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Ansparrücklage: Voraussetzungen für das Vorliegen einer wesentlichen Betriebserweiterung, Konkretisierung der geplanten Investition, Erweiterung einer bestehenden Photovoltaikanlage

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 31.1.2013, III R 15/10

Ansparrücklage: Voraussetzungen für das Vorliegen einer wesentlichen Betriebserweiterung, Konkretisierung der geplanten Investition, Erweiterung einer bestehenden Photovoltaikanlage – Bindung an das Klagebegehren – Ausübung des Ehegattenveranlagungswahlrechts

Tatbestand

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I. Der verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beantragte in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2005 (Streitjahr) die getrennte Veranlagung und erklärte neben anderen Einkünften einen gewerblichen Verlust aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage in Höhe von 24.869 EUR. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) führte eine getrennte Veranlagung durch und setzte die Einkommensteuer mit Bescheid vom 31. März 2006 (Ursprungsbescheid) erklärungsgemäß auf 3.771 EUR fest.
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Danach führte das FA beim Kläger eine steuerliche Außenprüfung durch (Einkommensteuer 2003 bis 2005, Umsatzsteuer 2005 und Gewerbesteuer 2005). Im Prüfungsbericht vom 21. Februar 2007 hieß es u.a., dass für die im November 2005 angeschaffte Photovoltaikanlage anstelle der geltend gemachten Absetzung für Abnutzung (AfA) in Höhe von 738,47 EUR lediglich eine AfA in Höhe von 369,44 EUR abzuziehen sei. Im Übrigen sei die für die geplante Erweiterung der Photovoltaikanlage gebildete Ansparrücklage in Höhe von 24.000 EUR nicht anzuerkennen. Die bestehende Kapazität der Anlage von 4,81 kWp solle um 15 kWp ausgeweitet werden. Damit liege eine wesentliche Betriebserweiterung vor. In einem solchen Fall könne die Rücklage nur bei einer verbindlichen Bestellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen gebildet werden. Dies sei bisher jedoch nicht geschehen.
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Daraufhin korrigierte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 2005 u.a. in diesen Punkten nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und erhöhte mit Änderungsbescheid vom 15. März 2007 die Einkommensteuer 2005 auf 12.144 EUR, ohne die gebildete Ansparrücklage zu berücksichtigen. Mit dem dagegen eingelegten Einspruch beantragte der Kläger zum einen, ihn mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen, zum anderen, die gebildete Rücklage bzw. den sich hieraus ergebenden Betriebsausgabenabzug anzuerkennen. Der Einspruch blieb erfolglos. Eine Zusammenveranlagung komme nicht in Betracht, da die Ehefrau bisher weder die getrennte Veranlagung widerrufen habe noch eine gemeinsame Einkommensteuererklärung eingereicht worden sei. Die Ansparrücklage könne nicht anerkannt werden, weil es an der verbindlichen Bestellung der Photovoltaikanlage fehle. Eine solche wäre aber bei der im Streitfall gegebenen Situation einer wesentlichen Betriebserweiterung erforderlich gewesen.
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Während des anschließenden Klageverfahrens, mit dem der Kläger weiterhin die Zusammenveranlagung und die Berücksichtigung der Ansparrücklage begehrte, erließ das FA nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus nicht streitbefangenen Gründen mit Datum vom 13. März 2008 einen weiteren –den Kläger getrennt veranlagenden– Änderungsbescheid für 2005. Ebenso reichte der Kläger im Klageverfahren eine von ihm und seiner Ehefrau unterschriebene Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 950 veröffentlichten Urteil statt. In dem Tenor des FG-Urteils heißt es u.a. wörtlich: „Der Änderungsbescheid 2005 vom 13.03.2008 wird dahingehend geändert, dass im Rahmen einer Zusammenveranlagung bei den gewerblichen Einkünften zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR aus der Ansparrücklage berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.“
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Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die geplante Erweiterung der bestehenden Photovoltaikanlage sei –auch ohne verbindliche Bestellung– gemäß § 7g des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG a.F.) aufgrund der im Abzugsjahr erfolgten Maßnahmen bereits hinreichend konkretisiert gewesen. Daneben habe das FA den Kläger mit seiner Ehefrau zusammen zu veranlagen, da auch die Ehefrau im Klageverfahren mit der Unterschrift auf der gemeinsamen Einkommensteuererklärung zur Zusammenveranlagung ihren Antrag auf getrennte Veranlagung widerrufen habe.
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Das FA rügt mit seiner Revision, das FG habe durch seine Entscheidung § 7g EStG a.F. verletzt. Im Streitfall liege eine wesentliche Betriebserweiterung mit der Folge vor, dass für eine hinreichende Konkretisierung der geplanten Investition eine verbindliche Bestellung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zu fordern sei. Bereits die Steigerung der Kapazität von 4,81 kWp um 11,88 kWp auf eine Gesamtleistung von 16,69 kWp (Erhöhung um ca. 350 %) stelle eine wesentliche Betriebserweiterung dar. Eine wesentliche Betriebserweiterung liege aber auch deshalb vor, weil infolge der Errichtung der Erweiterungsanlage auf einem anderen Dach als dem, auf dem sich die ursprüngliche Anlage befinde, eine neue Betriebsstätte i.S. des § 12 AO begründet worden sei. Dies stelle nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 16. November 2004 IV B 2 -S 2183b- 13/04 (BStBl I 2004, 1063) eine wesentliche Betriebserweiterung dar.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
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1. Das FG-Urteil ist bereits deshalb aufzuheben, weil das FG seiner Entscheidung ein Klagebegehren zugrunde gelegt hat, das mit dem tatsächlichen Begehren des Klägers nicht übereinstimmt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
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a) Zur Grundordnung des Verfahrens gehört der Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren, der für das finanzgerichtliche Verfahren in § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zum Ausdruck kommt. Nach diesem Grundsatz darf das Gericht nicht über das Klagebegehren, das regelmäßig im Klageantrag seinen formgerechten Ausdruck findet, hinausgehen. Es darf dabei dem Kläger nicht mehr oder etwas anderes zusprechen, als er begehrt (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 13. Dezember 1994 VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697, m.w.N.). Dabei ist das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO nicht an die Fassung des Klageantrags gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der Partei anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln. Das Wesen der Klage wird nicht durch den –formalen– Klageantrag bestimmt, sondern durch den begehrten richterlichen Ausspruch (Senatsurteil vom 27. Januar 2011 III R 65/09, BFH/NV 2011, 991).
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b) Das FG hat den Klageantrag des Klägers zu Unrecht dahingehend ausgelegt, dass er im Wege der Anfechtungsklage sowohl die Zusammenveranlagung als auch die Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR begehre und dies dem Kläger nach dem Tenor des Urteils auch zugesprochen.
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Der Kläger hat ausweislich des Sitzungsprotokolls beantragt, „den Änderungsbescheid 2005 vom 13.03.2008 dahingehend zu ändern, dass im Rahmen einer Zusammenveranlagung bei den gewerblichen Einkünften zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR aus der Ansparrücklage berücksichtigt werden“. Auch sonst hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht, dass er nicht nur die Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR, sondern auch die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau begehre. Bei dem auf Durchführung der Zusammenveranlagung gerichteten Begehren handelt es sich aber nicht um eine Änderung eines bereits ergangenen Veranlagungsbescheids; vielmehr bedarf es eines erneuten Veranlagungsverfahrens (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 35/02, BFH/NV 2005, 60, m.w.N.). Demnach ist die nach vorausgegangener getrennter Veranlagung auf Zusammenveranlagung gerichtete Klage eine Verpflichtungsklage, nach der das FG, wenn es die Klage für begründet hält, den begehrten Verwaltungsakt nicht selbst erlässt (§ 101 FGO). Im Übrigen schließt ein solches Begehren das Ziel mit ein, den im Wege der getrennten Veranlagung ergangenen Steuerbescheid aufzuheben (BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487).
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Gleichwohl hat das FG in dem angegriffenen Urteil –wie dem Tenor der Entscheidung zu entnehmen ist– den verfahrensgegenständlichen Änderungsbescheid 2005 vom 13. März 2008 selbst dahingehend abgeändert, dass im Rahmen einer Zusammenveranlagung bei den gewerblichen Einkünften zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR aus der Ansparrücklage zu berücksichtigen seien, und dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgegeben, die Steuer zu berechnen.
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2. Die von dem Kläger erhobene Verpflichtungsklage, welche inhaltlich nicht nur darauf gerichtet war, eine Zusammenveranlagung durchzuführen, sondern die nach §§ 26, 26b EStG begehrte Veranlagung unter Berücksichtigung bestimmter im Änderungsbescheid versagter Abzugsbeträge (hier Betriebsausgaben) bei im Übrigen fortbestehender Geltung der bisherigen Besteuerungsgrundlagen vorzunehmen, ist zulässig.
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a) Wird das Veranlagungswahlrecht nach einer Änderungsfestsetzung durch die Ehegatten neu ausgeübt, löst diese Wahl zwar die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG aus. Danach ist der Bescheid über die getrennte Veranlagung (§ 26a EStG) –ohne dass bezüglich der geänderten Wahlrechtsausübung die Beschränkung des § 351 Abs. 1 AO eingreift (Senatsurteil vom 25. Juni 1993 III R 32/91, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824)– insoweit zu ändern, als er durch die nunmehr durchzuführende Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) rechtswidrig geworden ist. Im Übrigen bleiben aber die Besteuerungsgrundlagen unberührt (Senatsurteil in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824). Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige und das FA an die von der Änderungsvorschrift nicht betroffenen Besteuerungsgrundlagen gebunden bleiben (Schmidt/Seeger, EStG, 31. Aufl., § 26 Rz 31, 25).
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Wäre dem Steuerpflichtigen in einem solchen Fall mit seiner Verpflichtungsklage auf Zusammenveranlagung die Möglichkeit versagt, sich bereits gegen eine durch den Änderungsbescheid korrigierte Besteuerungsgrundlage zu wenden, müsste er zunächst deren Übernahme in den Zusammenveranlagungsbescheid abwarten, um im Rahmen einer hiergegen gerichteten Anfechtungsklage die Herabsetzung der Einkommensteuerfestsetzung zu erreichen (§ 100 Abs. 2 FGO). Ein solcher Umweg ist aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen. Es ist daher sachgerecht, dem Gericht in diesem Fall die Befugnis nach § 101 FGO zuzusprechen, das FA auch zu verpflichten, die Zusammenveranlagung unter Berücksichtigung bestimmter, durch den Änderungsbescheid versagter Abzugsbeträge vorzunehmen. Dieses Vorgehen dient der zügigen Erledigung des Rechtsstreits und beugt einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vor. Das FG greift hiermit auch nicht unzulässig in die der Verwaltung zustehenden Funktionen ein (s. unten II.4.a).
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Allerdings findet bei einer solchen Verpflichtungsklage § 42 FGO (i.V.m. § 351 Abs. 1 AO) analoge Anwendung. Der Steuerpflichtige könnte die nach erneuter Ausübung des Veranlagungswahlrechts ergehenden Steuerbescheide –hier den Zusammenveranlagungsbescheid– nicht in vollem Umfang anfechten. Hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen käme im Verhältnis zum Ursprungsbescheid § 351 Abs. 1 AO zur Anwendung (Senatsurteil in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824). Dies bedeutet, dass der Steuerpflichtige nur die im Verhältnis zum Ursprungsbescheid erfolgte Verschlechterung (Änderung) anfechten könnte. Das FG kann das Anfechtungsbegehren nur in den Grenzen des § 351 Abs. 1 AO erneut überprüfen. Gleiches muss für eine auf Durchführung der Zusammenveranlagung gerichtete Verpflichtungsklage gelten, mit der zugleich die bei Reduzierung einer durch den Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ausgelösten Verschlechterung begehrt wird.
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b) Nach diesen Grundsätzen war die vom Kläger erhobene Klage zulässig. Er strebt mit seiner Verpflichtungsklage über die bloße Durchführung einer Zusammenveranlagung hinaus an, dass im Rahmen dieser Veranlagung die durch den Änderungsbescheid vom 15. März 2007 bzw. 13. März 2008 ausgelöste Steuererhöhung insoweit beseitigt wird, als Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR nicht berücksichtigt wurden. Damit bewegt er sich mit seiner Verpflichtungsklage in den Grenzen des analog anzuwendenden § 42 FGO. Im Übrigen hat der Kläger dieses Begehren auch bereits erfolglos mit dem Einspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15. März 2007 geltend gemacht und damit das nach § 44 Abs. 1 FGO erforderliche Vorverfahren durchgeführt.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif.
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a) Der Kläger hat zwar wirksam das Wahlrecht auf Zusammenveranlagung ausgeübt.
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So haben im Streitfall unstreitig die Voraussetzungen des Veranlagungswahlrechts nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG vorgelegen. Dieses Wahlrecht kann auch noch –wie hier– im Rahmen einer Änderungsveranlagung neu ausgeübt werden (Senatsurteil in BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824). Dies setzt zwar voraus, dass der die erneute Wahlrechtsausübung eröffnende Änderungsbescheid bestehen bleibt (Senatsurteil vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123). Da jedoch der Änderungsbescheid vom 15. März 2007 neben der angegriffenen Versagung der Ansparrücklage auch andere Korrekturen enthalten hat, würde im Streitfall eine Änderung selbst dann verbleiben, wenn dem Kläger die Ansparrücklage zustünde. Im Übrigen ist während des Klageverfahrens (mit Datum vom 13. März 2008) ein weiterer Änderungsbescheid ergangen. Schließlich haben der Kläger und seine Ehefrau die Zusammenveranlagung rechtswirksam durch die Einreichung einer von beiden Ehegatten unterschriebenen Einkommensteuererklärung ausgeübt (§ 26 Abs. 2 Satz 3, § 25 Abs. 3 Satz 5 EStG).
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b) Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen kann aber nicht abschließend geprüft werden, ob in der noch durchzuführenden Zusammenveranlagung bei den gewerblichen Einkünften des Klägers –wie bereits in dem Ursprungsbescheid– weitere Betriebsausgaben in Höhe von 24.000 EUR zu berücksichtigen sind. Dies wäre zu bejahen, wenn das FA zu der in diesem Punkt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgten Korrektur nicht berechtigt gewesen wäre; für diesen Fall müsste das FA die Besteuerungsgrundlagen aus dem Ursprungsbescheid übernehmen. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
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Im Streitfall ist das FG davon ausgegangen, dass der vom FA ermittelte Sachverhalt keine Einkommensteuererhöhung ausgelöst hat. Der Kläger habe im Streitjahr zu Recht eine Ansparrücklage gebildet, weil die geplante Erweiterung der Photovoltaikanlage –auch ohne das Vorhandensein einer verbindlichen Bestellung– durch die im Streitjahr erfolgten Maßnahmen bereits hinreichend konkretisiert gewesen sei. Dieser Auffassung kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden.
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aa) Der Senat hält ausdrücklich an der bisherigen Rechtsprechung des BFH zu § 7g EStG a.F. fest, wonach bei einer wesentlichen Betriebserweiterung die geplante Investition erst dann hinreichend konkretisiert ist, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen verbindlich bestellt worden sind (z.B. BFH-Urteile vom 15. September 2010 X R 21/08, BFH/NV 2011, 235, und X R 22/08, BFH/NV 2011, 238, jeweils m.w.N.).
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Nach § 7g Abs. 3 bis 5 EStG a.F. können Steuerpflichtige, die den Gewinn durch Bestandsvergleich ermitteln, für die künftige Anschaffung oder Herstellung eines neuen beweglichen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens eine den Gewinn mindernde Rücklage bilden. Die Rücklage darf dabei 40 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des begünstigten Wirtschaftsguts nicht überschreiten, das der Steuerpflichtige „voraussichtlich bis zum Ende des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs anschaffen oder herstellen wird“. Ermittelt der Steuerpflichtige –wie im Streitfall– den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG, so sind gemäß § 7g Abs. 6 EStG a.F. die Abs. 3 bis 5 mit Ausnahme von Abs. 3 Nr. 1 mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Bildung der Rücklage als Betriebsausgabe (Abzug) und ihre spätere Auflösung als Betriebseinnahme (Zuschlag) zu behandeln ist. Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass in der Situation der Betriebseröffnung von einer hinreichenden Konkretisierung des Investitionsvorhabens mit Blick auf die wesentlichen Betriebsgrundlagen erst dann ausgegangen werden kann, wenn diese Wirtschaftsgüter verbindlich bestellt worden sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235; in BFH/NV 2011, 238, jeweils m.w.N.). Die verbindliche Bestellung muss bis zum Ende des Wirtschaftsjahrs der Bildung der Ansparrücklage bzw. der Vornahme des Betriebsausgabenabzugs erfolgt sein (z.B. BFH-Urteil vom 19. September 2002 X R 51/00, BFHE 200, 343, BStBl II 2004, 184). Die in der Phase der Betriebseröffnung geltenden strengeren Anforderungen an die Konkretisierung der geplanten Investitionen gelten gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige durch diese Investitionen eine „wesentliche Erweiterung“ seines bereits bestehenden Betriebs plant (BFH-Urteil vom 17. November 2004 X R 38/02, BFH/NV 2005, 846). Eine solche wesentliche Erweiterung ist in Betracht zu ziehen, wenn der Steuerpflichtige seinen Unternehmensgegenstand auf einen weiteren Geschäftszweig ausdehnen will oder eine „wesentliche“ (außerordentliche) Kapazitätserweiterung plant (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235, und in BFH/NV 2011, 238, jeweils m.w.N.).
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bb) Unter welchen Umständen bei der Bildung einer Ansparrücklage von einer wesentlichen Betriebserweiterung auszugehen ist, bestimmt sich nach steuerlichen Maßstäben (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235, und in BFH/NV 2011, 238). In Anbetracht der erheblichen Konsequenzen der Gleichsetzung von Betriebseröffnung und Betriebserweiterung im Bereich der Ansparabschreibung besteht daher Einvernehmen darüber, dass das Merkmal einer wesentlichen Betriebserweiterung restriktiv auszulegen ist (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235, und in BFH/NV 2011, 238).
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(1) Danach liegt eine wesentliche Betriebserweiterung infolge einer Kapazitätserweiterung nur dann vor, wenn eine „wesentliche“ und „außerordentliche“ Kapazitätserweiterung eintreten soll. Es müssen sprunghafte Erweiterungen von außerordentlicher Art und wesentlicher Bedeutung geplant sein, die zu einer Diskontinuität in der Entwicklung des Unternehmens führen (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235, und in BFH/NV 2011, 238, jeweils m.w.N.). Dies bedeutet, dass erhebliche quantitative Auswirkungen auf das bisherige Unternehmen zu fordern sind. Dabei sind verschiedene Kriterien heranzuziehen, um beurteilen zu können, ob im Einzelfall eine wesentliche Betriebserweiterung vorliegt. Es sind u.a. die absolute Höhe der geplanten Investition und ihr Anteil an dem Anlagevermögen des Gesamtunternehmens (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 846), die mögliche Veränderung der Eigenkapitalstruktur und die Umsatzentwicklung sowie die Gewinnerwartung zu berücksichtigen (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 235, und in BFH/NV 2011, 238). Ebenso sind die Auswirkungen auf die Kostenstruktur und unter Umständen notwendig werdende organisatorische und personelle Anpassungsmaßnahmen u.ä. einzubeziehen. Den einzelnen Kriterien kann je nach Einzelfall ein unterschiedliches Gewicht beizumessen sein.
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(2) Entgegen der Auffassung des FA ist daher nicht allein deshalb eine wesentliche Betriebserweiterung gegeben, weil sich aufgrund der geplanten Investition die Gesamtleistung der Anlage auf das 3- bis 4-fache erhöhen soll. Hierbei handelt es sich zwar um ein bei der Prüfung zu berücksichtigendes Kriterium. Allein hieraus lässt sich aber noch nicht der Schluss ziehen, dass die geplante Investition zu einer Diskontinuität in der Entwicklung des Unternehmens führt. Im Übrigen ist vorstellbar, dass im Einzelfall auch erhebliche Leistungssteigerungen bei einem geringen Investitionsvolumen durch technische Weiterentwicklungen bedingt sind. Dem FA kann auch nicht darin gefolgt werden, dass eine wesentliche Betriebserweiterung bereits dann vorliegt, wenn ggf. durch die geplante Investition eine neue Betriebstätte nach § 12 AO entsteht. Eine Betriebstätte ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient (§ 12 Satz 1 AO). Bereits aus dieser Definition des Betriebstättenbegriffs folgt, dass die Gründung einer neuen Betriebstätte nicht zwangsläufig zu einer wesentlichen Betriebserweiterung führen muss. So ist das für die Annahme einer wesentlichen Betriebserweiterung konstitutive Merkmal des Vorhandenseins erheblicher quantitativer Auswirkungen bedeutungslos für die Frage, ob eine neue Betriebstätte gegeben ist.
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cc) Das FG hat diese Grundsätze unzutreffend auf den vorliegenden Fall angewendet. Es hat unabhängig davon, ob eine wesentliche Betriebserweiterung geplant war, die Maßnahmen im Streitjahr –auch ohne das Vorhandensein einer verbindlichen Bestellung– als ausreichend für die Inanspruchnahme des Betriebsausgabenabzugs angesehen.
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Dem Senat ist auf der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen keine abschließende Entscheidung darüber möglich, ob eine wesentliche Betriebserweiterung geplant war. Er hätte zwar keine Bedenken, der vorinstanzlichen Entscheidung zu entnehmen, dass die absolute Höhe der geplanten Investition 60.000 EUR betrug und hierdurch das bisherige Anlagevermögen (Anschaffungskosten im November/Dezember 2005: 22.166,47 EUR) um das rd. Dreifache erhöht werden sollte. Dies ergibt sich aus dem in der „Anlage GSE 2005 Photovoltaikanlage“ und dem in der Anlage EÜR 2005 enthaltenen Zahlenwerk, welches als Bestandteil der Steuererklärung ohne weiteres Gegenstand der vom FG nach § 118 Abs. 2 FGO getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist (BFH-Urteil vom 10. Mai 1968 VI R 7/66, BFHE 92, 333, BStBl II 1968, 589; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 37). Das FG-Urteil enthält darüber hinaus aber keine Feststellungen zu der Frage, welche weiteren quantitativen Auswirkungen die geplante Investition auf das bisherige Unternehmen haben könnte.
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4. Die Streitsache wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zur Herbeiführung der Spruchreife nach § 101 Satz 1 FGO zurückverwiesen.
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a) Der Senat sieht sich an einer Zurückverweisung nicht deshalb gehindert, weil es dem FG aus Rechtsgründen versagt wäre, die Spruchreife im Rahmen des Klagebegehrens (Streitgegenstands) herbeizuführen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es zwar nicht Aufgabe der Gerichte, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Insbesondere darf das FG nicht von der Finanzverwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1983 IV R 170/81, BFHE 139, 553, BStBl II 1984, 200; vom 7. April 1987 IX R 103/85, BFHE 150, 124, BStBl II 1987, 707). Eine solche Situation ist hier jedoch nicht gegeben. Die Einkommensteuerfestsetzung wird nur insoweit inhaltlich überprüft, als der Kläger zulässigerweise in den Grenzen des § 351 Abs. 1 AO analog mit seiner Verpflichtungsklage inhaltlich eine im Vergleich zum Änderungsbescheid abweichende Berücksichtigung von Abzugsbeträgen begehrt. Im Übrigen bleiben die Besteuerungsgrundlagen –abgesehen von den Rechtsfolgen der geänderten Wahlrechtsausübung– unberührt (s. oben II.2.a). Es kommt für den Kläger gerade nicht zu einer Neuaufrollung des gesamten Veranlagungsverfahrens.
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b) Für das weitere Verfahren weist der Senat –ohne Bindungswirkung– auf Folgendes hin:
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Mit Blick auf die absolute Höhe der geplanten Investition (60.000 EUR) und den Wert des bereits vorhandenen Anlagevermögens sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei der Stromeinspeisung durch den Betrieb einer Photovoltaikanlage um eine weitgehend automatisierte Tätigkeit handelt, wäre es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, im Streitfall eine wesentliche Betriebserweiterung zu verneinen, wenn nach den noch zu treffenden tatsächlichen Feststellungen keine weiteren –durch die geplante Investition bedingten– erheblichen quantitativen Auswirkungen ausgelöst wurden, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu einer Diskontinuität in der Unternehmensentwicklung geführt haben. Dabei wird man unter Berücksichtigung der im Streitfall gegebenen Umstände (z.B. weitgehend automatisierte Tätigkeit, absolute Höhe des Investitionsvolumens) den Kriterien Umsatzentwicklung und Gewinnerwartung für die Frage des Vorliegens einer Diskontinuität in der Unternehmensentwicklung eine geringere Bedeutung beimessen können als organisatorischen und/oder personellen Veränderungen.
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Sollten die vom FG noch vorzunehmenden Ermittlungen eine Diskontinuität in der Entwicklung des Unternehmens ergeben, so dass eine wesentliche Betriebserweiterung zu bejahen sein sollte, bliebe noch das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu prüfen. Es müsste daher insbesondere noch untersucht werden, ob es sich bei den ermittelten Tatsachen, die zur Streichung des Betriebsausgabenabzugs nach § 7g Abs. 6 EStG a.F. führten, um solche handelt, die zwar bereits bei Erlass des Ursprungsbescheids vorhanden, dem FA zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bekannt waren (z.B. Klein/ Rüsken, AO, 11. Aufl., § 173 Rz 48 ff.).

Verlust des Rechts, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen – Art 6 Abs 1 EMRK im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.3.2013, VII B 134/12

Verlust des Rechts, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen – Art 6 Abs 1 EMRK im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar

Tatbestand

1
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) hat gegenüber der Bank des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung erlassen. Den dagegen gerichteten Einspruch hat das FA als unbegründet zurückgewiesen; der vom Kläger zudem beantragte Vollstreckungsaufschub wurde nicht gewährt. Nachdem die Drittschuldnerin die Steuerrückstände beglichen hatte, erhob der Kläger mit der Begründung Klage, das FA habe das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
2
Am 9. November 2011 hat die beim Finanzgericht (FG) mit der Sache befasste Berichterstatterin einen Erörterungstermin durchgeführt, zu dem der Kläger mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 Stellung nahm. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung lehnte der Kläger die Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er an, die Berichterstatterin habe ihm auf seinen Hinweis, der Ermessensspielraum sei verkannt worden, entgegnet: „Sie wollen doch keine griechischen Verhältnisse.“
3
Aufgrund der durch die Tilgung der Steuerrückstände eingetretenen Erledigung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und aufgrund des fehlenden Feststellungsinteresses wies das FG die Klage als unzulässig ab. Als unzulässig erachtete das FG auch den Befangenheitsantrag, der rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei. Zudem habe der Kläger ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Stellung des Antrags am 21. Mai 2012 verloren, da er sich zuvor durch Einreichung der Schriftsätze vom 9. Dezember 2011 und vom 13. Januar 2012 in eine Verhandlung eingelassen habe.
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Unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012  2 BvR 615/11 (Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2012, 3228) begehrt der Kläger mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG habe den Antrag auf Ablehnung der Berichterstatterin wegen Besorgnis der Befangenheit nicht als rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig ablehnen dürfen. Deshalb verstoße das Urteil gegen § 45 Abs. 1 und § 44 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 51 FGO, gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes und gegen das Gebot des fairen Verfahrens nach der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Die im Ablehnungsgesuch dargelegten Gründe seien geeignet, bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Berichterstatterin zu wecken, die unsachlich reagiert und unjuristisch argumentiert habe.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zum Teil nicht schlüssig dargelegt ist, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert, jedenfalls aber nicht vorliegt.
7
1. Ein Richter kann gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein derartiges Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Jedoch kann eine Partei gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 43 ZPO einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.
8
a) Ein „Einlassen“ in eine Verhandlung bedeutet jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln unter Mitwirkung eines Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 6. Juli 2005 II R 28/02, BFH/NV 2005, 2027, und vom 28. Juli 1997 III B 56/96, BFH/NV 1998, 184, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 51 Rz 41). Ausreichend ist, wenn in einem Schriftsatz Ausführungen zur Streitsache gemacht werden, auch wenn keine konkreten Anträge gestellt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 184).
9
b) Im Streitfall hat der Kläger nach dem Erörterungstermin im Schriftsatz vom 9. Dezember 2011 Ausführungen zu den von der Vertreterin des FA im Termin geäußerten Rechtsauffassungen in Bezug auf die Ausübung des Entschließungsermessens gemacht. Auch hat der Kläger die Äußerung der Berichterstatterin wiedergegeben, er wolle doch auch keine griechischen Verhältnisse, und abschließend ausgeführt, der Erörterungstermin habe damit bestätigt, dass die Klage zulässig und begründet sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, die zur Kenntnis genommenen und schriftlich festgehaltenen Äußerungen der Berichterstatterin zum Gegenstand eines Befangenheitsantrags zu machen. Dies hat er jedoch unterlassen. In einem weiteren Schriftsatz vom 13. Januar 2012 hat er dem FA geraten, die Klageanträge anzuerkennen und sich vom Finanzminister des Landes Baden-Württemberg fachkundig beraten zu lassen. Auch diesem Schriftsatz ist ein Befangenheitsantrag nicht zu entnehmen. Einen solchen hat der Kläger erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 21. Mai 2012 gestellt. Erst in diesem Schriftsatz hat er zu erkennen gegeben, die Äußerungen der Berichterstatterin werte er als einen Umstand, der bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit hervorrufe.
10
Da der Kläger bereits Monate zuvor zum Ergebnis des Erörterungstermins Stellung genommen hat, ohne konkrete Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Berichterstatterin zu äußern, erweist sich der Befangenheitsantrag nach § 43 ZPO als unzulässig. Das FG hat den Antrag demnach zu Recht abgelehnt und unter Mitwirkung der erfolglos abgelehnten Berichterstatterin in der Sache entschieden. Somit liegt der von der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler nicht vor.
11
2. Ergänzend weist der beschließende Senat darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des BFH Art. 6 Abs. 1 EMRK, der das verfahrensrechtliche Fairnessgebot regelt, aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung im finanzgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finden kann (vgl. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 12. Juli 2001  44759/98, NJW 2002, 3453, und vom 13. Januar 2005  62023/00, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2005, 234, sowie BFH-Beschlüsse vom 21. Februar 2006 I B 32/05, BFH/NV 2006, 1305, und vom 31. Juli 2003 IX E 6/03, BFH/NV 2003, 1603).

Tabaksteuerentstehung beim Schmuggel von Zigaretten in Privatfahrzeugen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.3.2013, VII B 232/12

Tabaksteuerentstehung beim Schmuggel von Zigaretten in Privatfahrzeugen

Tatbestand

1
I. Bei einer Kontrolle des Fahrzeugs des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) stellten Beamte des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt –HZA–) in einem doppelten Boden unter der Rückbank insgesamt 93 200 unversteuerte Zigaretten der Marke X mit ukrainischen Steuerzeichen fest. Der Mitreisende W bekannte sich vor Ort zu den Zigaretten. Aufgrund der Umstände des Aufgriffs sah das HZA den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) als erfüllt an und setzte gegen den Kläger insgesamt 13.020,04 EUR Tabaksteuer fest. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe sein Fahrzeug auf Vermittlung des W in der Ukraine zu einem Wohnmobil umbauen lassen, was W dazu benutzt habe, ohne sein Wissen einen doppelten Boden einzubauen. Nach Deutschland sei er als Halter des Fahrzeugs nur mitgefahren, damit dieses den ukrainischen Zoll habe passieren können.
2
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger habe die aufgefundenen Zigaretten im Steuergebiet erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten, weshalb die Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG entstanden sei. Dabei sei es unbeachtlich, dass er von den Zigaretten keine Kenntnis gehabt habe, denn er habe die Möglichkeit der Sachherrschaft über sein Fahrzeug einschließlich aller darin befindlichen Gegenstände gehabt. Aufgrund der aufgefundenen Menge der Zigaretten sei ein Besitz zu rein persönlichen Gründen auszuschließen.
3
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) und wegen unzureichender Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Zu entscheiden sei über die Frage, ob eine Person als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden könne, obwohl sie keinerlei Kenntnis von dem Sachverhalt gehabt habe, der der Inanspruchnahme als Steuerschuldner zugrunde liege, und infolgedessen die Steuerentstehung auch nicht habe verhindern können. Von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06 (BFHE 218, 469, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern –ZfZ– 2008, 85) zugrunde liegt, unterscheide sich der Streitfall dadurch, dass er, der Kläger, nicht strafrechtlich verurteilt worden sei und keine Ladung als LKW-Fahrer transportiert habe, die er habe kontrollieren und deren Transport habe verhindern können. Sein Besitzwille habe sich folglich nicht auf die von W versteckten Zigaretten erstrecken können, zumal sich W als eigentlich verantwortliche Person im Fahrzeug befunden habe. Deshalb sei es ermessensgerecht, nur diesen als Steuerschuldner heranzuziehen. Weder das HZA noch das FG hätten Ermittlungen zu der Frage angestellt, ob die Zigaretten überhaupt zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden seien. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar. 93 200 Zigaretten verbrauche eine fünfköpfige Familie bei einem Konsum von 20 Zigaretten pro Tag in zweieinhalb Jahren, so dass im Streitfall von einem Verbringen zu privaten Zwecken auszugehen sei.

Entscheidungsgründe

4
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der vom Kläger aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Hinsichtlich des behaupteten Verfahrensmangels genügen die Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
5
1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist. Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, also mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 X B 111/99, BFH/NV 2000, 1461). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1999 IX B 38/99, BFHE 188, 395, BStBl II 1999, 587).
6
So liegt es im Streitfall. Zu Recht hat das FG unter Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85 entschieden, der Kläger habe durch sein Handeln den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 TabStG erfüllt. Danach entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren in anderen als den in § 22 Abs. 1 TabStG genannten Fällen entgegen § 17 Abs. 1 TabStG aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbracht werden, in dem Zeitpunkt, in dem die Tabakwaren erstmals zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten werden. Entgegen der Auffassung der Beschwerde lassen sich die Grundsätze, die der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85 zur Auslegung der Vorgängervorschrift des § 19 TabStG a.F. aufgestellt hat, auch auf den Streitfall übertragen. Nach der Rechtsprechung des Senats, die zu überdenken der Streitfall keinen Anlass gibt, liegt es auf der Hand, dass der Führer eines Fahrzeugs die Möglichkeit der Sachherrschaft über sein Fahrzeug und alle in ihm befindlichen Gegenstände hat. Eine Einschränkung hat der Senat allenfalls in Bezug auf das persönliche Gepäck von Mitreisenden in Betracht gezogen, wobei er in diesem Zusammenhang von in einer Besitzenklave aufbewahrten Sachen ausgegangen ist. Im Streitfall befanden sich die Zigaretten jedoch nicht in den von W mitgeführten persönlichen Behältnissen, sondern in einem in das Fahrzeug eingebauten doppelten Boden. Selbst wenn der Kläger tatsächlich keine Kenntnis von den Zigaretten gehabt haben sollte, können diese nicht als im persönlichen Gepäck des W befindlich angesehen werden, zumal dieser daran gehindert gewesen wäre, das in das Fahrzeug integrierte Versteck samt den Zigaretten beim Verlassen des Fahrzeugs ohne weiteres zu entfernen.
7
Somit ist davon auszugehen, dass sich der Besitzwille des Klägers nicht nur auf sein Fahrzeug, sondern auch auf alle in ihm befindlichen Gegenstände –einschließlich der im unerkannten Versteck aufbewahrten Zigaretten– und damit auf eine Gesamtheit von Fahrzeug und Inhalt erstreckt hat. Wie der beschließende Senat bereits entschieden hat, bezieht sich der Besitz im Sinne einer von Besitzwillen getragenen Sachherrschaft auf die in einem Raum oder in einem Behältnis wie einem LKW befindlichen Sachen. Bei dieser Betrachtung besteht kein Grund, zwischen einem LKW und einem zu privaten Zwecken genutzten PKW zu unterscheiden. Denn bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners geht es dem Unionsrecht und auch dem nationalen Verbrauchsteuerrecht darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen Obhut sich eine Ware befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann.
8
2. Soweit die Beschwerde eine Verletzung der dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht darin erblicken will, dass das FG nicht ermittelt hat, ob die Zigaretten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht worden sind, genügen die Ausführungen nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
9
a) Wird geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Antrag des im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessvertreters des Klägers von Amts wegen umfassender aufklären müssen, ist u.a. darzulegen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei der weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, 494, m.w.N.). Schließlich gehört zur ordnungsgemäßen Darlegung des Verfahrensfehlers mangelhafter Sachaufklärung nach ständiger Rechtsprechung auch der Vortrag, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhaltes und die Nichterhebung weiterer (angebotener) Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust –z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde– zur Folge. Das Übergehen eines Beweisantrages oder einer unvollständigen Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung eines Beweisantrages oder die mangelhafte Sachaufklärung während der Zeugenbefragung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
10
b) Zur mündlichen Verhandlung sind weder der Kläger noch sein Prozessvertreter erschienen. Dadurch, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen haben, haben sie sich der Möglichkeit begeben, auf die Sachaufklärung durch das FG Einfluss zu nehmen und sachdienliche Beweisanträge zu stellen. In Anbetracht dieses Befundes legt die Beschwerde nicht hinreichend dar, warum sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Dabei ist die Annahme des FG, bei einer Menge von 93 200 Zigaretten erscheine es ausgeschlossen, dass die Zigaretten privaten Zwecken dienten, nicht nur nachvollziehbar sondern sehr naheliegend. Darüber hinaus setzt sich die Beschwerde nicht mit der Rechtsansicht des Senats auseinander, nach der es in Bezug auf die Steuerentstehung nicht darauf ankommt, ob der Verbringer der Zigaretten selbst gewerbliche Zwecke verfolgt. Ausreichend ist vielmehr, dass die Zigaretten nach ihrem Verbringen im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken verwendet werden sollen (Senatsurteil in BFHE 218, 469, 476, ZfZ 2008, 85).
11
3. Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe zu Unrecht die Betätigung des Auswahlermessens durch das HZA unbeanstandet gelassen, wendet sie sich gegen die rechtliche Würdigung des FG. Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen für sich gesehen jedoch nicht die Zulassung der Revision (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Mai 2009 VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.). Denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile umfassend zu gewährleisten.

Verkauf von Aktien – Treuhandverhältnis – Feststellung der Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.12.2012, IX R 33/11

Verkauf von Aktien – Treuhandverhältnis – Feststellung der Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung

Tatbestand

1
I. Streitig ist die Besteuerung eines Gewinns aus dem Verkauf von Anteilen an einer Aktiengesellschaft (AG).
2
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammen veranlagte Ehegatten, gaben in ihrer 1998 für das Streitjahr 1996 eingereichten Einkommensteuererklärung im Anhang zur Anlage KSO die zu versteuernden Einnahmen aus Aktien der AG mit 0 DM an. Die Einkommensteuer 1996 wurde auf 15.286 DM bestandskräftig festgesetzt.
3
Im Rahmen einer im August 2001 begonnenen Fahndungsprüfung beim Kläger (Bericht vom 15. Oktober 2003) wurde festgestellt, dass dieser einer der Gründungsaktionäre der AG war und deren Vorstand ab 1993 angehörte. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug bei Gründung 1 Mio. DM. Der Kläger war am Grundkapital zunächst mit 250.000 DM (25 %) beteiligt. Die AG war nicht an der Börse notiert und hatte keine Aktien ausgegeben. Statt der Aktien wurden in unregelmäßigen Abständen jeweils Namenszwischenscheine erstellt, die die Mitgliedschaftsrechte auswiesen. Im Sommer 1994 erfolgte eine Kapitalerhöhung auf 5 Mio. DM (eingeteilt in 100 000 auf den Inhaber lautende Stammaktien zu je 50 DM, verbrieft durch Zwischenscheine), nach der der Kläger nur noch mit 1,2 Mio. DM (24 000 Aktien, 24 %) beteiligt war. Nach der Kapitalerhöhung war die Familie B mit insgesamt 35,5 % beteiligt, wovon 24 % (24 000 Aktien, 1.200.000 DM) von MB und 11,5 % (11 500 Aktien, Nennwert 575.000 DM) von dessen Schwester KaB gehalten wurden. Letztere hatte das Aktienpaket von ihrem Vater Dr. MaB übertragen bekommen, der zum Jahresende 1995 aus dem Aufsichtsrat ausscheiden sollte. Die Beteiligungen waren in zwei Zwischenscheinen vom 30. September 1994 lautend auf MB bzw. Dr. MaB verbrieft, die jeweils vom Kläger als Vorstand und Dr. MaB als Aufsichtsratsvorsitzendem unterzeichnet waren. Der Zwischenschein für MB war diesem mit Schreiben des Klägers vom 16. Dezember 1994 übersandt worden und ging lt. handschriftlichem Vermerk am 27. Dezember 1994 bei ihm ein.
4
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1995 wandte sich der Kläger an MB und bot an, das Aktienpaket der Familie B für 55 DM pro Aktie käuflich zu erwerben. Dem Schreiben waren zwei im Wesentlichen gleichlautende, vom Kläger entworfene und unterzeichnete Kaufvertragsangebote für die jeweils von MB und KaB gehaltenen Beteiligungen am Aktienkapital beigefügt. Das Angebot wurde am 11. Januar 1996 von MB und am 8. Januar 1996 von KaB angenommen. Nach den Bestimmungen des Vertrags war der Kaufpreis von 1.320.000 DM bzw. 632.500 DM mit Annahme des Angebots fällig. Der jeweilige Zwischenschein war im Gegenzug zu übergeben. Handschriftlich ergänzt wurde, dass der Bilanzgewinn 1995 einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses, spätestens am 30. September 1996, anteilig zu vergüten sei.
5
Am 17. Januar 1996 wandte sich der Kläger mit einem Schreiben an die C-Bank und teilte mit, dass er als Vorstand der AG gemeinsam mit deren Aufsichtsräten Herrn Bö und Dr. St-H das Aktienpaket der Familie B erworben habe. „Konkret“ würden die Aktien jeweils von den Frauen erworben. Zur Abwicklung erhalte er von Frau R (der Lebensgefährtin von Herrn Bö) 646.250 DM und Frau Dr. St-H 660.000 DM. Der Rest des Kaufpreises von 646.250 DM werde von ihm für seine Frau übernommen, weshalb er um Erhöhung seines Kreditrahmens bitte. Zur Erläuterung der Aktienverschiebung fügte er eine Tabelle bei, in der als neue Aktionäre lediglich die Klägerin und Frau R mit einer Beteiligung von jeweils 11,75 % (11 750 Aktien) aufgeführt sind und die Beteiligung des Ehepaars St-H von 5 % auf 17 % erhöht wurde, ohne dass eine Aufteilung zwischen den Ehegatten erfolgte.
6
Am 23. Januar 1996 überwies der Kläger telegrafisch die vereinbarten Kaufpreise an MB und KaB, nachdem er zuvor von Frau R und Herrn Bö insgesamt 646.250 DM und von Herrn Dr. St-H („Kauf 2 % Aktien J.“) und dessen Eltern He und KaSt („Kauf 10 % Aktien J.“) insgesamt 660.000 DM überwiesen bekommen hatte.
7
Die vom Kläger beantragte Finanzierung wurde von der C-Bank abgelehnt, worauf sich der Kläger an die S-Bank wandte und von dieser einen Kredit erhielt. Mit Fax vom 24. Januar 1996 teilte er der Bank mit, dass er sich nun entschlossen habe, die mit dem Kredit erworbenen Aktien an seine Frau zu verkaufen. Sie werde denselben Preis bezahlen, den auch er bezahlt habe. Gleichzeitig bat er um Einrichtung eines Kontos auf den Namen seiner Frau und Übertragung der Aktien und des Kredits auf sie. Er werde den Zwischenschein für sie hinterlegen, sobald dieser auf sie ausgestellt sei. Am 26. Februar 1996 wurde von der Klägerin ein Antrag auf Kontoeröffnung an die S-Bank übersandt. Ein Darlehensvertrag über 650.000 DM wurde von ihr am 25. März 1996 geschlossen.
8
Am 16. Februar 1996 teilte der Kläger dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. F mit, dass die Aktien der Familie B von den Familien St, Herrn Bö sowie von ihm übernommen worden seien, wobei Herr Bö und er die Anteile jeweils durch ihre Frauen hätten erwerben lassen. Gleichzeitig übersandte er die Aktionärsliste vom 17. Januar 1996, die er auch an die C-Bank gesandt hatte sowie die neu auszustellenden Zwischenscheine mit der Bitte um Gegenzeichnung. MaBr wird weder in dem Schreiben noch in der Aktionärsliste erwähnt. Mit Datum vom 16. Februar 1996 wurde dem Kläger von KaB auch eine Kopie des auf ihren Vater lautenden Zwischenscheins übermittelt mit dem handschriftlichen Vermerk „in Ersatz des Originals retourniere ich die Kopie des Zwischenscheins K B“. Der MB Ende 1994 vom Kläger übersandte Zwischenschein vom 30. September 1994 wurde von diesem mit dem Vermerk „Mit besten Grüßen M B“ zurückgesandt und vom Kläger handschriftlich mit dem Vermerk „entwertet“ versehen.
9
In der Folgezeit schloss der Kläger mit MaBr eine Vereinbarung, nach der Letzterer 5 % des Grundkapitals der AG (5 000 Aktien im Nennwert von 50 DM je Aktie) zu einem sofort fälligen Kaufpreis von 55 DM je Aktie zuzüglich anteiligem Bilanzgewinn 1995 (fällig nach Feststellung des Jahresabschlusses 1995) vom Kläger als Verkäufer erwarb. Ferner wurde festgehalten, dass nach Einziehung der alten Zwischenscheine ein neuer Zwischenschein von der AG auf den Namen des Käufers ausgestellt werde. Am 26. Februar 1996 überwies MaBr 275.000 DM an den Kläger. Als Verwendungszweck war auf der Überweisung „Kaufpreis AG gem. sep. Vereinbarung“ angegeben. Eine gleichlautende Vereinbarung wurde auch zwischen MaBr und Frau R geschlossen, so dass MaBr insgesamt eine Beteiligung von 10 % erwarb.
10
Mit Kaufvertrag vom 14. März 1996 verkaufte der Kläger 9 000 Aktien (Nennwert 450.000 DM) aus dem Bestand seiner Aktien für insgesamt 1.350.000 DM (Kaufpreis pro Aktie 150 DM) an Herrn Ha.
11
Mit Datum vom 28. April 1996 wurde für die Klägerin ein Zwischenschein über einen Anteil von 337.500 DM am Grundkapital der AG von 5.000.000 DM erteilt. Im April 1996 erfolgte eine Kapitalerhöhung der AG auf 10 Mio. DM, an der der Kläger mit 24 % (1,2 Mio. DM) und die Klägerin mit 6,75 % (337.500 DM) teilnahmen. Für den Kläger wurde am 25. September 1996 ein neuer Zwischenschein über eine Beteiligung von 1.950.000 DM ausgestellt, nachdem er zuvor von der AG mit Schreiben vom 4. September 1996 aufgefordert worden war, den obsoleten alten Zwischenschein zurückzugeben bzw. zu erklären, dass dieser nicht mehr auffindbar sei und die Anteile weder abgetreten noch verpfändet seien.
12
Bei den Durchsuchungsmaßnahmen wurden gleichlautende auf November 1995 datierte Treuhandvereinbarungen des Klägers mit der Klägerin, mit Frau R, mit MaBr und mit Frau St-H gefunden sowie Bestätigungen der Klägerin und des MaBr vom 31. Juli 2001, dass die Treuhandverträge, so wie sie schriftlich abgefasst seien, die mündlichen Vereinbarungen vom November 1995 richtig und vollständig wiedergäben und in der Folgezeit ab dem Tag der mündlichen Vereinbarung von den Beteiligten auch tatsächlich wie vereinbart vollzogen worden seien. Von MaBr wurde bestätigt, dass die Vereinbarung 11 750 Aktien zu einem Kaufpreis von 55 DM je Aktie umfasst habe. Auch die Klägerin bestätigte, dass von ihr als Treugeberin der Erwerb von 11 750 Aktien der AG mit dem Kläger als Treuhänder vereinbart worden sei. Ferner wurden eine weitere für die Klägerin entworfene, jedoch von ihr nicht unterzeichnete Bestätigung gleichen Datums gefunden, in der bestätigt werden sollte, dass die Treuhandvereinbarung 6 750 Aktien umfasste, sowie eine ebenfalls nicht unterschriebene Bestätigung für Frau St-H, mit der bestätigt werden sollte, dass die Treuhandvereinbarung mit ihr 11 750 Aktien umfasst habe.
13
Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass das behauptete Treuhandverhältnis zwischen dem Kläger und der Klägerin steuerlich nicht anzuerkennen sei und der Kläger daher im Zeitpunkt des zivilrechtlichen Erwerbs der B-Anteile die Voraussetzungen der wesentlichen Beteiligung nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt habe. Den bei dem Verkauf von 9 000 Aktien an Herrn Ha erzielten Gewinn errechnete er mit 890.100 DM, wobei er von durchschnittlichen Anschaffungskosten von 51,10 DM pro Aktie ausging. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) schloss sich der Ansicht des Prüfers an und setzte die Einkommensteuer 1996 mit nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändertem Einkommensteuerbescheid vom 13. Januar 2004 auf 120.953,25 EUR (entspricht 236.564 DM) fest. Hierbei setzte es bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers einen Veräußerungsgewinn von 890.100 DM an.
14
Der Einspruch hatte keinen Erfolg, vielmehr wurde die Einkommensteuer auf 122.258,07 EUR (239.116 DM) erhöht (Veräußerungsgewinn des Klägers 900.000 DM).
15
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der vom Kläger beim Verkauf eines Teils seiner Anteile an der AG erzielte –der Höhe nach unstreitige– Veräußerungsgewinn von 900.000 DM sei zu versteuern, weil er am Kapital wesentlich i.S. des § 17 Abs. 1 EStG (in der für das Streitjahr gültigen Fassung) beteiligt gewesen sei. Der Anteil des Klägers habe zunächst 25 % und nach der Kapitalerhöhung in 1994  24 % betragen. Durch den Erwerb der in zwei Zwischenscheinen verbrieften Anteile der Familie B habe jedoch seine Beteiligung im Streitjahr zeitweilig über 25 % gelegen.
16
Gegenüber den Geschwistern B sei der Kläger als Erwerber im eigenen Namen und für eigene Rechnung aufgetreten.
17
Auch die Beteiligung von MB von 24 % sei zivilrechtlich zunächst auf den Kläger übergegangen.
18
Die vom Kläger erworbenen Anteile könnten auch nicht abweichend von der zivilrechtlichen Inhaberschaft nach § 39 Abs. 1 AO der Klägerin und MaBr zugerechnet werden.
19
Eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung sei nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO im Streitfall noch möglich gewesen. Dass der Erwerb der Beteiligungen an der AG durch den Kläger eine neue Tatsache darstelle, sei unstreitig. Die Änderung sei auch trotz Ablaufs der regulären vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO noch zulässig gewesen. Denn die Festsetzungsfrist habe im Streitfall gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre betragen.
20
Die Kläger hätten den Erwerb der Anteile an der AG von der Familie B verschwiegen. Der treuhänderische Erwerb der Aktien für MaBr und die Klägerin sei von den Klägern durch nachträglich erstellte schriftliche Treuhandverträge und unzutreffende Bestätigungen fingiert worden, um die tatsächliche Höhe der Beteiligung des Klägers von zeitweilig über 25 % vor dem Verkauf von Anteilen an Herrn Ha gegenüber den Finanzbehörden zu verschleiern und so die Steuerfreiheit dieses Verkaufs zu erreichen. Durch ihre unrichtigen und unvollständigen Angaben in der Einkommensteuererklärung bezüglich der Beteiligung des Klägers an der AG hätten sie den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) erfüllt.
21
Den Klägern sei bewusst gewesen, dass bei einer Beteiligung des Klägers über 25 % der Gewinn aus dem Verkauf von Anteilen nach § 17 EStG zu versteuern gewesen sei. Um dies unter allen Umständen zu vermeiden, sei die Existenz von Treuhandverhältnissen behauptet worden, obwohl ein Treuhandverhältnis mit MaBr nicht und mit der Klägerin jedenfalls nicht eindeutig vereinbart gewesen sei und durch nachträgliche, mindestens teilweise falsche Bestätigungen zu untermauern versucht worden. Der Senat sei deshalb davon überzeugt, dass die Kläger es zumindest für möglich hielten, dass dadurch, dass sie in ihrer Steuererklärung keine Einkünfte aus der Beteiligung an der AG erklärten, Steuern hinterzogen zu haben und dies billigend in Kauf nahmen.
22
Dass ein Strafverfahren gegen die Kläger insoweit nicht eröffnet worden sei, sei für die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht erforderlich. Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Steuerhinterziehung sei nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu prüfen. Für die Feststellung der Steuerhinterziehung sei kein höherer Grund von Gewissheit notwendig als für andere Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trifft (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19. März 1998 V R 54/97, BFHE 185, 351, BStBl II 1998, 466).
23
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der diese die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Materielles Recht werde insbesondere verletzt, weil
durch eine lediglich unzureichende Erfüllung steuerlicher Nachweiserfordernisse der Treuhandschaft gemäß § 159 AO keine Steuerhinterziehung und folglich auch keine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO begründet werde,
durch eine lediglich unzureichende Erfüllung steuerlicher Nachweiserfordernisse der Treuhandschaft gemäß § 159 AO durch den („aktiven“) Ehegatten, der das Treuhandverhältnis für sich behauptet, keine Steuerhinterziehung des anderen („passiven“) Ehegatten und folglich auch keine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für den anderen („passiven“) Ehegatten begründet werden,
die Festsetzungsfrist nicht gegenüber dem Gesamtschuldner verlängert werde, der jedenfalls keine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung begangen habe,
durch eine lediglich unzureichende Erfüllung steuerlicher Nachweiserfordernisse der Treuhandschaft gemäß § 159 AO die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen sei, da die Behauptung des Klägers, er habe Anteile an einer Kapitalgesellschaft lediglich treuhänderisch für andere erworben, nicht ohne weiteres als Schutzbehauptung von der Hand zu weisen sei,
die Beteiligungsquote des Klägers an der AG, auch unter Berücksichtigung der Anteilsübertragung von MB, unterhalb der für den Veranlagungszeitraum geltenden Wesentlichkeitsgrenze von 25 % des § 17 EStG geblieben sei.
24
Darüber hinaus beruhe das angefochtene Urteil auf Verfahrensmängeln, weil
das FG, ohne den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) in der mündlichen Verhandlung erörtert zu haben, seine Entscheidung auf die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO stütze, obwohl der Beklagte den Vorwurf der Steuerhinterziehung nicht mehr aufrechterhalten habe; der Vorwurf der Steuerhinterziehung habe im gesamten finanzgerichtlichen Verfahren keine Rolle mehr gespielt.
25
Die Kläger beantragen,

das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 13. Januar 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. März 2007 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 15.286 DM festgesetzt wird.

26
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

27
Da nach den Feststellungen des FG ein Treuhandverhältnis mit der Klägerin mindestens bis Ende März 1996 nicht bestanden habe, seien die fraglichen Anteile an der AG bis dahin dem Kläger zuzurechnen mit der Folge, dass seine Beteiligung zeitweise mehr als 25 % betragen habe. Da das Urteil in Bezug auf das behauptete Treuhandverhältnis mit Herrn MaBr (ebenfalls) eindeutig sei, käme es aber auf ein mit der Klägerin bestehendes Treuhandverhältnis gar nicht mehr an. Den Tatbestand der Steuerhinterziehung habe die Klägerin selbst erfüllt.

Entscheidungsgründe

28
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die finanzgerichtlichen Feststellungen tragen die Annahme einer Festsetzungsfrist von zehn Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) wegen Steuerhinterziehung nicht (§ 370 AO).
29
1. Die reguläre Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ist abgelaufen; ihr Ablauf war nicht nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt.
30
2. Die Festsetzungsfrist von zehn Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO greift ein, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist. Das FG hat die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung, d.h. eines der Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen (BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057). Die Feststellungslast für die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung trifft das FA (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 169 AO Rz 69; Mack, Die Steuerberatung 2012, 440, 443).
31
a) Das FG trifft zu den Voraussetzungen der Steuerhinterziehung der Kläger keine eigenständigen Tatsachenfeststellungen. Vielmehr nimmt es allein auf der Grundlage seiner Feststellungen zu § 159 AO an, die Kläger hätten den Anteilserwerb „verschwiegen“, die Treuhandverträge seien „nachträglich“ erstellt und „fingiert“ worden, um die Beteiligung des Klägers „zu verschleiern“. Durch die unrichtigen und unvollständigen Angaben in der Einkommensteuererklärung sei „der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO)“ erfüllt worden. Um eine Besteuerung „unter allen Umständen zu vermeiden, sei die Existenz von Treuhandverhältnissen behauptet worden, obwohl ein Treuhandverhältnis mit MaBr nicht und mit der Klägerin jedenfalls nicht eindeutig vereinbart gewesen sei, und durch nachträgliche, mindestens teilweise falsche Bestätigungen zu untermauern versucht“ worden. „Der Senat sei deshalb davon überzeugt, dass die Kläger es zumindest für möglich hielten, Steuern hinterzogen zu haben und dies billigend in Kauf nahmen.“
32
Mit dieser Argumentation folgert das FG allein aus seinen Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG zugleich die Steuerhinterziehung und verletzt § 169 Abs. 2 Satz 2 AO.
33
b) Hinsichtlich des objektiven Tatbestands von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hätte das FG die volle Überzeugung gewinnen müssen, dass keine –einer Anteilszurechnung beim Kläger entgegenstehenden– Treuhandvereinbarungen vorlagen. Eine Beweislastentscheidung auf der Grundlage von § 159 Abs. 1 AO zu Lasten der Kläger genügt insoweit nicht (FG München vom 26. November 1997  1 K 805/92, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 524; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 159 AO Rz 6). Dafür, dass das FG aber eine solche getroffen hat, spricht, dass es im Rahmen der Prüfung von § 17 EStG auf § 159 AO verweist und feststellt, dass es an eindeutigen und klar nachweisbaren Treuhandvereinbarungen fehle. Zwar gehe es davon aus, eine Treuhandvereinbarung zwischen dem Kläger und MaBr habe nicht bestanden und es fehle auch hinsichtlich des Treuhandvertrags zwischen den Klägern an einer klaren im Vorhinein vereinbarten Erwerbstreuhand, insbesondere sei die Höhe der treuhänderisch zu erwerbenden Beteiligung unklar. Jedoch stellt es im Rahmen der Prüfung der Steuerhinterziehung dann fest, dass ein Treuhandverhältnis mit der Klägerin jedenfalls nicht eindeutig vereinbart gewesen sei. Insoweit hat sich das FG schon keine volle Überzeugung davon gebildet, ob die Treuhand zwischen den Klägern tatsächlich bestanden hat oder nicht, bevor der Kläger wirtschaftlicher Eigentümer werden konnte.
34
c) Zudem fehlt es an einer hinreichenden Überzeugungsbildung des FG zum Vorsatz der Kläger. Auch wenn das FG annimmt, dass zwischen den Klägern ein Treuhandverhältnis jedenfalls nicht eindeutig vereinbart gewesen sei, bedeutet dies noch nicht, dass nicht die Kläger von einer unwirksamen Treuhand ausgegangen wären. Hierzu trifft das FG keine Feststellungen. Dies wäre aber gerade im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass unstreitig die von der Familie B erworbenen Anteile letztendlich nicht beim Kläger verbleiben sollten.
35
Insoweit ist schon der Vorsatz des Klägers nicht hinreichend festgestellt. Umso mehr gilt dies für die Klägerin; denn das FG prüft nicht, inwieweit sie bei der Unterzeichnung der Treuhandvereinbarung und der nachträglichen Klarstellung davon ausging, die Anteile tatsächlich nicht zu erwerben.
36
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die fehlenden Feststellungen hinsichtlich einer etwaigen Steuerhinterziehung nachzuholen haben. Sollte sich dabei ergeben, dass die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen ist, wären weitere Feststellungen im Hinblick darauf zu treffen, dass nach der Rechtsprechung eine wesentliche Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG auch dann nicht zustande kommt, wenn im Zuge von Anteilsübertragungen in mehreren Teilakten zwar vorübergehend die Beteiligungsgrenze von 25 % überschritten wird, der Gesellschafter aber nach dem vertraglichen Gesamtkonzept im Ergebnis nur mit 25 % beteiligt werden soll (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 2011 IX R 57/10, BFHE 235, 376, BStBl II 2012, 318).

Kindergeldanspruch von ausländischen Mitgliedern des Personals einer Botschaft mit einem „Protokollausweis für Ortskräfte“

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 19.2.2013, XI R 9/12

Kindergeldanspruch von ausländischen Mitgliedern des Personals einer Botschaft mit einem „Protokollausweis für Ortskräfte“

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Kindergeld für die Zeit vom 1. November 2003 bis 31. Oktober 2008 für die in den Jahren 1994, 1999 und 2001 geborenen Kinder.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein … Staatsangehöriger, war als örtlich eingestellter Mitarbeiter der Botschaft der Republik L… seit dem 20. Juli 1999 Inhaber eines vom Auswärtigen Amt (AA) der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) erteilten „Protokollausweises für Ortskräfte“ mit der Kennzeichnung „OK“ (früher sog. „gelber Ausweis“) und ist seitdem bei der AOK N… versichert. Er reiste für diese Erwerbstätigkeit nach Deutschland ein und nahm sie nach dem 1. April 1999 auf. Die Ehefrau des Klägers hielt sich seit dem 1. Oktober 1999 mit einem Protokollausweis in Deutschland auf.
3
Der Protokollausweis beschreibt den Status des Klägers wie folgt: „Der Inhaber/die Inhaberin dieses Protokollausweises genießt in der Bundesrepublik Deutschland keine Vorrechte und Immunitäten und unterliegt uneingeschränkt der deutschen Gerichtsbarkeit. Der Inhaber/die Inhaberin dieses Ausweises darf in Verbindung mit dem … nationalen Reisedokument nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten sowie in die Staaten einreisen, die das Schengener Durchführungsabkommen anwenden, und sich dort bis zu 3 Monaten aufhalten.“
4
Der Kläger, seine Ehefrau und seine drei in Deutschland lebenden Kinder verfügen seit April 2011 über Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mit gestatteter Erwerbstätigkeit bis 18. April 2014.
5
Den erstmals im September 2003 gestellten Antrag auf Kindergeld für seine drei Kinder lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 16. Oktober 2003 ab. Dem erneuten Antrag des Klägers im Januar 2005 entsprach die Familienkasse mit Bescheid vom 25. Februar 2005 ebenfalls nicht. Der Einspruch blieb erfolglos.
6
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 25. Juli 2007 III R 55/02 (BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758), die einen Sachverhalt betraf, in dem der Kläger seine Tätigkeit bereits vor dem 1. April 1999 aufgenommen hatte, sei auf den Streitfall zu übertragen, in dem die Tätigkeit bei der Botschaft erst nach dem 1. April 1999 aufgenommen worden sei.
7
Die Familienkasse stützt ihre vom FG zugelassene Revision auf die Verletzung materiellen Rechts. Sie rügt eine unzutreffende Auslegung des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
8
Im Gegensatz zu vor dem 1. April 1999 eingereisten Personen, die nicht unter die zum 1. April 1999 neu gefassten Richtlinien fielen, sei beim Kläger von einem nur vorübergehenden Aufenthalt auszugehen. Nach den geänderten Richtlinien des AA sei nach Beendigung der Tätigkeit bei der Botschaft nunmehr die unverzügliche Ausreise der Familie vorgesehen. Es könne daher nicht mehr unterstellt werden, dass der Kläger voraussichtlich auf Dauer in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehe. Allein die für die Dauer der Tätigkeit bestehende Sozialversicherungspflicht sei entgegen der Auffassung des FG nicht geeignet, das Vorliegen eines voraussichtlichen Daueraufenthalts zu begründen. Es liege keine planwidrige Regelungslücke vor, die im Wege einer Analogie zu schließen sei.
9
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
11
Die in den BFH-Urteilen vom 25. Juli 2007 (in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758), III R 81/03 (BFH/NV 2008, 196) und III R 56/00 (nicht veröffentlicht –n.v.–, juris) getroffenen Erwägungen würden auch im Streitfall gelten. Er führt ergänzend weiter aus, das AA habe zum 1. Februar 2010 seine Richtlinien für die Einreise und den Aufenthalt von nicht entsandten Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals wiederum geändert. Seither sei für den betroffenen Personenkreis der sog. „unechten“ Ortskräfte diplomatischer Missionen nur noch eine maximal fünfjährige Tätigkeit im Bundesgebiet zulässig und ein Familiennachzug ausgeschlossen.
12
Im Zuge dieser Änderung der Richtlinien des AA sei für sog. „unechte“ Ortskräfte eine Altfallregelung erlassen worden, aufgrund deren er, der Kläger, und seine Familienangehörigen inzwischen Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG, erhalten hätten.
13
Den geänderten Richtlinien des AA und der in diesem Zusammenhang ergangenen Altfallregelung liege die Wertung zugrunde, dass sich auch „unechte“ Ortskräfte, die ihre Tätigkeit bei der ausländischen Botschaft ab dem 1. April 1999 aufgenommen haben, typischerweise dauerhaft in Deutschland aufhielten und einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgingen.

Entscheidungsgründe

14
II. Die Revision der Familienkasse ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Kindergeld für die drei minderjährigen Kinder im Streitzeitraum hat.
15
1. Nach dem durch das Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915) neu gefassten § 62 Abs. 2 EStG, der mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und auf alle noch nicht bestandskräftigen Kindergeldfestsetzungen anzuwenden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG), erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer“Kindergeld nur, wenn er

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt

oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.“

16
a) Bei wortgetreuer Auslegung des § 62 Abs. 2 EStG stünde dem Kläger als nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer kein Kindergeld zu, da er in dem maßgebenden Streitzeitraum keine von der Ausländerbehörde erteilte Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 EStG, sondern nur einen vom AA ausgestellten „Protokollausweis für Ortskräfte“ besaß (vgl. BFH-Urteile in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.2.; in BFH/NV 2008, 196, unter II.2.; III R 56/00, n.v., unter II.2.).
17
b) Der BFH hat indes mit Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758 entschieden, dass ein „gelber Ausweis“ bei ausländischen Staatsangehörigen, die vor dem 1. April 1999 eine Tätigkeit als Mitglied des Personals einer Botschaft aufgenommen haben und als ständig im Bundesgebiet ansässig behandelt wurden, im Wege der Analogie einer zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG gleichzustellen sei. Denn § 62 EStG enthalte eine unbewusste planwidrige Gesetzeslücke, soweit ständig ansässige ausländische Mitglieder des nicht amtlich entsandten Verwaltungs- und technischen Personals sowie des dienstlichen Hauspersonals von Botschaften wegen der Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels beim Kindergeld nicht berücksichtigt würden.
18
Der gesetzlichen Regelung liege offensichtlich die Vorstellung zugrunde, ein rechtmäßiger Daueraufenthalt erfordere stets einen von der Ausländerbehörde ausgestellten Aufenthaltstitel. Dabei sei aber nicht bedacht worden, dass u.a. die Mitglieder des Personals einer Botschaft als ständig ansässig angesehen wurden und deshalb sozialversicherungs- und einkommensteuerpflichtig waren (BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.3.b). Aus der Erteilung des „gelben Ausweises“ ergebe sich, dass sich der Ausweisinhaber rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und hier eine erlaubte Tätigkeit ausübt. Er sei zwar formell kein Titel im Sinne des Ausländergesetzes (AuslG) 1990 oder des AufenthG, die durch ihn dokumentierte Freistellung von einem Aufenthaltstitel (vgl. bis 2004 § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung des AuslG 1990, und seit 2005 § 27 Abs. 1 Nr. 2 der Aufenthaltsverordnung) wirke aber wie eine ausländerrechtliche Statusentscheidung, die für den Anspruch auf Kindergeld Tatbestandswirkung entfalte (BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.3.d).
19
Es widerspräche dem Zweck der Kindergeldregelung und wäre auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich, wenn ausländische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten, voraussichtlich auf Dauer in Deutschland einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen, in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und einkommensteuer-pflichtig sind, vom Kindergeld ausgeschlossen würden, weil sie für ihren rechtmäßigen Aufenthalt kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und deshalb keinen Aufenthaltstitel erhalten.
20
2. Der erkennende Senat schließt sich den dargestellten Erwägungen in dem BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758 an, auf dessen Begründung im Einzelnen verwiesen wird. Ihre Anwendung auf den Streitfall führt dazu, dass dem Kläger, der erst nach dem 31. März 1999 seine Tätigkeit im Inland aufgenommen hat, der streitige Kindergeldanspruch (ebenfalls) zusteht.
21
a) Nach den am 1. April 1999 in Kraft getretenen, geänderten Richtlinien des AA für die Einreise und den Aufenthalt von nicht entsandten Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals, des dienstlichen Hauspersonals und der privaten Hausangestellten (n.v.) durften im Ausland rekrutierte Personen nicht (mehr) zu einer anderen Botschaft wechseln und auch keiner sonstigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Botschaft war dafür verantwortlich, dass die im Ausland rekrutierten Personen nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Botschaft mit ihrer Familie Deutschland unverzüglich verlassen.
22
aa) Diese Regelungen unterscheiden sich von den vorangegangen insbesondere dadurch, dass die Botschaft nunmehr dafür verantwortlich ist, dass der Beschäftigte mit seiner Familie Deutschland unverzüglich nach Ende seines Arbeitsverhältnisses wieder verlässt.
23
Allerdings galt bereits nach der früheren, dem BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758 zugrunde liegenden Regelung, dass die „gelben Ausweise“ jeweils auf ein Jahr befristet waren und nicht verlängert oder neu ausgestellt wurden, wenn die Bediensteten ihre Stellung bei der Botschaft verloren hatten. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes endete somit schon seinerzeit die Befreiung vom Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung. Die „ausländerrechtliche Statusentscheidung“ der Erteilung eines „gelben Ausweises“ galt somit bereits damals nur solange der Beschäftigte bei der betreffenden Botschaft beschäftigt war.
24
bb) Daraus folgt, dass der Kläger solange er bei der Botschaft beschäftigt war und über einen Protokollausweis verfügte, sich sein „ausländerrechtlicher Status“ nicht von demjenigen eines vor dem 1. April 1999 Eingereisten unterschied. Die durch den jeweiligen Ausweis dokumentierte Freistellung von einem Aufenthaltstitel wirkt gleichermaßen wie eine ausländerrechtliche Statusentscheidung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.3.d).
25
b) § 62 Abs. 2 EStG hat zum Ziel, Kindergeld nur solchen ausländischen Staatsangehörigen zukommen zu lassen, die sich rechtmäßig und voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten. Bei Personen, die nur im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, muss –so der III. Senat in dem BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.3.b unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/1368, 8)– nach Auffassung des Gesetzgebers ein weiteres Indiz hinzukommen, welches einen voraussichtlich dauerhaften Aufenthalt plausibel erscheinen lasse. Ein solches Indiz sei die Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw. die Erlaubnis zu einer Erwerbstätigkeit. Von einem nur vorübergehenden Aufenthalt sei bei ausländischen Staatsangehörigen auszugehen, deren Aufenthalt in Deutschland erkennbar begrenzt sei, wie z.B. bei denjenigen, die sich nur zu Ausbildungszwecken im Bundesgebiet aufhielten oder bei denen die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach Ablauf eines Höchstzeitraumes rechtlich ausgeschlossen sei.
26
Im Streitfall ist ein solches weiteres Indiz, das einen voraussichtlichen dauerhaften Aufenthalt plausibel erscheinen lässt, gegeben. Der Kläger hat seit Juli 1999 eine Erwerbstätigkeit bei der Botschaft ausgeübt. Es war ungewiss, wann die Tätigkeit endete. Die dem Kläger sowie seiner Ehefrau und seinen drei Kindern im Streitfall erteilten Aufenthaltserlaubnisse zeigen zudem, dass für Ortskräfte und ihre Familienangehörigen, die sich –wie der Kläger und seine Familie– langjährig rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben, die Möglichkeit der Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, besteht (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 2004 B 10 EG 2/04 R, BSGE 93, 189, BFH/NV Beilage 2005, 157, zum Anspruch auf Erziehungsgeld).
27
c) Der Kläger ist ferner –wie das FG zutreffend erkannt hat– im Inland als ständig ansässig behandelt worden.
28
Denn er ist seit Juli 1999 –und damit auch während des Streitzeitraums– in das deutsche Sozialversicherungssystem eingegliedert. Wird ein Botschaftsbediensteter hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht als ständig ansässig behandelt, ist auch keine –dem Bezug von Kindergeld ggf. entgegenstehende– Befreiung von der Einkommensteuer gegeben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 356, BStBl II 2008, 758, unter II.1.d; zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Mitgliedern ausländischer Botschaften vgl. z.B. Erlass des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 2. Januar 1997 S 1310/1, juris; Verfügung der Oberfinanzdirektion –OFD– Berlin vom 20. Juli 2000 St 127-S 1310-2/94, juris; Rundverfügung der OFD Frankfurt vom 17. Oktober 2012 S 1310 A-5-St 56, juris; a.A. Abschn. 62.6 Abs. 4 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes, Stand 2012).
29
d) Nach den neu gefassten, am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen Richtlinien des AA zur Beschäftigung von im Ausland angeworbenen Ortskräften an diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen in Deutschland wird die Beschäftigungsdauer neu eingestellter Ortskräfte auf eine Dauer von maximal fünf Jahren begrenzt und ein Familiennachzug ausgeschlossen.
30
Ob aufgrund dieser Richtlinien für Botschaftsbedienstete, die nach dem 31. Januar 2010 ihre Tätigkeit an einer diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretung in Deutschland aufgenommen haben, eine andere Beurteilung geboten ist, ist im Streitfall nicht zu entscheiden, weil der Kläger seine Tätigkeit bereits im Juli 1999 aufgenommen hat und sein Aufenthalt nach der damaligen Verwaltungspraxis nicht als nur vorübergehend angesehen werden kann.
31
3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

Gewinnerzielungsabsicht und gewerblicher Grundstückshandel

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.3.2013, X B 121/11

Gewinnerzielungsabsicht und gewerblicher Grundstückshandel – Abschnittsbesteuerung – Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde

Tatbestand

1
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 1991 bis 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
2
Der Kläger hatte in den Jahren 1980 bis 1984 insgesamt 19 Eigentumswohnungen und ein Einfamilienhaus, die Klägerin in den Jahren 1982 bis 1984 drei Eigentumswohnungen erworben. Diese Immobilien wurden im Rahmen von Bauherrenmodellen errichtet und zu 100 % fremdfinanziert. Sämtliche Objekte sind in der Zeit von 1988 bis 1991 veräußert worden – und zwar bis auf zwei Objekte zu Erlösen, die unter den Anschaffungskosten lagen.
3
In den Veranlagungszeiträumen bis einschließlich 1986 behandelten die Kläger die Einkünfte aus den vermieteten Wohnungen als (negative) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Für die Veranlagungszeiträume nach 1986 erklärten sie im Rahmen von Feststellungserklärungen einer BGB-Gesellschaft hinsichtlich dieser Objekte Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Ab 1989 erklärten die Kläger im Rahmen der Feststellungserklärungen dieser BGB-Gesellschaft auch Einnahmen aus der Vermittlung von Leasingverträgen.
4
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) folgte den Klägern in der steuerlichen Behandlung der Immobilienobjekte bis einschließlich 1989. Für die Veranlagungsjahre nach 1989 erkannte das FA die erklärten gewerblichen Verluste im Zusammenhang mit den Objekten nicht mehr an. Es änderte unter Berücksichtigung des Verlustabzugs bei der Einkommensteuerfestsetzung 1991 den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1991 im Bescheid vom 4. Januar 1999 entsprechend ab und stellte in einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag fest, dass zum 31. Dezember 1992 keine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer durchzuführen sei. Die zunächst ergangenen Feststellungen über den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1993 und zum 31. Dezember 1994 wurden in den Bescheiden vom 11. Februar 2000 bzw. 16. August 2000 aufgehoben.
5
Einspruchs- und Klageverfahren hatten keinen Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2004 kamen die Beteiligten überein, dass die für die BGB-Gesellschaft erklärten Einkünfte aus Vermittlungstätigkeit dem Kläger als gewerbliche Einkünfte zuzurechnen seien und die BGB-Gesellschaft steuerlich nicht anzuerkennen sei.
6
Das Finanzgericht (FG) wies im ersten Rechtszug mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 348 veröffentlichten Urteil vom 26. Oktober 2005  11 K 3595/05 die Klage ab. Durch ein weiteres –von den Klägern nicht angegriffenes– Urteil vom gleichen Tag im Verfahren 11 K 5154/04 bestätigte es für die Streitjahre die Aufhebung der Feststellungsbescheide für die BGB-Gesellschaft.
7
Auf die Revision der Kläger wurde das Urteil des FG vom Bundesfinanzhof (BFH) durch das in BFH/NV 2009, 1790 veröffentlichte Urteil vom 27. Mai 2009 X R 39/06 aufgehoben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, da die im finanzgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen nicht ausreichend seien, die vom FG aus allgemeinen Erkenntnissen gezogenen Schlussfolgerungen, der Kläger habe ohne die erforderliche Gewinnerzielungsabsicht gehandelt, zu tragen.
8
Im zweiten Rechtszug wies das FG durch Urteil vom 28. Juli 2011 die Klage erneut ab, da es von Anfang an erkennbar gewesen sei, dass der Kläger die erworbenen Eigentumswohnungen im Bauherrenmodell nicht nach einigen Jahren mit Gewinn hätte veräußern können. Dies ergebe sich neben dem bei allen Wohnungen an den Bauträger zu entrichtenden um die Geschäftsbesorgungsgebühren erhöhten Kaufpreis aus der hundertprozentigen Fremdfinanzierung der Immobilien zum damaligen Zinsniveau und den mit den Banken vereinbarten Tilgungsraten.
9
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger Verfahrensmängel und begehren die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, Rechtsfortbildung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
10
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

11
II. Die Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg. Die von den Klägern benannten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen teils der Sache nach nicht vor, teils sind sie nicht ordnungsgemäß dargelegt worden.
12
1. Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 171). Des Weiteren muss die Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit der zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung darlegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.). Insbesondere muss sich der Beschwerdeführer auch mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzen und substantiiert darlegen, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. nur Senatsbeschluss vom 17. März 2010 X B 10/10, BFH/NV 2012, 953, m.w.N.).
13
Ein solches Vorbringen ist auch im Ansatz nicht erkennbar, so dass die Beschwerde insoweit unzulässig ist. Die Kläger behaupten ohne weitergehende diesbezügliche Ausführungen, dass Rechtsfragen von allgemeinen Interessen betroffen seien, weil es im vorliegenden Verfahren um die Auslegung der Rechtsbegriffe der Gewinnerzielungsabsicht und des gewerblichen Grundstückshandels gehe. Zumindest eine Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Senats im Urteil in BFH/NV 2009, 1790 wäre geboten gewesen.
14
2. Da die Fortbildung des Rechts ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung ist (vgl. statt vieler Senatsbeschluss vom 17. August 2011 X B 217/10, BFH/NV 2011, 2082) kommt die Zulassung der Revision aus denselben Gründen nicht in Frage (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
15
3. Auch soweit die Kläger eine die einheitliche Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gefährdende Divergenz geltend machen, besteht kein Grund, die Revision zuzulassen. Zum einen gelingt es den Klägern nicht, eine solche Abweichung entsprechend den Darlegungsanforderungen aus § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO schlüssig zu rügen. Zum anderen ist ein schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler nicht gegeben.
16
a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das Bundesverfassungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Des Weiteren ist darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2012 X B 57/11, BFH/NV 2012, 1307, m.w.N.).
17
Diesen Darlegungsanforderungen genügen die Ausführungen der Kläger nicht. Auch ist das FG in der Sache nicht von der ständigen Rechtsprechung des BFH, wie im Urteil in BFH/NV 2009, 1790 näher ausgeführt, abgewichen.
18
b) Ein schwerwiegender Rechtsfehler, wie von den Klägern als Verfahrensmangel gerügt, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte, ist ebenfalls nicht gegeben.
19
aa) Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes liegen jedenfalls vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar –d.h. greifbar gesetzeswidrig– ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wieder hergestellt werden kann. Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt und auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (Senatsentscheidung vom 22. August 2012 X B 155/11, BFH/NV 2012, 2015). Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift aufzuführen (u.a. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2011 X B 155/10, BFH/NV 2011, 1294, m.w.N.).
20
bb) Eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der Entscheidung liegt nicht darin, dass das FG im vorliegenden Urteil anhand der von ihm getroffenen Feststellungen die auch bei einem gewerblichen Grundstückshandel notwendige Gewinnerzielungsabsicht (vgl. § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes) im konkreten Einzelfall verneint und dabei die Begründung anders als in seinem aufgehobenen Urteil vom 26. Oktober 2005  11 K 3595/05 (EFG 2007, 348) nicht allein auf die allgemeinen Beobachtungen und Erkenntnisse in Bezug auf im Bauherrenmodell errichteter und vertriebener Objekte gestützt hat. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen konnte das FG zu dem Ergebnis kommen, dass die Gewinnerzielungsabsicht des Klägers zu verneinen war.
21
cc) Ein schwerwiegender Rechtsfehler ist auch nicht aufgrund eines Verstoßes gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzgrundsatz zu sehen. Das FA ist an eine bei einer früheren Veranlagung zugrunde gelegten Rechtsauffassung auch dann nicht gebunden, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH-Urteil vom 30. März 2011 XI R 30/09, BFHE 233, 18, BStBl II 2011, 613, m.w.N.).
22
dd) Ausgehend von seiner rechtlichen Beurteilung hat das FG die mit der Klage angegriffenen Verlustfeststellungen für die Streitjahre zutreffend behandelt.
23
ee) Die Aufteilung der ursprünglich von den Klägern im Rahmen einer von ihnen gebildeten BGB-Gesellschaft ausgeübten Tätigkeiten im Immobilienbereich und als Vermittler von Leasingverträgen ist Folge der in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2004 geschlossenen tatsächlichen Verständigung, an die auch die Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden sind, sowie des rechtskräftigen Urteils des FG vom 26. Oktober 2005  11 K 5154/04. Die bisher im Rahmen der Feststellungserklärungen für die BGB-Gesellschaft erklärten Einnahmen sind deshalb getrennt wie vereinbart zuzurechnen, wobei in Bezug auf die Tätigkeiten aus dem Immobilienhandel des Klägers die notwendige Gewinnerzielungsabsicht fehlt.
24
4. Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
25
a) Soweit die Kläger der Ansicht sind, dass die als K3, K4 und K5 schriftsätzlich eingereichten Urkunden von drei mit der Verwertung der Immobilien beauftragten Unternehmen im Rahmen eines Urkundsbeweises zu würdigen gewesen seien, machen sie sinngemäß einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten geltend, der nach der ständigen Rechtsprechung des BFH als solcher kein Verfahrensmangel ist (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2007 X B 6/07, BFH/NV 2007, 1921, m.w.N.). Die Rüge des Verstoßes gegen den Inhalt der Akten kann allerdings so zu verstehen sein, dass hiermit die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO geltend gemacht wird, wonach das Gericht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 14. November 2001 II B 29/00, BFH/NV 2002, 512). Die Rüge eines derartigen Verfahrensverstoßes setzt die Darlegung voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen des Beteiligten nicht entspreche oder eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt lasse (BFH-Beschluss vom 9. Juli 2012 III B 66/11, BFH/NV 2012, 1631).
26
Diese Voraussetzungen sind in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt und auch nicht erkennbar. Letztlich wenden sich die Kläger mit ihrem Vorbringen allein gegen die aus ihrer Sicht fehlerhaften Schlussfolgerungen des FG zum Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht. Auf die fehlerhafte finanzgerichtliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann ein Verfahrensmangel jedoch nicht gestützt werden, da die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Revisionsverfahren entzogen sind (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533).
27
b) Das Vorbringen der Kläger, das FG hätte die drei Unternehmer als Zeugen vernehmen und einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen müssen, kann im Streitfall ebenfalls nicht zur Revisionszulassung führen.
28
Dieser Tatsachenvortrag ist dem Senat erstmals in einem am 20. Januar 2012 eingegangen Schriftsatz unterbreitet worden. Die Frist zur Begründung der Beschwerde gegen das am 5. August 2011 zugestellte Urteil des FG war aber bereits am 7. November 2011 abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können neue Zulassungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden (Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2010 X B 212/09, BFH/NV 2011, 564, unter 2., m.w.N.). Weitere Schriftsätze sind nur noch als Ergänzung und Erläuterung zu den innerhalb der Frist ordnungsgemäß dargelegten Zulassungsgründen zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 6. Juni 2003 III B 98/02, BFH/NV 2003, 1214, unter 3.).
29
Eine solche bloße Ergänzung oder Erläuterung der ursprünglichen Beschwerdebegründung liegt nicht vor. Denn zunächst haben die Kläger lediglich die fehlerhafte Beachtung der vorgelegten Urkunden als Teil der Akten gerügt. Das spätere Vorbringen, die Aussteller der Urkunden als Zeugen zu vernehmen und auch ein Sachverständigengutachten anzufordern, bedeutet demgegenüber keine Ergänzung, sondern geht darüber hinaus. Die Kläger rügen hiermit nicht mehr nur die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO sondern auch die Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.
30
c) Kein Verstoß gegen den Inhalt der Akten i.S. der Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO liegt vor, soweit das FG auf die Geschäftsbesorgungsgebühren für das Objekt in Planegg eingeht. Dies diente dem FG lediglich dafür, einen Anhalt zur Ermittlung einer Schätzungsgröße für die Geschäftsbesorgungsgebühren bei Bauherrenmodellen zu erhalten, da der Kläger Angaben hierzu nicht mehr machen konnte. Unstreitig fielen solche Gebühren bei den in den Jahren 1980 bis 1984 vom Kläger erworbenen 19 Eigentumswohnungen und einem Einfamilienhaus an.
31
5. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Sachentscheidung trotz fehlender Sachentscheidungsvoraussetzungen

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.1.2013, V R 47/11

Sachentscheidung trotz fehlender Sachentscheidungsvoraussetzungen – Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens bei Teilabhilfebescheid – Notwendigkeit einer Untätigkeitsrüge

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Landkreis, beantragte mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) die Abzweigung von Kindergeld aus dem Kindergeldanspruch der Beigeladenen. Die Beigeladene ist Mutter einer Tochter, die als Schwerbehinderte einen Behinderungsgrad von 100 v.H. aufweist.
2
Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Abzweigung ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte insoweit Erfolg, als die Familienkasse für die Monate November und Dezember 2009 eine monatliche Abzweigung von 82 EUR und für den Zeitraum ab Januar 2010 eine Abzweigung von 92 EUR an den Kläger durch „Abhilfebescheid“ vom 20. Januar 2011 anordnete und dabei darauf hinwies, dass dem Einspruch damit in vollem Umfang entsprochen werde. Eine weiter gehende Einspruchsentscheidung erfolgte nicht.
3
Mit der Klage zum Finanzgericht (FG) machte der Kläger einen weitergehenden Anspruch auf Abzweigung geltend. Das FG sah die Klage mit den in „Entscheidungen der Finanzgerichte“ 2012, 1360 veröffentlichten Gründen als zulässig, aber unbegründet an. Zur Zulässigkeit der Klage führte das FG an, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren die Abzweigung des Kindergeldes beantragt habe, ohne diesen Antrag betragsmäßig zu beschränken. Auch im Einspruchsverfahren sei keine Einschränkung des Begehrens erfolgt. Dies bedeute, dass der Antrag des Klägers auf die vollständige Abzweigung des Kindergeldes gerichtet gewesen sei. Die Familienkasse habe zwar den Abzweigungsantrag demgegenüber nur auf den Teilbetrag des Kindergeldes bezogen, der nach ihrer Einschätzung unter Berücksichtigung der Unterhaltsaufwendungen der Beigeladenen äußerstenfalls abgezweigt werden könnte. Hierauf deute der Hinweis in dem Abhilfebescheid vom 20. Januar 2011 hin, dass dem Einspruch in vollem Umfang entsprochen worden sei. Dies ändere aber nichts daran, dass der Abzweigungsantrag des Klägers insoweit abgelehnt worden sei, als die im gerichtlichen Verfahren noch streitigen Beträge von monatlich 58 EUR und ab Januar 2010 von monatlich 68 EUR nicht an ihn abgezweigt wurden. Diese Auslegung des § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) werde durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestätigt. Danach sei das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren auch dann i.S. des § 44 Abs. 1 FGO erfolglos geblieben, wenn die Einspruchsentscheidung der Sache nach unvollständig sei, wie sich aus dem BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98 (BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176) ergebe. Diese Unvollständigkeit liege vor, wenn das Einspruchsbegehren teilweise übergangen werde, wie sich aus dem BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 III R 67/06 (BFH/NV 2007, 2063) ergebe. So liege der Fall hier, da die Familienkasse das weiterreichende Abzweigungsverlangen des Klägers unbeabsichtigt übergangen habe. Dem Kläger stehe aber der weitergehend geltend gemachte Anspruch auf Abzweigung nicht zu.
4
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, die er auf die Verletzung materiellen Rechts stützt. Das Urteil stehe nicht im Einklang mit § 74 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sein Anspruch auf Abzweigung werde willkürlich reduziert. Die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion lägen nicht vor.
5
Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Zurückverweisung des Rechtstreits an das FG.

6
Die Familienkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8
II. Auf die Revision des Klägers war das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat zu Unrecht in der Sache entschieden, obwohl mangels abgeschlossenen Vorverfahrens (§ 44 FGO) die Klage unzulässig war.
9
1. Ist gegen einen Steuerbescheid –hier den Bescheid über die Abzweigung von Kindergeld, für den als Entscheidung über eine Steuervergütung dieselben Vorschriften gelten (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81)– ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben, so ist eine Klage gegen den Bescheid vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO).
10
a) Ein außergerichtliches Vorverfahren muss zwar nicht zwangsläufig mit einer Einspruchsentscheidung beendet werden. Eine Erledigung des Einspruchsverfahrens tritt jedoch nur dann ein, wenn die Behörde dem Antrag des Einspruchsführers u.a. durch Änderung des Bescheids (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung –AO–) in vollem Umfang entspricht.
11
Ob dies der Fall ist, ergibt ein Vergleich zwischen dem Antrag im Einspruchsverfahren und der Regelung im Abhilfebescheid. Dabei ist der Antrag des Einspruchsführers im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Abhilfebescheids maßgebend (z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2003 VI B 83/03, BFH/NV 2004, 356).
12
Dagegen wird auch durch eine unvollständige Rechtsbehelfsentscheidung das außergerichtliche Vorverfahren in der nach dem Gesetz erforderlichen Weise förmlich abgeschlossen (BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 2063; in BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176, m.w.N.).
13
b) Liegt nur ein Teilabhilfebescheid vor, der dem Antrag des Einspruchsführers nicht in vollem Umfang entspricht, bleibt das Einspruchsverfahren –entgegen der Auffassung des FG im Streitfall– weiter anhängig (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 356, m.w.N.). Der Teilabhilfebescheid wird nach § 365 Abs. 3 AO automatisch Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Einspruchsführer ohne Einlegung eines neuen Rechtsbehelfs aus dem Rechtsbehelfsverfahrens gedrängt wird. Eines weiteren Einspruchs gegen den Teilabhilfebescheid bedarf es nicht. Bei einer Teilabhilfe ist jedoch über den nicht erledigten Teil des Einspruchs noch durch eine förmliche Einspruchsentscheidung zu entscheiden (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 356, m.w.N.).
14
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Klage im Streitfall nach § 44 Abs. 1 FGO nicht zulässig.
15
a) Die Familienkasse hat im Streitfall –wie sich aus der dem Bescheid vom 20. Januar 2011 und dessen Rechtsbehelfsbelehrung ergibt– keine Einspruchsentscheidung, sondern lediglich einen Abhilfebescheid erlassen, der –wie das FG insoweit zu Recht entschieden hat– dem Begehren des Klägers nicht in vollem Umfang entspricht.
16
b) Eine abweichende Beurteilung folgt nicht aus § 46 FGO. Nach dieser Vorschrift ist zwar eine Klage ohne vorherigen Ab-schluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht innerhalb einer angemessenen Frist sachlich entschieden worden ist. Jedoch kann eine vor Abschluss des Vorverfahrens erhobene Klage nur dann nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig sein, wenn spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Untätigkeit der Finanzbehörde gerügt wird (BFH-Urteile vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521; vom 24. April 2007 I R 33/06, BFH/NV 2007, 2236, unter II.5.). Dass im Streitfall eine solche Rüge erhoben worden ist, hat weder das FG festgestellt noch hat der Kläger Entsprechendes vorgetragen.
17
c) Dem steht auch nicht das vom FG für seine Auffassung angeführte BFH-Urteil in BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176 entgegen, da dieses auf der Besonderheit beruht, dass die Behörde in diesem Fall während eines über zwei Jahre dauernden Beschwerdeverfahrens von der „Möglichkeit der Selbstkontrolle“ keinen Gebrauch gemacht hat, so dass die Annahme, es fehle an einem förmlichen Abschluss des Verfahrens dazu geführt hätte, dass Rechtsschutz nur unter erschwerten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden könnte. Damit ist der Streitfall nicht vergleichbar.
18
Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem vom FG für seine Auffassung angeführten BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 2063. Dieses betrifft nur die Fallgestaltung, dass eine Einspruchsentscheidung vorliegt, diese aber einen Streitpunkt übergeht.
19
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Es hätte über die Klage nicht in der Sache entscheiden dürfen, sondern hätte vielmehr zunächst der Familienkasse Gelegenheit geben müssen, über den Einspruch zu entscheiden. Versäumt das FG dies und erlässt es stattdessen eine Sachentscheidung, so ist sein Urteil wegen Verletzung des § 44 Abs. 1 FGO aufzuheben (BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 2236, m.w.N.; vom 21. Juli 1987 IX R 80/83, BFH/NV 1988, 213). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit dieses auf die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Sachentscheidung hinwirken kann.
20
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 FGO. Über die Kosten der Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt hat, war nicht zu entscheiden.

 

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Rückstellungen für Kostenüberdeckungen eines kommunalen Zweckverbandes

Sachlicher Anwendungsbereich des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG 2002

BFH, Urteil I R 62/11 vom 06.02.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.2.2013, I R 62/11

Rückstellungen für Kostenüberdeckungen eines kommunalen Zweckverbandes – Sachlicher Anwendungsbereich des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG 2002

Leitsätze

1. Ist eine sog. Kostenüberdeckung nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Vorschriften (hier: nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG für die Nutzungsentgelte im Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung) in der folgenden Kalkulationsperiode auszugleichen (Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode), liegt eine rückstellungsfähige ungewisse Verbindlichkeit vor.

 

2. Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 setzt voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers nur auf künftiges Vermögen (nicht: auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen) des Schuldners bezieht. An einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens des Schuldners bestehen bei einer Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode keine begründeten Zweifel, wenn der Betrieb, der die zukünftigen Einnahmen und Gewinne erwirtschaftet, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Dauer der Ausgleichsperiode aufrechterhalten und damit die Erfüllung der Ausgleichsverpflichtung realisiert wird.

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob für sog. Kostenüberdeckungen, die im Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung innerhalb einer Preiskalkulationsperiode (Streitjahre: 2003 bis 2006) beim Wasserversorger entstanden und in der nächsten Kalkulationsperiode preismindernd zu berücksichtigen sind, einkommensmindernd Rückstellungen gebildet werden dürfen.
2
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Zweckverband verschiedener Städte und Gemeinden in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz im Freistaat Sachsen. Er hat in seinem Verbandsgebiet die Aufgabe der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung). Nach § 4 Abs. 7 der Verbandssatzung erfüllt er seine Aufgaben nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, ohne einen Gewinn anzustreben. § 10 Abs. 2 des Sächsischen Kommunalabgabengesetzes vom 19. Juni 1993/26. August 2004 (SächsKAG) sieht vor, dass die Kosten bei der Gebührenbemessung in einem mehrjährigen Zeitraum berücksichtigt werden können, der jedoch höchstens fünf Jahre umfassen soll (Satz 1). Kostenüberdeckungen, die sich am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, sind innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen (Satz 2 Halbsatz 1).
3
Der Beschluss der Verbandsversammlung zur Preiskalkulation im Zeitraum 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2006 datiert vom 18. Dezember 2002. Im Geschäftsverlauf erzielte der Kläger ausweislich von Nachkalkulationen in den Streitjahren jeweils Kostenüberdeckungen. Diese wurden im Beschluss der Preiskalkulation für den Zeitraum 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2011 „vollständig in die Preiskalkulation eingestellt“ und wirkten somit in der Folgeperiode preismindernd (Nr. 8 des Beschlusses der Preiskalkulation).
4
Der Kläger wies in seinen Bilanzen der Streitjahre folgende Zuführungen zu Rückstellungen für Kostenüberdeckungen aus:
5
31. Dezember 2003:
1.002.800 EUR
31. Dezember 2004:
  479.300 EUR
31. Dezember 2005:
1.165.100 EUR
31. Dezember 2006:
1.172.050 EUR
6
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) rechnete die Rückstellungen einkommenserhöhend hinzu und setzte die Körperschaftsteuer der Streitjahre entsprechend fest. Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Sächsisches Finanzgericht –FG–, Urteil vom 10. August 2011  1 K 1487/07, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2012, 820).
7
Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Körperschaftsteuer für die Streitjahre unter Abänderung der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide in einer Höhe herabzusetzen, die sich ergibt, wenn die Zuführungen zur Rückstellung für Kostenüberdeckung (inkl. Verzinsung) in 2003 in Höhe von 1.002.800 EUR, in 2004 in Höhe von 479.300 EUR, in 2005 in Höhe von 1.165.100 EUR und in 2006 in Höhe von 1.172.050 EUR einkommensmindernd angesetzt werden.
8
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine (einkommensmindernde) Berücksichtigung der Kostenüberdeckung nicht erfüllt sind. Allerdings bedarf es zur zeitlichen Zuordnung und zur Höhe des Ansatzes in den Streitjahren weiterer Feststellungen des FG.
10
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) hat der Kläger in seinen Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die handelsrechtlichen GoB ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs „Vorschriften für alle Kaufleute“ der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).
11
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entweder –erstens– das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder –zweitens– die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer –ggf. zugleich auch ihrer Höhe nach noch ungewissen– Verbindlichkeit (vgl. Senatsurteile vom 20. August 2008 I R 19/07, BFHE 222, 494, BStBl II 2011, 60; vom 27. Januar 2010 I R 103/08, BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (Senatsurteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688). Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, m.w.N.). Für die Passivierung rechtlich noch nicht bestehender Verbindlichkeiten ist des Weiteren ein wirtschaftlicher Bezug der möglicherweise entstehenden Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 30. Januar 2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279; vom 30. November 2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251; BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; Senatsurteil in BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614).
12
2. Nach diesen Maßgaben hat der Kläger dem Grunde nach zu Recht eine Kostenüberdeckung einkommensmindernd angesetzt.
13
a) Der Kläger unterfällt nach den vom FG festgestellten und in seiner Auslegung nicht streitigen landesrechtlichen Vorgaben mit seiner Preiskalkulation der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG. Damit ist er gehalten, auf der Grundlage des sog. Kostendeckungsprinzips zu kalkulieren und eine sog. Kostenüberdeckung auszugleichen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG). Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG, die für wirtschaftliche Unternehmen i.S. von § 97 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen vom 18. März 2003 (SächsGemO) das Erwirtschaften angemessener Gewinne ermöglicht und insoweit eine Ausgleichspflicht einschränkt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SächsKAG), ist nicht anwendbar. Denn wirtschaftliche Unternehmen in diesem Sinne sind nicht Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist (s. § 97 Abs. 2 Nr. 1 SächsGemO), was wiederum bei der Wasserversorgung zutrifft (§ 57 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Wassergesetzes vom 18. Oktober 2004).
14
b) § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG begründet allerdings keine Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Kalkulationsperiode auf Herausgabe des der Kostenüberdeckung entsprechenden anteiligen Entgelts. Insoweit ist der Vorinstanz beizupflichten.
15
aa) Die Revision kann dazu nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) zur Erzielung von sog. Mehrerlösen an Netzentgelten bei einer kostenbasierten Entgeltregulierung in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern zwischen erstmaligem Genehmigungsantrag und Genehmigung nach Maßgabe des § 23a Abs. 5 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz) entschieden hat, dass ein Mehrerlös vom Netzbetreiber nicht behalten werden darf, weil dieser Erlös „rechtsgrundlos“ erzielt worden ist (BGH-Beschlüsse vom 14. August 2008 KVR 39/07, Versorgungswirtschaft –VersorgW– 2009, 87 [die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2009  1 BvR 2738/08, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht –NVwZ– 2010, 373]; sowie vom 14. August 2008 KVR 27/07, Recht der Energiewirtschaft –RdE– 2008, 334; s.a. Hageböke, Der Betrieb –DB– 2011, 1480, 1543, 1544). Zwar hat der BGH in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass insoweit eine Verpflichtung des Netzbetreibers besteht, den Mehrerlös (jedenfalls) periodenübergreifend auszugleichen (BGH-Beschlüsse in VersorgW 2009, 87; vom 21. Juli 2009 EnVR 12/08, RdE 2010, 29). Daraus lässt sich aber im Streitfall eine (Außen-)Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Abrechnungsperiode nicht ableiten. Denn ungeachtet der spezifischen Sachumstände der jeweiligen Regelungslage hat der BGH im Zusammenhang mit der Verpflichtung auf Ausgleichung des Mehrerlöses zugleich darauf verwiesen, dass eine (Einzel-)Rückabwicklung im Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netznutzer ausgeschlossen ist (Hinweisbeschlüsse des BGH vom 30. März 2011 KZR 69/10, RdE 2011, 260, und KZR 70/10, juris).
16
bb) Eine (Außen-)Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Kalkulationsperiode folgt auch nicht auf gebührenrechtlicher Grundlage aus dem Umstand, dass in der jeweiligen Kalkulationsperiode tatsächlich eine Kostenüberdeckung erzielt wurde. Das gebührenrechtliche Kostendeckungsprinzip (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG), das ein Kostenüberdeckungsverbot für solche Unternehmen statuiert, die nicht als wirtschaftliches Unternehmen i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG qualifiziert sind (s.a. § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SächsKAG), ist dann nicht verletzt, wenn die Kostenüberdeckung auf einer Abweichung des tatsächlichen Geschäftsablaufs von der der Preisfindung zugrunde liegenden Prognose beruht (z.B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG–vom 8. Dezember 1961 VII C 2.61, BVerwGE 13, 214; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof –VGH– München, Urteil vom 3. März 1993  4 B 92.1878, NVwZ-Rechtsprechungsreport –NVwZ-RR– 1994, 290; s.a. Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Teil III/§ 6 Rz 25, 104, 254; Kaufmann in Henneke/Pünder/ Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 15 Rz 42; Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rz 57; Kronawitter, Kommunaljurist –KommJur– 2008, 370, 371). Denn Kostenüberdeckungen entstehen, wenn im tatsächlichen Betriebsverlauf die Kosten geringer und/oder die prognostizierten Erlöse (z.B. infolge erhöhter Absatzmengen) höher sind als die in der Prognosekalkulation dafür angesetzten Beträge (Giebler, Kommunale Steuer-Zeitschrift –KStZ– 2007, 167, 169). Die Kostenüberdeckung „als solche“ ist daher, was mittelbar auch aus § 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SächsKAG folgt, kein ausreichender Grund, den Beschluss der Preiskalkulation (insoweit) als rechtswidrig anzusehen.
17
c) Es bestand aber eine hinreichend konkretisierte Verpflichtung des Klägers kraft öffentlichen Rechts aus der verbindlichen Anweisung des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG, die Kostenüberdeckung „auszugleichen“.
18
aa) Nach der BFH-Rechtsprechung setzt die Bildung einer Rückstellung für eine aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen begründete Verpflichtung voraus, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist (z.B. Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; BFH-Urteile vom 25. März 2004 IV R 35/02, BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; vom 8. September 2011 IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122, jeweils m.w.N.). Die Verpflichtung muss auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten oder zumindest bestimmbaren Zeitraums abzielen (z.B. Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c). Diese Voraussetzungen werden im Regelfall bei Erlass einer behördlichen Verfügung oder bei Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung vorliegen. Einer solchen Umsetzung bedarf es allerdings nicht, wenn ein entsprechend konkreter Gesetzesbefehl vorliegt (Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121). Zudem ist nach der Rechtsprechung für die Rückstellbarkeit einer sich aus öffentlichem Recht ergebenden Verpflichtung erforderlich, dass an ihre Verletzung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann (Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121).
19
bb) Im Streitfall war die Verbindlichkeit des Klägers nach diesen Maßgaben hinreichend konkretisiert und zugleich mit einer auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzielenden Verpflichtung verbunden.
20
§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG verpflichtet den Kläger, Kostenüberdeckungen, die sich am Ende einer Kalkulationsperiode ergeben haben, innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Insoweit ergibt sich je nach dem tatsächlich erzielten wirtschaftlichen Ergebnis der jeweiligen Abrechnungsjahre eine durch dieses Ergebnis veranlasste Ausgleichspflicht (im Streitfall: zum 31. Dezember 2006), der sich der Kläger als Körperschaft öffentlichen Rechts mit einem entsprechenden Beschluss fügen muss. Da ein Beschluss für die Folgeperiode, der die Rückgabe der Überdeckungen nicht vorsieht, rechtswidrig wäre (z.B. BVerwG-Urteil in BVerwGE 13, 214; Urteil des VGH München in NVwZ-RR 1994, 290), kann sich der Kläger dieser Verpflichtung nicht entziehen (so im Ergebnis auch Kronawitter, KommJur 2008, 370, 373; Giebler, KStZ 2007, 167, 169; Pfützenreuter, EFG 2012, 821, 822). Es liegt damit entgegen der Ansicht des FA nicht nur eine bloß kalkulatorische Anweisung vor, die Kostenüberdeckung auszugleichen. Vielmehr ist mit der Revision insbesondere auf Klagemöglichkeiten einzelner Abnehmer gegen eine der Vorgabe des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG nicht entsprechende Kalkulation der Folgeperiode hinzuweisen, darüber hinaus auf die aufsichtsbehördliche Kontrolle der (Folge-)Kalkulation und die bei einem Verstoß in Aussicht stehenden Sanktionen der Aufsichtsbehörde, nicht zuletzt auch eine (subsidiäre) Amtshaftung der für die Mitglieder des Klägers handelnden Amtsträger (s.a. Kronawitter, ebenda; Giebler, ebenda). Diese Sachumstände belegen zugleich, dass der Kläger nicht damit rechnen kann, aus seiner Ausgleichsverpflichtung nicht in Anspruch genommen zu werden.
21
d) Der Rückstellungsbildung steht nicht entgegen, dass infolge einer Verrechnung der Kostenüberdeckung in der Preiskalkulation der nachfolgenden Periode in jener nicht der Aufwand des Klägers erhöht, sondern seine Einnahmen vermindert werden. Denn die Verbindlichkeitsrückstellung soll, wie der Senat in seinem Urteil vom 29. November 2000 I R 87/99 (BFHE 194, 57, BStBl II 2002, 655) entschieden hat, im Interesse eines periodengerechten Gewinnausweises gewährleisten, dass am Bilanzstichtag verursachte potentiell gewinnmindernde Faktoren in der Bilanz berücksichtigt werden. Dabei kann es für die Rückstellungsfähigkeit keinen Unterschied machen, ob die spätere Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit zu einer Erhöhung des Aufwands oder zu einer Verminderung der Einnahmen führt. In beiden Fällen ist am Bilanzstichtag von einer Minderung des Ergebnisses auszugehen, so dass es im Hinblick auf dieses Tatbestandsmerkmal sachgerecht ist, in beiden Fällen die Frage nach der Zulässigkeit einer Rückstellung übereinstimmend zu beantworten. Daran ist festzuhalten (s.a. Hageböke, DB 2011, 1543, 1547; a.A. Lüdenbach, Unternehmensteuern und Bilanzen 2011, 106).
22
e) Die Ausgleichsverpflichtung des Klägers ist entgegen der Ansicht des FA nicht als Gegenstand einer Verrechnungsverpflichtung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses (als sog. schwebendes Geschäft i.S. des § 5 Abs. 4a EStG 2002, s. Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 28. November 2011, BStBl I 2011, 1111) zu qualifizieren und damit wegen fehlenden Erfüllungsrückstands ausgeschlossen (a.A. wohl Finanzministerium Schleswig-Holstein, Erlass vom 7. Mai 2012 VI 304-S 2137-230, juris). Auch wenn, wie das FA vorträgt, die Verrechnung voraussichtlich überwiegend „Alt-Kunden“ zugutekommt, ist die Ausgleichsverpflichtung nicht in das konkrete Schuldverhältnis, das der Wasserversorgung mit dem einzelnen Kunden zugrunde liegt, einbezogen. Der Ausgleich im Rahmen der Preiskalkulation der Folgeperiode erfolgt unabhängig von einem Fortbestand des Schuldverhältnisses und begünstigt alle Abnehmer der Folgeperiode, unabhängig davon, inwieweit sie durch Entgeltzahlungen der Vorperiode zu der Kostenüberdeckung wirtschaftlich beigetragen haben. Im Übrigen begründet die Ausgleichsverpflichtung kein eigenständiges schwebendes Geschäft (s. insoweit Hruby, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2010, 127, 130).
23
f) Dem einkommensmindernden Ansatz der Kostenüberdeckung steht § 5 Abs. 2a EStG 2002 nicht entgegen. Zwar sind nach dieser Regelung für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist aber der Normzweck der einschränkenden Regelung im Streitfall nicht erfüllt, da der Kläger infolge der Kostenüberdeckung einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung seines Vermögens ausgesetzt ist.
24
aa) Schon vor der Einführung des Abs. 2a in § 5 EStG 1997 durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) ging die Rechtsprechung im Einklang mit dem Handelsrecht davon aus, dass bestimmte gewinnabhängige Verpflichtungen vor Erzielung des Gewinns, aus dem sie zu bedienen sind, noch keine wirtschaftliche Last darstellen und demgemäß nicht zu passivieren sind, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhandenen Vermögen bedient werden müssen (s. die Nachweise im Senatsurteil vom 30. November 2011 I R 100/10, BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332). Anlass für die gesetzliche Regelung waren dabei BFH-Urteile, nach denen der Grundsatz, dass gewinn- oder erlösabhängige Verbindlichkeiten nicht zu passivieren sind, nur greifen sollte, wenn die Pflicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit von der Gesamtgewinnsituation des Unternehmens abhänge, nicht dagegen, wenn die Abhängigkeit nur von einzelnen Geschäften bestehe (s. die Nachweise im Senatsurteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332). § 5 Abs. 2a EStG sollte auch für diese Verbindlichkeiten ein Passivierungsverbot festschreiben (BTDrucks 14/2070, S. 17). Ein Passivierungsverbot kommt seitdem allgemein in Betracht, wenn sich der Rückforderungsanspruch des Gläubigers nur auf künftiges, nicht aber auf vorhandenes Vermögen des Schuldners am Bilanzstichtag erstreckt (BTDrucks 14/2070, S. 18).
25
bb) Die aus § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG abzuleitende Pflicht, eine Kostenüberdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre durch eine zukünftig wirkende Gebührenermäßigung auszugleichen, wird vom Regelungswortlaut des § 5 Abs. 2a EStG 2002 erfasst. Der Wortlaut belässt nicht die Möglichkeit, den sachlichen Anwendungsbereich der Norm auf den in der Entwurfsbegründung angeführten Fall einer vorherigen Vermögenszuwendung durch den Gläubiger (bedingt rückzahlbare Vermögenszuwendung, s. BTDrucks 14/2070, S. 18) zu beschränken (gl.A. H. Richter in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1770; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 758b; a.A. wohl Lambrecht in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz Ca 17).
26
Jedoch liegt nach den konkreten Umständen des Streitfalls gleichwohl eine die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG 2002 ausschließende Belastung des gegenwärtigen Vermögens vor. Die (für den Kläger) unausweichliche Pflicht zur Gebührenermäßigung in der folgenden Kalkulationsperiode ist ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach eine bloße Modalität der Erfüllung der unbedingt und uneingeschränkt bestehenden Schuld (so im Ergebnis M. Kr., VersorgW 2012, 22, 23 f.; Hruby, DStR 2010, 127, 130; Pfützenreuter, EFG 2012, 821). Denn der Betrieb, der die zukünftigen Einnahmen/Gewinne erwirtschaftet (hier: die Tätigkeit als Unternehmen der Wasserversorgung), wird aus der Sicht des Bilanzstichtags mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Dauer der Ausgleichsperiode aufrechterhalten (s. insoweit auch BFH-Urteil vom 20. September 1995 X R 225/93, BFHE 178, 434, BStBl II 1997, 320, zu 2.c der Gründe), wodurch die Erfüllung der Ausgleichsverpflichtung realisiert wird. Somit bestehen an einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens des Klägers als Schuldner, die auch ein gedachter Erwerber bei einer Kaufpreisbemessung berücksichtigt hätte (s. insoweit allgemein BFH-Urteil vom 4. Februar 1999 IV R 54/97, BFHE 187, 418, BStBl II 2000, 139), keine begründeten Zweifel.
27
3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es fehlen entscheidungserhebliche Feststellungen, die im zweiten Rechtszug vom FG nachzuholen sind.
28
a) Ob die Verpflichtung des Klägers nur zum Abschluss der Preiskalkulationsperiode (im Streitfall: zum 31. Dezember 2006) zu berücksichtigen ist, oder –wie es der Kläger begehrt– auf der Grundlage der Nachkalkulationen mit den entsprechenden Teilbeträgen in den einzelnen Streitjahren, kann im hier anhängigen Revisionsverfahren nicht entschieden werden. Denn die Auslegung des dem Landesrecht entnommenen Begriffs der „Kostenüberdeckung“ ist dem erkennenden Senat verwehrt. Insoweit handelt es sich um nichtrevisibles (s. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) Landesrecht. Vom FG ist insoweit aufzuklären und festzustellen, ob eine Kostenüberdeckung i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG erst mit dem Ablauf der betreffenden Kalkulationsperiode (hier: zum 31. Dezember 2006) und auf der Grundlage einer entsprechenden Gesamtabrechnung (unter Ausgleich von jahresbezogenen Überschüssen und Fehlbeträgen) festgestellt werden kann (s.a. Kronawitter, KommJur 2008, 370, 373), oder ob die in den jeweiligen Abrechnungsperioden (Streitjahre 2003 bis 2006) als Folge der konkreten Geschäftstätigkeit des Klägers in diesen Jahren tatsächlich erzielten Überdeckungen als Teilbeträge der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit später entstehenden Verpflichtung (und damit als Rückstellungen) bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen sind (so im Ergebnis M. Kr., VersorgW 2012, 22 f.).
29
b) Darüber hinaus kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden, ob der Ansatz der Rückstellung der Höhe nach mit den dem Revisionsantrag zugrunde liegenden Werten („inkl. Verzinsung“) zu erfolgen hat. Denn das FG hat –von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht– keine Ermittlungen zur Höhe der in den einzelnen Streitjahren erwirtschafteten Teilkostenüberdeckungen bzw. der (Gesamt-) Kostenüberdeckung getroffen; es hat auch nicht ermittelt, ob die Kostenüberdeckung nach dem einschlägigen landesspezifischen Gebührenrecht verzinslich ist (so Kronawitter, KommJur 2008, 370, 375; M. Kr., VersorgW 2012, 22, 24), was mit Blick auf eine etwaige Abzinsung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Satz 1 Buchst. e i.V.m. Nr. 3 Satz 2 EStG 2002) entscheidungserheblich ist.

Kein Kindergeld für – später rechtskräftig verurteiltes – inhaftiertes und vom Studium beurlaubtes Kind

Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung wegen Änderung der Verhältnisse

BFH, Urteil XI R 50/10 vom 23.01.2013

Kein Kindergeld für –später rechtskräftig verurteiltes– inhaftiertes und vom Studium beurlaubtes Kind – Aufhebung oder Änderung einer Kindergeldfestsetzung wegen Änderung der Verhältnisse

Leitsätze

1. Die Durchführung einer Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG setzt voraus, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden.

 

2. Eine kindergeldschädliche Unterbrechung der Berufsausbildung ist gegeben, wenn ein später rechtskräftig verurteiltes Kind sich in Haft befindet und sich während dieser Zeit von seinem Studium hat beurlauben lassen.

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) einen Anspruch auf Kindergeld für ihren am X.X.1982 geborenen Sohn S hat, der sich von seinem Studium der Rechtswissenschaften vorübergehend hatte beurlauben lassen und sich während dieser Zeit in Untersuchungshaft und anschließend in Haft befand.
2
Der Sohn der Klägerin war seit dem Wintersemester 2002/2003 zum Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Z immatrikuliert. Er war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) vom Wintersemester 2003/2004 bis einschließlich Sommersemester 2005 beurlaubt. Seit dem Wintersemester 2005/2006 war S nicht mehr beurlaubt und hat sein Studium fortgesetzt.
3
Er wurde am 12. August 2004 vom Landgericht (LG) Z wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Ausweislich der Urteilsgründe war er in den Drogenhandel mit Haschisch eingebunden und hatte am 26. Juni 2003 Haschisch und Ecstasytabletten mit einem Marktwert von 100.000 EUR von A nach Z befördert. Der Sohn der Klägerin war am selben Tag festgenommen worden, befand sich zunächst in Untersuchungshaft und ab dem 26. Januar 2005 in Strafhaft. Ab August 2005 war er im sog. „offenen Vollzug“. Das LG U setzte mit Beschluss vom 17. Januar 2006 den Rest der Strafe vorzeitig zur Bewährung aus. Mit Beschluss vom 5. Februar 2009 wurde die ausgesetzte Reststrafe erlassen.
4
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 19. April 2007 für den Zeitraum Juli 2003 bis September 2005 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte überzahltes Kindergeld in Höhe von … EUR von der Klägerin zurück. Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren blieb ohne Erfolg.
5
Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 152 veröffentlicht. Das FG führte im Wesentlichen aus, dass für den streitbefangenen Zeitraum eine Unterbrechung der Berufsausbildung vorliege, was zum Wegfall der Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG führe. Denn auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen hätten trotz der Immatrikulation wegen der Beurlaubung während der Haft nicht stattgefunden. Der vorliegende Sachverhalt sei auch nicht mit dem Fall vergleichbar, über den der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 20. Juli 2006 III R 69/04 (BFH/NV 2006, 2067) befunden habe, in dem das in Untersuchungshaft befindliche Kind später von jedem strafrechtlichen Tatvorwurf freigesprochen worden sei. Demgegenüber sei das Kind im Streitfall für die vorsätzliche Begehung einer schwerwiegenden Straftat verurteilt worden; somit sei nicht erst die Anordnung der Untersuchungshaft oder die Vollziehung der Strafhaft ursächlich für die Unterbrechung der Ausbildung gewesen. Die vom FG vertretene Sichtweise werde im Übrigen auch von anderen Finanzgerichten geteilt (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12. Februar 2008  4 K 435/06, EFG 2008, 1393; FG Nürnberg, Urteil vom 20. Januar 2006 V 114/2005, nicht veröffentlicht –n.v.–, juris).
6
Mit der hiergegen eingelegten –vom FG zugelassenen– Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung ist der Streitfall entgegen der Ansicht des FG durchaus vergleichbar mit dem Sachverhalt, über den der BFH in seinem Urteil in BFH/NV 2006, 2067 befunden hat. Denn ihr Sohn habe mit der Begehung der Straftat keineswegs willentlich seine Ausbildung unterbrochen. Das FG habe insoweit eine „falsche und ihm nicht zukommende Gesinnungsbewertung“ vorgenommen. Im Übrigen sei ihr Sohn erstmals straffällig geworden und habe sich auch in der Haft weiter fortgebildet. Nicht einmal in einem Strafurteil werde festgestellt, ob der Angeklagte die Tat mit dem Vorsatz begangen hätte, seine Ausbildung zu unterbrechen. Dies dürfe auch niemand schlicht unterstellen. Vielmehr sei der bei der Tatbegehung mehr als „blauäugige“ und „naive“ Sohn der Klägerin als Heranwachsender vom Kopf einer Drogenbande als neuer Kurier rekrutiert und „verheizt“ worden, was den Telefonauswertungen der Akten der Mittäter zu entnehmen sei. Selbst bei einem Jurastudenten im zweiten Semester sei nicht ohne weiteres anzunehmen, die Folgen seiner Tat hätten sich ihm in diesem Ausmaß aufdrängen müssen, zumal es große Unterschiede zwischen strafrechtlichen Betäubungsmittelverfahren und anderen Strafverfahren gebe. Eine moralische Abwägung komme weder der Familienkasse noch dem FG zu, zumal die anwendbaren Rechtsnormen keine subjektiven Elemente aufwiesen.
7
Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil sowie den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung vom 19. April 2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.
8
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
9
Sie hält die Entscheidung des FG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
11
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin in der Zeit von Juli 2003 bis September 2005 für ihren Sohn S keinen Anspruch auf Kindergeld hat, so dass die Familienkasse berechtigt war, die entsprechende Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben und das insoweit ausgezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) wieder zurückzufordern.
12
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen beim Kindergeldberechtigten berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
13
a) Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG („ausgebildet wird“) stellt nach der Rechtsprechung des BFH nicht auf das formale Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848, unter II.1.a; in BFH/NV 2006, 2067, unter II.1.a; vom 24. September 2009 III R 79/06, BFH/NV 2010, 614, unter II.1.a aa). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Ausbildungsverhältnis vorläufig beendet ist oder ob es zwar bestehen bleibt, aber infolge Beurlaubung die Rechte und Pflichten ruhen (BFH-Urteil in BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848, unter II.1.). Denn es tritt grundsätzlich eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung des angestrebten Berufs zu dienen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BFHE 199, 210, BStBl II 2002, 807, unter II.2.a; in BFH/NV 2006, 2067, unter II.1.a, und in BFH/NV 2010, 614, unter II.1.a aa).
14
b) Im Streitfall hat das FG zutreffend angenommen, dass die Berufsausbildung des Kindes S durch die Untersuchungshaft mit anschließender Strafhaft für den streitbefangenen Zeitraum unterbrochen war. Denn der Sohn der Klägerin hat während dieser Zeit sein begonnenes Studium der Rechtswissenschaften, von dem er sich hatte beurlauben lassen, nicht fortgesetzt.
15
aa) Dem steht nicht entgegen, dass eine Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung oder Mutterschaft für den Anspruch auf Kindergeld als unschädlich angesehen wird (vgl. Abschn. 63.3.2.8 Abs. 1 und 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes –DA-FamEStG–; ebenso BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2067, unter II.1.c; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil in EFG 2008, 1393; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011  2 K 5243/09, EFG 2011, 1262; FG Münster, Urteil vom 8. Juni 2011  10 K 3649/09 Kg, EFG 2012, 339). Denn im Streitfall ist keiner dieser Ausnahmefälle gegeben.
16
bb) Auch die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des BFH, wonach ein in Untersuchungshaft genommenes Kind ausnahmsweise weiterhin als in Ausbildung befindlich zu behandeln ist, wenn es die begonnene Ausbildung in der Haft nicht fortsetzt (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2067; entgegen Abschn. 63.3.2.7 Abs. 9 DA-FamEStG), ist im Streitfall nicht einschlägig.
17
Denn der BFH hatte in seinem in BFH/NV 2006, 2067 zu entscheidenden Fall maßgeblich darauf abgestellt, dass das seinerzeit in Polen inhaftierte Kind die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hatte, weil es letztlich vom Tatvorwurf freigesprochen worden war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2067, unter II.1.c).
18
Demgegenüber hat das Kind S im Streitfall mit seiner Beteiligung am Drogenhandel eine Straftat begangen, für die es rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ein derartiger Sachverhalt ist unabhängig von der subjektiven Sicht des Kindes von vornherein nicht vergleichbar mit dem Fall, über den der BFH in BFH/NV 2006, 2067 befunden hat (im Ergebnis ebenso FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil in EFG 2008, 1393; FG Baden-Württemberg, Urteil in EFG 2011, 1262; FG Münster, Urteil in EFG 2012, 339; Dürr, BFH-PR 2006, 485, 486).
19
Diese Wertung steht im Ergebnis im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, wonach für behinderte Kinder, die sich in Strafhaft befinden, gleichfalls kein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2009 III B 47/08, BFH/NV 2009, 929, und vom 8. November 2012 VI B 86/12, n.v., juris).
20
2. Das FG hat auch zutreffend das Vorliegen der Voraussetzungen von § 70 Abs. 2 EStG bejaht.
21
Nach dieser Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Anspruch auf Kindergeld erheblichen Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern. Die Familienkasse hat insoweit keinen Ermessensspielraum (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231; vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81).
22
Im Streitfall liegt die Änderung der Verhältnisse in der Unterbrechung der Ausbildung durch die Beurlaubung vom Studium und den Haftantritt des Sohnes der Klägerin.
23
3. Das FG hat überdies zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen von § 37 Abs. 2 AO vorliegen. Die Familienkasse war danach berechtigt, das für den streitbefangenen Zeitraum ausbezahlte Kindergeld zurückzufordern.

Kein erneuter Verpflegungsmehraufwand bei Unterbrechung der Auswärtstätigkeit von weniger als vier Wochen

Ein selbständiger Unternehmensberater, der über Monate hinweg wöchentlich zwei bis vier Arbeitstage in dem Betrieb eines Kunden auswärts tätig ist, kann Mehraufwendungen für seine Verpflegung nur in den ersten drei Monaten dieser Auswärtstätigkeit geltend machen. Eine Unterbrechung der Tätigkeit, die zum Neubeginn der Dreimonatsfrist führt, liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn sie mindestens vier Wochen dauert. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 28. Februar 2013 III R 94/10 entschieden.

Im Streitjahr 1999 konnten Mehraufwendungen für die Verpflegung gemäß § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben auswärtigen Tätigkeitsstätte nur für die ersten drei Monate als Betriebsausgaben abgezogen werden.

Der Kläger meinte, die Vorschrift sei auf seinen Fall nicht anzuwenden, denn sie setze eine ununterbrochene und fortlaufende Vollzeittätigkeit voraus. Dies sei bei ihm jedoch nicht der Fall gewesen. Vielmehr sei er im Rahmen einzelner aufeinander folgender Aufträge tätig geworden, die zudem jeweils unterbrochen gewesen seien durch Heimarbeitstage und kurzfristige Dienstreisen für andere Kunden.

Dem ist der BFH nicht gefolgt. Eine ununterbrochene Vollzeittätigkeit ist danach nicht Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift. Der Kläger habe vielmehr dem Zweck der Vorschrift entsprechend seine auswärtige Verpflegungssituation derjenigen an seinem Wohnort anpassen können.

Auch eine rechtlich relevante Unterbrechung der Auswärtstätigkeit, die einen neuen Abzugszeitraum eröffnen würde, liegt nicht vor. Weder die kurzfristigen Auswärtstätigkeiten für andere Kunden noch die Arbeit im heimischen Büro sind dafür ausreichend. Eine solche Unterbrechung müsste im Regelfall vielmehr mindestens vier Wochen andauern. Dies entspricht auch der ab dem Jahr 2014 anwendbaren Neufassung des Gesetzes (§ 9 Abs. 4a Satz 7 EStG).

BFH, Pressemitteilung Nr. 28/13 vom 15.05.2013 zum Urteil III R 94/10 vom 28.02.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 28.2.2013, III R 94/10

Verpflegungsmehraufwandspauschale für einen Unternehmensberater – Dreimonatsfrist bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte ist verfassungsgemäß – Keine teleologische Reduktion von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG – Änderung einer Steuerfestsetzung nach Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO

Leitsätze

1. Ein selbständiger Unternehmensberater, der über Monate hinweg wöchentlich zwei bis vier Arbeitstage in dem Betrieb eines Kunden auswärts tätig ist, kann Mehraufwendungen für seine Verpflegung nur in den ersten drei Monaten dieser Auswärtstätigkeit geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn die Beratungsaufträge kurzfristig immer wieder aufs Neue erteilt werden.

 

2. Eine Unterbrechung der Tätigkeit, die zum Neubeginn der Dreimonatsfrist führt, liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn sie mindestens vier Wochen andauert.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 1999 als Unternehmensberater Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
2
Im Auftrag einer GmbH betreute er die Beratungsprojekte „A.“ und „A. L.“, die die GmbH bei ihrem Auftraggeber, der Firma X GmbH & Co. KG (im Folgenden Fa. X), durchführte. Zu diesem Zweck begab sich der Kläger, von einer zweiwöchigen Unterbrechung abgesehen, jede Woche des Streitjahres zur Fa. X in die Stadt B (im Folgenden B). Dort war er zwischen zwei und vier, zumeist drei Tagen (Dienstag, Mittwoch, Donnerstag) zusammenhängend tätig, übernachtete im Hotel und reiste dann wieder zu seiner Wohnung in O zurück. Insgesamt war der Kläger an 153 Tagen in B bei der Fa. X beschäftigt. An weiteren 27 Tagen befand er sich auf Dienstreisen in anderen Städten, wo er für andere Kunden Beratungsleistungen erbrachte. Die restliche Arbeitszeit verwandte er auf Vor- und Nachbereitungen, Konzeptentwicklungen, Informationsbeschaffung u.ä. Diese Arbeiten verrichtete er in seinem Heimatort O in einem Büro der GmbH. Die Beratungszeiten bei der Fa. X wurden jeweils kurzfristig vereinbart. Der Kläger wurde diesbezüglich immer wieder neu beauftragt.
3
Die Tätigkeit bei der Fa. X hatte der Kläger auch bereits im Vorjahr in den Monaten Oktober bis Dezember ausgeübt. In jeder Woche war er jeweils mehrere Tage –insgesamt 41– in B im Rahmen der genannten Projekte beschäftigt.
4
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) lehnte es ab, dem Kläger für seine Tätigkeit in B Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen zu gewähren. Zur Begründung führte das FA an, dass die Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte in B zu Beginn des Streitjahres bereits länger als drei Monate angedauert habe. Das Einkommensteuergesetz (EStG) sehe eine Berücksichtigung des Verpflegungsmehraufwands über die Dreimonatsgrenze des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG hinaus nicht vor. Das Finanzgericht (FG) folgte im angegriffenen Urteil dieser Betrachtungsweise im Wesentlichen.
5
Mit seiner Revision rügt der Kläger, dass das FG rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, dass es sich bei seiner Auswärtstätigkeit in B tatsächlich um die gleichbleibende nämliche Auswärtstätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG gehandelt habe. Die dort vorgesehene Dreimonatsfrist sei nur in den Fällen einer tatsächlich ununterbrochenen und fortlaufend durchgeführten Auswärtstätigkeit im Zusammenhang mit einer Vollzeittätigkeit, z.B. im Rahmen einer klassischen Fünf-Tage-Woche, anwendbar. Eine derartige ununterbrochene Auswärtstätigkeit sei eventuell auch dann gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger tatsächlich –und im Vorhinein bestimmt– dauerhaft im Rahmen einer klassischen Fünf-Tage-Woche mit jeweiliger Rückkehr zum Familienwohnsitz am Wochenende (sog. Wochenend-Heimfahrer) auswärts tätig sei. Demgegenüber sei in seinem Fall eine vollkommen unregelmäßige Tätigkeitsstruktur mit laufenden Unterbrechungen der Auswärtstätigkeiten in B gegeben gewesen. Eine dauerhafte Tätigkeit sei weder beabsichtigt noch vorhersehbar gewesen. Die Aufeinanderfolge einzelner Aufträge sei kein Kriterium für die Anwendung der Dreimonatsfrist. Die Auswärtstätigkeiten seien vielmehr als einzelne Geschäftsreisen anzusehen. Das FG-Urteil stehe auch mit den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. November 2005 VI R 12/04 (BFHE 212, 64, BStBl II 2006, 267) und vom 19. Dezember 2005 VI R 30/05 (BFHE 212, 218, BStBl II 2006, 378) nicht im Einklang. Dort habe der BFH im Falle eines auswärtig eingesetzten Seemannes klargestellt, dass es sich nur dann um die gleichbleibende nämliche Auswärtstätigkeit handele, wenn und solange diese ununterbrochen fortlaufend ausgeführt werde. Die in den Lohnsteuer-Richtlinien 2008 (LStR 2008) enthaltene Regelung, wonach bei derselben Auswärtstätigkeit eine neue Dreimonatsfrist erst nach einer Unterbrechung von mindestens vier Wochen beginne, finde im Gesetz keine Grundlage. Diese Bewertung treffe auch auf die weitere Regelung zu, wonach dieselbe Auswärtstätigkeit nicht vorliege, wenn die auswärtige Tätigkeitsstätte an nicht mehr als (ein bis) zwei Tagen wöchentlich aufgesucht werde. Würde man diesen Grundsatz für anwendbar halten, so käme es zu eklatanten Ungleichbehandlungen zwischen verschiedenen Gruppen von Steuerpflichtigen. Ohnehin stünden verfassungsrechtliche Vorgaben der gesetzlichen Dreimonatsfrist entgegen. Zu verweisen sei auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur zeitlichen Begrenzung der doppelten Haushaltsführung (Beschluss vom 4. Dezember 2002  2 BvR 400/98, BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534). Durch die Anwendung der Dreimonatsfrist werde er im Vergleich zu anderen Gruppen von Steuerpflichtigen benachteiligt. So könnten etwa andere Unternehmensberater bei entsprechender Gestaltung für alle Abwesenheitstage sämtlicher Auswärtstätigkeiten die Pauschbeträge auf Dauer ansetzen.
6
Der Kläger beantragt,

1. das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1999 dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus selbständiger Tätigkeit wegen zusätzlich abzugsfähiger Betriebsausgaben (Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen) um 4.652 DM reduziert wird;

2. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG die Frage vorzulegen, ob § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG, wonach der Abzug pauschaler Verpflegungsmehraufwendungen auf die ersten drei Monate einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt ist, mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist;

3. das FA zu verpflichten, ihm einen angemessenen Schadensersatz für seine eigenen Zeit- und Geldaufwendungen, die für das vorliegende Verfahren über den zumutbaren Aufwand weit hinausgehen, zu leisten;

4. anzuordnen, dass die Fortsetzungsfeststellung für die Jahre 2002 bis 2008 gilt.

7
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG rechtsfehlerfrei angewendet.
9
1. Die vom Kläger unter I.3. und 4. gestellten Anträge sind unzulässig. Sie überschreiten den Rahmen revisionsrechtlicher Prüfung.
10
a) Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO sind Klageänderungen im Revisionsverfahren unzulässig. Eine solche Klageänderung ist gegeben, wenn der erstmals im Revisionsverfahren gestellte Antrag einen anderen Streitgegenstand betrifft als der Klageantrag (BFH-Urteil vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830).
11
b) Erstinstanzlich hat der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung und des Tatbestands des angegriffenen Urteils ausschließlich einen auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 1999 gerichteten Anfechtungsantrag gestellt. Die erstmals im Revisionsverfahren gestellten Anträge unter I.3. und 4. betreffen einen Schadensersatzanspruch und einen sich auf die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2008 beziehenden Feststellungsantrag. Die Streitgegenstände sind damit verschieden.
12
2. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Begrenzung des Abzugs von Mehraufwendungen für Verpflegung auf drei Monate bei einer längerfristigen vorübergehenden Auswärtstätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte verfassungswidrig ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen ist auf die Gründe des BFH-Urteils vom 8. Juli 2010 VI R 10/08 (BFHE 230, 352, BStBl II 2011, 32) zu verweisen. Der Senat schließt sich der dort vertretenen Auffassung an. Der BFH hat in dieser Entscheidung die Dreimonatsfrist bei doppelter Haushaltsführung für verfassungsgemäß erachtet.
13
Der Senat vermag keine Gesichtspunkte zu erkennen, die eine abweichende verfassungsrechtliche Würdigung bei der vorliegend zur Beurteilung anstehenden Dienstreisetätigkeit des Klägers rechtfertigen würden. Der Hinweis des Klägers auf die bei Dienstreisen typischerweise fehlende Kochgelegenheit ist zwar zutreffend, ändert aber nichts daran, dass der Steuerpflichtige sich auch in solchen Fällen auf die Verpflegungssituation am Beschäftigungsort einstellen, die Höhe der Kosten beeinflussen und damit einen „Mehr“-Aufwand minimieren oder sogar vermeiden kann. So gibt es für das vom Kläger angesprochene Frühstück und das Abendessen im Hotel durchaus preiswertere Alternativen.
14
3. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG ist der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen wegen Auswärtstätigkeit auf die ersten drei Monate einer längerfristigen vorübergehenden Tätigkeit an derselben Tätigkeitsstätte beschränkt.
15
a) Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Die Gesetzesbestimmung ist bereits nach ihrem Wortlaut erfüllt. Denn der Kläger war nach den nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) seit Anfang Oktober 1998 über den Jahreswechsel hinaus noch während des gesamten Streitjahres und damit längerfristig vorübergehend bei der Fa. X und damit in derselben Tätigkeitsstätte als Unternehmensberater beruflich aktiv. Die Dreimonatsfrist war zu Beginn des Streitjahres bereits abgelaufen. Zu rechtlich erheblichen Unterbrechungen der Auswärtstätigkeit, die zu einem Neubeginn der Dreimonatsfrist führen würden, ist es nicht gekommen.
16
b) Der Revision ist nicht darin zu folgen, dass die Auswärtstätigkeit gänzlich ununterbrochen beziehungsweise in jeder Woche durchgehend an fünf Arbeitstagen ausgeübt werden müsste, um die streitige gesetzliche Regelung anwenden zu können.
17
aa) Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Abzugsbegrenzung kann dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. Dort findet sich die Formulierung „ununterbrochen“ nicht. Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine teleologische Reduktion nicht. Die Abzugsbegrenzung beruht auf der gesetzgeberischen Überlegung, dass die Steuerpflichtigen nach Ablauf der auf drei Monate typisierten Übergangszeit regelmäßig eine Verpflegungssituation vorfinden, die keine beruflich veranlassten Mehraufwendungen verursacht (BTDrucks 13/901, S. 129). Der Streitfall lässt keine atypischen Besonderheiten erkennen. Ganz im Gegenteil war es dem Kläger durch die über Monate hinweg fast in jeder Arbeitswoche mehrtägig ausgeübte Tätigkeit in B ohne Weiteres möglich, mit der gewonnenen Kenntnis der örtlichen Verhältnisse auf eine Reduzierung seiner Ernährungsausgaben hinzuwirken und seine auswärtige Verpflegungssituation insgesamt der seines Wohnortes anzupassen.
18
bb) Dass ihrem Charakter nach vorübergehende Unterbrechungen der Auswärtstätigkeit (Wochenendheimfahrten, einzelne Arbeitstage im heimischen Büro, kurzfristige Auswärtstätigkeiten in anderen Orten, Krankheits- und Urlaubszeiten) unschädlich für den Ablauf der Dreimonatsfrist sind und nicht jeweils zu einem Neubeginn derselben führen, hat der BFH bereits mehrfach entschieden (BFH-Urteile vom 19. Juli 1996 VI R 38/93, BFHE 181, 161, BStBl II 1997, 95; vom 4. Mai 1990 VI R 83/86, BFH/NV 1991, 40; vom 27. Juli 2004 VI R 43/03, BFHE 207, 196, BStBl II 2005, 357). Danach liegt noch dieselbe und nicht bereits eine neue Dienstreise vor, wenn der Steuerpflichtige nach einer Unterbrechung die Auswärtstätigkeit mit gleichem Inhalt, am gleichen Ort und im zeitlichen Zusammenhang mit der bisherigen Tätigkeit ausübt. Hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs hatte der BFH keine Bedenken, die typisierende Regelung der damals geltenden LStR (vgl. jetzt R 9.6 Abs. 4 Sätze 2 und 4 LStR 2008 bzw. 2011) heranzuziehen, wonach erst bei einer Unterbrechung von mindestens vier Wochen eine neue Dienstreise anfängt und damit die Dreimonatsfrist erneut zu laufen beginnt (BFH-Urteil in BFHE 181, 161, BStBl II 1997, 95; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 207, 196, BStBl II 2005, 357, zu einer über vier Wochen hinausgehenden Unterbrechung durch Einsatz an einer anderen Tätigkeitsstätte). Das BFH-Urteil in BFHE 181, 161, BStBl II 1997, 95 ist zwar zu der früher in Abschn. 25 Abs. 3 LStR 1987 enthaltenen Dreimonatsfrist ergangen. Nach Auffassung des Senats spricht aber nichts dagegen, die Grundsätze dieser Entscheidung für die Auslegung und Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG zu übertragen. Denn mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber des Jahressteuergesetzes vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) die Dreimonatsfrist speziell für den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen übernommen. Der Senat folgt damit insbesondere nicht der zum Teil in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach schon jedwede Unterbrechung der Auswärtstätigkeit, z.B. durch kurzfristige Rückkehr an den Betriebssitz oder kurzfristige Geschäftsreisen zu anderen Tätigkeitsorten (vgl. Popp, Deutsches Steuerrecht 2006, 2112, m.w.N.), zu einem Neubeginn der Dreimonatsfrist führt. Diese Auffassung findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze und würde überdies den praktischen Anwendungsbereich der Norm –auch und vor allem in Anbetracht der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten (hierzu z.B. Popp, Betriebsberater 1997, 1821, 1823)– entgegen dem gesetzlichen Regelungszweck erheblich einschränken.
19
cc) Zu einer erheblichen zeitlichen Unterbrechung der Auswärtstätigkeit in B ist es im Streitfall nicht gekommen. Neben den zu Hause verbrachten Wochenenden, den „Heimarbeitstagen“ im Büro und einigen Dienstreisen zu anderen Kunden, die jeweils nur von kurzer Dauer waren, hat das FG lediglich eine einmalige Unterbrechung von zwei Wochen festgestellt. Im Übrigen war der Kläger im Zeitraum von Oktober 1998 bis Dezember 1999 in jeder Woche mehrere Tage in B tätig. Bei wertender Betrachtung sieht der Senat die Arbeiten, die der Kläger bei der Fa. X über Monate hinweg verrichtet hat, auch inhaltlich als gleichartig an. Es ging jeweils um Beratungsleistungen. Auf welchen Teil der Unternehmenstätigkeit (Produktion, Absatz, Logistik, EDV usw.) sich die Beratung genau bezog, ist ebenso irrelevant wie die Tatsache, dass der Kläger immer wieder aufs Neue mit Beratungsleistungen beauftragt wurde. Dies führte deswegen nicht zu einer rechtlich relevanten Zäsur, weil es nach dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes nicht auf die zivilrechtliche Auftragslage oder den konkreten Inhalt der geschuldeten Tätigkeit, sondern maßgeblich auf die Ausübung der Arbeit „an derselben Tätigkeitsstätte“, also auf die Identität des Arbeitsortes ankommt. Nichts anderes ist gemeint, wenn in der Rechtsprechung des BFH dieses Tatbestandsmerkmal gelegentlich mit der Formulierung „gleichbleibende, nämliche Auswärtstätigkeit“ umschrieben wird (z.B. BFH-Urteil in BFHE 212, 64, BStBl II 2006, 267).
20
dd) Die Auswärtstätigkeit muss auch nicht, wie der Kläger meint, an allen fünf regelmäßigen Arbeitstagen einer Woche ausgeübt worden sein. Wortlaut und Zweck des Gesetzes gebieten eine solche Betrachtungsweise nicht. Mit der soeben dargestellten Rechtsprechung zu Unterbrechungen des Dreimonatszeitraums ist sie offenkundig nicht zu vereinbaren. Außerdem hat die Rechtsprechung die Abzugsbegrenzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG auch bei einem nur an bestimmten Wochentagen erfolgten Besuch einer auswärtigen Fortbildungseinrichtung angewandt (BFH-Urteil vom 10. April 2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825).
21
c) Die Berufung des Klägers auf die BFH-Urteile in BFHE 212, 64, BStBl II 2006, 267 und in BFHE 212, 218, BStBl II 2006, 378 vermag den Erfolg der Revision nicht zu begründen. Die beiden Entscheidungen betrafen jeweils die Fahrtätigkeit eines Seemannes. Dass der BFH jede einzelne Seereise des Schiffes von dessen Auslaufen bis zur Rückkehr in den Heimathafen als dieselbe Auswärtstätigkeit, eine „neue“ Reise dementsprechend als eine davon unabhängige zweite Auswärtstätigkeit qualifiziert hatte, besagt für die Lösung des Streitfalles nichts. Der BFH hatte in den genannten Entscheidungen eine konkrete Art von Auswärtstätigkeit rechtlich zu würdigen. Eine andere Form von Auswärtstätigkeit, wie sie vorliegend zur Beurteilung ansteht, muss entsprechend ihrer Eigenart gesondert gewürdigt werden. Der Kläger zieht im Übrigen aus dem Umstand, dass eine Seereise in der Tat ununterbrochen an sieben Tagen jeder Woche bis zur Rückkehr in den Heimathafen andauert, offenbar die unzutreffende rechtliche Schlussfolgerung, dass die Abzugsbegrenzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG nur bei vergleichbar „unterbrechungslosen“ Auswärtstätigkeiten angewandt werden dürfte. Dies ist aber, wie vorstehend unter II.3.b der Gründe aufgezeigt, nicht zutreffend.
22
d) Nach Auffassung des Senats wird der Kläger durch die soeben dargelegte Auslegung und Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG nicht in seinem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Der Kläger verkennt bei seinen verfassungsrechtlichen Betrachtungen, dass den von ihm dargestellten Vergleichsrechnungen andere –hypothetische– Sachverhalte zugrunde liegen als dem Streitfall. Bereits dieser Unterschied im Sachverhalt rechtfertigt eine unterschiedliche steuerrechtliche Beurteilung. Falls die Ausführungen der Revision dahin zu verstehen sein sollten, dass mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Unterbrechung einer Auswärtstätigkeit nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen einhergehen, ist darauf hinzuweisen, dass mit jeder typisierenden und vereinfachenden Betrachtungsweise Härten einhergehen, die als solche aber noch nicht zu einem Gleichheitsverstoß führen.
23
e) Ob es sich bei der Auswärtstätigkeit des Klägers um eine Einsatzwechseltätigkeit handelt oder um Dienstreisen, kann dahinstehen. Denn bei beiden Formen der Auswärtstätigkeit gilt die Dreimonatsfrist (BFH-Urteil in BFHE 207, 196, BStBl II 2005, 357).
24
4. a) Ob der Kläger unter Berufung auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. April 2005 IV C 5 –S 2353- 77/05 (BStBl I 2005, 673) beanspruchen kann, dass die streitigen Aufwendungen ungeachtet der dargestellten Rechtslage als Betriebsausgaben behandelt werden, kann im vorliegenden Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Denn die in dem BMF-Schreiben aus Vertrauensschutzgründen vorgesehene Übergangsregelung (keine Anwendung der Dreimonatsfrist bei Einsatzwechseltätigkeit) stellt eine Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) dar, über die in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden ist (vgl. BFH-Urteile vom 30. November 2004 VIII R 76/00, BFH/NV 2005, 856; vom 14. April 2011 IV R 15/09, BFHE 233, 206, BStBl II 2011, 706).
25
b) Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 74 FGO bis zur Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO bzw. § 227 AO ist aus Rechtsgründen nicht geboten und bei Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes auch nicht zweckmäßig. Die Entscheidung über die Aussetzung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zwar ist es regelmäßig sinnvoll, den Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids auszusetzen, solange noch unklar ist, ob und wie ein angefochtener Grundlagenbescheid geändert wird. Auch der Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zulässt, wird als Grundlagenbescheid angesehen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3, m.w.N.). Da indes das FA im Streitfall über eine Billigkeitsmaßnahme noch nicht entschieden hat und die Frage, ob eine Einsatzwechseltätigkeit überhaupt vorliegt, noch gar nicht geklärt wurde, würde sich die Erledigung des anhängigen Revisionsverfahrens bei einer Aussetzung nach § 74 FGO erheblich verzögern. Im Übrigen hält es der Senat für sinnvoll, zunächst die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung festzustellen, ehe über eine Billigkeitsmaßnahme entschieden wird. Nachteile ergeben sich für den Kläger aus dieser Entscheidung nicht, denn die Bestandskraft der Steuerfestsetzung schließt die Entscheidung über einen Billigkeitserlass nach § 163 AO nicht aus. Sollte eine Billigkeitsmaßnahme nach Rechtskraft der Entscheidung des erkennenden Senats gewährt werden, ist der Einkommensteuerbescheid nach § 175 AO zu ändern (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 856).