Abgeordnete fordern EU-weite Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerflucht

Die EU-Mitglieder sollten sich gemeinsam dafür einsetzen, die Steuerlücke von einer Billion Euro bis 2020 mindestens zur Hälfte zu schließen, fordert das Parlament in einer Entschließung, die es am 21.05.2013 verabschiedet hat. Die Abgeordneten verlangen von den EU-Ländern eine Einigung über Maßnahmen gegen Steueroasen, die Bekämpfung aggressiver Steuerplanung sowie die Schließung von Gesetzeslücken, die Steuerumgehung erlauben.

In einer weiteren, ebenfalls am 21.05.2013 angenommenen Entschließung werden die Vorteile einer verbesserten Koordinierung der unterschiedlichen Steuersysteme für die EU-Mitglieder hervorgehoben.

„Der Umfang des grenzüberschreitenden Steuerbetrugs ist skandalös, und einseitige nationale Maßnahmen werden nicht reichen, um ihn wirksam zu bekämpfen“, sagte Mojca Kleva Kekuš (S&D, SI), die Berichterstatterin für die Entschließung über die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerflucht und Steueroasen.

„Wir brauchen eine gemeinsame Plattform zum Abgleich von Steuerinformationen in den nächsten Jahren, und wachstumsorientierte Steuersysteme. Wir brauchen nicht mehr Steuern, sondern mehr Menschen und Unternehmen, die sie auch zahlen“, sagte Ildiko Gáll-Pelcz (EVP, HU), Berichterstatter für den jährlichen Steuerbericht.

Schließung der Steuerlücke
Das Hauptziel sei, die Steuerlücke zu schließen, die laut dem Entschließungstext der Verlust an öffentlichen Einnahmen durch Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist, aber auch durch legale Steuerumgehung und aggressive Steuerplanung, die Gesetzeslücken ausnutzt, sowie durch Unstimmigkeiten zwischen den Steuersystemen, und den Mangel an EU-interner und internationaler Zusammenarbeit.

Schätzungen zufolge geht in der EU alljährlich eine Billion Euro an öffentlichen Mitteln durch Steuerbetrug und Steuerumgehung verloren. Diese Steuerlücke kostet jeden europäischen Bürger im Jahr etwa 2000 Euro.

Schwarze Liste von Steueroasen
Um Steuerbetrug und -hinterziehung zu bekämpfen, fordern die Abgeordneten die EU-Länder dazu auf, eine eindeutige einheitliche Begriffsbestimmung für Steueroasen zu beschließen sowie eine europäische schwarze Liste der Steueroasen aufzustellen.

Keine öffentlichen Mittel für Steuerschummelei
Die Verpflichtung für EU-Mitglieder, die finanzielle Unterstützung beantragen, ihre Kapazitäten in den Bereichen Steuererhebung und Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu verbessern, sollte sich auch auf Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerumgehung und aggressiver Steuerplanung erstrecken, so die Abgeordneten.

Unternehmen, die gegen die Steuernormen der EU verstoßen, sollten keine EU-Mittel oder staatlichen Beihilfen erhalten, so die Entschließung, deren Text auch alle Unternehmen, die an öffentlichen Auftragsvergabeverfahren teilnehmen, zur Offenlegung von Informationen, die mit Strafen oder Urteilen aufgrund steuerrechtlicher Delikte im Zusammenhang stehen, verpflichten will. Behörden sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, Verträge zu beendigen, wenn der Auftragnehmer in der Folgezeit gegen die Steuervorschriften verstößt.

Zur Verhinderung von Steuerumgehung sollten die EU-Mitgliedstaaten auch Datenbanken von Kraftfahrzeugen, Land, Jachten und anderen Vermögenswerten nutzen sowie auf geschützte Informanten und journalistische Quellen zurückgreifen, so die Entschließung.

Zölle und Mehrwertsteuer
Da die EU keine Kompetenzen im Bereich der Steuerpolitik hat, bleibt es weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen, den Kampf gegen Steuerbetrug zu intensivieren. Die Abgeordneten fordern sie dazu auf, zusammenzuarbeiten, um Steuerbemessungsgrundlagen zu harmonisieren sowie Maßnahmen durchzusetzen, die die Verlagerung von Gewinnen in Steueroasen zur Steuerumgehung verhindern können, und Steuer- sowie Zolldaten abzugleichen, um Mehrwertsteuerbetrug zu verringern.

Schließlich verlangen die Abgeordneten von der EU, dass sie in multinationalen Organisationen und Gremien die Führung übernehmen sollte, um Transparenz und Informationsaustausch zu verbessern. Sie weisen darauf hin, dass durch Steuerumgehung den Haushalten von Entwicklungsländern Schätzungen zufolge pro Jahr Steuereinnahmen in Höhe von etwa 125 Mrd. Euro verloren gehen – was einem Betrag entspricht, der beinahe doppelt so hoch wie die internationale Hilfe ist, die diese Länder erhalten.

Um das Wachstumspotenzial in der EU zu verbessern und einen schädlichen Steuersenkungswettlauf so gering wie möglich zu halten, empfehlen die Abgeordneten in der Entschließung über den jährlichen Steuerbericht eine sogenannte EU-weite „Steuerschlange“ einzuführen, um die Koordinierung zwischen den Mitgliedern zu vereinfachen, ein System der Steuerinformation zu schaffen und die Senkungen und Anhebungen in den Steuersystemen der einzelnen Länder zu verfolgen und zu dokumentieren.

Quelle: EU-Parlament, Pressemitteilung vom 21.05.2013

Verwendung einer Zugmaschine i.S. von § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG bei Energieerzeugung in einer Biogasanlage

 Leitsatz

Ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb i.S. des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG liegt nicht vor, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die land- und forstwirtschaftliche Betätigung nur die untergeordnete Bedeutung einer Hilfstätigkeit hat und die gewerbliche Betätigung dem Betrieb das Gepräge gibt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Land- oder Forstwirt seine gesamte Ernte zur Energieerzeugung in einer Biogasanlage einsetzt und die erzeugte Energie entgeltlich an Dritte abgibt.

 Gesetze

KraftStG § 3 Nr. 7 Buchst. a
KraftStG § 12 Abs. 2

 Instanzenzug

Niedersächsisches FG vom 27. Oktober 2011 14 K 37/10 (EFG 2012, 178 )BFH II R 55/11

 Gründe

I.

[1 ] Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Halter einer Zugmaschine. Er betreibt mit selbst erzeugter Biomasse eine Biogasanlage sowie ein Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom, den er entgeltlich in das öffentliche Stromnetz einspeist. Die gesamte Ernte des Klägers wird zur Stromerzeugung verwertet.

[2 ] Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) hatte die Zugmaschine des Klägers auf dessen Antrag hin für die Zeit ab dem 27. Juni 2007 gemäß § 3 Nr. 7 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) von der Kraftfahrzeugsteuer befreit. Der Kläger hatte seinen Antrag damit begründet, dass er seine Zugmaschine ausschließlich in seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zum Grasmähen, zum Pflügen und zum Transport der Silage verwende.

[3 ] Nach einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, dass beim Kläger ertragsteuerrechtlich kein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, sondern ein einheitlicher Gewerbebetrieb vorliege, dessen Gegenstand ausschließlich der Betrieb einer Biogasanlage zum Zweck der Stromerzeugung sei. Aus diesem Grunde sah das FA die Voraussetzungen für die gewährte Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 7 KraftStG nicht als erfüllt an und setzte gegen den Kläger mit Änderungsbescheid vom 9. November 2009 die Kraftfahrzeugsteuer für die Zugmaschine für die Zeit ab dem 27. Juni 2007 auf jährlich 533 € fest.

[4 ] Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, im Betrieb des Klägers stehe die gewerbliche Betätigung der Energieerzeugung im Vordergrund. Damit liege kein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb i.S. des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG vor. Eine Trennung zwischen der gewerblichen Stromerzeugung und der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung von Biomasse komme nicht in Betracht, weil eine planmäßige Verbindung beider Bereiche bestehe und die land- und forstwirtschaftliche Erzeugung von Biomasse nur eine deren Verstromung vorgelagerte Hilfstätigkeit sei. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 178 veröffentlicht.

[5 ] Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG . Seine Zugmaschine werde ausschließlich zur Bearbeitung von Acker- und Grünlandflächen verwendet, diene nur zur Erzeugung von Biomasse und sei auch ertragsteuerrechtlich der landwirtschaftlichen Urproduktion zuzuordnen. Demgegenüber stelle der Bereich der Verstromung einen relativ kleinen Bereich des Gesamtbetriebs dar. Insoweit bedürfe es für die Anwendung des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG einer Trennung des Betriebs in zwei Verarbeitungsstufen, wobei die Zugmaschine nur für die landwirtschaftliche Urproduktion verwendet werde.

[6 ] Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Bescheid vom 9. November 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2010 aufzuheben.

[7 ] Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

[8 ] Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— ). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG nicht erfüllt sind.

[9 ] 1. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG ist die Kraftfahrzeugsteuer neu festzusetzen, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung wegfallen oder wenn nachträglich festgestellt wird, dass diese Voraussetzungen nicht vorgelegen haben oder nicht vorliegen. Erfasst wird auch der Fall, dass die Steuerfestsetzung oder Freistellung auf einem Rechtsirrtum beruhte (Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 20. August 1985 VII R 182/82, BFHE 144, 465 , BStBl II 1985, 716; vom 5. Oktober 2004 VII R 73/03, BFHE 208, 303 , BStBl II 2005, 222). Die Neufestsetzung darf, auch zur Berichtigung einer rechtsfehlerhaften Freistellung, innerhalb der Festsetzungsfrist rückwirkend erfolgen (BFH-Urteil in BFHE 144, 465 , BStBl II 1985, 716). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil die Zugmaschine des Klägers nicht i.S. des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG ausschließlich in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb verwendet wird.

[10 ] 2. Gemäß § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG ist das Halten u.a. von Zugmaschinen von der Kraftfahrzeugsteuer befreit, solange diese Fahrzeuge ausschließlich „in” land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben verwendet werden.

[11 ] a) Ein land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb i.S. des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG ist eine Wirtschaftseinheit, in der die Produktionsfaktoren Boden, Betriebsmittel und menschliche Arbeit zusammengefasst sind und, aufeinander abgestimmt, planmäßig eingesetzt werden, um Güter zu erzeugen und zu verwerten oder Dienstleistungen bereitzustellen (BFH-Urteile in BFHE 144, 465 , BStBl II 1985, 716; vom 22. September 1992 VII R 45/92, BFHE 169, 478 , BStBl II 1993, 200; vgl. auch Eisele in Rössler/Troll, BewG , § 33 Rz 3, m.w.N; Bruschke in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 33 BewG Rz 17). Da keine Anhaltspunkte für eine spezifisch kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bestimmung des Begriffs „landwirtschaftlicher Betrieb” bestehen, können insoweit die Vorschriften des Bewertungsrechts herangezogen werden. Die bewertungsrechtlichen Festlegungen sind kraftfahrzeugsteuerrechtlich zwar nicht bindend; es können aber auch für die Auslegung des § 3 Abs. 7 Buchst. a KraftStG die allgemeinen Grundsätze zur Bestimmung des bewertungsrechtlichen Begriffs eines Betriebes der Landwirtschaft zugrunde gelegt werden (BFH-Urteil in BFHE 169, 478 , BStBl II 1993, 200, m.w.N.).

[12 ] b) In Abgrenzung zum Betrieb der Land- und Forstwirtschaft liegt ein einheitlicher Gewerbebetrieb vor, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die land- und forstwirtschaftliche Betätigung nur die untergeordnete Bedeutung einer Hilfstätigkeit hat und die gewerbliche Betätigung dem Betrieb das Gepräge gibt (BFH-Urteile vom 16. November 1978 IV R 191/74 , BFHE 126, 220 , BStBl II 1979, 246; vom 23. September 1988 III R 182/84, BFHE 154, 364 , BStBl II 1989, 111; vom 8. November 2007 IV R 24/05, BFHE 219, 567 , BStBl II 2008, 356). Die getrennte Behandlung einer teils als landwirtschaftlich und teils als gewerblich anzusehenden Tätigkeit scheidet aus, wenn die Verbindung zwischen land- und forstwirtschaftlicher und gewerblicher Tätigkeit planmäßig im Interesse des Hauptbetriebs gewollt ist und sich beide Tätigkeitsbereiche gegenseitig bedingen und derart miteinander verflochten sind, dass der gesamte Betrieb nach der Verkehrsauffassung als einheitlicher Betrieb anzusehen ist (BFH-Urteile in BFHE 126, 220 , BStBl II 1979, 246, und vom 25. März 2009 IV R 21/06, BFHE 224, 522 , BStBl II 2010, 113).

[13 ] c) Ein solcher einheitlicher Gewerbebetrieb liegt vor, wenn ein Land- oder Forstwirt seine gesamte Ernte zur Energieerzeugung in einer Biogasanlage einsetzt und die erzeugte Energie entgeltlich an Dritte abgibt. Bei einer solchen Betriebsführung hat die land- und forstwirtschaftliche Erzeugung von Biomasse schon deshalb eine nur untergeordnete Bedeutung, weil Erträge ausschließlich durch den Absatz des erzeugten Stroms erzielt werden. Im Vordergrund steht daher die gewerbliche Betätigung der Energieerzeugung, die sich nicht ohne Nachteil für das Gesamtunternehmen von der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung von Biomasse trennen lässt. Dies führt zur Qualifizierung des gesamten Betriebs als einheitlichen Gewerbebetrieb (Leingärtner/Stalbold, Besteuerung der Landwirte, Kap. 12, Rz 29; Wiegand, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 2005, 667 und 2006, 497; Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz , § 2 Rz 363; vgl. auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 6. März 2006, BStBl I 2006, 248 Tz. I.1.b).

[14 ] d) In Anwendung dieser Grundsätze sind im Streitfall die Voraussetzungen des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG nicht erfüllt. Nach den für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO ) tatsächlichen Feststellungen des FG verwertet der Kläger seine gesamte Ernte zur Erzeugung von Strom, den er entgeltlich in das öffentliche Stromnetz einspeist. Damit erhält der Betrieb des Klägers sein entscheidendes Gepräge durch die gewerbliche Erzeugung von Strom.

[15 ] e) Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG kann auch nicht auf der Grundlage der vom Kläger begehrten „theoretischen” Trennung des einheitlichen Gewerbebetriebs in zwei Verarbeitungsstufen —zum einen die der „landwirtschaftlichen Urproduktion” und zum anderen die der gewerblichen Stromproduktion— gewährt werden. Insoweit ist das Vorbringen des Klägers, der Einsatz seiner Zugmaschine beschränke sich ausschließlich auf den Bereich der landwirtschaftlichen Urproduktion und insbesondere die Bearbeitung von Acker- und Grünlandflächen, unbeachtlich.

[16 ] aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG ist die tatsächliche —ausschließliche— Verwendung des Fahrzeugs „in” einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb erforderlich. Handelt es sich nicht um einen solchen Betrieb, ist der Tatbestand der Befreiungsvorschrift auch bei Einsatz des Fahrzeugs „wie von einem Landwirt” nicht erfüllt (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 II R 45/92 , BFHE 178, 459 , BStBl II 1996, 11).

[17 ] bb) Bei einem einheitlichen Gewerbebetrieb erfüllt die Verarbeitungsstufe der landwirtschaftlichen Urproduktion für sich allein nicht die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs i.S. des § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG . Eine Aufspaltung in land- und forstwirtschaftliche und sonstige Beförderungen kommt nicht in Betracht. Bereits die (mit § 3 Nr. 7 Buchst. a KraftStG wortgleiche) Vorgängerregelung des § 2 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a KraftStG 1972 war in ihrem Wirkungsbereich eng begrenzt (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 1973 II R 2/72 , BFHE 109, 282 , BStBl II 1973, 599; vom 19. September 1984 II R 139/82, BFHE 142, 181 , BStBl II 1985, 108). Sie sollte „nur die Transporte der Landwirtschaft, nicht jedoch die gewerblichen Unternehmen begünstigen” (vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses vom 17. Mai 1963, BTDrucks IV/1281 S. 1, rechte Spalte unten) und „nach ihrem Sinn und Zweck so weit wie nur möglich auf den Bereich der Land- und Forstwirtschaft beschränkt bleiben” (Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses vom 3. Dezember 1963, BTDrucks IV/1690 S. 2, linke Spalte). An dieser engen Begrenzung des Befreiungstatbestands hat sich durch die nachfolgenden Änderungen des KraftStG nichts geändert.

[18 ] 3. Auch die Voraussetzungen des § 3 Nr. 7 Buchst. c KraftStG sind, weil es vorliegend an einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb fehlt, nicht erfüllt.

 

Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden

 Leitsatz

Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind.

 

 Instanzenzug

Niedersächsisches FG vom 16. September 2010 16 K 295/09 (EFG 2011, 25 )BFH V R 27/11

 Gründe

I.

[1 ] Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig.

[2 ] Auf Antrag der Klägerin erteilte die Bezirksregierung am 30. September 2004 der Klägerin eine Bescheinigung „gemäß § 4 Nr. 21 a bb des Umsatzsteuergesetzes (UStG ) vom 24. März 1999”, wonach die Ballettschule —je nach Studio mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995— als Privatschule ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Auf weiteren Antrag erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur am 24. Januar 2008 zudem eine Bescheinigung „nach § 4 Nr. 20 a UStG ” (gemeint ist § 4 Nr. 20 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes —UStG—) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1973, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten „öffentlichen Einrichtungen” erfüllen. Die Klägerin beantragte daraufhin am 14. September 2006 und am 18. Februar 2008 die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

[3 ] Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte die Anträge der Klägerin, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992 entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab.

[4 ] Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 25 ). Die Umsätze seien nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei, weil die Klägerin die Schüler auf den Beruf des Tänzers vorbereite, unabhängig davon, zu welchem Anteil die Schüler tatsächlich später diesen Beruf ergreifen würden. Entsprechendes gelte für die Umsätze mit Theater- und Schulaufführungen, für die die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG erteilt worden sei. Bei den Bescheinigungen handele es sich um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) , die gemäß § 175 AO auch rückwirkend für einen Zeitraum vor dem Ausstellungsdatum erteilt werden könnten. Der Grundsatz von Treu und Glauben führe nicht zu einer zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung, denn die langjährige Untätigkeit der Klägerin bei der Beantragung der außersteuerlichen Grundlagenbescheide allein reiche für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht aus, vielmehr müsse neben dem Zeitablauf ein Umstandsmoment hinzutreten, aus dem das FA schließen könne, dass die Klägerin auf die Steuerbefreiung durch die Beantragung der Bescheinigungen verzichten wolle. Daran fehle es.

[5 ] Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts durch fehlerhafte Auslegung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben sowie wegen Nichtbeachtung der Verjährungsvorschriften. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung in einem Zeitraum von 12 bis 30 Jahren nach vorangegangener Erklärung steuerpflichtiger Umsätze verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Verwirkung eines Anspruchs als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlichen Tuns setze voraus, dass ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen habe, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden müsse.

[6 ] Zwar reiche nach der Rechtsprechung in der Regel ein bloßes Untätigbleiben in der Regel nicht aus und werde zusätzlich zu dem Zeitmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten gefordert, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) und der Berechtigte tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet habe (Vertrauensfolge). Ausnahmen seien jedoch möglich. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) in Entscheidungen zur Verwirkung der Rechtsbehelfsbefugnis (BFH-Urteil vom 14. Juni 1972 II 149/65 , BFHE 106, 134 ) und zur Klagebefugnis (BFH-Beschluss vom 19. August 1987 IV B 70/86 , BFH/NV 1988, 244 ) allein den Zeitablauf ausreichen lassen und im BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130 , BStBl II 1979, 121) ausgeführt, die Voraussetzungen der Verwirkung könnten nicht für alle Fälle von vornherein festgelegt werden.

[7 ] Danach habe das FA spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr mit der Geltendmachung der Steuerbefreiung rechnen müssen. Die Vorschrift über die Verjährung der Steuerhinterziehung müsse analog angewendet werden. Zudem habe der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz vom 8. Dezember 2010 —JStG 2010 — (BGBl I 2010, 1768  ff.) eine Verjährungsregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F. mit Wirkung vom 1. Januar 2011 geschaffen, wonach die Festsetzungsfrist für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide der vierjährigen Festsetzungsfrist für Feststellungsbescheide angepasst werde. Die neu geschaffene Verjährungsregelung für § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG  n.F. müsse analog für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG für die Jahre 1972 bis 1992 angewendet werden.

[8 ] Für die Veranlagungszeiträume 1972 bis 1976 habe das FG jedenfalls übersehen, dass die Festsetzungsverjährung nach der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits eingetreten sei.

[9 ] Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil des FG Niedersachsen vom 16. September 2010 16 K 295/09 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

[10 ] Die Klägerin beantragt,

die Revision des FA zurückzuweisen.

[11 ] Das FG-Urteil sei zutreffend. Nach dem Anwendungserlass zur AO vom 12. Januar 2004 (BStBl I 2004, 31) zu § 175 Nr. 1.4 stehe der Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid nicht entgegen, dass sie, die Klägerin, den für eine Steuerbegünstigung erforderlichen, aber nicht fristgebundenen Antrag erst nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides gestellt habe. Ob bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG die Rückwirkung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausgeschlossen sei, spiele im Streitfall keine Rolle, weil die Regelung erst für Bescheinigungen gelte, die ab dem 28. Oktober 2004 vorgelegt worden seien (Art. 32 Abs. 5 JStG 2010, BGBl I 2010, 1768 ).

[12 ] Im Streitfall sei eine Bescheinigung bereits am 30. September 2004 vorgelegt worden. Der BFH habe weiter ausgeführt, dass entgegen den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die Rückwirkung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Die gegenteilige Rechtsansicht des XI. Senats des BFH (Urteil vom 15. September 1994 XI R 101/92 , BFHE 176, 146 , BStBl II 1995, 912), wonach einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG 1980 keine Rückwirkung vor ihrem Ausstellungsdatum zukomme, sei von der Verwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt worden (Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. November 1995 IV C 4 -S 7177- 22/95, BStBl I 1995, 827). Eine analoge Anwendung der Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG  n.F., wonach die Festsetzungsverjährungsfrist auch für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide entsprechend gelten solle, komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht, da der Gesetzgeber die Geltung dieser Neuregelung erst ab dem 1. Januar 2011 angeordnet habe. Zudem habe der Gesetzgeber bewusst von einer Änderung des § 4 Nr. 21 UStG abgesehen, weil die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens beabsichtigt worden sei. Durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben in Form einer Verwirkung durch Zeitablauf dürfe nicht die gesetzgeberische Grundwertung unterlaufen werden, wonach die in § 4 Nr. 20 UStG enthaltene Begrenzung auf vier Jahre erst ab dem 1. Januar 2011 anzuwenden sei. Zudem dürfe eine in Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG ) angelegte Steuerbefreiung nicht durch nationales Recht beschränkt werden.

II.

[13 ] Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO— ).

[14 ] Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG und § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der in den Streitjahren 1972 bis 1992 geltenden Fassung Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AO ) sind, deren Erlass grundsätzlich zu einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen kann. Entgegen der Auffassung des FG ist die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1992 jedoch rechtswidrig, weil die Bescheinigungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Streitjahre 1972 bis 1992 erteilt worden sind. Denn auch Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur dann, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betreffende Steuer erlassen worden sind.

[15 ] 1. Von der Umsatzsteuer befreit sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre 1972 bis 1992 u.a. die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre sind befreit die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer, wenn die Darbietungen von den unter Buchst. a der Vorschrift bezeichneten Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles oder Chören erbracht werden.

[16 ] 2. Das FG geht zu Recht davon aus, dass es sich bei den für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 und Nr. 21 UStG erforderlichen Bescheinigungen der zuständigen Behörden um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 AO handelt, die grundsätzlich Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein können (zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479 , BStBl II 2010, 15, Rz 27 f.; ebenso BFH-Urteil vom 19. Oktober 2011 XI R 40/09 , BFH/NV 2012, 798 ).

[17 ] a) Die Wirkung der Bescheinigung bezieht sich grundsätzlich auf den in ihr bezeichneten Gegenstand und Zeitraum, auch wenn letzterer vor der Bekanntgabe der Bescheinigung liegt (BFH-Urteile vom 18. Februar 2010 V R 28/08 , BFHE 228, 474 , BStBl II 2010, 876; in BFHE 226, 479 , BStBl II 2010, 15; vom 24. September 1998 V R 3/98, BFHE 187, 334 , BStBl II 1999, 147).

[18 ] b) Der Klägerin wurde am 24. Januar 2008 bescheinigt, dass die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule der Klägerin ab 1. Januar 1973 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen, wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und am 30. September 2004, dass die Ballettkurse in den vier Studios jeweils mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG ordnungsgemäß auf verschiedene Berufe vorbereiteten.

[19 ] 3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für Umsatzsteuer 1972 bis 1976 steht jedoch entgegen, dass die Bescheinigungen erst am 24. Januar 2008 bzw. am 30. September 2004 und damit nach Ablauf der nach der RAO zu bestimmenden Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer diesen Streitjahren erteilt worden sind.

[20 ] Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1993 X R 113/91 , BFH/NV 1994, 221 ; vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717 ; vom 23. Juni 1993 X R 214/87, BFH/NV 1994, 295 ; vom 22. Februar 1991 III R 35/87, BFHE 164, 198 , BStBl II 1991, 717; vom 18. Mai 1990 VI R 17/88, BFHE 160, 425 , BStBl II 1990, 770) richtet sich zwar die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden ab dem 1. Januar 1977 grundsätzlich nach der AO (Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung —EGAO 1977 —, BGBl I 1976, 3341 , 3382); dagegen bestimmt sich die Verjährung u.a. für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Art. 97 § 10 EGAO 1977 ) nach der RAO. Für eine Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelten keine Besonderheiten (BFH-Urteil in BFHE 164, 198 , BStBl II 1991, 717).

[21 ] Für die Umsatzsteuer betrug die Verjährungsfrist nach § 144 RAO fünf Jahre. Sie begann nach § 144 RAO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der Steuer folgt und ist für die Streitjahre 1972 bis 1976 offensichtlich bereits seit langem abgelaufen.

[22 ] 4. Für die Streitjahre unter Geltung der AO  (1977) —1977 bis einschließlich 1992— ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31. Dezember 1981: § 175 Satz 1 Nr. 1 AO ) ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO ), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO sind Grundlagenbescheide die Bescheide, die für die Festsetzung einer Steuer als Feststellungsbescheid, als Steuermessbescheid oder als anderer Verwaltungsakt bindend sind.

[23 ] a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO . Ob die Festsetzungsverjährung einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entgegensteht, ist unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO zu bestimmen. Nach der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift endete die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des für die Steuerfestsetzung bindenden Grundlagenbescheides.

[24 ] b) Entgegen der Auffassung des FG stand der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der Bescheinigungen vom 30. September 2004 und vom 24. Januar 2008 nach § 175 Abs. 1 AO entgegen, dass die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bei Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Behörde bereits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid —i.S. der §§ 179 ff. AO einem Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 AO )— oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt.

[25 ] aa) Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grundsätzlich unselbständiger Teil des Steuerbescheides; eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Steuerfestsetzungsverfahrens (vgl. §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 2 AO ) findet nur statt, wenn und soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399 , BStBl II 2005, 679, unter C.4.). Insoweit bezwecken die Vorschriften der §§ 179 ff. AO in verfahrens-rechtlich gestufter und abschichtender Weise, die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen zu können (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 209, 399 , BStBl II 2005, 679, unter C.3.b). Steuerrecht-liche Grundlagenbescheide —wie z.B. Feststellungsbescheide— unterliegen den Regelungen der AO , die im Gegensatz zur RAO für den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigenständige Feststellungsfrist eingeführt hat. So gelten für die gesonder-te Feststellung gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die Vor-schriften über die Festsetzungsverjährung sinngemäß.

[26 ] Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist im Übrigen nur insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Festsetzungsfrist und Feststellungsfrist bei steuerrechtlichen Grundlagenbescheiden auseinanderfallen können, weil auch für die Feststellungsfrist die Ablaufhemmungstatbestände maßgeblich sind.

[27 ] Der AO liegt danach ein Regelungssystem zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden sind.

[28 ] bb) Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung —wie in den Fällen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO — voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.

[29 ] (1) Eine Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist („rechtspolitische Fehler”), reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes. Auch bei einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2010 V R 38/08 , BFHE 229, 385 , BStBl II 2010, 873, unter II.5.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

[30 ] Liegt eine sog. Gesetzeslücke vor, ist diese in einer dem Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 229, 385 , BStBl II 2010, 873, unter II.5.a). Dies ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1990 1 BvR 1186/89 , BVerfGE 82, 6, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1990, 1593 , unter C.I.1.).

[31 ] (2) Danach enthält § 171 Abs. 10 AO eine Regelungslücke. Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können (vgl. BFH-Urteile vom 31. Januar 1989 VII R 77/86 , BFHE 156, 30 , BStBl II 1989, 442, unter II.3.b; vom 26. Februar 2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229 , BStBl II 2008, 659, unter II.3.a bb; vom 24. Januar 2008 VII R 3/07, BFHE 220, 214 , BStBl II 2008, 462, unter II.2.b; vom 12. Mai 2009 VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602 , unter 3.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , vor §§ 169 ff. AO Rz 5).

[32 ] Dieser auch für die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu beachtende Normzweck wird für den Fall ressortfremder Grundlagenbescheide nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungsbescheide der Finanzbehörden i.S. von §§ 179 ff. AO auch bei einer Bekanntgabe nach Ablauf der regulären Festsetzungsfristen des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO führen würden, ohne dass für den Erlass derartiger Grundlagenbescheide —wie nach § 181 AO — zeitliche Grenzen bestehen. Eine für ressortfremde Grundlagenbescheide zeitlich unbegrenzte Änderungsmöglichkeit ist nicht lediglich ein rechtspolitischer Fehler. Die Verselbständigung der Feststellung einzelner für die Besteuerung vorgreiflicher Umstände und Beurteilungen rechtlicher Art (Besteuerungsgrundlagen, vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 2000 VIII R 40/99 , BFH/NV 2001, 17 ) aus verfahrensökonomischen Gründen —z.B. mit Rücksicht auf Sachnähe (z.B. BFH-Beschluss vom 15. September 2011 I R 53/10 , BFH/NV 2012, 23 zu § 51a des Einkommensteuergesetzes )— hat unabhängig davon, ob die abgeschichtete Feststellung den Finanzbehörden oder einer ressortfremden Behörde obliegt, lediglich dienende Funktion gegenüber der Steuerfestsetzung (Begründung zu § 162 EGAO 1974 , BTDrucks VI/1982, 157; z.B. BFH-Urteile vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 , BFHE 198, 395 , BStBl II 2002, 681; vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392 , BStBl II 2001, 156).

[33 ] (3) Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass derartige Grundlagenbescheide ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte nur dann eine Ablaufhemmung begründen, wenn die Bekanntgabe dieser Grundlagenbescheide noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, erfolgt. Damit trägt der Senat den vom BVerwG (BVerwG-Urteil vom 11. Oktober 2006 10 C 4/06, NJW 2007, 714 ) und im Schrifttum (vgl. z.B. Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 93; a.A. Bannitza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 206) geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden Rechnung.

[34 ] (4) Der teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO bei der Bekanntgabe ressortfremder Grundlagenbescheide steht die mit Wirkung ab 1. Januar 2011 in Kraft getretene Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG nicht entgegen. Zwar gilt für die Erteilung der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG genannten Bescheinigung § 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend. Die erst nach den Streitjahren in Kraft getretene Neuregelung ist jedoch für die Beurteilung, ob nach der in den Streitjahren bis 1992 bestehenden Rechtslage eine Regelungslücke vorlag und ob der Gesetzgeber eine in den Streitjahren bestehende Regelungslücke für spätere Besteuerungszeiträume geschlossen hat, nicht von Bedeutung.

[35 ] c) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt diese Auslegung nicht zu einer Beschränkung der unionsrechtlich vorgegebenen Steuerbefreiung. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 20 (kulturelle Dienstleistungen) und § 4 Nr. 21 UStG (Privatschulen) ist Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG . Unionsrechtliche Ansprüche werden aber nur im Rahmen der jeweils geltenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gewährleistet (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 46/09 , juris). Auch der Hinweis der Klägerin auf die sog. „Emmotschen Fristenhemmung” nach dem Urteil des Ge-richtshofs der Europäischen Union vom 25. Juli 1991 C-208/90, Emmot (Slg. 1991, I-4269, Höchstrichterliche Finanzrecht-sprechung 1993, 137) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese setzt voraus, dass die entsprechende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden und die Geltendmachung des Anspruchs unzumutbar erschwert oder versperrt war (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95 , BFHE 179, 563 , BStBl II 1996, 399). Im Streitfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin von der Beantragung der Grund-lagenbescheide in nicht verjährter Zeit abgehalten worden ist.

[36 ] Der Senat weicht entgegen der Auffassung der Klägerin in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 25. Februar 2013 nicht i.S. des § 11 FGO von den BFH-Urteilen vom 13. Dezember 1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245) und vom 9. August 1983 VIII R 55/82 (BFHE 139, 341 , BStBl II 1984, 86) ab. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH ist daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich.

[37 ] d) Eine Abweichung liegt nur bei einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor (z.B. BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147 , BStBl II 1986, 207; BFH-Urteile vom 15. Februar 2012 XI R 24/09 , BFHE 236, 267 , unter II.4.; vom 17. September 2002 IX R 68/98, BFHE 199, 493 , BStBl II 2003, 2, unter II.1.b) und setzt daher einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt voraus (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140 , BStBl II 1979, 570; BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85 , BFHE 158, 31 , BStBl II 1989, 990, unter II.3.c (4)). Liegen den Entscheidungen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde, ergeben sich daraus andere rechtliche Wertungen und die Beurteilung anderer Rechtsfragen. Bei Ausführungen, die verallgemeinernd über den entschiedenen Fall hinausgehen, handelt es sich mithin allenfalls um ein obiter dictum, das regelmäßig die Annahme einer Abweichung i.S. des § 11 FGO nicht indiziert (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2. September 2008 VIII R 2/07 , BFHE 223, 15 , BStBl II 2010, 25, unter II.2.e; in BFHE 236, 267 , unter II.4.; vom 26. Mai 1993 X R 72/90, BFHE 171, 455 , BStBl II 1993, 855; BFH-Beschluss vom 22. Juli 1977 III B 34/74 , BFHE 123, 112 , BStBl II 1977, 838; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 11 Rz 11, m.w.N.). Eine Anrufung des Großen Senats ist in diesem Falle nicht erforderlich (z.B. BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 VII R 60/89 , BFHE 162, 1 , BStBl II 1990, 1071, und in BFHE 158, 31 , BStBl II 1989, 990).

[38 ] e) Weder der III. Senat noch der VIII. Senat des BFH haben über die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage der Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides entschieden.

[39 ] aa) In dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil in BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245 hat der III. Senat vielmehr entschieden, dass sich eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus den Vorschriften der Festsetzungsverjährung ergibt (in BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245, unter II.1.b). Zudem betrifft diese Entscheidung einen bereits vor Erlass des streitigen Steuerbescheides erlassenen Grundlagenbescheid. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber über die Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides zu entscheiden. Das ist ein anderer Sachverhalt. Soweit der III. Senat ausführt, solange der Folgebescheid einen „—gleichgültig zu welchem Zeitpunkt erlassenen—” Grundlagenbescheid nicht berücksichtige, sei die diesem zugedachte Aufgabe noch nicht erfüllt, handelt es sich nur um ein obiter dictum.

[40 ] bb) Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 139, 341 , BStBl II 1984, 86 liegt nicht vor. Das Urteil betrifft die Frage, ob ein Steuerbescheid auch dann noch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn der (innerhalb der Festsetzungsfrist des Folgebescheides erlassene) Grundlagenbescheid bereits bei Erlass eines früheren Steuerbescheides hätte berücksichtigt werden können und damit einen anders gelagerten Sachverhalt und eine andere Rechtsfrage betrifft.

[41 ] f) Aus denselben Gründen liegt auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 14. April 1988 IV R 219/85 (BFHE 153, 285 , BStBl II 1988, 711) vor, weil dieses Urteil eine Fallgestaltung betrifft, in der die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten war. Soweit der IV. Senat darüber hinaus ausgeführt hat, eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergebe sich lediglich aus den Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO ) und über die Feststellungsverjährung (§ 181 AO ) und im „übrigen ist eine Änderung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen”, war dies nicht entscheidungserheblich.

[42 ] g) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der Senat setze sich in Widerspruch zu „Regelungen im Anwendungserlass” zu § 175 Abs. 1 Satz 1 AO und den Umsatzsteuer-Richtlinien zu § 4 Nr. 21 UStG bzw. dem nachfolgenden Umsatzsteueranwendungserlass . Denn hierbei handelt es sich um sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht binden (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 XI B 250/07 , BFH/NV 2009, 394 ; vom 19. Januar 2010 VIII R 40/06, BFHE 228, 216 , BStBl II 2011, 254; vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4 , BStBl II 1995, 754).

Kraftfahrzeugsteuer bei Zuteilung eines Saisonkennzeichens

Mindestbesteuerung für einen Monat bei Zulassung eines Fahrzeugs nur für einen Tag weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig

 Leitsatz

1. Die Merkmale des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG sind nicht erst dann verwirklicht, wenn mit dem Fahrzeug eine öffentliche Straße tatsächlich befahren wird, sondern schon dann, wenn das Fahrzeug nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften über das Zulassungsverfahren für Kraftfahrzeuge „zum Verkehr zugelassen” worden ist.
2. Durch die Zuteilung eines Saisonkennzeichens wird die Befugnis zum Betrieb des Fahrzeugs, nicht dagegen die Geltung der Zulassung zeitlich begrenzt. Ein Fahrzeug mit Saisonkennzeichen ist daher ununterbrochen zugelassen, also auch während des jeweiligen negativen Betriebszeitraums.
3. Der Besteuerung eines mit einem Saisonkennzeichen zugelassenen Fahrzeugs für den Mindestzeitraum von einem Monat gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG steht es nicht entgegen, dass das Fahrzeug bereits vor dem Saisonzeitraum wieder abgemeldet wird und infolgedessen zu keinem Zeitpunkt im öffentlichen Straßenverkehr genutzt werden kann. § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG knüpft wie § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG allein an die Zulassung und nicht an die Berechtigung zur Nutzung an.
4. Die Mindestbesteuerung für einen Monat bei Zulassung eines Fahrzeugs nur für einen Tag ist weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig.

 Gesetze

KraftStG § 5 Abs. 1 Nr. 1
,
KraftStG § 1 Abs. 1 Nr. 1

 Instanzenzug

FG Nürnberg Urteil vom 10.09.2009 6 K 30/2009 BFH II R 32/10

 Gründe

[1 ] I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen gewerblichen Handel mit Nutzfahrzeugen. Im Rahmen dieser Tätigkeit schafft sie Fahrzeuge an, meldet diese bei der Zulassungsstelle an und kurz darauf wieder ab (sog. Tageszulassungen) und veräußert sie danach weiter.

[2 ] Am 8. September 2008 meldete die Klägerin einen aus Portugal importierten LKW für den Saisonzeitraum Oktober/November an. Ihr wurde neben den Zulassungspapieren ein entsprechendes Saisonkennzeichen ausgehändigt. Einen Tag später, am 9. September 2008, meldete die Klägerin das Fahrzeug wieder ab.

[3 ] Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) setzte zunächst mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 die Kraftfahrzeugsteuer für den Saisonzeitraum 1. Oktober 2008 bis 30. November 2008 in Höhe von 35 € fest. Mit einem nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) geänderten Bescheid vom 22. Oktober 2008 setzte das FA unter Hinweis auf die Mindeststeuerpflicht von einem Monat gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 8. September 2008 bis zum 7. Oktober 2008 in Höhe von 17 € fest.

[4 ] Einspruch und Klage gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2008 blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 171 veröffentlichten Urteil aus, die verkehrsrechtliche Zulassung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG sei mit dem auf dem Saisonkennzeichen ausgewiesenen Betriebszeitraum des Fahrzeugs nicht gleichzusetzen. Das Saisonkennzeichen begrenze lediglich die Befugnis zum Betrieb des Fahrzeugs, nicht aber die Geltung der Zulassung. Lägen Zulassung/Anmeldung und Stilllegung/Abmeldung des Fahrzeugs zeitlich vor Beginn des ersten Saisonzeitraums, trete an Stelle der Steuerfestsetzung für den jeweiligen Saisonzeitraum gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 KraftStG die Festsetzung ab dem Datum der Zulassung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG .

[5 ] Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG . Mit dem Halten von Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen und dem Merkmal der Zulassung zum Verkehr könne nur der Zeitraum gemeint sein, in welchem das Fahrzeug auf der Straße auch benutzt werden dürfe. Bei der Erteilung von Saisonkennzeichen dürfe das Fahrzeug auf öffentlichen Straßen nur während des auf dem Kennzeichen angegebenen Zeitraums genutzt werden. Im Streitfall sei das Fahrzeug aber bereits vor Beginn des Verwendungszeitraums wieder abgemeldet worden. Darin liege kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.

[6 ] Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 22. Oktober 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 2008 aufzuheben.

[7 ] Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

[8 ] II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— ). Das FG hat zutreffend die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bejaht und die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer für einen Monat für rechtmäßig erachtet.

[9 ] 1. Steuergegenstand der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Die Merkmale dieses Tatbestandes sind nicht erst dann verwirklicht, wenn mit dem Fahrzeug eine öffentliche Straße tatsächlich befahren wird, sondern schon dann, wenn das Fahrzeug nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften über das Zulassungsverfahren für Kraftfahrzeuge (§§ 1 ff. der Fahrzeug-Zulassungsverordnung —FZV—) „zum Verkehr zugelassen” worden ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 20. April 2006 VII B 332/05 , BFH/NV 2006, 1519 ). Denn mit der Zulassung hat der Halter das Recht erlangt, das Fahrzeug „auf öffentlichen Straßen…in Betrieb” zu setzen (§ 3 Abs. 1 FZV). An dieses Recht knüpft das Gesetz die Steuer. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift („Halten zum …”) und ihrem Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG (BFH-Urteil vom 7. März 1984 II R 40/80 , BFHE 140, 480 , BStBl II 1984, 459), wonach —ausnahmsweise— auch die widerrechtliche Benutzung des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen den Steuertatbestand erfüllt.

[10 ] Die Zulassungsbehörde hat das Fahrzeug der Klägerin am 8. September 2008 ordnungsgemäß zum Straßenverkehr zugelassen. Die Klägerin war damit berechtigt, das angemeldete Fahrzeug zum Verkehr auf öffentlichen Straßen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG zu nutzen. Dies allein ist maßgeblich für die Besteuerung.

[11 ] 2. Dass der Nutzungszeitraum im Streitfall auf die Kalendermonate Oktober und November des Jahres 2008 beschränkt war, steht der Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG nicht entgegen.

[12 ] a) Durch die 23. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 12. November 1996 (BGBl I 1996, 1738 ) wurde mit Wirkung ab dem 1. März 1997 das sog. Saisonkennzeichen eingeführt. Nach dem neu eingefügten § 23 Abs. 1b Satz 1 der Straßenverkehrszulassungsordnung a.F. wurde auf Antrag für ein Fahrzeug ein auf einen nach vollen Monaten bemessenen Zeitraum (Betriebszeitraum) befristetes amtliches Kennzeichen zugeteilt, das jedes Jahr in diesem Zeitraum auch wiederholt verwendet werden durfte. Durch die Regelung sollten die Fahrzeughalter von den früher notwendigen Behördengängen und den Kosten für eine vorübergehende Stilllegung des Fahrzeugs und die anschließende Wiederanmeldung entlastet werden (vgl. Recktenwald, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 1997, 225 , 234; Bruschke, UVR 2001, 324 ). Seit dem 1. März 2007 ist das Saisonkennzeichen in § 9 Abs. 3 FZV geregelt. Nach § 9 Abs. 3 Satz 5 FZV dürfen Fahrzeuge mit Saisonkennzeichen auf öffentlichen Straßen nur während des angegebenen Betriebszeitraums in Betrieb genommen oder abgestellt werden.

[13 ] b) Durch die Zuteilung eines Saisonkennzeichens wird die Befugnis zum Betrieb des Fahrzeugs, nicht dagegen die Geltung der Zulassung zeitlich begrenzt. Ein Fahrzeug mit Saisonkennzeichen ist daher ununterbrochen zugelassen, also auch während des jeweiligen negativen Betriebszeitraums (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 VII R 12/04 , BFHE 208, 315 , BStBl II 2005, 365; Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. August 2001 3 Bf 385/00, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht 2002, 150; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 FVZ Rz 6).

[14 ] Die Rechtslage ist vergleichbar mit dem zeitlichen Verbot, das für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassene Fahrzeug zu nutzen, z.B. aufgrund eines Fahrverbotes für LKW an Sonn- und Feiertagen (vgl. BFH-Urteil vom 6. August 1958 II 109/57 U , BFHE 67, 332, BStBl III 1958, 402; Thüringer FG, Urteil vom 27. April 1994 I K 131/93, EFG 1994, 982 ) oder aufgrund eines generellen Fahrverbotes für alle Kfz (Niedersächsisches FG, Urteil vom 23. April 1974 III 26/74 , EFG 1974, 387 : Fahrverbot an drei Sonntagen während der sog. „Ölkrise” im Herbst 1973). In diesen Fällen besteht die Steuerpflicht auch in dem Zeitraum fort, in dem der Fahrzeughalter tatsächlich und/oder rechtlich zeitweilig gehindert ist, das Fahrzeug im Straßenverkehr zu nutzen. Solange das Fahrzeug für den Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen ist, handelt es sich um ein „Halten” i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG . Der Begriff des Haltens knüpft bei zulassungspflichtigen Fahrzeugen allein an das Innehaben der Zulassung an (BFH-Urteile vom 4. März 1986 VII R 166/83 , BFHE 146, 282 , 285 , 287, BStBl II 1986, 531; vom 13. Januar 1987 VII R 150/84, BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272), durch die auch die Person des Steuerschuldners bestimmt wird (§ 7 Nr. 1 KraftStG; BFH-Urteil in BFHE 148, 542, BStBl II 1987, 272).

[15 ] 3. Zutreffend ist die Steuer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG für den Mindestzeitraum von einem Monat in —unstreitiger— Höhe von 17 € festgesetzt worden.

[16 ] a) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG dauert die Steuerpflicht bei einem inländischen Fahrzeug, solange das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist, mindestens jedoch einen Monat. Der Begriff der „Zulassung zum Verkehr” wird im KraftStG nicht definiert, sondern richtet sich wiederum gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG nach den jeweils geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften (Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer, § 5 Rz 6).

[17 ] Die Klägerin hat das Fahrzeug nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften für einen Tag angemeldet. Im Streitzeitraum gab es keine spezielle Regelung für die Dauer der Steuerpflicht bei Saisonkennzeichen. Nach dem Wortlaut der allgemeinen Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG war die Steuer für einen Mindestzeitraum von einem Monat festzusetzen. Die Mindestbesteuerung für einen Monat bei Zulassung eines Fahrzeugs nur für einen Tag ist weder verfassungs- noch unionsrechtswidrig (vgl. FG Münster, Urteil vom 6. März 2001 13 K 6759/00 Kfz, EFG 2001, 925 ).

[18 ] b) Der Besteuerung für einen Monat steht nicht entgegen, dass die Klägerin das Fahrzeug bereits vor dem Saisonzeitraum wieder abgemeldet hat und infolgedessen das Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt im öffentlichen Straßenverkehr nutzen konnte. § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG knüpft wie § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG allein an die Zulassung und nicht an die Berechtigung zur Nutzung an.

[19 ] Unbeachtlich ist, dass die Finanzverwaltung erst ab Beginn des Jahres 2008 bei Tageszulassungen in Verbindung mit dem Antrag auf einen Saisonzeitraum außerhalb der tatsächlichen Zulassung die einmonatige Mindeststeuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG festgesetzt hat (vgl. Strodthoff, a.a.O., § 5 Rz 52 ff.). Durch die bis Ende 2007 übliche Verwaltungspraxis, in diesen Fällen von einer Steuerfestsetzung abzusehen, ist ein im Streitzeitraum andauernder Vertrauenstatbestand nicht geschaffen worden. Maßgeblich für die Besteuerung ist allein das Gesetz und nicht die Auslegung desselben durch die Finanzverwaltung. Steuerpflichtige durften nicht darauf vertrauen, dass das Gesetz über die ausdrücklich aufgegebene Verwaltungspraxis hinaus nicht weiter angewandt werde.

[20 ] Etwas anderes folgt auch nicht aus der mit Wirkung ab 5. November 2008 erfolgten Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG und der späteren Einführung des inhaltsgleichen § 5 Abs. 1 Nr. 5 KraftStG . Dadurch hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass bei Zuteilung eines Saisonkennzeichens die Kraftfahrzeugsteuer ebenfalls für mindestens einen Monat festzusetzen und zu erheben ist. Es handelt sich um eine gesetzliche Klarstellung (vgl. BTDrucks 16/10930, S. 10; Strodthoff, a.a.O., § 5 Rz 54) und nicht um eine Änderung der bis dahin bestehenden Rechtslage.

Erklärung zum Treffen zwischen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und dem portugiesischen Staatsminister für Finanzen Vítor Gaspar

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein portugiesischer Amtskollege Vítor Gaspar sind am 22. Mai 2013 zu einem Informations- und Meinungsaustausch über die Wirtschafts- und Währungsunion, das Finanzhilfeprogramm für Portugal und die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Portugal zusammengekommen.

Die Minister teilen die Ansicht, dass Fortschritte hin zu einer vertieften Wirtschafts- und Währungsunion dringend erforderlich sind. Ein Problem ist die Fragmentierung der Finanzmärkte. Unternehmen in der Peripherie sind bei gleichem Kreditrisiko und gleichen unternehmerischen Möglichkeiten mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert als Unternehmen der Kernländer. Die finanzielle Fragmentierung behindert die Angleichung und trägt zur schwachen wirtschaftlichen Entwicklung des Euro-Währungsgebiets bei. Die Minister stimmen darin überein, dass es im Interesse Europas als Ganzes liegt, dieses Thema anzugehen und zügig eine Bankenunion zu schaffen.

Die Minister sprachen über die positive Entwicklung des portugiesischen Anpassungsprogramms. Sie erörterten die Fortschritte bei der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen und würdigten die Anstrengungen der portugiesischen Regierung. Die allmähliche Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit hat den Zugang zu den Finanzmärkten deutlich verbessert, wie sich bei der Ausgabe einer Anleihe mit 10-jähriger Laufzeit im Mai gezeigt hat. Portugiesische Schuldtitel werden heute zu Kursen gehandelt, die erstmals im Frühjahr 2010 erreicht wurden.

Die niedrigeren Finanzierungskosten für Staatsanleihen haben sich jedoch noch immer nicht umfassend auf die übrige Wirtschaft übertragen. Portugal ist damit eines der Länder, die von der Bankenunion und anderen aktuellen Initiativen profitieren, die auf die Bewältigung der übermäßigen Kosten von Bankenkrediten und die Verbesserung des Zugangs von Unternehmen, insbesondere KMU, zu Krediten zielen.

In diesem Zusammenhang haben die Minister Möglichkeiten erörtert, wie Deutschland Portugal unterstützen könnte, insbesondere in Bezug auf den Finanzierungs- und Kapitalisierungsbedarf portugiesischer KMU mit großen Potenzialen. Im Verlauf des heutigen Treffens haben die Minister vereinbart, bei der Ausarbeitung technischer und finanzieller Unterstützung eng mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu kooperieren. Die KfW wird zudem weitere technische Unterstützung für die Errichtung des neuen portugiesischen Entwicklungsfinanzierungsinstituts (financial development institution) bereitstellen, einem wesentlichen Instrument für Investitionen in nachhaltiges Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Portugal.

Es bestand Einvernehmen zwischen den Ministern, dass die angespannte Finanzlage bewältigt und das Wachstum gefördert werden müssen, um die Fähigkeit europäischer Länder zur Bereitstellung sozialer Güter sowie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit, aufrechtzuerhalten. Für Europa als Ganzes sind die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung der Jugenderwerbstätigkeit die entscheidenden Prioritäten.

 

Statement on the meeting between the German Minister of Finance, Wolfgang Schäuble, and the Portuguese Minister of State and Finance, Vítor Gaspar

Wolfgang Schäuble, German finance minister, and Vítor Gaspar, Portuguese Minister of State and Finance, met today to exchange information and views on Economic and Monetary Union, the Portuguese Financial Assistance Program and bilateral cooperation between Germany and Portugal.

The Ministers share the view that it is urgent to make progress towards deeper economic and monetary union. One problem is fragmentation of financial markets. Firms in the periphery are facing higher funding costs than firms in the core countries with the same credit risk and business prospects. Financial fragmentation is hampering the adjustment and contributing to the weak macroeconomic performance of the euro area. Ministers agree that it is in the interest of Europe as a whole to address this issue and to establish a banking union swiftly.

The Ministers exchanged views on the positive development of the Portuguese Adjustment program. The progresses achieved in public finance consolidation were reviewed and the efforts of the Portuguese authorities were commended. The gradual restoration of credibility has led to great improvements in the access to financial markets, as exemplified by the recent issuance of a 10-year bond in May. Portuguese debt is now trading at levels that were first breached in the Spring of 2010.

However, the reduction in borrowing costs of the sovereign debt has still not been fully transmitted to the rest of the economy. Portugal is thus one of the countries that will benefit from banking union and other ongoing initiatives to address the excessive cost of bank finance and improve firm’s access to credit, in particular for SMEs.

In this respect, the Ministers discussed possible ways by which Germany could provide support to Portugal, in particular to address financing and capitalization needs of Portuguese high potential SMEs. In the course of today’s meeting, the ministers agreed to closely cooperate in preparing technical as well as financial support together with the German development bank KfW. KfW will also provide further technical support to the setting up of the new Portuguese financial development institution, a vital instrument for investing in sustainable growth and job creation in Portugal.

The ministers agreed that tackling financial constraints and promoting growth is necessary to preserve the ability of European countries to sustain the provision of social goods and to fight unemployment, in particular youth unemployment. Job creation and youth employment are the key priorities for Europe as a whole.

Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches

Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches, speziell des Ordnungsgeldverfahrens bei nicht fristgemäßer Einreichung des Jahresabschlusses, entlastet gerade kleine und Kleinstunternehmen. Umso wichtiger ist, dass das Gesetzgebungsvorhaben noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet und die Änderungen auch in Kraft treten können. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung  und könnte einige der Fallkonstellationen, die in der Vergangenheit zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt haben, beseitigen.  Ergänzend ist auf folgende Punkte hinzuweisen:
1. Auf den ersten Blick wird mit der Pflicht zur Herabsetzung des Ordnungsgeldes bei Erfüllung der Offenlegungspflicht nach Ablauf der Sechswochenfrist nach § 335 Abs. 4 Satz 2 HGB-E der Eindruck einer Entlastung vermittelt. Das tatsächliche Zeitfenster, das zu einer Herabsetzung des ersten Ordnungsgeldes und damit einer Entlastung führen kann, ist formal jedoch eng und vom Unternehmen/den Beteiligten nicht abschätzbar.
Die Herabsetzung nach § 335 Abs. 4 Satz 2 ist dann vorzunehmen, wenn die Beteiligten nach Ablauf der Sechswochenfrist ihrer Offenlegungspflicht nachkommen. Begrenzt ist diese Möglichkeit durch Satz 3. Die Offenlegung muss vor einer Entscheidung des Bundesamtes für Justiz erfolgen. Laut Begründung ist eine solche Entscheidung die Festsetzung des Ordnungsgeldes. Dieser Zeitpunkt steht für den Beteiligten jedoch nicht fest. Das Bundesamt kann nach Ablauf der Sechswochenfrist das Ordnungsgeld festsetzen. Ob dies sofort erfolgt oder nach einigen Tagen oder Wochen, kann von dem Unternehmer bzw. den Beteiligten nicht eingeschätzt werden. Würde das Ordnungsgeld sofort nach Ablauf der Sechswochenfrist festgesetzt werden – was rechtlich möglich ist – so bestünde sogar eine Schlechterstellung zur aktuell geltenden Regelung.
Denn aktuell wird das Ordnungsgeld auf 250 Euro herabgesetzt, wenn die Sechswochenfrist geringfügig (2 Wochen laut Rechtsprechung) überschritten ist. Im Ergebnis kann der Vorschlag in § 335 Abs. 3 HGB-E die grundsätzliche Belastung durch zu hohe Ordnungsgelder insbesondere für kleinere Unternehmen und deren teilweise existenzgefährdenden Folgen in Einzelfällen nicht beseitigen. Eine grundsätzliche Entlastung könnte nur durch die Herabsetzung des anzudrohenden Ordnungsgeldes selbst erfolgen. Es ist davon auszugehen,  dass auch die im Gesetzentwurf genannten Staffelbeträge als Androhung ihren präventiven Effekt entfalten. Darüber hinaus wären auch niedrigere Ordnungsgelder abschreckend.

2. Mit § 335 Abs. 5 HGB-E wird der Begriff des „Verschuldens“ im Zusammenhang mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgenommen. Hierdurch sollen bestimmte, in der Vergangenheit aufgetretene Konstellationen, die bislang nicht berücksichtigt wurden (vgl. Beispielsfälle in der Begründung zu A II 3, B Nr. 2b), künftig neu gestaltet werden. Es ist unklar, ob die in der Begründung genannten Beispielsfälle bei Anwendung des Gesetzes dann auch zur Änderung des „Verschuldensmaßstabs“ und damit zur tatsächlichen Berücksichtigung dieser Konstellationen führen werden. Offen ist auch, welcher Verschuldensmaßstab im Rahmen des Einspruchsverfahrens verwendet würde. Der bisher vom Bundesamt für Justiz verwendete Verschuldensmaßstab im Rahmen des § 335 Abs. 1 Satz 1 HGB hat gerade die in der Begründung genannten Beispielsfälle nicht berücksichtigt. Wenn die in der Begründung genannten Beispielsfälle im Rahmen der Sechswochenfrist als Nichtverschulden bei der rechtzeitigen Einreichung des Jahresabschlusses gewertet werden, so müssten sie, wenn sie zum Zeitpunkt des Einspruches gegen die Androhung des Ordnungsgeldes bestehen, konsequenterweise auch im Einspruchsverfahren berücksichtigt werden. Dies ist aufgrund des Gesetzestextes formal nicht sichergestellt.

Ergänzend ist noch anzumerken, dass die Formulierung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sich – anders als z. B. § 32 VwVfG – im Rahmen der Ausschlussfrist nicht auf höhere Gewalt bezieht, vgl. § 335 Abs. 5 Satz 7 HGB-E.

3. Ungeklärt ist das Vorgehen der Beteiligten, wenn mehrere Ordnungsgeldfestsetzungen erfolgt sind, z. B. wenn der geschäftsführende Einzelgesellschafter längere Zeit durch Krankheit nicht in der Lage ist, seinen Aufgaben nachzukommen. Er hätte wohl gegen jede der Ordnungsgeldfestsetzungen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen.

4. Die Begründung des Gesetzestextes geht grundsätzlich davon aus, dass die Hindernisse, die zu einer nicht verschuldeten rechtzeitigen Offenlegung führen, temporär sind. Unklar ist die Rechtslage, wenn z. B. in seltenen Fällen durch  Brand die gesamten Buchungsunterlagen des Unternehmens vernichtet wurden, keine externe Sicherung vorliegt und eine Rekonstruktion nicht möglich ist. Für Fälle dauerhafter Hindernisse bzw. objektiver Unmöglichkeit der Erstellung bzw. Offenlegung des Jahresabschlusses scheint der Entwurf keine Lösung zu formulieren – unabhängig davon, ob diese Unmöglichkeit in der Sechswochenfrist entstanden ist oder schon vorher bestand und im Rahmen des Einspruchs vorgetragen wird.
Dies erscheint insofern klärungsbedürftig, als unserer Kenntnis nach in noch nicht veröffentlichten Beschlüssen das LG Bonn auch in Fällen der objektiven Unmöglichkeit eine Vorlagepflicht bejaht hat. Wie aber soll ein Unternehmen einer Offenlegungspflicht nachkommen, wenn die nötigen Unterlagen hierfür nicht bestehen und nicht wiederhergestellt werden können?

5. Nach § 335b Satz 2 HGB-E soll das Ordnungsgeldverfahren gegen die persönlich haftenden Gesellschafter oder gegen die Mitglieder der vertretungsberechtigten Organe der persönlich haftenden Gesellschafter gerichtet werden; sekundär auch gegen die Offene Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft.

Es erscheint unbillig, das Ordnungsgeldverfahren auch gegenüber den nicht geschäftsführenden Gesellschaftern durchzuführen.

BT-Drs. 17/13221

Kein Kindergeld für den Besuch einer islamischen Mädchenschule

Der 2. Senat hat mit Urteil vom 27. Februar 2013 (Az.: 2 K 2760/11) entschieden,
dass der Besuch einer privaten islamischen Mädchenschule, deren Schwerpunkt in
der Vermittlung der Grundlagen des islamischen Glaubens liegt und die weder einen
Abschluss noch eine hinreichend gründliche theoretisch-systematische Ausbildung
zur Vorbereitung auf einen Beruf vermittelt, die Eltern nicht zum Bezug von Kindergeld berechtigt.
Geklagt hatte eine Mutter, deren Tochter nach Vollendung ihres 18. Lebensjahrs
über einen Zeitraum von zwei Jahren ein sog. Islamisches Mädchenkolleg besuchen
wollte. Dabei handelt es sich um eine private Internatsschule, die mit dem Ziel gegründet worden ist, jungen islamischen Mädchen nach Erfüllung ihrer gesetzlichen
Schulpflicht ihre Kultur und ihre Religion näherzubringen und sie in den Bereichen
Sprache, Kultur und Allgemeinwissen zu stärken, um ihnen ein selbstbewusstes Auftreten in der Gesellschaft zu ermöglichen. Hierfür beanspruchte die Klägerin Kindergeld, da das Kind durch den Schulbesuch für einen Beruf ausgebildet werde (§ 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG).
Das Finanzgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es sich bei
dem der Tochter erteilten Unterricht nicht um eine strukturierte Wissensvermittlung
handele, die als Grundlage für eine spätere Berufsausübung dienen könne. Der Besuch des Islamischen Mädchenkollegs stelle daher keine Berufsausbildung dar, weil
nach seiner religiösen und persönlichkeitsbildenden Ausrichtung kein ausreichender
inhaltlicher Zusammenhang zu einem von der Tochter angestrebten Beruf bestehe.
Da für den erteilten Sprachunterricht in Deutsch, Türkisch und Englisch zudem nur
insgesamt sechs Wochenstunden vorgesehen seien, werde auch dadurch der Bezug
zu einem späteren Beruf nicht in dem erforderlichen Umfang vermittelt.
Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Ihre Ansprechpartner für Rückfragen:
Petra Karl, Pressesprecherin, Telefon (0711) 6685-703
Hans-Ulrich Fissenewert, stv. Pressesprecher, Telefon (0711) 6685-303
Finanzgericht Baden-Württemberg, Börsenstr. 6, 70174 Stuttgart
Telefax (0711) 6685 – 799; E-Mail: pressestelle@fgstuttgart.justiz.bwl.de

Versicherungsbeiträge nicht lebensnotwendig

Beiträge zur Risiko- und Kapitallebensversicherung sowie zur Unfallversicherung gehören nicht zu den notwendigen Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins.

Der 9. Senat hat durch Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2013 (Az.: 9 K 242/12) entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, Beiträge zur Risiko- und Kapitallebensversicherung sowie zur Unfallversicherung in vollem Umfang zum steuerlichen Abzug zuzulassen. Versicherungsbeiträge sind nur im Rahmen eines bestimmten Höchstbetrags als Sonderausgaben steuerlich abzugsfähig. Das Bundesverfassungsgerichts hielt in
einer Entscheidung vom Februar 2008 den Sonderausgabenabzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für nicht ausreichend und verpflichtete den Gesetzgeber, diejenigen Beiträge zum Abzug zuzulassen, die dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung ermöglichen. Die Kläger vor dem Finanzgericht sind Ehegatten, deren gemeinsamer Höchstbetrag
zum Sonderausgabenabzug bereits durch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung überschritten war. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte daher keine Beiträge der Kläger zur Risiko- und Kapitallebensversicherung sowie zur Unfallversicherung. Mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht begehrten die Kläger, auch die anderen Versicherungsbeiträge in vollem Umfang zum Sonderausgabenabzug zuzulassen.
Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, Beiträge zur Risiko- und Kapitallebensversicherung sowie zur Unfallversicherung seien nicht notwendig, um die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für die Kläger zu schaffen. Zum Abschluss solcher Versicherungen besteht – im Unterscheid zur Kranken- und Pflegeversicherung – keine gesetzliche Verpflichtung. Sie gehören nicht zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum, denn diese Versicherungen dienen gerade nicht der Sicherung der bloßen Existenz der Kläger, sondern primär dem Schutz und dem Erhalt von deren Vermögen und Lebensstandard. Die abdeckten
Risiken Alter, Invalidität und Tod werden von den klassischen Altersvorsorgesystemen wie der gesetzlichen Rentenversicherung, den  berufsständischen Versorgungseinrichtungen und der Beamtenversorgung typischerweise abgedeckt. Der Kläger haben gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Das Revisionsverfahren ist beim Bundefinanzhof unter dem Aktenzeichen X R 5 /13 anhängig.

Pressemitteilung Nr. 7/2013 Stuttgart, den 16. Mai 2013

 Keine steuerliche Abzugsfähigkeit von privater Risikolebensversicherung, Unfallversicherung und KapitallebensversicherungVerfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 4 EStG

 Leitsatz

Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, Beiträge zu privaten Risikolebensversicherungen, Unfallversicherungen oder Kapitallebensversicherungen einkommensteuerlich in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen, da diese nicht der Sicherung der bloßen Existenz, sondern primär dem Schutz und dem Erhalt von Vermögen und Lebensstandard dienen.

 Gesetze

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 3
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 3a
EStG § 10 Abs. 4 S. 3
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
SGB XII § 90

 Tatbestand

Streitig ist, ob das subjektive Nettoprinzip gebietet, Aufwendungen für eine Risikolebensversicherung, eine Unfallversicherung und für verschiedene Kapitallebensversicherungen steuerlich zu berücksichtigen.

Mit Beschluss vom 13. Februar 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die bisher geltende Regelung zum Sonderausgabenabzug von Beiträgen zu einer Kranken- und Pflegeversicherung nicht ausreichend sei. Der Gesetzgeber habe die Beträge steuerlich zum Abzug zuzulassen, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten (Aktenzeichen 2 BvL 1/06, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts –  BVerfGE  – 120, 125). Gleichzeitig verpflichtete es den Gesetzgeber, mit Wirkung zum 1. Januar 2010 eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen. Aufgrund dieser Entscheidung änderte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 16. Juli 2009 (BGBl. I 2009, 1959 ) die steuerliche Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen in § 10 des Einkommensteuergesetzes in der ab dem Veranlagungszeitraum 2010 geltenden Fassung (  EStG ) teilweise neu. Die Höchstbeträge für den Abzug von anderen Vorsorgeaufwendungen als Aufwendungen für die Altersversorgung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG wurden auf 2.800 EUR bzw. 1.900 EUR erhöht (§ 10 Abs. 4 S. 1 und 2 EStG). Die Aufwendungen für die sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung wurden in § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG neu definiert. Diese Beiträge sind – unabhängig von den Höchstbeträgen – stets in vollem Umfang abzugsfähig. Die sonstigen Vorsorgeaufwendungen wurden in den neu eingefügten § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG aufgenommen. Diese Beiträge wirken sich nur noch dann aus, wenn die Höchstbeträge nicht bereits durch den Abzug der sozialhilfegleichen Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausgeschöpft worden sind (§ 10 Abs. 4 S. 4 EStG ).

Die Kläger sind miteinander verheiratete Eheleute, die im Veranlagungszeitraum 2010 zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Gewerbebetrieb. Im Veranlagungszeitraum 2010 wurden von seinem Arbeitslohn Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 6.705 EUR und zur gesetzlichen Pflegeversicherung in Höhe von 877,56 EUR einbehalten. Die Klägerin erzielt ausschließlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In der im März 2011 beim Beklagten eingegangenen Einkommensteuererklärung beantragten sie neben dem Abzug der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG auch den Abzug folgender Beträge als sonstige Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG :

 

   Bezeichnung    Betrag
 Risikolebensversicherung

 148,23 EUR

 Unfallversicherung

 243,55 EUR

 vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossene Kapitallebensversicherungen

   4 .436,00 EUR

 Summe:

 4 .827,78 EUR

 

Der gemeinsame Höchstbetrag der Kläger nach § 10 Abs. 4 S. 3 EStG war bereits durch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung überschritten, weshalb die sonstigen Vorsorgeaufwendungen im Einkommensteuerbescheid vom 28. März 2011 vom Beklagten nicht berücksichtigt wurden.

Mit dem form- und fristgerecht eingelegten Einspruch begehrten die Kläger, die sonstigen Vorsorgeaufwendungen in erklärter Höhe zum Abzug zuzulassen. Nach weiterem Schriftverkehr wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2012 als unbegründet zurück.

Mit der form- und fristgerecht erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die geltend gemachten Aufwendungen für Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG von insgesamt 4.828 EUR seien zum Abzug zuzulassen. Die Aufwendungen gehörten zu den notwendigen Aufwendungen der Daseinsfürsorge und seien daher im Rahmen des subjektiven Nettoprinzips steuermindernd zu berücksichtigen. Dies habe der Gesetzgeber selbst durch die Aufzählung im Gesetz anerkannt. Eine Rechtfertigung für die Aufteilung in Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und andere Vorsorgeaufwendungen sei nicht erkennbar. Die Einteilung sei aus haushaltspolitischen Gründen erfolgt. Eine sachliche Begründung bestehe hierfür nicht. Bei jeder Typisierung sei zu beachten, dass die typisierten Aufwendungen möglichst in allen Fällen berücksichtigt werden. Gerade dies sei nicht der Fall. In nahezu allen Fällen würden die in § 10 Abs. 4 S. 3 EStG aufgeführten Höchstbeträge bereits durch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung überschritten. Die Grundsätze der Sozialhilfe seien nicht maßgeblich. Sonderausgaben seien die – durch das subjektive Nettoprinzip gebotene und im Gesetz angelegte – Berücksichtigung von indisponiblem Einkommen bei der Bemessung der Einkommensteuer, wie dies gerade die Berücksichtigung der Kirchensteuer zeige. Diese Aufwendungen belasteten die Sozialhilfeempfänger nicht.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass weitere Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 4.828 EUR zum Abzug zugelassen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Berücksichtigung der geltend gemachten Versicherungsbeiträge sei nicht geboten. Das subjektive Nettoprinzip gebiete den Abzug der Aufwendungen, die zur Sicherung des existenznotwendigen Lebensbedarfs unumgänglich seien. Dieser Begriff erfasse jedoch nur die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, denn nur diese gehörten zum maßgeblichen sozialhilferechtlichen Mindestbedarf. Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gebiete nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur den Schutz des Lebensstandards auf Sozialhilfeniveau. Daher seien die Differenzierungen des Sozialhilferechts eine taugliche Abgrenzungsgrundlage, an die sich der Gesetzgeber gehalten habe. Entgegen der Auffassung der Kläger habe der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Trennung von notwendigen Aufwendungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG und darüber hinausgehenden freiwilligen Aufwendungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG gerade deutlich gemacht, dass er die sozialhilferechtliche Trennung im Steuerrecht umsetzen wolle. Es gebe auch andere existenznotwendige Aufwendungen, die im Grundfreibetrag abgegolten seien und nicht gesondert abgezogen werden könnten, z.B. solche für bürgerliche Kleidung.

Dem Sach- und Streitstand liegt neben den Gerichtsakten ein Band Einkommensteuerakten des Beklagten zur Steuernummer … zu Grunde.

 Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet gemäß § 90a der Finanzgerichtsordnung (  FGO ) durch Gerichtsbescheid.

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO ). Ein höherer Sonderausgabenabzug steht den Klägern nicht zu.

1. Die im Einkommensteuerbescheid vom 28. März 2011 zum Abzug zugelassenen Sonderausgaben entsprechen dem geltenden einfachen Recht. Die Kläger haben im Streitjahr nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG abzugsfähige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7.441 EUR geleistet. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Diese Beiträge wurden steuerlich berücksichtigt und übersteigen den gemeinsamen Höchstbetrag, der den Klägern nach § 10 Abs. 4 S. 1 bis 3 EStG zusteht. Der Abzug der übrigen Vorsorgeaufwendungen ist daher gemäß § 10 Abs. 4 S. 4 EStG zu Recht unterblieben.

2. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, Beiträge zu privaten Risikolebensversicherungen, Unfallversicherungen oder Kapitallebensversicherungen einkommensteuerlich in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Entgegen der Auffassung der Kläger handelt es sich bei den gezahlten Beiträgen zu diesen Versicherungen nicht um existenziell notwendige Aufwendungen der Daseinsfürsorge, die im Rahmen des subjektiven Nettoprinzips steuermindernd zu berücksichtigen wären.

a. Die Freistellung des Existenzminimums erfolgt im Steuerrecht zum Einen durch den Grundfreibetrag, zum Anderen durch den Abzug der existenznotwendigen Aufwendungen als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen. Die (privaten) existenzsichernden Aufwendungen sind im Rahmen von Sonderausgaben, Familienleistungsausgleich und außergewöhnlichen Belastungen grundsätzlich steuerlich abziehbar (subjektives Nettoprinzip). Dagegen mindern Aufwendungen für die Lebensführung – auch soweit die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen diese mit sich bringt – die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer nicht. Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand (BVerfG-Urteil vom 9. Dezember 2008 2 BvL 1/07 , 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 unter C.I.3 der Entscheidungsgründe).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts leitet sich aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ferner das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums ab. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Das einkommensteuerrechtlich maßgebliche Existenzminimums richtet sich dabei nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen (BVerfG-Urteil vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 , BVerGE 120, 125 unter D.I.1 der Entscheidungsgründe). Durch die Entscheidung vom 13. Februar 2008 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass zu den existenzsichernden Aufwendungen auch solche für eine Basisvorsorge gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit gehören.

b. Der erkennende Senat hat keine Zweifel daran, dass die Beiträge zur privaten Risikolebensversicherung, Unfallversicherung oder zu den Kapitallebensversicherungen gerade nicht notwendig sind, um die notwendigen Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für die Kläger zu schaffen. Zum Abschluss solcher Versicherungen besteht keine gesetzliche Verpflichtung. Sie gehören damit – in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts – zum Bereich der freien oder beliebigen Einkommensverwendung. Sie gehören ebensowenig zum sozialhilferechtlichen Existenzminimum (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 21. September 2012 3 K 144/11 , Entscheidungen der Finanzgerichte –  EFG  – 2013, 26 unter II.3 der Entscheidungsgründe; andere Auffassung: Schulemann, Olaf (2009): Sonderausgabenabzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, http://hdl.handle.net/10419/45387 ). Beiträge für diese privaten (zusätzlichen) Versicherungen werden nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch grundsätzlich nicht erstattet. Die abgedeckten Risiken Alter, Invalidität und Tod werden typischerweise von den klassischen Altersvorsorgesystemen wie der gesetzlichen Rentenversicherung, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und der Beamtenversorgung abgedeckt (ebenso BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04 , 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169 unter B.I.1.d der Entscheidungsgründe). Diese Versicherungen dienen gerade nicht der Sicherung der bloßen Existenz der Kläger, sondern primär dem Schutz und dem Erhalt von deren Vermögen und Lebensstandard (ebenso Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG /KStG, § 10 EStG RNr. 383). Der Gesetzgeber ist zu Recht davon ausgegangen, dass es den Klägern aufgrund ihres hohen Einkommens zuzumuten ist, die zusätzliche Vorsorge zum Erhalt ihres Lebensstandards im Alter aus eigenen Ressourcen ohne Beteiligung des Fiskus zu finanzieren (vergleiche Begründung zu § 10 Abs. 4 EStG , Bundestags-Drucksache 16/13429, Seite 44). Der Senat verkennt nicht, dass es wirtschaftlich durchaus sinnvoll sein kann, derartige Versicherungen abzuschließen. Es liegt jedoch primär im Interesse jedes einzelnen, den einmal erreichten Lebensstandard durch eigene Vorsorge zu bewahren. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sich die Allgemeinheit über die steuerliche Förderung an solchen Aufwendungen beteiligten muss.

Soweit die Kläger den Abzug von Beiträgen zu insgesamt drei Kapitallebensversicherungen begehren, kann der Senat zudem nicht nachvollziehen, weshalb diese Aufwendungen unvermeidbare, existenzsichernde Privataufwendungen darstellen sollen. Die Höhe des angesparten Kapitals und die Art und Weise der Auszahlung als Einmalbetrag oder laufende Rente liegen allein im Belieben des Versicherungsnehmers. Private Kapitallebensversicherungen haben daher Kapitalanlagecharakter (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04 , 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169 unter B.I.1.d der Entscheidungsgründe). Zur notwendigen Vorsorge für die Sicherung der Existenz im Alter zählt der Gesetzgeber – wie § 33 Abs. 1 Nr. 4 SGB XII zeigt – nur die privaten Versicherungen, die im Alter ausschließlich laufende Rentenzahlungen vorsehen. Mit Herausnahme der Beiträge zu Kapitallebensversicherungen aus den nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG begünstigten Altersvorsorgeaufwendungen durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz ) vom 5. Juli 2004 (BGBl. I 2004, 1427 ) hat der Gesetzgeber dies auch im Steuerrecht umgesetzt. Dass Kapitallebensversicherungen nach alter Rechtslage begünstigt waren, steht dem nicht entgegen. Der Steuerpflichtige kann nicht darauf vertrauen, dass eine bestehende günstige steuerliche Behandlung für die Zukunft unverändert fortbesteht (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1 unter C.I.1.c der Entscheidungsgründe).

Die Risikolebensversicherung dient bereits denklogisch nicht der Existenzsicherung des Versicherten, sondern regelmäßig der vermögensmäßigen Absicherung des Begünstigten im Hinblick auf die nach dem Tod des Versicherten geänderte Lebenssituation. Dies ermöglicht die Aufrechterhaltung des bisher gewohnten Lebensstandards insbesondere in vermögensrechtlicher Hinsicht, geht aber über die notwendige Sicherung der persönlichen Existenz hinaus. Auch im Sozialhilferecht ist das gesamte verwertbare Vermögen zunächst zur Sicherung der Existenz heranzuziehen (§ 90 Abs. 1 SGB XII ).

Das Gleiche gilt schließlich für die bestehende Unfallversicherung. Diese Versicherung ermöglicht es regelmäßig, den bisherigen Lebensstandard auch nach einem Unfall weitestgehend aufrecht zu erhalten, insbesondere die Leistungsfähigkeit wieder herzustellen und Erwerbsminderung auszugleichen. Das sozialhilferechtlich gebotene Mindestmaß ist auch hier bereits durch die gesetzlichen Renten- und Unfallversicherungen gewährleistet. Auch das Bundesverfassungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Abzugsfähigkeit von Beiträgen zur privaten Unfallversicherung nicht von Verfassungs wegen geboten sei (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvR 1220/04 , 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169 am Ende der Entscheidungsgründe). Soweit Aufwendungen für Beiträge zur Unfallversicherung im sozialhilferechtlichen Grundbedarf enthalten sind, werden diese durch den Grundfreibetrag abgedeckt (Kulosa in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG /KStG , § 10 EStG RNr. 383).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

4. Die Revision wird zugelassen. Die hier streitige Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ).

Toilette kein Arbeitszimmer

Die Benutzung des Gäste-WCs in der Privatwohnung eines Betriebsprüfers ist nicht beruflich veranlasst. Kosten für die Renovierung des WC sind daher steuerlich nicht absetzbar. Das häusliche Arbeitszimmer eines Betriebsprüfers ist nicht der Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung.

Der 9. Senat hat mit Urteil vom 21. Januar 2013 (Az.: 9 K 2096/12) entschieden, dass der Betriebsprüfer eines Finanzamts weder die Kosten für sein Arbeitszimmer noch die Renovierungskosten für die daneben liegende Toilette als Werbungskosten geltend machen kann.

Der Kläger ist Fachprüfer für geschlossene Immobilienfonds. Ihm stand in den Räumen des Finanzamts ein fester Arbeitsplatz zur Verfügung. Im Streitjahr 2008 renovierte er seine Privatwohnung (4 Zimmer, Küche, Bad mit WC und Gäste-WC) und richtete sich ein häusliches Arbeitszimmer ein. Mit seiner Klage machte er insbesondere die Kosten für die Renovierung seines Arbeitszimmers sowie seines Gäste-WC als Werbungskosten geltend. Nach dem von ihm geführten Toilettentagebuch nutze er die Toilette ca. 9 bis 10 mal täglich, davon 8 bis 9 mal beruflich. Es ergebe sich daher eine berufliche Toilettennutzung von 73,58 %.

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Weder die Aufwendung für das Arbeitszimmer noch die Aufwendungen für die Toilette seien Werbungskosten. Die für einen Betriebsprüfer prägenden Tätigkeiten übt er außerhalb des häuslichen Arbeitszimmers im Außendienst aus. Daher ist das Arbeitszimmer nicht der Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit. Das gilt „erst recht“ für die Toilette. Bei dieser handelt es sich nicht um einen betriebsstättenähnlichen Raum, sondern um das private Gäste-WC, das der Kläger auch während seiner Dienstzeit nutzt. Aufgrund dieser Nutzung besteht kein besonderer beruflicher Zusammenhang.

Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 16.05.2013 zum Urteil 9 K 2096/12 vom 21.01.2013

Günstigere Berechnung der Klagefrist bei verzögerten Brieflaufzeiten in sog. „Weiterleitungsfällen“ bei Einschaltung privater Zustelldienste

Seit Aufhebung des Briefmonopols können sich die Finanzämter zur Bekanntgabe ihrer Steuerbescheide auch anderer Briefzustelldienste als der Deutschen Post AG bedienen. Diese sind jedoch häufig nur regional tätig und übergeben Sendungen an Empfänger außerhalb ihres eigentlichen Zustellbezirks zur Weiterbeförderung an die Deutsche Post AG (sog. Weiterleitung). Der 2. Senat hat mit Zwischenurteil vom 27. Februar 2013 (Az. 2 K 3274/11) entschieden, dass in solchen Weiterleitungsfällen Zweifel an der gesetzlichen Vermutung angebracht sind, wonach der Steuerbescheid dem Empfänger als am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post bekanntgegeben gilt (sog. Drei-Tages-Fiktion, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die einmonatige Klagefrist beginnt dann erst mit dem vom Empfänger behaupteten späteren Zugangszeitpunkt zu laufen, sofern es der Finanzbehörde nicht gelingt, ihrerseits den Zugang des Bescheids innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums nachzuweisen.

Im Streitfall hatte die Klägerin vorgetragen, dass ihr der Bescheid erst am 16. August 2011 und damit erst am vierten Tag nach Aufgabe der Sendung an den privaten Briefzustelldienst zugegangen sei. Zugleich hatte sie geltend gemacht, dass durch die Weiterleitung der Sendung an die Deutsche Post AG die üblichen Zustellzeiten nicht eingehalten worden seien. Das Finanzgericht hat der Klägerin Recht gegeben und die Zulässigkeit der erst am 16. September 2011 eingegangenen Klage bejaht. Da der private Zustelldienst die Weiterleitung erst am Folgetag nach Aufgabe der Sendung vorgenommen habe, sei bereits ein Drittel des Drei-Tages-Zeitraums verstrichen, ohne dass die Sendung überhaupt befördert worden wäre. Die Drei-Tages-Fiktion sei dadurch so schwer erschüttert, dass sie zur Berechnung der Klagefrist nicht mehr angewendet werden könne.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: FG Baden-Württemberg

FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 16.05.2013 zum Urteil 2 K 3274/11 vom 27.02.2013

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