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Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung (EuGH)

Die Finanzbehörde kann den Vorsteuerabzug verweigern, wenn der Unternehmer eine unvollständige Rechnungen besitzt und diese erst nach Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung vervollständigt (EuGH, Urteil v. 8.5.2013 – Rs. C-271/12, Petroma Transports u.a.).

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 (ABl. L 60, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sowie des Grundsatzes der Neutralität.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Petroma Transports SA, Martens Énergie SA, Martens Immo SA, Martens SA und F. Martens, G. Martens und T. Martens, die zusammen die Martens-Gruppe bilden, einerseits und dem Belgischen Staat andererseits über dessen Weigerung, ihnen das Recht auf Vorsteuerabzug für innerhalb der Martens-Gruppe erbrachte Dienstleistungen zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.

4 Der in Abschnitt VII („Steuertatbestand und Steueranspruch“) der Richtlinie enthaltene Art. 10 sieht vor:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a) Steuertatbestand: der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b) Steueranspruch: der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.

(2) Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. …“

5 Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

…“

6 Art. 18 der Sechsten Richtlinie, der die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, sieht vor:

„(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige

a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen;

(2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt.

(3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat.

…“

7 In Art. 21 Nr. 1 Buchst. a und c der Sechsten Richtlinie heißt es:

„Die Mehrwertsteuer schuldet

1. im inneren Anwendungsbereich

a) der Steuerpflichtige, der einen steuerpflichtigen Umsatz bewirkt, mit Ausnahme der in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten Umsätze, die von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht werden. …

c) jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist …“

8 Art. 22 der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28h sieht vor:

„Pflichten im inneren Anwendungsbereich

(1) a) Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.

(2) a) Jeder Steuerpflichtige hat Aufzeichnungen zu führen, die so ausführlich sind, dass sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen.

(3) a) Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferung von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. …

b) Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.

c) Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.

(8) Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.

…“

Belgisches Recht

9 Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer (Moniteur belge vom 12. Dezember 1969) sieht vor:

„§ 1 Steuerpflichtige müssen für die Ausübung ihres Rechts auf Vorsteuerabzug:

1. für die Steuer auf Güter und Dienstleistungen, die ihnen geliefert bzw. erbracht werden, eine gemäß Art. 5 des Königlichen Erlasses Nr. 1 vom 29. Dezember 1992 (über Maßnahmen im Hinblick auf die Gewährleistung der Zahlung der Mehrwertsteuer [Moniteur belge vom 31. Dezember 1992, S. 27976, im Folgenden: Königlicher Erlass Nr. 1]) ausgestellte Rechnung besitzen.“

10 Gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 enthält die Rechnung „die Angaben, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer zu bestimmen, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11 F. Martens, G. Martens und T. Martens sind die Rechtsnachfolger von J.‑P. Martens, der unter der Firma „Margaz“ ein Einzelunternehmen betrieb. Aus diesem Unternehmen entwickelte sich die Martens-Gruppe, deren Gesellschaften verschiedene Tätigkeiten ausübten wie z. B. den Kauf, Verkauf und Transport von Erdölprodukten sowie die Erbringung von Bauleistungen. Petroma Transports SA war die Hauptgesellschaft der Martens-Gruppe, was den Personalbestand anbelangt, und erbrachte mehrere Dienstleistungen an die anderen Gesellschaften dieser Gruppe. Es wurden Verträge geschlossen, um den Einsatz dieses Personals im Rahmen der Dienstleistungen innerhalb der Gruppe zu regeln. Diese Verträge sahen eine Vergütung dieser Dienstleistungen auf der Grundlage der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden vor.

12 Bei den ab dem Jahr 1997 durchgeführten Kontrollen stellte die belgische Steuerverwaltung sowohl in Bezug auf die direkten Steuern als auch auf die Mehrwertsteuer die Rechnungen innerhalb der Gruppe und die sich daraus ergebenden Abzüge ab dem Steuerjahr 1994 hauptsächlich mit der Begründung in Frage, dass die Rechnungen unvollständig seien und dass nicht festgestellt werden könne, dass sie tatsächlichen Leistungen entsprächen. Die meisten dieser Rechnungen wiesen einen Gesamtbetrag aus ohne Angabe des Preises je Einheit und der Anzahl der vom Personal der diese Dienstleistungen erbringenden Gesellschaften geleisteten Arbeitsstunden, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Steuerverwaltung verhinderte.

13 Diese wies daher die von den Dienstleistungsempfängern durchgeführten Abzüge u. a. wegen Verstößen gegen Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 und Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer zurück.

14 Im Anschluss daran wurden von diesen Unternehmen zusätzliche Informationen vorgelegt, die jedoch von der Steuerverwaltung nicht als ausreichende Grundlage für den Abzug der verschiedenen Mehrwertsteuerbeträge angesehen wurden. Die Verwaltung war nämlich der Auffassung, dass es sich entweder um privatschriftliche Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen gehandelt habe, die verspätet nach Durchführung der Steuerprüfungen und nach der Mitteilung der Berichtigungen, die diese Verwaltung vorzunehmen beabsichtigt habe, vorgelegt worden seien und die demnach kein sicheres Datum gehabt hätten und Dritten nicht hätten entgegengehalten werden können, oder um Rechnungen, die nach ihrer Ausstellung im Stadium des Verwaltungsverfahrens handschriftlich durch Angaben zur Anzahl der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden, zum Stundensatz und zur Art der erbrachten Dienstleistungen vervollständigt worden seien und daher keine Beweiskraft gehabt hätten.

15 Am 2. Februar 2005 erließ das Tribunal de première instance de Mons mehrere Urteile. Zwar gab es für bestimmte Rechnungen dem Steuerpflichtigen recht, es bestätigte jedoch die Versagung des Mehrwertsteuerabzugs gegenüber den Dienstleistungsempfängern.

16 Infolge neuer Anträge, die die Rückerstattung der von den Dienstleistungserbringern gezahlten Steuern zum Gegenstand hatten, beschloss das Gericht, das mündliche Verfahren wiederzueröffnen. Mit Urteil vom 23. Februar 2010 entschied das Tribunal de première instance de Mons in den verbundenen Rechtssachen und wies die Klagen auf Rückerstattung als unbegründet ab. Diese Dienstleistungserbringer legten daher gegen dieses Urteil Berufung ein.

17 Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Mons beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Hat ein Mitgliedstaat das Recht, den Vorsteuerabzug gegenüber steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern abzulehnen, die Rechnungen besitzen, die zwar lückenhaft sind, aber durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze (Verträge, Wiederherstellung von Zahlen aufgrund von Erklärungen an das nationale Amt für soziale Sicherheit, Informationen über die Funktionsweise der betroffenen Unternehmensgruppe …) vervollständigt sind?

2. Muss ein Mitgliedstaat, der den Vorsteuerabzug gegenüber steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern aufgrund der Ungenauigkeit der Rechnungen ablehnt, nicht feststellen, dass die Rechnungen dann ebenfalls zu ungenau sind, um die Mehrwertsteuer zahlen zu können? Ist folglich ein Mitgliedstaat, um den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zu gewährleisten, nicht gehalten, den Gesellschaften, die die so in Frage gestellten Dienstleistungen erbracht haben, die Erstattung der an ihn gezahlten Mehrwertsteuer zu bewilligen?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

18 Es ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht die Bestimmungen des Unionsrechts angibt, deren Auslegung es begehrt.

19 Dennoch geht aus dem Vorlagebeschluss und aus dem Zusammenhang, in den sich das Ausgangsverfahren einfügt, hervor, dass die Vorlagefragen die Auslegung der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie sowie des Grundsatzes der Steuerneutralität betreffen.

20 Da aus diesem Beschluss auch hervorgeht, dass die ersten streitigen Rechnungen mit dem 31. März 1994 datiert sind, sind die fraglichen Bestimmungen in ihrer zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Fassung auszulegen.

Zur ersten Frage

21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach das Recht auf Mehrwertsteuerabzug steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, wenn diese anschließend durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze vervollständigt werden.

22 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und das für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Bonik, C‑285/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 25 und 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23 Durch diese Abzugsregelung soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Faxworld, C‑137/02, Slg. 2004, I‑5547, Randnr. 37, und vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C‑438/09, Slg. 2010, I‑14009, Randnr. 24).

24 Aus Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie geht somit hervor, dass jeder Steuerpflichtige das Recht hat, die Beträge abzuziehen, die ihm für die ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen als Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt worden sind, soweit diese Gegenstände oder Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, PARAT Automotive Cabrio, C‑74/08, Slg. 2009, I‑3459, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25 Hinsichtlich der Modalitäten der Ausübung des Abzugsrechts sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vor, dass der Steuerpflichtige eine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss.

26 Nach dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie muss die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen. Abs. 3 Buchst. c dieses Artikels ermächtigt die Mitgliedstaaten, die Kriterien festzulegen, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.

27 Was die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, folgt daraus, dass die Sechste Richtlinie sich darauf beschränkt, eine Rechnung zu fordern, die bestimmte Angaben enthält, und dass die Mitgliedstaaten befugt sind, zusätzliche Angaben zu verlangen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1988, Jeunehomme und EGI, 123/87 und 330/87, Slg. 1988, 4517, Randnr. 16).

28 Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug darf jedoch nur insoweit davon abhängig gemacht werden, dass die Rechnung über die in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie geforderten Angaben hinaus noch weitere Angaben enthält, als dies erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern. Außerdem dürfen solche Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil Jeunehomme und EGI, Randnr. 17).

29 In Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung ist festzustellen, dass der belgische Staat von der in Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, da gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 die Rechnung die Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen zu bestimmen.

30 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob die von dieser Regelung verlangten zusätzlichen Angaben mit den in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernissen in Einklang stehen.

31 Außerdem hat der Gerichtshof zwar in Randnr. 41 des Urteils vom 15. Juli 2010, Pannon Gép Centrum (C‑368/09, Slg. 2010, I‑7467), entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht nach eigenem Gutdünken von der Erfüllung von Voraussetzungen betreffend den Inhalt der Rechnungen abhängig machen dürfen, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) nicht ausdrücklich vorgesehen sind, doch ist festzustellen, dass nach den Bestimmungen im Ausgangsverfahren, die damals in Kraft waren, die Mitgliedstaaten die Kriterien festlegen durften, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.

32 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern mit der Begründung verweigert wurde, dass die fraglichen Rechnungen nicht ausreichend präzise und vollständig gewesen seien. Insbesondere stellt das vorlegende Gericht fest, dass die meisten dieser Rechnungen nicht den Preis je Einheit und die Anzahl der vom Personal der Dienstleistungsunternehmen erbrachten Arbeitsstunden angegeben hätten, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Finanzverwaltung verhindert habe.

33 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass das Fehlen bestimmter, von der nationalen Regelung verlangter Angaben auf den Rechnungen nicht geeignet sei, das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage zu stellen, wenn das tatsächliche Vorliegen, die Natur und der Umfang der Umsätze später der Steuerverwaltung dargelegt worden seien.

34 In der Tat verbietet das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen. Wenn alle für das Recht auf Vorsteuerabzug notwendigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, kann ihm dieses Recht daher grundsätzlich nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die ursprüngliche Rechnung einen Fehler enthielt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pannon Gép Centrum, Randnrn. 43 bis 45).

35 Allerdings ist in Bezug auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens festzustellen, dass die notwendigen Informationen, mit denen die Rechnungen vervollständigt und in Ordnung gebracht werden sollten, vorgelegt wurden, nachdem die Steuerverwaltung ihre ablehnende Entscheidung über den Vorsteuerabzug erlassen hatte, so dass vor Erlass dieser Entscheidung die dieser Verwaltung zugeleiteten Rechnungen noch nicht berichtigt worden waren, damit diese die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sowie ihre Kontrolle sicherstellen konnte.

36 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, auch wenn diese durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze nach Erlass einer solchen ablehnenden Entscheidung vervollständigt werden.

Zur zweiten Frage

37 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen ist, dass er die Steuerverwaltung daran hindert, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl die Ausübung des Rechts auf Abzug der Vorsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, den Empfängern dieser Dienstleistungen wegen der Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

38 Es stellt sich also die Frage, ob zur Sicherstellung des Grundsatzes der Steuerneutralität der Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem Dienstleistungserbringer von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Dienstleistungsempfänger abhängig gemacht werden kann.

39 Nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der Mehrwertsteuer, wenn sie von einem Steuerpflichtigen als solchen im Inland gegen Entgelt ausgeführt werden. Aus Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie geht hervor, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird.

40 Nach ständiger Rechtsprechung wird die Mehrwertsteuer auf jede Dienstleistung und jede Lieferung von Gegenständen erhoben, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2009, SKF, C‑29/08, Slg. 2009, I‑10413, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Daher ist festzustellen, dass, wie der belgische Staat und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht ausführen, aus diesen Vorschriften der Sechsten Richtlinie hervorgeht, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem den Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem steuerpflichtigen Dienstleister nicht von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger abhängig macht.

42 Aus Randnr. 13 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen belastet wurden, das die Dienstleistungsempfänger normalerweise hätten in Anspruch nehmen können, ihnen wegen des Fehlens bestimmter verpflichtender Angaben auf den vom Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen verweigert wurde.

43 Da im Ausgangsverfahren das tatsächliche Vorliegen der der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen bestätigt wurde, war die auf diese Umsätze entfallende Mehrwertsteuer fällig und wurde zu Recht an die Steuerverwaltung entrichtet. In diesem Zusammenhang kann der Grundsatz der Steuerneutralität nicht herangezogen werden, um die Erstattung einer Mehrwertsteuer in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren zu rechtfertigen. Jede andere Auslegung wäre geeignet, Situationen zu begünstigen, die die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer verhindern können, was nach Art. 22 der Sechsten Richtlinie gerade vermieden werden soll.

44 Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Grundsatz der Steuerneutralität einer Steuerverwaltung nicht verwehrt, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl den Empfängern dieser Dienstleistungen die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, wegen Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

Kosten

45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, auch wenn diese durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze nach Erlass einer solchen ablehnenden Entscheidung vervollständigt werden.

2. Der Grundsatz der Steuerneutralität verwehrt einer Steuerverwaltung nicht, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl den Empfängern dieser Dienstleistungen die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, wegen Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

Höhere Notar- und Anwaltsgebühren beschlossen (Bundestag)

Der Bundestag hat am 16.5.2013 auch den Gesetzentwurf zur zweiten Modernisierung des Kostenrechts (BT-Drucks. 17/11471 neu) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drucks. 17/13537) angenommen. Damit werden die Gebühren für das Beurkundungsverfahren grds. als Notargebühren geregelt. Gerichtsgebühren in der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden im Wesentlichen als Verfahrensgebühren gestaltet.

Die Wertgebühren des Gerichts- und Notarkostengesetzes, nach den Tabellen des Gerichtskostengesetzes und des Familiengerichtskostengesetzes sowie die Mindestgebühr im Mahnverfahren werden teilweise deutlich über die Vorschläge der Regierung hinaus erhöht. Die Wertgebühren für die Rechtsanwälte erhöhte der Bundestag um zusätzliche zwei Prozent.

Das Gesetz muss noch den Bundesrat passieren und kann dann am 1. Juli 2013 in Kraft treten.

Quelle: Bundestag online

Steuerabkommen mit den Cookinseln und Grenada angenommen (Bundestag)

Der Bundestag hat am 16.5.2013 die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Abkommen v. 3.4.2012 mit den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch (BT-Drucks. 17/12958) und zum Abkommen v. 3.2.2011 mit Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen (BT-Drucks. 17/12959) angenommen.

Er folgte dabei einer Empfehlung des Finanzausschusses. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auf Ersuchen alle für ein Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen Informationen zu erteilen.

Quelle: Bundestag online

A. Problem und Ziel

Sind grenzüberschreitende Sachverhalte aufzuklären, können Beteiligte und andere Personen im Ausland nur im Wege zwischenstaatlicher
Amts- und Rechtshilfe zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden. Die Möglichkeit, Amts- und Rechtshilfe anderer Staaten oder Gebiete beanspruchen zu können, ist umso bedeutender, als grenzüberschreitende Sachverhalte alltäglich geworden sind. Zwischenstaatliche
Amts- und Rechtshilfe wird regelmäßig auf der Grundlage zwei- oder
mehrseitiger völkerrechtlicher Vereinbarungen geleistet.

B. Lösung

Die Cookinseln haben den OECD-Standard zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungszwecke vollumfänglich
anerkannt und sich bereit erklärt, ihn in Abkommen mit OECD –
Mitgliedstaaten umzusetzen. Das am 3. April 2012 mit den Cookinseln
unterzeichnete Abkommen über die Unterstützung in Steuer- und
Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch verpflichtet jede
Vertragspartei, der anderen Vertragspartei auf Ersuchen alle für ein
Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen
Informationen zu erteilen. Das Abkommen enthält alle Kernelemente
des OECD-Standards, wie er sich aus dem Musterabkommen für den
Auskunftsaustausch (2002) ergibt.

Gesetzentwurf
der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 3. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch InformationsaustauschDrucksache 17/12958 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz soll das Abkommen die für die
Ratifikation erforderliche Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erlangen.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.
Mithilfe des Informationsaustauschs, den das Abkommen künftig ermöglicht, werden Steuerausfälle verhindert.

E. Erfüllungsaufwand

Grundsätzlich wird durch das Abkommen kein eigenständiger Er –
füllungsaufwand begründet, da es lediglich die Rechts- und Amtshilfe
in Steuersachen der Vertragsparteien zum Gegenstand hat. Informa –
tionspflichten für Unternehmen werden weder eingeführt noch ver –
ändert oder abgeschafft. Darüber hinaus führt das Abkommen weder
für Unternehmen noch für Bürgerinnen und Bürger oder für die Steuerverwaltungen der Länder zu messbarem zusätzlichen Erfüllungsaufwand.

F. Weitere Kosten

Die Wirtschaft ist durch das Gesetz nicht unmittelbar betroffen. Unternehmen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, entstehen
durch dieses Gesetz keine direkten und auch keine indirekten Kosten.
Auswirkungen auf Einzelpreise und Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12958Deutscher Bundestag –

17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12958
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Dem in Wellington am 3. April 2012 unterzeichneten Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch wird zugestimmt.
Das Abkommen wird nachstehend veröffentlicht.
Artikel 2
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
(2) Der Tag, an dem das Abkommen nach seinem Artikel 12 Absatz 2 in Kraft
tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.
Entwurf
Gesetz
zu dem Abkommen vom 3. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch Informationsaustausch
Vom 2013Drucksache 17/12958 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung zum Vertragsgesetz
Zu Artikel 1
Auf das Abkommen ist Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes anzuwenden, da es sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.
Die Zustimmung des Bundesrates ist nach Artikel 108 Absatz 5 Satz 2 des
Grundgesetzes erforderlich, da das Abkommen Verfahrensregelungen enthält,
die sich auch an die Landesfinanzbehörden richten.
Zu Artikel 2
Die Bestimmung des Absatzes 1 entspricht dem Erfordernis des Artikels 82 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Nach Absatz 2 ist der Zeitpunkt, zu dem das Abkommen nach seinem Artikel 12
Absatz 2 in Kraft tritt, im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.
Schlussbemerkung
Unternehmen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, entstehen durch
dieses Gesetz keine direkten und auch keine indirekten Kosten.
Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind von dem Gesetz nicht zu erwarten.
Das Vorhaben entspricht einer nachhaltigen Entwicklung, indem es das Steueraufkommen des Gesamtstaates sichert.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12958
Die Bundesrepublik Deutschland
und
die Cookinseln –
in dem Wunsch, die Bedingungen des Informationsaustauschs
in allen Steuersachen zu verbessern und zu erleichtern –
sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1
Geltungsbereich des Abkommens
Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten leisten einander Unterstützung durch den Austausch von Informationen, die
für die Durchführung des jeweiligen Rechts der Vertragsstaaten
betreffend die unter dieses Abkommen fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind, einschließlich Informationen, die für die
Festsetzung, Veranlagung und Erhebung dieser Steuern, für die
Vollstreckung von Steuerforderungen oder für Ermittlungen in
oder die Verfolgung von Steuerstrafsachen voraussichtlich erheblich sind. Die Rechte und Schutzmaßnahmen, die Personen
durch die Gesetze oder die Verwaltungspraxis des ersuchten
Vertragsstaats gewährleistet werden, bleiben anwendbar.
Artikel 2
Zuständigkeit
Der ersuchte Vertragsstaat ist nicht zur Erteilung von Informationen verpflichtet, die seinen Behörden nicht vorliegen und sich
auch nicht im Besitz oder in der Verfügungsmacht von Personen
in seinem Hoheitsbereich befinden.
Artikel 3
Unter das Abkommen fallende Steuern
(1) Dieses Abkommen gilt für folgende Steuern:
a) in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland
– die Einkommensteuer,
– die Körperschaftsteuer,
– die Gewerbesteuer,
– die Vermögensteuer,
– die Erbschaftsteuer,
– die Umsatzsteuer und
– die Versicherungsteuer,
einschließlich der darauf erhobenen Zuschläge;
b) in Bezug auf die Cookinseln
– die Einkommensteuer (personal income tax),
– die Körperschaftsteuer (company income tax),
– die Abzugsteuer auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (withholding tax on dividends, interest and royalties)
sowie
– die Umsatzsteuer (value added tax).
(2) Dieses Abkommen gilt auch für alle Steuern gleicher oder
im Wesentlichen ähnlicher Art, die nach der Unterzeichnung des
Abkommens neben den bestehenden Steuern oder an deren
Stelle erhoben werden, sofern die Vertragsstaaten dies vereinbaren. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten unterrichten
einander über wesentliche Änderungen bei den unter dieses Abkommen fallenden Besteuerungs- und damit zusammenhängenden Informationsbeschaffungsmaßnahmen.
Artikel 4
Begriffsbestimmungen
(1) Für die Zwecke dieses Abkommens, sofern nichts anderes
bestimmt ist,
a) bedeutet „Bundesrepublik Deutschland“ das Gebiet, in dem
das Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland gilt;
b) bedeutet „Cookinseln“ das Hoheitsgebiet der Cookinseln;
c) bedeutet „zuständige Behörde“
(i) in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland das Bundesministerium der Finanzen oder die Behörde, an die es
seine Befugnisse delegiert hat; in Steuerstrafsachen ist
dies das Bundesministerium der Justiz oder die Behörde,
an die es seine Befugnisse delegiert hat;
(ii) in Bezug auf die Cookinseln den Leiter der Steuerbehörde (Collector of Inland Revenue) oder seinen autorisierten Vertreter;
d) umfasst „Person“ natürliche Personen, Gesellschaften und
alle anderen Personenvereinigungen;
e) bedeutet „Gesellschaft“ eine juristische Person oder einen
Rechtsträger, der für die Besteuerung wie eine juristische
Person behandelt wird;
f) bedeutet „börsennotierte Gesellschaft“ eine Gesellschaft, deren Hauptaktiengattung an einer anerkannten Börse notiert
ist und deren notierte Aktien von jedermann ohne Weiteres
erworben oder veräußert werden können. Aktien können „von
jedermann“ erworben oder veräußert werden, wenn der Erwerb oder die Veräußerung von Aktien weder implizit noch
explizit auf eine begrenzte Investorengruppe beschränkt ist;
g) bedeutet „Hauptaktiengattung“ die Aktiengattung oder Aktiengattungen, die eine Mehrheit der Stimmrechtsanteile und
des Wertes der Gesellschaft darstellen;
h) bedeutet „anerkannte Börse“ eine Börse, auf die sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verständigen;
i) bedeutet „Investmentfonds oder Investmentsystem für gemeinsame Anlagen“ eine Investitionsform für gemeinsame
Anlagen, ungeachtet der Rechtsform. Der Ausdruck „öffentlicher Investmentfonds oder öffentliches Investmentsystem
für gemeinsame Anlagen“ bedeutet einen Investmentfonds
beziehungsweise ein Investmentsystem für gemeinsame Anlagen, bei dem die Fondsanteile, Gesellschaftsanteile oder
sonstigen Anteile am Fonds beziehungsweise System ohne
Weiteres von jedermann erworben, veräußert oder zurückgekauft werden können. Fondsanteile, Gesellschaftsanteile oder
sonstige Anteile am Fonds beziehungsweise System können
ohne Weiteres „von jedermann“ erworben, veräußert oder zurückgekauft werden, wenn der Erwerb, die Veräußerung oder
der Rückkauf weder implizit noch explizit auf eine begrenzte
Anlegergruppe beschränkt ist;
j) bedeutet „Steuer“ eine Steuer, für die das Abkommen gilt;
k) bedeutet „ersuchender Vertragsstaat“ den um Informationen
ersuchenden Vertragsstaat;
l) bedeutet „ersuchter Vertragsstaat“ den Vertragsstaat, der um
Erteilung von Informationen ersucht wird;
m) bedeutet „Informationsbeschaffungsmaßnahmen“ die Ge –
setze und Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, die einen
Vertragsstaat zur Einholung und Erteilung der erbetenen Informationen befähigen;
n) bedeutet „Informationen“ Tatsachen, Erklärungen, Unter –
lagen oder Aufzeichnungen jeder Art;
o) bedeutet „Steuersachen“ alle Steuersachen einschließlich
Steuerstrafsachen;
p) bedeutet „Steuerstrafsachen“ Steuersachen im Zusammenhang mit vorsätzlichem Verhalten, das nach dem Strafrecht
des ersuchenden Vertragsstaats strafbewehrt ist;
q) bedeutet „Strafrecht“ sämtliche nach dem jeweiligen Recht
der Vertragsstaaten als solche bezeichneten strafrechtlichen
Bestimmungen, unabhängig davon, ob sie im Steuerrecht, im
Strafgesetzbuch oder in anderen Gesetzen enthalten sind.
(2) Jeder in diesem Abkommen nicht definierte Ausdruck hat,
wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, die Bedeutung, die ihm zu dem Zeitpunkt, zu dem das Ersuchen gestellt
wurde, nach dem Recht dieses Vertragsstaats zukam, wobei die
Bedeutung nach dem anzuwendenden Steuerrecht dieses Vertragsstaats den Vorrang vor einer Bedeutung hat, die dem Ausdruck nach anderem Recht dieses Vertragsstaats zukommt.
Artikel 5
Informationsaustausch
(1) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde eines Vertragsstaats erteilt die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats
Informationen für die in Artikel 1 genannten Zwecke. Diese Informationen werden ohne Rücksicht darauf erteilt, ob der ersuchte
Vertragsstaat diese Informationen für seine eigenen steuerlichen
Zwecke benötigt oder ob das Verhalten, das Gegenstand der Ermittlungen ist, nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaats
eine Straftat darstellen würde, wäre es im Hoheitsgebiet des
ersuchten Vertragsstaats erfolgt.
(2) Reichen die der zuständigen Behörde des ersuchten
Vertragsstaats vorliegenden Informationen nicht aus, um dem
Auskunftsersuchen entsprechen zu können, so ergreift dieser
Vertragsstaat nach eigenem Ermessen alle geeigneten Informationsbeschaffungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um dem
ersuchenden Vertragsstaat die erbetenen Informationen zu erteilen, auch wenn der ersuchte Vertragsstaat diese Informationen
zum betreffenden Zeitpunkt nicht für seine eigenen steuerlichen
Zwecke benötigt.
(3) Auf ausdrückliches Ersuchen der zuständigen Behörde des
ersuchenden Vertragsstaats erteilt die zuständige Behörde des
ersuchten Vertragsstaats nach diesem Artikel Informationen in
Form von Zeugenaussagen und beglaubigten Kopien von Originaldokumenten in dem nach ihrem Recht zulässigen Umfang.
(4) Beide Vertragsstaaten gewährleisten, dass ihre zustän –
digen Behörden nach diesem Abkommen die Befugnis haben,
folgende Informationen auf Ersuchen einzuholen oder zu er teilen:
a) Informationen von Banken, anderen Finanzinstituten oder
Personen, einschließlich Bevollmächtigten und Treuhändern,
die als Vertreter oder Treuhänder handeln;
b) (i) Informationen über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften, Personengesellschaften und anderen Personen;
dies umfasst bei Investmentfonds oder Investmentsystemen für gemeinsame Anlagen Informationen über Gesellschaftsanteile, Fondsanteile und sonstige Anteile;
(ii) bei Trusts umfasst dies Informationen über Treugeber,
Treuhänder, Protektoren und Treuhandbegünstigte; bei
Stiftungen Informationen über Stifter, Mitglieder des
Stiftungsrats und Begünstigte;
dies gilt unter der Voraussetzung, dass dieses Abkommen keine
Verpflichtung der Vertragsstaaten begründet, Informationen über
die Eigentumsverhältnisse börsennotierter Gesellschaften oder
öffentlicher Investmentfonds beziehungsweise -systeme für gemeinsame Anlagen einzuholen oder zu erteilen, es sei denn, diese Informationen können ohne unverhältnismäßig große Schwierigkeiten eingeholt werden.
(5) Jedes Auskunftsersuchen ist möglichst detailliert abzufassen und hat folgende schriftliche Angaben zu enthalten:
a) die Bezeichnung der Person, die Gegenstand der Prüfung
oder Ermittlung ist;
b) den Zeitraum, für den die Informationen erbeten werden;
c) die Art der erbetenen Informationen und die Form, in der die
Informationen dem ersuchenden Vertragsstaat vorzugsweise
zu übermitteln sind;
d) den steuerlichen Zweck, für den die Informationen erbeten
werden;
e) die Gründe für die Annahme, dass die erbetenen Informationen für die Durchführung des Steuerrechts des ersuchenden
Vertragsstaats in Bezug auf die unter Buchstabe a bezeich –
nete Person voraussichtlich erheblich sind;
f) die Gründe für die Annahme, dass die erbetenen Informationen im ersuchten Vertragsstaat vorliegen oder sich im Besitz
oder in der Verfügungsmacht einer Person im Hoheitsbereich
des ersuchten Vertragsstaats befinden;
g) den Namen und die Anschrift von Personen, soweit bekannt,
in deren Besitz sich die erbetenen Informationen vermutlich
befinden;
h) eine Erklärung, dass das Ersuchen dem Recht und der Verwaltungspraxis des ersuchenden Vertragsstaats entspricht,
dass die erbetenen Informationen, würden sie sich im
Hoheitsbereich des ersuchenden Vertragsstaats befinden,
von der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats nach dessen Recht eingeholt werden könnten und
dass das Ersuchen diesem Abkommen entspricht;
i) eine Erklärung, dass der ersuchende Vertragsstaat alle in
seinem eigenen Hoheitsgebiet zur Verfügung stehenden
Maßnahmen zur Einholung der Informationen ausgeschöpft
hat, ausgenommen solche, die unverhältnismäßig große
Schwierigkeiten mit sich bringen würden.
(6) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats
übermittelt der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats die erbetenen Informationen so umgehend wie möglich.
Um eine umgehende Antwort sicherzustellen,
a) bestätigt die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats den Eingang eines Ersuchens schriftlich und unterrichtet die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats
innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt des Ersuchens über
etwaige Mängel des Ersuchens;
b) unterrichtet die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats unverzüglich, wenn sie die erbetenen Informationen
nicht innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des Ersuchens
einholen und erteilen konnte, und zwar auch dann, wenn die
Informationsbeschaffung auf Hindernisse stößt oder von der
zuständigen Behörde des ersuchten Vertragsstaats verweigert wird, unter Angabe der Gründe für ihre Erfolglosigkeit,
die Hindernisse oder ihre Verweigerung der Informations –
erteilung.
(7) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats bestätigt der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats
den Eingang des Ersuchens und bemüht sich nach besten Kräften, dem ersuchenden Vertragsstaat innerhalb der kürzesten vertretbaren Frist die erbetenen Informationen zu übermitteln.
Artikel 6
Steuerprüfungen im Ausland
(1) Der ersuchende Vertragsstaat kann mit angemessener Vorankündigung darum ersuchen, dass der ersuchte Vertragsstaat,
soweit dies nach dessen Recht zulässig ist, Vertretern der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats die Einreise
in das Hoheitsgebiet des ersuchten Vertragsstaats zur Befragung
natürlicher Personen und Prüfung von Unterlagen gestattet, vorbehaltlich der schriftlichen Zustimmung der betroffenen natür –
lichen oder anderen Personen. Die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats unterrichtet die zuständige Behörde des
ersuchten Vertragsstaats über Zeitpunkt und Ort des geplanten
Treffens mit den betroffenen natürlichen Personen.
(2) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde des ersuchenden
Vertragsstaats kann die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats gestatten, dass Vertreter der zuständigen Behörde
des ersuchenden Vertragsstaats während des relevanten Teils
einer Steuerprüfung im ersuchten Vertragsstaat anwesend sind.
(3) Wird dem in Absatz 2 bezeichneten Ersuchen stattgegeben, so unterrichtet die zuständige Behörde des die Prüfung
durchführenden ersuchten Vertragsstaats so bald wie möglich
die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats über
Zeitpunkt und Ort der Prüfung, über die mit der Durchführung der
Prüfung beauftragte Behörde beziehungsweise den damit beauftragten Bediensteten sowie über die vom ersuchten Vertragsstaat
für die Durchführung der Prüfung vorgeschriebenen Verfahren
und Bedingungen. Alle Entscheidungen im Zusammenhang mit
der Durchführung der Steuerprüfung werden vom die Prüfung
durchführenden ersuchten Vertragsstaat getroffen.
Artikel 7
Möglichkeit der Ablehnung eines Ersuchens
(1) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats kann
die Unterstützung ablehnen, wenn
a) das Ersuchen nicht in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gestellt wurde,
b) der ersuchende Vertragsstaat nicht alle in seinem eigenen
Gebiet zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Einholung
der Informationen ausgeschöpft hat, es sei denn, der Rückgriff auf derartige Maßnahmen würde unverhältnismäßig
große Schwierigkeiten mit sich bringen, oder
c) die Erteilung der erbetenen Informationen der öffentlichen
Ordnung des ersuchten Vertragsstaats widerspräche.
(2) Dieses Abkommen verpflichtet einen ersuchten Vertragsstaat nicht
a) zur Übermittlung von Angaben, die einem Aussageverweigerungsrecht unterliegen, oder zur Preisgabe eines Handels-,
Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines
Geschäftsverfahrens, mit der Maßgabe, dass die in Artikel 5
Absatz 4 bezeichneten Informationen nicht allein schon
deshalb als ein solches Geheimnis oder Geschäftsverfahren
gelten, oder
b) zur Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen, die von seinen Gesetzen oder seiner Verwaltungspraxis abweichen,
weit die Verpflichtungen eines Vertragsstaats nach Artikel 5
Absatz 4 durch diesen Buchstaben nicht berührt werden.
(3) Ein Auskunftsersuchen darf nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass die dem Ersuchen zugrunde liegende Steuerforderung streitig ist.
(4) Der ersuchte Vertragsstaat ist nicht zur Einholung und Erteilung von Informationen verpflichtet, die die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats nach ihrem Recht nicht einholen könnte, wenn sich die erbetenen Informationen im
Hoheitsbereich des ersuchenden Vertragsstaats befänden.
(5) Der ersuchte Vertragsstaat kann ein Auskunftsersuchen
ablehnen, wenn die Informationen vom ersuchenden Vertragsstaat zur Durchführung einer Bestimmung seines Steuerrechts
oder einer damit zusammenhängenden Anforderung erbeten
werden, die einen Bürger des ersuchten Vertragsstaats gegen-
über einem Bürger des ersuchenden Vertragsstaats unter den
gleichen Umständen benachteiligt.
Artikel 8
Vertraulichkeit
(1) Alle von den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten
erteilten und empfangenen Informationen sind vertraulich zu behandeln und ebenso zu schützen wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten eingeholten Informationen.
(2) Diese Auskünfte dürfen nur den Personen oder Behörden
(einschließlich Gerichten und Verwaltungsbehörden) zugänglich
gemacht werden, die mit den in Artikel 1 bezeichneten Aufgaben
befasst sind, und von diesen Personen oder Behörden nur für die
in Artikel 1 bezeichneten Zwecke verwendet werden; hierzu gehört die Entscheidung über Rechtsbehelfe. Für diese Zwecke
dürfen die Informationen in einem verwaltungs- oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, einem öffentlichen Gerichtsverfahren oder einer Gerichtsentscheidung offengelegt werden, sofern
dies nach dem jeweiligen Recht der Vertragsstaaten vorgesehen
ist.
(3) Diese Informationen dürfen ohne ausdrückliche schriftliche
Zustimmung der zuständigen Behörde des ersuchten Vertragsstaats nicht für andere als die in Artikel 1 bezeichneten Zwecke
verwendet werden.
(4) Die einem ersuchenden Vertragsstaat nach diesem Abkommen erteilten Informationen dürfen keinem anderen Hoheitsbereich bekannt gegeben werden.
(5) Personenbezogene Daten dürfen übermittelt werden, soweit dies zur Durchführung dieses Abkommens erforderlich ist
und vorbehaltlich des Rechts des übermittelnden Vertragsstaats.
Artikel 9
Kosten
Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verständigen
sich über angefallene Kosten der geleisteten Unterstützung (einschließlich angemessener Kosten für Dritte und externe Berater,
unter anderem im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten).
Artikel 10
Verständigungsverfahren
(1) Treten zwischen den Vertragsstaaten Schwierigkeiten oder
Zweifel bezüglich der Durchführung oder Auslegung des Abkommens auf, so bemühen sich die zuständigen Behörden, die Angelegenheit in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln.
(2) Über die in Absatz 1 bezeichneten Vereinbarungen hinaus
können sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten auf
die nach den Artikeln 5, 6 und 9 anzuwendenden Verfahren verständigen.

(3) Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten können zur
Herbeiführung einer Einigung nach diesem Artikel unmittelbar
miteinander verkehren.
(4) Bei Bedarf verständigen sich die Vertragsstaaten über Verfahren zur Streitbeilegung.
Artikel 11
Protokoll
Das angefügte Protokoll ist Bestandteil dieses Abkommens.
Artikel 12
Inkrafttreten
(1) Dieses Abkommen bedarf der Ratifikation; die Ratifika –
tionsurkunden werden so bald wie möglich ausgetauscht.
(2) Dieses Abkommen tritt am Tag des Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft und ist in beiden Vertragsstaaten anzuwenden
a) auf Steuerstrafsachen und
b) auf alle anderen unter Artikel 1 fallenden Angelegenheiten,
jedoch nur in Bezug auf die am oder nach diesem Tag beginnenden Veranlagungszeiträume oder, soweit es keinen Veranlagungszeitraum gibt, in Bezug auf alle am oder nach diesem Tag entstehenden Steuern.
Artikel 13
Kündigung
(1) Jeder Vertragsstaat kann das Abkommen durch ein Kün –
digungsschreiben an den anderen Vertragsstaat kündigen.
(2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam,
der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der
Kündigung beim anderen Vertragsstaat folgt.
(3) Wird das Abkommen gekündigt, so bleiben die Vertragsstaaten in Bezug auf die nach dem Abkommen eingeholten
Informationen an Artikel 8 gebunden.
Geschehen zu Wellington am 3. April 2012 in zwei Urschriften,
jede in deutscher und englischer Sprache, wobei jeder Wortlaut
gleichermaßen verbindlich ist.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Cookinseln (die „Vertragsstaaten“) haben anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den beiden Staaten über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch
nachstehende Bestimmungen vereinbart, die Bestandteil des Abkommens sind:
1. In Bezug auf Artikel 5 Absatz 5 Buchstabe a wird davon ausgegangen, dass die Bezeichnung der Person, die Gegenstand der Prüfung oder Ermittlung ist, anhand anderer identifizierender Angaben als des Namens festgestellt werden
kann.
2. In Bezug auf Artikel 8 Absatz 5 gelten folgende zusätzliche
Bestimmungen:
a) Die empfangende Stelle darf diese Daten gemäß Artikel 8
Absatz 3 nur zu dem von der übermittelnden Stelle angegebenen Zweck verwenden und unterliegt dabei den
durch die übermittelnde Stelle vorgeschriebenen und mit
Artikel 8 übereinstimmenden Bedingungen.
b) Ungeachtet der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 3
können die Informationen für andere Zwecke verwendet
werden, wenn sie nach dem Recht beider Vertragsstaaten für diese anderen Zwecke verwendet werden dürfen
und die zuständige Behörde des übermittelnden Vertragsstaats dieser Verwendung zugestimmt hat. Ohne vorherige Zustimmung des übermittelnden Vertragsstaats ist
eine Verwendung für andere Zwecke nur zulässig, wenn
sie zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden dringenden Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit
oder die persönliche Freiheit einer Person oder zum
Schutz bedeutender Vermögenswerte erforderlich ist und
Gefahr im Verzug besteht. In diesem Fall ist die zuständige Behörde des übermittelnden Vertragsstaats unverzüglich um nachträgliche Genehmigung der Zweckänderung
zu ersuchen. Wird die Genehmigung verweigert, ist die
weitere Verwendung der Information für den anderen
Zweck unzulässig, und die empfangende Stelle hat die
übermittelten Daten unverzüglich zu löschen. Ein durch
die Verwendung der Informationen für den anderen
Zweck verursachter Schaden ist zu ersetzen.
c) Die übermittelnde Stelle ist verpflichtet, auf die Richtigkeit der zu übermittelnden Daten und ihre voraussichtliche Erheblichkeit im Sinne des Artikels 1 sowie die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf den mit der Übermittlung
verfolgten Zweck zu achten. Voraussichtlich erheblich
sind die Daten, wenn im konkreten Fall die ernstliche
Möglichkeit besteht, dass der andere Vertragsstaat ein
Besteuerungsrecht hat, und keine Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Daten der zuständigen Behörde des
anderen Vertragsstaats bereits bekannt sind oder dass
Protokoll
zum Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch Informationsaustausch
die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats ohne
die Information von dem Gegenstand des Besteuerungsrechts Kenntnis erlangt. Erweist sich, dass unrichtige Daten oder Daten, die nicht übermittelt werden durften,
übermittelt worden sind, so ist dies der empfangenden
Stelle unverzüglich mitzuteilen. Diese ist verpflichtet, solche Daten unverzüglich zu berichtigen beziehungsweise
zu löschen.
d) Auf Ersuchen unterrichtet die empfangende Stelle die
übermittelnde Stelle im Einzelfall über die Verwendung
der übermittelten Daten und die dadurch erzielten Ergebnisse.
e) Die empfangende Stelle hat den Betroffenen über die Datenerhebung bei der übermittelnden Stelle zu unterrichten. Der Betroffene muss nicht unterrichtet werden, sofern und solange insgesamt davon ausgegangen wird,
dass das öffentliche Interesse an der Nichtunterrichtung
des Betroffenen sein Informationsinteresse überwiegt.
f) Der Betroffene ist auf Antrag über die zu seiner Person
übermittelten Daten sowie über deren vorgesehene Verwendung zu unterrichten. Buchstabe e Satz 2 gilt entsprechend.
g) Wird jemand im Zusammenhang mit der Übermittlung
von Daten im Rahmen des Datenaustauschs nach diesem
Abkommen rechtswidrig geschädigt, haftet ihm hierfür die
empfangende Stelle nach ihrem innerstaatlichen Recht.
Die empfangende Stelle kann sich im Verhältnis zum Geschädigten zu ihrer Entlastung nicht darauf berufen, dass
der Schaden durch die übermittelnde Stelle verursacht
wurde.
h) Die übermittelnde und die empfangende Stelle sind verpflichtet, die Übermittlung und den Empfang personenbezogener Daten aktenkundig zu machen.
i) Soweit das für die übermittelnde Stelle geltende innerstaatliche Recht in Bezug auf die übermittelten personenbezogenen Daten besondere Löschungsfristen enthält,
weist diese Stelle die empfangende Stelle darauf hin. In
jedem Fall sind die übermittelten personenbezogenen Daten zu löschen, sobald sie für den Zweck, für den sie
übermittelt wurden, nicht mehr erforderlich sind.
j) Die übermittelnde und die empfangende Stelle sind verpflichtet, die übermittelten personenbezogenen Daten
wirksam gegen unbefugten Zugang, unbefugte Veränderung und unbefugte Bekanntgabe zu schützen.
3. Gemäß Artikel 9 des Abkommens wird gemeinsam beschlossen, dass reguläre Kosten der Beantwortung eines Auskunftsersuchens vom ersuchten Vertragsstaat zu tragen sind.
Diese regulären Kosten umfassen in der Regel interne Verwaltungskosten der zuständigen Behörde und geringfügige
externe Kosten, wie beispielsweise Kurierkosten. Alle angemessenen Kosten, die Dritten bei der Erledigung des Auskunftsersuchens entstehen, gelten als außergewöhnliche
Kosten und sind vom ersuchenden Vertragsstaat zu tragen.
Zu den außergewöhnlichen Kosten zählen unter anderem folgende Kosten:
a) angemessene Gebühren, die für die Beschäftigung von
Mitarbeitern durch Dritte zur Unterstützung bei der Erledigung des Ersuchens erhoben werden;
b) angemessene Gebühren, die Dritte für Recherchearbeiten erheben;
c) angemessene Gebühren, die Dritte für das Kopieren von
Unterlagen erheben;
d) angemessene Kosten für die Inanspruchnahme von
Sachverständigen, Dolmetschern oder Übersetzern;
e) angemessene Kosten für die Übermittlung von Unterlagen an den ersuchenden Vertragsstaat;
f) angemessene Prozessführungskosten des ersuchten Vertragsstaats im Zusammenhang mit einem bestimmten
Auskunftsersuchen;
g) angemessene Kosten für eidliche mündliche Zeugenaussagen oder Zeugenaussagen vor Gericht; und
h) angemessene, in Übereinstimmung mit den nach anzuwendendem Recht zulässigen Sätzen festgesetzte Kosten und Aufwendungen von Personen, die freiwillig zur
Befragung, eidlichen mündlichen Zeugenaussage oder
Zeugenaussage vor Gericht im Zusammenhang mit einem
bestimmten Auskunftsersuchen erscheinen.
Die zuständigen Behörden konsultieren einander in besonderen Fällen, in denen außergewöhnliche Kosten oberhalb eines Betrags von 500 US-$ zu erwarten sind, um zu klären,
ob der ersuchende Vertragsstaat das Ersuchen weiterverfolgen und die Kosten tragen möchte.
4. Förmliche Mitteilungen, einschließlich Auskunftsersuchen, im
Zusammenhang mit oder gemäß dem geschlossenen Abkommen sind unter den nachfolgend angegebenen Anschriften oder einer anderen Anschrift, die ein Vertragsstaat dem
anderen Vertragsstaat gegebenenfalls mitteilt, schriftlich und
unmittelbar an die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats zu richten. Alle einem Auskunftsersuchen folgenden
Mitteilungen werden je nach Zweckmäßigkeit in schriftlicher
oder mündlicher Form an die jeweils zuständige Behörde
oder ihre bevollmächtigten Dienststellen gerichtet.
Zuständige Behörde
für die
Bundesrepublik Deutschland:
Bundeszentralamt für Steuern
53221 Bonn
in Bezug auf
Steuerstrafsachen:
Bundesamt für Justiz
53094 Bonn
Zuständige Behörde
für die
Cookinseln:
Collector of Inland Revenue
Cook Islands
in Bezug auf
Steuerstrafsachen:

I. Allgemeines
1. Ziele und Bedeutung des Abkommens
Gegenstand des am 3. April 2012 unterzeichneten Abkommens ist die gegenseitige behördliche Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch auf Ersuchen im Einzelfall.
Die Finanzbehörden haben steuerlich relevante Sach –
verhalte aufzuklären. Ihre Befugnisse sind jedoch auf das
Inland beschränkt. Sind grenzüberschreitende Sachverhalte aufzuklären, können Beteiligte oder auskunftspflichtige Dritte, die im Ausland ansässig sind, von den Finanzbehörden nicht wie im Inland ansässige Beteiligte oder
auskunftspflichtige Dritte zur Mitwirkung bei der Sach –
verhaltsaufklärung herangezogen werden. Die Finanz –
behörden sind dann auf die Unterstützung ausländischer
Behörden angewiesen. Fehlt die Bereitschaft anderer
Staaten oder Gebiete, Unterstützung für Besteuerungszwecke zu gewähren, wird dadurch Steuerhinterziehung
begünstigt oder gefördert. Die gegenseitige Unterstützung bei der Sachverhaltsaufklärung für Besteuerungszwecke ist umso bedeutender, als grenzüberschreitende
Sachverhalte alltäglich geworden sind.
Die Cookinseln haben sich am 22. März 2002 gegenüber
der OECD zur Akzeptanz der Grundsätze zu Transparenz
und effektivem Informationsaustausch verpflichtet. Mit
der Unterzeichnung des Abkommens vom 3. April 2012
sind die Cookinseln dieser Verpflichtung auch im Verhältnis zu Deutschland nachgekommen.
2. Die Gliederung des Abkommens
Inhalt, Aufbau und textliche Ausgestaltung des Abkommens entsprechen weitgehend dem OECD-Musterabkommen für den Auskunftsaustausch aus dem Jahr 2002.
Das Abkommen berechtigt jede Vertragspartei, die andere Vertragspartei um Auskunft oder Informationen in einer
konkreten Steuersache zu ersuchen, die Gegenstand
einer Ermittlung oder Untersuchung ist. Auskünfte werden in jedem Verfahrensstadium erteilt, d. h. sowohl im
Steuerfestsetzungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren.
II. Zu den einzelnen Artikeln des Abkommens
Zu Artikel 1
Dieser Artikel umschreibt in allgemeiner Form das Ziel des
Abkommens, gegenseitige Amts- und Rechtshilfe durch
Informationsaustausch zu leisten. Der Informationsaustausch ist nicht auf Personen beschränkt, die im Gebiet
einer Vertragspartei ansässig sind.
Zu Artikel 2
Dieser Artikel bestimmt, dass eine Vertragspartei nicht
verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, über die ihre Behörden nicht verfügen und die sich auch nicht im Besitz einer
Person im Hoheitsbereich dieser Vertragspartei befinden.
Zu Artikel 3
A b s a t z 1 bezeichnet die Steuern, für die das Abkommen gilt. Auf deutscher Seite sind dies die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Umsatzsteuer und Versicherungsteuer einschließlich der auf diese Steuern erhobenen Zuschläge. Zu den Steuern im Sinne des Abkommens
gehören nicht Zölle und Verbrauchsteuern.
A b s a t z 2 bestimmt, dass das Abkommen nach gesonderter Vereinbarung der Vertragsparteien auch für Steuern
gleicher oder ähnlicher Art gilt, die nach der Unterzeichnung des Abkommens erhoben werden. Die Vertragsparteien informieren sich über bedeutende Steuerrechts –
änderungen.
Zu Artikel 4
A b s a t z 1 definiert verschiedene, für die Anwendung
des Abkommens grundlegende Begriffe.
A b s a t z 2 enthält die aus den Doppelbesteuerungsabkommen bekannte Auslegungsregel, die auf das innerstaatliche Recht als subsidiäre Auslegungsquelle verweist.
Zu Artikel 5
Dieser Artikel enthält die Bedingungen, unter denen Auskünfte und Informationen auf Ersuchen erteilt werden.
A b s a t z 1 bestimmt, dass sich die Vertragsparteien auf
Ersuchen Auskünfte für die in Artikel 1 genannten Zwecke
erteilen. Ein automatischer oder ein spontaner Auskunftsaustausch ist nicht Gegenstand des Abkommens. Um
Auskünfte kann sowohl für Zwecke des Besteuerungsverfahrens als auch für Zwecke eines Steuerstrafverfahrens
ersucht werden. Die Auskünfte sind unabhängig davon zu
erteilen, ob im Falle eines Steuerstrafverfahrens das zugrunde liegende Verhalten des Steuerpflichtigen auch im
ersuchten Staat eine Straftat darstellen würde, oder ob
die ersuchte Vertragspartei die ersuchten Informationen
für eigene steuerliche Zwecke benötigt.
Nach A b s a t z 2 hat die zuständige Behörde der
ersuchten Vertragspartei, wenn sie nicht im Besitz der
erbetenen Informationen ist, alle geeigneten Maßnahmen
zu treffen, um die Informationen zu beschaffen, auch
wenn die ersuchte Vertragspartei die ersuchten Informationen für eigene steuerliche Zwecke nicht benötigt.
Nach A b s a t z 3 kann eine Vertragspartei auch darum
ersuchen, die Auskünfte in Form von Zeugenaussagen
oder beglaubigten Kopien zu erhalten.
A b s a t z 4 verpflichtet die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass Bankinformationen und Informationen über
die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften und anderen
Rechtsträgern stets zugänglich sind und damit auf Er –
suchen zur Verfügung gestellt werden können. Ausgenommen hiervon sind Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf börsennotierte Gesellschaften oder
öffentliche Investmentfonds oder -systeme. Die Aufzählung der Banken und anderen Institute und Personen gemäß Buchstabe a stellt keine abschließende Aufzählung
dar. Sie ist insbesondere nicht als eine Beschränkung der
Befugnisse aus Absatz 1 zu verstehen.
Denkschrift zum AbkommenDrucksache 17/12958 – 18 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
A b s a t z 5 nennt die für ein Auskunftsersuchen notwendigen Angaben und Erklärungen. Hierdurch soll die ersuchte Vertragspartei nicht nur in die Lage versetzt werden, die ersuchten Informationen einzuholen, sondern
auch überprüfen zu können, dass die erbetenen Informationen tatsächlich für die Besteuerung voraussichtlich erheblich sind. Nummer 1 des Protokolls zum Abkommen
stellt klar, dass die Identität der Person, der die Ermittlung
oder Untersuchung gilt, üblicherweise durch den Namen,
aber auch durch andere hinreichend bestimmende Merkmale nachgewiesen werden kann.
Nach A b s a t z 6 übermittelt die ersuchte Behörde die
gewünschten Informationen so schnell wie möglich. Des
Weiteren bestätigt die ersuchte Behörde den Eingang des
Ersuchens schriftlich und unterrichtet die ersuchende Vertragspartei innerhalb von 60 Tagen nach Eingang des Ersuchens über etwaige Mängel und ebenso für den Fall,
dass das Ersuchen nicht innerhalb von 90 Tagen nach
Eingang beantwortet werden kann oder die Auskunftserteilung verweigert wird.
Nach A b s a t z 7 verpflichten sich die Vertragsparteien,
sich um Auskunftserteilung innerhalb der kürzesten Frist
zu bemühen.
Zu Artikel 6
A b s a t z 1 eröffnet die Möglichkeit, Vertreter einer Vertragspartei in den Hoheitsbereich der anderen Vertragspartei zum Zwecke der Befragung von Personen und der
Prüfung von Unterlagen zu entsenden. Voraussetzung
hierfür ist, dass dies nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei zulässig ist und die betroffenen Personen dem
im Voraus schriftlich zugestimmt haben. Die Entscheidung über das Ersuchen und darüber, welche Bedingungen und Voraussetzungen gegebenenfalls einzuhalten
sind, obliegt ausschließlich der ersuchten Vertragspartei.
Darüber hinaus kann eine Vertragspartei entsprechend
A b s a t z 2 darum ersuchen, dass Vertreter ihrer zuständigen Behörde bei einer Steuerprüfung in der ersuchten
Vertragspartei anwesend sind. Über dieses Ersuchen entscheidet ebenfalls ausschließlich die ersuchte Vertragspartei.
A b s a t z 3 beschreibt das Verfahren für den Fall, dass
einem Ersuchen nach Absatz 2 stattgegeben wird.
Zu Artikel 7
Dieser Artikel bestimmt die Grenzen der Verpflichtung zur
Auskunftserteilung.
Nach A b s a t z 1 ist die ersuchte Vertragspartei nicht
verpflichtet, einem Ersuchen nachzukommen, das nicht
in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Abkommens gestellt wurde, bei dem die ersuchende Vertragspartei nicht alle ihre eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft
hat, die Informationen zu beschaffen, oder die Erteilung
der Auskünfte der öffentlichen Ordnung der ersuchten
Vertragspartei entgegenstehen würde.
Nach A b s a t z 2 besteht für eine Vertragspartei keine
Verpflichtung zur Auskunftserteilung, wenn die Informationen einem Aussageverweigerungsrecht unterliegen
oder die Preisgabe eines Handels-, Industrie-, Gewerbeoder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens
darstellen würden. Allerdings erlauben Ersuchen um
Bankauskünfte und um Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften und anderen Rechtsträgern
nicht schon als solche eine Auskunftsverweigerung unter
Berufung auf ein Berufs- oder Geschäftsgeheimnis.
A b s a t z 3 regelt, dass ein Auskunftsersuchen nicht mit
der Begründung abgelehnt werden kann, dass die zugrunde liegende Steuerforderung streitig ist.
A b s a t z 4 legt fest, dass die Auskunftserteilung abgelehnt werden kann, wenn die ersuchende Vertragspartei
im umgekehrten Fall die Auskünfte nach ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erteilen könnte.
Die ersuchte Vertragspartei kann nach A b s a t z 5 ein
Auskunftsersuchen ablehnen, wenn die Auskünfte der
Anwendung von Vorschriften des Steuerrechts der ersuchenden Vertragspartei dienen, die Bürger der ersuchten
Vertragspartei diskriminieren.
Zu Artikel 8
A b s a t z 1 verpflichtet zur vertraulichen Behandlung
empfangener und erteilter Auskünfte.
Nach A b s a t z 2 dürfen die übermittelten Informationen
nur den Personen oder Behörden zugänglich gemacht
werden, die mit den jeweiligen Maßnahmen nach Artikel 1
befasst sind. Die Auskünfte können jedoch in einem
öffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung offengelegt werden.
Nach A b s a t z 3 dürfen die erlangten Informationen für
andere als in Artikel 1 genannte Zwecke nur nach ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der ersuchten Vertragspartei verwendet werden.
Nach A b s a t z 4 dürfen die erteilten Auskünfte keinem
anderen Hoheitsbereich, also anderen Staaten oder Gebieten, bekannt gegeben werden.
Nach A b s a t z 5 dürfen personenbezogene Daten nur
übermittelt werden, soweit dies für die Durchführung des
Abkommens erforderlich und nach dem Recht der übermittelnden Vertragspartei möglich ist. Ergänzende Bestimmungen zu der Übermittlung von personenbezogenen Daten enthält Nummer 2 des Protokolls zum
Abkommen.
Zu Artikel 9
Dieser Artikel regelt die Frage der Kosten, die einer Vertragspartei im Zusammenhang mit der Beschaffung von
Informationen und der Erteilung von Auskünften ent –
stehen. Näheres bestimmt Nummer 3 des Protokolls zum
Abkommen. Danach trägt die ersuchte Vertragspartei die
regulären Kosten der Erledigung des Auskunftser –
suchens, außergewöhnliche Kosten die ersuchende Vertragspartei.
Zu Artikel 10
Dieser Artikel gibt den zuständigen Behörden die Möglichkeit, Schwierigkeiten oder Zweifel, die sich bei der
Durchführung oder Auslegung des Abkommens ergeben,
einvernehmlich zu regeln. Darüber hinaus können sich die
zuständigen Behörden auf Verfahren zur Durchführung
der Artikel 5, 6 und 9 verständigen.
Zu Artikel 11
Das Protokoll ist Bestandteil des Abkommens.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 19 – Drucksache 17/12958
Zu Artikel 12
Dieser Artikel enthält die Bestimmungen über das Inkrafttreten und die erstmalige Anwendung des Abkommens.
Nach A b s a t z 2 tritt das Abkommen am Tag des Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft. Eine Auskunftserteilung in Bezug auf das normale Besteuerungsverfahren ist für Veranlagungszeiträume möglich, die ab
dem Inkrafttreten beginnen. Soweit kein Veranlagungszeitraum besteht, erfolgt eine Auskunftserteilung nur für
ab dem Inkrafttreten des Abkommens entstehende Steueransprüche.
Für Steuerstrafsachen werden Auskünfte ab dem Inkrafttreten des Abkommens erteilt.
Zu Artikel 13
Dieser Artikel regelt die Kündigung des Abkommens.
Nach A b s a t z 1 kann jeder Vertragsstaat das Abkommen kündigen.
A b s a t z 2 bestimmt den Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Abkommens nach erfolgter Kündigung. Dieser
ist der erste Tag des Monats, der nach Ablauf von drei
Monaten nach Zugang der Kündigung folgt.
A b s a t z 3 bestimmt, dass die Vertragsparteien auch im
Falle einer Kündigung des Abkommens an die Geheimhaltungspflichten des Artikels 8 im Hinblick auf die erhaltenen Auskünfte gebunden bleiben.Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-8333

Finanzgericht Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungssteuer

Finanzgericht Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungssteuer

Pressemitteilung vom 17. April 2013

Das Finanzgericht Köln hat heute entschieden, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit Kapitalerträgen, die dem Steuerpflichtigen vor dem 1.1.2009 zugeflossen sind, weiterhin unbeschränkt als (nachträgliche) Werbungskosten abgezogen werden können. Das im Jahr 2009 mit der Abgeltungssteuer bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eingeführte Abzugsverbot für Werbungskosten (§ 20 Absatz 9 EStG) findet auf diese Ausgaben keine Anwendung.

Der Kläger hat Kapitaleinkünfte für das Streitjahr 2010 in Höhe von 11.000 € erklärt. Daneben machte er Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 € als Werbungskosten geltend, die im Rahmen einer Selbstanzeige von Kapitalerträgen der Jahre 2002 bis 2008 entstanden sind. Das Finanzamt gewährte lediglich den Sparer-Pauschbetrag. Die Anerkennung der tatsächlich entstandenen Werbungskosten lehnte es unter Hinweis auf ein einschlägiges Schreiben des Bundesfinanzministeriums ab. Danach sei das mit der Abgeltungssteuer eingeführte Werbungskostenabzugsverbot im Hinblick auf das geltende Abflussprinzip auch anzuwenden, wenn die ab 2009 entstandenen Kosten früher zugeflossene Kapitalerträge betreffen.

Der 7. Senat des Finanzgerichts Köln gab der Klage statt (7 K 244/12). Es begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung (§ 52a Absatz 10 Satz 10 EStG). Diese sehe ausdrücklich vor, dass die entsprechenden Vorschriften der Abgeltungssteuer erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden seien. Neben den tatsächlichen Werbungskosten in Bezug auf die Einkünfte vor 2009 gewährte der Senat dem Kläger für die Kapitalerträge aus 2010 zusätzlich den Sparer-Pauschbetrag. Denn hier kämen im Grunde zwei Besteuerungssysteme nebeneinander zur Anwendung. Für den nach Abzug des Pauschbetrages und der (nachträglichen) Werbungskosten entstehenden Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen greife auch die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Absatz 6 EStG nicht ein. Auch diese komme nur für Kapitalerträge zur Anwendung, die nach 2008 zugeflossen seien.

Der 7. Senat hat gegen das Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen. Das schriftliche Urteil wird den Beteiligten demnächst zugestellt und auf der Homepage des Finanzgerichts Köln (www.fg-koeln.nrw.de) veröffentlicht werden.

Unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11 ist beim Finanzgericht Köln ein weiteres Verfahren zu derselben Problematik anhängig.

Urteil veröffentlicht am 17.05.2013

Vollständige Entscheidung:
7 K 244/12

Finanzgericht Köln, 7 K 244/12

Datum:
17.04.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 244/12

Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.10.2011 wird unter teilweiser Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 dahingehend geändert, dass der Besteuerung ohne Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von
-2.243 € zugrunde gelegt werden.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten auferlegt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

1
Tatbestand
2
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auch dann zur Anwendung kommt, wenn Ausgaben, die nach dem 31.12.2008 getätigt wurden, mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die dem Steuerpflichtigen bereits vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind.
3
Der Kläger wurde im Streitjahr 2010 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt.
4
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 10.554 € und seine Ehefrau in Höhe von 805 €. Sie beantragten beide die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG. Der Kläger beantragte außerdem die Berücksichtigung von Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten in Höhe von insgesamt 13.856,96 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Die Kosten sind dem Kläger im Zusammenhang mit einer strafbefreienden Selbstanzeige für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2008 entstanden, bei der Einnahmen aus Kapitalvermögen nacherklärt wurden. Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile unstreitig, dass die Kosten i.H.v. 12.000 € ausschließlich auf die Ermittlung der nachzuerklärenden Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 2002 bis 2008 entfallen. Die entsprechenden Rechnungen wurden vom Kläger in vollem Umfang im Jahr 2010 beglichen.
5
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2010 mit Bescheid vom 23.09.2011 auf 4.123 € fest. Die Berücksichtigung der geltend gemachten Steuerberatungskosten lehnte er zunächst pauschal mit dem Hinweis ab, dass sie in Zusammenhang mit einem Steuerstrafverfahren stünden.
6
Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers vom 05.10.2011 führte zu dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 26.10.2011, der zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde (§ 365 Abs. 3 AO). In dem Änderungsbescheid wurde die Einkommensteuer 2010 aus hier nicht mehr streitigen Gründen auf 2.964 € herabgesetzt. Die geltend gemachten Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten wurden weiterhin nicht berücksichtigt. In der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 stützte der Beklagte die Nichtanerkennung dieser Kosten nunmehr auf § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG, wonach neben dem Sparer-Pauschbetrag der Abzug tatsächlich entstandener Werbungskosten ausgeschlossen sei. Unerheblich sei insoweit, dass die Kosten Kapitalerträge beträfen, die in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2008 zugeflossen seien. Werbungskosten seien nämlich in dem Jahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden seien (Abflussprinzip, § 11 Abs. 2 S. 1 EStG). Würden Ausgaben in 2009 oder später geleistet, fielen diese auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhingen. Der Beklagte verwies insoweit auf das Schreiben des Bundesministerium der Finanzen vom 22.12.2009 zu „Einzelfragen zur Abgeltungssteuer“ (BStBl I 2010, 94, Rz. 322).
7
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Werbungskosten, die Kapitalerträge beträfen, die vor dem 01.01.2009 zugeflossen seien, seien in vollem Umfang im Streitjahr zu berücksichtigen. Der Beklagte könne sich bei der Versagung der Abzugsfähigkeit nicht auf § 52a Abs. 10 S. 10 EStG berufen. Danach seien die Regelungen in § 20 Abs. 3 bis Abs. 9 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 19.12.2008 nämlich erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden. Somit gelte § 20 Abs. 9 EStG also schon nach dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung nicht für Kapitalerträge, die Veranlagungszeiträume vor 2009 beträfen (Hinweis auf Hamacher/Dahm in Korn, EStG, § 20 EStG Rn. 464).
8
Der Kläger beantragt,
9
den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.10.2011 unter teilweiser Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zusätzlich zum Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 1.602 € Werbungskosten i.H.v. 12.000 € ohne Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG berücksichtigt werden,
10
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen,
13
Im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
14
Entscheidungsgründe
15
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
16
Der Kläger wird durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Beklagte hat zu Unrecht die vom Kläger in 2010 verausgabten Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten nicht i.H.v. 12.000 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt. Die Kosten sind dabei zusätzlich zu dem Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten abzugsfähig. Die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG kommt nicht zur Anwendung.
17
Nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG sind die Einkünfte im Bereich der Überschusseinkunftsarten durch Abzug der Werbungskosten von den Einnahmen zu ermitteln. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 S. 1 und 2 EStG).
18
Nach § 2 Abs. 2 S. 2 EStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) tritt bei Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 9 EStG vorbehaltlich der Regelung in § 32d Abs. 2 EStG an die Stelle der §§ 9 und 9a EStG. Nach § 20 Abs. 9 S. 1 EStG ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein Sparer-Pauschbetrag von 801 € abzuziehen; der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen. Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag von 1.602 € gewährt (§ 20 Abs. 9 S. 2 EStG). Gemäß § 52a Abs. 2 EStG ist § 2 Abs. 2 i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) zwar ab dem Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG sieht allerdings vor, dass § 20 Abs. 9 EStG erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge Anwendung findet.
19
Vor dem Hintergrund dieser Regelungen kann der Kläger bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) im Streitjahr die Kosten für die Ermittlung der nacherklärten Einkünfte aus den Jahren 2002 bis 2008 in Höhe von 12.000 € uneingeschränkt als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 S. 1 und 2 EStG berücksichtigen. Da § 20 Abs. 9 EStG nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erst auf Kapitalerträge anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2008 zufließen, kommt die Einschränkung des § 2 Abs. 2 S. 2 EStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) im Streitfall nicht zum Tragen.
20
Gemäß § 9 Satz 1 EStG setzt ein Abzug von Steuerberatungskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) voraus, dass der Steuerpflichtige die Steuerberatungskosten zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Kapitalerträge aufgewendet hat. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann gegeben, wenn die Aufwendungen für Steuerberatung durch die Ermittlung der Kapitaleinkünfte veranlasst sind und nicht Entgelt für die Erstellung einer Einkommensteuererklärung darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 20.11.2012 VIII R 29/10, BFH/NV 2013, 630; BFH-Beschluss vom 18.05.2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, m.w.N.). Solche (Ermittlungs-)Aufwendungen des Steuerpflichtigen stehen in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang mit der Erzielung der Einkünfte selbst. Die Ermittlung der Einkünfte umfasst dabei vor allem die Kosten der Buchführungsarbeiten und der Überwachung der Buchführung, die Ermittlung von Ausgaben oder Einnahmen, die Anfertigung von Zusammenstellungen, die Aufstellung von Bilanzen oder von Einnahmeüberschussrechnungen, die Beantwortung der sich dabei ergebenden Steuerfragen und die Kosten der Beratung. Das Übertragen der Ergebnisse aus der jeweiligen Einkunftsermittlung in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung und das übrige Ausfüllen der Einkommensteuererklärung gehören dagegen nicht zur Einkunftsermittlung. Die hierauf entfallenden Kosten sowie Aufwendungen, die die Beratung in Tarif- oder Veranlagungsfragen betreffen oder im Zusammenhang mit der Ermittlung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen stehen, sind als Kosten der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 20.11.2012 VIII R 29/10, BFH/NV 2013, 630; BFH-Beschluss vom 18.05.2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, m.w.N; BFH Urteile vom 12.07.1989 X R 35/86, BStBl II 1989, 967, und vom 18.11.1965 IV 151/64 U, BStBl III 1966,190; FG Hamburg, Urteil vom 27.01.2011 2 K 13/10, EFG 2011, 1421; siehe auch BMF-Schreiben vom 21.12.2007 IV B 2-S 2144/07/0002, 2007/0586772, BStBl I 2008, 256).
21
In diesem Rahmen werden generell auch Kosten für die Erstattung einer Selbstanzeige nach § 371 AO als Werbungskosten anerkannt, soweit sie auf die Ermittlung der nachzuerklärenden Einkünfte entfallen. Beratungskosten für die Geltendmachung und die Durchsetzung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige stehen dagegen wie Strafverteidigungskosten nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Besteuerungsverfahren und können daher nicht steuermindernd berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.1989 X R 43/86, BStBl II 1990, 20; OFD Frankfurt, Vfg. vom 03.03.2010 S 2221 A-37-St 218, juris) .
22
Unter Anwendung dieser Grundsätze stellen die Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten im Streitfall i. H. v. 12.000 € Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 EStG) dar. Die geltend gemachten Kosten beziehen sich in dieser Höhe unstreitig ausschließlich auf die Ermittlung der nacherklärten Kapitaleinkünfte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat insoweit in der mündlichen Verhandlung auch nachvollziehbar erläutert, dass beim Kläger die Ermittlung der Einnahmen besonders aufwändig gewesen sei, weil ihm die Banken keine zusammenfassenden Aufstellungen zur Verfügung gestellt hätten. Beratungskosten für die Gel-tendmachung und die Durchsetzung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige oder allgemeine Erklärungskosten sind in diesem Betrag nicht (mehr) enthalten.
23
Die Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 S. 1 EStG kommt in Bezug auf die Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten nicht zur Anwendung. § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG sieht zwar vor, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 9 EStG an die Stelle der §§ 8 bis 9a EStG tritt. Diese Regelung geht im Streitfall allerdings insoweit ins Leere, als es um die Berücksichtigung von Werbungskosten geht, die Kapitalerträge betreffen, die vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind. Dass die geltend gemachten Beratungskosten i.H.v. 12.000 € im Streitfall ausschließlich Kapitalerträge betreffen, die dem Kläger bis zum 31.12.2008 zugeflossen sind und diese Kapitalerträge mittlerweile in den jeweiligen Jahren auch zutreffend der Besteuerung unterworfen wurden, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
24
Eine Anwendung des Abzugsbeschränkung nach § 20 Abs. 9 EStG auf Werbungskosten, die im Zusammenhang mit Kapitaleinkünften stehen, die den Steuerpflichtigen bis zum 01.01.2009 zugeflossen sind, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG nicht in Betracht (1). Die Voraussetzungen für eine steuerverschärfende Auslegung gegen den Wortlaut der Regelung liegen im Streitfall nicht vor (2).
25
1. Nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG ist § 20 Abs. 3 bis 9 EStG in der Fassung des Artikels 1 des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, 2794) erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden. Über die Abziehbarkeit von tatsächlichen Werbungskosten i. S. von § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG entscheidet demnach nicht der Zeitpunkt des Abflusses der betreffenden Aufwendungen. Maßgeblich ist vielmehr, wann die den Aufwendungen zuzuordnenden Kapitalerträge zufließen. Ist dies ein Zeitpunkt vor dem 31.12.2008, können Aufwendungen, die in einem objektiven Zusammenhang mit den Kapitalerträgen stehen und subjektiv zu deren Förderung erfolgten, auch dann als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn sie nach dem 01.01.2009 geleistet werden. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG schränkt insofern nach seinem eindeutigen Wortlaut die Möglichkeit des Abzugs nachträglicher Werbungskosten nicht ein (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2012 2 K 3893/11 E, juris; Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.12.2011, 2 K 1176/11, EFG 2012, 1146; Hamacher/Dahm in Corn/Carlé/Stahl/Strahl, EStG, § 20 Rz. 464). § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG wählt als Anknüpfungspunkt für die zeitliche Gel-tung der Absätze drei bis neun des § 20 EStG ausdrücklich den Zufluss der Kapitalerträge und nicht den Abfluss der (tatsächlichen) Werbungskosten. Ob (tatsächliche) Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 HS 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen werden, richtet sich daher entscheidend danach, wann die Kapitalerträge zugeflossen sind, zu deren Erwerb die Kosten aufgewendet wurden. Dementsprechend wird auch in der Literatur im Wesentlichen übereinstimmend und unproblematisch davon ausgegangen, dass für Werbungskosten, die Kapitalerträge der Jahre vor 2009 betreffen, weiterhin die bisherigen Regelungen in Bezug auf die Abzugsfähigkeit gelten (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 20 Rz. 211; Findeis/Karlstedt, BB 2011, 2075, 2078 f.; Eggers, NWB 8/2011, 646, 647 f.; a. A. Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. K 77).
26
Die Finanzverwaltung vertritt in ihren BMF-Schreiben zu „Einzelfragen der Abgeltungssteuer“ vom 22.12.2009 (IV C 1-S 2252/08/10004, 2009/0860687) und 09.10.2012 (IV C 1-S 2252/10/10013, 2011/0948384) unter Hinweis auf das Abflussprinzip (§ 11 Absatz 2 Satz 1 EStG) zwar die Auffassung, dass Ausgaben auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG fallen sollen, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhängen (BStBl I 2010, 94 und BStBl I 2012, 953, jeweils unter Rz. 322). Sie lässt hierbei jedoch eine Auseinandersetzung mit dem eindeutigen Wortlaut der Anwendungsregelung vermissen. Inwieweit sich eine entsprechende Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 9 EStG über den Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG hinaus überhaupt aus dem Abflussprinzip ergeben könnte, erschließt sich dem Gericht nicht. Regelungsinhalt der Vorschrift des § 11 EStG ist lediglich die zeitliche Zurechnung von Einnahmen und Ausgaben, mithin die Bestimmung des Besteuerungszeitpunkts. Ob und in welcher Höhe überhaupt steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen und abziehbare Ausgaben vorliegen, ist nach anderen Vorschriften zu entscheiden (vgl. Schmidt/Heinicke EStG § 11 Rz 1). Die Frage der Anwendung des Abzugsverbots aus § 20 Abs. 9 Satz1 EStG kann sich daher nicht aus § 11 Abs. 2 EStG beantworten. Aus § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt sich insoweit lediglich, dass der Kläger die Werbungskosten, die auf Kapitalerträge vor 2009 entfallen, erst bzw. nur im Kalenderjahr der Zahlung und somit im Streitjahr steuermindernd berücksichtigen kann. Aus § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG kann aber nach Auffassung des Gerichts keinerlei Hinweis darauf gewonnen werden, welche Regelungen in Bezug auf die Abzugsfähigkeit dieser Kosten im Abflussjahr einschlägig sind. Insoweit kommt es ausschließlich auf die einschlägigen Anwendungsvorschriften und somit im Streitfall auf § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG an.
27
2. Die Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG lässt sich nicht über den Wortlaut hinaus im Sinne der Verwaltungsauffassung dahin auslegen, dass nach dem 31.12.2008 abgeflossene Ausgaben auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG fallen, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhängen.
28
Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut ist nämlich nur ausnahmsweise dann möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 17.6.2010 VI R 50/09, BStBl II 2011, 43, m.w.N.).
29
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Es spricht nämlich alles dafür, dass der Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG dem Gesetzeszweck entspricht.
30
Diese Überzeugung des Senats ergibt sich insbesondere auch unter Heranziehung der Gesetzesbegründung. Darin wird zur Einführung der Abgeltungssteuer ausgeführt, der Gesetzgeber wolle – im Hinblick auf die guten Erfahrungen mit einer Abgeltungssteuer in anderen Ländern der Europäischen Union – mit der Reform den Transfer von Kapitalvermögen der privaten Haushalte ins Ausland verhindern und eine moderne Besteuerung der privaten Kapitaleinkommen einführen (BT-Drs. 16/4841, S. 30). Zu diesem Zweck war es zwar auch erklärtes Ziel der Abgeltungssteuer, neben einer erheblichen steuerlichen Entlastung auch eine drastische Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften herbeizuführen (BT-Drs. 16/4841, Seite 35).
31
Aus der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 9 EStG ergibt sich allerdings deutlich, dass diese Vereinfachung erst dort greifen soll, wo Kapitalerträge tatsächlich bereits der Abgeltungssteuer unterlegen haben. Der Gesetzgeber rechtfertigt das grundsätzliche Verbot des Abzugs der tatsächlich entstandenen Werbungskosten nämlich damit, dass durch die Einführung des Sparer-Pauschbetrages zum einen eine Typisierung hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten in den unteren Einkommensgruppen vorgenommen werde. In den oberen Einkommensgruppen würden die Werbungskosten dagegen durch den relativ niedrigen Proportionalsteuersatz von 25 % mit abgegolten (BT-Drs. 16/4841, 57). Hierdurch hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Abzugsverbot (nur) dann gerechtfertigt ist, wenn Einnahmen zufließen, für welche die Besonderheiten des Abgeltungsverfahrens, nämlich der einheitliche Sparer-Pauschbetrag bzw. die Abgeltungsteuer von 25 v. H., zu beachten sind (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2012 2 K 3893/11 E, juris; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012, 9 K 1637/10, juris). In diesem Sinne hat er in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 9 EStG folgerichtig auf Kapitalerträge beschränkt, die nach dem 31.12.2008 zufließen. Die bis einschließlich 2008 zugeflossenen Einnahmen aus Kapitalvermögen unterlagen nämlich nicht dem niedrigen Abgel-tungssteuersatz von 25 %, sondern der regulären Steuerprogression. Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit seiner Anwendungsregelung – sachgerecht – zugelassen, dass die hiermit in Zusammenhang stehenden Ausgaben auch in den Veranlagungszeiträumen ab 2009 steuermindernd und progressionswirksam berücksichtigt werden können. Dadurch trägt er auch dem im Einkommensteuerrecht zu beachtenden objektiven Nettoprinzip Rechnung (vgl. hierzu Beschluss des BVerfG vom 06.07.2010 2 BvL 13/09, BGBl I 2010, 1157; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012, 9 K 1637/10, juris; Eggers, NWB 8/2011, 646, 648 f.).
32
Dieses Ergebnis wird letztlich auch durch die Gesetzesbegründung zu der Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 (ursprünglich Satz 8) bestätigt (BT-Drs. 16/4841, Seite 73). Darin heißt es lediglich: „( § 52a Abs. 10) Satz 8 enthält die Anwendungsregelung für die neuen oder teilweise neu gefassten Absätze 3 bis 9 des § 20 (Anwendung auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließenden Kapitalerträge)“.
33
Die danach zulässige Berücksichtigung der Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen führt im Streitfall beim Kläger und seiner mit ihm veranlagten Ehefrau zu einem Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.H.v. 2.243 €. Dieser Verlust ergibt sich daraus, dass von den für 2010 im Rahmen der beantragten Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Kapitalerträgen i.H.v. insgesamt 11.359 € zunächst der Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten i.H.v. 1.602 € (§ 20 Abs. 9 S. 2 EStG) abzuziehen ist. Für diese, nach dem 31.12.2008 zugeflossenen Einnahmen aus Kapitalvermögen gilt die Regelung des § 20 Abs. 9 EStG nach den o.g. Ausführungen uneingeschränkt. Anstelle der Berücksichtigung tatsächlicher Werbungskosten ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen bei Ehegatten ein Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 1.602 € „als Werbungskosten“ abzuziehen (§ 20 Abs. 9 S.1 und S. 2 EStG). Die Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrages wird im Streitfall auch nicht ganz oder teilweise in Bezug auf den Kläger deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger für die Kapitalerträge vor 2009 die tatsächlichen Kosten geltend machen kann.
34
Beide „Besteuerungssyteme“ kommen nämlich insoweit nebeneinander zur Anwendung. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats aus dem zuvor dargestellten Willen des Gesetzgebers bei Einführung der Abgeltungssteuer i.V. mit dem objektiven Nettoprinzip. Der Sparer-Pauschbetrag soll im Hinblick auf eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens bei Kapitalvermögen dort typisierend und ausschließend wirken, wo Kapitalerträge (bereits) der Abgeltungssteuer unterlegen haben. Dies betrifft im Streitfall die in 2010 zugeflossenen Einnahmen i.H.v. 11.359 €. Für diese Einnahmen hat der Kläger entsprechend der gesetzlichen Regelung keine tatsächlichen Werbungskosten geltend gemacht. Seiner Ehefrau und ihm steht diesbezüglich (zumindest) der Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten uneingeschränkt zu. Ob der Kläger darüber hinaus im Hinblick auf die Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 17.12.2012 (9 K 1637/10, juris) in Bezug auf die Einkünfte aus 2010 noch höhere tatsächliche Kosten geltend machen könnte, weil der individuelle Steuersatz unter 25% liegt, kann im Streitfall offen bleiben. Der Kläger hat für die Einkünfte aus 2010 in Kennt-nis des o.g. Urteils des Finanzgericht Baden-Württemberg keine über 1.602 € hinausgehenden tatsächlichen Werbungskosten geltend gemacht.
35
Zieht man nach Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrages die Werbungskosten i.H.v. 12.000 € ab, die die Jahre 2002 bis 2008 betreffen, verbleiben negative Einkünfte aus Kapitalvermögen von 2.243 €.
36
Dieser Verlust unterliegt nicht der Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG und kann im Streitjahr uneingeschränkt mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. § 20 Abs. 6 EStG wurde wie die Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 EStG im Rahmen der Einführung der Abgeltungssteuer durch das Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) in das Einkommensteuergesetz aufgenommen. Auch für sie ist die Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG einschlägig. D.h., sie ist ebenfalls erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufliessende Kapitalerträge anzuwenden. Auch insoweit kommt eine Anwendung auf Verluste, die mit früheren Kapitalerträgen zusammenhängen, nicht in Betracht. Die Ausführungen zu § 20 Abs. 9 EStG geltend entsprechend.
37
Die Neuberechnung der für 2010 festzusetzenden Einkommensteuer wird wegen des nicht unerheblichen Aufwands des Gerichts bei deren Ermittlung dem Beklagten übertragen, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
39
Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
40
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 S.1 ZPO.

Recherchemöglichkeiten bei Einkünften aus Kapitalvermögen und privaten (Wertpapier-) Veräußerungsgeschäften

Zur steuerlichen Beurteilung von Kapitalanlagen ist es häufig erforderlich, Emissionsbedin‐
gungen oder weitere Daten des Emittenten der Kapitalanlage zu kennen (z. B. für die Beurtei‐
lung, ob es sich um eine Finanzinnovation handelt). Insbesondere wenn es sich bereits um
ältere Daten handelt, sind diese i. d. R. nicht im Internet recherchierbar.
Mittlerweile wurde der Oberfinanzdirektion eine kostenpflichtige Testlizenz für den Zugriff auf
Wertpapiergattungsdaten (Wertpapierstammdaten und Wertpapiertermindaten) zur Verfü‐
gung gestellt. Hierdurch können die für die Besteuerung notwendigen Wertpapierdaten abge‐
rufen werden.
Entsprechende Anfragen können zusammen mit den vorliegenden Unterlagen für das jeweilige
Wertpapier per E-Mail (mailto:christian.anemueller@fv.nrw.de oder mailto:Meike.Manne‐
feld@fv.nrw.de) oder Fax (0800/1009267-5603) an die Oberfinanzdirektion gerichtet werden.
Da jede Abfrage Kosten verursacht, wird darum gebeten, folgende kostenlose Recherche‐
möglichkeiten vorrangig zu nutzen:
124 VerwaltungsanweisungenFinanzinnovationen
Ob ein Zertifikat eine Finanzinnovation darstellt ist anhand der § 20 Abs. 1 Nr. 7 und § 20 Abs.
2 Satz 1 Nr. 4 EStG zu überprüfen. Maßgebend ist u. a., ob ein Ertrag oder eine (teilweise)
Kapitalrückzahlung garantiert wird.
Aufgrund der Rechtsprechung des BFH kommt die Anwendung der Marktrendite bei der Ver‐
äußerung oder Abtretung von Finanzinnovationen nur in Betracht, wenn eine Emissionsrendite
nicht vorliegt oder von den Stpfl. nicht nachgewiesen werden kann und eine Trennung von
Ertrags- und Vermögensebene nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist.
Die entsprechenden Daten können z. T. unter www.finanzen.net eingesehen werden.
Erträge aus Anteilen an Investmentvermögen
VZ ab 2004
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 InvStG müssen die Besteuerungsgrundlagen des Investmentvermögens
im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht werden.
Die veröffentlichten Besteuerungsgrundlagen können kostenfrei über das Intranet (www.ebun‐
desanzeiger.de) abgerufen werden.
Die Daten werden hierbei i. d. R. über die Suchfunktion mit Hilfe der ISIN oder der Bezeichnung
des Investmentvermögens ermittelt.
Hinweis: Nach den derzeitigen Praxiserfahrungen führt die Suche nicht zum Ergebnis, wenn
z. B. die ISIN mit Leerzeichen veröffentlicht wird. Weiterhin veröffentlichen einige Investment‐
vermögen die Besteuerungsgrundlagen ausschließlich unter dem Namen.
Werden die Besteuerungsgrundlagen tatsächlich nicht im elektronischen Bundesanzeiger ver‐
öffentlicht, sind die Erträge nach § 6 InvStG anzusetzen (Pauschalbesteuerung; vgl. auch
Rdnrn. 122-131 des BMF-Schreibens vom 18. 8. 2009, BStBl I 2009, 931).
VZ bis 2003
Die Erträge von inländischen Investmentvermögen nach dem KAGG wurden bis VZ 2000 re‐
gelmäßig im BStBl I veröffentlicht, für die übrigen Jahre sind die ungeprüften Besteuerungs‐
grundlagen im Intranet (Steuer/Einkommensteuer/Inhalt) einsehbar.
Die Besteuerung der Erträge aus Anteilen an ausländischen Investmentvermögen nach dem
AuslInvestmG ist davon abhängig, inwieweit die Anteile im Inland öffentlich vertrieben werden
durften bzw. die Fonds im Inland registriert waren und die Besteuerungsgrundlagen nachge‐
wiesen wurden (§§ 17, 18 AuslInvestmG).
Die Ermittlung und Nachprüfung der Erträge aus Anteilen an ausländischen Investmentver‐
mögen obliegt nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FVG dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt,
www.bzst.de).
Erträge bis zum Jahr 1999 wurden (tlw. ungeprüft) im BStBl veröffentlicht.
Die Höhe der Erträge kann wie folgt ermittelt werden:
• Die Erträge Luxemburger und sonstiger ausländischer Investmentfonds deutscher Proveni‐
enz sind im Intranet abrufbar (Steuer / Zulagen und Nebengesetze / Investmentsteuer‐
recht).
• Bei anderen ausländischen Investmentfonds können die anzusetzenden Besteuerungs‐
grundlagen regelmäßig bei der Investmentgesellschaft angefordert werden.
Wertpapierdienstleister / Onlinebanken
Viele Institute veröffentlichen Kurse (auch für vergangene Jahre) und einen Teil der maßgeb‐
enden Wertpapierstammdaten.
Beispiele: www.onvista.de, www.comdirect.de, www.s-investor.de.
Verwaltungsanweisungen 125Historische Wertpapierkurse
Historische Wertpapierkurse können bei www.onvista.de nach Aufruf des aktuellen Charts des
jeweiligen Wertpapiers unter dem Punkt „weitere Chartfunktionen“ – „Kurshistorie – Einzel‐
kursabfrage“ in Erfahrung gebracht werden.
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4; InvstG § 5 Abs. 1 Nr. 3; AuslInvestmG §§ 17, 18.

OFD Münster, Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 008/2007 vom 31. 1. 2013.

Schleswig-Holstein: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Daueraufträge ans Finanzamt überprüfen: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Daueraufträge ans Finanzamt überprüfen: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Kiel. Die Konten der schleswig-holsteinischen Finanzämter, die bisher bei den Bundesbankfilialen Kiel und Lübeck angebunden waren, werden bei der Filiale der Bundesbank
in Hamburg neu eingerichtet. Betroffen sind die Konten der Finanzämter Bad Segeberg, Eckernförde-Schleswig (Hauptstelle Eckernförde), Elmshorn, Itzehoe, Kiel-Nord, Kiel-Süd, Lübeck, Neumünster, Ostholstein, Plön, Ratzeburg, Rendsburg, Stormarn und Pinneberg. Bürgerinnen und Bürger, die für diese Finanzämter Daueraufträge eingerichtet haben, werden gebeten, ihre Daueraufträge an die neuen Bankverbindungen anzupassen. Diese können auf der Internetseite des Finanzministeriums (www.schleswig-holstein.de/fm), beim betreffenden Finanzamt oder auf aktuellen Steuerbescheiden in Erfahrung gebracht werden.

Verwirklichung des Tatbestandes der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung

Wer unentgeltlich für eine ihm nahestehende, nicht kreditwürdige Person seinen Namen für den Erwerb und die Finanzierung eines Mietshauses übernimmt und dieser Person die Vermietung überlässt, erzielt selbst keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Das gilt auch dann, wenn die Darlehensvaluta von seinem hierzu von der nahestehenden Person aufgefüllten Konto abgebucht werden und so nach einer Überschussprognose ohne Berücksichtigung der Tilgung rechnerisch Überschüsse erzielt werden.

Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Urteil vom 27.11.2012, 2 K 5/12

§ 21 Abs 1 Nr 1 EStG, § 598 BGB, § 535 BGB

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die nach einer Steuerfahndungsprüfung angenommene Erzielung von zusätzlichen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
2
Die Klägerin erwarb 1983 das Eigentum an dem Hausgrundstück .. in P. und hat es im Mai 2009 ohne Erzielung eines über die Übernahme von Grundschulden hinaus gehenden Kaufpreises an den Zeugen S. übertragen. Die Klägerin hatte zudem bei der B-Bank zwei Darlehen über insgesamt 300.000 DM aufgenommen, die zur Kaufpreisfinanzierung und Finanzierung umfangreicher Sanierungsarbeiten dienten. S., bis Ende 1987 der langjährige Lebensgefährte der Klägerin, sanierte das Haus nach dem Erwerb und vermietet seitdem die beiden Wohnungen und ferner den im Erdgeschoss belegenen Kiosk. Die Klägerin bevollmächtigte ihn auf seinen Wunsch 1997 ausdrücklich, sich um das Grundstück, seine Verwaltung und Vermietung zu kümmern. In den achtziger Jahren hatte sie noch negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht.
3
S. zahlte bis einschließlich 2001 monatlich 2000 DM und in den nachfolgenden Streitjahren 1.050 € monatlich bar auf ein Konto der Klägerin bei der B-Bank. Dieses Konto diente nur der Deckung von Aufwendungen in Bezug auf das vorgenannte Haus in P. Jeweils 997,02 € buchte die B-Bank zu Gunsten der Darlehenskonten monatlich ab. Ferner zahlte die Klägerin die Gebäudeversicherung in Höhe von etwa 400 € jährlich und wandte geringe Beträge für Kontoführungsgebühren und Überziehungszinsen auf.
4
Bis heute wird das vorgenannte Verfahren aus den Streitjahren praktiziert. Das verbliebene Darlehen wird weiterhin durch Abbuchungen von monatlich 997,02 € vom Konto der Klägerin bedient und das Konto dafür durch S. monatlich mit 1.000 € aufgefüllt. Der Grundstücksübertragungsvertrag vom Mai 2009 ist insgesamt nicht vollzogen worden; die darlehensfinanzierende Bank war und ist nicht bereit, S. als neuen Darlehensnehmer zu akzeptieren.
5
Das gegen die Klägerin wegen Nichterklärens von Einkünften aus der Vermietung des Hauses in P. eingeleitete Steuerstrafverfahren wurde durch in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
6
Aufgrund der Erkenntnisse der Steuerfahndung erließ der Beklagte die angefochtenen Änderungsbescheide für die Streitjahre, in denen er entsprechend einer Überschuss-Kalkulation unter Berücksichtigung der AfA, der Schuldzinsen und der Gebäudeversicherung Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung des Hauses in P. in Höhe von etwa 2.000 bis 4.000 € jährlich ansetzte und dementsprechend die Einkommensteuern der Kläger erhöhte.
7
Für die Zeit ab 2009 hat der Beklagte hingegen nach Darstellung der Kläger keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Bezug auf das Hausgrundstück in P. der Klägerin zugerechnet.
8
Gegen diese Änderungsbescheide legten die Kläger Einspruch ein, mit dem sie vortrugen, dass die Klägerin niemals Einnahmen aus dem Objekt in P. bezogen habe. Wirtschaftlicher Nutznießer sei allein S. gewesen; Darlehensnehmerin sei die Klägerin nur gewesen, weil S. keine Darlehenszusagen erhalten habe.
9
Den Einspruch wies der Beklagte zurück. Er führte zur Begründung aus, S. sei nicht als wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks in P. anzusehen. Vielmehr überlasse die Klägerin ihm das Grundstück gegen Zahlungen und verwirkliche damit den Steuertatbestand des § 21 EStG. Dass nur S. gegenüber den Mietern in P. in Erscheinung trete sei unerheblich; es läge ein Mietverhältnis zwischen der Klägerin und S. einerseits und zwischen S. und den Mietern anderseits vor.
10
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Aufhebung der angefochtenen Änderungsbescheide weiter. Sie wiederholen und vertiefen ihre Ausführungen aus dem Einspruchsverfahren. Es fehle der Klägerin an der Einkünfteerzielungsabsicht.
11
Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und führt zur Begründung aus, dass S. weder wirtschaftlicher Eigentümer noch Eigenbesitzer des Hauses in P. gewesen sei. Es fehle dafür an einem dinglichen Nutzungsrecht; die jederzeit widerrufbare Vollmacht reiche nicht aus.
12
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
13
Das Gericht hat durch Vernehmung des Zeugen S. und Inaugenscheinnahme eines Schreibens Beweis erhoben.
 

Entscheidungsgründe

14
I. Die Klage ist im vollen Umfang begründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide und der sie bestätigende Einspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
15
Die Klägerin hat in Bezug auf ihr Hauseigentum in P. in den Streitjahren keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt, so dass die nur insoweit zum Nachteil der Kläger abgeänderten Einkommensteuerbescheide im vollen Umfang aufzuheben sind.
16
Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der Senat folgt, für die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht entscheidend darauf an, ob der Steuerpflichtige rechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer des Mietobjekts ist. Maßgebend ist vielmehr, wer den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwirklicht. Diesen Tatbestand verwirklicht, wer die rechtliche oder tatsächliche Macht hat, ein Gebäude(teil) oder ein anderes der in § 21 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen und Träger der Rechte und Pflichten des Vermieters oder Verpächters aus einem Miet- beziehungsweise Pachtvertrag ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1971, VIII R 137/70; BStBl. II 1972, 215; 13. Mai 1980, VIII R 63/79; BStBl. II 1981, 295, 15. April 1986, IX R 52/83, BStBl. II 1986, 605; 31. Oktober 1989, IX R 216/84, BStBl. II 1992, 506; 13. Oktober 1992, IX R 17/88, BFH/NV 1993, 227; 16. April 2002, IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152; 11. März 2003, IX R 16/99, BFH/NV 2003, 1043; 6. September 2006, IX R 13/05, BFH/NV 2007, 406; Lindberg in Frotscher, EStG-Praxiskommentar, Rz. 47 zu § 21).
17
Dass die Klägerin in den Streitjahren den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwirklicht hat, lässt sich nicht feststellen. Sie war nicht Trägerin der Rechte und Pflichten einer Vermieterin oder Verpächterin aus einem entsprechenden Vertragsverhältnis.
18
1. Der Senat ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin nur aufgrund ihres damaligen Näheverhältnisses zu S. ihm für die von ihm beabsichtigte Anschaffung und Vermietung des Hauses ihren Namen beziehungsweise ihre Kreditwürdigkeit zur Verfügung gestellt hat und es trotz ihrer Trennung von S. hierbei geblieben ist.
19
Der Senat folgt der entsprechenden Aussage des Zeugen S. Ernsthafte Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge hat sich sachlich, flüssig und insgesamt nachvollziehbar geäußert. Es war auch in Bezug auf die Klägerin, seine ehemalige Lebensgefährtin, keine besondere Be- oder Entlastungstendenz erkennbar.
20
Der Zeuge hat insbesondere nachvollziehbar geschildert, dass ihm von der örtlichen Sparkasse eine Finanzierung verweigert wurde, dass auch seine Hausbank, die B-Bank, nicht bereit war, ihm den Hausankauf und die offenbar erheblichen Sanierungskosten zu finanzieren. Durch die Inaugenscheinnahme des entsprechenden Schreibens der Sparkasse konnte auch festgestellt werden, dass es 1983 verfasst worden sein dürfte. Dass in dieser Situation die Klägerin als damalige Lebensgefährtin ohne eigenes wirtschaftliches Interesse bereit war, das Haus (formell) in ihrem Namen zu erwerben und Darlehensnehmerin des zur Finanzierung des Kaufs und der Sanierung erforderlichen Kredite zu werden, aber allein S. von Anfang an die Lasten des Grundstücks tragen und seine Erträge vereinnahmen sollte, ist deswegen ebenfalls nachvollziehbar. Hierzu passt die für eine Grundstückskauffinanzierung eher ungewöhnliche Abrede in der ursprünglichen Zweckerklärung zu der für die B-Bank bestellten Grundschuld, dass diese auch für alle Forderungen der B-Bank gegen S. als Sicherheit dienen solle und die Darlehensvaluta auch an S. ausgezahlt werden sollten.
21
Der Zeuge hat auch die relativ ungewöhnliche Situation schlüssig erklärt, dass er glatte DM- bzw. €-Beträge auf das besondere Konto der Klägerin zur Bedienung der aufgenommenen Darlehen einzahlt, weil er auch die Mieten überwiegend in bar kassiert und sich keine Kleinbeträge wiedergeben lassen will. Zudem deckt er so andere Aufwendungen der Klägerin (Kontoführungsgebühren, Hausversicherung) per saldo ab. Aus geringen Differenzen zu Gunsten der Klägerin allein – in den Streitjahren im Umfang von gut 200 € jährlich – kann daher nicht auf wirtschaftliches Eigeninteresse der Klägerin geschlossen werden.
22
Da – wie sich aus den vorliegenden Kontoauszügen ergibt – der B-Bank die Darlehensraten im Wege des Bankeinzuges zufließen, ist auch die Aussage des Zeugen S. glaubhaft, dass er nicht direkt die Darlehensraten bei der B-Bank bedienen kann, weil diese auf eine Zahlung durch die Klägerin – der Darlehensnehmerin – bestehe.
23
Der vorgenannten Überzeugungsbildung des Senats steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach dem von ihr selbst eingereichten Schreiben ihrer früheren Steuerberaterin in den achtziger Jahren negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht hat. Dies lässt sich zum einen aus dem Umstand erklären, dass der Zeuge S. nach seinen Angaben formal erst ab 1997 die Mietverträge in dem Haus in P. im eigenen Namen abgeschlossen hat und zum anderen aus dem auch von ihm angedeuteten Umstand, dass jedenfalls er der Auffassung gewesen sein will, dass Mieteinnahmen steuerrechtlich immer nur dem formellen Hauseigentümer zuzurechnen seien.
24
2. Die entsprechenden, 1983 getroffenen und bis heute weitgehend unverändert durchgeführten, Abreden mündlichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und S. können weder zivil- noch steuerrechtlich als Miet- oder Pachtverhältnis eingeordnet werden.
25
a) Zivilrechtlich kommt es hierfür zwar nicht auf die von den Beteiligten gewährte Bezeichnung an. Vielmehr ist entscheidend, ob die getroffene Vereinbarung dem gesetzlichen Typus eines Miet- oder Pachtvertrages i.S.d. BGB (§§ 535, 581) entspricht. Hierfür ist die entgeltliche Nutzungsüberlassung eines unbeweglichen Gegenstandes auf Zeit zentral (vgl. nur Weidenkaff in Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, Einf. v. § 535, Rz. 2, 15ff.). Nach § 535 Abs. 1 S. 2f. BGB treffen den Vermieter zudem die Lasten der Mietsache und er hat für ihren Erhalt zu sorgen; dies gilt grundsätzlich auch für die Pacht (§§ 581 Abs. 1, 582 BGB, vgl. Weidenkaff, a.a.O., Rz. 6f zu § 582).
26
Die zwischen der Klägerin und ihrem damaligen Lebensgefährten S. 1983 getroffenen und auch nach der Trennung seit 1988 letztlich bis heute fortgeführten mündlichen Abreden lassen sich wirtschaftlich und auch rechtlich nur so verstehen, dass die Klägerin nur formal gegenüber der finanzierenden B-Bank als Grundstückserwerberin und Darlehensnehmerin auftreten sollte. Alle Nutzungen und Lasten des Hausgrundstücks sollten hingegen nur S. treffen; auch Erhalt und die (vorherige) Sanierung des Hauses war nicht Sache der Klägerin.
27
Entscheidend kommt noch hinzu, dass diese Zurverfügungstellung des Namens und der Kreditwürdigkeit auch nicht – was nach § 535 Abs. 2, 581 Abs. 1 S. 2 BGB zentraler Bestandteil eines Miet- oder Pachtvertrages wäre – entgeltlich erfolgen sollte, sondern sich allein aus dem damaligen Näheverhältnis zwischen der Klägerin und S. erklärt. Aufgrund der Darlehensvereinbarungen zieht die B-Bank die Kreditraten monatlich von einem Konto der Klägerin ein. Hierfür wird dieses Konto von S. in gleichen Zeitabständen aufgefüllt; geringe Überschüsse erklären sich weitgehend aus der Einzahlung glatter Beträge durch S., in den Streitjahren insbesondere aus einer großzügigen Umrechnung von 2.000 DM (= rechnerisch 1.022,58 €) auf 1.050 €.
28
Zivilrechtlich stellen die zwischen der Klägerin und S. getroffenen Abreden daher die Einräumung eines obligatorischen Nutzungsrechts an dem Hausgrundstück in P. durch einen – unentgeltlichen und formlosen – Leihvertrag (§ 598 BGB) dar.
29
b) Dieser zivilrechtlichen Wertung ist steuerrechtlich zu folgen, wie sich aus der eingangs zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergibt.
30
aa) Der als (Wohnungs- und Kiosk-)Vermieter auftretende S. hat eine gesicherte Rechtsposition aus dem so von ihm mit der Klägerin vereinbarten obligatorischen unentgeltlichen Nutzungsrecht, so dass er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der beiden Wohnungen und des Kiosk in dem Haus in P. erzielt (vgl. zum Ausreichen dieser Position und ihrer Begründung durch formlose Leihe BFH-Urteile vom 25. Oktober 1998, IX R 132/85, BFH/NV 1989, 295; 27. Juni 1996, IV R 82/95, BFH/NV 1997, 101; 16. April 2002, IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152; Lindberg, a.a.O., Rz. 84).
31
bb) Da die Klägerin nicht Trägerin der Rechte und Pflichten einer Vermieterin oder Verpächterin aus einem entsprechenden Vertragsverhältnis ist, erzielt sie hingegen – schon in objektiver Hinsicht – keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Räumt der Eigentümer einem Anderen für die unentgeltliche Nutzung eines Gebäudes oder Gebäudeteils – auch durch einen formlos geschlossenen Leihvertrag – eine gesicherte Rechtsposition ein, hat der Eigentümer keine Einkünfte aus § 21 EStG (vgl. v.g. BFH-Urteile vom 25. Oktober 1988 und 16. April 2002).
32
Auf den weiter erforderlichen, von der Klägerin in Abrede gestellten, subjektiven Tatbestand der Absicht, entsprechende Einkünfte zu erzielen, kommt es daher nicht an.
33
Nur ergänzend verweist der Senat insoweit darauf, dass die diesbezüglich grundsätzlich ohne Betrachtung von Tilgungsleistungen anzustellenden Überschussprognosen in anderen Fallkonstellationen entwickelt wurden, in denen die Finanzbehörde die Einkünfteerzielungsabsicht des Verluste geltend machenden Steuerpflichtigen bestreitet und zudem wirtschaftlich der Steuerpflichtige durch die Tilgungsleistungen regelmäßig einen – wenn auch grundsätzlich nicht steuerbaren – Vermögenszuwachs (ratierlich weniger belastetes und damit für ihn werthaltigeres Grundvermögen) erlangt.
34
In der hier gegebenen Fallkonstellation kann daher für die Frage der subjektiven Einkünfteerzielungsabsicht, des Strebens nach einem Totalüberschuss in der Nutzungsperiode (vgl. hierzu Drüen in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, EStG-Loseblattkommentar, Rz. B 160ff. zu § 21), nicht außer Betrachtung bleiben, dass sich die Vorgänge im Kontext des Hauses in P. für die Klägerin von Anfang an als (betriebs-)wirtschaftlich neutral dargestellt haben und auch darstellen sollten. Die von S. aus den von ihm kassierten Mieteinnahmen getragenen Darlehenszinsen und weiteren Hauslasten werden von ihm in Erfüllung des Verwendungsersatzanspruchs der Klägerin gemäß § 601 BGB nur über ihr Konto an die B-Bank und andere Gläubiger (Hausversicherer) weiter geleitet. Inzwischen hat sich die Klägerin durch den Notarvertrag aus dem Mai 2009 auch ausdrücklich verpflichtet, S. das Grundstück ohne Realisierung eines Wertzuwachses – nur gegen Schuldübernahme beziehungsweise nach deren Tilgung ohne jede Gegenleistung – zu übertragen.
35
c) Der Senat braucht auch nicht näher zu erörtern, ob die zu Gunsten der Klägerin in den Streitjahren auf ihrem Konto letztlich verbliebenen geringen Beträge von gut 200 € jährlich steuerpflichtige sonstige Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG – als ihr von S. gleichsam aufgedrängtes Entgelt für die Fortführung der 1983 getroffenen Abreden – führen könnten.
36
Soweit ersichtlich liegen diese Beträge jeweils unter der jährlichen Freigrenze von 256 € bzw. 500 DM.
37
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.
38
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 FGO) liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles.

Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen

EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes
Beschluss vom 02.03.11   XI R 47/07

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Beschluss vom 2. März 2011 XI R 47/07 dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Fragen zu den Voraussetzungen der Steuerfreiheit der Umsätze eines ambulanten Pflegedienstes vorgelegt.

 

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 waren steuerfrei u.a. „die mit dem Betrieb … der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn bei Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind“.

 

Der BFH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob diese Vorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar ist und ob unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung ist, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG).

 

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte eine examinierte Krankenschwester ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbständig ambulant gepflegt und zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst angemeldet. Zum 1. Oktober 1993 wurde sie zu den Krankenkassen zugelassen. Von den Personen, die sie im gesamten Jahr 1993 behandelte, waren 68 % Privatzahler. Daraufhin versagte das Finanzamt (FA) die Steuerfreiheit der von der Klägerin im Jahr 1993 erbrachten Leistungen. Die Steuerfreiheit für die von der Klägerin im Folgejahr erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das FA, weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahres abstelle.

Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen

BFH, Urteil XI R 47/07 vom 19.03.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.3.2013, XI R 47/07

Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen

Leitsätze

Scheitert die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen allein an der in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierten Pflicht, diesbezüglich ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abzustellen, sind die Umsätze dieser Einrichtung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in A einen ambulanten Pflegedienst. Sie ist examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab Anfang 1993 einzelne Patienten selbständig und meldete zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. Auf ihren Antrag vom 27. August 1993 wurde sie zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch in der damals geltenden Fassung –SGB V–), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen.
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In den Umsatzsteuererklärungen für 1993 und 1994 (Streitjahre) behandelte sie ihre Umsätze als gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei.
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Im Jahr 1999 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) fest, dass die Klägerin (mit ihrem Personal) im Jahr 1993 insgesamt 76 Personen behandelt hatte, von denen 52 Personen (= 68 %) Privatzahler waren. Daraufhin versagte das FA die Steuerfreiheit der von der Klägerin im Jahr 1993 erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG unter Hinweis darauf, dass nach dieser Vorschrift in mindestens zwei Drittel der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten. Die Steuerfreiheit für die von der Klägerin im Jahr 1994 erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das FA, weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahrs abstelle. Allerdings greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ein, soweit die Klägerin Leistungen der Behandlungspflege erbracht habe; deren Anteil schätzte das FA auf ein Drittel (Umsatzsteuerbescheide für 1993 und 1994 vom 27. April 1999).
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Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens legte sie ein an sie gerichtetes Schreiben der Verwaltung A vom 19. Oktober 2005 vor, nach dem sie zum einen spätestens seit 1988 die gleichen Leistungen erbracht bzw. die gleichen Tätigkeiten ausgeführt habe wie die Pflegestationen (Sozialstationen) aus dem Kreis der Liga der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin und zum anderen sie bzw. ihr Unternehmen in sozialrechtlicher Hinsicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt worden sei.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage überwiegend statt. Es führte aus, die im Streitjahr 1993 bis zum 1. Oktober ausgeführten Umsätze der Klägerin seien, soweit sie auf die Behandlungspflege entfielen, gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei; deren Anteil schätzte das FG auf der Grundlage von Berechnungen, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hatte, auf 75 %.
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Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 könne die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG beanspruchen. Ab diesem Zeitraum seien mindestens zwei Drittel dieser Umsätze auf Personen entfallen, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden seien. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen sei.
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Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 624.
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Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG.
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Die Klägerin hingegen beruft sich für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG).
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Der Senat hat mit Beschluss vom 2. März 2011 XI R 47/07 (BFHE 232, 568, BStBl II 2012, 699) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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„1. Erlauben es Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und/oder Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG dem nationalen Gesetzgeber, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen ‚im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind‘ (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG)?
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2. Ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG)?“
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Der EuGH hat diese Fragen mit Urteil vom 15. November 2012 C-174/11 –Zimmermann– (Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2013, 35, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2013, 84) wie folgt beantwortet:
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„Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verbietet es bei einer Auslegung im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung der von gewerblichen Leistungserbringern erbrachten ambulanten Pflege von einer Bedingung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird, nach der die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, wenn diese Bedingung nicht geeignet ist, im Rahmen der für die Zwecke dieser Vorschrift erfolgenden Anerkennung des sozialen Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, die Gleichbehandlung zu gewährleisten.“
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Das FA hat sich zur Entscheidung des EuGH nicht geäußert.
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Die Klägerin sieht ihre Rechtsauffassung bestätigt.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das FG die Klagestattgabe für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 1994 auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die streitigen Umsätze der Klägerin von der Steuer befreit sind.
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1. Der Senat versteht das Revisionsbegehren des FA trotz dessen (umfassenden) Antrags, die Klage insgesamt abzuweisen, unter Zugrundelegung der Revisionsbegründung dahingehend, dass das FG-Urteil nur insoweit angegriffen werden soll, als das FG seine Klagestattgabe –für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994– auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.
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Soweit das FG entschieden hat, die im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1993 ausgeführten Umsätze der Klägerin seien bei einem (geschätzten) Anteil der Behandlungspflege von 75 % nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei, hat das FA keine Rechts- oder Verfahrensfehler geltend gemacht.
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Dass Leistungen der Behandlungspflege (nicht aber Leistungen der Grundpflege und der haushaltswirtschaftlichen Versorgung) durch dazu qualifiziertes Krankenpflegepersonal nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei sind, entspricht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (vgl. z.B. Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849; Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 10. September 2002 C-141/00 –Kügler–, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30).
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2. a) Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG in der in den Streitjahren 1993 und 1994 geltenden Fassung waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a. „die mit dem Betrieb … der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenna) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden“ –was im Streitfall ausscheidet– „oder…

e) … im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind“.

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b) Die Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG –nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach befreien unbeschadet sonstiger Vorschriften „die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:…g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialen Charakter anerkannte Einrichtungen“.
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Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG –nunmehr Art. 133 MwStSystRL– können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung näher bezeichneter Bedingungen abhängig machen.
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3. Die streitbefangenen Leistungen der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei.
27
Zwar hat das FG für den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die Klägerin zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen worden ist, und dass in dem im Revisionsverfahren allein noch verbliebenen Streitzeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 mindestens zwei Drittel ihrer Umsätze auf Personen entfallen sind, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden sind. Der Tatbestand des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ist jedoch insoweit nicht erfüllt, als die Pflegekosten nicht „im vorangegangenen Kalenderjahr“ in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.
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4. Für die Steuerfreiheit der streitbefangenen Leistungen kann sich die Klägerin jedoch mit Erfolg unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen (vgl. dazu EuGH-Urteil –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 32; BFH-Urteile vom 18. August 2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143; vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08, BFHE 232, 232).
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a) Die Klägerin hat in Ausübung der ambulanten Pflege eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG erbracht (vgl. EuGH-Urteile –Kügler– in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, Rz 44; –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 22 bis 24). Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
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b) Bei der Klägerin handelt es sich zudem um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG.
31
aa) Vorgenannte Vorschrift legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen (EuGH-Urteile vom 26. Mai 2005 C-498/03 –Kingscrest Associates und Montecello–, Slg. 2005, I-4427, UR 2005, 453, Rz 49, 51; –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 26).
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Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist (EuGH-Urteile –Kügler– in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, Rz 61; –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 32).
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bb) Nach dem EuGH-Urteil –Zimmermann– (UR 2013, 35, HFR 2013, 84) geht es vorliegend im Wesentlichen darum, ob die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) bei der Ausgestaltung der Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens beachtet hat (vgl. Rz 28; s.a. EuGH-Urteil –Kügler– in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, Rz 55). Ficht ein Steuerpflichtiger die Anerkennung oder die Nichtanerkennung der Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG an, haben die nationalen Gerichte demgemäß zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen in diesem Artikel eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, einschließlich insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt (EuGH-Urteile –Kügler– in Slg. 2002, I-6833, BFH/NV Beilage 2003, 30, Rz 56; –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 33).
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cc) Hierzu führt der EuGH in seinem Urteil –Zimmermann– (UR 2013, 35, HFR 2013, 84) näher aus:
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„31
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht jedoch hervor, dass es bei der Bestimmung der Einrichtungen, deren ’sozialer Charakter‘ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist, Sache der nationalen Behörden ist, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften – seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit –, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Kügler, Randnrn. 57 und 58, und Kingscrest Associates und Montecello, Randnr. 53, sowie entsprechend Urteile vom 6. November 2003, Dornier, C-45/01, Slg. 2003, I-12911, Randnrn. 72 und 73, L. u. P., Randnr. 53, und CopyGene, Randnrn. 65 und 71)….
35
Was zunächst die Zwei-Drittel-Grenze betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung die Tatsache, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, einen Gesichtspunkt darstellt, der bei der Festlegung der Einrichtungen berücksichtigt werden kann, deren ’sozialer Charakter‘ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist.
37
Entsprechend ist das Erfordernis einer wie im Ausgangsverfahren auf zwei Drittel der Fälle festgesetzten Schwelle für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zu beurteilen. Durch das Erfordernis einer solchen Schwelle wird nämlich auf ähnliche Weise dem Bedürfnis entsprochen, bei der Anwendung dieser Vorschrift den sozialen Charakter von Einrichtungen anzuerkennen. Ebenso überschreitet ein Mitgliedstaat das ihm nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zustehende Ermessen grundsätzlich nicht dadurch, dass er auch im Zusammenhang mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung verlangt, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen….
40
… ist es erforderlichenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob in den Situationen, in denen von Beginn der betreffenden Tätigkeiten an der ’soziale Charakter‘ im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie nach der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung anzuerkennen wäre, die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, zur Folge hat, dass hinsichtlich des ersten Kalenderjahrs dieser Tätigkeiten oder sogar ihrer ersten beiden Kalenderjahre die Anerkennung des ’sozialen Charakters‘ des betreffenden Leistungserbringers im Sinne dieser Vorschrift automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen ist.
41
Soweit die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, dies zur Folge hätte, kann sie nicht auf der Grundlage des Einleitungssatzes von Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gerechtfertigt werden.“
36
dd) Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat Deutschland bei der Ausgestaltung der Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens nicht beachtet.
37
Zwar hat der EuGH im Urteil –Zimmermann– (UR 2013, 35, HFR 2013, 84) die Zwei-Drittel-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sowie die dort normierte Bedingung, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen, ausdrücklich gebilligt. Durch die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierte Pflicht, diesbezüglich jeweils auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, würde jedoch die Anerkennung des „sozialen Charakters“ der Klägerin für den Streitzeitraum, in dem sie dem Grunde nach Umsätze i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ausführte, automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen. Hierfür bietet Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG keine Grundlage (EuGH-Urteil –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 40, 41).
38
Aus den Ausführungen des EuGH ergibt sich ferner, dass insofern auf die Tätigkeit der Klägerin im Zeitraum ab dem 1. Oktober 1993 abzustellen ist, ab dem die Zwei-Drittel-Grenze erfüllt ist, und nicht auf das Kalenderjahr 1993.
39
c) Die Steuerbefreiung der streitigen Leistungen ist nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen.
40
aa) Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG sind von der Steuerbefreiung Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten nicht unerlässlich sind (vgl. EuGH-Urteil –Zimmermann– in UR 2013, 35, HFR 2013, 84, Rz 61, m.w.N.).
41
Vorliegend ist weder durch das FG festgestellt noch überhaupt vom FA geltend gemacht, dass die Klägerin solche von der Steuerbefreiung ausgeschlossenen Dienstleistungen getätigt hätte.
42
bb) Hinsichtlich Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG, nach dem Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von der in Art. 13 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen sind, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden, sind diese Voraussetzungen für einen Ausschluss der Steuerbefreiung weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die elektronische Lohnsteuerkarte ist erfolgreich gestartet

Viele Arbeitgeber steigen jetzt in das Verfahren ein
Die Papier-Lohnsteuerkarte wurde durch die elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) abgelöst. Das ELStAM-Verfahren, das
auch als elektronische Lohnsteuerkarte bezeichnet wird, ist zum 1. Januar 2013
erfolgreich gestartet. Bis jetzt sind in Baden-Württemberg ca. 100.000
Arbeitgeber in das elektronische Verfahren eingestiegen. Damit wird in Baden-
Württemberg bereits für ca. 2,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
der Lohnsteuerabzug papierlos durchgeführt.
Arbeitgeber sind verpflichtet, im Lauf des Jahres 2013 für die Lohnabrechnungen
in das elektronische Verfahren einzusteigen. Um die Vorteile des papierlosen
Verfahrens zeitnah nutzen zu können, empfiehlt sich, nicht bis zum Jahresende
mit dem Einstieg zu warten. Durch einen frühzeitigen Start können Arbeitgeber
auch einem möglichen größeren Andrang bei den Anmeldungen zum Ende des
Kalenderjahres entgehen.
Um insbesondere größeren Arbeitgebern den Umstieg in das ELStAM-Verfahren
zu erleichtern, besteht die Möglichkeit, die Arbeitnehmer im Einführungszeitraum
2013 auch verteilt in mehreren Gruppen anzumelden.
Umfangreiche Informationen zum ELStAM-Verfahren sowie Leitfäden für
Arbeitgeber sind unter www.fa-baden-wuerttemberg.de zu finden.

Quelle: OFD Baden-Württemberg, Pressemitteilung 4/2013

 

 

Hygienefachkrankenpfleger erbringt umsatzsteuerfreie Leistungen

Bereits mit Urteil vom 13. Dezember 2011 (Az. 15 K 4458/08 U) hat der 15. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass ein selbständiger Hygienefachkrankenpfleger gegenüber Krankenhäusern und Altenheimen steuerfreie Heilbehandlungsleistungen erbringt. Gegen dieses Urteil hat der Bundesfinanzhof jetzt die Revision zugelassen, die dort unter dem Aktenzeichen XI R 11/13 anhängig ist.

Der Kläger ist Fachkrankenpfleger für Krankenhaushygiene. Im Rahmen dieser Tätigkeit berät er insbesondere Krankenhäuser und Altenheime, erstellt Hygienekonzepte und -pläne und führt Fortbildungsveranstaltungen durch. Das Finanzamt behandelte diese Leistungen als umsatzsteuerpflichtig, während der Kläger die Steuerfreiheit seiner Tätigkeiten als Heilbehandlungen beanspruchte.

Der Senat gab der Klage statt. Zu den umsatzsteuerfreien Heilbehandlungen gehörten auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden. Dementsprechend stellten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch infektionshygienische Leistungen eines Arztes Heilbehandlungen dar. Dass der Kläger kein Arzt sei, stehe der Steuerbefreiung nicht entgegen, weil er als Fachkrankenpfleger eine ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG ausübe. Da auch Altenheime der infektionshygienischen Überwachung unterlägen, erstrecke sich die Steuerbefreiung auch auf diesen Tätigkeitsbereich des Klägers.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.05.2013 aus Newsletter 05/2013 zum Urteil 15 K 4458/08 U vom 13.12.2011