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Rückstellungen für Kostenüberdeckungen eines kommunalen Zweckverbandes

Sachlicher Anwendungsbereich des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG 2002

BFH, Urteil I R 62/11 vom 06.02.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 6.2.2013, I R 62/11

Rückstellungen für Kostenüberdeckungen eines kommunalen Zweckverbandes – Sachlicher Anwendungsbereich des Passivierungsverbots nach § 5 Abs. 2a EStG 2002

Leitsätze

1. Ist eine sog. Kostenüberdeckung nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Vorschriften (hier: nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG für die Nutzungsentgelte im Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung) in der folgenden Kalkulationsperiode auszugleichen (Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode), liegt eine rückstellungsfähige ungewisse Verbindlichkeit vor.

 

2. Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 setzt voraus, dass sich der Anspruch des Gläubigers nur auf künftiges Vermögen (nicht: auf am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen) des Schuldners bezieht. An einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens des Schuldners bestehen bei einer Rückgabe der Kostenüberdeckung durch entsprechende Preiskalkulation der Folgeperiode keine begründeten Zweifel, wenn der Betrieb, der die zukünftigen Einnahmen und Gewinne erwirtschaftet, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Dauer der Ausgleichsperiode aufrechterhalten und damit die Erfüllung der Ausgleichsverpflichtung realisiert wird.

Tatbestand

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I. Streitig ist, ob für sog. Kostenüberdeckungen, die im Rahmen der öffentlichen Wasserversorgung innerhalb einer Preiskalkulationsperiode (Streitjahre: 2003 bis 2006) beim Wasserversorger entstanden und in der nächsten Kalkulationsperiode preismindernd zu berücksichtigen sind, einkommensmindernd Rückstellungen gebildet werden dürfen.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Zweckverband verschiedener Städte und Gemeinden in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz im Freistaat Sachsen. Er hat in seinem Verbandsgebiet die Aufgabe der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung). Nach § 4 Abs. 7 der Verbandssatzung erfüllt er seine Aufgaben nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, ohne einen Gewinn anzustreben. § 10 Abs. 2 des Sächsischen Kommunalabgabengesetzes vom 19. Juni 1993/26. August 2004 (SächsKAG) sieht vor, dass die Kosten bei der Gebührenbemessung in einem mehrjährigen Zeitraum berücksichtigt werden können, der jedoch höchstens fünf Jahre umfassen soll (Satz 1). Kostenüberdeckungen, die sich am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, sind innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen (Satz 2 Halbsatz 1).
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Der Beschluss der Verbandsversammlung zur Preiskalkulation im Zeitraum 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2006 datiert vom 18. Dezember 2002. Im Geschäftsverlauf erzielte der Kläger ausweislich von Nachkalkulationen in den Streitjahren jeweils Kostenüberdeckungen. Diese wurden im Beschluss der Preiskalkulation für den Zeitraum 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2011 „vollständig in die Preiskalkulation eingestellt“ und wirkten somit in der Folgeperiode preismindernd (Nr. 8 des Beschlusses der Preiskalkulation).
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Der Kläger wies in seinen Bilanzen der Streitjahre folgende Zuführungen zu Rückstellungen für Kostenüberdeckungen aus:
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31. Dezember 2003:
1.002.800 EUR
31. Dezember 2004:
  479.300 EUR
31. Dezember 2005:
1.165.100 EUR
31. Dezember 2006:
1.172.050 EUR
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) rechnete die Rückstellungen einkommenserhöhend hinzu und setzte die Körperschaftsteuer der Streitjahre entsprechend fest. Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Sächsisches Finanzgericht –FG–, Urteil vom 10. August 2011  1 K 1487/07, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2012, 820).
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Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Körperschaftsteuer für die Streitjahre unter Abänderung der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide in einer Höhe herabzusetzen, die sich ergibt, wenn die Zuführungen zur Rückstellung für Kostenüberdeckung (inkl. Verzinsung) in 2003 in Höhe von 1.002.800 EUR, in 2004 in Höhe von 479.300 EUR, in 2005 in Höhe von 1.165.100 EUR und in 2006 in Höhe von 1.172.050 EUR einkommensmindernd angesetzt werden.
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Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine (einkommensmindernde) Berücksichtigung der Kostenüberdeckung nicht erfüllt sind. Allerdings bedarf es zur zeitlichen Zuordnung und zur Höhe des Ansatzes in den Streitjahren weiterer Feststellungen des FG.
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1. Gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 i.V.m. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) hat der Kläger in seinen Bilanzen das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist. Die handelsrechtlichen GoB ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten Abschnitts des Dritten Buchs „Vorschriften für alle Kaufleute“ der §§ 238 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB).
11
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entweder –erstens– das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder –zweitens– die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer –ggf. zugleich auch ihrer Höhe nach noch ungewissen– Verbindlichkeit (vgl. Senatsurteile vom 20. August 2008 I R 19/07, BFHE 222, 494, BStBl II 2011, 60; vom 27. Januar 2010 I R 103/08, BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (Senatsurteil vom 30. Januar 2002 I R 68/00, BFHE 197, 530, BStBl II 2002, 688). Dieser muss darüber hinaus ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, m.w.N.). Für die Passivierung rechtlich noch nicht bestehender Verbindlichkeiten ist des Weiteren ein wirtschaftlicher Bezug der möglicherweise entstehenden Verbindlichkeit zum Zeitraum vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 30. Januar 2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279; vom 30. November 2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251; BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; Senatsurteil in BFHE 228, 91, BStBl II 2010, 614).
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2. Nach diesen Maßgaben hat der Kläger dem Grunde nach zu Recht eine Kostenüberdeckung einkommensmindernd angesetzt.
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a) Der Kläger unterfällt nach den vom FG festgestellten und in seiner Auslegung nicht streitigen landesrechtlichen Vorgaben mit seiner Preiskalkulation der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG. Damit ist er gehalten, auf der Grundlage des sog. Kostendeckungsprinzips zu kalkulieren und eine sog. Kostenüberdeckung auszugleichen (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG). Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG, die für wirtschaftliche Unternehmen i.S. von § 97 der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen vom 18. März 2003 (SächsGemO) das Erwirtschaften angemessener Gewinne ermöglicht und insoweit eine Ausgleichspflicht einschränkt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SächsKAG), ist nicht anwendbar. Denn wirtschaftliche Unternehmen in diesem Sinne sind nicht Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist (s. § 97 Abs. 2 Nr. 1 SächsGemO), was wiederum bei der Wasserversorgung zutrifft (§ 57 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Wassergesetzes vom 18. Oktober 2004).
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b) § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG begründet allerdings keine Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Kalkulationsperiode auf Herausgabe des der Kostenüberdeckung entsprechenden anteiligen Entgelts. Insoweit ist der Vorinstanz beizupflichten.
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aa) Die Revision kann dazu nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) zur Erzielung von sog. Mehrerlösen an Netzentgelten bei einer kostenbasierten Entgeltregulierung in der Beziehung zwischen Netzbetreibern und Netznutzern zwischen erstmaligem Genehmigungsantrag und Genehmigung nach Maßgabe des § 23a Abs. 5 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz) entschieden hat, dass ein Mehrerlös vom Netzbetreiber nicht behalten werden darf, weil dieser Erlös „rechtsgrundlos“ erzielt worden ist (BGH-Beschlüsse vom 14. August 2008 KVR 39/07, Versorgungswirtschaft –VersorgW– 2009, 87 [die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Dezember 2009  1 BvR 2738/08, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht –NVwZ– 2010, 373]; sowie vom 14. August 2008 KVR 27/07, Recht der Energiewirtschaft –RdE– 2008, 334; s.a. Hageböke, Der Betrieb –DB– 2011, 1480, 1543, 1544). Zwar hat der BGH in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass insoweit eine Verpflichtung des Netzbetreibers besteht, den Mehrerlös (jedenfalls) periodenübergreifend auszugleichen (BGH-Beschlüsse in VersorgW 2009, 87; vom 21. Juli 2009 EnVR 12/08, RdE 2010, 29). Daraus lässt sich aber im Streitfall eine (Außen-)Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Abrechnungsperiode nicht ableiten. Denn ungeachtet der spezifischen Sachumstände der jeweiligen Regelungslage hat der BGH im Zusammenhang mit der Verpflichtung auf Ausgleichung des Mehrerlöses zugleich darauf verwiesen, dass eine (Einzel-)Rückabwicklung im Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netznutzer ausgeschlossen ist (Hinweisbeschlüsse des BGH vom 30. März 2011 KZR 69/10, RdE 2011, 260, und KZR 70/10, juris).
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bb) Eine (Außen-)Verpflichtung des Klägers gegenüber den Kunden der jeweiligen Kalkulationsperiode folgt auch nicht auf gebührenrechtlicher Grundlage aus dem Umstand, dass in der jeweiligen Kalkulationsperiode tatsächlich eine Kostenüberdeckung erzielt wurde. Das gebührenrechtliche Kostendeckungsprinzip (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SächsKAG), das ein Kostenüberdeckungsverbot für solche Unternehmen statuiert, die nicht als wirtschaftliches Unternehmen i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 SächsKAG qualifiziert sind (s.a. § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SächsKAG), ist dann nicht verletzt, wenn die Kostenüberdeckung auf einer Abweichung des tatsächlichen Geschäftsablaufs von der der Preisfindung zugrunde liegenden Prognose beruht (z.B. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG–vom 8. Dezember 1961 VII C 2.61, BVerwGE 13, 214; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof –VGH– München, Urteil vom 3. März 1993  4 B 92.1878, NVwZ-Rechtsprechungsreport –NVwZ-RR– 1994, 290; s.a. Schulte/Wiesemann in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Teil III/§ 6 Rz 25, 104, 254; Kaufmann in Henneke/Pünder/ Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 15 Rz 42; Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rz 57; Kronawitter, Kommunaljurist –KommJur– 2008, 370, 371). Denn Kostenüberdeckungen entstehen, wenn im tatsächlichen Betriebsverlauf die Kosten geringer und/oder die prognostizierten Erlöse (z.B. infolge erhöhter Absatzmengen) höher sind als die in der Prognosekalkulation dafür angesetzten Beträge (Giebler, Kommunale Steuer-Zeitschrift –KStZ– 2007, 167, 169). Die Kostenüberdeckung „als solche“ ist daher, was mittelbar auch aus § 10 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SächsKAG folgt, kein ausreichender Grund, den Beschluss der Preiskalkulation (insoweit) als rechtswidrig anzusehen.
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c) Es bestand aber eine hinreichend konkretisierte Verpflichtung des Klägers kraft öffentlichen Rechts aus der verbindlichen Anweisung des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG, die Kostenüberdeckung „auszugleichen“.
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aa) Nach der BFH-Rechtsprechung setzt die Bildung einer Rückstellung für eine aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen begründete Verpflichtung voraus, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert ist (z.B. Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; BFH-Urteile vom 25. März 2004 IV R 35/02, BFHE 206, 25, BStBl II 2006, 644; vom 8. September 2011 IV R 5/09, BFHE 235, 241, BStBl II 2012, 122, jeweils m.w.N.). Die Verpflichtung muss auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten oder zumindest bestimmbaren Zeitraums abzielen (z.B. Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 793c). Diese Voraussetzungen werden im Regelfall bei Erlass einer behördlichen Verfügung oder bei Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung vorliegen. Einer solchen Umsetzung bedarf es allerdings nicht, wenn ein entsprechend konkreter Gesetzesbefehl vorliegt (Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121). Zudem ist nach der Rechtsprechung für die Rückstellbarkeit einer sich aus öffentlichem Recht ergebenden Verpflichtung erforderlich, dass an ihre Verletzung Sanktionen geknüpft sind, so dass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung der Verpflichtung im Ergebnis nicht entziehen kann (Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121).
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bb) Im Streitfall war die Verbindlichkeit des Klägers nach diesen Maßgaben hinreichend konkretisiert und zugleich mit einer auf ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums abzielenden Verpflichtung verbunden.
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§ 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG verpflichtet den Kläger, Kostenüberdeckungen, die sich am Ende einer Kalkulationsperiode ergeben haben, innerhalb der folgenden fünf Jahre auszugleichen. Insoweit ergibt sich je nach dem tatsächlich erzielten wirtschaftlichen Ergebnis der jeweiligen Abrechnungsjahre eine durch dieses Ergebnis veranlasste Ausgleichspflicht (im Streitfall: zum 31. Dezember 2006), der sich der Kläger als Körperschaft öffentlichen Rechts mit einem entsprechenden Beschluss fügen muss. Da ein Beschluss für die Folgeperiode, der die Rückgabe der Überdeckungen nicht vorsieht, rechtswidrig wäre (z.B. BVerwG-Urteil in BVerwGE 13, 214; Urteil des VGH München in NVwZ-RR 1994, 290), kann sich der Kläger dieser Verpflichtung nicht entziehen (so im Ergebnis auch Kronawitter, KommJur 2008, 370, 373; Giebler, KStZ 2007, 167, 169; Pfützenreuter, EFG 2012, 821, 822). Es liegt damit entgegen der Ansicht des FA nicht nur eine bloß kalkulatorische Anweisung vor, die Kostenüberdeckung auszugleichen. Vielmehr ist mit der Revision insbesondere auf Klagemöglichkeiten einzelner Abnehmer gegen eine der Vorgabe des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG nicht entsprechende Kalkulation der Folgeperiode hinzuweisen, darüber hinaus auf die aufsichtsbehördliche Kontrolle der (Folge-)Kalkulation und die bei einem Verstoß in Aussicht stehenden Sanktionen der Aufsichtsbehörde, nicht zuletzt auch eine (subsidiäre) Amtshaftung der für die Mitglieder des Klägers handelnden Amtsträger (s.a. Kronawitter, ebenda; Giebler, ebenda). Diese Sachumstände belegen zugleich, dass der Kläger nicht damit rechnen kann, aus seiner Ausgleichsverpflichtung nicht in Anspruch genommen zu werden.
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d) Der Rückstellungsbildung steht nicht entgegen, dass infolge einer Verrechnung der Kostenüberdeckung in der Preiskalkulation der nachfolgenden Periode in jener nicht der Aufwand des Klägers erhöht, sondern seine Einnahmen vermindert werden. Denn die Verbindlichkeitsrückstellung soll, wie der Senat in seinem Urteil vom 29. November 2000 I R 87/99 (BFHE 194, 57, BStBl II 2002, 655) entschieden hat, im Interesse eines periodengerechten Gewinnausweises gewährleisten, dass am Bilanzstichtag verursachte potentiell gewinnmindernde Faktoren in der Bilanz berücksichtigt werden. Dabei kann es für die Rückstellungsfähigkeit keinen Unterschied machen, ob die spätere Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit zu einer Erhöhung des Aufwands oder zu einer Verminderung der Einnahmen führt. In beiden Fällen ist am Bilanzstichtag von einer Minderung des Ergebnisses auszugehen, so dass es im Hinblick auf dieses Tatbestandsmerkmal sachgerecht ist, in beiden Fällen die Frage nach der Zulässigkeit einer Rückstellung übereinstimmend zu beantworten. Daran ist festzuhalten (s.a. Hageböke, DB 2011, 1543, 1547; a.A. Lüdenbach, Unternehmensteuern und Bilanzen 2011, 106).
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e) Die Ausgleichsverpflichtung des Klägers ist entgegen der Ansicht des FA nicht als Gegenstand einer Verrechnungsverpflichtung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses (als sog. schwebendes Geschäft i.S. des § 5 Abs. 4a EStG 2002, s. Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 28. November 2011, BStBl I 2011, 1111) zu qualifizieren und damit wegen fehlenden Erfüllungsrückstands ausgeschlossen (a.A. wohl Finanzministerium Schleswig-Holstein, Erlass vom 7. Mai 2012 VI 304-S 2137-230, juris). Auch wenn, wie das FA vorträgt, die Verrechnung voraussichtlich überwiegend „Alt-Kunden“ zugutekommt, ist die Ausgleichsverpflichtung nicht in das konkrete Schuldverhältnis, das der Wasserversorgung mit dem einzelnen Kunden zugrunde liegt, einbezogen. Der Ausgleich im Rahmen der Preiskalkulation der Folgeperiode erfolgt unabhängig von einem Fortbestand des Schuldverhältnisses und begünstigt alle Abnehmer der Folgeperiode, unabhängig davon, inwieweit sie durch Entgeltzahlungen der Vorperiode zu der Kostenüberdeckung wirtschaftlich beigetragen haben. Im Übrigen begründet die Ausgleichsverpflichtung kein eigenständiges schwebendes Geschäft (s. insoweit Hruby, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2010, 127, 130).
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f) Dem einkommensmindernden Ansatz der Kostenüberdeckung steht § 5 Abs. 2a EStG 2002 nicht entgegen. Zwar sind nach dieser Regelung für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist aber der Normzweck der einschränkenden Regelung im Streitfall nicht erfüllt, da der Kläger infolge der Kostenüberdeckung einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung seines Vermögens ausgesetzt ist.
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aa) Schon vor der Einführung des Abs. 2a in § 5 EStG 1997 durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) ging die Rechtsprechung im Einklang mit dem Handelsrecht davon aus, dass bestimmte gewinnabhängige Verpflichtungen vor Erzielung des Gewinns, aus dem sie zu bedienen sind, noch keine wirtschaftliche Last darstellen und demgemäß nicht zu passivieren sind, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhandenen Vermögen bedient werden müssen (s. die Nachweise im Senatsurteil vom 30. November 2011 I R 100/10, BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332). Anlass für die gesetzliche Regelung waren dabei BFH-Urteile, nach denen der Grundsatz, dass gewinn- oder erlösabhängige Verbindlichkeiten nicht zu passivieren sind, nur greifen sollte, wenn die Pflicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit von der Gesamtgewinnsituation des Unternehmens abhänge, nicht dagegen, wenn die Abhängigkeit nur von einzelnen Geschäften bestehe (s. die Nachweise im Senatsurteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332). § 5 Abs. 2a EStG sollte auch für diese Verbindlichkeiten ein Passivierungsverbot festschreiben (BTDrucks 14/2070, S. 17). Ein Passivierungsverbot kommt seitdem allgemein in Betracht, wenn sich der Rückforderungsanspruch des Gläubigers nur auf künftiges, nicht aber auf vorhandenes Vermögen des Schuldners am Bilanzstichtag erstreckt (BTDrucks 14/2070, S. 18).
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bb) Die aus § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG abzuleitende Pflicht, eine Kostenüberdeckung innerhalb der folgenden fünf Jahre durch eine zukünftig wirkende Gebührenermäßigung auszugleichen, wird vom Regelungswortlaut des § 5 Abs. 2a EStG 2002 erfasst. Der Wortlaut belässt nicht die Möglichkeit, den sachlichen Anwendungsbereich der Norm auf den in der Entwurfsbegründung angeführten Fall einer vorherigen Vermögenszuwendung durch den Gläubiger (bedingt rückzahlbare Vermögenszuwendung, s. BTDrucks 14/2070, S. 18) zu beschränken (gl.A. H. Richter in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz 1770; Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 758b; a.A. wohl Lambrecht in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz Ca 17).
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Jedoch liegt nach den konkreten Umständen des Streitfalls gleichwohl eine die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG 2002 ausschließende Belastung des gegenwärtigen Vermögens vor. Die (für den Kläger) unausweichliche Pflicht zur Gebührenermäßigung in der folgenden Kalkulationsperiode ist ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach eine bloße Modalität der Erfüllung der unbedingt und uneingeschränkt bestehenden Schuld (so im Ergebnis M. Kr., VersorgW 2012, 22, 23 f.; Hruby, DStR 2010, 127, 130; Pfützenreuter, EFG 2012, 821). Denn der Betrieb, der die zukünftigen Einnahmen/Gewinne erwirtschaftet (hier: die Tätigkeit als Unternehmen der Wasserversorgung), wird aus der Sicht des Bilanzstichtags mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für die Dauer der Ausgleichsperiode aufrechterhalten (s. insoweit auch BFH-Urteil vom 20. September 1995 X R 225/93, BFHE 178, 434, BStBl II 1997, 320, zu 2.c der Gründe), wodurch die Erfüllung der Ausgleichsverpflichtung realisiert wird. Somit bestehen an einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens des Klägers als Schuldner, die auch ein gedachter Erwerber bei einer Kaufpreisbemessung berücksichtigt hätte (s. insoweit allgemein BFH-Urteil vom 4. Februar 1999 IV R 54/97, BFHE 187, 418, BStBl II 2000, 139), keine begründeten Zweifel.
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3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Es fehlen entscheidungserhebliche Feststellungen, die im zweiten Rechtszug vom FG nachzuholen sind.
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a) Ob die Verpflichtung des Klägers nur zum Abschluss der Preiskalkulationsperiode (im Streitfall: zum 31. Dezember 2006) zu berücksichtigen ist, oder –wie es der Kläger begehrt– auf der Grundlage der Nachkalkulationen mit den entsprechenden Teilbeträgen in den einzelnen Streitjahren, kann im hier anhängigen Revisionsverfahren nicht entschieden werden. Denn die Auslegung des dem Landesrecht entnommenen Begriffs der „Kostenüberdeckung“ ist dem erkennenden Senat verwehrt. Insoweit handelt es sich um nichtrevisibles (s. § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) Landesrecht. Vom FG ist insoweit aufzuklären und festzustellen, ob eine Kostenüberdeckung i.S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SächsKAG erst mit dem Ablauf der betreffenden Kalkulationsperiode (hier: zum 31. Dezember 2006) und auf der Grundlage einer entsprechenden Gesamtabrechnung (unter Ausgleich von jahresbezogenen Überschüssen und Fehlbeträgen) festgestellt werden kann (s.a. Kronawitter, KommJur 2008, 370, 373), oder ob die in den jeweiligen Abrechnungsperioden (Streitjahre 2003 bis 2006) als Folge der konkreten Geschäftstätigkeit des Klägers in diesen Jahren tatsächlich erzielten Überdeckungen als Teilbeträge der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit später entstehenden Verpflichtung (und damit als Rückstellungen) bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen sind (so im Ergebnis M. Kr., VersorgW 2012, 22 f.).
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b) Darüber hinaus kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden, ob der Ansatz der Rückstellung der Höhe nach mit den dem Revisionsantrag zugrunde liegenden Werten („inkl. Verzinsung“) zu erfolgen hat. Denn das FG hat –von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht– keine Ermittlungen zur Höhe der in den einzelnen Streitjahren erwirtschafteten Teilkostenüberdeckungen bzw. der (Gesamt-) Kostenüberdeckung getroffen; es hat auch nicht ermittelt, ob die Kostenüberdeckung nach dem einschlägigen landesspezifischen Gebührenrecht verzinslich ist (so Kronawitter, KommJur 2008, 370, 375; M. Kr., VersorgW 2012, 22, 24), was mit Blick auf eine etwaige Abzinsung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Satz 1 Buchst. e i.V.m. Nr. 3 Satz 2 EStG 2002) entscheidungserheblich ist.

Bilanzierung | Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtung

Rückstellung für öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung nach der TA Luft 2002

 Leitsatz

Eine behördliche Anweisung, nach der Altanlagen einen festgelegten Emissionswert ab einem bestimmten Zeitpunkt einhalten sollen (hier: Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002), kann in der Regel nicht dahin verstanden werden, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Grenzwerts im Sinne der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen rechtlich bereits vor Ablauf dieses Zeitpunkts entsteht (Anschluss an BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; Abweichung vom Senatsurteil vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121).

 Gesetze

EStG 2002 § 5 Abs. 1 Satz 1
BImSchG §§ 5
,
17
,
20, 48
HGB § 249
TA Luft 2002 Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 Nr. 5.4.1.2.1

 Instanzenzug

FG Münster vom 14. Dezember 2011 10 K 1471/09 K,G (EFG 2012, 944)

 Gründe

I.

1  Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, produziert Holzplatten und unterhielt hierzu in den Streitjahren (2005 und 2006) u.a. eine Feuerungsanlage, die mit Holzresten und mit Heizöl betrieben werden konnte.

2  Mit Verfügung vom 1. Juli 2005 ordnete die zuständige Umweltbehörde gemäß § 17 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) an, dass beim Betrieb der Feuerungsanlage mit Holzwerkstoffen die nach der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) vom 24. Juli 2002 (Gemeinsames Ministerialblatt 2002, 511) —TA Luft 2002— zu beachtende Emissionsbegrenzung für den Abgasparameter staubförmige Emissionen (20 mg/cbm) „spätestens ab dem 01.10.2010 einzuhalten (ist)”. Nach der Begründung des Bescheids wurde mit der Sanierungsfrist berücksichtigt, dass „nach Nr. 5.4.1.2.1 (Altanlagen) der TA Luft 2002 die festgelegten Anforderungen spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift” (vgl. dazu Nr. 8 TA Luft 2002: 1. Oktober 2002) „eingehalten werden sollen”; damit werde —so die Begründung weiter— „sowohl bei der Festsetzung von Emissionswerten wie auch bei der zur Umsetzung gewährte(n) Frist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit…gewahrt”.

3  Für den Einbau der hiernach erforderlichen Rauchgasreinigungsanlage bildete die Klägerin entsprechend einem Angebot und unter Berücksichtigung des Abzinsungsgebots gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) zum 31. Dezember 2005 eine Rückstellung in Höhe von 696.000 €. In der Steuerbilanz zum 31. Dezember 2006 ist die Rückstellung auf der Grundlage einer weiteren Konzeptstudie auf 1.615.000 € erhöht worden. Im Jahre 2007 wurde sodann eine neue Rauchgasreinigungsanlage mit einem Gesamtwert von netto 1,8 Mio. € bestellt; sie ist im Jahr 2008 geliefert und in Betrieb genommen worden.

4  Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) für die Streitjahre geänderte Bescheide zur Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags, mit denen er die gebildeten Rückstellungen nicht (mehr) anerkannte.

5  Der dagegen erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) Münster stattgegeben (Urteil vom 14. Dezember 2011 10 K 1471/09 K,G, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2012, 944). Die Verpflichtung zur Wahrung der neuen Grenzwerte sei bereits mit Inkrafttreten der TA Luft 2002 entstanden; der Klägerin sei lediglich zur Erfüllung dieser Verpflichtung eine Sanierungsfrist bis 1. Oktober 2010 eingeräumt worden. Für solche Verpflichtungen sei eine Rückstellung auch dann zu bilden, wenn sie —wie vorliegend— an den in Frage stehenden Bilanzstichtagen mangels eines Vergangenheitsbezugs wirtschaftlich noch nicht verursacht seien. Der begehrten Passivierung stehe auch nicht entgegen, dass nach § 5 Abs. 4b EStG 2002 Rückstellungen für Aufwendungen, die in zukünftigen Wirtschaftsjahren als Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sind, nicht gebildet werden dürfen. Die Rauchgasentstaubungsanlage sei kein selbständiges Wirtschaftsgut, sondern unselbständiger Bestandteil der Sachgesamtheit Holz-Feuerungsanlage geworden. Hierfür sprächen die einheitliche Zweckbestimmung (Erzeugung von Energie unter Einhaltung der Grenzwerte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) und die spezielle technische Verbindung von Filter- und Feuerungsanlage. Auch habe der Einbau der Rauchgasentstaubungsanlage nicht deshalb zu einer wesentlichen Verbesserung der Gesamtanlage i.S. von § 255 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) geführt, weil hierdurch der umweltrechtlich geforderte Zustand geschaffen worden sei. Eine Leistungssteigerung der Feuerungsanlage sei mit der Nachrüstung nicht verbunden gewesen.

6  Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7  Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8  Das dem Verfahren beigetretene Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat keinen Antrag gestellt.

II.

9  Die Revision ist begründet. Das FA hat zu Recht die von der Klägerin für die Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte gemäß TA Luft 2002 gebildeten Rückstellungen nicht anerkannt. Das hiervon abweichende Urteil des FG ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

10  1. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und war gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 auch für die Steuerbilanz der Klägerin zu beachten (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BFHE 227, 469, BStBl II 2012, 688).

11  2. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Gegenstand der Verbindlichkeit können nicht nur Geldschulden, sondern auch Werkleistungspflichten sein. Beruhen die Verbindlichkeiten auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist (vgl. zu allem Senatsurteile vom 6. Juni 2012 I R 99/10, BFHE 237, 335; vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121, jeweils mit umfangreichen Nachweisen).

12  3. Vorliegend war die Verpflichtung zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 zum Ende der Streitjahre zwar hinreichend konkretisiert, da die Nichtbeachtung der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2005, mit der der Klägerin aufgegeben wurde, den Grenzwert für staubförmige Emissionen von 20 mg/cbm spätestens ab dem 1. Oktober 2010 einzuhalten, die Untersagung des Betriebs der Klägerin hätte zur Folge haben können (§ 20 BImSchG) und z.B. nach dem Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 62 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG sanktionsbewehrt war (vgl. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 9. Aufl., § 17 Rz 81, § 20 Rz 12 und § 62 Rz 18; Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121); auch bedarf es insoweit keiner qualifizierten Nähe der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zum Bilanzstichtag (Senatsurteil in BFHE 237, 335). Die Verpflichtung zur Einhaltung dieses Emissionswerts war an den Bilanzstichtagen der Streitjahre jedoch weder rechtlich entstanden (nachfolgend zu 3.a) noch war sie bis zu diesen Zeitpunkten wirtschaftlich verursacht (nachfolgend zu 3.b). Demgemäß erübrigen sich auch Ausführungen dazu, ob —wie vom Beigetretenen sowie dem FA geltend gemacht— die der Klägerin entstandenen Aufwendungen als nachträgliche Herstellungskosten zu aktivieren und deshalb von einer Rückstellungspassivierung ausgeschlossen sind (vgl. § 5 Abs. 4b EStG 2002).

13  a) Nach allgemeinen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Gültigkeit beanspruchen, entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandselemente erfüllt sind (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; Senatsurteil vom 13. November 1991 I R 78/89, BFHE 166, 96, BStBl II 1992, 177, jeweils m.w.N.). Eine solche Tatbestandsverwirklichung kann sich nicht nur daraus ergeben, dass der Betroffene die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands verwirklicht; gleiches gilt darüber hinaus für Verpflichtungen, die auf einem Verwaltungsakt beruhen. Maßgeblich für das Entstehen einer Verpflichtung ist in letzterem Falle jedoch nicht die Bekanntgabe des Verwaltungsakts und die hierdurch bedingte (äußere) Bindung des Adressaten (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes —VwVfG—; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 13. Aufl., § 43 Rz 5); abzustellen ist vielmehr auf die sog. innere Wirksamkeit, d.h. darauf, zu welchem Zeitpunkt die in der konkreten Regelung enthaltenen materiellen Rechtsfolgen ausgelöst werden (Beachtlichkeit des Regelungsinhalts; vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Auch wenn die innere Wirksamkeit im Regelfall mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (äußere Wirksamkeit) einhergeht, so kann sie —und damit die mit dem Verwaltungsakt ausgesprochene Rechtswirkung— vor allem dann, wenn die Regelung von einer aufschiebenden Bedingung und Befristung abhängig gemacht wird (vgl. § 36 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwVfG), auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 1978 8 C 35.76, BVerwGE 57, 69, 70; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 43 Rz 6; Bumke in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., § 35 Rz 43 ff.).

14  aa) Die Verpflichtung der Klägerin zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 (vom 24. Juli 2002) war nicht bereits mit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift am 1. Oktober 2002 entstanden (vgl. Nr. 8 TA Luft 2002). Insbesondere kann dies nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG abgeleitet werden, nach dem zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt genehmigungspflichtige Anlagen so zu betreiben sind, dass Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen, getroffen wird. Zwar wurden mit der TA Luft 2002 —entsprechend dem sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ergebenden gesetzlichen Auftrag zur Normkonkretisierung— die nach dem Stand der Technik vermeidbaren Emissionswerte bundeseinheitlich festgelegt (so die Begründung der Verwaltungsvorschrift; BRDrucks 1058/01, S. 234) mit der Folge, dass zur Einhaltung dieser Werte auch für bereits genehmigte (Alt-)Anlagen nachträgliche Anordnungen gemäß § 17 Abs. 1 BImSchG getroffen werden konnten. Da eine solche Verfügung aber nach § 17 Abs. 2 BImSchG nicht unverhältnismäßig sein durfte und somit einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde unterlag (vgl. Jarass, a.a.O., § 17 Rz 58 ff.), wurde in Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 geregelt, dass die Anforderungen zur Begrenzung staubförmiger Emissionen (im Streitfall: 20 mg/cbm) für Altanlagen „spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift” (mithin: spätestens zum 1. Oktober 2010) „eingehalten werden sollen”. Letzteres steht im Zusammenhang damit, dass die TA Luft 2002 auch der Ermessenslenkung der Behörden bei der Anlagenüberwachung und damit u.a. dem Ziel dient, Altanlagen nach einem einheitlichen und umfassenden Konzept innerhalb bestimmter Übergangsfristen (Sanierungsfristen) unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an den Stand der Technik von Neuanlagen heranzuführen (BRDrucks 1058/01, S. 236 und 242; Jarass, a.a.O., § 48 Rz 29 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., § 14 Rz 192). Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Klägerin —jedenfalls vor Ablauf des in Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 genannten Termins (1. Oktober 2010)— nur auf der Grundlage eines (einzelfallbezogenen) konkretisierenden behördlichen Handelns zur Einhaltung der Grenzwerte für staubförmige Emissionen verpflichtet war.

15  bb) Eine solche behördliche Einzelfallentscheidung ist zwar mit der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2005 ergangen. Auch hierdurch wurde jedoch für die Klägerin keine Pflicht begründet, den für staubförmige Emissionen festgelegten Höchstwert beim Betrieb ihrer Alt-Feuerungsanlage bereits in den Streitjahren zu wahren.

16  aaa) Hiergegen spricht nicht nur der Wortlaut der Verfügung. Die Anordnung, die „Emissionsbegrenzung…spätestens ab dem 1. Oktober 2010 einzuhalten”, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 55) nicht dahin zu verstehen, dass die Klägerin mit der Bekanntgabe des Bescheids, also seiner äußeren Wirksamkeit, verpflichtet werden sollte, Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung zu ergreifen. Vielmehr sollte diese materielle Rechtswirkung —d.h. die Pflicht zur Wahrung des Grenzwerts für staubförmige Emissionen gemäß TA Luft 2002— erst „ab” dem 1. Oktober 2010 ausgelöst werden. Dabei kann offenbleiben, ob es sich hierbei um eine Befristung oder um eine aufschiebende Bedingung gehandelt hat (vgl. zur Abgrenzung Hennecke in Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl., § 36 Rz 32 ff.); in beiden Fällen wäre jedenfalls die —für das Entstehen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung maßgebliche— innere Wirksamkeit der Regelung mit Ablauf des zweiten Streitjahrs (2006) noch nicht eingetreten.

17  Neben dem Wortlaut ist für die Auslegung des Bescheids gleichfalls dessen Begründung zu berücksichtigen (vgl. Kopp/ Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 54, m.w.N.). Diese weist die Klägerin darauf hin, dass es sich bei der Emissionsbegrenzung um eine Zielvorgabe handele, es mithin der Klägerin obliege, die technisch und wirtschaftlich optimale Lösung auszuwählen. Sie nimmt im Hinblick auf die Sanierungsfrist bei Altanlagen darüber hinaus ausdrücklich auf die Sollvorgabe nach Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 Bezug und erläutert hierzu, dass mit der zur Umsetzung gewährten Frist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Auch dies lässt nur den Schluss zu, dass die Feuerungsanlage der Klägerin nicht bereits mit der Bekanntgabe der Verfügung, sondern —entsprechend der Grundkonzeption der TA Luft 2002— nach einem einheitlichen Konzept unter Beachtung ihrer berechtigten und verfassungsrechtlich geschützten Belange an den Stand der Technik von Neuanlagen herangeführt werden sollte.

18  bbb) Die vorstehenden Auslegungsgrundsätze stimmen im Ergebnis mit der Ansicht des IV. Senats des BFH überein, der mit Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05 (BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516) für die Verpflichtung zur Ausstattung von Tankstellen mit Gasrückführungssystemen gemäß der 21. Verordnung zur Durchführung des BImSchG vom 7. Oktober 1992 (BGBl I 1992, 1730) entschieden hat, dass diese Verpflichtungen nicht vor Ablauf der in § 9 der Verordnung geregelten Übergangsfristen entstehen (im Streitfall 31. Dezember 1997). Er hat hierbei auch auf das BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848 Bezug genommen, nach dem die Verpflichtung zur Überholung und Nachprüfung von Luftfahrtgeräten erst dann entsteht, wenn die in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen festgelegte Betriebszeit erreicht wird.

19  Soweit der Senat in seinem Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121 demgegenüber die Auffassung vertreten hat, eine Verpflichtung zur Wahrung neuer Emissionsgrenzwerte sei unmittelbar den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BImSchG sowie der TA Luft zu entnehmen und eine hiervon abweichende Übergangsanordnung bestimme deshalb lediglich den Zeitpunkt der Fälligkeit der Anpassungsverpflichtung, hält er daran nicht mehr fest. Abgesehen davon, dass das Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121 nicht die vorliegend einschlägige TA Luft 2002 betrifft, ist jedenfalls bei solchen Altanlagen, die —wie im Streitfall die Feuerungsanlage der Klägerin— ausdrücklichen Übergangsregelungen der TA Luft 2002 unterworfen sind, nach Maßgabe der dargestellten Gründe davon auszugehen, dass sie im Rahmen eines bundeseinheitlichen Gesamtkonzepts nur in zeitlicher Stufung dem für Neuanlagen geltenden Stand der Technik unterworfen werden sollen und deshalb auch nach der hierauf fußenden behördlichen Verfügung die Verpflichtung zur Einhaltung der neuen Grenzwerte grundsätzlich erst nach Ablauf der Übergangsfrist entsteht.

20  b) Zwar können Rückstellungen auch für am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht entstandene (d.h. ungewisse) Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls wirtschaftlich verursacht sind. Indes ist im Streitfall auch diese Voraussetzung nicht erfüllt.

21  Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, m.w.N.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Verbindlichkeit, die lediglich darauf gerichtet ist, die Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter in Zeiträumen nach Ablauf des Bilanzstichtags zu ermöglichen, in den bis dahin abgeschlossenen Rechnungsperioden noch nicht wirtschaftlich verursacht ist (vgl. hierzu auch Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 800a). Hierauf aufbauend hat der BFH beispielsweise Rückstellungen für die Überprüfung von Luftfahrtgeräten vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Inspektionsfristen abgelehnt (BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848); ebenso ist für die Verpflichtung zur Nachrüstung von Tankstellenanlagen vor dem Auslaufen der gesetzlich bestimmten Übergangsfristen für Altanlagen entschieden worden (BFH-Urteil in BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516). Nichts anderes kann im Streitfall gelten. Auch hier soll —aufgrund der verfügten Übergangsregelung— der Einsatz der von der Klägerin betriebenen Feuerungsanlage erst ab dem 1. Oktober 2010 rechtlich an die Einhaltung der verschärften Grenzwerte gebunden sein.

22  4. Die Sache ist spruchreif. Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Bildung einer Rückstellung für die Anpassung an die GDPdU

Zulässigkeit der Bildung einer Rückstellung für die Aufwendungen zur Anpassung des betrieblichen EDV-Systems an die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)

Verfügung der OFD Rheinland v. 05.11.2008 – S 2137 – St 141 (02/2008)

Gem. § 147 Abs. 6 AO hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das beim Steuerpflichtigen vorhandene Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen. Sie kann im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass die Daten nach ihren Vorgaben maschinell ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Die Kosten hierfür hat der Steuerpflichtige zu tragen.

Die Frage der Zulässigkeit einer Rückstellung für Aufwendungen zur Anpassung des betrieblichen EDV-Systems an die „Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen” (GDPdU) wurde auf Bundesebene mit folgendem Ergebnis erörtert:

Durch die GDPdU wird das von dem Steuerpflichtigen zu fordernde Verhalten weder inhaltlich noch zeitlich so hinreichend konkretisiert, dass es von einer „lnnenverpflichtung” eindeutig abgegrenzt werden könnte. Eine Nichtbeachtung der GDPdU ist darüber hinaus nicht sanktionsbewehrt. Eine bei Verletzung der sich aus ihnen ergebenden Grundsätze drohende Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kann zwar einen wirtschaftlichen Nachteil bedeuten, sie stellt aber keine Sanktion i.S. der BFH-Rechtsprechung dar. Ferner müssen die Erfordernisse nach den GDPdU erst zu dem ungewissen Ereignis des Beginns einer Betriebsprüfung erfüllt sein, so dass am Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Verursachung ebenso zu verneinen ist wie die ernsthafte Inanspruchnahme. Die geltend gemachte Anpassungsverpflichtung knüpft zwar an die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungsverpflichtung für die Geschäftsvorgänge eines abgelaufenen Jahres und damit an Vergangenes an, gemäß § 147 Abs. 6 AO steht das Recht auf Datenzugriff – durch Einsichtnahme der gespeicherten Daten und Nutzung des vorhandenen Datenverarbeitungssystems – der Finanzbehörde jedoch nur im Rahmen einer – zukünftigen – steuerlichen Außenprüfung zu.

Ferner ist der Steuerpflichtige in seiner Entscheidung frei, ob und ggf. wann er entsprechende Anpassungsmaßnahmen ergreifen will.

Der Ansatz einer entsprechenden Rückstellung ist in diesen Fällen steuerlich nicht zulässig.

Rückstellung für die Aufwendungen zur Anpassung des betrieblichen EDV-Systems an die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)

Zulässigkeit der Bildung einer Rückstellung für die Aufwendungen zur Anpassung des betrieblichen EDV-Systems an die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)

Kurzinfo ESt Nr. 6/2010 der Oberfinanzdirektion Münster vom 15.04.2010
Die Oberfinanzdirektion OFD Münster hat zur Zulässigkeit der Bildung einer Rückstellung für die Aufwendungen zur Anpassung eines betrieblichen EDV-Systems an die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) Stellung genommen. Rückstellungen sind zulässig, allerdings nur für Wirtschaftsjahre, die nach dem 24.12.2008 enden. Denn erst seit dem 25.12.2008 sind mit der Einführung des Verzögerungsgeldes GDPdU-Verstöße sanktionsbewehrt.

Nach dem BFH-Urteil v. 19.8.2002 (Az. VIII R 30/01) sind für die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren. Die GDPdU konkretisieren die Aufbewahrungspflichten für elektronische Dokumente. Der Ansatz der Rückstellung setzt allerdings voraus, dass an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind (R 5.7 Abs. 4 Satz 1 EStR 2008). Die Sanktionsbewehrung wird aber erst durch die im Rahmen des Jahressteuergesetzes (JStG) 2009 mit Wirkung ab dem 25.12.2008 eingeführte Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes von bis zu 250.000 Euro gem. § 146 Absatz 2b AO hinreichend konkretisiert. Dementsprechend sind erstmals in nach dem 24.12.2008 endenden Wirtschaftsjahren dem Grunde nach Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren. In den vorangegangenen Wirtschaftsjahren scheidet eine Rückstellungsbildung für die Verpflichtungen aus den GDPdU dagegen aus. Bei der Bewertung der Rückstellungen ist zu beachten, dass künftige Aufwendungen, die zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut führen, nicht berücksichtigt werden können (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG und R 5.7 Abs. 2 Nr. 4 EStR 2008).

Verpflichtender Rückstellungsansatz bei geltend gemachter Klage

Verpflichtender Rückstellungsansatz bei geltend gemachter Klage

Kernproblem

Rückstellungen sind in Handels- und Steuerbilanz für Verbindlichkeiten zu bilden, die wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht sind und die dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewiss sind. Die Inanspruchnahme durch einen Dritten muss dabei wahrscheinlich sein, was nach ständiger Rechtsprechung der Fall ist, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen. Vorliegend bestand zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung Uneinigkeit dahingehend, ob eine gegen den Steuerpflichtigen anhängige Klage stets und unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage zur Passivierung einer Rückstellung führt.

Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Partnerschaftsgesellschaft, die zum 1.1.2004 durch Umwandlung einer Kapitalgesellschaft (AG) entstanden ist. Im Jahr 2003 war gegen die AG eine Klage anhängig, für die im darauffolgenden Jahr auch ein Prozessvergleich i. H. v. 50 % der eingeklagten Summe vereinbart wurde. Eine Rückstellung in der Bilanz auf den 31.12.2003 bildete die AG indes nicht. Vielmehr machte die Klägerin den gezahlten Schadenersatz in 2004 als laufende Betriebsausgabe geltend. Nach Auffassung der Finanzverwaltung wäre hingegen bereits in der

Bilanz der AG auf den31.12.2003eine entsprechende Rückstellung zu bilden gewesen. Hiergegen klagte die Partnerschaftsgesellschaft vor dem Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein und verlor.

Entscheidung
Eine Rückstellung ist nach Ansicht der Richter im Fall eines im Klagewege gegen den Kaufmann geltend gemachten Anspruchs grundsätzlich immer zu bilden und zwar unabhängig von der Prüfung der Erfolgsaussichten. Dies gebiete das dem Handelsgesetzbuch (HGB) zugrunde liegende Vorsichtsprinzip, wonach der Kaufmann grundsätzlich damit rechnen muss, dass ein für ihn ungünstiges Urteil ergeht, er also den Prozess verliert. Eine Ausnahme gelte lediglich für den Fall, dass die Klage dem Grund und/oder der Höhe nach offensichtlich willkürlich angestrengt worden ist.

Konsequenz
Der Streitfall ist offensichtlich besonders gelagert, ist es doch zumeist der Steuerpflichtige, der gewinnmindernd die Passivierung einer Rückstellung begehrt. Vorliegend konnte der Steuerpflichtige aus der Rückstellungsbildung indes keinen steuerlichen „Vorteil“ erzielen, da dieser lediglich zur Erhöhung des (steuerlich irrelevanten) Übergangsverlusts im Rahmen der Umwandlung geführt hätte. Zu beachten ist abschließend, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist und die Revision zum Bundesfinanzhof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen wurde.