Ausstellung von Steuerbescheinigungen für Kapitalerträge nach § 45a Abs. 2 und 3 EStG

Ausweis von Investmenterträgen bei betrieblichen Anlegern in der Steuererklärung Muster III

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt ergänzend zu den Ausführungen im BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2012 (BStBl I 2013 Seite 36) für die Ausstellung von Steuerbescheinigungen nach Muster III Folgendes:

Bei der Ausstellung von Steuerbescheinigungen nach Muster III für Kapitalerträge nach § 45a Abs. 2 und 3 EStG bei betrieblichen Anlegern kann der Ausweis der Fondserträge, die dem Kapitalertragsteuerabzug unterlegen haben, in einer Summe in der Zeile „Kapitalerträge im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 1a EStG“ erfolgen.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 1 – S-1980-1 / 09 / 10010 vom 06.08.2013

Zur Einordnung eines Hummer HMC 4 als PKW bzw. LKW im Sinne des Kraftfahrzeugsteuergesetzes

Urteil vom 13. Juni 2013, Az. 13 K 3612/09 Kfz, NZB BFH II B 80/13

Finanzgericht Münster, 13 K 3612/09 Kfz

Datum: 13.06.2013
Gericht: Finanzgericht Münster
Spruchkörper: 13. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 13 K 3612/09 Kfz
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

1Tatbestand

2Streitig ist die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Behandlung des Fahrzeugs der Klägerin.

3Die Klägerin ist Halterin eines Hummer HMC 4 mit dem amtlichen Kennzeichen AAA-BB 001. Dieser Fahrzeugtyp basiert auf dem Hummer M998. Dieser wurde im Auftrag der US-Streitkräfte als „High Mobility Mulitpurpose Wheeled Vehicle“ (HMMWV) entwickelt und in wenigstens 15 verschiedenen Aufbauvarianten hergestellt. Das Fahrzeug der Klägerin war ihren Angaben nach ursprünglich mit einem Planenverdeck ausgestattet. Es ist jedoch bereits vor dem Erwerb durch sie mit einer vernieteten Trennwand zur Ladefläche, einem beladungsfähigen Metalldach und festen Türen versehen worden. Damit entstand eine von der Ladefläche abgeschlossene Kabine sowie eine offene Ladefläche im Heck des Wagens.

4Das Fahrzeug wurde am 14.02.2008 als „Lkw offener Kasten“ auf die Klägerin zugelassen. Ausweislich der Zulassungsbescheinigung Teil I verfügt das mit einem Dieselmotor versehene Fahrzeug über vier Sitzplätze. Die zulässige Gesamtmasse ist mit 3.500 kg, die Leermasse mit 2.590 kg angegeben. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 105 km/h.

5Mit Bescheid vom 10.03.2008 setzte der Beklagte die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit ab dem 14.02.2008 auf jährlich … € fest. Hierbei legte er die Aufbauart „Lkw – offener Kasten“ zugrunde. Mit Änderungsbescheid vom 15.12.2008 behandelte er das Fahrzeug der Klin. als Personenkraftwagen (Pkw) und nahm die Besteuerung nach dem Volumen des Hubraums sowie nach dem Emmissionsverhalten des Fahrzeugs vor. Der Beklagte setzte die jährliche Kfz-Steuer ab dem 14.02.2008 auf jährlich … € fest.

6Die Klägerin legte gegen den Kfz-Steuerbescheid vom 15.12.2008 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Es handele sich um ein reines Transportfahrzeug mit Ladefläche und werde auch als ein solches genutzt. Es sei daher als für den Gütertransport gedacht anzusehen. Dies folge auch daraus, dass von der gesamten Nutzfläche von 4,9 m² lediglich 2 m² der Personenbeförderung dienten. Die der Beförderung von Gütern dienende Fläche sei daher größer als die für die Personenbeförderung zur Verfügung stehende Fläche. Insoweit sei insbesondere eine ebene Fläche im Innenraum, die bei offenen Fahrzeugen des Typs zur Ladefläche im rückwärtigen Bereich durchgängig sei, nicht zur Ladefläche hinzuzuzählen.

7Mit Einspruchsentscheidung vom 30.09.2009 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Das Fahrzeug weise im Wesentlichen die Merkmale eines Pkw auf. So verfüge es über vier vollwertig ausgestattete Sitzplätze und vier Türen. Alle Sitzplätze seien mit Sicherheitsgurten ausgestattet. Auch sei das Fahrzeug rundum verglast. Die offene Lademulde sei vom Fahrgastraum abgetrennt. Der Mittelteil im Fahrgastraum könne steuerrechtlich nicht als Ladefläche angesehen werden, weil er sich nicht zur Beförderung von Gütern eigne. Dies folge daraus, dass keine Absicherungsmöglichkeit der Ladung gegenüber den Fahrgästen gegeben sei. Auch sei die Ladefläche nur mit 1,478 m² anzunehmen, während die Bodenfläche des Fahrgastraums 4,4 m² ausmache. Damit sei die der Personenbeförderung dienende Bodenfläche größer als die Hälfte der gesamten Nutzfläche. Weiterhin spreche die geringe Zuladungsmöglichkeit gegen das Vorliegen eines PKW.

8Mit ihrer Klage vom 07.10.2009 wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Besteuerung ihres Fahrzeugs als Pkw. Zur Begründung führt sie aus: Es handele sich bei dem Fahrzeug um eine Version, die bereits im Original im Irakkrieg gefahren worden und über Australien und Österreich ins Bundesgebiet eingeführt worden sei. Sie verweist insoweit auf einen alten Fahrzeugbrief, aus dem hervorgeht, dass der bisherige Fahrzeugbrief Nr. … in Verlust geraten und im Bundesverkehrsblatt Nr. … vom … aufgeboten worden war. Die Eintragungen in Spalte A (unter anderem Bezeichnung des Fahrzeuges als „Lkw offener Kasten“) seien dem gesondert erstellten Gutachten nach § 21 StVO des TÜV …, Prüfstelle … vom … entnommen.

9Das Fahrzeug sei vom Hersteller als Lkw konzipiert und dementsprechend auch kraftfahrzeugsteuerrechtlich als solcher zu besteuern. Die von dem Beklagten durchgeführten Messungen seien unzutreffend. Der Mittelteil des Fahrzeuges zwischen den rechten und linken Sitzen sei als Ladefläche zu behandeln. Diese über dem Mitteltunnel befindliche Fläche sei nicht zur Personenbeförderung bestimmt und geeignet. Vielmehr diene sie zum Transport von Gütern. Das Fahrzeug verfüge über eine Gesamtfläche von 4,9 m², wovon 2 m² der Personenbeförderung dienten. Dieses Verhältnis spreche eindeutig für die Einstufung als Lkw. Außerdem sei auch zu berücksichtigen, dass die Dachfläche zum Transport geeignet und genutzt würde. Ebenso könnten die breiten Radkästen mit Hilfe von geeigneten Sicherungsmaßnahmen beladen werden. Gleiches gelte für den Mitteltunnel.

10Auch sei das Fahrzeug ursprünglich nicht mit einem Stahldach versehen gewesen und auch ohne die Trennwand, die jetzt zwischen der Ladefläche und der hinteren Sitzreihe eingebaut sei, gefertigt worden.

11Auch sei zu berücksichtigen, dass das gesamte Fahrzeug so konstruiert sei, dass der Schwerpunkt niedrig liege. Es könne im Gelände 41 Grad Böschungswinkel und 60 Grad Steigung überwinden. Um eine besonders hohe Bodenfreiheit zu erzielen, sei die Vorderachskonstruktion der des Mercedes Unimog nachempfunden worden. Das Fahrzeug sei grundsätzlich auch wattfähig. Hummer dieses Typs könnten bis zu einem Meter tiefes Wasser durchfahren. Das vorliegende Fahrzeug werde demnächst noch umgerüstet, weil die Auspuffanlage momentan noch nicht darauf ausgelegt sei.

12Für einen LKW spreche auch, dass sich die Türen bis nahezu 180 Grad öffnen ließen, um ein einfacheres Be- und Entladen zu ermöglichen. Auch sei der Motor, der von der Geräuschentwicklung her keinerlei Ähnlichkeit mit einem gängigen Pkw-Motor habe, durch eine Klappe vor dem Mitteltunnel vom Innenraum aus zugänglich. Die Zuladung betrage entgegen der Ansicht des Beklagten 2318 kg.

13Darüber hinaus sei das Fahrzeug bereits vor der Zulassung auf die Klägerin als Lkw behandelt worden. Die ursprünglich vorgenommene verkehrsrechtliche Einstufung als Lkw sei solange bindend, wie keine technischen oder sonstigen Veränderungen an dem Fahrzeug vorgenommen würden. Auch müsse berücksichtigt werden, dass nach Kennt-nis der Klägerin andere Finanzämter Fahrzeuge des gleichen Typs als Lkw behandeln würden. Außerdem sei die rückwirkende Änderung des Kfz-Steuerbescheides unzulässig.

14Während des Klageverfahrens erging unter dem 28.12.2010 wegen der Tarifänderung ein weiterer Änderungsbescheid, der gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens geworden ist.

15Die Klägerin beantragt,

16unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2009 die Kfz-Steuerbescheide vom 15.12.2008 und vom 28.12.2010 mit der Maßgabe zu ändern, dass das Fahrzeug als Lkw besteuert wird.

17Der Beklagte beantragt,

18              die Klage abzuweisen.

19Er vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug unter Berücksichtigung der Gesamtumstände um einen Pkw handele. Bei der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Behandlung bestehe keine Bindung an die verkehrsrechtliche Einstufung des Fahrzeugs. Im vorliegenden Fall spreche insbesondere das Verhältnis der zur Personenbeförderung dienenden Fläche des Fahrzeuginnenraums von 4,4 m² zu der Ladefläche von 1,478 m² dafür, dass das Fahrzeug vorwiegend zur Personenbeförderung geeignet und bestimmt sei. Darüber hinaus spreche die geringe Zuladung von 18,58 % gegen eine überwiegende Bestimmung zur Güterbeförderung.

20Der Berichterstatter hat am 19.02.2013 den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert. Dabei wurden einverständlich folgende Maße des Fahrzeuges festgestellt:

21-          Breite der Ladefläche zwischen den Radkästen: 1,32 m

22-          Breite der Radkästen: 0,41 m

23-          Länge der Ladefläche von der Rückwand bis zur hochgeklappten Abdeckklappe: 1,11 m

24-          Breite des Fahrzeuginnenraums bei geschlossenen Türen: 1,95 m

25-          Länge des Fahrgastraumes von der Rückwand bis zum Bremspedal 1,94 m

26-          Breite des „Mitteltunnels“  0,81 m

27-          Abstand der die Oberfläche des Tunnels zum Boden des Fußraums 0,42m

28-          Länge des Mitteltunnels bis zur ersten vorderen Senkrechten unterhalb der Windschutzscheibe 1,81 m

29-          Länge des Mitteltunnels bis zum Beginn der am Ende des Mitteltunnels befindenden Abdeckplatte 1,61 m.

30Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Verlaufes der Erörterungstermins wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Steuerakten des Beklagten.

31Der Senat hat am 13.06.2013 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

32E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

33Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

34Der Beklagte hat das Fahrzeug der Klägerin zu Recht als Pkw nach § 8 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes in der bis zum 31.12.2012 geltenden Fassung (KraftStG) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 KraftStG besteuert.

35Das KraftStG enthält keine ausdrückliche Definition des Begriffs „PKW“. § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG verweist lediglich auf die „jeweils geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften“, wenn nichts anderes bestimmt ist. Die verkehrsrechtlichen Vorschriften enthalten ebenfalls keine ausdrücklichen Bestimmungen des Begriffs des PKW (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 21.08.2006 VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; vom 28.11.2006 VII R 11/06, BFHE 215, 568, BStBl II 2007, 338; vom 23.02.2007 IX B 222/06, BFH/NV 2007, 1351, und vom 01.10.2008 II R 63/07, BFHE 222, 100, BStBl II 2009, 20, jeweils m.w.N.). Der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt ein eigenständiger kraftfahrzeugsteuerrechtlicher PKW-Begriff zugrunde. Danach ist ein PKW ein Fahrzeug mit vier oder mehr Rädern, das nach seiner Bauart und Einrichtung zur Personenbeförderung geeignet und bestimmt ist (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, und vom 30.10.2008 II B 60/08, nicht veröffentlicht; BFH-Urteil vom 24.02.2010 II R 6/08, BFHE 228, 437, BStBl II 2010, 994).

36Die Abgrenzung zwischen LKW und PKW ist nach der objektiven Beschaffenheit des Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung bedeutsame Merkmale sind von der Rechtsprechung z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers anerkannt worden (vgl. hierzu BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1351, und BFH-Urteil in BFHE 222, 100, BStBl II 2009, 20).

37Der Eignung und Bestimmung zur Personenbeförderung steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass Fahrzeuge neben der Beförderung von Personen auch dem Transport von Gepäck oder anderer Güter im privaten oder gewerblichen Bereich dienen oder zu dienen bestimmt sind, wie dies z.B. bei Kombinationskraftwagen der Fall ist. Bestandteil des Regelungsplans des historischen Gesetzgebers war es nämlich, unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Kraftfahrzeuge als PKW zu bezeichnen, die nach ihrer Bauart und Einrichtung geeignet und bestimmt sind, nicht nur Personen (einschließlich ihres üblichen Gepäcks) zu befördern, sondern einem weiteren Hauptzweck zu dienen (BFH-Urteile vom 22.06.20.1983 II R 64/82, BFHE 138, 493, BStBl II 1983, 747, und in BFHE 228, 437, BStBl II 2010, 994).

38Es ist daher anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen, ob ein LKW oder ein PKW vorliegt. Hierzu ist unter Berücksichtigung aller Merkmale die objektive Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs zu bewerten. Kein Merkmal kann dabei als alleinentscheidend angesehen werden; dies schließt nicht aus, dass einzelne Merkmale ein besonderes Gewicht haben und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahelegen können (BFH-Beschluss in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721, m.w.N.).

39Bei Fahrzeugen mit geschlossener Fahrgastkabine und offener Ladefläche, sogenannten Pickup-Fahrzeugen, kommt nach ständiger Rechtsprechung neben den anderen technischen Merkmalen der Größe der Ladefläche eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Nach der Größe der Ladefläche lässt sich nämlich beurteilen, ob die Möglichkeit einer Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat. Im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen hat die Rechtsprechung es für gerechtfertigt erachtet, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil vom 01.08.2000 VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72; BFH-Beschlüsse vom 07.11. 2006 VII B 79/06, BFH/NV 2007, 778; vom 26.10.2006 VII B 125/06, BFH/NV 2007, 767; vom 10.02.2010 II B 96/09, BFH/NV 2010, 952).

40Diese Rechtsprechung führt jedoch nicht dazu, dass in den Fällen, in denen die Ladefläche größer als die für die Personenbeförderung vorgesehene Fläche ist, umgekehrt typisierend von der Eigenschaft des Fahrzeugs als LKW auszugehen ist. In diesen Fällen erfolgt die Abgrenzung vielmehr nach den allgemeinen Kriterien. Dabei ist die Größe der Ladefläche und ihr Verhältnis zur Fläche für die Personenbeförderung nur ein Gesichtspunkt im Rahmen der Gesamtabwägung, dem allerdings umso größere Bedeutung zukommt, je deutlicher die Ladefläche die Fläche für die Personenbeförderung überwiegt. Überwiegt die Ladefläche die zur Personenbeförderung indes nur unwesentlich, spricht dies eher dafür, dass das Fahrzeug nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt ist. In die Berechnung der Ladefläche sind alle Flächen einzubeziehen, die geeignet sind, eine Ladung zu transportieren. Dazu gehören regelmäßig auch Ausbeulungen in den Laderaum, z.B. für Radkästen, die aufgrund ihres Abstandes zum oberen Rand der Ladekante und bei gegebener Belastbarkeit noch als Ladefläche (z.B. für Schüttgut oder für flache Gegenstände) genutzt werden können (BFH-Urteil vom 29.08.2012 II R 7/1, BFHE 239, 159, BStBl II 2013, 93).

41Gemessen an dieser Maßstäben, kann das Fahrzeug der Klägerin nicht als LKW eingeordnet werden:

42Das vorliegende Fahrzeug ist nach seiner Konzeption als ein taktisches Militärfahrzeug anzusehen. Mit ihm können Lasten und/oder Personen in und zu Einsatzgebieten transportiert werden. Das Fahrzeug lässt in seiner Grundkonstruktion eine Verwendung als reines Lastfahrzeug ebenso zu, wie als Mannschaftswagen für acht Personen. Mit Sonderaufbauten ist auch eine Verwendung als Waffenträger oder als Panzerfahrzeug möglich. Es ist, wie die Grundbezeichnung der militärischen Version schon besagt, als High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle, also universell verwendbares Radfahrzeug, konstruiert worden.

43Bei der von der Klägerin verwendeten Version handelt es sich um eine Version mit 4 Sitzen, Ladefläche und einem – nach unwidersprochenen Angaben der Klägerin – fest eingefügten, geschlossenen Aufbau. Das Fahrzeug entspricht somit im Grundsatz der Karosserieform eines Pickup-Fahrzeuges. Daher sind für die von der Klägerin verwendete Variante des Hummer die von der Rechtsprechung entwickelten – oben dargestellten – Grundsätze zur Abgrenzung von Lkw und Pkw anwendbar.

44Nach diesen handelt es sich bei dem Fahrzeug der Klägerin um einen PKW. Dafür spricht zunächst maßgeblich, dass die Ladefläche kleiner ist als die der Personenbeförderung zuzurechnende Ladefläche. Nach den vom Gericht festgestellten Maßen weist die Ladefläche inklusive der Radkästen eine Grundfläche von 2,14 m x 1,11 m, also 2,38 m2 auf. Die Fläche der Personenkabine beträgt 1,94 m x 1,95 m, also 3,78 m2.

45Diese Werte sind auch ohne weitere Korrektur gegenüberzustellen. Dabei lässt das Gericht zu Gunsten der Klägerin offen, ob im vorliegenden Einzelfall die Radkästen mit zur Ladefläche gezählt werden können. Dagegen spricht, dass sie selbst nicht mehr von einem Rand umgeben sind, also selber die Begrenzung der Ladefläche bilden. Sie können also nur mit zusätzlichen Sicherungsmaßnahme beladen werden, eine Beladung mit Schüttgütern dürfte nur mit zusätzlichen Anbauten möglich sein.

46Dies kann jedoch dahinstehen. Denn selbst der damit maximal anzunehmenden Ladefläche von 2,38 m2 steht eine um 1,4 m2  größere, der Personenbeförderung dienende Fläche von 3,78 m2 gegenüber. Diese ist nicht – wie die Klägerin meint – um die Fläche des sogen. Mitteltunnels zu korrigieren. Dieser nimmt mit einer Breite von 0,81 m und einer Länge von 1,81 m (wenn man nur die Länge bis zum Beginn der sich am Ende des Mitteltunnels befindenden Abdeckplatte rechnet: 1,61 m) eine Fläche von 1,466 m² (bzw. 1,30 m²) ein. Dieser Mitteltunnel ist Bestandteil des Innenraums. Die Oberfläche des Mitteltunels stellt sich im klägerischen Fahrzeug als eine ebene, glatte Fläche dar. Im militärischen Bereich kann sie zum Aufbau militärischer Ausrüstung wie z. B. einer Funkanlage, als Standplatz eines Schützen für ein eventuelles Bordgeschütz oder zur Ablage von Ausrüstungsgegenständen der Mitfahrer verwendet werden. Beides setzt aber dauerhafte Ein- oder Umbauten voraus. Solche sind im Fahrzeug der Klägerin nicht installiert; Vorrichtungen zum Lastentransport sind nicht vorhanden. Schwere Güter können darauf nicht abgelegt werden, ohne dass sie während der Fahrt Passagiere oder Fahrer gefährden würden. Mit ihrer Höhe von 42 cm über dem Bodenblech bietet sich der Mitteltunnel den Mitreisenden – in dem ansonsten unkomfortabel gestalteten Innenraum – auch als Armablage an und schafft seitliche Bewegungsfreiheit für Fahrer- und Beifahrer. In der von der Klägerin verwendeten Version des Fahrzeuges erweist sich der Mitteltunnel daher als funktionaler Bestandteil des Passagierraums, der auch nicht quotal als Ladefläche zu berücksichtigen ist.

47Die Ladefläche ist auch nicht – wie die Klägerin meint – um die Dachfläche der Personenkabine zu vergrößern. Zwar kann diese faktisch durchaus beladen werden. Dauerhafte Umbauten hierzu sind jedoch nicht erfolgt. Sie dient vorzugsweise der Abdeckung des Fahrgastraums.

48Gegenüber dem Überwiegen der Personenbeförderungsfläche über die Ladefläche fallen die von der Klägerin vorgetragenen Umstände, die ihrer Ansicht nach für einen LKW sprechen, nicht entscheidend ins Gewicht.

49Mit der Konstruktion der Vorderachse, der Geländegängigkeit und der Wattfähigkeit spricht die Klägerin konstruktive Merkmale an, die das Fahrzeug für Einsätze in unwegsamem Gelände qualifizieren. Dies sagt jedoch nichts über die Abgrenzung von PKW und LKW aus.

50Für die Auslegung des Fahrzeuges zum Lastentransport spricht – neben dem Vorhandensein einer Ladefläche – zwar die spartanische Innenausstattung des Fahrzeuges i.V.m. dem außerordentlich geringen Fahrkomfort im Hinblick auf Sitzposition und Geräuschentwicklung. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein im Auftrag der Streitkräfte entwickeltes Militärfahrzeug handelt, welches letztlich dazu dient, seine Funktion insbesondere auch im Falle eines Kampfeinsatzes zu erfüllen. Solches Kriegsgerät ist bereits seiner Natur nach regelmäßig wenig komfortabel ausgestattet. Vielmehr stehen hier Zweckmäßigkeit und Effizienz im Vordergrund. Bei von vornherein zu militärischen Zwecken konstruierten Fahrzeugen sagt geringer Komfort im Innenraum daher wenig über die Fahrzeugart aus. Vielmehr sind auch Militärfahrzeuge, die zur Personenbeförderung verwendet werden, in der Regel wenig komfortabel. Der geringe Komfort des klägerischen Fahrzeugs vermag daher nicht zu einer Bewertung als Lkw zu führen.

51Letztlich spricht auch nicht die von der Klägerin behauptete Zuladungskapazität für dessen Eigenschaft als Lkw. Das Fahrzeug weist nach Angaben der Klägerin ein Leergewicht von 2364 kg auf. Nach Angaben der Klägerin ist es mit weiteren 2318 kg zu beladen. Dies würde zu einer Zulassungskapazität von 49,5 % des Gesamtgewichts führen und damit für eine Klassifizierung als Lkw sprechen. Allerdings ist sowohl im Fahrzeugbrief als auch in der Zulassungsbescheinigung Teil I das zulässige Gesamtgewicht des Fahrzeugs mit 3.500 kg bei einem Leergewicht von 2.590 kg angegeben. Diese Angaben sind nach § 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG für steuerliche Zwecke verbindlich (ebenso Strodthoff, Kommentar zum KraftStG § 2 Rdn. 3). Damit ist bis zu einer Veränderung dieser Eintragung durch Auf-oder Ablastung von einer Zulassungskapazität des Fahrzeugs von 910 kg, also 26 % des zulässigen Gesamtgewichts auszugehen. Dieser Wert kann nur als gering angesehen werden.

52Eine andere steuerliche Behandlung des Fahrzeuges ergibt sich auch nicht aus der zum 01.01.2013 in Kraft getretenen Novellierung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, nachfolgend KraftStG n. F. (Artikel 2 des Gesetzes vom 05.12. 2012, BGBl. I S. 2431). Zwar sind danach für die Einordnung eines Fahrzeugs als PKW oder LKW gemäß §  2 Abs. 2 Nr. 2 „KraftStG n. F“. die Feststellungen der Zulassungsbehörden verbindlich. Führen die Feststellungen der Zulassungsbehörden hinsichtlich der Fahrzeugklassen und Aufbauarten jedoch zu einer niedrigeren Steuer als unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 2a in der am 01.07 2010 geltenden Fassung, ist nach § 18 Abs. 12 KraftStG n. F. aber weiterhin der Tarif des § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG anzuwenden. Dies ist hier der Fall: Bei Anwendung neuen Rechts ergäbe sich für das klägerische Fahrzeug ein Steuersatz nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG n. F. von 12,78 je 200 Kilogramm Gesamtgewicht oder einen Teil davon von dem Gesamtgewicht. Dies führte zu einer niedrigeren Steuer als der nach § 2 Abs. 2a KraftStG vom Beklagten für das Fahrzeug des Klägers rechnerisch zutreffend festgesetzten. Daher wäre nach 18 Abs. 12 KraftStG n. F. die Besteuerung mit dem Tarif des § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG vorzunehmen.

53Da sich bei Anwendung der zum 01.01.2013 in Kraft getretenen Neuregelung im Streitfall keine Änderung ergeben würde, kann offen bleiben, ob diese überhaupt auf zurückliegende Besteuerungszeiträume anwendbar ist (verneinend: Sächsisches FG, Urteil vom 01.03.2013 6 K 670/12, zitiert bei juris).

54Der Beklagte konnte die höhere Steuer auch nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG zur Beseitigung der fehlerhaften Besteuerung als Lkw neu festsetzen. Nach dieser Vorschrift ist die Steuer zur Beseitigung des Fehlers neu festzusetzen, wenn eine Steuerfestsetzung fehlerhaft ist. Die Voraussetzungen für eine neue Steuerfestsetzung liegen im Streitfall vor. Denn die ursprüngliche Steuerfestsetzung nach dem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht war, wie sich aus dem bisher Ausgeführten ergibt, fehlerhaft.

55Die Klägerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Soweit verfahrensrechtlich eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung zulässig war, konnte diese auch von dem Beklagten vorgenommen werden, nachdem er von der fehlerhaften Besteuerung Kenntnis erlangt hat. Der Einstufung des Kraftfahrzeugs durch die Verkehrsbehörde oder der zuvor für die Besteuerung zuständigen Stelle als Lkw kommt keine Bindungswirkung für den hier streitigen Zeitraum zu (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.03.2008 II B 102/07, BFH/NV 2008, 1206 m. w. N.).

56Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine behauptete abweichende Behandlung des Fahrzeugtyps durch andere Finanzämter berufen. Diese Beurteilung wäre unzutreffend und wurde für die Klägerin keinen Anspruch auf Gleichbehandlung begründen.

57Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

58Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.

In Kindergeldangelegenheiten ohne Kostenvorschuss zum Recht

Die Finanzgerichte in Düsseldorf, Köln und Münster erheben für Klagen in Kindergeldangelegenheiten seit dem 1. August 2013 keinen „Gebührenvorschuss“ mehr. War vor dem 1. August 2013 auch in Kindergeldstreitigkeiten bei Klageerhebung ein Gebührenvorschuss in Höhe von 220 Euro fällig, so entfällt dieser jetzt. Damit können Kindergeldberechtigte, die gegen eine aus ihrer Sicht unzutreffende Versagung von Kindergeld durch die Familienkassen klagen wollen, in Nordrhein-Westfalen ohne eine Gebührenvorauszahlung zu ihrem Recht kommen.

Diese Möglichkeit eröffnet das zum 1. August 2013 in Kraft getretene Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Durch das Gesetz entfällt seither in Kindergeldverfahren der Mindeststreitwert. Auch der in allen anderen Steuerstreitigkeiten grundsätzlich weiterhin bei Klageeinreichung fällige Gebührenvorschuss ist in Kindergeldstreitigkeiten nicht mehr zu zahlen – dies jedenfalls ist die Auffassung der drei nordrhein-westfälischen Finanzgerichte, die die nicht ganz eindeutige gesetzliche Neuregelung damit bürgerfreundlich verstehen und handhaben.

Quelle: FG Münster, Pressemitteilung vom 15.08.2013

Nichtigkeit eines Bedarfswertbescheids

Ein Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts für Erbschaftsteuerzwecke, der als Inhaltsadressatin lediglich eine Erbengemeinschaft, nicht aber die einzelnen Miterben bezeichnet, ist nichtig. Dies hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 29. Mai 2013 (Az. 3 K 4298/11 F) entschieden.

Die Kläger sind Mitglieder einer Erbengemeinschaft. Das Finanzamt erließ einen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts eines zur Erbmasse gehörenden Grundstücks allein gegenüber der Erbengemeinschaft, ohne die einzelnen Miterben zu bezeichnen. Die Kläger vertraten die Ansicht, der Bescheid sei nichtig und damit unwirksam, weil der Inhaltsadressat nicht genau bezeichnet sei. Demgegenüber ging das beklagte Finanzamt davon aus, dass der Inhaltsadressat mit dem Zurechnungssubjekt der Feststellung identisch sei. Dies sei im Fall der Grundbesitzbewertung gemäß § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG bei mehreren Erben die Erbengemeinschaft.

Das Gericht gab der Klage statt. Der Bescheid sei nichtig, weil sein Inhaltsadressat nicht hinreichend bestimmt sei. Dass die Erbengemeinschaft nach § 151 BewG Feststellungsbeteiligte sei, mache sie nicht automatisch zur Inhaltsadressatin. Die in dieser Regelung angeordnete Zurechnung des Grundstücks zur Erbengemeinschaft erfolge lediglich deshalb, weil nicht das Lagefinanzamt, das den Feststellungsbescheid erlasse, sondern das Erbschaftsteuerfinanzamt die Erbquote ermitteln müsse. Inhaltsadressaten des Feststellungsbescheids seien vielmehr allein die Miterben, da sie Schuldner der Erbschaftsteuer seien. Diese seien aber weder im Kopf des Bescheids noch in den Erläuterungen namentlich benannt. Der nichtige Bescheid sei zwar nicht wirksam, müsse aber zur Beseitigung des Rechtsscheins aufgehoben werden.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Mitteilung vom 15.08.2013 zum Urteil 3 K 4298/11 F vom 29.05.2013

Quelle: Newsletter 08/2013

 

Finanzgericht Münster, 3 K 4298/11 F

Datum:
29.05.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 4298/11 F
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Der Bescheid vom 26.05.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 02.11.2011 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Streitig ist, ob ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes bzw. über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer rechtmäßig ist.

3Am 00.00.0000 verstarb E 4. Er ist beerbt worden von seiner Ehefrau E 1 mit einem Anteil von 7/10 (35/50) sowie seinen Söhnen E 3 zu 2/25 (4/50) und E 2 mit einem Anteil von 11/50. Zu dem Nachlass gehörte u. a. das Grundstück A-Straße 1 in N.

4Am 13.05.2011 ging die Erklärung zur Feststellung des Bedarfswertes für das bebaute Grundstück A-Straße 1 beim Beklagten ein. Als Eigentümer ist angegeben E 4 und in Zeile 12, in dem nach dem übertragenen Anteil gefragt wird, 100 %.

5In den Zeilen 31 ff. wird nach dem Erwerber/Beteiligten gefragt, dort ist in Zeile 32 angegeben E 1 mit der Anschrift A-Straße 1 in N. In den Zeilen 38 ff., in denen nach der Erbengemeinschaft gefragt wird, werden keine Angaben gemacht. In den Zeilen 13 bis 17 der Erklärung ist eingetragen, dass der Bescheid E 1 bekannt gegeben werden soll.

6Der Beklagte bewertete das Grundstück als Ein- oder Zweifamilienhaus im Sachwertverfahren und stellte den Grundbesitzwert einheitlich und gesondert auf 298.418 Euro fest. Unter Zurechnung des Grundbesitz heißt es:

7„Bisher:

8Herr E 4

9neu:

104 E Erbengemeinschaft, B-Straße 2, N“.

11Den Bescheid gab der Beklagte E 1 bekannt und zwar als Empfangsbevollmächtigten für „4 E Erbengemeinschaft, B-Straße 2, N. Der Bescheid enthält weiter den Satz: „Der Bescheid ergeht mit Wirkung für und gegen die Erbengemeinschaft und alle Miterben“. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 00.00.0000 für Zwecke der Erbschaftsteuer vom 26.05.2011 Bezug genommen.

12Der Prozessbevollmächtigte zeigte mit Schreiben vom 22.06.2011 an, dass er „die Erbengemeinschaft nach E 4, Frau E 1, Herrn E 2 und Herrn E 3“ vertrete. Es werde namens und in Vollmacht der Mandanten Einspruch gegen den Bescheid vom 26.05.2011 eingelegt.

13Eine Begründung des Einspruchs erfolgte nicht.

14Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 02.11.2011 als unbegründet zurück. Als Einspruchsführer bezeichnete er die Erbengemeinschaft nach E 4, bestehend aus Frau E 1, A-Straße 1, N, Herrn E 2, C-Straße 3, N und Herrn E 3, D-Straße 4, N. Den Bescheid gab er dem Prozessbevollmächtigten bekannt.

15Mit der Klage wenden sich E 1, E 2 und E 3 „in Erbengemeinschaft nach dem am 00.00.0000 verstorbenen E 4, vertreten durch die Empfangsbevollmächtigte E 1, falls diese wirksam bestimmt sein sollte, ansonsten handelnd jeweils für sich und für die Erbengemeinschaft“ gegen die vom Beklagten vorgenommene Bewertung.

16Der angefochtene Bescheid sei nichtig. Denn der Zurechnungs- und Inhaltsadressat sei mit „4 E Erbengemeinschaft“ nicht genau bezeichnet. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Miterben die Erbengemeinschaft E bestehe. Der Bescheid vom 26.05.2011 sei auch nicht gegenüber allen Inhaltsadressaten bekannt gegeben worden. Ein Empfangsbevollmächtigter sei nicht wirksam bestimmt worden.

17Inhaltsadressat des Bescheids seien alle Mitglieder der Erbengemeinschaft und demgemäß sei der Feststellungsbescheid auch allen Mitgliedern der Erbengemeinschaft gegenüber bekannt zu geben. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn ein gemeinsamer Empfangsbevollmächtigter wirksam bestimmt sei. An einer wirksamen Bestimmung eines Empfangsbevollmächtigen fehle es aber. Denn in der Erklärung seien die Miterben E 3 und E 2 nicht aufgenommen worden. Die Erklärung sei auch nur von E 1 unterschrieben worden, sodass sich auch daraus keine wirksame Bestimmung eines Empfangsbevollmächtigten ableiten lasse.

18Ein nichtiger Verwaltungsakt könne nicht geheilt werden. Auf Tz. 4.1.1 AEAO zu § 122 AO werde hingewiesen. Eine Heilung der unzutreffenden Bezeichnung eines Inhaltsadressaten durch die Einspruchsentscheidung sei nicht möglich.

19Auch Tz. 2.4.1.3 AEAO zu § 122 AO sei anzuwenden. Bei der Erbengemeinschaft sei kein geschäftsüblicher Name vorhanden, sodass die Bescheide an alle Mitglieder der Erbengemeinschaft zu richten seien. Soweit der Beklagte zur Begründung seiner abweichenden Auffassung auf die Neufassung von § 151 BewG verweise, verkenne er, dass bereits in § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG a. F. die Zurechnung auf die Erbengemeinschaft erfolgt sei. In der Neufassung sei lediglich hinzugefügt worden,

20„… beim Erwerb durch eine Erbengemeinschaft erfolgt die Zurechnung in Vertretung der Miterben auf die Erbengemeinschaft.“ …

21Hierdurch werde ausdrücklich betont, dass nach wie vor die Miterben Feststellungsbeteiligte und somit Inhaltsadressaten seien. § 151 BewG n. F. schaffe gegenüber den Verfahrensvorschriften der AO kein gesondert zu beurteilendes Verfahrensrecht. Nach wie vor seien die Vorschriften der AO auch für den Feststellungsbescheid nach § 151 BewG anzuwenden.

22Soweit der Beklagte sich auf die Bundestagsdrucksache beziehe, seien die dortigen Ausführungen „schlichter Unsinn“. Zivilrechtlich würden die Miterben nicht durch die Erbengemeinschaft vertreten, sondern umgekehrt handele die Erbengemeinschaft durch die Miterben. Durch die Hinzufügung des Zusatzes „in Vertretung der Miterben“ habe der Gesetzgeber im Gegenteil deutlich machen wollen, dass nicht die Erbengemeinschaft selbst Zurechnungssubjekt sei, sondern die Miterben. Aus § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG a. F. habe man hingegen darauf schließen können, dass die Erbengemeinschaft selbst Zurechnungssubjekt sei. Die Neuregelung besage somit das glatte Gegenteil von dem, was der Beklagte aus ihr heraus lesen wolle. Was in diesem Zusammenhang der Satz „Die Erbengemeinschaft erlangt insoweit steuerliche Rechtsfähigkeit“ sagen solle, bleibe in seinem rechtlichen Gehalt völlig inhaltsleer. Welche Art steuerrechtlicher Rechtsfähigkeit sei gemeint? Mit welchen konkreten rechtlichen Auswirkungen?

23Selbst wenn man jedoch die Auffassung des Beklagten teilen sollte, bleibe der angegriffene Bescheid nichtig, da die Bezeichnung „4 E Erbengemeinschaft, B-Straße 2, N“ völlig unbestimmt sei. Wer sei das? Handele es sich bei „4 E“ um den Erben, einen der Erben oder um den Erblasser? Habe er seinen Wohnsitz in der B-Straße 2, N? Wenn es sich um den Erblasser handele, wer seien dann die Erben? Handele es sich um einen Miterben, wer seien dann die anderen Miterben?

24Wenn die Auffassung des Beklagten richtig sei, dass die strengen Anforderungen der Rechtsprechung und des Anwendungserlasses zur AO an die Bezeichnung des Inhaltsadressaten und des Bekanntgabeadressaten durch die Änderung des § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG nicht mehr zu beachten seien, so wäre dem Chaos und der Willkür im Hinblick auf die Rechtswirkung der Feststellungsbescheide nach dem BewG für Zwecke der Erbschaftsteuer Tür und Tor geöffnet. Der Beklagte verkenne den Charakter der Klarstellung in § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG.

25Weiter sei aber auch die vom Beklagten vorgenommene Bewertung im Sachwertverfahren unzutreffend. Ein- und Zweifamilienhäuser seien nach § 182 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) im Vergleichswertverfahren zu bewerten. Weshalb der Beklagte davon ausgehe, dass kein Vergleichswert vorliege, sei dem Bescheid nicht zu entnehmen. Das Sachwertverfahren sei nicht annähernd geeignet, einen Grundbesitzwert zu ermitteln, der dem Verkehrswert vor Ort entspreche. Denn die Bewertung im Sachwertverfahren führe bei wirtschaftlichen Einheiten im Zuständigkeitsgebiet des Beklagten durchgängig und gerichtsbekannt zu deutlich überhöhten Grundbesitzwerten.

26Die Ermittlung des Sachwerts sei darüber hinaus fehlerhaft; wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 16.04.2012, Blatt 31, 33 ff. der Gerichtsakte, wird Bezug genommen.

27Mit Schreiben vom 27.05.2013 legten die Kläger eine Wertschätzung für das zu bewertende Objekt vom 18.05.2013 vor, erstellt von Dipl. Ing. R, von der Industrie- und Handelskammer I öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schäden an Gebäuden. Den Verkehrswert ermittelte er im Sachwertverfahren mit 235.000 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf die Wertschätzung vom 18.05.2013 Bezug genommen.

28Die Kläger beantragen,

29den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 00.00.0000 für Zwecke der Erbschaftsteuer für die wirtschaftliche Einheit A-Straße 1 in N vom 26.05.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 02.11.2011 aufzuheben,

30hilfsweise den angefochtenen Bescheid zu ändern und den Grundbesitzwert auf den 00.00.0000 auf 235.000 Euro gesondert und einheitlich festzustellen,

31hilfsweise im Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

32Der Beklagte beantragt,

33die Klage abzuweisen,

34hilfsweise im Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

35Der Bescheid sei den Klägern wirksam bekanntgegeben worden, die Einspruchsentscheidung sei nämlich an den von der Erbengemeinschaft bestellten Rechtsanwalt als Empfangsbevollmächtigten gesandt worden. Entgegen der Ansicht der Kläger seien auch alle Miterben im Rubrum der Einspruchsentscheidung benannt worden und die Zurechnung sei zu Recht nach § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG auf die Erbengemeinschaft nach E 4 erfolgt. Soweit die Kläger vortragen, die Feststellungserklärung sei nur von einem Erben abgebeben worden, sei auf § 153 Abs. 1 und 4 BewG hinzuweisen. Danach seien andere Beteiligte von der Erklärungspflicht befreit, wenn ein Erklärungspflichtiger eine Erklärung abgegeben und eigenhändig unterschrieben habe.

36In verfahrensrechtlicher Hinsicht vertieft der Beklagte sein Vorbringen mit Schreiben vom 12.12.2012. Sowohl hinsichtlich des Inhaltsadressaten als auch hinsichtlich des Bekanntgabeadressaten seien alle Voraussetzungen für eine wirksame Bekanntgabe erfüllt. Die ursprünglich fehlerhafte Bekanntgabe des Feststellungsbescheides an nur einen der Miterben sei durch die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an den gemeinsamen Bevollmächtigten geheilt worden. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass der in der fehlerhaften Bekanntgabe eines Steuerbescheids liegende Mangel, der die Unwirksamkeit des Bescheides bewirke, durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werde. Der wirksam bekannt gegebene Bescheid sei auch inhaltlich ausreichend bestimmt. Der BFH habe zwar einen schwerwiegenden, zur Nichtigkeit führenden Mangel im Inhalt eines Verwaltungsaktes angenommen, wenn der Steuerverwaltungsakt den Adressaten bei Personenmehrheiten (z. B. Erbengemeinschaften) nicht angebe. Nach Ansicht des Beklagten seien aber weder die dazu ergangenen Entscheidungen einschlägig noch Tz. 2.4.1.3 des AEAO zu § 122 AO anwendbar.

37Die Nichtigkeit werde vom BFH damit begründet, dass bei einem Bescheid, mit dem gegen einzelne Mitglieder Besteuerungsgrundlagen einheitlich und gesondert festgestellt würden und der sich damit inhaltlich gegen die einzelnen Mitglieder der Erbengemeinschaft richte, die Gesellschaft nur durch Angabe ihrer Gesellschafter charakterisiert werden könne. Damit seien die Mitglieder die notwendigen Adressaten eines an sie gerichteten Feststellungsbescheids. Im Streitfall richteten sich die Feststellungen aber gerade nicht an die Mitglieder, sondern an die Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben. Tz. 2.4.2 des AEAO zu § 122 AO stelle dazu klar: „Steuerbescheide und Feststellungsbescheide sind an die Gesellschafter (Mitglieder, Gemeinschafter) zu richten, wenn die einzelnen Beteiligten unmittelbar aus dem Steuerschuldverhältnis in Anspruch genommen werden sollen oder ihnen der Gegenstand der Feststellung zugerechnet wird (vgl. Tz. 2.5. und 2.6).“

38Der Anwendungserlass und auch der BFH gehe daher davon aus, dass der Inhaltsadressat identisch sei mit dem Steuerschuldner bzw. dem Feststellungsbeteiligten. Der Feststellungsbeteiligte sei aber regelmäßig identisch mit demjenigen, dem der Gegen-stand der Feststellung zuzurechnen sei. Auf das Urteil des BFH vom 17.09.1997 (II R 48/95, BFH/NV 1998, 417) werde hingewiesen. Zurechnungssubjekt sei aufgrund der Änderung des § 151 BewG beim Erwerb durch eine Erbengemeinschaft aber die Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben. In der Bundestagsdrucksache 16/2712 zu § 151 Abs. 2 BewG heiße es:

39„Bei der Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit ist zwischen folgenden Fallgruppen zu unterscheiden:

40- Der Grundbesitz bzw. der Anteil am Grundbesitz geht auf mehrere Erwerber über. Bei Übergang des – ggf. anteiligen – Grundbesitzes auf mehrere Erben erfolgt die Zurechnung insgesamt auf die Erbengemeinschaft. Mit der Neufassung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Erbquote nicht vom Lagefinanzamt zu ermitteln ist, sondern vom Erbschaftsteuer-Finanzamt.“

41Auf Seite 40 der BT-Drucksache 16/7918 werde ausgeführt:

42„Zwecks Klarstellung wird ergänzt, dass die Zurechnung auf die Erbengemeinschaft in Vertretung der einzelnen Miterben erfolgt. Die Erbengemeinschaft erlangt insoweit steuerrechtliche Rechtsfähigkeit. Der Feststellungsbescheid hat für die durch die Erbengemeinschaft gesetzlich vertretenen Miterben Bindungswirkung hinsichtlich der Art der wirtschaftlichen Einheit des festgestellten Wertes sowie darüber, dass die wirtschaftliche Einheit allen Miterben zuzurechnen ist.“

43Da diese gesetzliche Regelung unmittelbar für Zwecke der Grundbesitzwerte verabschiedet worden sei, sei sie vorrangig vor den allgemeinen Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden.

44Mit Schriftsatz vom 16.04.2013 weist der Beklagte darauf hin, dass der angefochtene Bescheid inhaltlich ausreichend bestimmt sei. Die Bezeichnung „E Erbengemeinschaft“ beziehe sich zweifelsfrei auf E 1, zumal die Erbengemeinschaft aus der Ehefrau und den beiden Söhnen des Verstorbenen bestehe. Es nicht nachvollziehbar, dass Zweifel an den beteiligten Erben existieren sollten.

45Regelungen in den Einzelsteuergesetzen seien vor den allgemeinen Regelungen der Abgabenordnung anzuwenden, ansonsten werde der Rechtssatz dadurch seines praktischen Anwendungsbereichs beraubt (vgl. Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 465).

46Der Senat hat am 29.05.2013 mündlich verhandelt; wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

47Entscheidungsgründe

48Die zulässige Klage ist begründet.

49Der angefochtene Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer auf den 00.00.0000 vom 26.05.2011 ist wegen mangelnder inhaltlicher Bestimmtheit nichtig (§ 125 Abs. 1 AO) und deshalb ebenso wie die Einspruchsentscheidung vom 02.11.2011 zur Beseitigung des Rechtsscheins aufzuheben.

50I. Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO). Einem Verwaltungsakt muss nämlich hinreichend sicher entnommen erden können, was von wem verlangt wird (vgl. BFH, Urteil vom 19.08.1999 IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409). Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsaktes, denn es muss angegeben werden, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Es reicht dabei aus, wenn der Inhaltsadressat durch Auslegung anhand der vom Betroffenen bekannten Umstände hinreichend sicher bestimmt werden kann.

51Im Streitfall ist der Inhaltsadressat in dem angefochtenen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer auf den 00.00.0000 mit der Bezeichnung „4 E Erbengemeinschaft“ nicht hinreichend bestimmt und damit nichtig.

521. Die Feststellung von Grundbesitzwerten erfolgt seit 01.01.2007.

53a. Die §§ 151 bis 156 BewG a. F. sind durch das Jahressteuergesetz 2007 mit Wirkung vom 01.01.2007 eingefügt worden. Danach sind nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG a. F. Grundbesitzwerte gesondert festzustellen (§ 179 AO), wenn die Werte für die Erbschaftsteuer oder eine andere Feststellung im Sinne dieser Vorschrift von Bedeutung sind. Nach § 151 Abs. 2 BewG a. F. sind in dem Feststellungsbescheid für Grundbesitzwerte auch Feststellungen zu treffen,

54„1. über die Art der wirtschaftlichen Einheit, bei Betriebsgrundstücken, die zu einem Gewerbebetrieb gehören (wirtschaftliche Untereinheiten) auch über den Gewerbebetrieb;

552. über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit und bei mehreren Beteiligten über die Höhe des Anteils, der für die Besteuerung oder eine andere Feststellung von Bedeutung ist; beim Erwerb durch eine Erbengemeinschaft erfolgt die Zurechnung auf die Erbengemeinschaft“ (Hervorhebung hinzugefügt).

56§ 153 BewG a. F. enthält Regelungen zur Erklärungspflicht und zur Feststellungsfrist sowie Verfahrensvorschriften für die gesonderte Feststellung. Das Finanzamt kann danach von jedem, für dessen Besteuerung eine gesonderte Feststellung von Bedeutung ist, die Abgabe einer Feststellungserklärung verlangen (§ 153 Abs. 1 Satz 1 BewG a. F.). Ist der Gegenstand der Feststellung mehreren Personen zuzurechnen oder ist eine Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft dessen Eigentümer, so kann das Finanzamt auch von der Gemeinschaft oder Gesellschaft die Abgabe einer Feststellungserklärung verlangen (§ 153 Abs. 2 Satz 2 BewG a. F.). Die Erklärung hat der Erklärungspflichtige eigenhändig zu unterschreiben (§ 153 Abs. 4 Satz 1 BewG a. F.). Die anderen Beteiligten sind von der Erklärungspflicht befreit, soweit ein Erklärungspflichtiger eine Erklärung zur gesonderten Feststellung abgegeben hat (§ 153 Abs. 4 Satz 2 BewG a. F.). § 153 Abs. 5 BewG a. F. regelt, dass § 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend anzuwenden sind.

57§ 154 BewG a. F. nennt die Feststellungsbeteiligten. Feststellungsbeteiligte sind danach diejenigen, denen der Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist (§ 154 Abs. 1 Nr. 1 BewG a. F.) und diejenigen, die das Finanzamt zur Abgabe einer Feststellungserklärung aufgefordert hat (§ 154 Abs. 1 Nr. 2 BewG a. F.) § 154 Abs. 2 BewG a. F. regelt, dass in den Fällen der Anteilsbewertung der Feststellungsbescheid auch der Kapitalgesellschaft bekannt zu geben ist.

58Schließlich regelt § 155 BewG a. F. die Rechtsbehelfsbefugnis. Danach sind zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen den Feststellungsbescheid die Beteiligten im Sinne von § 154 Abs. 1 BewG a. F. sowie diejenigen befugt, für deren Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz der Feststellungsbescheid von Bedeutung ist (§ 155 Abs. 1 BewG a. F.). § 352 AO und § 48 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gelten nicht (§ 155 Satz 2 BewG).

59b. Durch das Gesetz vom 24.12.2008 (BGBl I 2008, 3018) sind mit Wirkung zum 01.01.2009 Änderungen erfolgt.

60§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BewG sind neugefasst worden: Hierbei handelt es sich aber lediglich um redaktionelle Änderungen hinsichtlich des Verweises auf die Paragraphen des Bewertungsgesetzes. Neugefasst worden sind aber auch die Absätze 2 und 3 von § 151 BewG, die nunmehr wie folgt lauten:

61„(2) In dem Feststellungsbescheid für Grundbesitzwerte sind auch Feststellungen zu treffen,

621. über die Art der wirtschaftlichen Einheit;

632. über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit und bei mehreren Beteiligten über die Höhe des Anteils, der für die Besteuerung oder eine andere Feststellung von Bedeutung ist; beim Erwerb durch eine Erbengemeinschaft folgt die Zurechnung in Vertretung der Miterben auf die Erbengemeinschaft. Entsprechendes gilt für die Feststellungen nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 4. (Hervorhebung hinzugefügt).

64Mit Wirkung vom 01.01.2009 ist weiter in § 154 BewG ein Absatz 3 mit folgendem Inhalt eingefügt worden:

65„Soweit der Gegenstand der Feststellung einer Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben zuzurechnen ist, ist § 183 Abgabenordnung entsprechend anzuwenden. Bei der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides ist darauf hinzuweisen, dass die Bekanntgabe mit Wirkung für und gegen alle Miterben erfolgt.“

66§ 155 BewG wurde ebenfalls geändert, in der Fassung ab 01.01.2009 lautet er:

67„Zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen den Feststellungsbescheid sind die Beteiligten im Sinne des § 154 Abs. 1 sowie diejenigen befugt, für deren Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz der Feststellungsbescheid von Bedeutung ist. Soweit der Gegenstand der Feststellung einer Erbengemeinschaft in Vertretung der Miterben zuzurechnen ist, sind § 352 AO und § 48 FGO entsprechend anzuwenden.“ (Hervorhebung hinzugefügt).

68c. Neu aufgenommen in § 154 Abs. 1 BewG ist die Nummer 3 ist mit Wirkung vom 01.07.2011. Danach sind am Feststellungsverfahren auch diejenigen beteiligt, die eine Steuer schulden, für deren Festsetzung die Feststellung von Bedeutung ist (§ 154 Abs. 1 Nr. 3 1. Halbsatz.). Die Sätze 2 und 3 von § 154 Abs. 1 Nr. 3 BewG regeln, wer in Schenkungsteuerfällen Beteiligter ist.

692. Nach der bisherigen Rechtslage war die Erbengemeinschaft nur ausnahmsweise Inhaltsadressat, nämlich bei der Einheitswertfeststellung, da diese nur noch für die Grundsteuer Bedeutung hat (vgl. BFH, Urteil vom 07.07.2004 II R 77/01, BFH/NV 2005, 73). Denn die Erbengemeinschaft sei in diesen Fällen auch materiell-rechtlich die richtige Inhaltsadressatin; bei Feststellungsbescheiden entspreche dem Steuerschuldner der Feststellungsbeteiligte als Inhaltsadressat, gegen den der Bescheid zu richten sei (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Erbengemeinschaft sei durch die Bezeichnung Erbengemeinschaft mit dem Zusatz der Familiennamen der Erben („Erbengemeinschaft NN/NN“) gemäß § 119 Abs. 1 AO ausreichend bezeichnet.

70Eine Aufteilung auf die Erben habe zu unterbleiben, da sie für Grundsteuerzwecke nicht erforderlich sei. Das Grundsteuergesetz enthalte in § 10 Abs. 1 und 3 für beide denkbaren Möglichkeiten der Zurechnung auf die Gesamthandsgemeinschaft oder auf die Gesamthänder eine Regelung (vgl. BFH, Beschluss vom 22.02.2001 II B 39/00, BStBl II 2001, 476).

71Im Streitfall sei die Erbengemeinschaft als formell- wie materiell-rechtlicher Inhaltsadressat durch die Bezeichnung „Erbengemeinschaft NN/NN“ gemäß § 119 Abs. 1 AO ausreichend bezeichnet. Der Inhaltsadressat, d. h. die Angabe dessen, dem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll, müsse nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden. Vielmehr reiche es aus, wenn sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes, der auslegungsfähig sei, zweifelsfrei ergebe, wer Inhaltsadressat sein solle. Dabei seien Formalismus und Wortklauberei unangebracht. Entscheidend sei vielmehr, ob der Inhaltsadressat sich sicher identifizieren lasse (vgl. zu Steuerbescheiden BFH, Urteil vom 23.03.1998 II R 7/95, BFH/NV 1998, 1329, mit weiteren Nachweisen sowie BFH, Urteil vom 09.12.1992 II R 43/88, BFH/NV 1993, 702). Dies sei im Streitfall möglich. Die „Erbengemeinschaft NN/NN“ sei im Verfahren als solche aufgetreten. Die Mitglieder der Erbengemeinschaft hätten Bevollmächtigte bestellt. Diese hätten dem Ablehnungsbescheid und der Einspruchsentscheidung eindeutig entnehmen können, gegen wen sie sich richten sollten.

723. Unabhängig davon, dass die Erbengemeinschaft durch die gesetzliche Regelung in § 151 BewG Feststellungsbeteiligte geworden ist, ist der angefochtene Bescheid unter Anwendung der Rechtsausführungen in dem Urteil des BFH vom 07.07.2004 nichtig, da ihm der Inhaltsadressat nicht eindeutig zu entnehmen ist.

73Bescheide, mit denen Besteuerungsgrundlagen für mehrere Personen gesondert festgestellt werden, richten sich gegen die Steuerpflichtigen, denen der Gegenstand der Besteuerung zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Feststellung erfolgt gegen-über allen Gesamtrechtsnachfolgern, wenn sich bei mindestens einem von ihnen eine „materielle“ Steuerpflicht ergibt (vgl. Halaczinksy in Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, § 151 Anm. 12). Wird ein Feststellungsbescheid nicht an alle Beteiligte gerichtet (adressiert), für die er inhaltlich bestimmt ist, ist er nichtig und damit unwirksam (ebenso Halaczinsky, a. a. O. unter Hinweis auf Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 179 AO Rz. 56 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch BFH, Urteil vom 17.11.2005 III R 8/03, BStBl II 2006, 287, betreffend einen Einkommensteuerbescheid).

74Die Bezeichnung „4 E Erbengemeinschaft“ entspricht diesen Anforderungen nicht. Es ist nicht erkennbar, ob es sich bei 4 E um einen Miterben oder um den Erblasser handelt. Selbst wenn man durch Auslegung zu dem Ergebnis kommen würde, dass der Erblasser bezeichnet werden soll (üblich wäre die Bezeichnung „Erbengemeinschaft E 4“, vgl. Tz. 2.4.1.3 AEAO zu § 122 AO, oder „Erbengemeinschaft nach E 4“), fehlt es aber an der namentlichen Benennung der Erben, wie sie der BFH (vgl. Urteile vom 17.03.1970 II 65/63, BStBl II, 598; vom 29.11.1972 II R 42/67, BStBl 1973 II, 372); vom 17.11.1987 V B 111/87, BFH/NV 1988, 682) und auch die Finanzverwaltung in Tz. 2.4.1.3 AEAO zu § 122 verlangen.

75Ist die Bezeichnung der Mitglieder der nicht rechtsfähigen Personenvereinigung durch die Aufzählung aller Namen im Kopf des Bescheides aus technischen Gründen nicht möglich, kann nach Tz. 2.4.1.3 AEAO zu § 122 so verfahren werden, dass neben einer Kurzbezeichnung im Bescheidkopf (Beispiel: „Erbengemeinschaft Max Meier“ die einzelnen Mitglieder in den Bescheiderläuterungen oder in einer Anlage zum Bescheid aufgeführt werden.

76Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.

77Der Auffassung des Beklagten, dass durch die Regelungen im BewG die Regelungen der AO zur Bezeichnung des Inhaltsadressaten nicht zu beachten seien, folgt der Senat nicht.

784. Dass die Erbengemeinschaft nach §§ 151, 154 BewG Feststellungsbeteiligte geworden ist, macht sie entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zum Inhaltsadressaten. Denn sie wird dadurch, anders als in dem vom BFH zur Einheitsbewertung entschiedenen Fall, nicht zum Steuerschuldner, das bleiben nämlich der Erbe bzw. die Erben. Dies erklärt auch, dass in § 154 Abs. 1 BewG die Nr. 3 eingefügt worden ist, wonach am Feststellungsverfahren auch diejenigen beteiligt sind, die eine Steuer schulden, für deren Festsetzung die Feststellung von Bedeutung ist. § 154 Abs. 1 Nr. 3 BewG ist im Streitfall zwar nicht anwendbar, zeigt aber, dass die Erben auch Feststellungsbeteiligte sein sollen.

79Der Senat schließt sich den Ausführungen von Halaczinsky (a. a. O., § 154 Anm. 11) an, dass der neue Absatz 3 des § 154 BewG nicht direkt die Beteiligtenstellung regelt, denn er zielt auf die Bekanntgabe der Feststellungsbescheide ab.

805. Mit der Zurechnung des Grundbesitzes auf die Erbengemeinschaft nach § 151 BewG hat die Bezeichnung des Inhaltsadressatens nichts zu tun. Es geht hier nur darum, dass die Erbquote nicht vom Lagefinanzamt, sondern vom Erbschaftsteuerfinanzamt zu ermitteln ist. Auf die Ausführungen in der BT-Drucks. 16/2712 vom 25.09.2006, 89, wird Bezug genommen.

81Dazu dient auch die Neufassung durch das Gesetz vom 24.12.2008, auf die sich der Beklagte beruft. In der Begründung BT-Drucks. 16/7918 wird dazu ausgeführt.

82„Zwecks Klarstellung wird ergänzt, dass die Zurechnung auf die Erbengemeinschaft in Vertretung der einzelnen Miterben erfolgt. Die Erbengemeinschaft erlangt insoweit steuerrechtliche Rechtsfähigkeit. Der Feststellungsbescheid hat für die durch die Erbengemeinschaft gesetzlich vertretenen Miterben Bindungswirkung hinsichtlich der Art der wirtschaftlichen Einheit, des festgestellten Werts sowie darüber, dass die wirtschaftliche Einheit allen Miterben zuzurechnen ist. Im Feststellungsbescheid wird aber keine Entscheidung darüber getroffen, welcher Anteil den einzelnen Miterben zuzurechnen ist. Diese Entscheidung wird erst im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung getroffen.“ (Hervorhebung hinzugefügt).

83Der Satz, dass die Erbengemeinschaft steuerrechtliche Rechtsfähigkeit erlangt habe, ist in diesem Zusammenhang weder nötig noch nachvollziehbar. Die Klarstellung soll sicherstellen, dass das Erbschaftsteuerfinanzamt und eben nicht das Lagefinanzamt über die Höhe des zuzurechnenden Anteils entscheidet. Eine Rechtsfähigkeit einer Erbengemeinschaft kann damit schon deswegen nicht verbunden sein, weil sie für die Zurechnung auf die Erbengemeinschaft nicht erforderlich ist.

84Halaczinsky (a. a. O., § 154 Anm. 12) führt zutreffend aus, dass die Erbengemeinschaft nach den gesetzlichen Regelungen zwar Beteiligte am Feststellungsverfahren sein soll, sie aber verfahrensrechtlich keine Beteiligtenstellung haben und auch nicht die damit verbundene Rechtsbehelfsbefugnis (§ 155 BewG) ausüben kann, da die Erbengemeinschaft rechtlich ein „Nullum“ sei, denn sie sei nicht handlungsfähig im Sinne des § 79 AO. Die Verknüpfung der Beteiligtenstellung mit der Zurechnung von Grundbesitzwerten gehe damit de facto in Leere.

856. Eine Heilung durch die Einspruchsentscheidung ist nicht möglich, wenn der Inhaltsadressat nicht ausreichend bezeichnet ist (vgl. BFH, Urteil vom 17.08.1995 II R 25/93, BFH/NV 1996, 196). Nur bei einem Bekanntgabemangel kommt eine Heilung in Betracht.

867. Da der Bescheid nichtig ist, muss der Senat offen lassen, ob der Bescheid ordnungsgemäß bekannt gegeben worden ist. Der Senat weist allerdings vorsorglich darauf hin, dass – für den Fall, dass der BFH den angefochtenen Bescheid nicht für nichtig hält –, Zweifel an einer wirksamen Bekanntgabe des Bescheids mindestens gegenüber den Miterben E 2 und E 3 bestehen. Denn die Erklärung zur Feststellung des Bedarfswertes ist nur von E 1 unterschrieben; damit ist sie aber nicht von den Miterben zum Empfangsbevollmächtigten bestellt worden.

878. Der nichtige Bescheid äußert keine Rechtswirkungen. Zur Beseitigung des Rechtsscheins kann er aber nach ständiger Rechtsprechung des BFH mit der Anfechtungsklage angegriffen und vom Gericht ausdrücklich aufgehoben werden (vgl. z. B. BFH,Urteile vom 07.081985 I R 309/82, BStBl II 1986, 42, vom 27.02.1997 IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388 und vom 19.08.1999 IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409).

88II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

89Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

90Die Revision war zuzulassen, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Nachträgliche Erteilung einer Spendenbescheinigung ermöglicht keine Änderung des Bescheids

Der 13. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 18. Juli 2013 (Az. 13 K 4515/10 F) entschieden, dass ein bestandskräftiger Bescheid für 2004 nicht aufgrund einer Spendenbescheinigung geändert werden kann, die nach Erlass des Bescheids ausgestellt wird.

Die Klägerin gab in der Einkommensteuererklärung für 2004 Spenden an. Da die Höchstbeträge für den Spendenabzug überschritten waren, erließ das Finanzamt einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Großspendenvortrags, der bestandskräftig wurde. Nach mehr als zwei Jahren reichte die Klägerin im Jahr 2008 erteilte Spendenbescheinigungen für 2004 ein. Das Finanzamt lehnte eine Änderung des Feststellungsbescheids ab, da keine Änderungsvorschrift eingreife. Insbesondere stelle eine nachträglich erteilte Bescheinigung wegen § 175 Abs. 2 Satz 2 AO kein rückwirkendes Ereignis dar. Demgegenüber vertrat die Klägerin die Ansicht, dass diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gegen den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz verstoße.

Der Senat wies die Klage ab, weil nach seiner Ansicht keine Änderungsvorschrift einschlägig sei. Die Spendenbescheinigungen stellten keine nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, da sie bei Erlass des Feststellungsbescheids noch nicht vorhanden gewesen seien.

Sie seien vielmehr grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzusehen, da sie als materielle Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs für Spenden rückwirkend in den steuerlichen Sachverhalt eingriffen. Eine Änderung sei jedoch nach § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bei nachträglicher Erteilung einer Bescheinigung ausdrücklich ausgeschlossen.

Das europarechtliche Effektivitätsgebot stehe einer Anwendung dieser Regelung im Streitfall nicht entgegen. Der Senat versteht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Juni 2011 („Meilicke II“) dahingehend, dass ein solcher Verstoß nur angenommen werden könne, wenn eine nationale Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsregelung die Durchsetzung europarechtlich geschützter Werte verwehre. Die Klägerin sei jedoch nicht rechtsschutzlos gestellt, da die bereits 2004 eingeführte Neuregelung in § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bei Abgabe der Steuererklärung Anfang 2006 bekannt gewesen sei. Darüber hinaus sei das Unionsrecht auch deshalb nicht betroffen, da es sich um einen reinen Inlandssachverhalt handele. Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Mitteilung vom 15.08.2013 zum Urteil 13 K 4515/10 vom 18.07.2013

Quelle: Newsletter 08/2013

 

Finanzgericht Münster, 13 K 4515/10 F

Datum:
18.07.2013
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4515/10 F
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Bescheid über die Feststellung des Großspendenvortrags auf den 31.12.2004 nachträglich zu ändern ist.

3Die Klägerin wurde zusammen mit ihrem Ehemann, Herrn Q. H., zur Einkommensteuer veranlagt. Ihr Ehemann verstarb am 15.09.2004 und wurde von seinen Kindern D. H., T. H1. und E. F. beerbt. Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2004 Einnahmen aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und sonstige Einkünfte.

4In ihrer im Januar 2006 für sich und ihren Ehemann abgegebenen Einkommensteuererklärung erklärte die Klägerin u.a. Zuwendungen an Stiftungen in Höhe von insgesamt … EUR und Zuwendungen für kirchliche, religiöse und gemeinnützige Zwecke in Höhe von … EUR. Der Beklagte führte die Einkommensteuerveranlagung für 2004 durch und berücksichtigte Zuwendungen nach § 10b des Einkommensteuergesetzes – EStG – in Höhe von zunächst … EUR und später von … EUR. Zudem erließ er am 28.02.2006 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer auf den 31.12.2004 gegenüber der Klägerin und den Erben nach Herrn Q. H., mit dem er den verbleibenden Großspendenvortrag auf … EUR feststellte. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Der Beklagte berücksichtigte den festgestellten Spendenvortrag sodann bei der Einkommensteuerveranlagung der Erben nach Herrn Q. H. für das Jahr 2005 im Verhältnis von je einem Drittel.

5Mit Schreiben vom 18.09.2008 beantragte die Klägerin, auch im Namen der Erben nach Herrn Q. H., den Einkommensteuerbescheid 2004 und den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Großspendenabzugs auf den 31.12.2004 zu ändern. Hierzu legte sie sechs am 27.08.2008 ausgestellte Zuwendungsbestätigungen vor, aus denen sich Spenden des Herrn Q. H. in Höhe von insgesamt … EUR aus dem Zeitraum vom 25.02.2004 bis 15.07.2004 an die B. GmbH in E1. ergaben. In den Bescheinigungen war erläutert, die B. GmbH sei vom Finanzamt E1. gemäß Freistellungsbescheid vom 06.04.2005 als gemeinnützig anerkannt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuwendungsbestätigungen verwiesen.

6Die B. GmbH war im Handelsregister des Amtsgerichts M. unter der Nr. … eingetragen. Nach den Handelsregistereintragungen wurde sie 2005 aufgelöst und 2006 beendet sowie im Handelsregister gelöscht. Als Liquidatorin war zuletzt Frau J1. R. I., E1., eingetragen.

7Mit Bescheid vom 05.03.2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab und begründete dies damit, mangels Änderungsvorschrift sei eine Änderung des Feststellungsbescheids nicht möglich. Zudem wies er darauf hin, dass eine Berücksichtigung des nicht verbrauchten Betrags der Großspende nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes – BFH – (Urteil vom 21. 10. 2008 X R 44/05) bei den Erben nicht möglich sei.

8Dagegen legten die Klägerin und die Erben nach Herrn Q. H. am 01.04.2009 Einspruch ein, der sich sowohl auf die Einkommensteuerveranlagung als auch auf die Feststellung des verbleibenden Großspendenabzugs bezog. Zur Begründung trugen sie vor, eine Änderung der Bescheide sei sowohl gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO – als auch gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich. Ein grobes Verschulden liege nicht vor, da die Erben die Zuwendungsbestätigungen erst nachträglich erhalten hätten und bei Einreichung der Steuererklärung hiervon keine Kenntnis hätten haben können. Der Spendenvortrag sei auch, zumindest für eine Übergangszeit bis zum 18.08.2008, vererblich.

9Mit Einspruchsentscheidung vom 08.11.2010 wies der Beklagte den Einspruch nur in Bezug auf den Feststellungsbescheid gegenüber der Klägerin und den Erben nach Herrn Q. H. als unbegründet zurück.

10Daraufhin hat nur die Klägerin am 09.12.2010 Klage erhoben.

11Nachdem sie mit Schriftsatz vom 14.02.2011 zunächst eine Berücksichtigung der vollständigen Spenden in Höhe von … EUR begehrt hatte, hat sie ihr Klagebegehren im Erörterungstermin vom 19.02.2013 reduziert und begehrt nun eine Änderung des Feststellungsbescheids in der Weise, dass lediglich der hälftige, auf sie allein entfallende Spendenvortrag in Höhe von … EUR zusätzlich anzuerkennen sei.

12Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor: Obwohl die Spenden von ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann gezahlt worden seien, sei wegen der Zusammenveranlagung die Hälfte der Spenden von vornherein ihr persönlich zuzurechnen (BFH-Urteil vom 20. 2. 1991 X R 191/87, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1991, 690), so dass es auf die Frage einer Vererblichkeit des Spendenabzugs nicht ankomme. Nur die Berücksichtigung dieser Hälfte der Spenden werde klageweise geltend gemacht.

13Eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids vom 28.02.2006 sei verfahrensrechtlich zulässig. Jedenfalls sei eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich. Das entscheidende nachträglich bekannt gewordene Ereignis sei die Zahlung der Spende, nicht die Erstellung der Bescheinigung. Die Zahlung sei schon vor Erlass des Feststellungsbescheids erfolgt und nachträglich bekannt geworden infolge der Ausstellung der Zuwendungsbestätigungen. Bei den Zuwendungsbestätigungen handle es sich zudem nicht um ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal gem. § 10b EStG, sondern um ein Beweismittel, was sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ergebe (so Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 49a). Insofern seien Beweismittel nachträglich bekannt geworden.

14Daneben komme nach dem BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2012, 370) auch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur Anwendung. Die einschränkende Vorschrift des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung nicht als rückwirkendes Ereignis anzuwenden sei, sei verfassungswidrig und europarechtswidrig. Letzteres ergebe sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes – EuGH – vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr. C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467, unter Rz. 59). Die Vorschrift verstoße gegen den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz und dürfe daher nicht angewendet werden.

15Ein Spendenabzug sei auch nicht wegen einer evtl. Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen ausgeschlossen. Der Klägerin sei nicht bekannt, dass die B. GmbH im Zeitpunkt der Ausstellung der Zuwendungsbestätigungen nicht mehr vom Finanzamt E1. als gemeinnützig anerkannt gewesen sei. Diesbezüglich komme ihr der Vertrauensschutz gem. § 10b Abs. 4 EStG zugute. Den Beklagten treffe die Beweislast zu der Frage, ob die Klägerin eine etwaige Kenntnis gehabt habe.

16Die Klägerin beantragt sinngemäß,

17              den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 05.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.11.2010 den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer auf den 31.12.2004 vom 28.02.2006 zu ändern und zu ihren Gunsten die Abzugsfähigkeit weiterer Spenden in Höhe von … EUR festzustellen.

18Der Beklagte beantragt,

19              die Klage abzuweisen,

20hilfsweise,

21              die Revision zuzulassen.

22Zwar könnten nach seiner Auffassung Verluste, die im Zeitpunkt des Todes eines Ehegatten noch nicht ausgeglichen sind, im Rahmen der Zusammenveranlagung gem. §§ 26, 26b EStG mit positiven Einkünften des überlebenden Ehegatten verrechnet werden. Die Verrechnung beschränke sich hierbei auf die auf den überlebenden Ehegatten entfallenden nicht ausgeglichenen Verluste.

23Im Streitfall sei jedoch eine Änderung des Feststellungsbescheids verfahrensrechtlich nicht möglich. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO seien nicht erfüllt, da die Zuwendungsbestätigungen nicht nachträglich bekannt, sondern nachträglich ausgestellt worden seien. Da es sich gem. § 50 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung – EStDV – um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Spendenabzug handle, liege ein nachträgliches Bekanntwerden nur dann vor, wenn die Bescheinigung schon bei der ersten Veranlagung vorgelegen habe und lediglich nicht bekannt gewesen sei. Dies sei im Streitfall aber nicht der Fall. Auf die weitere Frage, ob die Klägerin ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO treffe, komme es daher nicht an.

24Es liege aber auch kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Denn gem. § 175 Abs. 2 Satz 2 AO könne die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Zuwendungsbestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis angesehen werden. Diese Vorschrift sei gem. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ab dem 28.10.2004 anzuwenden und finde daher auf die am 27.08.2008 ausgestellten Bescheinigungen Anwendung. Entgegen der Auffassung der Klägerin stehe auch nicht das EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) entgegen. Denn dieses Urteil beziehe sich auf das letztmals für den Veranlagungszeitraum 2001 geltende Anrechnungsverfahren. Im vorliegenden Streitfall sei bei Abgabe der Steuererklärung für das Streitjahr 2004 hingegen die zum 28.10.2004 in Kraft getretene Fassung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bereits bekannt und von der Klägerin uneingeschränkt zu beachten gewesen. Zudem sei das Urteil des EuGH auch deshalb im Streitfall nicht zu beachten, weil europarechtliche Grundfreiheiten in der Regel auf rein interne Sachverhalte eines Mitgliedsstaates nicht anwendbar seien.

25Darüber hinaus würden auch die vorgelegten Zuwendungsbestätigungen einen Spendenabzug gem. § 10b EStG nicht zulassen. Das B. sei schon bald nach dem Tod des Herrn Q. H. geschlossen, die B. GmbH aufgelöst und im Handelsregister gelöscht worden. Im Jahr 2008 habe die GmbH daher keine Zuwendungsbestätigungen mehr ausstellen können. Eine Zuwendungsbestätigung könne jedoch nicht anerkannt werden, wenn der Empfänger der Spende im Zeitpunkt der Ausstellung der Bestätigung nicht zur Ausstellung berechtigt gewesen sei (BFH-Urteil vom 19. 7. 2011 X R 32/10, BFH/NV 2012, 179). Anders als in den Zuwendungsbestätigungen erläutert, datiere außerdem der letzte an die B. GmbH gerichtete Körperschaftsteuerbescheid vom 20.04.2006 und enthalte keine Aussage zu einer Steuerbefreiung der Gesellschaft.

26Da der Klägerin diese Sachverhalte bekannt gewesen seien, könne sie sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Es werde „angeregt“, zu dieser Frage die Ausstellerin der Zuwendungsbestätigung, Frau J1. I., als Zeugin zu vernehmen.

27Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

28Entscheidungsgründe:

29Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

30Die Klage ist unbegründet.

31Der Ablehnungsbescheid vom 05.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO). Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Großspendenvortrags für die Einkommensteuer auf den 31.12.2004 vom 28.02.2006 zu ändern.

32Der Feststellungsbescheid vom 28.02.2006 ist bestandskräftig geworden und kann nicht mehr geändert werden.

33I.

34Eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nicht zulässig.

35Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

361.              Die Zahlungen des verstorbenen Herrn Q. H. aus dem Zeitraum vom 25.02.2004 bis 15.07.2004 in Höhe von insgesamt … EUR können nicht als nachträglich bekannt gewordene Tatsache angesehen werden, die zu einer niedrigeren Steuer bzw. einem höheren Verlustvortrag führen würden.

37Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zu dem Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH-Urteile vom 5. 12. 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 Rz. 25). Diese Tatsachen oder Beweismittel müssen zu einer niedrigeren Steuer führen, also rechtserheblich sein. Das ist der Fall, wenn die Finanzbehörde bei rechtzeitiger Kenntnis einer ihr unbekannt gebliebenen Tatsache schon bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung zu einem höheren oder niedrigeren steuerlichen Ergebnis gelangt wäre (BFH-Beschluss vom 23. 11. 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; BFH-Urteil vom 27. 1. 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet danach aus, wenn die Unkenntnis der später bekannt gewordenen Tatsache oder des Beweismittels für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist. Wie die Finanzbehörde bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt im ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und der die Finanzbehörden bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses gegolten haben (BFH-Urteile vom 22. 4. 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951; vom 27. 1. 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543).

38Bei den Zahlungen des Herrn Q. H. handelte es sich zwar um nachträglich bekannt gewordene Tatsachen. Die Zahlungen waren im Zeitpunkt des Erlasses des ur-sprünglichen Bescheids vom 28.02.2006 bereits vorhanden. Sie sind erst nach Vorlage der Zuwendungsbestätigungen vom 27.08.2008 bekannt geworden.

39Jedoch führte allein die Zahlung nicht zu einer niedrigeren Steuer. Denn selbst wenn der Finanzverwaltung die Zahlungen bereits bei Erlass des ursprünglichen Bescheids bekannt gewesen wären, hätte sie sie nicht als Sonderausgaben gem. § 10b EStG i.V.m. § 50 EStDV anerkannt. Nach § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung können Zuwendungen (Spenden und Mitgliedsbeiträge) zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke i.S.d. §§ 52 bis 54 AO in bestimmten Grenzen als Sonderausgaben abgezogen werden. Gem. § 50 Abs. 1 EStDV in der im Streitzeitraum gültigen Fassung dürfen Zuwendungen i.S.d. § 10b EStG nur abgezogen werden, wenn sie durch eine Zuwendungsbestätigung nachgewiesen werden, die der Empfänger nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck ausgestellt hat. Da im Zeitpunkt der ersten Veranlagung zur Einkommensteuer die Zuwendungsbestätigungen jedoch noch nicht vorlagen, hätte allein die Zahlung nicht genügt, um Sonderausgaben in Höhe der Zahlungen anzuerkennen. Vielmehr hätte es der weiteren materiell-rechtlichen Voraussetzung, des Vorliegens der Zuwendungsbestätigungen bedurft.

402.              Die am 27.08.2008 ausgestellten Zuwendungsbestätigungen können nicht als nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO angesehen werden.

41Denn es handelte sich nicht um ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel. Die Zuwendungsbestätigungen waren im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids am 28.02.2006 noch nicht vorhanden, sondern sind erst nachträglich erstellt worden. Bei einer erst nachträglich erstellten Bescheinigung kommt eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).

42II.

43Eine Änderung des Feststellungsbescheids vom 28.02.2006 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ebenfalls nicht zulässig.

44Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

451.              Die Zuwendungsbestätigungen können bei isolierter Betrachtung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis angesehen werden.

46a)              Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn der nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhalt sich später anders gestaltet und sich steuerlich in der Weise in die Vergangenheit auswirkt, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH-Beschluss vom 19. 7. 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370). Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, also bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (BFH-Urteile vom 27. 1. 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543; vom 4. 5. 2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830). Die Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung kann demnach ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sein, wenn sie ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal bildet (BFH-Urteil vom 9. 11. 2011 VIII R 18/08, BFH/NV 2012, 370).

47Nach diesen Grundsätzen kann die Vorlage der Zuwendungsbestätigungen grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO angesehen werden, da sie gem. § 50 Abs. 1 EStDV eine materiell-rechtliche Voraussetzung zur Berücksichtigung der Zuwendungen als Sonderausgaben darstellen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236).

48b)              Anders als die Klägerin meint, sind die Zuwendungsbestätigungen nicht aus dem Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) ausgeschlossen und statt dessen als Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO anzusehen, weil sich dies aus dem mit Gesetz vom 09.12.2004 (BGBl I S. 3310) eingeführten § 175 Abs. 2 Satz 2 AO ergebe. Gem. § 175 Abs. 2 Satz 2 AO gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Erteilung der Bescheinigung hierdurch jedoch lediglich aus dem Anwendungsbereich des § 175 AO ausgeschlossen, nicht jedoch zusätzlich dem Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zugewiesen (BFH-Beschluss vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236; FG Münster, Urteil vom 11. 9. 2007 14 K 5023/06 E, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2007, 1926). Zu dem Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift enthält § 175 Abs. 2 Satz 2 AO vielmehr keine Aussage und eröffnet somit nicht deren Anwendungsbereich für nachträglich erteilte Bescheinigungen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 Rz. 49a).

49c)              Die Zuwendungsbestätigungen hatten für die Klägerin auch eine steuerliche Wirkung für die Vergangenheit i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Der Klägerin kommt der Gutglaubensschutz gemäß § 10b Abs. 4 EStG zugute.

50Nach dieser Vorschrift darf der Steuerpflichtige auf die Richtigkeit der Bestätigung über Spenden und Mitgliedsbeiträge vertrauen, es sei denn, dass er die Bestätigung durch unlautere Mittel oder falsche Angaben erwirkt hat oder dass ihm die Unrichtigkeit der Bestätigung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Im Streitfall hat der – insofern feststellungsbelastete – Beklagte jedoch lediglich vorgetragen, die Klägerin habe gewusst, dass die B. GmbH aufgelöst und im Handelsregister gelöscht sowie dass das B. geschlossen worden sei. Er hat jedoch nicht vorgetragen, aus welchen Umständen er schließt, dass der Klägerin eine Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen bekannt gewesen sei. Er hat auch nicht substantiiert dargelegt, die Klägerin habe gewusst, dass die B. GmbH keine Zuwendungsbestätigungen mehr ausstellen dürfte, z.B. weil sie nicht nur aufgelöst und auch nicht in Nachtragsliquidation befindlich, sondern bereits vollbeendet war. Auch der Senat kann nicht erkennen, dass die Klägerin eine Kenntnis über eine Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen hatte bzw. dass ihr eine solche Unrichtigkeit grob fahrlässig unbekannt geblieben wäre. Vor diesem Hintergrund musste der Senat dem von dem Beklagten „angeregten“ Zeugenbeweis nicht nachgehen.

512.              Dessen ungeachtet wirken die Zuwendungsbestätigungen jedoch aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht als rückwirkendes Ereignis.

52Nach dieser Vorschrift gilt die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis.

53a)               Bei Zuwendungsbestätigungen i.S.d. § 10b EStG i.V.m. § 50 EStDV handelt es sich um Bescheinigungen i.S.d. § 175 Abs. 2 Satz 2 AO (BFH-Beschluss vom 26. 9. 2005 XI B 50/05, BFH/NV 2006, 236).

54b)              Im Streitfall ist diese durch das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG) vom 09.12.2004 (BGBl I S. 3310) eingeführte Fassung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO auch zeitlich anwendbar. Denn gem. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ist diese Fassung erstmals anzuwenden, wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem 28.10.2004 vorgelegt oder erteilt wird. Dies ist im Streitfall der Fall.

55c)              Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht wegen eines Verstoßes gegen Europarecht unanwendbar. Die Vorschrift muss vielmehr bei der Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beachtet werden.

56Aus dem Urteil des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) ergibt sich – zumindest für den Streitfall – keine Unanwendbarkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO.

57aa)              Gegenstand des Rechtsstreits vor dem EuGH war u.a. die Frage, ob und in welcher Weise unter der Geltung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens materiell- und verfahrensrechtlich eine Bescheinigung über tatsächlich entrichtete ausländische Körperschaftsteuer beigebracht werden konnte, um eine Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer auf die deutsche Körperschaftsteuer zu erlangen. Der EuGH hatte hierbei auch zu entscheiden, ob der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz und das Prinzip des „effet utile“ der Regelung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO entgegenstand, wonach rückwirkend die Vorlage einer Körperschaftsteuerbescheinigung nach dem 28.10.2004 (Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO) nicht mehr als rückwirkendes Ereignis anzuerkennen war und daher die Berücksichtigung der Bescheinigung verfahrensrechtlich unmöglich gemacht wurde, ohne dass eine Übergangsfrist zur Geltendmachung der Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer eingeräumt worden war (vgl. auch FG Köln, Vorlagebeschluss vom 14. 5. 2009 2 K 2241/02, EFG 2009, 1491).

58Der EuGH hat in dem Urteil vom 30. 6. 2011 (unter Rz. 59) entschieden, der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz und das Prinzip des „effet utile“ stehe der nationalen Regelung – wie sie sich aus § 175 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO ergebe – entgegen, da es diese Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehre, eine steuerliche Auswirkung dadurch zu erlangen, dass eine hinreichende Bescheinigung vorgelegt werden könne, anhand derer die Steuerbehörden des Mitgliedstaats eindeutig und genau überprüfen können, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Steuervorteils vorliegen. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts zu bestimmen, welche Frist für die Vorlage dieser Bescheinigung oder dieser Belege angemessen sei (EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II, ABl EU 2011, Nr. C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467, Rz. 59 a.E.).

59Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz besagt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass ein Mitgliedstaat mangels einer einschlägigen Unionsregelung zwar die Verfahrensmodalitäten für die dem Unionsrecht erwachsenden Rechte selbstständig innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung bestimmen dürfe, dass andererseits die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte aber nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden dürfe (EuGH-Urteile vom 7. 1. 2004 C-201/02 – Wells, Slg. 2004, I-723, Rz. 67; vom 19. 9. 2006 C-392/04 und C-422/04 – i-21 Germany und Arcor, Slg. 2006, I-8559, Rz. 57). Mit dem Effektivitätsgrundsatz sei es aber vereinbar, wenn angemessene Ausschlussfristen festgesetzt würden für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit; solche Fristen seien nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (EuGH-Urteil vom 17. 11. 1998 C-228/96 – Aprile, Slg. 1998, I-7141, Rz. 19). Bei einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Erstattungsmodalitäten gebiete es der Effektivitätsgrundsatz daher, dass die neue Regelung eine Übergangsregelung enthalte, die dem Einzelnen eine Frist einräume, die ausreiche, um nach Erlass der Regelung die Erstattungsansprüche geltend zu machen, die er unter der alten Regelung hätte geltend machen können (EuGH-Urteile vom 11. 7. 2002 C-62/00 – Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Rz. 38; vom 24. 9. 2002 C-255/00 – Grundig Italiana, Slg. 2002, I-8003, Rz. 37).

60bb) Das beschriebene Urteil des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II ist im Schrifttum unterschiedlich gedeutet worden.

61(1)              Das Urteil ist so kommentiert worden, § 175 Abs. 2 Satz 2 AO sei insoweit europarechtswidrig und nicht anzuwenden, als eine Übergangsregelung fehle und keine eigenständige Festsetzungsfrist in Lauf gesetzt werde (Rehm/Nagler, GmbHR 2011, 881, 883). Die erforderliche Übergangsfrist beginne möglicherweise erst ab Ergehen der EuGH-Entscheidung und könne bis zum 31.12.2011 andauern (Rehm/Nagler, GmbHR 2011, 881, 883). Diese Kommentierung könnte so verstanden werden, der Steuerpflichtige habe stets bis zu diesem Tag Zeit, die erforderlichen Nachweise zu besorgen, vorzulegen und das rückwirkende Ereignis auszulösen (Rehm/Nagler, GmbHR 2011, 881, 883). Dann wäre im Streitfall § 175 Abs. 2 Satz 2 AO nicht anwendbar, weil die Zuwendungsbestätigungen noch vor dem 31.12.2011 vorgelegt worden sind.

62(2)              Andere Autoren heben heraus, dass allein die rückwirkende Anwendung durch das EURLUmsG vom 09.12.2004 mit Wirkung ab dem 28.10.2004 europarechtlich nicht haltbar sei und es nur im Rückwirkungsfall einer Übergangsfrist bedürfe (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 49 a.E.; Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67p; Gosch, BFH/PR 2011, 338, 340). Soweit keine Rückwirkung vorliege, verbleibe es im Übrigen bei der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO, so dass die Regelung in ihrem Kern unangetastet bleibe (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 49 a.E.; Gosch, BFH/PR 2011, 338, 340). Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz erfordere es dementsprechend nicht, dass verfahrensrechtliche Rechte bzw. Ansprüche eingeräumt würden, für welche die gesetzliche Ausschlussfrist im Zeitpunkt des Ergehens der EuGH-Entscheidung schon verstrichen gewesen sei (Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67o). Vielmehr treffe in solchen Fällen den Steuerpflichtigen die Obliegenheit, das Verwaltungsverfahren offen zu halten; unterlasse er dies, sei er auch bei einer späteren günstigen EuGH-Entscheidung an die Bestandskraft des Bescheids gebunden (Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67o). Soweit § 175 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. Art. 97 § 9 Abs. 3 EGAO daher keine echte Rückwirkung entfalte, also nicht in bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume eingreife, liege ein Verstoß gegen den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht vor (Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Rz. 67n).

63Unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung wäre § 175 Abs. 2 Satz 2 AO im Streitfall anzuwenden, da das Streitjahr 2004 am Stichtag 28.10.2004 (dem Datum der Dritten Lesung des EURLUmsG im Deutschen Bundestag) noch nicht abgeschlossen war und die gesetzliche Neuregelung daher nicht im Sinne einer echten Rückwirkung in einen abgeschlossenen Veranlagungszeitraum eingriff. Vielmehr waren sowohl bei Ablauf des Veranlagungszeitraums 2004 als auch bei Einreichung der Steuererklärung der Klägerin im Januar 2006 die Wirkungen des neuen § 175 Abs. 2 Satz 2 AO sowie die Bedeutung einer möglicherweise erst später eingereichten Zuwendungsbestätigung bekannt. Unter Beachtung der genannten Rechtsauffassung wäre es der Klägerin zuzumuten gewesen, das Verwaltungsverfahren offen zu halten, bis die fraglichen Zuwendungsbestätigungen vorgelegt werden konnten; dies hat sie jedoch unterlassen.

64(3)              Soweit ersichtlich liegt zu der Frage der Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II auf § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bislang keine finanzgerichtliche Rechtsprechung vor.

65cc)              Der Senat schließt sich der zweiten Rechtsauffassung an.

66Er versteht die EuGH-Entscheidung vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II in der Weise, dass der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz einer nationalen Regelung nur dann entgegensteht, wenn diese rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist verwehrt, dass europarechtlich geschützte Rechte auch verfahrensrechtlich durchgesetzt werden können. Im Streitfall ist dies jedoch nicht der Fall. Denn im Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung der Klägerin im Januar 2006 war bereits bekannt, dass die nachträgliche Erstellung und Einreichung von Bescheinigungen im Falle der Bestandskraft eines Steuerbescheids gemäß § 175 Abs. 2 Satz 2 AO Einschränkungen unterliegt. Die Klägerin war also nicht – wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall – rechtsschutzlos gestellt, weil ihr rückwirkend die Möglichkeit der Vorlage von Bescheinigungen genommen worden wäre.

67Nach Auffassung des Senats bleibt das EuGH-Urteil vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II auch deshalb ohne Auswirkung auf den Streitfall, weil der Streitfall einen innerstaatlichen Sachverhalt betrifft. Der EuGH hat die Rechtsfolge einer teilweisen Europarechtswidrigkeit des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO jedoch an den Verstoß des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes geknüpft. Dieser ist nur dann verletzt, wenn der Durchsetzung von Unionsrecht – in dem vom EuGH entschiedenen Fall der Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer – inländische Vorschriften entgegenstehen. Im Fall der Klägerin sind jedoch keine unionsrechtlichen Vorschriften betroffen, welche durch § 175 Abs. 2 Satz 2 AO in ihrer Durchsetzbarkeit beeinträchtigt würden; vielmehr handelt es sich um einen innerstaatlichen Sachverhalt.

68d)              Entgegen der Auffassung der Klägerin ist § 175 Abs. 2 Satz 2 AO auch nicht verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht ist nicht erkennbar und von der Klägerin auch nicht näher dargelegt worden.

69III.

70Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

71Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, da die Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 30. 6. 2011 C-262/09 – Meilicke II (ABl EU 2011, Nr C 252, 3, BFH/NV 2011, 1467) auf die Anwendung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bislang nicht durch den BFH geklärt sind.

Keine Mehrwertsteuer auf Müllgebühren

Berlin: (hib/HLE) Kernbereiche öffentlichen Handels wie die Müllabfuhr oder die Abwasserentsorgung werden auch in Zukunft mehrwertsteuerfrei bleiben. Die Bundesregierung versichert in einer Antwort (17/14516) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen): „Der Kernbereich öffentlichen Handelns – der originär hoheitliche Bereich, in dem es keinen Wettbewerb gibt – wird auch in Zukunft nicht der Umsatzsteuer unterliegen.“ Dies betreffe insbesondere die Bereiche der klassischen Eingriffsverwaltung sowie die gegenüber dem Bürger erbrachte Entsorgung von Müll aus privaten Haushalten sowie die Abwasserentsorgung. Voraussetzung sei allerdings, dass die öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen unverändert bleiben würden.

Hintergrund der Anfrage waren Urteile des Bundesfinanzhofes und des Europäischen Gerichtshofes, nach deren Tenor Leistungen der öffentlichen Hand, die mit denen privater Anbieter vergleichbar sind oder in direktem Wettbewerb mit privaten Anbietern erbracht werden, der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind. Die Bundesregierung erklärt, sie nehme das Thema angesichts einer erheblichen Verunsicherung im Kommunalbereich ernst. Die Problematik der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand werde bereits seit längerem intensiv mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtert.

Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 15.08.2013

Quelle: hib-Nr. 424/2013

Kindergeld auch für verheiratete Kinder in Erstausbildung

Für verheiratete volljährige Kinder in Erstausbildung besteht auch dann ein Kindergeldanspruch, wenn die eigenen Einkünfte des Kindes und die Unterhaltsleistungen des Ehegatten den Grenzbetrag von 8.004 Euro überschreiten. Dies hat der 9. Senat des Finanzgerichts Köln am 16.07.2013 (9 K 935/13) entschieden.

In dem Verfahren verwehrte die Familienkasse der Klägerin das Kindergeld ab Januar 2012 für ihre 21-jährige verheiratete Tochter. Dies begründete die Familienkasse damit, dass sich die Tochter der Klägerin selbst unterhalten könne, da die Summe aus ihrer Ausbildungsvergütung und dem Unterhaltsbeitrag ihres Ehemanns den Grenzbetrag von 8.004 Euro überschreite. Damit läge kein sog. „Mangelfall“ und damit keine zwingende Unterhaltsbelastung der Klägerin für ihre Tochter vor.

Dem folgte der Senat nicht und gewährte das beantragte Kindergeld. Dies begründet er in seinem Urteil damit, dass sich die Tochter der Klägerin in Erstausbildung befinde, das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet habe und das Gesetz keine weiteren Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld enthalte. Insbesondere seien seit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2012 die eigenen Bezüge der Kinder ohne Bedeutung. Dies gelte genauso für verheiratete Kinder. Daher müsse auch bei diesen – entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – keine „typische Unterhaltssituation“ mehr vorliegen.

Mit seiner Entscheidung erklärt der Senat die anderslautende Dienstanweisung des Bundeszentralamts für Steuern (31.2.2 DA FamEStG) für rechtswidrig.

Der Senat hat gegen sein Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen.

Quelle: FG Köln, Pressemitteilung vom 15.08.2013 zum Urteil 9 K 935/13 vom 16.07.2013

Rentenbesteuerung

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2002 dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens mit Wirkung ab 1.1.2005 die Besteuerung von Renten zu reformieren. Insbesondere müsse eine weitgehende steuerliche Gleichbehandlung von Altersrenten und Beamtenpensionen erfolgen.

Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber mit dem Alterseinkünftegesetz nachgekommen. Danach steigt der Rentenbesteuerungsanteil schrittweise von 50 % (bei Rentenbeginn 2005 oder früher) auf 100 % (bei Rentenbeginn im Jahr 2040). Zum Ausgleich wird der Sonderausgabenabzug für entsprechende Beitragszahlungen nach und nach erhöht. Ab 2025 können diese dann zu 100 % steuerlich geltend gemacht werden.

Darüber hinaus sieht das Alterseinkünftegesetz vor, dass die Rentenversicherungsträger den Finanzämtern die Höhe der Rentenbezüge jährlich mitteilen. Diese Rentenbezugsmitteilungen sollen sicherstellen, dass tatsächlich auch alle Rentner mit steuerpflichtigen Renteneinkünften steuerlich erfasst werden. Dies ist ein Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, dessen Beachtung das Bundesverfassungsgericht – wie zuvor schon bei den Kapitaleinkünften und den Spekulationseinkünften – eingefordert hat.

Die Rentenbezugsmitteilungen sind zwar schon seit dem Jahr 2005 vorgeschrieben, konnten aber erst versandt werden, als allen Bürgerinnen und Bürgern die Steueridentifikationsnummer zugeteilt wurde.

Rentner, die bisher noch keine Einkommensteuererklärung abgegeben haben, aber steuerpflichtige Einkünfte beziehen, müssen daher damit rechnen, dass sie das Finanzamt im Laufe des Jahres 2011 zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen auffordern wird. Dies betrifft jedoch nicht alle Rentner, sondern nur solche, die mit ihren steuerpflichtigen Einkünften (zu denen neben den Rentenbezügen auch Mieteinnahmen, Kapitalerträge und dgl. gehören) den Grundfreibetrag überschreiten.

Der Grundfreibetrag, der das Existenzminimum verkörpert, betrug bis einschließlich des Jahres 2008 7.664 Euro und wurde für 2009 auf 7.834 Euro und ab 2010 auf 8.004 Euro angehoben. Er verdoppelt sich für Ehepaare (2008: 15.328 Euro, 2009: 15.668 Euro und ab 2010: 16.008 Euro). Rentner, die seit 2005 oder früher Rente beziehen und über keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte verfügen, müssen daher mit keiner Einkommensteuerbelastung rechnen, wenn der steuerpflichtige Teil ihrer Rente diese Beträge nicht übersteigt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die Gesamtrente nicht mehr als 19.000 Euro (38.000 Euro bei Rentner-Ehepaaren) beträgt. Bei späterem Rentenbeginn setzt die Steuerpflicht (wegen des höheren steuerpflichtigen Anteils) entsprechend früher ein.

Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Finanzen müssen etwa 1,3 Millionen Rentner mehr als bisher, d. h. insgesamt 3,3 Millionen Rentner, Einkommensteuer bezahlen. Danach hätten nur ca. 22 % aller Rentner eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Allerdings erhöht sich dieser Prozentsatz von Jahr zu Jahr wegen des stetig steigenden Besteuerungsanteils.

Im Zweifel hilft ihnen das zuständige Finanzamt bei der Feststellung, ob eine Einkommensteuererklärungspflicht besteht.

Hessisches Ministerium der Finanzen. Friedrich-Ebert-Allee 8, 65185 Wiesbaden

Hilfsgelder für Flutopfer stehen bereit – Aufbauhilfeverordnung vom Kabinett beschlossen

Das Bundeskabinett hat am 14. August 2013 die Verordnung für den Aufbauhilfefonds nach dem Hochwasser 2013 beschlossen. Bund und Länder lösen ihr Versprechen an die vom Hochwasser geschädigten Bürger ein: Noch im August kann mit der Auszahlung der Hilfen zum Wiederaufbau begonnen werden.

Insgesamt stehen im Aufbauhilfefonds bis zu 8 Milliarden Euro zur Verfügung.

Mit der Verordnung wird die Verteilung der Mittel auf die vom Hochwasser betroffenen Länder geregelt. Bund und Länder haben sich hierzu auf einen vorläufigen Schlüssel entsprechend der bisher von den Ländern gemeldeten Flutschäden geeinigt. Endgültig werden die Mittel erst nach einer genaueren Feststellung der entstandenen Schäden verteilt.

Weniger als zwei Monate nachdem Bund und Länder die Errichtung des Fonds vereinbart haben, ist mit der beschlossenen Verordnung von Seiten des Bundes der letzte Schritt gemacht, um die Mittel für die Aufbauhilfe den geschädigten Bürgern zur Verfügung zu stellen.

Jetzt muss der Bundesrat der Verordnung noch zustimmen. Er wird sich in seiner Sondersitzung am 16. August damit befassen. Die Bundesregierung hat damit alles von ihrer Seite mögliche getan, um eine schnelle Hilfe für die Opfer der Flut zu ermöglichen. Die Abwicklung der Hilfe liegt nunmehr in den Händen der Länder, von denen die Geschädigten die Wiederaufbauhilfe ausgezahlt bekommen. Anträge können bei den dort zuständigen Behörden gestellt werden.

Die Gelder aus dem Fonds können eingesetzt werden, um Hochwasserschäden zu beseitigen, betroffene Privathaushalte und Unternehmen zu entschädigen und die beschädigte Infrastruktur des Bundes, der Länder und der Gemeinden wiederaufzubauen. Dabei können geschädigten Bürgern und Unternehmen bis zu 80 Prozent der entstandenen Schäden ersetzt werden. Versicherungsleistungen sowie andere mit dem Hochwasser zusammenhängende Hilfen Dritter werden berücksichtigt, so dass keine Überkompensation von Schäden erfolgt.

Der Aufbauhilfefonds wird von Bund und Ländern gemeinsam finanziert. Dabei wird der Bund die Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Bundesinfrastruktur in Höhe von circa 1,5 Milliarden Euro alleine tragen. An den weiteren Hilfen beteiligen sich Bund und Länder jeweils zur Hälfte. Der Bund wird den Fonds im Rahmen seines normalen Schuldenmanagements vorfinanzieren. Der dafür notwendige Nachtragshaushalt für 2013 ist bereits am 28. Juni vom Bundestag beschlossen worden. Die Länder werden ihre Hälfte an den Kosten des Aufbaufonds, also Tilgung und Zinsen, über einen Zeitraum von 20 Jahren erbringen.

Lesen Sie hierzu auch die Pressemitteilung „Hochwasserschäden: Bund stellt Aufbaugelder bereit“ der Bundesregierung vom 14.08.2013.

Quelle: BMF, Pressemitteilung vom 14.08.2013

Anwendungsschreiben zum Lohnsteuerabzug ab dem Kalenderjahr 2013 im Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale

Das BMF-Schreiben zum Lohnsteuerabzug ab dem Kalenderjahr 2013 regelt Einzelheiten zur dauerhaften Anwendung des Verfahrens der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM). Das aktuelle Schreiben ersetzt das bisher in der Entwurfsfassung mit Stand 11.10.2012 veröffentlichte Schreiben zum „Lohnsteuerabzug ab dem Kalenderjahr 2013 im Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale“.

Das BMF-Schreiben hat folgenden Inhalt:

  1. Verfahren der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale
  2. Bildung und Inhalt der ELStAM
    1. ELStAM-Verfahren ab 2013
    2. Lohnsteuerabzugsmerkmale
    3. Bildung und Änderung der (elektronischen) Lohnsteuerabzugsmerkmale
    4. Zuständigkeit
    5. Steuerklassenbildung bei Ehegatten/Lebenspartnern
    6. Berücksichtigung von Kindern
  3. Durchführung des Lohnsteuerabzugs
    1. Elektronisches Verfahren
    2. Arbeitgeberpflichten
    3. Arbeitgeberwechsel
    4. Weiteres Dienstverhältnis
    5. Pflichten des Arbeitnehmers
    6. Rechte des Arbeitnehmers
    7. Im Inland nicht meldepflichtige Arbeitnehmer
    8. Durchführung des Lohnsteuerabzugs ohne ELStAM
    9. ELStAM bei verschiedenen Lohnarten
    10. Schutzvorschriften für die (elektronischen) Lohnsteuerabzugsmerkmale
  4. Verfahrensrecht
  5. Härtefallregelung
  6. Betrieblicher Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b EStG)
  7. Lohnsteuerermäßigungsverfahren ab 2013
  8. Sonstiges

Das Anwendungsschreiben finden Sie auf der Homepage des BMF.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2363 / 13 / 10003 vom 07.08.2013

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin