Aufwandsentschädigungen für Ehrenamtliche können der Umsatzsteuer unterliegen

Vereine, Verbände und Organisationen sollten Satzungen anpassen und Regeln für Aufwandsentschädigungen schriftlich festlegen

Um eine bundesweit einheitliche Behandlung von ehrenamtlich Tätigen zu ermöglichen, wurde die steuerliche Behandlung von Aufwandsentschädigungen durch das Bundesfinanzministerium neu geregelt
Demnach besteht keine Umsatzsteuerpflicht, wenn Vergütungen für ehrenamtliche Vorstände, Chorleiter, Sporttrainer oder ehrenamtliche Tätigkeiten für den Betrieb gewerblicher Art einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (z. B. Sparkassen, Verkehrsbetriebe, Stadtwerke) je Stunde maximal 50 Euro und pro Jahr insgesamt nicht mehr als 17.500 Euro betragen. Voraussetzung ist allerdings, dass der tatsächliche Zeitaufwand schriftlich festgehalten wird und für das Finanzamt nachvollziehbar ist. Ein echter Auslagenersatz, der für die tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Aufwendungen der ehrenamtlichen Tätigkeit vergütet wird (z.B. Reisekosten), wird bei der Berechnung der Betragsgrenzen nicht mitgerechnet.

Neu ist, dass ein monatlich oder jährlich gezahlter pauschaler Auslagenersatz nur dann von der Umsatzsteuer befreit ist, wenn per Satzung oder Vorstandsbeschluss des Vereins bzw. der Organisation, eine bestimmte Anzahl an Stunden pro Woche, Monat oder Jahr festgelegt ist und dadurch weder die Jahreshöchstgrenze noch der maximale Betrag pro Stunden überschritten wird.
Die Finanzverwaltung lässt hierzu den betroffenen Ehrenamtlichen sowie ihren Vereinen und Organisationen Zeit bis spätestens 31. März 2014, um entsprechende Verträge und Satzungen anzupassen oder Vereinsbeschlüsse herbeizuführen.

Weitere Infos hierzu gibt es auf den Internetseiten des Bundesfinanzministeriums: www.bundesfinanzministerium.de, unter der Rubrik „Service/BMF-Schreiben“, 27.03.2013, „Umsatzsteuerbefreiung“.

Umsatzsteuer | Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung (EuGH)

Umsatzsteuer: Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung

 Leitsatz

1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

 Instanzenzug

Baranya Megyei Bíróság (Ungarn) – 18.5.2011EuGH C-273/11

 Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 (ABl. L 326, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Mecsek-Gabona Kft (im Folgenden: Mecsek-Gabona) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Dél-dunántúli Regionális Adó Fõigazgatósága (Regionalfinanzdirektion Dél-dunántúl, im Folgenden: Fõigazgatóság) wegen Ablehnung des Antrags von Mecsek-Gabona auf Mehrwertsteuerbefreiung eines von ihr als eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen eingeordneten Umsatzes durch die Fõigazgatóság.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2006/112

3 Die Richtlinie 2006/112 hat gemäß ihren Art. 411 und 413 mit Wirkung zum 1. Januar 2007 die auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer bestehenden Unionsvorschriften, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) aufgehoben und ersetzt.

4 Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

b) der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt

i) durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt, oder durch eine nichtsteuerpflichtige juristische Person, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist, der als solcher handelt, …”

5 Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.”

6 Titel IX der Richtlinie 2006/112 („Steuerbefreiungen”) besteht aus zehn Kapiteln, von denen das erste allgemeine Bestimmungen enthält. Art. 131, der einzige Artikel dieses Kapitels, lautet:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.”

7 Art. 138 Abs. 1 in Kapitel 4 („Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen”) des Titels IX der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.”

8 Die Art. 131 und 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 entsprechen inhaltlich im Wesentlichen Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18).

9 Titel XI der Richtlinie 2006/112 („Pflichten der Steuerpflichtigen und bestimmter nichtsteuerpflichtiger Personen”) enthält u. a. ein Kapitel 2 („Identifikation”) und ein Kapitel 3 („Rechnungstellung”).

10 In Art. 214 in diesem Kapitel 2 heißt es:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:

b) jeder Steuerpflichtige und jede nichtsteuerpflichtige juristische Person, der bzw. die gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Mehrwertsteuer unterliegende innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen bewirkt oder von der Möglichkeit des Artikels 3 Absatz 3, seine bzw. ihre innergemeinschaftlichen Erwerbe der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, Gebrauch gemacht hat;

…”

11 Art. 220 Abs. 1 in Kapitel 3 des genannten Titels bestimmt:

„Jeder Steuerpflichtige stellt in folgenden Fällen eine Rechnung entweder selbst aus oder trägt dafür Sorge, dass eine Rechnung vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder in seinem Namen und für seine Rechnung von einem Dritten ausgestellt wird:

3. Er liefert Gegenstände unter den Voraussetzungen des Artikels 138.

…”

12 Art. 226 in diesem Kapitel 3 sieht vor:

„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:

4. die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer im Sinne des Artikels 214, unter der der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung, für die er Steuerschuldner ist, oder eine Lieferung von Gegenständen nach Artikel 138 erhalten hat;

…”

Ungarisches Recht

13 Art. 89 Abs. 1 des Gesetzes Nr. CXXVII aus dem Jahr 2007 über die Mehrwertsteuer (Általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. Törvény, Magyar Közlöny 2007/128) bestimmt:

„Befreit sind – vorbehaltlich der Bestimmungen der Abs. 2 und 3 – Lieferungen von Gegenständen, die nachweislich von Ungarn aus ins innergemeinschaftliche Ausland versandt oder befördert werden, unabhängig davon, ob der Versand oder die Beförderung durch den Verkäufer, den Erwerber oder einen Dritten erfolgt, der für Rechnung des Verkäufers oder des Erwerbers handelt, an einen anderen Steuerpflichtigen, der als solcher nicht in Ungarn, sondern in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft tätig ist, oder aber an eine juristische Person, die, ohne Steuerpflichtiger zu sein, in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft registriert und zur Steuerzahlung verpflichtet ist.”

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14 Mecsek-Gabona ist ein ungarisches Unternehmen, zu dessen Kerngeschäft der Großhandel mit Getreide, Tabak, Saatgut und Futtermitteln gehört.

15 Am 28. August 2009 schloss die Klägerin in der Absicht, eine mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen vorzunehmen, einen Kaufvertrag mit der in Italien ansässigen Handelsgesellschaft Agro-Trade srl (im Folgenden: Agro-Trade), in dem die Lieferung von 1 000 Tonnen Raps (mit einer Abweichung nach oben oder unten von 10 %) zum Preis von 71 500 HUF/Tonne vereinbart wurde.

16 Im Hinblick auf die Kaufvertragsdurchführung wurde bezüglich der Menge vereinbart, maßgeblich seien das Gewicht der Fracht bei Verladung auf dem Gelände der Verkäuferin in Szentlõrinc (Ungarn), bescheinigt durch Wiegescheine, und die auf Grundlage des ermittelten Gewichts ausgestellten Rechnungen. Die Erwerberin übernahm die Verpflichtung, das Beförderungsmittel bereitzustellen und die Ware in einen anderen Mitgliedstaat zu befördern.

17 Vor der Durchführung der Frachtbeförderung teilte die Erwerberin die amtlichen Kennzeichen der Fahrzeuge mit, die die Ware bei Mecsek-Gabona abholen würden. Nach Verwiegung der Fahrzeuge wurden die Gewichtsbeträge der erworbenen Produkte in den CMR -Frachtbriefen (dies sind Beförderungsdokumente, die auf der Grundlage des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr in der Fassung des Protokolls vom 5. Juli 1978 ausgestellt werden) vermerkt, und die Frachtführer führten von ihnen abgestempelte Lieferscheine mit sich. Die Verkäuferin erstellte eine Kopie des ersten Exemplars der ausgefüllten Frachtbriefe, die Originale verblieben im Besitz der Frachtführer. Die fortlaufend durchnummerierten 40 CMR -Frachtbrief-Exemplare wurden der Verkäuferin per Post von der Anschrift der Erwerberin in Italien aus zugesandt.

18 Am 4. September 2009 wurden für den im Ausgangsverfahren fraglichen mehrwertsteuerbefreiten Umsatz zwei Rechnungen über Beträge von 34 638 175 HUF und 34 555 235 HUF ausgestellt, die mengenmäßig 484,45 Tonnen bzw. 483,29 Tonnen Raps entsprachen. Einige Tage nach der Lieferung wurde der Betrag der ersten Rechnung durch eine natürliche Person ungarischer Staatsangehörigkeit bezahlt, die den genannten Geldbetrag auf das Bankkonto von Mecsek-Gabona einzahlte. Die zweite Rechnung, die innerhalb von acht Monaten nach Lieferung zu begleichen war, wurde hingegen nicht bezahlt.

19 Aus einer Anfrage der Klägerin des Ausgangsverfahrens am 7. September 2009 beim Register der Steuerpflichtigen ging hervor, dass Agro-Trade zu diesem Zeitpunkt über eine gültige Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte.

20 Anlässlich der Überprüfung des Steuerbescheids von Mecsek-Gabona richtete die ungarische Steuerverwaltung ein Auskunftsersuchen nach Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG ) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (ABl. L 264, S. 1) an die italienischen Behörden. Diese teilten mit, dass Agro-Trade nicht ausfindig gemacht werden könne und sich unter der Adresse des registrierten Gesellschaftssitzes ein Privathaus befinde. Unter dieser Adresse sei keine Gesellschaft mit diesem Namen registriert worden. Da Agro-Trade nie Mehrwertsteuer abgeführt hatte, war sie der italienischen Steuerverwaltung auch nicht bekannt. Die italienische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer dieses Unternehmens war am 14. Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 im Register gelöscht worden.

21 Auf der Grundlage dieses Sachverhalts vertrat die erstinstanzliche ungarische Steuerbehörde die Auffassung, dass Mecsek-Gabona im Steuerverfahren nicht habe nachweisen können, dass eine mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen stattgefunden habe, und setzte mit Bescheid vom 7. September 2010 gegen Mecsek-Gabona für die Mehrwertsteuer des Monats September 2009 eine Steuerschuld in Höhe von 17 298 000 HUF nebst einer Geldbuße in Höhe von 1 730 000 HUF und einem Verspätungszuschlag in Höhe von 950 000 HUF fest.

22 Mit Entscheidung vom 18. Januar 2011 bestätigte die Fõigazgatóság den Bescheid der erstinstanzlichen Steuerbehörde. Sie war der Auffassung, dass Mecsek-Gabona über ein Dokument hätte verfügen müssen, mit dem sie die Auslieferung der Ware und ihre Beförderung in einen anderen Mitgliedstaat hätte nachweisen können. Da sie bei der Überprüfung eine solche Urkunde nicht habe beibringen können oder diese nicht als beweiskräftig anzusehen sei, schulde sie Mehrwertsteuer für den im Ausgangsverfahren fraglichen Umsatz, es sei denn, sie habe das Geschäft in gutem Glauben durchgeführt.

23 Nach Ansicht der Fõigazgatóság hätte Mecsek-Gabona größere Sorgfalt walten lassen müssen. So hätte sie sich nicht damit begnügen dürfen, zu überprüfen, ob die Ware abtransportiert worden sei, sondern hätte sich auch vergewissern müssen, dass die Ware an ihrem Zielort angekommen sei.

24 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens beantragte beim vorlegenden Gericht die Nichtigerklärung der Entscheidung der Fõigazgatóság und des Bescheids der erstinstanzlichen Steuerbehörde. Sie machte geltend, dass ihr keine Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten sei, weder bei Vertragsschluss noch bei Durchführung des Vertrags, denn sie habe sich am 7. September 2009 vergewissert, dass die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer von Agro-Trade gültig sei und ihr die CMR -Frachtbriefe von der italienischen Adresse der Erwerberin aus zugeschickt worden seien. Dass die italienische Steuerverwaltung am 14. Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 diese Nummer gelöscht habe, habe ihr nicht bekannt sein können, so dass die Löschung in diesem Zusammenhang keine Bedeutung haben könne.

25 Die Fõigazgatóság beantragte die Abweisung der Klage von Mecsek-Gabona und behielt ihre Argumentation bei, dass diese sich nur dann auf die Mehrwertsteuerbefreiung der im Ausgangsverfahren fraglichen Lieferung berufen könne, wenn sie sich nicht nur des Abtransports der Ware, sondern auch deren Ankunft an ihrem Bestimmungsort vergewissert hätte.

26 Der Baranya Megyei Bíróság hält eine Auslegung des Art. 138 der Richtlinie 2006/112 für erforderlich, um entscheiden zu können, welche Beweise als hinreichend zu erachten seien, um das Vorliegen einer mehrwertsteuerbefreiten Lieferung von Gegenständen nachzuweisen, und in welchem Ausmaß der Verkäufer, wenn er die Beförderung nicht selbst übernehme, für das Handeln des Erwerbers verantwortlich sei. Unter Berufung auf das Urteil vom 27. September 2007, Teleos u. a. (C-409/04, Slg. 2007, I-7797), möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob die nach der Auslieferung des Gegenstands erfolgte Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer von Agro-Trade es zulasse, den guten Glauben der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Frage zu stellen und eine mehrwertsteuerbefreite Lieferung zu verneinen.

27 Der Baranya Megyei Bíróság hat unter diesen Umständen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass eine Lieferung von Gegenständen von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn die Gegenstände an einen Erwerber geliefert worden sind, der zur Zeit des Kaufvertragsschlusses zu Mehrwertsteuerzwecken in einem anderen Mitgliedstaat registriert war, in dem Kaufvertrag bestimmt worden ist, dass Verfügungsmacht und Eigentumsrecht mit dem Verladen der Gegenstände auf das Beförderungsmittel auf den Erwerber übergehen und es dem Erwerber obliegt, die Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen?

2. Genügt es zur Durchführung einer mehrwertsteuerbefreiten Lieferung vom Standpunkt des Verkäufers aus, dass er überprüft, dass die veräußerte Ware mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen befördert wird, und er über von dem Erwerber übersandte CMR -Frachtbriefe verfügt, oder hat er sich darüber hinaus zu vergewissern, dass die veräußerten Gegenstände die Grenze überschritten haben und die Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets erfolgt ist?

3. Kann allein aufgrund der Tatsache, dass die Steuerbehörden eines anderen Mitgliedstaats die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers mit Rückwirkung auf einen vor der Lieferung eines Gegenstands liegenden Zeitpunkt löschen, in Zweifel gezogen werden, dass diese Lieferung mehrwertsteuerbefreit ist?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

28 Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er es der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats verwehrt, einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Verkäufer die Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn zum einen das Recht, über einen Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats auf einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerber übertragen wird, der zum Zeitpunkt des Umsatzes über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in diesem anderen Mitgliedstaat verfügt und sich zur Beförderung des Gegenstands an dessen Bestimmungsort verpflichtet, und wenn sich der Verkäufer zum anderen vergewissert, dass der Gegenstand von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen von seinem Lager abgeholt wird, und er über CMR -Frachtbriefe, die der Erwerber ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat aus übersandt hat, als Nachweis dafür verfügt, dass der Gegenstand an Orte außerhalb des Mitgliedstaats des Verkäufers befördert wurde.

29 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung als logische Folge des innergemeinschaftlichen Erwerbs von der Mehrwertsteuer befreit ist, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteile Teleos u. a., Randnr. 28, und vom 18. November 2010, X, C-84/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 26).

30 Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands erst dann anwendbar, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Verkäufer nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und wenn der Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. Urteile Teleos u. a., Randnr. 42, vom 27. September 2007, Twoh International, C-184/05, Slg. 2007, I-7897, Randnr. 23, vom 7. Dezember 2010, R., C-285/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41, und vom 16. Dezember 2010, Euro Tyre Holding, C-430/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 29).

32 Was erstens die Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber anbelangt, ist festzustellen, dass sie eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Lieferung von Gegenständen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 ist und für sich allein nicht den innergemeinschaftlichen Charakter des betreffenden Umsatzes festlegen kann.

33 Hierzu ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass die Voraussetzung der Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens unstreitig erfüllt ist, da die Übertragung gemäß dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag zum Zeitpunkt des Verladens der Waren auf die vom Erwerber zur Verfügung gestellten Transportmittel stattgefunden hat, und dass die ungarische Steuerverwaltung die Verladung nicht in Zweifel gezogen hat.

34 Zweitens ist zu der Verpflichtung des Verkäufers, den Nachweis zu erbringen, dass der Gegenstand an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats versandt oder befördert worden ist, darauf hinzuweisen, dass diese Verpflichtung in den besonderen Kontext der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs innerhalb der Union zu stellen ist, einer Regelung, die wegen der Abschaffung der Binnengrenzen ab dem 1. Januar 1993 durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) eingeführt wurde (Urteil Teleos u. a., Randnr. 21).

35 Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, dass zwar die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen der objektiven Voraussetzung unterliegt, dass die Gegenstände physisch an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats verbracht worden sind, dass es aber für die Finanzverwaltung seit dem Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten schwierig ist, sich zu vergewissern, ob die Waren den betreffenden Mitgliedstaat physisch verlassen haben. Diese Prüfung führen die Finanzbehörden daher in erster Linie anhand der von den Steuerpflichtigen vorgelegten Beweise und abgegebenen Erklärungen durch (Urteile Teleos u. a., Randnr. 44, sowie R., Randnr. 42).

36 Der Rechtsprechung ist auch zu entnehmen, dass in Ermangelung einer konkreten Bestimmung in der Richtlinie 2006/12, welche Beweise Steuerpflichtige vorlegen müssen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu gelangen, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, gemäß Art. 131 der Richtlinie 2006/12 die Bedingungen festzulegen, unter denen sie innergemeinschaftliche Lieferungen befreien, um eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen zu gewährleisten und um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch zu verhindern. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Collée, C-146/05, Slg. 2007, I-7861, Randnr. 24, Twoh International, Randnr. 25, X, Randnr. 35, und R., Randnrn. 43 und 45).

37 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in der Vorlageentscheidung keine konkreten Pflichten nach ungarischem Recht erwähnt werden wie etwa eine Liste von Unterlagen, die den zuständigen Behörden für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorzulegen sind. Nach den Erklärungen der ungarischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof sieht die ungarische Regelung nur vor, dass die Lieferung zu zertifizieren ist und dass das Niveau der verlangten Nachweise von den konkreten Umständen des betreffenden Umsatzes abhängt.

38 Daher sind die Nachweispflichten eines Steuerpflichtigen nach den im nationalen Recht dafür ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen und nach der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen.

39 Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Steuerpflichtige ihre steuerlichen Verpflichtungen kennen, bevor sie ein Geschäft abschließen (Urteil Teleos u. a., Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40 Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob ein Mitgliedstaat für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung vom Steuerpflichtigen verlangen kann, sich zu vergewissern, dass die Ware diesen Mitgliedstaat physisch verlassen hat.

41 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen nicht gewährleistet ist, wenn der Steuerpflichtige in einer Situation, in der es offenbar keinen stichhaltigen Beweis gibt, der den Schluss zulässt, dass die betreffenden Gegenstände an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats verbracht wurden, verpflichtet wird, einen solchen Beweis zu erbringen. Vielmehr lässt diese Verpflichtung den Steuerpflichtigen im Ungewissen darüber, ob die innergemeinschaftliche Lieferung von der Steuer befreit werden kann oder ob er die Mehrwertsteuer in den Verkaufspreis mit einbeziehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u. a., Randnrn. 49 und 51).

42 Außerdem hängt, wenn der Erwerber im Liefermitgliedstaat die Befähigung hat, über den betreffenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, und er sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern, der Nachweis, den der Verkäufer gegenüber den Steuerbehörden führen kann, wesentlich von den Angaben ab, die er zu diesem Zweck vom Erwerber erhält (vgl. in diesem Sinne Urteil Euro Tyre Holding, Randnr. 37).

43 Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass in dem Fall, dass der Verkäufer seinen Verpflichtungen in Bezug auf den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung nachgekommen ist, während der Erwerber seine vertragliche Verpflichtung, den betreffenden Gegenstand an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats zu versenden oder zu befördern, nicht erfüllt hat, der Erwerber im Liefermitgliedstaat zur Mehrwertsteuer heranzuziehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Teleos u. a., Randnrn. 66 f., sowie Euro Tyre Holding, Randnr. 38).

44 Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, hat Mecsek-Gabona ihr Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung im Ausgangsverfahren auf folgende Punkte gestützt: auf die der Erwerberin von den italienischen Behörden erteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, auf die Tatsache, dass die veräußerte Ware mit im Ausland zugelassenen Fahrzeugen abtransportiert wurde, und auf die CMR -Frachtbriefe, die ihr von der Erwerberin von deren postalischer Anschrift aus zugeschickt wurden und darauf hindeuteten, dass die Gegenstände nach Italien befördert worden waren.

45 Ob Mecsek-Gabona mit diesem Vorgehen ihren Nachweis- und Sorgfaltspflichten nachgekommen ist, unterliegt der Würdigung durch das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der in Randnr. 38 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen.

46 Ist aber die betreffende Lieferung mit der vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung verknüpft und hat die Steuerverwaltung keine Gewissheit, dass die Gegenstände tatsächlich den Liefermitgliedstaat verlassen haben, ist drittens zu prüfen, ob die Steuerverwaltung den Verkäufer zu einem späteren Zeitpunkt zu der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer heranziehen kann.

47 Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch ein von der Richtlinie 2006/112 anerkanntes und gefördertes Ziel (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Gemeente Leusden und Holin Groep, C-487/01 und C-7/02, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 76, R., Randnr. 36, und vom 21. Juni 2012, Mahagében und Dávid, C-80/11 und C-142/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), das mitunter hohe Anforderungen an die Verpflichtungen der Verkäufer rechtfertigt (Urteil Teleos u. a., Randnrn. 58 und 61).

48 Somit verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (Urteile Teleos u. a., Randnr. 65, sowie Mahagében und Dávid, Randnr. 54).

49 Diese Gesichtspunkte hat der Gerichtshof als wichtige Kriterien für die Feststellung angesehen, ob der Verkäufer nachträglich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos u. a., Randnr. 66).

50 Wenn also im Ausgangsverfahren eine Steuerhinterziehung der Erwerberin vorliegt, ist es gerechtfertigt, das Recht der Verkäuferin auf Mehrwertsteuerbefreiung von ihrer Gutgläubigkeit abhängig zu machen.

51 Der Vorlageentscheidung lässt sich nicht entnehmen, ob Mecsek-Gabona wusste oder hätte wissen müssen, dass die Erwerberin eine Steuerhinterziehung begangen hat.

52 In ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen vor dem Gerichtshof hat die ungarische Regierung jedoch geltend gemacht, dass mehrere nicht in der Vorlageentscheidung aufgeführte Gesichtspunkte die Bösgläubigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens bewiesen. So habe Mecsek-Gabona, obwohl sie die Erwerberin der im Ausgangsverfahren fraglichen Gegenstände nicht gekannt habe, keinerlei Sicherheit von ihr verlangt, ihre Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erst nach Bewirkung des Umsatzes überprüft, keine zusätzlichen Erkundigungen über sie eingezogen, ihr das Eigentum an den Gegenständen trotz Stundung der Kaufpreiszahlung übertragen und die von der Erwerberin zurückgesandten CMR -Frachtbriefe vorgelegt, obwohl sie unvollständig gewesen seien.

53 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht befugt ist, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu überprüfen oder zu würdigen. Daher ist es Sache des nationalen Gerichts, alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob Mecsek-Gabona in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass sie sich aufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat.

54 Sollte das nationale Gericht zu dem Schluss gelangen, dass die betreffende Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihr bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung der Erwerberin verknüpft war, und sie nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern, müsste es ihr den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagen.

55 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

Zur dritten Frage

56 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dem Verkäufer die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 mit der Begründung versagt werden kann, dass die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

57 Im Rahmen der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs innerhalb der Union, deren Ziel es ist, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (vgl. Urteile Teleos u. a., Randnr. 36, sowie vom 22. April 2010, X und fiscale eenheid Facet-Facet Trading, C-536/08 und C-539/08, Slg. 2010, I-3581, Randnr. 30), soll die Identifizierung der Mehrwertsteuerpflichtigen durch individuelle Nummern die Bestimmung des Mitgliedstaats erleichtern, in dem der Endverbrauch erfolgt.

58 Nach Art. 214 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 sind die Mitgliedstaaten zum einen verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass jeder Steuerpflichtige, der innergemeinschaftliche Erwerbe bewirkt, eine individuelle Nummer erhält. Zum anderen verlangt Art. 226 Nr. 4 dieser Richtlinie, dass die Rechnung, die bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung stets auszustellen ist, die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, unter der er eine Lieferung von Gegenständen nach Art. 138 dieser Richtlinie erhalten hat, zwingend enthält.

59 Jedoch wird weder in Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 noch in der in Randnr. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unter den abschließend aufgezählten materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung die Verpflichtung erwähnt, über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zu verfügen.

60 Zwar dient die Zuteilung einer solchen Nummer dem Nachweis des steuerlichen Status des Steuerpflichtigen für die Zwecke der Mehrwertsteuer und erleichtert die steuerliche Kontrolle innergemeinschaftlicher Umsätze. Jedoch handelt es sich dabei um ein formelles Erfordernis, das den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht in Frage stellen kann, sofern die materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind (vgl. entsprechend zum Vorsteuerabzug Urteile vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, Slg. 2010, I-10385, Randnr. 50, und vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C-438/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 33 und 47).

61 Der Rechtsprechung ist nämlich zu entnehmen, dass eine nationale Maßnahme, die das Recht auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen, über das hinausgeht, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen (Urteil Collée, Randnr. 29), es sei denn, der Verstoß gegen die formellen Anforderungen verhinderte den sicheren Nachweis, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil Collée, Randnr. 31).

62 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Identifikationsnummer der Erwerberin zum Zeitpunkt der Bewirkung des Umsatzes gültig war, aber einige Monate nach diesem Umsatz von den italienischen Behörden rückwirkend aus dem Steuerpflichtigen-Register gelöscht wurde.

63 Da die zuständige nationale Behörde den Status eines Steuerpflichtigen zu prüfen hat, bevor sie ihm eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer zuteilt, können eventuelle Unregelmäßigkeiten des Registers nicht dazu führen, dem Wirtschaftsteilnehmer, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat, die Steuerbefreiung zu nehmen, auf die er einen Anspruch hätte.

64 Wie die Europäische Kommission zutreffend ausführt, widerspräche es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Verkäufer allein deshalb zur Mehrwertsteuer heranzuziehen, weil die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers rückwirkend aus dem Register gelöscht wurde.

65 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass dem Verkäufer die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

Kosten

66 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es nicht verwehrt, dem Verkäufer unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens den Anspruch auf Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass der Verkäufer seinen Nachweispflichten nicht nachgekommen ist oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine eigene Beteiligung an dieser Steuerhinterziehung zu verhindern.

2. Dem Verkäufer kann die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nicht allein deshalb versagt werden, weil die Steuerverwaltung eines anderen Mitgliedstaats eine Löschung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers vorgenommen hat, die zwar nach der Lieferung des Gegenstands erfolgt ist, aber auf einen Zeitpunkt vor der Lieferung zurückwirkt.

Erbschaftsteuer | Unentgeltliches Wohnrecht als begünstigtes Familienheim (FG)

Erbschaftsteuer:Wohn- und Nutzungsrechte nicht erbschaftsteuerfrei nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG

 Leitsatz

Der Erwerb von Todes wegen eines bloßen Wohnrechts an einer nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG begünstigten Immobilie ist nicht erbschaftsteuerbefreit.

 Gesetze

ErbStG § 13 Abs 1 Nr 4b

 Instanzenzug

BFH 22.10.2012 – II R 45/12

 Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Erwerb eines der Klägerin von Todes wegen zugewandten lebenslangen unentgeltlichen Wohnrechts an der Obergeschosswohnung eines den Kindern des Erblassers (voraus-) vermachten bebauten Grundstücks nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes in der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung (ErbStG ) steuerfrei bleibt.

Die Klägerin ist die Ehefrau des am 2. August 2009 verstorbenen Herrn A. Dieser hatte mit notariellem Testament vom 19. Mai 2004, teilweise geändert und ergänzt durch notarielles Testament vom 7. November 2008, seine beiden Kinder A1 und A2 sowie seine Ehefrau – die Klägerin – zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt und darüber hinaus verfügt, dass seine Kinder im Wege des Vorausvermächtnisses unter anderem das jeweils hälftige Miteigentum an dem in B belegenen Grundstück C-Straße … erhalten sollten. Die Vorausvermächtnisse waren beschwert durch die Anordnung eines lebenslangen unentgeltlichen Wohnrechts zugunsten der Klägerin an der in den beiden Obergeschossen dieses Objekts befindlichen Wohnung, die die Klägerin und ihr Ehemann – der Erblasser – unstreitig bis zu dessen Tod gemeinsam bewohnt hatten. Das Wohnrecht sollte auch die Nutzung aller dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienenden Räume, Anlagen und Einrichtungen einschließen. Außerdem sollte die Klägerin befugt sein, nach ihrer Wahl drei der vier in dem Anwesen vorhandenen Stellplätze auf Lebenszeit unentgeltlich zu nutzen. Ergänzend wurde der Klägerin das Recht eingeräumt, die dingliche Absicherung sowohl des Wohnrechts als auch des Stellplatznutzungsrechts im Grundbuch auf eigene Kosten zu verlangen.

In der am 10. Juni 2010 von dem Testamentsvollstrecker und gleichzeitigen Bevollmächtigten der Klägerin eingereichten Erbschaftsteuererklärung beantragte dieser, der Klägerin für den Erwerb der Obergeschosswohnung des in B belegenen Objekts C-Straße … bzw. für die Einräumung des Wohnrechts hieran gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b ErbStG die Steuerbefreiung für Familienheime zu gewähren. Die für eigene Wohnzwecke von der bisherigen Wohnung des Erblassers jetzt selbst und zuvor gemeinsam mit ihm genutzte Wohnfläche bezifferte die Klägerin mit 212 qm. Den Grundbesitzwert gab sie mit 1.043.472 EUR an. Die Anlage Erb 19 Steuerbefreiung Familienheim enthält in ihrer rückseitigen Anleitung u.a. den Hinweis, dass nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG der Erwerb von Todes wegen eines Familienheims durch den überlebenden Ehegatten begünstigt ist und dass als Familienheim das Eigentum oder Miteigentum an einem im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstück i.S. von § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) gilt.

Mit notariellem Vermächtniserfüllungsvertrag vom 16. September 2010, auf dessen Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, übertrug der Testamentsvollstrecker zunächst in Erfüllung der vom Erblasser angeordneten Vorausvermächtnisse das in B belegene Grundstück C-Straße … zu jeweils hälftigem Miteigentum auf die beiden Kinder des Erblassers A1 und A2. Sodann räumte er nach Maßgabe der vom Erblasser weiterhin getroffenen letztwilligen Verfügungen der Klägerin auf deren Lebenszeit ein unentgeltliches Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht an der Wohnung in den beiden Obergeschossen des Anwesens C-Straße … in B ein. Zur Sicherung dieses Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts bestellte er der Klägerin je eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit an dem belasteten Grundstück.

Durch Bescheid vom 5. Mai 2011 setzte der Beklagte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO) Erbschaftsteuer i.H. von 235.847 EUR gegen die Klägerin fest. Dabei ging er von einem Erwerbswert i.H. von insgesamt 1.697.374 EUR aus, in den das der Klägerin eingeräumte Wohnungsrecht an der Obergeschosswohnung des Objekts C-Straße … mit einem – der Höhe nach unstreitigen – Kapitalwert von 442.024 EUR einfloss. Wegen der Einzelheiten der Wertermittlung wird auf die Ausführungen des Beklagten im Erörterungsschreiben vom 29. April 2011 Bezug genommen. Den Grundbesitzwert des nachlasszugehörigen Grundstücks C-Straße … setzte er, da eine gesonderte Feststellung auf den Todestag im Zeitpunkt der Erbschaftsteuerveranlagung noch nicht durchgeführt war, im Wege der Schätzung (vorerst) mit 1.072.866 EUR an. Dem Begehren der Klägerin, ihr für den (anteiligen) Erwerb des Grundstücks C-Straße … die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu gewähren, entsprach der Beklagte nicht. Zur Begründung verwies er auf die testamentarisch verfügte Verpflichtung der Klägerin zur Weitergabe des Objekts an die insoweit begünstigten Vermächtnisnehmer und gleichzeitigen Miterben A1 und A2, die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG der Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung durch die Klägerin entgegenstehe. Das der Klägerin außerdem zugewandte Wohnrecht an der Obergeschosswohnung des Grundstücks stelle kein substanziell begünstigtes Vermögen i.S. der Befreiungsvorschrift dar.

Im Verlauf des Verfahrens über den Einspruch der Klägerin, mit dem diese sich gegen die Versagung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wandte, erteilte der Beklagte ihr am 15. August 2011 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten, weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Erbschaftsteuerbescheid über 339.530 EUR. Dabei bezog er das der Klägerin eingeräumte Wohn- und Mitbenutzungsrecht unverändert mit dem bisherigen Kapitalwert von 442.024 EUR in die Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs ein.

Unter dem 8. September 2011 stellte das zuständige Lagefinanzamt B den Grundbesitzwert für das Objekt C-Straße … im Wege der Schätzung auf 1.301.569 EUR fest. Eine Auswertung dieses Bescheids für Zwecke der Erbschaftsteuer erfolgte nach Lage der Akten zunächst nicht.

Den Einspruch der Klägerin wies der Beklagte unter Beibehaltung des Nachprüfungsvorbehalts mit Rechtsbehelfsentscheidung vom 24. Oktober 2011 als unbegründet zurück. Hierzu führte er im Wesentlichen aus:

Die Weitergabeverpflichtung eines dem Grunde nach begünstigungsfähigen Familienheims an einen Dritten stehe der Gewährung der Steuerbegünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG an den zur Weitergabe Verpflichteten entgegen. Da der Erblasser in seinen Testamenten vom 19. Mai 2004 und 7. November 2008 verfügt habe, dass das Eigentum an dem in B belegenen Objekt C-Straße … im Wege des Vorausvermächtnisses auf seine beiden Kinder übergehen solle, könne die zur Weitergabe verpflichtete Klägerin die Steuerbefreiung für den ursprünglich von Todes wegen erworbenen 1/3-Miteigentumsanteil an dem genannten Grundstück nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG nicht für sich in Anspruch nehmen.

Soweit die Klägerin die Obergeschosswohnung aufgrund des ihr testamentarisch eingeräumten Wohnungsrechts selbst zu eigenen Wohnzwecken nutze, stehe ihr die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ebenfalls nicht zu. Die Begünstigung sei u.a. tatbestandlich mit dem Erwerb des Eigentums oder Miteigentums an einem bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG verknüpft. Der Erwerb eines bloßen Nutzungsrechts an einem Familienheim sei hingegen nicht von der Erbschaftsteuer befreit, weil kein begünstigtes Vermögen in seiner Substanz übertragen werde. Dass der Gesetzgeber die Gewährung der Steuerbefreiung davon abhängig mache, dass der Steuerpflichtige Eigentum oder Miteigentum an dem Grundstück erwerbe, liege in seinem Ermessen und begegne keinerlei Bedenken.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt, bei der Erbschaftsteuerfestsetzung über ihren Erwerb von Todes wegen die für Familienheime geltende Befreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG erwerbsmindernd zu berücksichtigen. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

Die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG sei auch für das ihr eingeräumte Wohnrecht zu gewähren. Die Nutzung des Familienheims aufgrund eines Wohnrechts könne nicht anders behandelt werden als die Zuwendung eines Familienheims unter Lebenden nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG oder der Erwerb von Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG . Die Argumentation des Beklagten berücksichtige nur einen Teil der Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiungsvorschrift. Zu diesen Voraussetzungen gehörten der Erwerb von Todes wegen, das Eigentum oder Miteigentum an einem im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Staat des EWR gelegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG und die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch den Erblasser bis zum Erbfall sowie die Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken durch den Erwerber. Der Nutzung des Familienheims durch den Erwerber komme nach dem Gesetzeswortlaut entscheidende Bedeutung zu. Dennoch werde diese Steuerbefreiung auch dann gewährt, wenn der Erwerber an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert sei. Dadurch werde im Gesetzestext zum Ausdruck gebracht, dass die Möglichkeit bzw. das Recht zur Selbstnutzung für den Erhalt der Begünstigung ausreichend seien. Aus diesem Grunde entspreche es nicht der Intention des Gesetzgebers, wenn – wie hier – die tatsächliche Selbstnutzung aufgrund eines Wohnrechts der Besteuerung unterworfen werde, während die tatsächliche Nicht-Selbstnutzung steuerfrei gestellt werde. Aus diesen Überlegungen folge, dass das ihr – der Klägerin – eingeräumte Wohnrecht, in Ausübung dessen sie die Obergeschosswohnung tatsächlich selbst nutze, ebenfalls erbschaftsteuerfrei bleiben müsse.

Insoweit bestehe eine Gesetzeslücke, die durch Auslegung geschlossen werden müsse.

Die in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG normierte Einschränkung für Fälle, in denen das begünstigte Vermögen aufgrund einer letztwilligen oder rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers auf einen Dritten übertragen werden müsse, verstoße gegen die in der BT-Drucksache 16/11107 (Seite 8) niedergelegte Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG . Danach solle die Regelung zur Steuerfreistellung von Wohneigentum für Ehegatten und Lebenspartner neben dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes auch dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers dienen. Das Familiengebrauchsvermögen solle krisenfest erhalten werden.

Dieser Zweck werde nicht erreicht, wenn – wie hier – das Familienheim bei den Kindern besteuert werde, weil diese es nicht selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzen, und ihr – der Klägerin – die Befreiung mit der Begründung versagt werde, sie sei zur Weiterleitung des Eigentums auf die Kinder verpflichtet. Da ihr durch die Einräumung des Wohnrechts keine Liquidität zugeflossen sei, müsse sie die Erbschaftsteuer aus dem restlichen durch den Erbfall erworbenen Vermögen entrichten. Die Besteuerung des Wohnrechts bei ihr – der Klägerin – und die gleichzeitige Besteuerung des Eigentumserwerbs bei den Kindern verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG ).

Die Befreiungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis c ErbStG griffen insgesamt zu kurz, weil Regelungen, wie sie der Erblasser im vorliegenden Fall getroffen habe, von ihnen nicht erfasst würden. Dabei handele es sich um eine in der Praxis weit verbreitete Gestaltung, die dem Erhalt des Vermögens dienen solle. Der Gesetzgeber habe das Familienvermögen schützen wollen und dabei den häufig vorkommenden Lebenssachverhalt der Übertragung von Familienwohnheimen unter Vorbehalt des Wohnrechts zur Absicherung des überlebenden Ehegatten nicht bedacht. Die Versagung der Steuerbefreiung möge in solchen Fällen einer Weitergabeverpflichtung gerechtfertigt sein, in denen der Erwerber das Familienwohnheim tatsächlich nicht zu eigenen Wohnzwecken nutzen wolle. In den Fällen hingegen, in denen – wie hier – der überlebende Ehepartner abgesichert werden solle, sei dies nicht gerechtfertigt. Das Weitergabeverbot des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG müsse daher unter Berücksichtigung von Art. 6 GG in der Weise einschränkend ausgelegt werden, dass eine Besteuerung erst stattfinde, wenn aufgrund einer Übertragung des Familienwohnheims dieses tatsächlich nicht mehr zu Wohnzwecken innerhalb der Familie genutzt werde. Daher sei die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG abweichend vom Gesetzeswortlaut auch auf dem Ehegatten eingeräumte Wohnrechte anwendbar (Hinweis auf Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 68).

Der Beklagte hat der Klägerin unter dem 1. August 2012 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten, weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid erteilt, mit dem er die Erbschaftsteuer aus hier nicht entscheidungserheblichen Gründen auf 335.293 EUR erhöht hat. Dieser Bescheid ist gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Die Klägerin beantragt,

den geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 1. August 2012 dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG für das Objekt C-Straße … in B berücksichtigt wird,

im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Zur Begründung nimmt er zunächst vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus:

Ob es gerechtfertigt wäre, auch Nießbrauch oder Wohnrecht, dem überlebenden Ehegatten nicht selten gewährt, nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu begünstigen, könne aufgrund des den Erwerb des Familienheims selbst verlangenden Gesetzeswortlauts nach geltendem Recht dahingestellt bleiben. Denn auch ohne ausdrückliche Regelung wie bei § 13c ErbStG (vgl. dazu Abschnitt 36 Abs. 6 Satz 4 AE ErbSt bzw. RE 13c Absatz 6 Satz 5 ErbStR 2011 ) könne ein übertragenes Nutzungsrecht bei der Qualifikation des Zuwendungsgegenstands nicht einem Grundstück gleich erachtet werden (Hinweis auf Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 68).

Zudem stehe die Steuerbefreiung unter dem Nachversteuerungsvorbehalt. Sie verlange die Selbstnutzung der Wohnung als Eigentümer über einen Zeitraum von zehn Jahren; eine Weiterübertragung unter Nutzungsvorbehalt sei als Verstoß gegen den Nachversteuerungsvorbehalt anzusehen (RE 13.4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 ErbStR 2011 ).

Eine Gesetzeslücke, die durch Auslegung geschlossen werden müsse, sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vorhanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

 Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I. Der nach § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 1. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr für den Erwerb des Wohnrechts an der Obergeschosswohnung des den Kindern des Erblassers vermachten Grundstücks C-Straße … in B die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu gewähren.

1. Nach Satz 1 dieser Vorschrift bleibt der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums (u.a.) an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch den überlebenden Ehegatten steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim). Ein Erwerber kann die Steuerbefreiung gemäß Satz 2 dieser Bestimmung nicht in Anspruch nehmen, soweit er das begünstigte Vermögen auf Grund einer letztwilligen oder rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss. Die Gewährung der Steuervergünstigung für das in Satz 1 der Vorschrift legal definierte „Familienheim” setzt danach voraus, dass folgende Tatbestandsmerkmale – kumulativ – erfüllt sind:

A)          Es handelt sich um einen Erwerb von Todes wegen i.S. von § 3 ErbStG (in Abgrenzung zu den nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG begünstigten Schenkungen unter Lebenden, § 7 ErbStG ), wozu insbesondere Erwerbe durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB ), durch Vermächtnis (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. §§ 2147 ff BGB ) oder durch ein Schenkungsversprechen auf den Todesfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i.V.m. § 2301 BGB ), aber auch die (fiktiven) Erwerbstatbestände des § 3 Abs. 2 ErbStG gehören (vgl. z.B. Viskorf in NWB-Kommentar zum ErbStG und BewG , § 13 ErbStG Rz. 51, Moench / Kien-Hümbert, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 33, und Schmidt in Tiedtke, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 147).

B)          Erwerber ist der überlebende Ehegatte oder der überlebende Lebenspartner.

C)          Erwerbsgegenstand ist das Eigentum oder Miteigentum (u.a.) an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. von § 181 Abs. 1 bis 5 BewG.

D)          Der Erblasser muss darin bis zu seinem Tod selbst gewohnt haben oder an der Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken aus zwingenden Gründen gehindert gewesen sein.

E)           Die Wohnung muss beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt sein.

F)           Als Negativvoraussetzung: Der Erwerber darf nicht auf Grund einer letztwilligen oder rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers, also z.B. eines testamentarisch angeordneten (Voraus-) Vermächtnisses, einer Auflage, einer Teilungsanordnung oder eines Erbvertrags, zur Weitergabe des (potentiell) begünstigten Vermögens auf einen Dritten verpflichtet sein; die Befreiung soll vielmehr allein dem Letzterwerber zugutekommen, sofern dieser zum begünstigten Personenkreis gehört (Moench /Kien-Hümbert. ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 35, und Viskorf in NWB-Kommentar zum ErbStG und BewG , § 13 ErbStG Rz. 79).

 

2. Im vorliegenden Fall sind nicht alle vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ erfüllt.

a) Soweit die Klägerin auf Grund ihrer testamentarischen Erbeinsetzung neben den Kindern des Erblassers entsprechend ihrer Quote zu einem Drittel Miteigentümerin des nachlasszugehörigen Grundstücks C-Straße … in B geworden war, ist ihr zwar mit Versterben des Erblassers – zunächst – von Todes wegen das Miteigentum an einem in B und mithin im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 BewG , d.h. einem Zweifamilienhaus, angefallen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 1922 BGB ). Sie war jedoch durch das zugunsten der Kinder des Erblassers ausgesetzte, mit notariellem Vertrag vom 16. September 2010 anordnungsgemäß vollzogene Vorausvermächtnis und mithin auf Grund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers verpflichtet, das ihr anteilig zugefallene Eigentum an dem begünstigten Vermögensgegenstand auf einen Dritten – nämlich die Kinder als (Voraus-) Vermächtnisnehmer – zu übertragen. Für diesen Fall schließt § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG , wie der Beklagte zutreffend erkannt hat, die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung durch den (Erst-) Erwerber ausdrücklich aus.

b) Soweit die Klägerin ihre Anspruchsberechtigung aus dem ihr vom Erblasser eingeräumten Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht an Teilen der Immobilie herleitet, liegen zwar die Voraussetzungen zu d) und e) vor, da der Erblasser die in dem Anwesen C-Straße … befindliche, 212 qm große Obergeschosswohnung unstreitig bis zu seinem Tod zusammen mit seiner Ehefrau – der Klägerin – zu eigenen Wohnzwecken genutzt und die Klägerin diese Nutzung auch nach dem Tod ihres Ehemannes – des Erblassers – fortgesetzt hat. Die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch die Klägerin erfolgte jedoch nicht als Eigentümerin oder Miteigentümerin des begünstigten Vermögens, sondern als Inhaberin eines ihr vom Erblasser letztwillig zugewandten Wohnungsund Mitbenutzungsrechts hieran.

c) Die Ansicht der Klägerin, der Nutzung des Familienheims durch den Erwerber zu eigenen Wohnzwecken komme die entscheidende Bedeutung für die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu, findet entgegen ihrer Einschätzung weder im Gesetzeswortlaut noch in den sonstigen für die Normauslegung heranzuziehenden Umständen eine Stütze. Das Gesetz enthält vielmehr eine abschließende Aufzählung diverser Tatbestandsmerkmale, die in ihrer Gesamtheit erfüllt sein müssen, um den Anspruch auf Gewährung der Steuerbefreiung zu begründen. Dass einzelnen dieser Merkmale im Verhältnis zu den anderen eine größere oder gar die „entscheidende” Bedeutung zukommen soll, ist nicht ersichtlich. Aber selbst wenn innerhalb der Tatbestandsvoraussetzungen eine derartige „Bedeutungshierarchie” bestünde, würde dies nichts an dem Erfordernis ändern, dass für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG alle in dieser Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale, also auch etwaige „weniger bedeutsame” Voraussetzungen, (kumulativ) vorliegen müssen.

3. Der mit der Klage weiterhin vorgetragenen Auffassung, die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG sei bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen im Wege der Analogie auch auf solche Sachverhalte anzuwenden, in denen der potentiell zum begünstigten Personenkreis gehörende Erwerber – wie hier – eines der genannten Grundstücke ganz oder teilweise auf der Grundlage eines (bloßen) Nutzungsrechts zu eigenen Wohnzwecken selbst nutzt, vermag sich der erkennende Senat ebenso wenig anzuschließen wie der vorrangig zu prüfenden Möglichkeit einer erweiternden Auslegung des Begünstigungstatbestands.

a) Nach Ansicht des erkennenden Senats kann die Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG , die ausdrücklich auf den Erwerb von Todes wegen „des Eigentums oder Miteigentums” an einem der gesetzlich festgelegten Objekte abstellt, auch unter Berücksichtigung der den Materialien zu entnehmenden Gesetzesbegründung nicht dahin verstanden werden, dass über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinaus auch der Erwerb eines bloßen Wohn- oder sonstigen Nutzungsrechts von der Erbschaftsteuer befreit sein soll (so im Ergebnis auch Jülicher in Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 68, der die Frage, ob es gerechtfertigt wäre, auch Nießbrauch und Wohnrecht nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG zu begünstigen, „auf Grund des den Erwerb des Familienheim selbst verlangenden Wortlauts der Vorschrift” nach geltendem Recht dahingestellt sein lässt).

aa) Grundlage jeder Auslegung ist der Gesetzestext. Dabei können einzelne Tatbestandsmerkmale zwar zum Teil eng, zum Teil weit ausgelegt werden. Eine extensive Auslegung des Normenwortlauts ist jedoch nicht zulässig, wenn der Wortsinn einzelner Tatbestandsmerkmale so eindeutig ist, dass für eine weitergehende Interpretation kein Raum mehr bleibt. Je konkreter eine gesetzliche Vorschrift gefasst ist, desto weniger Raum ist für eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung (Klein / Gersch, AO , Kommentar, § 4 Rz. 27, m.w.N.). Der noch mögliche Wortsinn begrenzt die Auslegungsfähigkeit (BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 , BStBl II 1974, 295 , 296 , m.w.N.).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen schließt der noch mögliche Wortsinn des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG es aus, diese Vorschrift unmittelbar auch auf den Erwerb eines bloßen Wohnungs- oder sonstigen Nutzungsrechts an einem der begünstigten Objekte anzuwenden.

Der bürgerlich-rechtliche Begriff des „Eigentums” oder „Miteigentums” wird durch die Regelungen des BGB , insbesondere durch die §§ 903 ff BGB und die dazu ergangene Zivilrechtsprechung bestimmt. Danach ist Eigentum das umfassendste dingliche Herrschaftsrecht, das die Rechtsordnung an einer beweglichen und unbeweglichen Sache zulässt (Palandt / Bassenge, Kommentar zum BGB , Überblick vor § 903 Rz. 1). Nach § 903 Satz 1 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Miteigentum als Unterform des Eigentums liegt vor, wenn das Eigentum an einer Sache mehreren nach Bruchteilen zusteht (§ 1008 BGB ).

Demgegenüber handelt es sich bei dem Wohnungsrecht um einen Sonderfall der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit mit nießbrauchsähnlicher Gestaltung in der Form, dass der Berechtigte ein Gebäude oder einen Teil davon unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung nutzen kann (§ 1093 Abs. 1 BGB ). Ist das Recht – wie hier – auf einen Teil des Gebäudes beschränkt, so kann der Berechtigte die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Bewohner bestimmten Anlagen und Einrichtungen mitbenutzen (§ 1093 Abs. 3 BGB ). Das Wohnungsrecht weist dem Berechtigten daher nur einen kleinen Ausschnitt derjenigen Befugnisse zu, die in ihrer Gesamtheit üblicherweise dem Grundstückseigentümer als dem Inhaber der umfassenden dinglichen Sachherrschaft zustehen.

Vor dem Hintergrund dieser im bürgerlichen Recht klar und eindeutig festgelegten Bedeutungsunterschiede zwischen dem Rechtsinstitut des Eigentums bzw. Miteigentums einerseits und dem des Wohnungsrechts (als Sonderform der Nutzungsrechte) andererseits ist eine auch das Wohnungsrecht einschließende Auslegung des in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG enthaltenen Tatbestandsmerkmals „Eigentum oder Miteigentum” nicht möglich.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt auch eine analoge Anwendung dieser Begünstigungsvorschrift auf den Erwerb von Wohnungsrechten nicht in Betracht.

aa) Unabdingbare Voraussetzung der analogen Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt, den diese Rechtsnorm nach ihrer durch den möglichen Wortsinn begrenzten Auslegung nicht mehr erfasst, ist, dass das Gesetz lückenhaft ist, d.h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke – als planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts (Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, Seite 30) – liegt überall, aber auch nur dort vor, wo es, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Seite 357 f). Mit anderen Worten: Eine Gesetzeslücke ist anzunehmen, wenn ein Gesetz keine Regelung für einen bestimmten Sachverhalt enthält, der nach dem Gedanken des Gesetzes hätte geregelt werden müssen (BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 , BStBl II 1974, 295 , 297 , und Klein / Gersch, AO , Kommentar, § 4 Rz. 36). „Offen” ist die Regelungslücke, wenn das Gesetz völlig schweigt, weil bei seinem Zustandekommen ein bestimmter Sachbereich oder eine einzelne Frage eines solchen Sachbereichs entweder absichtlich nicht geregelt, sondern die Regelung der Rechtsprechung überlassen oder übersehen worden ist (Tipke / Kruse, AO und FGO , § 4 AO Tz. 351, m.w.N.). Demgegenüber liegt ein sogenannter „rechtspolitischer Fehler” vor, wenn sich eine gesetzliche Regelung lediglich rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig erweist (Larenz, a.a.O., Seite 353, und Canaris, a.a.O., Seite 33 f und 73, sowie BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 , BStBl II 1974, 295 , 297 ). Die Feststellung, ob eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts oder nur ein rechtspolitischer Fehler vorliegt, kann im Einzelfall beträchtliche Schwierigkeiten bereiten, sofern die Materialien des Gesetzes keine zweifelsfreien Hinweise in die eine oder andere Richtung geben (BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 , BStBl II 1974, 295 , 297 ).

bb) Ausweislich der Gesetzesmaterialien verfolgt die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Neuregelung den „Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums” sowie die „Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers” (BT-Drucks. 16/11107, 10, vgl. auch Viskorf in NWB-Kommentar zum ErbStG und BewG , § 13 ErbStG Rz. 48, Kobor in Fischer / Jüptner / Pahlke, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 36, Schmidt in Tiedtke, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 132, u.a.m.). Zum einen sollen die potentiellen Erblasser bereits zu Lebzeiten in ihrer Investitionsentscheidung dahingehend beeinflusst werden, ihr Vermögen in Grundvermögen anzulegen (vgl. Moench / Kien-Hümbert, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 32). Zum anderen soll „vor dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung des Jahres 2008 … das Familiengebrauchsvermögen krisenfest erhalten werden” (BT-Drucks. 16/11107, 10). Diese Vorstellungen des Reformgesetzgebers, die jedenfalls primär darauf abzielen, den Erhalt des Vermögensgegenstands „Immobilie” zu fördern (vgl. hierzu kritisch Steiner, ErbStB 2011, 350, 352, m.w.N.), sprechen eher dafür, die Steuerbefreiung auf den Erwerb des (Mit-) Eigentums an einem der genannten Grundstücke, also den Erwerb „des Familienheims selbst” (Jülicher in Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 68), zu beschränken. Untermauert wird diese Annahme zudem durch die Regelungen zur Weitergabeverpflichtung (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Sätze 2 und 3 ErbStG ), durch die sichergestellt werden soll, dass nur demjenigen die Begünstigung gewährt wird, der auch das Eigentum an dem Familienheim erhält (Moench / Kien-Hümbert, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 35). Demgegenüber lassen sich Anhaltspunkte für die mit der Klage vorgetragene Ansicht, dass der Gesetzgeber trotz des eindeutigen Normenwortlauts auch andere Rechtspositionen wie etwa dingliche und / oder schuldrechtliche Nutzungsrechte an einer potentiell begünstigten Immobilie in den Befreiungstatbestand einbeziehen wollte, weder den Materialien noch anderen über die Gesetzgebungsmotive Auskunft gebenden Unterlagen entnehmen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis fehlt es an „zweifelsfreien Hinweisen” (BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70 , BStBl II 1974, 295 , 297 ) für das Vorliegen einer – ggf. im Wege der Analogie zu schließenden – Regelungslücke. In diesen Fällen, in denen eine Regelung zwar möglicherweise verbesserungswürdig, aber eben nicht lückenhaft ist, scheidet eine Rechtsfortbildung aus, weil sich andernfalls das Gericht an die Stelle des Gesetzgebers setzen würde (BFH-Urteile vom 26. Juni 1986 IV R 151/84 , BStBl II 1986, 741 , 743 , und vom 16. Dezember 1987 I R 350/83, BStBl II 1988, 600 , 602 , sowie Klein / Gersch, AO , Kommentar, § 4 Rz. 36).

Ob der im Schrifttum vereinzelt geäußerten Kritik zuzustimmen ist, wonach es als „Webfehler” des Gesetzes anzusehen sei, dass engste Angehörige jeweils für sich von Todes wegen begünstigt erwerben können, wenn jeweils einer bzw. eine Gruppe Eigentümer des Objekts ist und es zugleich bewohnt, während es umgekehrt schädlich sein solle, wenn Eigentum und Nutzungsrecht gerade zwischen diesen beiden Personen (-gruppen) auseinanderfallen (so Jülicher in Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG , Kommentar, § 13 Rz. 68 a.E.), bedarf bei dieser Sachlage keiner abschließenden Klärung.

c) Entgegen der Ansicht der Klägerin begegnet die Beschränkung des in § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG normierten Befreiungstatbestands auf den Erwerb des Vollrechts (Eigentum oder Miteigentum) auch keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG ) gewährleistet das Erbrecht als Rechtsinstitut und als Individualrecht. Die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts lässt es gleichwohl zu, dass der Steuergesetzgeber eine Erbschaftsteuer (vgl. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG ) vorsieht, die den durch den Erbfall beim Erben anfallenden Vermögenszuwachs und die dadurch vermittelte finanzielle Leistungsfähigkeit belastet (vgl. BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 , BVerfGE 93, 165, 172 = BStBl II 1995, 671). Dabei eröffnet ihm die Befugnis nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG , Inhalt und Schranken des Erbrechts gesetzlich zu bestimmen, eine weitreichende Gestaltungsbefugnis. Die Erbrechtsgarantie gewährleistet nicht das unbedingte Recht, den gegebenen Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen (BVerfG in BVerfGE 93, 165, 174 = BStBl II 1995, 671 ff). Auch der Erbschaftsteuergesetzgeber ist jedoch an die Begrenzungen gebunden, die sich für die Regelungsbefugnis nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG – außer aus dem grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie selbst – z.B. aus dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG ) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG ) ergeben (BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 , BVerfGE 93, 165, 174 = BStBl II 1995, 671 , 674 ff). Danach ist eine an Ehe und Familie anknüpfende steuerrechtliche Benachteiligung grundsätzlich untersagt, und die familiären Bezüge der nächsten Angehörigen zum Nachlass sind erbschaftsteuerlich zu berücksichtigen (BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 , BVerfGE 93, 165, 174 ff = BStBl II 1995, 671 , 674 ff, sowie BVerfG-Beschluss vom 28. Oktober 1997 1 BvR 1644/94 , BVerfGE 1997, 1 ff , m.w.N.). Vor diesem Hintergrund leitet das BVerfG in ständiger Rechtsprechung aus dem Verwandtenerbrecht (Art. 6 Abs. 1 GG ) und der Erbrechtsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ) u.a. das Erfordernis her, den steuerlichen Zugriff bei (engen) Familienangehörigen, insbesondere bei Ehegatten und Kindern, derart zu mäßigen, dass diesen der jeweils überkommene Nachlass zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder – bei kleineren Vermögen – völlig steuerfrei zugute kommt (BFH-Beschluss vom 14. Juli 2011 II B 27/11 , BFH/NV 2011, 1881 , m.w.N. aus der BVerfG-Rspr., vgl. auch Meincke, ErbStG , Kommentar, 16. Auflage, § 15 Rz. 2 und § 16 Rz. 1 sowie Einführung Rz. 10). Insoweit sieht es das BVerfG als verfassungsrechtlich unverzichtbar an, die Belastung mit Erbschaftsteuer – wie in §§ 15 , 16 und 19 ErbStG geschehen – nach dem Grad der verwandtschaftlichen Beziehung abzustufen.

bb) Diese durch das Verwandtenerbrecht (Art. 6 Abs. 1 GG ) bedingten verfassungsrechtlichen Vorgaben werden durch den Umstand, dass die Steuervergünstigung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 b ErbStG tatbestandlich an den Erwerb des Eigentums oder Miteigentums an einem der gesetzlich näher bezeichneten Grundstücke anknüpft, nicht in Frage gestellt. Denn der Vergünstigungskatalog des § 13 ErbStG sieht – anders als die den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers Rechnung tragende Bestimmung des § 16 ErbStG – sachliche Befreiungen vor, die wegen des besonderen Gegenstands der Zuwendung oder sonstigen Vermögensanfalls aus in der Sache des Erwerbs liegenden Gründen gewährt werden (vgl. hierzu Meincke, ErbStG , Kommentar, 16. Auflage, § 13 Rz. 1 und § 16 Rz. 1).

Soweit das BVerfG in seiner zur Erbschaftsteuer ergangenen Entscheidung vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 (BVerfGE 93, 165 ff ) punktuell Bezug nimmt auf seinen die Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer betreffenden (und diese verneinenden) Beschluss 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121 = BStBl II 1995, 655) vom gleichen Tage, kann der erkennende Senat dahinstehen lassen, ob und inwieweit das BVerfG auch eine besondere erbschaftsteuerliche Begünstigung des sogenannten „Gebrauchsvermögens” verlangt hat (verneinend BFH-Beschluss vom 1. September 2004 II B 35/03 mit Anmerkung Steinhauff in jurisPR-SteuerR 26/2006). Selbst wenn es nämlich eine derartige Privilegierung für verfassungsrechtlich notwendig oder jedenfalls geboten hielte, wäre diesem Erfordernis durch die Befreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG genüge getan. Indem der Gesetzgeber die Gewährung der Steuervergünstigung davon abhängig gemacht hat, dass der Erwerber Eigentümer der Immobilie wird und diese außerdem selbst für eigene Wohnzwecke nutzt, also Eigentum und tatsächliche Nutzung in einer Person zusammenfallen, überschreitet er nicht die durch die Verfassung, insbesondere durch Art. 6 Abs. 1 GG , gezogenen Grenzen des durch Art. 14 Abs. 1 GG eröffneten Gestaltungsspielraums. In der Kommentarliteratur wird vielmehr umgekehrt diskutiert, ob die in der Gesetzesbegründung zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG angegebenen Verschonungsgründe überhaupt tragfähig sind in Anbetracht der Tatsache, dass dem Schutz des „Familienheims” als „Familiengebrauchsvermögen” bereits die mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz zum 1. Januar 2009 deutlich angehobenen persönlichen Freibeträge für Ehegatten, Kinder und Enkelkinder dienen (Viskorf in NWB-Kommentar zum ErbStG und BewG , § 13 ErbStG Rz. 49). Bei dieser Sachlage stellt sich daher nicht vorrangig die mit der Klage aufgeworfene Frage, ob der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG aus verfassungsrechtlichen Gründen erweiternd auszulegen ist, sondern es gilt primär zu klären, ob es einen tragfähigen Gemeinwohlgrund gibt, der es rechtfertigt, den Erwerb eines „Familienheims” gegenüber anderen Erwerbsgegenständen steuerlich zu begünstigen (so offenbar Viskorf in NWB-Kommentar zum ErbStG und BewG , § 13 ErbStG Rz. 49).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .

3. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, ob auch der Erwerb von Todes wegen eines bloßen Wohnrechts an einer nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG begünstigten Immobilie erbschaftsteuerbefreit ist.

Vorsteuer-Vergütungsverfahren

Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Absatz 9 UStG§§ 59 bis 62 UStDV); Gegenseitigkeit (§ 18 Absatz 9 Satz 4 UStG):

“Mit BMF-Schreiben vom 23. Juli 2010 -IV D 3 -S 7359/07/10009 (2010/0576107) (BStBl I S. 636) zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist je ein Verzeichnis der Drittstaaten, zu denen die Gegenseitigkeit im Sinne des § 18 Absatz 9 Satz 4 UStG besteht, und der Drittstaaten, zu denen die Gegenseitigkeit nicht gegeben ist, herausgegeben worden.

Hiermit werden die Verzeichnisse durch die beiliegenden, geänderten Verzeichnisse ersetzt. Ergänzungen und Änderungen sind durch Randstriche kenntlich gemacht. […]“

Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Absatz 9 UStG, §§ 59 bis 62 UStDV); Gegenseitigkeit (§ 18 Absatz 9 Satz 4 UStG) (PDF, 48,2 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

 

Vorsteuer-Vergütungsverfahren (§ 18 Absatz 9 UStG, §§ 59 bis 62 UStDV); Gegenseitigkeit (§ 18 Absatz 9 Satz 4 UStG)
BEZUG BMF-Schreiben vom 23. Juli 2010
– IV D 3 – S 7359/07/10009 (2010/0576107) ­
ANLAGEN 2
GZ IV D 3 – S 7359/07/10009
DOK 2013/0177515

Mit BMF-Schreiben vom 23. Juli 2010 -IV D 3 – S 7359/07/10009 (2010/0576107) ­
(BStBl I S. 636) zum Vorsteuer-Vergütungsverfahren ist je ein Verzeichnis der Drittstaaten, zu denen die Gegenseitigkeit im Sinne des § 18 Absatz 9 Satz 4 UStG besteht, und der Dritt­staaten, zu denen die Gegenseitigkeit nicht gegeben ist, herausgegeben worden. Hiermit werden die Verzeichnisse durch die beiliegenden, geänderten Verzeichnisse ersetzt.
Ergänzungen und Änderungen sind durch Randstriche kenntlich gemacht. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der
Länder wird darüber hinaus in Abschnitt 18.11 Absatz 4 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwen­dungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 864, der zuletzt durch das BMFSchreiben vom 22. Januar 2013 – IV D 2 – S 7244/07/10001-04 (2013/0035009), BStBl I S. xxxx, geändert worden ist, die Angabe „23. 7. 2010, BStBl I S. 636,“ durch die Angabe „22. 2. 2013, BStBl I S. xxx,“ ersetzt. Die Regelungen dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Verspätete Steuererklärung bei Rentnern: Zinserlass aus Billigkeitsgründen?

Rentner, aufgepasst!

Bund der Steuerzahler NRW rät: Antrag auf Erlass von Nachzahlungszinsen stellen: Viele Rentner werden von den Finanzämtern aufgefordert, ihre Steuererklärung für die vergangenen Jahre abzugeben. Die Betroffenen sind verunsichert und empört – besonders, wenn sie Nachzahlungszinsen zahlen sollen. Der Bund der Steuerzahler NRW rät, gegen den Steuerbescheid Einspruch einzulegen und zusätzlich den Erlass der Nachzahlungszinsen beim Finanzamt zu beantragen. Der Einspruch muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Steuerbescheides eingereicht werden. Der Bund der Steuerzahler NRW bietet entsprechende Musterschreiben an.

Düsseldorf. Ein Schreiben des Finanzamts sorgt derzeit bei vielen Rentnern in Nordrhein-Westfalen für große Verunsicherung. Sie werden aufgefordert, ihre Steuererklärung für das Jahr 2010 abzugeben. Zudem sollen sie prüfen, ob sie für die Jahre 2005 bis 2009 steuerpflichtig sind. Die Mehrheit der Senioren ist allerdings davon ausgegangen, dass sie von der Abgabe befreit sei. Hintergrund für das Schreiben des Finanzamts ist eine Neuregelung des Alterseinkünftegesetzes, wonach seit 1. Januar 2005 mehr Rentner und Pensionäre als zuvor verpflichtet sein können, eine Einkommensteuererklärung abzugeben. Die Finanzverwaltung brauchte mehrere Jahre, um die Rentenbezugsmitteilungen auszuwerten und wendet sich nun an die betroffenen Rentner.

Betroffen sind auch Rentner, die von ihren Finanzämtern zuvor die Auskunft bekommen hatten, nicht steuerpflichtig zu sein oder die sogar eine Nichtveranlagungs-Bescheinigung erhalten hatten. „Die Finanzämter haben sich sechs Jahre Zeit gelassen, die Rentner zu informieren. Ihnen jetzt Nachzahlungszinsen in Rechnung zu stellen, ist frech“, erklärt Katharina te Heesen, Rechtsanwältin beim BdSt NRW. Der Verband empfiehlt den Betroffenen, beim Finanzamt einen Einspruch gegen die Höhe der Nachzahlungszinsen innerhalb eines Monats nach Erhalt des Steuerbescheides einzulegen (Download Musterschreiben). Gleichzeitig sollten Rentner beantragen, dass ihnen die Nachzahlungszinsen im Wege der Billigkeit erlassen werden (Download Musterschreiben). Zusätzliche Informationen zu dem Thema finden Sie hier.

Der Bund der Steuerzahler NRW möchte zudem einen Musterprozess führen und sucht nach einem geeigneten Kläger. Rentner, die vom Finanzamt eine Nichtveranlagungs-Bescheinigung erhalten haben und nun trotzdem Nachzahlungszinsen zahlen müssen, können sich mit uns in Verbindung setzen! Vielen Dank für Ihre Hilfe!

OFD Koblenz weist auf drohende Verspätungszuschläge ab 2013 hin

Die rheinland-Pfälzischen Finanzämter bitten Unternehmen, der gesetzlichen Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung von Steuererklärungen mit Sicherheitszertifikat (Authentifizierung im ElsterOnline-Portal) bereits jetzt nachzukommen. Unternehmer müssen bereits jetzt schon neben den Lohnsteueranmeldungen auch ihre Umsatzsteuer-Voranmeldungen elektronisch ans Finanzamt übermitteln.

Diese elektronischen Erklärungen müssen laut Gesetz ab dem 1. Januar 2013 authentifiziert übermittelt werden, um größtmögliche Datensicherheit zu gewährleisten. Hierzu ist eine Registrierung im ElsterOnline-Portal unter www.elsteronline.de erforderlich. Übermittlungen ohne Registrierung sind ab dem 01. Januar 2013 nicht mehr möglich. Mit Hilfe des Sicherheitszertifikats lässt sich die Identität des Datenübermittlers eindeutig feststellen. Papierausdrucke und Unterschriften sind damit überflüssig. Diese papierlose Kommunikation bietet sowohl für die Finanzverwaltung als auch für die Unternehmen einen Vorteil und hilft beiden Seiten Zeit und Kosten zu sparen.

Von der Verpflichtung zur Übermittlung mit Sicherheitszertifikat sind daher auch schon die Steuer(vor)anmeldungen für den Dezember 2012 betroffen, da diese erst nach Ablauf des Monats und somit in 2013 zu übermitteln sind. Sollte die Registrierung bis dahin nicht erfolgt sein und die Steuer(vor)anmeldung aus diesem Grunde erst nach der gesetzlichen Abgabefrist dem Finanzamt übermittelt werden, so muss der Unternehmer mit der Festsetzung eines Verspätungszuschlags rechnen. Dieser kann bis zu 10 % der angemeldeten Steuer betragen.

Das erforderliche Zertifikat – in diesem Fall für Organisationen – gibt es kostenlos nach einer Registrierung unter: www.elsteronline.de. Es ist zu empfehlen, die Registrierung mit der Steuernummer des Unternehmens durchzuführen. Zur Vermeidung von Verspätungsschlägen sollte dies bereits jetzt erfolgen, da der Registrierungsvorgang bis zu 14 Tage dauern kann.

OFD Koblenz

Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer (FG)

Verspätungszuschlag:Festsetzung eines Verspätungszuschlags trotz Vorbringens einer Erkrankung

 Leitsatz

Trägt der Steuerpflichtige ohne zeitliche Eingrenzung vor, an der rechtzeitigen Abgabe der Einkommensteuererklärung durch Krankheit gehindert und zunächst verpflichtet gewesen zu sein, in seiner anwaltlichen Tätigkeit Fristsachen aufzuarbeiten, so ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags durch das Finanzamt nicht ermessensfehlerhaft.

 Gesetze

AO § 149
EStG § 25 Abs 3
AO § 152 Abs 1
Sätze 1 und 2
Verfahrensstand:  Diese Entscheidung ist rechtskräftig

 Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer für das Jahr 2009.

Die steuerlich beratenen Kläger sind Ehegatten und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte als ein an einer Anwaltssozietät beteiligter Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die Klägerin war nichtselbständig tätig.

Die Kläger hatten für das Streitjahr auch nach Ablauf der für steuerlich beratene Steuerpflichtige durch Allgemeinverfügung bis zum 31.12.2010 verlängerten Abgabefrist zunächst keine Einkommensteuererklärung eingereicht und wurden vom Beklagten daraufhin unter Fristsetzung bis zum 15.02.2011 an die Abgabe ihrer Steuererklärung erinnert.

Aus einer vom Beklagten vorgelegten Übersicht ist das steuerliche Abgabeverhalten der Kläger seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2008 wie folgt ersichtlich:

 

 Zeitraum  Frist  1. Erinnerung  2. Erinnerung  Eingang  Veranlagung
 2000  13.08.2001  09.08.2001  19.09.2001
 2001  29.07.2002  31.07.2002  16.01.2004
 2002  30.07.2003  06.08.2003  18.11.2003
 2003  19.08.2004  18.08.2004  02.09.2004
 2004  05.09.2005  12.09.2005  03.01.2006
 2005  24.08.2006  10.10.2006  06.07.2007
 2006  11.02.2008  20.11.2008  11.08.2010
 2007  16.03.2009  16.02.2009  09.03.2009  26.05.2009
 2008  31.10.2009  12.02.2010  13.04.2010  12.03.2010  05.10.2010

 

Für nähere Einzelheiten wird auf den in der Gerichtsakte befindlichen Auszug aus dem Veranlagungsspiegel des Beklagten Bezug genommen.

Mit einem beim Beklagten am 04.02.2011 eingegangenen Schreiben vom 05.02.2011 baten die Kläger um Fristverlängerung für die Abgabe ihrer Einkommensteuerklärung 2009 bis zum 15.03.2011. Zur Begründung führten sie an, dass der Kläger aufgrund einer Gürtelrose im Gesicht über mehrere Wochen nicht habe arbeiten können. Wegen eines stark erhöhten Arbeitsaufwandes habe er anschließend seine Fristen im Büro aufarbeiten müssen. Daher habe er erst im Anschluss daran die Unterlagen für die Einkommensteuererklärung vorbereiten können. Diese Unterlagen würden am 07.02.2011 an den Steuerberater weitergeleitet. Angaben zum Beginn und der Dauer der Erkrankung enthielt der Schriftsatz nicht. Für nähere Einzelheiten wird auf den in den Akten des Beklagten befindlichen Schriftsatz vom 05.02.2011 Bezug genommen.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Verfügung vom 09.02.2011 ab und wies dabei darauf hin, dass die Fristverlängerung nicht ausreichend begründet und nachgewiesen worden sei.

Die vom steuerlichen Berater angefertigte Einkommensteuererklärung ging dem Beklagten am 14.03.2011 zu. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer daraufhin mit Bescheid vom 15.07.2011 auf 32.391 Euro und gleichzeitig einen Verspätungszuschlag in Höhe von 480 Euro fest. Aufgrund einer geänderten Mitteilung über die Beteiligungseinkünfte des Klägers erhöhte der Beklagte die Einkommensteuer mit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändertem Steuerbescheid vom 22.07.2011 auf nunmehr 34.229 Euro. Der Verspätungszuschlag blieb in Höhe von 480 Euro bestehen.

Den gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags fristgerecht erhobenen Einspruch wies der Beklagte als unbegründet zurück und führte in seiner Einspruchsentscheidung aus, dass der Verspätungszuschlag sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht festgesetzt worden sei. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 149 Abs. 2 AO sei die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr grundsätzlich bis spätestens zum 31.05.2010 beim Finanzamt einzureichen. Diese allgemeine Frist sei für die steuerlich beratenen Kläger bis zum 31.12.2010 verlängert worden. Dennoch sei auch innerhalb der verlängerten Frist keine Steuerklärung eingegangen. Die von den Klägern mit Schreiben vom 05.02.2011 beantragte Fristverlängerung sei zu Recht abgelehnt worden. Zum Einen sei zu berücksichtigen, dass die Ehefrau im Rahmen einer Zusammenveranlagung ebenfalls verpflichtet sei, für eine fristgerechte Abgabe der Einkommensteuererklärung Sorge zu tragen. Vor diesem Hintergrund könne die Erkrankung des Ehemannes keine Fristverlängerung für beide Ehegatten begründen. Zum Anderen habe der Kläger selbst vorgetragen, dass er nach seiner Genesung zunächst seine beruflichen Pflichten – d.h. die Abarbeitung der in der Kanzlei aufgelaufenen Fristen – erledigt habe. Dieser Umstand zeige, dass der Kläger seinen Steuererklärungspflichten auch schon früher habe nachkommen können. Die Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung sei keine nachrangige Pflicht, die beliebig aufgeschoben werden könne. Sie sei vielmehr gleichrangig mit anderen Pflichten zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund sei die beantragte Fristverlängerung zu Recht abgelehnt worden. Die Ablehnung der Fristverlängerung sei – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – im Übrigen auch nicht angefochten worden.

Daher sei die Steuererklärung am 14.03.2011 verspätet eingegangen. Die Verspätung sei aus den oben genannten Gründen auch verschuldet. In diesem Zusammenhang sei unter anderem zu berücksichtigen, dass das Verschulden angesichts der bereits in den Vorjahren mehrfach verspätet eingereichten Steuererklärungen als erheblich anzusehen sei. Auch der Höhe nach sei der festgesetzte Verspätungszuschlag nicht zu beanstanden. Im Rahmen der nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO gebotenen Ermessensausübung sei berücksichtigt worden, dass der Zuschlag lediglich 1,4% der festgesetzten Steuer betrage und mit Blick auf die verspäteten Abgaben in den Vorjahren sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger ein „spürbarer Zuschlag” erforderlich sei, um die Kläger künftig zur fristgerechten Abgabe ihrer Steuererklärungen anzuhalten.

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter und machen geltend, dass die Festsetzung des Verspätungszuschlags zu Unrecht erfolgt sei. Die vom Kläger vorgetragene Erkrankung sei ein Fristverlängerungsgrund und vom Beklagten zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Die Klägerin habe die steuerlichen Pflichten nicht erfüllen können, da sie hierzu fachlich nicht in der Lage sei. Da der Kläger als Rechtsanwalt seine beruflichen Pflichten erfüllen müsse, um sein Einkommen zu erzielen, gingen diese Pflichten den steuerlichen Verpflichtungen vor. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Verzögerung – wie vorliegend – nur einen sehr kurzen Zeitraum umfasse. Die beantragte Fristverlängerung sei im Übrigen ohne ausreichende Begründung abgelehnt worden. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags setze eine individuelle Ermessensentscheidung des Beklagten voraus. Eine solche habe der Beklagte nicht vorgenommen, zumal er sich nicht mit den von den Klägern angeführten Gründen auseinander gesetzt, sondern lediglich pauschal seine Entscheidung gefällt habe. Ein Verspätungszuschlag mache zudem keinen Sinn, wenn die Steuererklärung beim Beklagten nicht zeitnah nach dem Erklärungseingang bearbeitet werde. Die Abgaben in den Vorjahren seien vom Beklagten nicht bemängelt worden und seien mit Blick auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung für das Streitjahr ohne Bedeutung. Der Verspätungszuschlag belaufe sich zudem auf rund 7% der noch nicht entrichteten Steuer. Insgesamt seien die Ausführungen des Beklagten über weite Strecken tatsächlich nicht nachvollziehbar bzw. auseinandersetzungsfähig und rechtlich abwegig.

Die Kläger beantragen,

die Festsetzung des Verspätungszuschlags mit Bescheid vom 22.07.2011 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass auch die Klägerin – die im Übrigen selbst eigene Einkünfte erzielt habe – zur Abgabe der Einkommensteuererklärung verpflichtet sei. Ob jemand fachlich in der Lage sei, eine Steuererklärung abzugeben, sei für die aus § 25 Abs. 3 EStG in Verbindung mit § 149 Abs. 2 AO folgende Verpflichtung unmaßgeblich. Im Rahmen des Verschuldens sei unter anderem auch das Abgabeverhalten in den Vorjahren zu berücksichtigen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die verspäteten Abgaben in den Vorjahren seinerzeit beanstandet worden seien. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass für die Festsetzung des Verspätungszuschlags die „festgesetzte Steuer” und nicht die „noch nicht entrichtete Steuer” maßgeblich sei.

 Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

1.

Gemäß § 152 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO kann die Finanzbehörde gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht fristgerecht nachkommt, einen Verspätungszuschlag festsetzen, es sei denn, die Versäumnis erscheint entschuldbar. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden nach § 152 Abs. 1 Satz 3 AO gleich. Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags enthält dem Grunde und der Höhe nach eine Ermessensentscheidung, bei der gemäß § 5 AO das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten sind. Ein Verwaltungsakt, durch den ein Verspätungszuschlag festgesetzt wurde, darf von den Finanzgerichten nach § 102 FGO nur daraufhin überprüft werden, ob er rechtswidrig ist, weil die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei darf das Gericht die maßgeblichen Verwaltungserwägungen nicht durch eigene Erwägungen ersetzen. Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter und ist ein Druckmittel eigener Art, das auf die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts zugeschnitten ist. Gemäß § 152 Abs. 2 Satz 2 AO sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile, sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Diese Kriterien zeigen, dass der Verspätungszuschlag eine doppelte Funktion hat – die in die Zukunft gerichtete Prävention und die repressive Sanktion einer Pflichtverletzung (vgl. dazu insgesamt nur BFH-Urteile vom 29.03.2007 IX R 9/05 BFH/NV 2007, 1617 und vom 10.10.2001 XI R 41/00, BFHE 196, 408 ; BStBl. II 2002, 124 m.w.N.).

2.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze, die sich der Senat zu eigen macht, ist die Festsetzung des Verspätungszuschlags durch den Beklagten nicht zu beanstanden.

Der Beklagte war nach § 152 Abs. 1 Satz 1 AO berechtigt, gegen die Kläger einen Verspätungszuschlag festzusetzen, weil sie ihrer aus § 149 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 25 Abs. 3 EStG folgenden Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr nicht fristgerecht nachgekommen sind. Die Kläger haben ihre Steuererklärung erst am 14.03.2011 beim Beklagten eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt war die durch Allgemeinverfügung bis zum 31.12.2010 verlängerte Abgabefrist bereits verstrichen. Die von den Klägern mit Schreiben vom 05.02.2011 beantragte Fristverlängerung hatte der Beklagte zuvor abgelehnt.

Der Beklagte musste auch nicht nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO von der Festsetzung des Verspätungszuschlags absehen. Denn die Versäumnis der Kläger war nicht entschuldbar. Insbesondere kann der vorgetragene Grund, dem Kläger sei die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten wegen seiner Erkrankung nicht möglich gewesen, die verspätete Abgabe der Steuererklärung nicht rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Erkrankungen von Familienangehörigen eine Fristversäumnis nur in Ausnahmefällen rechtfertigen können (vgl. etwa BFH-Urteil vom 29.03.2007 IX R 9/05 , BFH/NV 2007, 1617 m.w.N.) und ein derartiger Ausnahmefall – etwa die plötzliche Erkrankung am Ende der bereits am 31.12.2010 ablaufenden Frist – weder von den Klägern vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Zur Vermeidung eines Verspätungszuschlags hat der Steuerpflichtige die nicht aus den Akten ersichtlichen Gründe darzulegen, aus denen sich im Einzelnen ergibt, dass das Versäumnis entschuldbar erscheint (vgl. nur BFH-Urteil vom 05.06.2002 X R 40/01 , BFH/NV 2002, 1419 ). Der bloße Hinweis auf die Erkrankung des Klägers ohne deren nähere zeitliche Eingrenzung genügt in einem solchen Fall nicht. Denn für den Beklagten ist hierdurch nicht ersichtlich gewesen, dass die von den Klägern zum 31.12.2010 versäumte Frist als entschuldbar erscheinen müsste. Dies wurde auch in der Verfügung des Beklagten vom 09.02.2011 deutlich, mit der die Fristverlängerung mangels ausreichender Begründung und ausreichender Nachweise abgelehnt wurde. Der Kläger wies in seinem Fristverlängerungsantrag vom 05.02.2011 zudem sogar ausdrücklich darauf hin, dass er nach seiner Erkrankung zunächst seine Fristen im Büro aufgearbeitet habe. Dieser Umstand verdeutlicht, dass der Kläger seine steuerlichen Verpflichtungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte erfüllen können, zumal die steuerlichen Pflichten den sonstigen (beruflichen) Pflichten im Rang nicht nachstehen.

Der Beklagte hat schließlich auch hinsichtlich der Höhe des festgesetzten Verspätungszuschlags sowohl den Zweck der Ermächtigung zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen als auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet. Die Kriterien, die hierfür entscheidend waren, sind in der Einspruchsentscheidung dargelegt worden.

Der Beklagte durfte insbesondere mit Blick auf den in der Einspruchsentscheidung erläuterten Zweck des Verspätungszuschlags erschwerend die teilweise sogar nicht unerheblich verspätete Abgabe der Einkommensteuererklärungen in den Vorjahren berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 28.08.1987 III R 230/83 , BFHE 151, 3 ; BStBl. II 1987, 836 m.w.N. und BFH-Beschluss vom 23.06.2008 IV B 106/07 , BFH/NV 2008, 1642 ). Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist auch bei erstmaliger Fristüberschreitung nicht ermessensfehlerhaft (vgl. nur BFH-Urteil vom 29.03.2007 IX R 9/05 , BFH/NV 2007, 1617 m.w.N.). Da die wiederholten Verspätungen bei der Abgabe der Steuererklärungen für eine Pflichtvergessenheit sprechen, das Verschulden zu den vom Finanzamt nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigenden Kriterien gehört und mit dem Grad des Verschuldens auch der von der Finanzverwaltung durch die Höhe des Verspätungszuschlags entgegenzusetzende Druck wachsen darf (vgl. dazu nur BFH-Beschluss vom 23.06.2008 IV B 106/07 , BFH/NV 2008, 1642 und BFH-Urteil vom 29.03.2007 IX R 9/05 , BFH/NV 2007, 1617 m.w.N.), konnte der Beklagte diesem Umstand zudem eine wesentlich höhere Bedeutung zumessen als den übrigen nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO zu berücksichtigenden Kriterien.

Der Beklagte hat bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger berücksichtigt und den Verspätungszuschlag auf rund 1,4% der festgesetzten Steuer festgesetzt. Damit hat sich der Beklagte am unteren Rand eines zulässigen Verspätungszuschlags bewegt. Anhaltspunkte dafür, dass hierdurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger insgesamt beeinträchtigt würde und daher eine geringere Festsetzung geboten wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Einwand der Kläger, dass der Zuschlag rund 7% der noch nicht entrichteten Steuer (Abschlusszahlung) betrage, greift mit Blick auf die nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut (vgl. § 152 Abs. 2 Satz 1 AO ) alleine maßgebliche „festgesetzte” Steuer, nicht durch.

Darüber hinaus können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Einkommensteuererklärung beim Beklagten nach ihrer Abgabe nicht zeitnah bearbeitet worden sei. Denn die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist ein Druckmittel, das den Steuerpflichtigen zur fristgerechten Abgabe der Erklärung anhalten soll. Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung ist gesetzlich vorgeschrieben und gilt im Interesse der Gleichbehandlung für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen. Ob der Beklagte die Erklärung im konkreten Fall sofort auswertet, ist hingegen eine verwaltungsinterne Angelegenheit, bei der die Organisation des Arbeitsablaufs, die Personalausstattung und die aktuelle Arbeitsbelastung von Bedeutung sind. Die fristgerechte Abgabe der Steuererklärung ist Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Abwicklung des Veranlagungsgeschäfts; die Pflicht zur fristgerechten Abgabe besteht daher auch dann, wenn die Verwaltung aus innerdienstlichen Gründen gehindert ist oder es für nicht zweckmäßig hält, die konkret eingereichte Erklärung alsbald nach ihrem Eingang zu bearbeiten; der Steuerpflichtige hat kein an den Bearbeitungsstand des Beklagten gekoppeltes Recht zur Nichtabgabe der Steuererklärung (vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 10.10.2001 XI R 41/00 , BFHE 196, 408 ; BStBl. II 2002, 124).

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

EuGH: Einem Unternehmen, das Waren mit Bestimmungsort in einem anderen Mitgliedstaat verkauft hat, kann die Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden, wenn es nicht nachgewiesen hat, dass es sich dabei um ein innergemeinschaftliches Geschäft handelte

EuGH-Urteil vom 06.09.2012 – C-273/11 Mecsek-Gabona

Pressemeldung Nr. 111/12 des Europäischen Gerichtshofs (EuGH):

“Hat das Unternehmen diesen Nachweis hingegen erbracht und in gutem Glauben gehandelt, darf ihm die Mehrwertsteuerbefreiung nicht mit der Begründung versagt werden, der Käufer habe die Waren nicht an einen Ort außerhalb des Versandstaats befördert

Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie1 wird die in einem Mitgliedstaat erfolgte Veräußerung von Waren, die für einen Käufer, der selbst in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ausgangspunkt der Versendung oder Beförderung der Gegenstände steuerpflichtig ist, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert werden, im erstgenannten Mitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreit. In einem solchen Fall ist es der Käufer, der die Mehrwertsteuer im Bestimmungsland der Waren abführen muss.

Mecsek-Gabona ist eine ungarische Gesellschaft, zu deren Kerngeschäft der Großhandel mit Getreide, Tabak, Saatgut und Futtermitteln gehört. Im August 2009 verkaufte sie an eine italienische Gesellschaft – die zu diesem Zeitpunkt über eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer verfügte – 1000 Tonnen Raps, der laut Kaufvertrag von der Käuferin in einen anderen Mitgliedstaat zu befördern war. Die Ware wurde der Käuferin auf dem Betriebsgelände von Mecsek-Gabona in Ungarn übergeben, und die italienische Gesellschaft übersandte der Verkäuferin von einer italienischen Postanschrift aus mehrere CMR-Frachtbriefe2, die belegten, dass der Raps an einen Ort außerhalb Ungarns befördert worden war.

Für dieses Geschäft stellte Mecsek-Gabona zwei Rechnungen aus. In der Annahme, es handele sich um einen in Ungarn von der Mehrwertsteuer befreiten innergemeinschaftlichen Umsatz stellte sie der Käuferin die Mehrwertsteuer nicht in Rechnung und führte sie nicht an die ungarische Steuerverwaltung ab.

Die italienische Steuerverwaltung stellte jedoch fest, dass die Käuferin unauffindbar war und in Italien nie Mehrwertsteuer abgeführt hatte. Deshalb wurde die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer dieser Gesellschaft im Januar 2010 rückwirkend zum 17. April 2009 in dem Register gelöscht. Unter diesen Umständen ging die ungarische Steuerverwaltung davon aus, dass der von Mecsek-Gabona verkaufte Raps nie in einen anderen Mitgliedstaat befördert worden sei und das fragliche Geschäft keine mehrwertsteuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen darstelle. Sie zog Mecsek-Gabona daher zur Entrichtung der Mehrwertsteuer für dieses Geschäft heran und verhängte eine Geldbuße und einen Verspätungszuschlag gegen sie.

Mecsek-Gabona ging gegen diese Argumentation vor dem Baranya Megyei Bíróság (Komitatsgericht Baranya, Ungarn) vor. Dieser ersucht den Gerichtshof um Klärung, welche Beweise hinreichend sind, um das Vorliegen einer mehrwertsteuerbefreiten Lieferung von Gegenständen nachzuweisen. Er möchte auch wissen, in welchem Ausmaß der Verkäufer, wenn er die Beförderung nicht selbst übernimmt, für das rechtswidrige Handeln des Käufers verantwortlich gemacht werden kann, wenn nicht nachgewiesen ist, dass die verkauften Waren im Bestimmungsmitgliedstaat angekommen sind.

In seinem Urteil vom heutigen Tag ruft der Gerichtshof zunächst die drei Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands in Erinnerung. Erstens muss das Eigentumsrecht an dem Gegenstand auf den Käufer übertragen worden sein. Zweitens muss der Verkäufer nachweisen, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist. Drittens muss der Gegenstand den Versandmitgliedstaat aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung physisch verlassen haben.

Da im vorliegenden Fall die erste Voraussetzung erfüllt ist, prüft der Gerichtshof die Pflichten des Verkäufers in Bezug auf den Nachweis des Versands oder der Beförderung von Gegenständen in einen anderen Mitgliedstaat. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass in Ermangelung einer konkreten Bestimmung in der Mehrwertsteuerrichtlinie, welche Beweise das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung belegen können, die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, dies festzulegen, wobei sie die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben. Die Nachweispflichten sind daher nach nationalem Recht und der für ähnliche Geschäfte üblichen Praxis zu bestimmen. Ein Mitgliedstaat kann vom Steuerpflichtigen jedoch nicht verlangen, den zwingenden Nachweis dafür zu erbringen, dass die Ware diesen Mitgliedstaat physisch verlassen hat.

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit einer innergemeinschaftlichen Lieferung gestattet, dem Verkäufer einen Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen, wenn er seinen Nachweispflichten nicht nachkommt.

Im vorliegenden Fall hat das ungarische Gericht zu prüfen, ob Mecsek-Gabona den Nachweispflichten nachgekommen ist, die ihr nach ungarischem Recht und der üblichen Praxis oblagen.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Nachweis, den der Verkäufer gegenüber den Steuerbehörden führen kann, wenn der Käufer im Versandmitgliedstaat die Befähigung hat, über den betreffenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, und sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern, wesentlich von den Angaben abhängt, die er zu diesem Zweck vom Käufer erhält. Unter diesen Umständen stellt der Gerichtshof fest, dass der Verkäufer, wenn er seinen Nachweispflichten nach nationalem Recht und der gängigen Praxis nachgekommen ist, nicht im Liefermitgliedstaat zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann, wenn der Käufer seine vertragliche Verpflichtung, diese Gegenstände an Orte außerhalb dieses Staates zu versenden oder zu befördern, nicht erfüllt hat. Unter solchen Umständen ist es nämlich der Käufer, der im Liefermitgliedstaat zur Mehrwertsteuer heranzuziehen ist.

Jedoch kann dem Verkäufer die Mehrwertsteuerbefreiung für ein innergemeinschaftliches Geschäft nicht gewährt werden, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass dieses Geschäft mit einer Steuerhinterziehung des Käufers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass Mecsek-Gabona der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht allein deshalb versagt werden kann, weil die italienische Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Käufers rückwirkend im Steuerpflichtigen-Register gelöscht wurde. Unregelmäßigkeiten des Registers, dessen Verwaltung den nationalen Behörden obliegt, können nämlich nicht zu Lasten eines Steuerpflichtigen gehen, der sich auf die Angaben in diesem Register gestützt hat.”

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

  1. Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/88/EU des Rates vom 7. Dezember 2010 (ABl. L 326, S. 1) geänderten Fassung.
  2. Beförderungsdokumente, die auf der Grundlage des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr ausgestellt werden.

Verspätungszuschlag: So lässt er sich vermeiden

Festsetzung von Verspätungszuschlägen

Bayerisches Landesamt für Steuern v. 22.09.2006 – S 0323 – 7 St 41M

1. Zweck des Verspätungszuschlags

Der Verspätungszuschlag ist ein auf die speziellen Erfordernisse des Steuerrechts zugeschnittenes Druckmittel zur fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen bzw. der Steueranmeldungen, durch das dem FA die Möglichkeit gegeben wird, in einem ordnungsgemäßen und planvollen Verfahren die rechtzeitige Festsetzung der Steuer vorzunehmen und die Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Es soll auch bewirkt werden, dass der Steuerpflichtige in Zukunft die Steuererklärungen/Steueranmeldungen fristgerecht abgibt.

2. Tatbestandliche Voraussetzungen

Vor der Festsetzung eines Verspätungszuschlags müssen zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen geprüft werden:

  • Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung (Tz. 2.1)
  • Fristüberschreitung (Tz. 2.2)
  • Schuldhaftes Versäumnis (Tz. 2.3)

Erst dann schließen sich folgende Ermessensüberlegungen an:

  • Soll überhaupt ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden?
  • Wenn ja, in welcher Höhe?

2.1. Erklärungspflicht

Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ergibt sich aus § 149 Abs. 1 Satz 1 AO in Verbindung mit den Einzelsteuergesetzen. Eine Erklärung hat auch abzugeben, wer hierzu vom FA aufgefordert wird ( § 149 Abs. 1 Satz 2 AO) . Wer hiernach verpflichtet ist, kommt als Adressat eines Verspätungszuschlags in Betracht, wenn er die Erklärungspflicht nicht (fristgerecht) erfüllt. Einzelheiten hierzu unter Tz. 5.

2.2. Verspätete Abgabe/Nichtabgabe

2.2.1. Abgabefrist

Die Abgabefrist für Jahreserklärungen ergibt sich aus § 149 Abs. 2 AO . Danach endet sie am 31. Mai des Folgejahres. Verwaltungsregelungen ergänzen die Gesetzesvorschrift und führen zu einer großzügigeren Fristenhandhabung für die beratenen Fälle (vgl. hierzu AO -Kartei, Karte 1 zu § 149 AO) .

2.2.1.1. Verlängerungsanträge

Häufig wird stillschweigende Fristverlängerung beantragt. Das Schweigen des FA gilt hier nach der Verwaltungsübung als Stattgabe. Das FA muss sich daher klar äußern und dies festhalten, wenn es dem Antrag nicht entsprechen will. Dies gilt auch für Wiederholungs- oder Anschlussanträge.

Beispiel:

Ein Steuerberater beantragt für die Abgabe der ESt-Erklärung für 01 Fristverlängerung bis 31.3.03. Das FA gewährt schriftlich Fristverlängerung nur bis 28.2.03.

Am 25.2.03 geht ein neuer Fristverlängerungsantrag ein, mit dem stillschweigende Fristverlängerung bis 31.3.03 gewünscht wird. Das FA äußert sich nicht. Hier ist von einer stillschweigenden Fristverlängerung bis 31.3.03 auszugehen. Will das FA dieses Ergebnis vermeiden, muss es den zweiten Antrag sofort ablehnen. Es empfiehlt sich in solchen Fällen, bereits bei der ersten Fristgewährung darauf hinzuweisen, dass weiteren Anträgen nicht mehr entsprochen wird.

2.2.1.2. Verspätete Verlängerungsanträge

Werden verspätet gestellte Fristverlängerungsanträge positiv entschieden, so ist von einer rückwirkenden Fristverlängerung ( § 109 Abs. 1 Satz 2 AO) auszugehen, die einen Verspätungszuschlag ausschließt. Auch hier kann Schweigen des FA als Zustimmung verstanden werden, wenn sich das FA nicht schon vorher eindeutig geäußert hat.

2.2.1.3. Nachfrist

Lehnt das FA eine Fristverlängerung ab, ist es in der Regel zweckmäßig, eine Nachfrist von zwei Wochen zu setzen, bei deren Einhaltung auf die Festsetzung eines Verspätungszuschlags verzichtet wird. Die Nachfrist stellt jedoch keine Verlängerung der Erklärungsfrist dar, wenn für den Steuerpflichtigen eindeutig erkenn- und bestimmbar ist, was gewollt ist.

Wurde aber bereits Anschlussverlängerung beantragt oder von vornherein deutlich gemacht, dass eine Fristverlängerung ausscheidet, oder hält das FA aus anderen Gründen eine sanktionslose Nachfrist für unangebracht, sollte es dies klar äußern.

2.2.2. Verspätung

Wird eine bewilligte Abgabefrist nicht ungebührlich überschritten (nicht mehr als zwei Wochen), soll großzügig verfahren werden. Bei Eingang der Steuererklärungen nach dem 28.2./29.2 des übernächsten Jahres ist nur dann kulant zu verfahren, wenn die Frist nicht mehr als zwei Wochen überschritten wird.

2.2.3. Nichtabgabe

Wird eine lückenhafte Erklärung abgegeben, muss nach den Einzelumständen entschieden werden, ob dies mit der Nichtabgabe der Steuererklärung gleichzusetzen ist. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Angaben in der Steuererklärung ausreichen, um ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen ( BFH-Urteil vom 6.11.1969 IV 249/64 , BStBl 1970 II S. 168). „Nur die Einreichung einer völlig unzureichenden Steuererklärung könnte der Nichteinreichung der Steuererklärung gleichstehen” (BFH a.a.O.). Eine „vorläufige” Erklärung steht nicht von vornherein einer Nichtabgabe gleich. Enthält sie allerdings nur geschätzte Zahlen oder weist sie in mehreren wesentlichen Punkten Lücken auf, ist von einer Nichtabgabe auszugehen. Die fehlende Unterschrift ist kein so schwerwiegender Mangel, dass eine Nichtabgabe anzunehmen wäre. Dies gilt zumindest dann, wenn die Unterschrift zeitnah nachgeholt wird.

2.3. Kein Verspätungszuschlag bei schuldlosem Versäumnis

Ein Verspätungszuschlag scheidet aus, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 S. 2  AO ). Es kommt auf die individuelle, nach den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen zu verlangende Sorgfalt an. Das Verschulden des steuerlichen Vertreters ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen (§ 152 Abs. 1 S. 3  AO ). Im Regelfall genügt es, wenn der Steuerbürger die Entschuldigungsgründe glaubhaft macht. Einzelne denkbare Entschuldigungsgründe (keine abschließende Aufzählung) sind:

  • Schwere Erkrankung
  • Hohes Alter
  • Schwerer Unglücksfall.

Keine Entschuldigungsgründe sind:

  • Arbeitsüberlastung des SteuerpflichtigenDiesem muss zugemutet werden, private (auch berufliche) Interessen zurückzustellen, wenn es darum geht, öffentlich-rechtliche Pflichten dem Staat gegenüber zu erfüllen ( BFH-Urteil vom 3.8.1961 IV 96/59 U , BStBl 1961 III S. 542).
  • Arbeitsüberlastung des steuerlichen VertretersDieses Vorbringen kann nach ständiger Rechtssprechung (vgl. BFH-Urteil vom 21.5.1987 IV R 134/83 , BStBl 1987 II S. 764) ebenfalls nicht als Entschuldigungsgrund gewertet werden.Der allgemeinen Arbeitsüberlastung der Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die auf Personalmangel, Urlaub und Krankheit von Mitarbeitern, Abwesenheit wegen Geschäftsreisen und Fortbildungsveranstaltungen usw. zurückzuführen ist, wird mit den allgemeinen Regelungen zur Fristverlängerung in den jährlichen gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder (vgl. AIS: AO/Abgabe von Steuererklärungen) hinreichend Rechnung getragen. Grundsätzlich ist ein Steuerberater, der zur fristgemäßen Erledigung erteilter Aufträge außerstande ist, verpflichtet, durch Einstellung zusätzlicher Kräfte, Ablehnung neuer oder Rückgabe vorhandener Mandate Abhilfe zu schaffen (FG Niedersachsen VI 245/77, EFG 1978 S. 416). Arbeitsüberlastung des steuerlichen Beraters kann die verspätete Abgabe der Steuererklärung daher allenfalls dann entschuldigen, wenn sie durch außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände verursacht worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 25.1.1962 IV 161/60 , HFR 1963 S. 29).
  • anstehende oder laufende Außenprüfung bzw. anhängiges Einspruchs- oder Klageverfahren betreffend vorangegangene Besteuerungszeiträume.

Das Versäumnis ist regelmäßig dann nicht entschuldbar, wenn die Steuererklärung wiederholt nicht oder wiederholt nicht fristgemäß abgegeben wurde oder eine vom FA antragsgemäß bewilligte Fristverlängerung ( § 109 AO) nicht eingehalten wurde ( AEAO zu § 152 , Nr. 2).

3. Ermessensausübung

Spätestens in der Einspruchsentscheidung sind sämtliche Ermessenserwägungen darzustellen.

3.1. Festsetzung dem Grunde nach

Liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vor, ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlag dem Grunde nach regelmäßig gerechtfertigt (vgl. auch Tz. 1). Dabei ist auch der Präventivzweck des Verspätungszuschlags, den Steuerpflichtigen zur künftigen fristgerechten Abgabe der Steuererklärungen anzuhalten, zu beachten. Es ist deshalb grundsätzlich auch dann ermessengerecht, einen Verspätungszuschlag festzusetzen, wenn das FA die verspätet abgegebene Steuererklärung wegen Arbeitsüberlastung nicht alsbald nach Eingang bearbeitet hat (vgl. BFH-Urteil vom 19.6.2001 X R 83/98 , BStBl 2001 II S. 618 und vom 26.9.2001 IV R 29/00 , BStBl 2002 II S. 120).

3.1.1. Festsetzung dem Grunde nach bei Jahreserklärungen

Von einem Verspätungszuschlag ist abzusehen, wenn es sich um das erstmalige Versäumnis handelt und nicht besondere Umstände (z. B. besonders lange Verspätung oder sehr hohe Nachzahlung) einen Verspätungszuschlag erfordern.

Würde der nach den Grundsätzen der Tz. 3.2 zu bemessende Verspätungszuschlag weniger als 25 € betragen, soll die Festsetzung unterbleiben, da mit einem solchen Verspätungszuschlag keine Verbesserung des Abgabeverhaltens erreicht werden kann.

Führt die Steuerfestsetzung nach Anrechnung von vorausgezahlter Steuer bzw. Steueranmeldungsbeträgen zu einem Guthaben, wird dadurch der Verspätungszuschlag nicht ausgeschlossen, er wird allenfalls in seiner Höhe beeinflusst. Dies ergibt sich aus § 152 Abs. 2 Satz 2 AO . In dieser Vorschrift sind der wirtschaftliche Vorteil bzw. die Höhe der Abschlusszahlung nur als zwei von mehreren Ermessenskriterien aufgeführt (vgl. Tz. 3.2). In diesen Fällen wird ein Verspätungszuschlag, der im Rahmen einer Veranlagung festgesetzt wird, maschinell auf 150 € beschränkt. Ein Prüfhinweis wird nicht ausgegeben. In Erstattungsfällen bleibt der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag auch dann unverändert, wenn die Änderung/Berichtigung nunmehr zu einer Nachzahlung führt. Sollte im Erstattungsfall nach Abwägung sämtlicher Ermessenskriterien die Festsetzung eines höheren Verspätungszuschlags in Betracht kommen, so ist er gesondert festzusetzen (Kz. 84.10 Wert 70). In diesem Verfahren ist keine maschinelle Beschränkung vorgesehen.

3.1.2. Festsetzung dem Grunde nach bei Steueranmeldungen

Die verspätete Abgabe wiegt bei Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Lohnsteueranmeldungen besonders schwer, weil die zeitnahe und rationelle Abwicklung des Voranmeldungsverfahrens durch wiederholte Verspätungen nachhaltig gestört wird. Auch bei Steueranmeldungen ist grundsätzlich von Verspätungszuschlägen abzusehen, wenn es sich um das erstmalige Versäumnis handelt. Jedoch können bei Steueranmeldungen im Gegensatz zu Jahreserklärungen auch Verspätungszuschläge unter 25 € sinnvoll sein.

Im maschinellen Verfahren wird der Verspätungszuschlag auf 10 v.H. der festgesetzten Steuer und auf höchstens 5.000 € bzw. 25.000 € begrenzt. Beträge unter 10 € werden weder vorgeschlagen noch festgesetzt. Auf Teil 19 „Berechnung des Verspätungszuschlags” der AL – UStVA bzw. der AL – LStA wird hingewiesen.

Wegen verspäteter Abgabe der Anmeldung zur Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 7.7.2005 V R 63/03 , BStBl 2005 II S. 813).

3.2. Festsetzung der Höhe nach

Entsprechend dem Zweck des Verspätungszuschlags (vgl. Tz. 1) ist dieser innerhalb der gesetzlichen Höchstgrenzen (vgl. Tz. 3.2.3) so zu bemessen, dass der Steuerpflichtige zu einer rechtzeitigen Abgabe seiner Steuererklärungen angehalten wird. Dabei ist das Gesamtverhalten des Steuerpflichtigen – einschließlich etwaiger Fristüberschreitungen in den Vorjahren – zu berücksichtigen ( BFH-Urteil vom 9.4.1987 IV R 8/85 , BFH/NV 1989 S. 1). In Fällen wiederholter Fristversäumnis, in denen bereits ein Verspätungszuschlag festgesetzt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag nicht hoch genug war, um wirksamen Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben. Bei jahrelanger unentschuldigter Abgabe mit erheblicher Verspätung bzw. Nichtabgabe kann dem entsprechend der Verspätungszuschlag auch mit dem zulässigen Höchstbetrag festgesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 14.6.2000 X R 56/98 , BStBl 2001 II S. 60). Zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen über 5000 € vgl. aber Tz. 3.2.3.4.

3.2.1. Ermessenskriterien nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO

Bei der Bemessung der Höhe des Verspätungszuschlags hat das FA neben dem Zweck des Zuschlags sämtliche in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO aufgeführten Ermessenskriterien zu berücksichtigen. Diese Kriterien sind grundsätzlich gleichwertig. Dabei kann jedoch nach den Umständen des Einzelfalls ein Merkmal stärker als ein anderes hervortreten (vgl. BFH-Urteil vom 18.08.1988 V R 19/83 , BStBl 1988 II S. 929).

3.2.1.1. Dauer der Fristüberschreitung

Je länger die Frist überschritten wird, desto nachteiliger sind die Folgen für den Fortgang des Veranlagungsverfahrens. Bei einer erheblichen Fristüberschreitung ist der Verspätungszuschlag deshalb höher festzusetzen, als dies im Hinblick auf die übrigen Ermessenskriterien erforderlich wäre.

3.2.1.2. Höhe des Zahlungsanspruchs

Unter dem sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruch ist die Abschlusszahlung, also die festgesetzte Steuer abzüglich der Steuerabzugsbeträge und der geleisteten Vorauszahlungen, zu verstehen.

In Steuererstattungsfällen und bei Abschlusszahlungen geringer Höhe ist abzuwägen, welches Gewicht der verspäteten Abgabe der Steuererklärung noch zukommt, insbesondere, ob und inwieweit der geregelte Ablauf des Veranlagungsverfahrens beeinträchtigt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 8.12.1988 V R 169/83 , BStBl 1989 II S. 231).

Wird ein Verspätungszuschlag festgesetzt, ist spätestens in der Einspruchsentscheidung darauf hinzuweisen, dass mit dem Verspätungszuschlag auch auf eine pünktliche Erklärungsabgabe in der Zukunft hingewirkt werden soll und zwar unabhängig davon, ob sich eine Steuernachzahlung oder -erstattung ergibt ( BFH-Urteil vom 26.4.1989 I R 10/85 , BStBl 1989 II S. 693).

3.2.1.3. Aus der Verspätung gezogene Vorteile

Hat der Steuerpflichtige aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung wirtschaftliche Vorteile erlangt, so sind bei Bemessung des Verspätungszuschlags zunächst diese Vorteile abzuschöpfen. Zusätzlich ist ein „Druckzuschlag” festzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 30.4.1987 IV R 42/85 , BStBl 1987 II S. 543).

Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist nur dann ermessensfehlerfrei, wenn die Behörde spätestens in der Einspruchsentscheidung von zutreffenden Annahmen über die Höhe des abzuschöpfenden Zinsvorteils ausgeht ( BFH-Urteil vom 11.6.1997 X R 14/95 , BStBl 1997 II S. 642). Dem entsprechend sind in jeder Einspruchsentscheidung Ausführungen über die Höhe des abzuschöpfenden Zinsvorteils zu machen, soweit der Steuerpflichtige aus der verspäteten Abgabe der Erklärung Vorteile erlangt hat (vgl. BFH-Urteil vom 14.6.2000 X R 56/98 , BStBl 2001 II S. 60).

Während des Verzinsungszeitraums des § 233a Abs. 2 AO werden die aus der verspäteten Abgabe der Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- oder Gewerbesteuererklärung gezogenen Vorteile durch die Verzinsung ausgeglichen. Im Übrigen ist der bei Berechnung des Zinsvorteils anzusetzende Zinssatz anhand der Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls zu ermitteln. Aus Vereinfachungsgründen kann regelmäßig ein Zinssatz von 0,5 v.H. für jeden vollen Monat der Fristversäumnis zugrundegelegt werden. Der Ansatz eines geringeren Zinsvorteils setzt voraus, dass der Steuerpflichtige hierzu geeignete Nachweise vorlegt.

3.2.1.4. Verschulden

Bei der Beurteilung der Gewichtigkeit des Verschuldens ist zu beachten, inwieweit der Erklärungspflichtige (gegebenenfalls auch sein steuerlicher Berater) die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat und ob es sich um leichtfertige oder vorsätzliche Fristversäumnis handelt. In den Fällen, in denen es sich um eine wiederholte Versäumnis handelt oder Zwangsgelder angedroht und festgesetzt worden sind oder Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung ermittelt werden mussten oder eine Vorabanforderung unbeachtet blieb, wiegt bei der Bemessung des Verspätungszuschlags das Verschulden des Steuerpflichtigen entsprechend schwerer (vgl. BFH-Urteil vom 9.3.1989 VI R 101/84 , BStBl 1989 II S. 749).

3.2.1.5. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit

Der Verspätungszuschlag ist so zu bemessen, dass er für den Steuerpflichtigen zwar spürbar ist, ihn jedoch nicht übermäßig belastet. Ein Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist die festgesetzte Einkommensteuer (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.1988 VI R 154/85 , BVH/NV 1989 S. 517) bzw. Körperschaftsteuer. Sie ist auch an den erzielten Einkünften zahlenmäßig ablesbar (vgl. BFH-Urteil vom 30.4.1987 IV R 42/85 , BStBl 1987 II S. 543).

Je höher die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist, desto höher muss der Zuschlag innerhalb der zulässigen Höchstgrenzen angesetzt werden, wenn er für den zur Abgabe Verpflichteten merklich sein soll.

Wird der Verspätungszuschlag gegen Personen im Sinne der §§  34 , 35  AO festgesetzt, ist auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abzustellen (vgl. Tz. 5.1)

3.2.2. Maschinelle Unterstützung

Die Rechtmäßigkeit des Verspätungszuschlags wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass das FA technische Hilfsmittel verwendet. Maschinell gefertigte „Vorschläge” zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen (z.B. im Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren) sind nach Auffassung des BFH ( Urteil vom 18.8.1988 V R 19/83 , BStBl 1988 II S. 929) unbedenklich, solange das FA unter Abwägung aller Beurteilungsmerkmale selbst entscheidet, ob der Vorschlag mit § 152 AO vereinbar ist.

Im maschinellen Verfahren (vgl. Eingabehilfen in UNIFA, Festsetzung, Einkommensteuer, Sachbereich 30, Kz 45) kann der Verspätungszuschlag durch Eingabe der angefangenen Monate festgesetzt werden. Dies kann jedoch insbesondere in Fällen hoher Abschlusszahlungen zu unsachgemäßen Ergebnissen führen, da die übrigen Ermessenskriterien, die für den Steuerpflichtigen sprechen, nicht ausreichend berücksichtigt sein können. Ggf. ist der Verspätungszuschlag mit einem festen Betrag (der Wert € ist abhängig vom Jahr in der Schlüsselzeile) einzugeben.

3.2.3. Bemessungsgrundlage

3.2.3.1. Jahreserklärungen

Bemessungsgrundlage ist die festgesetzte Steuer, also die Steuer vor Anrechnung der Vorauszahlungen und der Anrechnungssteuern. Bei der Gewerbesteuer ist der festgesetzte Gewerbesteuermessbetrag maßgeblich ( § 152 Abs. 2 Satz 1 AO) . Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung sind für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen eigenständig zu beurteilen. Werden Verspätungszuschläge sowohl zu den Umsatzsteuer-Vorauszahlungen als auch zur Jahresumsatzsteuer festgesetzt, ist es möglich, dass die Verspätungszuschläge insgesamt mehr als 10 v.H. der Jahresumsatzsteuer oder mehr als 25.000 € betragen. Die festgesetzten Verspätungszuschläge werden dadurch jedoch nicht rechtswidrig. Sie sind deshalb nicht (auch nicht teilweise) zurückzunehmen. Denn für die Anwendung der Höchstgrenze bzw. des Höchstbetrags ist nur auf die jeweilige festgesetzte Steuer (also auf die für den einzelnen Voranmeldungszeitraum angemeldete oder festgesetzte Umsatzsteuer bzw. auf die angemeldete oder festgesetzte Jahresumsatzsteuer) abzustellen.

Der Auffassung des BFH im Urteil vom 16.5.1995 (XI R 73/94 BStBl 1996 II S. 259, wonach nach Ergehen des Jahressteuerbescheids dessen Inhalt auch für die Bemessung der im Voranmeldungsverfahren festgesetzten Verspätungszuschlägen von Bedeutung sein soll, wenn im Zeitpunkt der Jahressteuerfestsetzung Rechtsbehelfsverfahren gegen Verspätungszuschlag-Festsetzungen anhängig sind, ist nicht zu folgen (vgl. Nichtanwendungserlass vom 25.4.1996, BStBl 1996 I S. 582).

3.2.3.2. Feststellungserklärungen

Der Verspätungszuschlag wegen Nichtabgabe oder verspäteter Abgabe einer Erklärung zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen darf 10 v.H. der steuerlichen Auswirkungen nicht überschreiten, die die gesonderte Feststellung für die Folgebescheide hat. Diese steuerlichen Auswirkungen sind nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung zu der Bemessung des Streitwerts entwickelt hat, wie folgt zu schätzen:

bei Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften ( § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO) ein Betrag von

 

25 v.H. bei Einkünften bis (einschl.) 25.000 €
30 v.H. bei Einkünften bis (einschl.) 125.000 €
35 v.H. bei Einkünften bis (einschl.) 250.000 €
40 v.H. bei Einkünften bis (einschl.) 375.000 €

 

Spitzensteuersatz des maßgelblichen Veranlagungszeitraums bei Einkünften ab 375.000 €.

bei Erklärungen zur gesonderten Feststellung des Einheitswerts für Grundbesitz (Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, Grundstücke, Betriebsgrundstücke) für Zwecke der Grundsteuer ( § 28 BewG) ein Betrag von 6 v.H. des festgestellten Einheitswerts.

bei Erklärungen zur gesonderten Feststellung von Grundbesitzwerten für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ( § 138 Abs. 6 BewG) :

  1. bei Grundstückwerten bis einschließlich 512.000 € : 10 % des festgestellten Grundbesitzwerts
  2. bei Grundstückwerten bis einschließlich 12.783.000 € : 20 % des festgestellten Grundstückswerts
  3. bei darüber hinausgehenden Grundstückswerten: 25 % des festgestellten Grundstückswerts

(vgl. BFH-Beschluss vom 11.01.2006 II E 3/05 , BStBl 2006 II S. 333).

Bei gesonderten Feststellungen nach § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO ist die steuerliche Auswirkung bei Festsetzung des Verspätungszuschlags nach den Grundsätzen zum Streitwert zu schätzen. Wird gegen den Verspätungszuschlag Einspruch eingelegt und ist die Erteilung einer Einspruchsentscheidung erforderlich, ist die Höhe des Verspätungszuschlags anhand der tatsächlichen steuerlichen Auswirkung zu bemessen (vgl. FG Bremen vom 26.5.2000 , EFG S. 843).

Bei Erklärungen zur gesonderten Feststellung bei der Körperschaftsteuer ( § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG , § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG , § 37 Abs. 2 Satz 4 KStG , § 38 Abs. 1 Satz  1 und 2  KStG) ist von einem Streitwert von 5.000 € auszugehen (vgl. § 52 Abs. 2 GKG) .

Steht fest, dass die Feststellungserklärung zu einer Steuerfestsetzung von 0 € oder zu einer negativen Steuer (USt) führt, so ist die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nicht zulässig ( BFH-Urteil vom 27.6.1989 VIII R 73/84 , BStBl 1989 II S. 955). Zu Feststellungsbescheiden über negative Beträge ist kein Verspätungszuschlag festzusetzen.

3.2.3.3. Steueranmeldungen und -voranmeldungen

Bemessungsgrundlage ist die angemeldete Steuer bzw. bei Nichtabgabe die vom FA festgesetzte Steuer.

3.2.3.4. Höchstgrenze

Der Verspätungszuschlag darf 10 % der festgesetzten Steuer nicht übersteigen und höchstens 25.000 € betragen.

Ein Verspätungszuschlag von mehr als 5.000 € ist nur festzusetzen, wenn mit einem Verspätungszuschlag in Höhe von bis zu 5.000 € ein durch die verspätete Abgabe der Steuererklärung (Steueranmeldung) entstandener Zinsvorteil nicht ausreichend abgeschöpft werden kann (vgl. AEAO zu § 152 , Nr. 5). Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist in diesen Fällen sorgfältig zu begründen.

Ebenfalls bedarf es einer sorgfältigen Begründung, wenn ein Verspätungszuschlag in erheblicher Größenordnung festgesetzt wird und dabei nicht die Abschöpfung eines Zinsvorteils im Vordergrund steht (vgl. BFH-Urteil vom 11.6.1997 X R 14/95 , BStBl 1997 II S. 642).

4. Zeitpunkt der Festsetzung

Verspätungszuschläge sind regelmäßig mit der Steuer, dem Steuermessbetrag oder der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage festzusetzen (§ 152 Abs. 3, Abs. 4  AO ). Ergeht der Steuerbescheid ohne Verspätungszuschlag und will sich das FA die Möglichkeit der Festsetzung vorbehalten, ist der Steuerpflichtige im Bescheid darauf hinzuweisen, dass über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags ggf. ein gesonderter Bescheid ergeht. Dieser ist alsbald zu erlassen. Ist die Festsetzung des Verspätungszuschlags gesondert durchzuführen (z. B. bei verspäteter Abgabe einer Voranmeldung, von der das FA nicht abweicht –  § 167 AO  – oder bei verspäteter Abgabe einer Erklärung zur gesonderten Feststellung von Einkünften), soll diese ebenfalls zeitnah durchgeführt werden. Die Nachholung der Verspätungszuschlag-Festsetzung binnen Jahresfrist ist jedoch möglich, da § 152 Abs. 3 AO nur als Ordnungsvorschrift anzusehen ist, die die Rechtmäßigkeit des Verspätungszuschlags nicht berührt ( BFH-Beschluss vom 10.10.2001 XI R 41/00 , BStBl 2002 II S. 124).

Adressat

4.1. Grundsatz

Adressat der Verspätungszuschlag-Festsetzung ist, wer zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet ist. Hat ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe die Steuererklärung eines Mandanten nicht oder verspätet abgegeben, ist der Verspätungszuschlag gegen den Steuerpflichtigen festzusetzen. Wird die Steuererklärung von einem gesetzlichen Vertreter oder einer sonstigen Person im Sinne der §§  34 , 35  AO abgegeben, so ist der Verspätungszuschlag gleichwohl grundsätzlich gegen den Steuerschuldner festzusetzen. Eine Festsetzung gegen den Vertreter kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht (z.B. leichtere Betreibbarkeit).

4.2. Einzel- und Ausnahmefälle

4.2.1. Fälle der Zusammenveranlagung

Gegen zusammenveranlagte Steuerpflichtige kann ein einheitlicher Verspätungszuschlag festgesetzt werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.8.1987 III R 230/83 , BStBl 1987 II S. 836). Diese Festsetzung kann mit der Steuerfestsetzung in einem zusammengefassten Bescheid verbunden werden ( § 155 Abs. 3 AO) .

4.2.2. Personengesellschaften und Gemeinschaften

4.2.2.1. Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte

Die Feststellungserklärung ist in den Fällen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO von den Feststellungsbeteiligten und den in § 34 AO bezeichneten Personen abzugeben ( § 181 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 AO ). Jede dieser Personen ist zur Abgabe der Erklärung verpflichtet. Hat ein Erklärungspflichtiger eine Erklärung abgegeben, sind andere Beteiligte insoweit von der Erklärungspflicht befreit ( § 181 Abs. 2 Satz 3 AO) . Obwohl in diesen Fällen mehrere Personen erklärungspflichtig sind, ist bei Nichtabgabe oder verspäteter Abgabe der Feststellungserklärung nur die Festsetzung eines Verspätungszuschlags zulässig. Bei der Entscheidung über die Person des Schuldners hat das FA aus dem Kreis der Erklärungspflichtigen eine sachgerechte Auswahl zu treffen. In der Regel soll der Verspätungszuschlag gegen denjenigen festgesetzt werden, der gegenüber dem FA in Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten hervorgetreten ist ( BFH-Urteil vom 21.5.1987 IV R 134/83 , BStBl 1987 II S. 764).

4.2.2.2. Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung

Bei der Umsatzsteuer ist die Personenmehrheit in ihrer Gesamtheit Unternehmer im Sinne von § 2 UStG und somit zur Abgabe der Umsatzsteuererklärung verpflichtet. Der Umsatzsteuerbescheid richtet sich an die Personenmehrheit als umsatzsteuerlich rechtsfähige Personenvereinigung. Der Verspätungszuschlag ist daher gegen die Personenmehrheit (Unternehmer) festzusetzen (vgl. Tz. 5.1).

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist Steuerschuldner der Gewerbesteuer die Gesellschaft. Wie bei der Umsatzsteuer richtet sich der Gewerbesteuerbescheid gegen die Personenmehrheit. Der Verspätungszuschlag ist daher gegen diese festzusetzen.

Bei atypisch stillen Gesellschaften ist der Verspätungszuschlag stets gegen den Inhaber des Handelsgeschäfts festzusetzen.

Im Falle der Liquidation von Handelsgesellschaften ist der bestellte Liquidator das einzige zur Geschäftsführung und Vertretung befugte Organ. Der Verspätungszuschlag ist gegen den Liquidator festzusetzen. Sind mehrere Liquidatoren vorhanden, ist im Rahmen des Auswahlermessens der Verspätungszuschlag gegen den Liquidator festzusetzen, der gegenüber dem FA in Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten im Liquidationsverfahren hervorgetreten ist.

Bei BGB -Gesellschaften steht gem. § 730 Abs. 2 S. 2  BGB im Falle der Auflösung die Geschäftsführung den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Im Rahmen des Auswahlermessens ist der Verspätungszuschlag gegen den Gesellschafter festzusetzen, der gegenüber dem FA im Auflösungsstadium hervorgetreten ist.

4.2.2.3. Feststellung von Einheitswerten

Der Verspätungszuschlag ist bei der Erklärung zur gesonderten Feststellung von Einheitswerten des Grundbesitzes gegen den erklärungspflichtigen Eigentümer festzusetzen.

4.2.3. Juristische Personen

Die Steuer- und Feststellungsbescheide richten sich an die juristische Person. Der Verspätungszuschlag soll daher gegen diese festgesetzt werden (Regelfall). Die Inanspruchnahme des gesetzlichen Vertreters kommt nur in Ausnahmefällen (z.B. leichtere Beitreibbarkeit des Verspätungszuschlags gegen den Vertreter in Betracht und ist besonders zu begründen (vgl. BFH-Urteil vom 25.07.1991 V R 89/88 , BStBl 1992 II S. 3 und AEAO zu § 152 , Nr. 1).

4.2.4. Sonderfall GmbH & Co KG

Bei verspäteter Abgabe bzw. Nichtabgabe der Gewinnfeststellungen einer GmbH & Co KG darf das FA ohne besondere Begründung den Verspätungszuschlag gegen die Komplementär-GmbH festsetzen (vgl. BFH-Urteil vom 18.04.1991 IV R 127/89 , BStBl 1991 II S. 675). Für Umsatzsteuer und Gewerbesteuer vgl. Tz. 5.2.2.2, für die Feststellung von Einheitswerten vgl. Tz. 5.2.2.3.

5. Verspätungszuschlag bei Änderung des Steuerbescheides

Ist der Verspätungszuschlag unanfechtbar festgesetzt und wird die festgesetzte Steuer aufgrund eines Einspruchs, eines Antrags des Steuerpflichtigen auf schlichte Änderung oder wegen eines anderen Korrekturgrundes herabgesetzt, ist nicht automatisch auch der Verspätungszuschlag entsprechend herabzusetzen.

Das FA hat vielmehr über den Verspätungszuschlag neu zu entscheiden und den Zuschlag ggf. nach § 130 Abs. 1 AO niedriger festzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 29.3.1979 V R 69/77 , BStBl 1979 II S. 641). Wird die 10 v.H.-Grenze überschritten, ist der Verspätungszuschlag stets insoweit zurückzunehmen, als diese Grenze überschritten wird. Der Verspätungszuschlag sollte unverändert bleiben, wenn die Steuer nicht wesentlich herabgesetzt wird oder sich die Zahllast nicht wesentlich verändert.

Führt die Korrektur einer Steuerfestsetzung zu einer wesentlich niedrigeren Steuer bzw. Zahllast – ggf. ergibt sich sogar ein Guthaben – ist stets sorgfältig zu überprüfen, ob die Höhe des Verspätungszuschlags noch gerechtfertigt ist (vgl. insbesondere Tz. 3.2.1.2).

Stellt sich anlässlich einer Änderung der festgesetzten Steuer heraus, dass der Verspätungszuschlag zu niedrig festgesetzt wurde, ist eine höhere Verspätungszuschlagsfestsetzung nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO zulässig (vgl. AEAO zu § 130 , Nr. 4).

Die anlässlich einer geänderten Steuerfestsetzung getroffene Entscheidung des FA, den bisher festgesetzten Verspätungszuschlag unverändert bestehen zu lassen, stellt einen Verwaltungsakt dar ( BFH-Urteil vom 20.9.1990 V R 85/05 , BStBl 1991 II S. 2). Dieser Verwaltungsakt ist ebenso wie eine nach § 130 AO korrigierte Verspätungszuschlags-Festsetzung in vollem Umfang anfechtbar.

6. Einspruchsverfahren

6.1. Auslegung von Anträgen

Ein innerhalb der Einspruchsfrist eingehender Antrag auf „Änderung, Aufhebung, Rücknahme, Widerruf oder Erlass” ist in einen Einspruch umzudeuten.

Etwas anderes gilt nur, wenn trotz entsprechenden Hinweises des FA ein Einspruch vom Steuerpflichtigen ausdrücklich ausgeschlossen wird.

6.2. Erneute Prüfung der Ermessenskriterien

Im Einspruchsverfahren wegen einer Verspätungszuschlags-Festsetzung ist jede seit der Festsetzung eingetretene Änderung der Sachlage einzubeziehen. Daher bittet das Landesamt auch darauf zu achten, ob ggf. für die Folgejahre eine Verbesserung des Abgabeverhaltens eingetreten ist.

Ist dem Einspruch nach Prüfung teilweise abzuhelfen, ist der Verspätungszuschlag regelmäßig im Rahmen der Einspruchsentscheidung herabzusetzen.

Rechtfertigt der im Zeitpunkt der Einspruchsbearbeitung vorliegende Sachverhalt einen höheren Verspätungszuschlag, kann im Einspruchsverfahren auch die Verböserung gem. § 367 Abs. 2 Satz 2 AO nach entsprechendem Hinweis in Betracht kommen. Bei der Prüfung der Verböserungsmöglichkeit ist ggf. auch das unbefriedigende Abgabeverhalten in den Folgejahren einzubeziehen.

Haben sich die Ermessenskriterien nicht wesentlich zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert, ist von der Verböserung abzusehen.

6.3. Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung

Wird sowohl gegen die Steuerfestsetzung als auch gegen den Verspätungszuschlag Einspruch eingelegt, können beide Einsprüche zu gemeinsamer Entscheidung verbunden werden.

Wurde der Verspätungszuschlag wegen Nichtabgabe der Steuererklärung festgesetzt, ist es zweckmäßig, die Einsprüche nur dann zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden, wenn die Steuererklärung im Laufe des Einspruchsverfahrens eingeht. Ist dies nicht der Fall, sollte abgewartet werden, ob nach Ergehen der Einspruchsentscheidung (unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vgl. AO -Kartei, Karte 1 zu § 162) die Steuererklärung im Klageverfahren vorgelegt wird.

7. Herabsetzung bzw. Bestätigung des Verspätungszuschlags während des Klageverfahrens

Ist eine Verspätungszuschlags-Festsetzung bereits mit zulässiger Klage angefochten und wird diese außergerichtlich korrigiert oder bestätigt, so ersetzt der neue Verwaltungsakt die rechtshängige Festsetzung ( BFH-Urteil vom 20.9.1990 V R 85/05 , BStBl 1991 II S. 2). Die neue Festsetzung wird gem. § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens. Die dem Finanzgericht zur Ermessensüberprüfung ( § 102 FGO) dann vorliegende neue Festsetzung muss erkennen lassen, dass und von welchen Ermessenserwägungen die Finanzbehörde bei der Festsetzung ausgegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 08.12.1988 V R 169/83 , BStBl 1989 II S. 231). In den Fällen, in denen während eines bereits anhängigen Klageverfahrens wegen der Festsetzung eines Verspätungszuschlags diese außergerichtlich korrigiert oder bestätigt wird, ist auf eine ausreichende Begründung der neuen Festsetzung zu achten. Die Begründung muss auf die für die Änderung der Verspätungszuschlagsfestsetzung maßgeblichen geänderten Bemessungskriterien eingehen. Im Übrigen kann auf die Gründe der Einspruchsentscheidung hingewiesen werden. Nach § 102 FGO kann das FA seine Ermessenserwägungen jedoch bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem Finanzgericht ergänzen.

Höchstbetrag für häusliche Arbeitszimmer

Höchstbetrag für häusliches Arbeitszimmer ist bei gemeinschaftlicher Nutzung durch Ehegatten objektbezogen

 Leitsatz

1. Der Höchstbetrag für ein häusliches Arbeitszimmer ist objekt- und nicht personenbezogen, so dass Ehegatten, die gemeinsam ein häusliches Arbeitszimmer nutzen, den Höchstbetrag jeweils nur anteilig und insgesamt nur einmal geltend machen können.

2. Die verfassungsrechtlich zulässige Typisierung knüpft lediglich an die bewusste Willensentscheidung der Steuerpflichtigen an. Auf die geltende Rechtslage (und Rechtsprechungslage) konnten (und können) sich die Steuerpflichtigen bei ihren Dispositionen einrichten. Es besteht verfassungsrechtlich kein Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber alle möglichen Handlungsalternativen eines Steuerpflichtigen vollkommen gleich behandelt.

 Gesetze

EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3
EStG § 52 Abs. 12 S. 9
EStG § 9 Abs. 5 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1

 Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 i.V.m. § 52 Abs. 12 Satz 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgesehene Höchstbetrag der abziehbaren Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer personenbezogen oder objektbezogen ist.

Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Klägerin ist Gymnasiallehrerin, der Kläger ist Realschullehrer. Familienwohnsitz der Kläger ist seit Oktober 2005 die Hauptwohnung (Wohnfläche: 135,87 qm) eines Einfamilienhauses mit Einliegerwohnung in X, das den Klägern je zur Hälfte gehört. Am xx.xx. 2008 wurde der gemeinsame Sohn C und am xx.xx. 2010 der gemeinsame Sohn D geboren. Die Klägerin befand sich im Anschluss an die Geburt von C und dem gesetzlichen Mutterschutz in Elternzeit. Während der Elternzeit leitete sie weiterhin einmal wöchentlich eine Arbeitsgemeinschaft für Theater.

Mit ihren Einkommensteuererklärungen für 2005 (Bl. 105 der Einkommensteuerakte – ESt-A –) und 2006 (Bl. 151 ESt-A) gaben die Kläger ausdrücklich an, im neuen Haus zwei Arbeitszimmer zu nutzen, wobei sie die steuerrechtlichen Folgen daraus erst ab dem Jahr 2006 zogen und im Jahr 2005 noch aus Vereinfachungsgründen die Verhältnisse am früheren Familienwohnsitz in Y zugrunde legten. Im Rahmen der Steuererklärung für 2006 setzten die Kläger zwei Arbeitszimmer mit jeweils 1.250 EUR an.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2007 wiederholten die Kläger diesen Vortrag und behielten diese Vorgehensweise bei (Bl. 297, 308, 314 ESt-A). Auch in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 vom 23. September 2009 machten die Kläger zwei Arbeitszimmer geltend (Bl. 356, 360 ESt-A). Der Beklagte (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte die geltend gemachten Kosten in den Einkommensteuerbescheiden für 2007 vom 27. April 2009 sowie für 2008 vom 2. Dezember 2009 zunächst überhaupt nicht, da die Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit der Kläger bildeten.

Mit ihrem Einspruch vom 11. Mai 2009 für 2007 beantragten die Kläger die Anerkennung der Kosten für zwei Arbeitszimmer. Die Versagung des Abzugs sei verfassungswidrig. Gleichzeitig beantragten sie das Ruhen des Einspruchsverfahrens. Ihren Einspruch vom 7. Dezember 2009 betreffend 2008 begründeten die Kläger –unter Hinweis auf die Vorläufigkeit des Bescheids hinsichtlich der Kosten für häusliche Arbeitszimmer– mit anderen Einwendungen. Daneben legte der Klägervertreter namens der Kläger unter dem 22. Dezember 2009 auch Einspruch hinsichtlich der Streichung der Aufwendungen für häusliche Arbeitszimmer ein. Er beantragte ebenfalls Ruhen des Verfahrens. Mit Schreiben vom 10. Februar 2010 nahm der Klägervertreter seinen Einspruch wieder zurück. Die übrigen beiden Einspruchsverfahren ruhten antragsgemäß.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2011 teilte das FA den Klägern mit, dass die ruhenden Einspruchsverfahren für 2007 und 2008 (Streitjahre) wiederaufgenommen werden, und übersandte den Klägern einen Fragebogen. Der Klägervertreter legte diesen Fragebogen nebst Anlagen mit Schreiben vom 5. April 2011 vor und fügte als Anlage auch ein Antwortschreiben der Kläger vom 20. März 2011 als Anlage bei. Auf den Fragebogen (Bl. 45 ff. Rechtsbehelfsakte –Rb-A–) wird Bezug genommen. Die Kläger gaben darin an, die Fläche des Arbeitszimmers betrage 25,89 qm, und fügten Grundrisse bei, aus denen sich ergab, dass es sich in Wahrheit um nur ein Arbeitszimmer handelte. Die auf das Arbeitszimmer entfallenden Kosten (2.866,48 EUR in 2007, 2.762,61 EUR in 2008) ordneten sich die Kläger je zur Hälfte als Werbungskosten zu.

Durch Einspruchsentscheidung vom 29. Dezember 2011 für 2007 und 2008 half das FA den Einsprüchen (nach vorheriger Anhörung) jeweils nur insoweit ab, als es Kosten für ein Arbeitszimmer in Höhe von 1.250 EUR berücksichtigte und diesen Betrag als Werbungskosten den Klägern je zur Hälfte zurechnete. Im Übrigen wies es die Einsprüche der Kläger als unbegründet zurück.

Mit ihrer Klage vom 2. Februar 2012 verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie lassen geltend machen, sowohl bei der Klägerin als auch beim Kläger seien Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 1.250 EUR abzuziehen. Der Gesetzgeber habe sich nach den Gesetzesmaterialien bei der Bemessung der Betragsgrenze von 1.250 EUR an einem Raum von 12 bis 14 qm orientiert. Verdoppele man diesen Wert, weil der Raum durch zwei Personen genutzt werde, liege die Raumgröße des Arbeitszimmers der Kläger in diesem Rahmen. Sehe man den Höchstbetrag hingegen als objektbezogen an, drohe ein verfassungswidriger Gleichheitsverstoß, weil man durch das einfache Einfügen einer Wand den Abzugsbetrag verdoppeln könne. Der Fall, dass zwei Steuerpflichtige einen größeren Raum gemeinsam nutzen, sei steuerrechtlich genauso zu behandeln wie die Nutzung von zwei getrennten, kleineren Räumen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Einkommensteueränderungsbescheide für 2007 und 2008 vom 29. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom selben Tag dahin gehend zu ändern, dass sowohl bei der Klägerin als auch beim Kläger weitere Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 625 EUR als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.

Im Erörterungstermin vom 10. Juli 2012, in dem der Kläger zur Verdeutlichung der Raumsituation im Arbeitszimmer die Ausdrucke mehrerer Lichtbilder vorgelegt hat, haben beide Beteiligte auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

 Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet und deshalb abzuweisen. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Höchstbetrag für häusliches Arbeitszimmer nach der Rechtsprechung des BFH objektbezogen und nicht personenbezogen ist.

I. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768 ) dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht; in diesem Fall wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 EUR begrenzt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 und 3 Halbsatz 1 EStG ). Der Gesetzgeber stellte dadurch die bis zur Änderung durch das Steueränderungsgesetz 2007 geltende frühere Rechtslage insoweit wieder her, als in den Fällen, in denen kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht, ein Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug bis zu einer Höhe von 1.250 EUR der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer zugelassen wurde (BT-Drs. 17/3549, S. 15, zu Nr. 6 Buchst. b).

1. Diese Vorschrift ist nach § 52 Abs. 12 Satz 9 EStG rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden. Der Gesetzgeber ist damit seiner Verpflichtung aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/09 (BVerfGE 126, 268 , BFH/NV 2010, 1767 ) nachgekommen, den zuvor bestehenden verfassungswidrigen Zustand rückwirkend auf den 1. Januar 2007, den Beginn des Anwendungszeitraums des Steueränderungsgesetzes 2007 , durch Neufassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG zu beseitigen. Diesen hat das BVerfG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt, soweit danach der Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann ausgeschlossen war, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Demgegenüber ist die Begrenzung des Abzugs auf 1.250 EUR verfassungsgemäß (so bereits BVerfG-Beschluss vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98 , BVerfGE 101, 297 , BStBl II 2000, 162).

2. Für den im Streitfall maßgeblichen Bereich der sog. „Überschusseinkünfte” (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG ), bei denen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 bis 9a) die Einkünfte sind, gilt u.a. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG sinngemäß (§ 9 Abs. 5 Satz 1 EStG ).

3. Nutzen –wie vorliegend– Ehegatten gemeinsam ein häusliches Arbeitszimmer, steht nach der Rechtsprechung des BFH (zuletzt BFH-Urteil vom 23. September 2009 IV R 21/08 , BFHE 227, 31 , BStBl II 2010, 337) einem Ehegatten, der seine Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 EStG beschränkt abziehen kann, der Höchstbetrag nach dieser Vorschrift nur anteilig zu. Die Abzugsbeschränkung ist objektbezogen; die abziehbaren Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind damit unabhängig von der Zahl der nutzenden Personen auf 1.250 EUR begrenzt (BFH-Urteil vom 20. November 2003 IV R 30/03 , BFHE 204, 176 , BStBl II 2004, 775). Diese Auffassung wird von der Finanzverwaltung (z.B. BMF vom 2. März 2011, BStBl I 2011, 195, Tz. 21) vollumfänglich, in der Literatur hingegen nur teilweise geteilt (zustimmend z.B. Schmidt/Krüger, EStG , 31. Auflage, § 19 Rz. 60; Hartz/Meeßen/Wolff, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort „Arbeitszimmer”, Rz. 74; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 4 EStG Rz. 1796; wohl auch Kirchhof/Bode, EStG , 11. Auflage, § 4 Rz. 218b; a.A. z.B. Bergkemper, jurisPR-Steuerrecht 17/2011, Anm. 1, unter II.7.; Heuermann/Wagner, Lohnsteuer, F 509; Blümich/Wied, EStG /KStG/GewStG, § 4 EStG Rz. 849; Paul in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG /KStG , § 4 EStG Rz. 1563). Der Senat schließt sich der Auffassung des BFH trotz der Einwendungen der Kläger ebenfalls an.

a) Der BFH hat seine Auffassung damit begründet, dass für die objektbezogene Abzugsbeschränkung zunächst der Wortlaut spreche. Die Regelung knüpfe nur an das Vorhandensein des Arbeitszimmers, nicht jedoch an den Aufwand des einzelnen Steuerpflichtigen oder an die Zahl der darin tätigen Personen an. Die Objektbezogenheit der Regelung werde zudem durch die Gegenüberstellung mit der unbegrenzten Abzugsmöglichkeit deutlich. Der Gesetzgeber habe darin zum Ausdruck gebracht, dass er in Ausnahmefällen den Abzug der Aufwendungen der Höhe nach begrenzt bis zu 1.250 EUR, in eng umgrenzten weiteren Ausnahmefällen aber unbegrenzt zulassen will. Durch eine Verdoppelung oder gar Vervielfachung des begrenzten Abzugsbetrages würde die vom Gesetzgeber für den Regelfall beabsichtigte Deckelung der tatsächlichen Aufwendungen einem unbegrenzten Abzug nahe kommen und damit die Unterscheidung der beiden Tatbestandsalternativen faktisch wieder aufgehoben. Gegen eine Verdoppelung oder Vervielfachung des Begrenzungsbetrages spreche zudem, dass die Raumaufwendungen bei Mehrfachnutzung weitgehend identisch sind mit den Raumaufwendungen bei der Nutzung durch nur eine Person. Höhere Aufwendungen entstehen bei der Mehrfachnutzung eines Arbeitszimmers vor allem für die Einrichtung. Auf diese Aufwendungen erstrecke sich § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG jedoch ohnehin nicht.

b) Aus dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 268 , BFH/NV 2010, 1767 ergibt sich – entgegen der Auffassung der Kläger – ebenso wenig etwas anderes wie aus dem Gleichheitssatz. Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass ihnen der Höchstbetrag von 1.250 EUR zweimal gewährt werden würde, wenn sie zwei steuerrechtlich anzuerkennende Arbeitszimmer statt einem nutzten. Das BVerfG hat jedoch (a.a.O. unter C.II.5.a) ausdrücklich betont, dass angesichts der möglichen vielfältigen Faktoren, von denen die Entscheidungen der Steuerpflichtigen über Lage, Größe und Qualität ihrer Wohnung einschließlich eines Arbeitszimmers abhängen, der Ansatz einer grob pauschalierenden Höchstgrenze, wie sie nach der Vorgängerregelung bestimmt war, verfassungsrechtlich unbedenklich ist. So liegt es letztlich auch hier: Ob z.B. die Kläger die – ebenfalls im Dachgeschoss liegenden– zwei kleineren Zimmer jeweils einzeln (Höchstbetrag 2 × 1.250 EUR) oder das größere Zimmer gemeinsam (Höchstbetrag 1 × 1.250 EUR) als Arbeitszimmer nutzen, war (und ist) letztlich ihre (in ganz erheblichem Umfang „privat” motivierte) Entscheidung, zumal sie damals noch keine zwei Kinder hatten. Hätten sich die Kläger als dritte Möglichkeit z.B. dafür entschieden, ihre Büroarbeiten statt in einem (oder zwei) separaten Arbeitszimmer(n) lieber in einem (25,89 qm größeren) Wohnzimmer mit zu erledigen, wäre möglicherweise gar kein Abzug zu gewähren gewesen. Diese unterschiedlichen Rechtsfolgen – je nach Disposition des Steuerpflichtigen– sind jedoch – entgegen der Auffassung der Kläger – keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, sondern die Folge unterschiedlicher Sachverhalte. Die verfassungsrechtlich zulässige Typisierung knüpft lediglich an die bewusste Willensentscheidung der Steuerpflichtigen an. Auf die geltende Rechtslage (und Rechtsprechungslage) konnten (und können) sich die Kläger bei ihren Dispositionen einrichten. Ein Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber alle möglichen Handlungsalternativen eines Steuerpflichtigen vollkommen gleich behandelt, besteht von Verfassungs wegen nicht.

II. Ausgehend davon hat das FA zu Recht nur Aufwendungen in Höhe von 1.250 EUR gewährt und den Klägern je zur Hälfte zugerechnet. Darüber, dass es sich bei dem Zimmer im Dachgeschoss um ein unter die Abzugsbegrenzung fallendes Arbeitszimmer handelt, besteht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) .

IV. Der erkennende Senat lässt die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil die Kläger Gesichtspunkte vorgetragen haben, die eine erneute Prüfung der sich im Streitfall stellenden Rechtsfrage durch den BFH erforderlich erscheinen lassen.

V. Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin