Umsatzsteuer: Umsatzsteuerliche Behandlung der Abrechnung von Mehr- bzw. Mindermengen Strom (Leistungsbeziehungen)

I. Der Abrechnung von Jahresmehr- und Jahresmindermengen Strom zugrunde liegende Leistungsbeziehungen

Das Gebiet eines jeden Übertragungsnetzbetreibers stellt eine Regelzone dar (§ 3 Nr. 30 des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz- EnWG)). Innerhalb einer Regelzone sind von einem oder mehreren Netznutzern Bilanzkreise zu bilden, die aus mindestens einer Einspeise- oder einer Entnahmestelle bestehen müssen (§ 4 Abs. 1 der Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzzugangsverordnung – StromNZV)). Der Übertragungsnetzbetreiber erfüllt die Aufgabe des Bilanzkreiskoordinators. Für jeden Bilanzkreis ist von den bilanzkreisbildenden Netznutzern gegenüber dem Bilanzkreiskoordinator gemäß § 4 Abs. 2 StromNZV ein Bilanzkreisverantwortlicher zu benennen. Bilanzkreisverantwortlicher und Bilanzkreiskoordinator haben gemäß § 26 Abs. 1 StromNZV einen Vertrag über die Führung, Abwicklung und Abrechnung von Bilanzkreisen (Bilanzkreisvertrag) zu schließen. Der Bilanzkreisverantwortliche ist verantwortlich für eine ausgeglichene Bilanz zwischen Einspeisungen und Entnahmen in seinem Bilanzkreis und übernimmt als Schnittstelle zwischen Netznutzern und Betreibern von Übertragungsnetzen die wirtschaftliche Verantwortung für Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen seines Bilanzkreises (§ 4 Abs. 2 StromNZV).

Der Ausgleich von physischen Leistungsungleichgewichten im Stromnetz erfolgt durch den Übertragungsnetzbetreiber. Dieser hat nach § 12 EnWG die Aufgabe, das Gleichgewicht zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung und damit die Netzstabilität in seiner Regelzone durch den Einsatz von Regelenergie sicherzustellen. Darüber hinaus ist er in seiner Eigenschaft als Bilanzkreiskoordinator für die Bilanzkreisabrechnung zuständig und rechnet die sich in den einzelnen Bilanzkreisen ergebenden Differenzen zwischen Ein- und Ausspeisungen monatlich als sog. Ausgleichsenergie ab. Physikalische Stromlieferungen liegen diesen Abrechnungen nicht zugrunde. Lediglich die Regelenergie wird vom Übertragungsnetzbetreiber permanent bezogen und virtuell im Rahmen der monatlichen Abrechnung der Ausgleichsenergie auf die Bilanzkreise verteilt.

Rechtliche Grundlage für die Jahresmehr- und Jahresmindermengenabrechnung Strom auf der Ebene der Verteilernetze ist § 13 Abs. 1 StromNZV. Die Verteilnetzbetreiber sind danach verpflichtet, für jeden Lastprofilkunden des (jeweiligen) Lieferanten eine Prognose über den Jahresverbrauch festzulegen. Die prognostizierten Strommengen werden von den jeweiligen Lieferanten in das Stromnetz eingespeist.

Die Differenzen zwischen der bei Entnahmestellen mit Standard-Lastprofilen gemessenen oder auf sonstige Weise ermittelten elektrischen Arbeit und der sich aus den prognostizierten Lastprofilen ergebenden elektrischen Arbeit stellen die vom Verteilnetzbetreiber abzurechnenden Jahresmehr- und Jahresmindermengen dar. Sie sind gemäß § 13 Abs. 2 StromNZV als vom Verteilnetzbetreiber geliefert oder abgenommen zu behandeln. Unterschreitet die Summe der in einem Zeitraum ermittelten elektrischen Arbeit die Summe der Arbeit, die den bilanzierten Lastprofilen zu Grunde gelegt wurde (ungewollte Mehrmenge), so vergütet der Netzbetreiber dem Lieferanten oder dem Kunden diese Differenzmenge. Überschreitet die Summe der in einem Zeitraum ermittelten elektrischen Arbeit die Summe der Arbeit, die den bilanzierten Lastprofilen zu Grunde gelegt wurde (ungewollte Mindermenge), stellt der Netzbetreiber die Differenzmenge dem Lieferanten oder dem Kunden in Rechnung. Die Abrechnung der Jahresmehr- und Jahresmindermengen erfolgt nach Ablauf des jeweiligen Abrechnungsjahres zwischen Lieferanten und Netzbetreiber oder zwischen Kunden und Netzbetreiber (§ 13 Abs. 3 StromNZV).

II. Umsatzsteuerrechtliche Würdigung

Die unter Tz. I. genannten Leistungen sind umsatzsteuerrechtlich wie folgt zu würdigen: Soweit Verteilnetzbetreiber und Lieferant bzw. Kunde Mehr- bzw. Mindermengen an Strom ausgleichen, handelt es sich um eine Lieferung entweder vom Verteilnetzbetreiber an den Lieferanten bzw. Kunden (Mindermenge) oder vom Lieferanten bzw. Kunden an den Verteilnetzbetreiber (Mehrmenge). Die Verfügungsmacht an dem zum Ausgleich zur Verfügung gestellten Strom wird verschafft (§ 3 Abs. 1 UStG). Unter den in § 13b Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 5 UStG genannten Voraussetzungen ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner.

Hiervon zu unterscheiden sind die Leistungen des Übertragungsnetzbetreibers in seiner Eigenschaft als Bilanzkreiskoordinator aufgrund des Bilanzkreisvertrags mit dem Bilanzkreisverantwortlichen. Der Bilanzkreiskoordinator führt das Bilanzkreissystem, sorgt für die Stabilität des Netzes und rechnet Bilanzkreisabweichungen als virtuelle Ausgleichsenergie mit dem Bilanzkreisverantwortlichen ab. Eine Mehr-/ Mindermengenabrechnung Strom zwischen dem Bilanzkreiskoordinator und dem Bilanzkreisverantwortlichen findet nicht statt. Die Leistungen des Übertragungsnetzbetreibers in seiner Eigenschaft als Bilanzkreiskoordinator sind als sonstige Leistungen zu sehen (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 1 Satz 1 und Abschnitt 13b.3a Abs. 6 Nr. 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses). Die dazu durchzuführenden Meldungen von Entnahme-, Einspeise- und Lieferdaten durch den Bilanzkreisverantwortlichen an den Bilanzkreiskoordinator stellen keine eigene Leistung dar.

Die Bewirtschaftung seines Bilanzkreises nimmt der Bilanzkreisverantwortliche im eigenen Interesse und nicht als Leistung an den Bilanzkreiskoordinator im Rahmen des Bilanzkreisvertrages vor.

III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 5. Dezember 2017 – III C 3 – S-7117-a / 16 / 10001 (2017/1004344) -, BStB lI S. xxx, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1. Im Abkürzungsverzeichnis wird nach der Angabe „StGB = Strafgesetzbuch“ die Angabe „StromNZV = Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen – Stromnetzzugangsverordnung“ eingefügt.

2. Abschnitt 1.7 wird wie folgt geändert:

a) Der bisherige Absatz 5 wird vor der Zwischenüberschrift „Ausgleich von Mehr- bzw. Mindermengen Gas“ neuer Absatz 4.

b) Der bisherige Absatz 4 wird neuer Absatz 5.

c) Nach dem neuen Absatz 5 wird folgende Zwischenüberschrift und folgender neuer Absatz 6 angefügt:

Ausgleich von Mehr – bzw. Mindermengen Strom

(6) 1Soweit Verteilnetzbetreiber und Lieferant bzw. Kunde nach § 13 Strom-NZV Mehr- oder Mindermengen an Strom ausgleichen, handelt es sich um eine Lieferung entweder vom Verteilnetzbetreiber an den Lieferanten bzw. Kunden (Mindermenge) oder vom Lieferanten bzw. Kunden an den Verteilnetzbetreiber (Mehrmenge). 2Die Verfügungsmacht an dem zum Ausgleich zur Verfügung gestellten Strom wird verschafft.“

3. Abschnitt 13b.3a wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 4 wird folgender neuer Absatz 4a eingefügt:

(4a) Der Ausgleich von Mehr- bzw. Mindermengen Gas stellt eine Lieferung dar (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 5).

b) Absatz 5 Nr. 5 wird wie folgt gefasst:

„5. Ausgleich von Mehr- bzw. Mindermengen Strom (vgl. Abschnitt 1.7 Abs. 6).“

IV. Anwendungsregelung

Die Regelung ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Bei vor dem 1. Juli 2018 ausgeführten Lieferungen im Rahmen der Mehr- oder Minderabrechnung Strom wird es jedoch – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet, wenn zwischen Verteilnetzbetreiber und Lieferant bzw. Kunde übereinstimmend von sonstigen Leistungen ausgegangen wird.

Darüber hinaus wird es – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet, wenn vor dem 1. Juli 2018 ausgeführte Leistungen aufgrund des Bilanzkreisvertrags von den Beteiligten einvernehmlich als sonstige Leistungen des Bilanzkreisverantwortlichen an den Übertragungsnetzbetreiber als Bilanzkreiskoordinator abgerechnet werden.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 2 – S-7124 / 07 / 10002 :006 vom 06.12.2017

Einkommensteuer: BFH zur Alten- und Pflegeheimunterbringung von Ehegatten: Kürzung um Haushaltsersparnis für beide Ehegatten

Steuerpflichtige können Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung in einem Alten- und Pflegeheim nach Kürzung um eine Haushaltsersparnis als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Sind beide Ehegatten krankheitsbedingt in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht, ist für jeden der Ehegatten eine Haushaltsersparnis anzusetzen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 4. Oktober 2017 VI R 22/16 entschieden hat.

Im Streitfall waren die verheirateten Kläger seit Mai 2013 krankheitsbedingt in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht. Sie bewohnten ein Doppelzimmer (Wohnschlafraum mit einem Vorraum, Einbauschrank, Dusche und WC). Einen weiteren Haushalt unterhielten sie seither nicht mehr. Für die Unterbringung in dem Heim, Verpflegung und Pflegeleistungen entstanden den Eheleuten nach Abzug von Erstattungsleistungen anderer Stellen Kosten in Höhe von ca. 27.500 Euro. Diese minderten sie monatsanteilig um eine Haushaltsersparnis für eine Person und machten den Restbetrag in ihrer Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Die Berechnung der ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten erfolgte auf der Grundlage des in § 33a EStG geregelten Unterhaltshöchstbetrags, der sich im Streitjahr 2013 auf 8.130 Euro belief.

Das Finanzamt setzte hingegen eine Haushaltsersparnis für beide Eheleute an und kürzte die geltend gemachten Aufwendungen entsprechend. Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht zurück.

Der BFH bestätigte die Vorinstanz weitgehend. Sind beide Ehegatten krankheitsbedingt in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht, ist für jeden der Ehegatten eine Haushaltsersparnis anzusetzen, wenn daneben kein weiterer Haushalt geführt werde. Denn die Eheleute seien beide durch die Aufgabe des gemeinsamen Haushalts um dessen Fixkosten wie Miete oder Zinsaufwendungen, Grundgebühr für Strom, Wasser etc. sowie Reinigungsaufwand und Verpflegungskosten entlastet. Zudem sei der Ansatz einer Haushaltsersparnis in Höhe der ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten für jeden Ehegatten zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung geboten. Bei den personenbezogenen Alten- und Pflegeheimkosten enthaltenen Aufwendungen für Nahrung, Getränke, übliche Unterkunft und Ähnliches handele es sich um typische Kosten der Lebensführung eines jeden Steuerpflichtigen, die bereits durch den in § 32a EStG geregelten Grundfreibetrag steuerfrei gestellt seien. Die Klage hatte daher nur im Hinblick auf die stufenweise Ermittlung der zumutbaren Belastung entsprechend dem BFH-Urteil vom 19. Januar 2017 VI R 75/14 (BFHE 256, 339, BStBl II 2017, 684) Erfolg (vgl. hierzu auch die Pressemitteilung Nr. 19/2017 vom 29. März 2017).

 Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 75/17 vom 06.12.2017 zum Urteil VI R 22/16 vom 04.10.2017

 

Bekämpfung von Steuerbetrug: Faire Besteuerung: EU veröffentlicht Liste nicht kooperativer Staaten

Die Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten haben sich am 05.12.2017 auf ihrem Treffen in Brüssel auf die erste EU-Liste nicht kooperativen Steuergebiete geeinigt. Insgesamt haben die Minister 17 Länder aufgelistet, da sie die vereinbarten Standards für gute Regierungsführung im Steuerbereich nicht eingehalten haben. Die Liste umfasst unter anderem Tunesien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Panama. Darüber hinaus haben sich 47 Länder nach Rücksprache mit der EU verpflichtet, Mängel in ihren Steuersystemen zu beheben und die geforderten Kriterien zu erfüllen.

Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschaft, Finanzen und Steuern, erklärte: „Die Verabschiedung der ersten schwarzen EU-Liste der Steuerparadiese ist ein entscheidender Sieg für Transparenz und Fairness. Doch damit nicht genug. Wir müssen den Druck auf die aufgelisteten Länder verstärken, ihr Verhalten zu ändern. Gelistete Gebiete müssen Konsequenzen in Form von abschreckenden Sanktionen spüren, während diejenigen, die Verpflichtungen eingegangen sind, diese schnell und glaubwürdig weiterverfolgen müssen. Es darf keine Naivität geben: Versprechen müssen in Taten umgesetzt werden. Niemand darf einen Freifahrtschein bekommen.“

Diese beispiellose Liste sollte das Niveau der global verantwortungsvollen Steuerpolitik erhöhen und dazu beitragen, den massiven Steuermissbrauch zu verhindern, der in den jüngsten Skandalen wie den „Paradise Papers“ aufgedeckt wurde.

Die Idee einer EU-Liste wurde ursprünglich von der Kommission entwickelt und anschließend von den Mitgliedstaaten weiterverfolgt. Die Erstellung der Liste hat zu einem aktiven Engagement vieler internationaler Partner der EU geführt. Allerdings müssen die Arbeiten nun fortgesetzt werden, da 47 weitere Länder die EU-Kriterien bis Ende 2018 (2019 für Entwicklungsländer ohne Finanzzentren) erfüllen sollten, um nicht in die Liste aufgenommen zu werden. Die Kommission erwartet ferner, dass die Mitgliedstaaten strenge und abschreckende Gegenmaßnahmen für gelistete Jurisdiktionen ergreifen, die die bestehenden Abwehrmaßnahmen auf EU-Ebene im Zusammenhang mit der Finanzierung ergänzen können.

Die nächsten Schritte:

Der EU-Listungsprozess ist ein dynamischer Prozess, der bis 2018 andauern wird:

  • In einem ersten Schritt wird ein Schreiben an alle Jurisdiktionen auf der EU-Liste geschickt, in dem die Entscheidung erläutert wird und erklärt wird, was sie tun können, um von der Liste gestrichen zu werden.
  • Die Kommission und die Mitgliedstaaten werden weiterhin alle Gerichtsbarkeiten genau beobachten, um sicherzustellen, dass die Verpflichtungen eingehalten werden, und um zu entscheiden, ob in Zukunft weitere Länder in die Liste aufgenommen werden sollen. Ein erster Zwischenbericht soll bis Mitte 2018 veröffentlicht werden. Die EU-Liste wird mindestens einmal jährlich aktualisiert.
 Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 05.12.2017

 

Mehrwertsteuer: Vorrang nationaler Verjährungsvorschriften bei Mehrwertsteuerbetrug

Die Pflicht zum Schutz der finanziellen Interessen der Union ist mit der Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen in Einklang zu bringen.

Deshalb sind die italienischen Gerichte in Strafverfahren, die schwere Betrugsfälle im Mehrwertsteuerbereich zum Gegenstand haben, nicht verpflichtet, von der Anwendung der nationalen Verjährungsvorschriften (auf der Grundlage des Urteils Taricco) abzusehen, wenn sie dadurch gegen den genannten Grundsatz verstoßen würden.

Die Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) und die Corte d’appello di Milano (Berufungsgerichtshof Mailand, Italien) müssen in Strafverfahren entscheiden, die gegen Herrn M.B. und Herrn M.A.S. wegen des Verdachts des schweren Betrugs im Mehrwertsteuerbereich1 eingeleitet wurden. Es besteht die Gefahr, dass sie straflos bleiben, wenn die Verjährungsvorschriften des italienischen Strafgesetzbuchs anzuwenden sind. Dagegen könnte es zu einer Verurteilung kommen, wenn die in diesen Vorschriften vorgesehene Verjährungsfrist auf der Grundlage der vom Gerichtshof im Urteil Taricco2, das ergangen ist, nachdem die Taten begangen wurden, aufgestellten Grundsätze nicht anzuwenden wäre. In diesem Urteil hat der Gerichtshof Art. 325 AEUV ausgelegt, der die Europäische Union und die Mitgliedstaaten verpflichtet, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen zu bekämpfen und einen effektiven Schutz dieser Interessen zu bewirken.

Im Urteil Taricco hat der Gerichtshof insbesondere entschieden, dass die italienischen Rechtsvorschriften über die Verjährung von Mehrwertsteuerstraftaten Art. 325 AEUV verletzen könnten, falls sie die Verhängung wirksamer und abschreckender Sanktionen in einer beträchtlichen Zahl gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteter schwerer Betrugsfälle verhindern oder für Betrugsfälle zum Nachteil der nationalen finanziellen Interessen längere Verjährungsfristen vorsehen als für Betrugsfälle zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union. Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die nationalen Gerichte Art. 325 AEUV volle Wirkung verleihen müssen, indem sie erforderlichenfalls die Verjährungsvorschriften unangewendet lassen.

Die Corte suprema di cassazione und die Corte d’appello di Milano sind jedoch der Ansicht, dass die dem Urteil Taricco zu entnehmenden Grundsätze gegen den in der italienischen Verfassung verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen verstoßen könnten. Sie haben sich deshalb an die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) gewandt.

Die Corte costituzionale hat Zweifel an der Vereinbarkeit des im Urteil Taricco gewählten Ansatzes mit den obersten Grundsätzen der italienischen Verfassungsordnung und der Beachtung der unveräußerlichen Rechte der Person. Insbesondere verstoße er möglicherweise gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen, der u. a. das Bestimmtheitsgebot und das Rückwirkungsverbot in Strafsachen beinhalte. Sie hat daher den Gerichtshof um Klarstellung ersucht, wie Art. 325 AEUV im Licht des Urteils Taricco auszulegen ist.

In seinem am 05.12.2017 im beschleunigten Verfahren3 ergangenen Urteil führt der Gerichtshof aus, dass Art. 325 AEUV den Mitgliedstaaten zweckgerichtete Verpflichtungen auferlegt, die hinsichtlich ihrer Umsetzung an keine Bedingung geknüpft sind. Die nationalen Gerichte müssen somit den Verpflichtungen, die sich aus Art. 325 AEUV ergeben, volle Wirkung verleihen, indem sie insbesondere die im Urteil Taricco aufgestellten Grundsätze anwenden. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass es in erster Linie Aufgabe des nationalen Gesetzgebers ist, die Verjährung so zu regeln, dass sie den Anforderungen von Art. 325 AEUV genügt.

Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass nach den Angaben der Corte costituzionale die Verjährung in Strafsachen zum materiellen italienischen Recht gehört und daher unter den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen fällt. In diesem Kontext weist er zum einen auf die Erfordernisse der Vorhersehbarkeit, der Bestimmtheit und des Rückwirkungsverbots von Strafgesetzen hin, die dem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen innewohnen, und zum anderen darauf, dass diesem Grundsatz sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in der Rechtsordnung der Union grundlegende Bedeutung zukommt. Infolgedessen darf die dem Art. 325 AEUV zu entnehmende Verpflichtung, eine wirksame Erhebung der Mittel der Union zu garantieren, dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen nicht zuwiderlaufen.

Der Gerichtshof kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass ein nationales Gericht, wenn es in Verfahren wegen Mehrwertsteuerstraftaten zu der Auffassung gelangt, dass der Verpflichtung, die im Urteil Taricco aufgestellten Grundsätze anzuwenden, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit entgegensteht, dieser Verpflichtung nicht nachkommen muss, selbst wenn dadurch einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Sachlage abgeholfen werden könnte.

Fußnoten

1Da der Unionshaushalt u. a. aus der Mehrwertsteuer finanziert wird, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Betrügereien im Bereich der Mehrwertsteuer und den finanziellen Interessen der Union.

2Urteil vom 8. September 2015 in der Rechtssache C-105/14, Ivo Taricco u. a. (vgl. PM Nr. 95/15).

3Das beschleunigte Verfahren ist in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs geregelt.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 05.12.2017 zum Urteil C-42/17 vom 05.12.2017

Mehrwertsteuer: Kommission begrüßt neues Mehrwertsteuersystem für Online-Unternehmen

Die Kommission begrüßt die am 05.12.2017 von den EU-Finanzministern erzielte Einigung über eine Reihe von Maßnahmen, die das Mehrwertsteuersystem für Online-Unternehmen in der EU vereinfachen sollen. Das neue System macht es Verbrauchern und Unternehmen, insbesondere Start-ups und KMU, leichter, Waren grenzüberschreitend online zu verkaufen und zu kaufen. Das hilft auch den Mitgliedstaaten, die derzeit auf 5 Mrd. Euro jährlich veranschlagten Mehrwertsteuerverluste bei Online-Umsätzen zu verhindern.

AndrusAnsip, Vizepräsident für den digitalen Binnenmarkt, sagte: „Dies ist ein weiterer Schritt zur Förderung des elektronischen Handels in Europa. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Abkommen erzielt, mit dem ungerechtfertigtes Geoblocking verhindert wird, durch das die Verbraucher beim Online-Kauf benachteiligt werden. Unternehmen, die ihre Waren im Ausland vertreiben, unterliegen den gleichen Mehrwertsteuerpflichten wie bei Verkäufen im Inland. Dadurch werden öffentliche Dienstleistungen effizienter, und auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird verbessert.“

PierreMoscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, erklärte dazu: „Schritt für Schritt schaffen wir ein neues Mehrwertsteuersystem, das seinen Zweck erfüllt und grenzüberschreitend tätigen Online-Unternehmen zum Erfolg verhilft. Zugleich stellen wir sicher, dass Unternehmen in Drittländern, die ihre Waren direkt und über Online-Marktplätze an Verbraucher in der EU verkaufen, nicht bevorzugt werden. Die heute erzielte Einigung ebnet auch den Weg für die so dringend benötigte grundlegendere Reform des Mehrwertsteuersystems in der EU.“

Die neuen Regeln treten bis 2021 schrittweise in Kraft und bringen folgende Neuerungen:

  • Vereinfachung der Mehrwertsteuerregelungen für Start-ups, Kleinstunternehmen und KMU, die Waren online an Kunden in anderen EU-Mitgliedstaaten verkaufen. Für Kleinstunternehmen richtet sich die Mehrwertsteuer auf grenzüberschreitende Verkäufe im Wert von weniger als 10.000 Euro im Jahr nach den Vorschriften des Landes, in dem die Unternehmen ihren Sitz haben. Davon werden 430.000 Unternehmen in der EU profitieren. Für KMU werden einfachere Verfahren für grenzüberschreitende Verkäufe im Wert von bis zu 100.000 Euro im Jahr gelten. Diese Maßnahmen treten am 1. Januar 2019 in Kraft.
  • Alle Unternehmen, die online Waren an ihre Kunden verkaufen, können ihren EU-Mehrwertsteuerpflichten über ein einheitliches nutzerfreundliches Online-Portal in ihrer Landessprache nachkommen. Ohne das Portal wäre eine Mehrwertsteuerregistrierung in jedem EU-Mitgliedstaat erforderlich, in den das Unternehmen verkaufen möchte. Genau das wird von Unternehmen als eines der größten Hindernisse für Kleinunternehmen beim grenzüberschreitenden Handel bezeichnet.
  • Großen Online-Marktplätzen wird die Verantwortung dafür übertragen, dass die Mehrwertsteuer abgeführt wird, wenn Unternehmen in Drittländern Waren an Verbraucher in der EU verkaufen. Hierzu zählen Verkäufe von Waren, die von Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern bereits in Warenlagern (sog. Erfüllungszentren) innerhalb der EU gelagert werden, welche häufig dem Zweck dienen, Waren mehrwertsteuerfrei an Verbraucher in der EU zu verkaufen.
  • Es wird so künftig Steuerhinterziehungen vorgebeugt, bei denen für Waren von außerhalb der EU ein Wert von weniger als 22 Euro angegeben wurde, um eine Befreiung von der Mehrwertsteuer in Anspruch zu nehmen, was zu Marktverzerrung und unlauterem Wettbewerb führen konnte. Zuvor konnten Betrüger hochwertige Waren in kleinen Paketen verpacken und auf dem Etikett einen falschen Warenwert angeben, der unter dem Schwellenwert von 22 Euro lag, sodass die Waren von der Mehrwertsteuer befreit waren. Dies führte zu inakzeptablen Mindereinnahmen von 1 Mrd. Euro, die anderenfalls an die EU-Mitgliedstaaten abgeführt worden wären.

Durch die neuen Vorschriften ist gewährleistet, dass die Mehrwertsteuer in dem Mitgliedstaat entrichtet wird, in dem der Endverbraucher ansässig ist, was zu einer gerechteren Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den EU-Mitgliedstaaten führt. Sie werden dazu beitragen, einen neuen Ansatz für die Erhebung der Mehrwertsteuer in der EU, der bereits für den Verkauf von elektronischen Dienstleistungen etabliert ist, zu festigen und eine der wichtigsten Zusagen im Rahmen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt in Europa zu erfüllen. Die heute erzielte Einigung ist überdies ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer endgültigen Lösung für einen einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum, wie in den jüngsten Vorschlägen der Kommission für eine Reform des Mehrwertsteuersystems in der EU dargelegt.

Die einzige Anlaufstelle für Online-Verkäufe von Waren soll 2021 einsatzbereit sein, sodass die Mitgliedstaaten Zeit haben, die IT-Systeme, auf denen das System basiert, zu aktualisieren.

 Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 05.12.2017
 

So viele Steuersätze hat der Weihnachtsbaum

Ein Baum, aber sechs Steuersätze? Richtig! Wie ein Weihnachtsbaum besteuert wird, hängt davon ab, welchen Baum Sie für das Fest kaufen – und bei wem. Dann können 19 Prozent Umsatzsteuer fällig werden – oder gar keine. Wir zeigen, was Verbraucher wissen sollten.

Beim Kauf eines Weihnachtsbaums sind nicht nur die Geschmäcker unterschiedlich, sondern auch die Steuersätze. Wer es steuerlich richtig krachen lassen will, kauft einen künstlichen Baum: Dafür werden 19 Prozent Umsatzsteuer – auch Mehrwertsteuer genannt – fällig. Immerhin lässt sich der Baum dann auch für mehrere Jahre nutzen. Günstiger wird es bei einem echten Nadelbaum. Wer die Jubelstaude aus einer Weihnachtsbaum-Zucht kauft, zahlt nur noch 10,7 Prozent Umsatzsteuer. Im Baumarkt- oder Gartencenter wird es noch günstiger: Hier gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent. Der Forstwirt kann den Baum unter Umständen sogar mit einem Umsatzsteuersatz von 5,5 Prozent an die Kunden abgeben. Wer dem Fiskus ein Schnippchen schlagen will, erwirbt beim Kleinunternehmer: Dort wird nämlich keine Steuer fällig.

Steuersatzchaos nicht nur zum Christfest

Zum Schluss noch eine Finesse des deutschen Steuerrechts: die Differenzbesteuerung. Wird ein gebrauchter Kunstbaum zum Beispiel beim Trödler gekauft, werden grundsätzlich 19 Prozent Umsatzsteuer fällig, aber nur auf die Differenz zwischen dem Einkaufspreis des Trödlers und dem Wiederverkaufswert.

Wer nun denkt, das Steuersatzchaos gibt es nur einmal im Jahr zu Weihnachten, der irrt. Dasselbe Prinzip gilt auch für Ostereier. Ob echtes Hühnerei oder Deko-Ei: Der Steuersatz ist unterschiedlich!

Quelle: Bund der Steuerzahler, Pressemitteilung vom 01.12.2017

 

Rundfunkbeitragspflicht für Hotel- und Gästezimmer sowie Ferienwohnungen nur bei bereitgestellter Empfangsmöglichkeit verfassungsgemäß

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Erhebung des zusätzlichen Rundfunkbeitrags für Hotel- und Gästezimmer sowie Ferienwohnungen (Beherbergungsbeitrag) nur in denjenigen Fällen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, in denen der Betriebsstätteninhaber durch die Bereitstellung von Empfangsgeräten oder eines Internetzugangs die Möglichkeit eröffnet, das öffentlich-rechtliche Rundfunkangebot in den genannten Räumlichkeiten zu nutzen.

Nach dem seit dem 1. Januar 2013 geltenden Rundfunkbeitragsstaatsvertrag der Länder sind Inhaber von Betriebsstätten für die darin vorhandenen Hotel- und Gästezimmer sowie Ferienwohnungen zur Zahlung eines zusätzlichen Rundfunkbeitrags verpflichtet, der neben ihre allgemeine Beitragspflicht für die Betriebsstätte tritt. Für jedes Zimmer bzw. jede Ferienwohnung muss der Inhaber ein Drittel des Rundfunkbeitrags entrichten, wobei die erste Raumeinheit beitragsfrei ist.

Die Klägerin ist Inhaberin eines Hostels in Neu-Ulm. Sie zahlt den allgemeinen Betriebsstättenbeitrag, wendet sich aber gegen die Heranziehung zu dem zusätzlichen  Rundfunkbeitrag für ihre Gästezimmer. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat das berufungsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Auch bei dem zusätzlich vom Betriebsstätteninhaber für Hotelzimmer etc. zu zahlenden Beherbergungsbeitrag handelt es sich um eine rundfunkspezifische nichtsteuerliche Abgabe, für die die Länder die Regelungsbefugnis besitzen und deren Erhebung verfassungsrechtlich einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Diese ist grundsätzlich gegeben, weil der Beherbergungsbeitrag einen besonderen Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit abgilt, der nicht bereits vom Betriebsstättenbeitrag erfasst wird. Die Möglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunkempfangs in den Hotel- und Gästezimmern sowie Ferienwohnungen ist ein preisbildender Umstand und stellt daher für den Betriebsstätteninhaber einen besonderen zusätzlichen Vorteil dar. Dieser zusätzliche Vorteil ist ihm zuzurechnen und von ihm abzugelten, wenn er seinen Gästen in den Zimmern und Ferienwohnungen die Rundfunkempfangsmöglichkeit bereitstellt. Das ist der Fall, wenn er die Räumlichkeiten mit Empfangsgeräten oder einem Internetzugang ausstattet, der seinen Gästen einen Rundfunkempfang ermöglicht.

Die Anknüpfung der Beitragspflicht an das Innehaben von Raumeinheiten führt grundsätzlich dazu, dass auch diejenigen Inhaber, die auf jegliche Empfangsmöglichkeit verzichten, der Beitragspflicht unterfallen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Bereich des Wohnungs- und des Betriebsstättenbeitrags (s. Urteile vom 18. März 2016 – BVerwG 6 C 6.15 – BVerwGE 154, 275 und vom 7. Dezember 2016 – BVerwG 6 C 49.15 -) als gerechtfertigt erachtet. Diese Raumeinheiten sind nahezu lückenlos mit Empfangsgeräten oder einem Internetzugang ausgestattet und in diesen Bereichen war eine „Flucht aus der Rundfunkgebühr“ festzustellen, weshalb Zweifel an der Belastungsgleichheit der Erhebung der Rundfunkgebühr bestanden. Darüber hinaus war der Nachweis der Verbreitung insbesondere von multifunktionalen Empfangsgeräten und die Zuordnung zum Rundfunkteilnehmer nicht mehr mit der gebotenen Sicherheit festzustellen. Aus den vorgenannten Gründen und zur Gewährleistung einer möglichst gleichmäßigen Erhebung war der Gesetzgeber nicht gehalten, im Bereich des Wohnungs- und Betriebsstättenbeitrags eine Befreiungsmöglichkeit bei Verzicht auf den Rundfunkempfang vorzusehen.

Bei der zusätzlichen Beitragspflicht des Betriebsstätteninhabers für seine Hotelzimmer etc. liegen diese Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme von Inhabern, die ihren Gästen keine Rundfunkempfangsmöglichkeit in diesen Räumen eröffnen, jedoch nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht aufgrund statistischer Daten verlässlich feststellen, dass Hotelzimmer etc. nahezu lückenlos mit Empfangsgeräten oder einem geeigneten Internetzugang ausgestattet sind. Darüber hinaus bereitet es keine unüberwindbaren Schwierigkeiten, das Vorhandensein eines Empfangsgerätes oder eines Internetzugangs festzustellen. Die Ausstattung der Zimmer mit Empfangsgeräten oder Internetzugang gehört zu denjenigen Merkmalen, die das Geschäftsmodell des Inhabers prägen und daher z.B. Gegenstand von Internetauftritten, Werbeprospekten und Bewertungen von Gästen im Internet sind. Aus diesen Gründen ist die Erhebung des zusätzlichen Beitrags vom Betriebsstätteninhaber verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, soweit dieser seinen Gästen eine Möglichkeit der Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Hotelzimmern etc. zur Verfügung stellt. Für die anderen erweist sich die Beitragsregelung als verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber ihnen nicht den Nachweis ermöglicht hat, dass ihre Zimmer nicht mit Empfangsgeräten oder einem geeigneten Internetzugang ausgestattet sind. Die Verfassungswidrigkeit der Regelung des Beherbergungsbeitrags beschränkt sich hierauf. Sie erfasst nicht die Beitragspflicht derjenigen Betriebsstätteninhaber, die ihren Gästen eine Empfangsmöglichkeit in den Zimmern eröffnen.

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob in den Zimmern der Klägerin eine von ihr eröffnete Rundfunkempfangsmöglichkeit besteht. Erst nach Aufklärung dieser Tatsache kann beurteilt werden, ob die Klägerin zur Zahlung des Beitrags verpflichtet ist oder aber die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Beherbergungsbeitrags dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen ist.

PressemitteilungNr. 66/2017 vom 27.09.2017

Urteil vom 27. September 2017 – BVerwG 6 C 32.16 –

Vorinstanzen:

VGH München, 7 BV 15.1188 – Urteil vom 14. April 2016 –

VG Augsburg, Au 7 K 14.792 – Urteil vom 20. April 2015 –

Einkommensteuer: Zugbegleiterin hat keine regelmäßige Arbeitsstätte

Mit Urteil vom 23. November 2016 (Az. 2 K 2581/14) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) entschieden, dass eine Zug-Servicemitarbeiterin, die ihren Dienst täglich am selben Bahnhof beginnt und beendet, dort dennoch keine regelmäßige Arbeitsstätte hat, weil sie ihre Haupttätigkeit im Zug erbringt.

Die Klägerin war im Streitjahr 2013 als Zug-Servicemitarbeiterin bei der DB Fernverkehr AG beschäftigt. Für die Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Bahnhof Köln (Dienstbeginn) hatte sie von der Arbeitgeberin ein Job-Ticket erhalten. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2013 machte die Klägerin für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die (vom genutzten Verkehrsmittel unabhängige) Werbungskostenpauschale geltend (= Entfernungskilometer x 0,30 Euro). Das beklagte Finanzamt stufte die Fahrten zwischen Wohnort und Bahnhof allerdings nicht als Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte, sondern als Dienstfahrten ein und erkannte wegen des Job-Tickets keine Werbungskosten an.

Dagegen erhob die Klägerin erfolglos Klage.

Auch das FG vertrat die Auffassung, dass die Klägerin keine regelmäßige Arbeitsstätte habe, obwohl sie täglich ihren Dienst am selben Bahnhof beginne und beende. Entscheidend sei, wo sich der Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit befinde. Schon ihre Berufsbezeichnung spreche dafür, dass dieser Mittelpunkt in den jeweiligen Zügen liege. Außerdem werde hier der Umsatz zugunsten der Arbeitgeberin generiert. Bei den am Betriebssitz der Arbeitgeberin ausgeführten Tätigkeiten einschließlich der Einzahlung der Einnahmen nach Fahrtende handle es sich lediglich um arbeitsbegleitende Handlungen, die gegenüber der im Zug zu erbringenden Haupttätigkeit von nur geringem Gewicht seien. Die Klägerin habe daher in den jeweiligen Zügen eine Auswärtstätigkeit ausgeübt. Die Fahrten zwischen Wohnung und Bahnhof seien daher keine Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte, sondern Dienstreisen. Bei einer Auswärtstätigkeit bzw. Dienstreisen könnten zwar grundsätzlich alle dadurch verursachten Reisekosten als Werbungskosten abgezogen werden. Weil der Klägerin aufgrund ihres Job-Tickets allerdings keine eigenen Aufwendungen entstanden seien, scheide auch ein Werbungskostenabzug aus.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde endet am 24. Januar 2017 (Eingang beim Bundesfinanzhof).

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 01.12.2017 zum Urteil 2 K 2581/14 vom 23.11.2016

 

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