesondere Leibrenten, veräußert werden, ist das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung (wohl gemerkt natürlich nur auf die veräußerten Wirtschaftsgüter) ebenfalls zu gewähren, wie der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung ganz ausdrücklich betont. Es liegt insoweit eine vergleichbare Interessenslage vor wie bei der Betriebsveräußerung im Ganzen.

Bislang hat der Bundesfinanzhof lediglich entschieden, dass ein solches Wahlrecht bei der Veräußerung eines einzelnen Wirtschaftsgutes gegen eine Leibrente aus einem fortbestehenden Betrieb nicht zu gewähren ist. So ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20.1.1971 unter dem Aktenzeichen I R 147/69. Diese Meinung hat der Bundesfinanzhof damit begründet, dass der Betrieb nach der Veräußerung des Wirtschaftsguts beim Veräußerer fortbesteht und der Gewinn des Todesjahres durch die Auflösung der aktivierten Leibrentenforderung gemindert wird. Dies gleicht das mit der Leibrente verbundene Risiko eines statistisch vorzeitigen Versterbens aus. In den Fällen der Betriebsveräußerung oder der Betriebsaufgabe ist dies jedoch anders.

Vom Urteilssachverhalt aus der Entscheidung aus 1971 unterscheidet sich jedoch eine Betriebsaufgabe, bei der ebenfalls Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert werden. Denn ebenso wie nach der Betriebsveräußerung im Ganzen ist der Veräußerer nach einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Inhaber des Betriebes. Wie bei einer Betriebsveräußerung liegt es in seinem Interesse, für diese Veräußerung nicht mehr Einkommensteuer zahlen zu müssen, als er nach Maßgabe der tatsächlich zugeflossenen Rentenzahlung müsste. Dieses Risiko ist auch bei einer Betriebsaufgabe vorhanden. Stirbt der (frühere) Betriebsinhaber vor Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung, hätte er einen Gewinn zu versteuern, der nachträglich nicht korrigiert werden kann, da kein rückwirkendes Ereignis gegeben ist, sondern sich ein vertragspermanentes Wagnis konkretisiert hat.

Aufgrund des beschriebenen Wagnischarakters und im Hinblick auf den Versorgungscharakter derartiger Bezüge erscheint eine Gleichbehandlung von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe jeweils gegen wiederkehrende Bezüge sogar zwingend, so der Bundesfinanzhof in seiner aktuellen Entscheidung. Dies gilt dabei umso mehr, als im Fall der Betriebsveräußerung das Wahlrecht, die wiederkehrenden Bezüge erst bei Zufluss zu versteuern, schon damit eröffnet ist, wenn nur ein Teil des Kaufpreises in dieser Form erbracht wird, der andere Teil aber aus einer Einmalzahlung besteht.

Wie im Fall der Betriebsveräußerung kann das Wahlrecht zur Zuflussbesteuerung bei der Betriebsaufgabe im Wege einer teleologischen Reduktion hergeleitet werden. Auch bei einem Betriebsaufgabegewinn, der wie der Veräußerungsgewinn zu behandeln ist, ist nicht geklärt, ob diese Vorschriften die Regelung des § 24 Nummer 2 EStG verdrängen. Sinn und Zweck der begünstigten Besteuerung des Veräußerungsgewinns (sowie des Aufgabegewinns) ist die Gewährung einer Tarifbegünstigung für den Fall einer zusammengeballten Realisierung der während vieler Jahre entstandenen stillen Reserven, die in den wesentlichen Grundlagen einer betrieblichen Sachgesamtheit angesammelt und in einem einheitlichen Vorgang aufgelöst werden. Die Regelung in § 24 Nummer 2 EStG ordnet dagegen zufließende Einkünfte nach der Beendigung einer Tätigkeit oder Einkunftsart dann der in der Vergangenheit verwirklichten Einkunftsart zu.

Da wie im Fall der Betriebsveräußerung gegen wiederkehrende Bezüge auch bei der Betriebsaufgabe unter Veräußerung von Wirtschaftsgütern nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine unverhältnismäßig hohe Besteuerung trotz der Begünstigungen droht, bedarf es der am Zweck dieser Norm orientierten Einschränkung der Besteuerung des wagnisbehafteten Teils des Veräußerungsgewinns bzw. des Aufgabegewinns. Folglich kann auch dieser Teil des Aufgabegewinns, wenn der Steuerpflichtige es denn will, nach dem Zufluss der Zahlungen besteuert werden.

Ganz ausdrücklich betonen die obersten Finanzrichter der Republik, dass dieses Wahlrecht im Fall der Betriebsaufgabe nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Steuerpflichtige einen Teil der zuvor betrieblich genutzten Wirtschaftsgüter in seinem Eigentum behält. Bereits bei einer Betriebsveräußerung ist es für die Anwendung des Wahlrechts auf Zuflussbesteuerung unerheblich, ob der Veräußerer die nötigen Mittel erhält, um die im Fall der Sofortbesteuerung zu erbringenden Steuern begleichen zu können. Zudem stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung lediglich auf das Wagnis des früheren Ausfalls der wiederkehrenden Bezüge und/oder den Versorgungscharakter dieser Zahlung für den Veräußerer ab.

Eine Beschränkung der Zuflussbesteuerung auf den Fall der Betriebsveräußerung lässt sich daher der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht entnehmen.

Hinweis: Einen Nachteil gibt es jedoch leider dennoch: Denn der Bundesfinanzhof stellt auch klar, dass im Falle der Zuflussbesteuerung eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG nicht in Betracht kommt. Je nach Einzelfall könnten sich daher Vergleichsberechnungen lohnen.

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