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Umsatzsteuer: Wer aufgrund von zeitlich befristeten Rahmenvereinbarungen über einen längeren Zeitraum im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist, ist mangels selb-ständiger Tätigkeitsausübung kein Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne, auch wenn der Auftraggeber nach den geschlossenen Verträgen nicht zur Erteilung bzw. Annah-me einzelner Aufträge verpflichtet ist, Urteil des 5. Senats vom 2.8.2013, 5 K 52/10, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 5 K 52/10
Urteil des Einzelrichters vom 02.08.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: UStG § 2, RL 77/388/EWG Art. 4 Abs. 1
Leitsatz: Programmgestaltende Mitarbeiter einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die aufgrund von zeitlich befristeten Rahmenvereinbarungen über einen längeren Zeitraum beschäftigt und im Wesentlichen für nur einen Auftraggeber tätig werden, können, auch wenn nach den geschlossenen Verträgen keine Verpflichtung zur Erteilung bzw. Annahme einzelner Aufträge besteht, ihre berufliche Tätigkeit i. S. d. § 2 UStG nicht selbständig ausüben mit der Folge, dass sie keine Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sind.
Überschrift: Umsatzsteuer: Keine Umsatzsteuerpflicht einer programmgestaltenden Mitarbeiterin einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin als Journalistin für den Sender A (nachfolgend: A) in den Streitjahren eine berufliche Tätigkeit selbstständig ausübte und damit als Unternehmerin im umsatzsteuerlichen Sinne zu qualifizieren ist.
Die Klägerin war als programmgestaltende freie Mitarbeiterin im Wesentlichen für den A tätig. Die Beschäftigung erfolgte seit dem … 2000 auf Basis zeitlich (zumeist auf ein Jahr) befristeter, wiederholt zwischen der Klägerin und dem A geschlossener standardisierter Rahmenvereinbarungen (vgl. Anlagen Ef 1 bis Ef 6 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband).
Diese Rahmenvereinbarungen wiesen im Wesentlichen den folgenden (gleichlautenden) Regelungsgehalt auf: Der A beabsichtigte die Klägerin als programmgestaltende Mitarbeiterin zu beschäftigen, und zwar als Realisatorin, Moderatorin, Reporterin und Autorin (Ziffer 1.). Der Umfang der Tätigkeit der Klägerin für den A hing ausschließlich davon ab, ob und inwieweit sie und der A zusammenarbeiten wollten bzw. sich von Fall zu Fall über den jeweiligen Auftrag einigten. Weder war die Klägerin verpflichtet, dem A über die Dauer eines übernommenen Einzel-Auftrags hinaus zur Verfügung zu stehen, noch war der A gehalten, die Klägerin zu beschäftigen (Ziffer 2.). Der A und die Klägerin schlossen für jede Produktion, Mitwirkung, Autorenleistung oder sonstige inhaltlich programmgestaltende Tätigkeit gesonderte Einzelvereinbarungen ab. Für diese Einzelvereinbarungen und in Ergänzung zu ihnen wurde die Rahmenvereinbarung geschlossen (Ziffer 3.1). Die Klägerin konnte diese Vereinbarungen jederzeit mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende kündigen; vom A konnten die Vereinbarung nur aus wichtigem Grund gekündigt werden (Ziffer 5).
Für die Funktion der programmgestaltenden Mitarbeiterin fand ausweislich der Ziffer 3.3 der Rahmenvereinbarung im Übrigen der Tarifvertrag für befristete Programmmitarbeit in der jeweils geltenden Fassung Anwendung (vgl. Anlage Ef 8 zum Schriftsatz vom 29.03.2010 der Klägerin im Anlagenband, insbesondere Anlage 1 des Tarifvertrags). Darin hieß es unter Ziffer II. 3. in Bezug auf die
Einzelvereinbarung der Produktionsaufträge: „Die Beauftragung einer nach diesem Tarifvertrag befristet beschäftigten Programmmitarbeiterin soll in der Regel durch eine schriftliche Vereinbarung erfolgen, die den Hinweis enthält, dass es sich um eine Tätigkeit im Rahmen dieses Tarifvertrags handelt. Erfolgt die Beauftragung mündlich, so wird sie schriftlich bestätigt.“ Gemäß Ziffer III. des Tarifvertrags unterlag die Klägerin daneben grundsätzlich keinen Beschränkungen in Bezug auf die anderweitige Verwertung ihrer Arbeitskraft. Ferner enthielt der Tarifvertrag in Ziffer IV. eine soziale Bestandsschutzregelung zugunsten der Klägerin. Neben weiteren, im Einzelnen dort festgelegten Voraussetzungen war dort ausgeführt: „Eine nach diesem Tarifvertrag befristet beschäftigte Programmmitarbeiterin hat Bestandsschutz, wenn der A die Beschäftigung beendet oder deren Umfang dauerhaft wesentlich verringert.“ Bei festgestellter Beendigung oder wesentlicher Verringerung der Beschäftigung stand dem Beschäftigten ein nach Gesamtdauer der Beschäftigung und Jahresdurchschnittshonorar zu berechnendes Übergangsgeld zu. Laut Ziffer V. des Tarifvertrags hatte die Klägerin daneben Anspruch auf bezahlten Urlaub, auf Zahlungen im Krankheitsfall sowie auf Zuschüsse bei Schwangerschaft nach Maßgabe der entsprechenden Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen (vgl. Anlagen Ef 9 bis Ef 11 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Verträge Bezug genommen.
In den Streitjahren lag der Tätigkeitsschwerpunkt der Klägerin bis zum 30.06.2006 in der Realisierung von mehr als 340 Fernsehbeiträgen für die Sendung „XX“, einem täglich gesendeten Vorabendprogramm mit aktuellen und … Bezügen. Die Klägerin erstellte Magazinfilme, Portraits und Reportagen mit einer Länge von bis zu 5 Minuten. Des Weiteren erstellte sie als sog. Aktuellreporterin kurzfristig tagesaktuelle Filmbeiträge und lieferte tagesaktuelles Drehmaterial. Darüber hinaus übernahm sie seit 2003 die kreative Entwicklung und Umsetzung von Auftritten prominenter Talkgäste einschließlich der Fertigung von Einspielfilmen und Trailern. Zu den Hauptaufgaben der Klägerin im Einzelnen gehörten zu dieser Zeit die eigenständige Themenrecherche in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Gesundheit und Soziales, die Koordination von Dreharbeiten (Erstellung von Drehplänen, Bestimmung der Drehorte, Auswahl von Interviewpartnern, Führen der Kamerateams), das Führen von Interviews, die Leitung des Editings (Sichten von Filmmaterial, Festlegung der Bildabfolge, Auswahl der zentralen Interviewaussagen, Anleitung des Cutters, Festlegung der Filmeffekte, Auswahl der Filmmusik) sowie das Schreiben und Sprechen der Filmtexte.
Mit Wirkung zum 01.07.2006 verlagerte sich der Tätigkeitsschwerpunkt der Klägerin vom Programmbereich Fernsehen/Vorabendmagazine in das Landesfunkhaus B/Fernsehen, wo sie vornehmlich Beiträge für das „B …“ erstellte.
Die monatlichen Vergütungen, die die Klägerin für diese Tätigkeiten vom A erhielt, beliefen sich in den Streitjahren auf folgende Beträge:
Monat 2003 2005 2006
Januar 4.255,04 € 2.673,53 € 4.502,19 €
Februar 2.460,94 € 5.204,13 € 6.508,84 €
März 5.211,37 € 2.845,18 € 5.193,96 €
April 3.839,61 € 4.703,61 € 3.730,13 €
Mai 3.804,84 € 4.075,23 € 5.538,30 €
Juni 3.746,13 € 5.960,87 € 6.683,37 €
Juli 4.702,58 € 5.811,92 € 1.957,20 €
August 8.284,22 € 3.360,46 € 4.762,04 €
September 4.104,28 € 6.363,05 € 6.945,18 €
Oktober 5.077,02 € 4.876,86 € 2.000,10 €
November 4.840,89 € 5.252,91 € 5.615,00 €
Dezember 3.451,76 € 3.985,10 € 3.903,00 €
Gesamtbrutto 56.740,13 € 57.317,36 € 59.632,84 €
Darin enthalten waren die folgenden Urlaubsgelder und Zahlungen im Krankheitsfall:
2003 2005 2006
Urlaub 4.033,08 € 5.357,84 € 3.019,60 €
Krankheit – – 2.022,44 €
Auf die hierzu vorgelegten Aufstellungen wird ebenfalls Bezug genommen (Anlage Ef 12 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband).
Mit Ablauf des … 2010 endete vertragsgemäß die befristete Zusammenarbeit zwischen dem A und der Klägerin. Der A hatte der Klägerin bereits mit Schreiben vom 23.10.2007 mitgeteilt, dass eine Verlängerung der am …/… 2007 geschlossenen (letzten) Rahmenvereinbarung nicht beabsichtigt sei, und die Klägerin aufgefordert, sich rechtzeitig bei einer Niederlassung der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitssuchende zu melden, da anderenfalls eine Kürzung eventueller Ansprüche auf Arbeitslosengeld drohe (vgl. Anlage K29 zum Schriftsatz der Klägerin vom 12.11.2011 im Anlagenband).
Aufgrund des Tarifvertrags hatte die Klägerin nach Beendigung ihrer Tätigkeit einen Anspruch auf Bestandsschutzzahlungen gegen den A i. H. v. acht Monatsentgelten à 4.324,46 €, zahlbar in den Monaten August 2010 bis März 2011, insgesamt also i. H. v. 34.595,68 € (vgl. Anlage K32 zum Schriftsatz der Klägerin vom 12.11.2011 des Anlagenbands). Dies entsprach etwa 60 vom Hundert der in den Streitjahren jeweils erzielten Bruttoeinnahmen.
Die Klägerin hatte für die Streitjahre Umsatzsteuererklärungen abgegeben, denen zufolge sie ganz überwiegend dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Leistungen aus einer freiberuflichen Tätigkeit als Journalistin erbrachte. Die erklärten Umsätze zu 7 v. H. beliefen sich auf 52.520 € (2003), 55.888 € (2005) und 55.811 € (2006); daneben hatte die Klägerin noch Umsätze (sonstige Leistungen) zu 16 v. H. von 159 € (2003), 1.453 € (2005) und 251 € (2006) erklärt.
Die Klägerin legte im Dezember 2008 und Januar 2009 berichtigte Umsatzsteuererklärungen vor, mit denen sie Umsätze zu 7% von nur noch 27.795 € (2003), 2.320 € (2005) und 0 € (2006) sowie Umsätze zu 16% von 1.453 € (2005) und 251 € (2006) geltend machte. Hinsichtlich des Jahres 2003 trug die Klägerin vor, dass der bislang der Umsatzbesteuerung unterworfene Betrag unzutreffend sei; den beigefügten Honorarbescheinigung des A zufolge habe die Klägerin in erheblichem Umfang Einnahmen aus nicht selbständiger Arbeit erzielt, die nicht der Umsatzsteuer unterlägen (s. Anlage K2 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband). Hinsichtlich der Jahres 2005 und 2006 verwies die Klägerin darauf, dass sie in diesen Jahren überwiegend Einnahmen aus nicht selbständiger Arbeit
erzielt habe; gem. Ziff. 1.3.4. des Künstlererlasses vom 05.10.1990 (BStBl. I S. 638) bestehe damit vollständige Umsatzsteuerfreiheit. Auch hierzu legte die Klägerin Honorarbescheinigungen des A vor (vgl. Anlagen K5 und K7 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband).
Auf Nachfragen des von dem Beklagten eingeschalteten Finanzamts für Großunternehmen teilte der A mit Schreiben vom 09.07.2009 mit, dass die Klägerin nach den geschlossenen Rahmenvereinbarungen als Autorin, Moderatorin, Realisatorin und Reporterin eingesetzt werden „kann“. Für jeden Einzeleinsatz würden gesonderte Vereinbarungen geschlossen, die allerdings auch mündlich erfolgen könnten. Weder sei die Klägerin verpflichtet, die von dem A angebotenen Aufträge anzunehmen, noch sei der A verpflichtet, der Klägerin regelmäßig Aufträge anzubieten. Auf das Schreiben des A vom 09.07.2009 wird Bezug genommen (Bl. 49 der Umsatzsteuerakten, Bd. III).
Mit Bescheid vom 04.11.2009 lehnte der Beklagte die Änderungsanträge ab. Der Einspruch der Klägerin vom 24.11.2009 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 05.03.2010 als unbegründet zurückgewiesen.
Am 30.03.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsbegründung vor, dass sie nach den vom Bundesfinanzhof (BFH) in seiner Entscheidung vom 25.06.2009 (Aktz. V R 37/08) dargestellten Abgrenzungsmerkmalen zur Differenzierung zwischen einer selbstständigen und einer nichtselbstständigen Tätigkeit in den Streitjahren keine umsatzsteuerpflichtigen Umsätze erzielt habe.
Als Beschäftigte des A habe sie auf Grundlage der Rahmenverträge Leistungen erbracht, bei denen eine erhöhte Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der jeweiligen Tätigkeit bestanden habe. Dies gelte insbesondere für Livereportagen. Eine Livereportage werde notwendigerweise zu einem vom A bestimmten Zeitpunkt in das laufende Programm eingespielt. Zu diesem Zweck habe sie sich also genau zu diesem Zeitpunkt an dem Ort des Geschehens befinden müssen. In dem laufenden Programm werde eine Livereportage außerdem durch einen kleinen Einspielfilm und/oder eine Anmoderation eingeleitet. Deswegen gebe es in solchen Fällen die inhaltliche Vorgabe, dass sich Texte und Bilder aus dem Einspielfilm und der Anmoderation innerhalb der Livereportage nicht wiederholen dürften.
Im Rahmen der Erstellung von Filmbeiträgen sei sie bezogen auf die Arbeitsschritte „Realisation“ (Dreharbeiten und Schnitt des Beitrags) und „Sprechen“ (Vertonung des Beitrags mit eigenem Text) in den Betrieb des A eingegliedert und auf Mitarbeiter des A angewiesen gewesen. Der A stelle ihr Kameraleute, Tontechniker und Beleuchter unentgeltlich zur Verfügung, damit ein Beitrag gedreht werden könne. Nach den Dreharbeiten müsse sie sich für einen Schnittplatz in den Räumlichkeiten des A anmelden. Zusammen mit einem Cutter werde der Beitrag dann geschnitten. Für das Sprechen der Texte müsse sie sich erneut anmelden, um einen Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des A unentgeltlich nutzen zu können, der über die dafür erforderliche technische Ausstattung verfüge. Die Eingliederung in den Betrieb des A ergebe sich nicht zuletzt auch daraus, dass sie bestimmten Vorgaben hinsichtlich der Sendelänge eines Beitrags unterliege. So hätten in den streitgegenständlichen Jahren die für die Arbeitsschritte „Realisation“ und „Sprechen“ vom A gezahlten Entgelte zzgl. des Urlaubsgeldes, des Zuschusses für den Krankheitsfall und des
Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung mehr als die Hälfte der vom A gezahlten Bezüge ausgemacht (vgl. detaillierte Aufstellung zu Punkt 4 der Einspruchsbegründung vom 15.01.2009).
Auch trage sie kein Unternehmerrisiko. Dies zeige sich schon daran, dass in dem zwischen ihr und dem A geltenden Tarifvertrag für befristete Programmmitarbeit ein sozialer Bestandsschutz zu ihren Gunsten geregelt sei. Ausweislich dieser Regelung erhalte sie u. a. Zahlungen vom A, wenn das übliche Auftragsvolumen zurückgehe, so dass sie gerade nicht das Vergütungsrisiko trage, welches ein Selbstständiger regelmäßig zu tragen habe. Dass derartige Zahlungen an sie selbst nicht erfolgt seien, weil das Auftragsvolumen zu keiner Zeit in dem dafür erforderlichen Maße zurückgegangen sei, sei unerheblich. Zudem würden die geltenden Tarifverträge Zuschüsse in der Schwangerschaft, bezahlten Urlaub und Zahlungen im Krankheitsfall vorsehen. Die im streitgegenständlichen Zeitraum erhaltenen Zahlungen für die beiden letztgenannten Positionen ergäben sich aus einer entsprechenden Aufstellung des A (Anlage Ef 12 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband). Daneben habe sie in sämtlichen Jahren Arbeitgeberzuschüsse zur Sozialversicherung erhalten (s. ebenfalls Anlage Ef 12 zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.03.2010 im Anlagenband). Wer selbstständig tätig sei, erhalte derartige Zuschüsse jedoch nicht.
Ferner schulde sie dem A lediglich ihre Arbeitskraft, nicht aber einen Arbeitserfolg. Dementsprechend habe sie in verschiedenen Fällen auch für letztlich nicht hergestellte Fernsehbeiträge Gelder vom A wegen der von ihr geleisteten Recherchetätigkeiten und Bemühungen erhalten (vgl. umfassend Punkt 2, lit. b, aa bis ff der Einspruchsbegründung vom 15.01.2009 samt Anlagen Ef 13 bis 17 im Anlagenband).
Daneben sei zu berücksichtigen, dass sie in den streitgegenständlichen Veranlagungszeiträumen im Wesentlichen nur für den A tätig gewesen sei. Andere Vertragspartner habe es entweder gar nicht oder nur mit einem unerheblichen Volumen gegeben: Im Jahr 2003 sei ein Honoraranteil von 95,82 Prozent (Rest: Sender C und Sender D) auf den A entfallen, im Jahr 2005 von 95,85 Prozent (Rest: Sender C) und im Jahr 2006 sogar 100 Prozent.
Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass der A ihr in den streitbefangenen Veranlagungszeiträumen Gutschriften erteilt habe, die keine Umsatzsteuer ausgewiesen hätten. Bei der Aufteilung der Vergütung habe der A die Arbeitsschritte Treatment und Recherche sowie das Schreiben der Texte als freiberuflich angesehen und die Arbeitsschritte Realisation (Dreh und Schnitt) sowie das Sprechen der Texte als nicht selbständige Tätigkeit. Ihrer Auffassung nach sei es aber nicht möglich, die Erstellung eines Filmbeitrags in dieser Weise verschiedenen Einkunftsarten zuzuordnen, wenn die einzelnen Arbeitsschritte wie in ihrem Fall von derselben Person durchgeführt würden.
Die Klägerin hat zunächst beantragt, den Ablehnungsbescheid vom 04.11.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2010 aufzuheben und die Umsatzsteuer 2003, 2005 und 2006 entsprechend der Anträge vom 15. und 21.12.2008 sowie 12.01.2009 festzusetzen. Im Erörterungstermin vom 20.02.2013 hat die Klägerin erklärt, dass sie inzwischen der Auffassung sei, auch in Bezug auf das Streitjahr 2003 müsse die gesamt vom A gezahlte Vergütung als nicht umsatzsteuerpflichtig behandelt werden.
Die Klägerin beantragt nunmehr (sinngemäß),
den Ablehnungsbescheid vom 04.11.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.03.2010 aufzuheben und die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2003, 2005 und 2006 dahingehend zu ändern, dass die vom A gezahlten Vergütungen vollständig als nicht umsatzsteuerpflichtig behandelt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Klägerin in den Streitjahren in dem festgestellten Umfang selbstständig tätig i. S. d. UStG gewesen ist.
Die Klägerin habe in den Streitjahren Unternehmerinitiative entfaltet. Sie sei im Hinblick auf ein vom A vorgegebenes Recherchethema in der Art der Ausführung eines Filmbeitrags völlig frei gewesen. Sie habe Art, Ort und Zeit ihrer Tätigkeit im Wesentlichen frei bestimmen können und sei auch nicht daran gebunden gewesen, ihre Aufträge in den Räumlichkeiten des A durchzuführen. Zudem habe sie dem A eigene Themenvorschläge unterbreitet.
Ferner sei es der Klägerin nach der Rahmenvereinbarung möglich gewesen, neben der Tätigkeit für den A auch mit anderen Auftraggebern Verträge zu schließen; es habe in einem solchen Fall nicht einmal eine Anzeigepflicht gegenüber dem A bestanden. Hiervon habe die Klägerin Gebrauch gemacht. Ein Arbeitnehmer hingegen könne in der Regel nicht für einen zweiten Arbeitgeber tätig werden, es sei denn, der Arbeitgeber erkläre ausdrücklich seine Zustimmung.
Nach den vertraglichen Vorgaben sei die Klägerin bis hin zur Erstellung des fertigen Filmbeitrags zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner einem Arbeitnehmer vergleichbaren Form weisungsgebunden gewesen; vielmehr habe sie einer journalistischen Gestaltungsfreiheit unterlegen. Selbst feste Abgabezeitpunkte für die Filmbeiträge führten zu keiner anderen Beurteilung.
Auch schulde die Klägerin dem A nicht ihre Arbeitskraft, sondern lediglich einen Arbeitserfolg. Ihre Beauftragung liege darin, für den A fertige Filmbeiträge für das Vorabendprogramm zu erstellen. Sie habe es in der Hand gehabt, durch eine effiziente Aufgabenerledigung die von dem A dafür veranschlagten Gelder „schnell“ zu verdienen. Für diese Annahme spreche auch, dass der A der Klägerin bei Wiederholung eines ihrer Beiträge ein Wiederholungshonorar zahle. Weder sei die Klägerin in Dienstpläne eingeteilt noch zu ständiger Dienstbereitschaft verpflichtet gewesen noch habe sie ohne entsprechende Vereinbarungen gegen ihren Willen zur Erfüllung von zugewiesenen Aufgaben vom A herangezogen werden können. Ausnahmen seien lediglich die nicht regelmäßig, besonders vereinbarten Bereitschaftsdienste gewesen, die der Klägerin aber auch jeweils gesondert vergütet worden seien.
Schließlich sei die Klägerin in aller Regel nicht nach Arbeitszeit und damit nach festen Bezügen, sondern fast ausschließlich über sog. „Stückhonorare“ vergütet worden. Überstundenvergütungen seien ebenfalls nicht Vertragsbestandteil gewesen.
Die Klägerin habe auch weder notwendig in enger ständiger Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern gestanden noch sei sie notwendig in den Betrieb des A eingegliedert gewesen. Zwar habe sie bei der Erstellung der Filmbeiträge auf Einrichtungen, Ausstattung und Personal des A zurückgreifen können, jedoch habe sie sich dabei in den einzelnen Arbeitsschritten nicht in betriebliche Organisationen oder Hierarchien einordnen müssen, sondern habe die jeweiligen Aufgaben unter Zuhilfenahme des von ihr benötigten Personals eigenverantwortlich und unabhängig erledigt. Aus der Nutzung von Ausstattung und Personal des Auftraggebers folge mitnichten eine Eingliederung in den Betrieb des A.
Auch nach dem zur lohnsteuerlichen Einordnung von selbstständigen und nichtselbstständigen Tätigkeiten ergangenen BMF-Schreiben vom 05. Oktober 1990, BStBl I 1990, 638 (sog. Künstlererlass), werde die Tätigkeit der Klägerin unter Ziffer 1.3.3. in Beispiel b) als selbstständig behandelt.
Letztlich sei im Hinblick auf das Unternehmer- und damit das Vergütungsrisiko zwar richtig, dass die Klägerin vom A zusätzliche Leistungen in Form der Übernahme von Beiträgen zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung erhalten habe; jedoch könne nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 25. Juni 2009, V R 37/08) der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der Tätigkeit allenfalls indizielle Bedeutung für die umsatzsteuerliche Bewertung zukommen. Zudem sei die Tätigkeit der Klägerin, trotz der ihr gewährten arbeitnehmerähnlichen Sonderrechte, auch nach der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Einordnung als selbstständig einzustufen.
Die Streitsache ist mit den Beteiligten erörtert worden. Im Rahmen des Erörterungstermins hat die Klägerin u. a. erklärt, dass sich die in der Anlage EF 12 aufgeführten Tätigkeiten ausschließlich auf eigene, von ihr selbst erstellte Beiträge bezögen; für andere Journalisten habe sie weder Konzepte erstellt noch Recherchen durchgeführt. Während ihrer Tätigkeit für die XX-Redaktion habe sie im A Schreibtische genutzt, die dort für freie Mitarbeiter vorgehalten würden. Während ihrer Tätigkeit für das B … habe sie einen eigenen Schreibtisch im A gehabt, der in einem Büro gestanden habe, das sie sich mit einem anderen freien Mitarbeiter geteilt habe. Einen eigenen Schlüssel habe sie auch gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 20.02.2013 Bezug genommen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet und erklärt, dass sie mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden sind.
Dem Gericht haben zwei Bände Umsatzsteuerakten (Band II und III) und ein Band Rechtsbehelfsakten (Band I) vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 und 4 FGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
2. Die Erweiterung des Klageantrags in Bezug auf das Streitjahr 2003 (erst) im Erörterungstermin ist gem. § 155 FGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO statthaft; es handelt sich insbesondere nicht um eine Klageänderung i. S. d. § 67 FGO. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit der betragsmäßigen Bezifferung ihres Klagebegehrens bezüglich der Umsatzsteuer für 2003 in der Klageschrift von einem weitergehenden Klagebegehren absehen wollte (vgl. BFH-Urteil vom 19.12.1991 V R 35/87, BFH/NV 1992, 569 in Bezug auf die Umsatzsteuer; s. allg. auch BFH, Beschluss des Großen Senats vom 23.10.1989 GrS 2/87, BStBl. II 1990, 327; ferner Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 67 FGO Rz. 38 ff.; Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 67 Tz. 3; krit. dagegen von Groll, in: Gräber, FGO, § 67 Rz. 3).
3. Die angefochtene Ablehnung der Änderungsanträge der Klägerin vom 15. und 21.12.2008 sowie vom 12.01.2009 auf Herabsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2003, 2005 und 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
Die Klägerin ist keine Unternehmerin i. S. d. § 2 UStG.
a) Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG ist gewerblich oder beruflich jede Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.
Diese Vorschriften beruhen gemeinschaftsrechtlich auf Art. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gilt als Steuerpflichtiger, wer eine der in Abs. 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis. Gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG schließt der in Abs. 1 verwendete Begriff „selbständig“ Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind die einzelnen Merkmale, die für und gegen die Selbständigkeit i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG sprechen, unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteile vom 25.06.2009 V R 37/08, BStBl. II 2009, 873, unter II.1.b; und vom 10.03.2005 V R 29/03, BStBl II 2005, 730, unter II. a). Selbständigkeit in der Organisation und bei der Durchführung der Tätigkeit, Unternehmerrisiko, Unternehmerinitiative, Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb, geschäftliche
Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern sprechen für persönliche Selbständigkeit. Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolgs, Ausführung von einfachen Tätigkeiten, die regelmäßig weisungsgebunden sind, sprechen gegen die Selbständigkeit der Tätigkeit (BFH-Urteile vom 25.06.2009 a. a. O.; und vom 30.05.1996 V R 2/95, BStBl II 1996, 493).
Besondere Bedeutung kommt dem Handeln auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung und dem Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko) zu. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit; ist der Steuerpflichtige von einem Vermögensrisiko der Erwerbstätigkeit grundsätzlich freigestellt, spricht dies gegen Selbständigkeit (BFH-Urteil vom 25.06.2009, unter II.1.b).
Dies entspricht dem Gemeinschaftsrecht. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG liegt keine selbständige Tätigkeit vor, wenn ein festes Monatsgehalt und ein jährliches Urlaubsgeld gezahlt werden, von dem Gehalt weiter Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge einbehalten werden, und wenn nicht für eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung gehandelt wird (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Oktober 2007, Rs. C-355/06, van der Steen, Slg. 2007, I-8863, BFH/NV Beilage 2008, 48 Rdnrn. 22 f.).
Die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen ist für die Umsatz-, die Einkommen- und die Gewerbesteuer grundsätzlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. § 1 Abs. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung). Dabei kommt der sozial-, arbeits- und einkommensteuerrechtlichen Beurteilung zwar indizielle Bedeutung zu. Eine rechtliche Bindung besteht dabei aber weder an die sozial- und arbeitsrechtliche noch an die ertragsteuerrechtliche Beurteilung. Die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nicht selbständig ausgeübt wird, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten. Die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, sind gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteil vom 25.06.2009, unter II.1.c, mit weiteren Nachweisen).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das erkennende Gericht im vorliegenden Streitfall unter Würdigung und Abwägung der festgestellten Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin in den Streitjahren für den A nicht selbständig tätig war und damit die Voraussetzungen einer selbständigen Unternehmerin i. S. d § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht erfüllt hat. Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass die Tätigkeit der Klägerin auch einzelne Merkmale aufweist, die für eine Selbständigkeit sprechen können; in ihrer Summe tragen jedoch die hier gegebenen Umstände die Annahme einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin nicht.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Klägerin sowohl nach den mit dem A geschlossenen Verträgen als auch nach der tatsächlichen Durchführung dieser Verträge ein nur sehr reduziertes Vergütungsrisiko für ihre Tätigkeit trug. Zwar sahen die Rahmenvereinbarungen unter Ziffer 2. zu den Beschäftigungsgrundsätzen formal
weder eine Antrags- noch eine Annahmeverpflichtung von Aufträgen für den A bzw. die Klägerin vor, so dass der Eindruck entstehen konnte, allein die Klägerin habe das Risiko ihrer Beauftragung durch den A getragen. Jedoch hat die Klägerin nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass diese vertraglichen Regelungen nicht der tatsächlichen Durchführung der Rahmenvereinbarungen zwischen ihr und dem A entsprochen haben. Die festgestellten Tatsachen bestätigen dies: Die Klägerin wurde dauerhaft, über einen Zeitraum von mehreren Jahren in nahezu gleichbleibendem Umfang – mit leicht steigender Tendenz – vom A mit der Erstellung von Filmbeiträgen beauftragt und entsprechend vergütet. Nach den vorgelegten Gehaltsaufstellungen lag der durchschnittliche Monatsverdienst der Klägerin im Jahr 2003 bei rund 4.480 €, im Jahr 2005 bei rund 4.590 € und im Jahr 2006 bei rund 4.780 €. Zudem enthielten die mit dem A geschlossenen Verträge eine soziale Bestandsschutzregelung zu Gunsten der Klägerin. Diese sah die Zahlung eines sich nach der Gesamtdauer der Beschäftigung und dem Jahresdurchschnittshonorar zu berechnenden Übergangsgeldes für den Fall vor, dass der A die Beschäftigung der Klägerin entweder beenden oder deren Umfang dauerhaft wesentlich verringern sollte. Zwar ist der letztgenannte Fall nicht eingetreten. Die Klägerin hat aufgrund der dargestellten dauerhaften, über die Streitjahre im Wesentlichen gleichbleibenden Auslastung durch entsprechende Aufträge des A während ihrer Tätigkeit keine Zahlungen wegen Rückgang des Auftragsvolumens erhalten. Jedoch kann für die vorliegend vorzunehmende Wertung einzig relevant sein, dass die Klägerin bei einem tatsächlichen Rückgang des Auftragsvolumens einen vertraglichen Anspruch auf solche Zahlungen gehabt hätte. Zudem darf – wie von der Klägerin auch angeführt – nicht verkannt werden, dass sich wirtschaftlich betrachtet aus dieser Regelung für den A im Ergebnis wenn auch keine zwingende Verpflichtung, so doch eine gewisse praktische Notwendigkeit ergab, der Klägerin ausreichend Aufträge anzutragen. Anderenfalls hätte der A Ausgleichszahlungen leisten müssen, denen keine Leistung der Klägerin gegenübergestanden hätte. Insofern ist auch die Darstellung des A in dem angeführten Schreiben vom 09.07.2009 (Bl. 49 der Umsatzsteuerakten, Bd. III) nur vordergründig zutreffend; sie lässt nicht nur die geschilderte Bestandsschutzregelung unerwähnt, sondern wird insgesamt den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht.
Tatsächlich erhalten hat die Klägerin aufgrund der sozialen Bestandsschutzregelung ein Übergangsgeld i. H. v. 34.595,68 € wegen Beendigung ihrer Zusammenarbeit mit dem A im Jahr 2010. Diese Zahlung entspricht einer typischerweise aus Anlass der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses geleisteten Abfindung.
Die Klägerin hatte zudem im Falle von Krankheit, Urlaub oder Schwangerschaft entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen kein Entgeltrisiko zu tragen. Ausweislich der vorgelegten Honoraraufstellungen sind in den Streitjahren Urlaubsentgelte und Krankengelder auch tatsächlich gezahlt worden.
Daneben sprechen verschiedene Umstände in der Ausgestaltung der Tätigkeit der Klägerin dafür, dass sie in die betriebliche Organisation des A eingegliedert war und dass zugleich die Notwendigkeit der engen laufenden Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern bestand. Nach der glaubhaften und nachvollziehbaren Darstellung der Klägerin nutzte diese für die Erstellung ihrer Beiträge die technischen Einrichtungen des A wie Kameras, Mikrofone, Schnittplatz und Tonstudio. Da der A insoweit nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung stellte, musste die Klägerin sich zur Nutzung der Ressourcen anmelden und mit anderen Mitarbeitern des A abstimmen. Die Klägerin war dabei auf die Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern (Kamera- und
Tonleute, Beleuchter und Cutter) angewiesen, ohne die sie ihre Filmbeiträge nicht hätte erstellen können. Eine Einbindung der Klägerin in die Organisation des A kommt weiterhin auch darin zum Ausdruck, dass die Klägerin ein Postfach beim A hatte, dort über eine eigene Mail-Adresse verfügte sowie eigene Kennwörter für das Einloggen in das Netzwerk des A besaß.
Schließlich spricht auch eine Reihe von Aspekten im äußeren Erscheinungsbild der Arbeit der Klägerin gegen eine selbstständige Tätigkeit. So erhielt die Klägerin während ihrer Tätigkeit für den A ein „Zwischenzeugnis“ sowie eine „Tätigkeitsbescheinigung“ ausgestellt (vgl. Anlagen K19 und K20 zum Schriftsatz der Klägerin vom 05.05.2010, Anlagenband). In diesen wurde die Klägerin als „Kollegin“ bezeichnet und es wurde (u. a.) ihr Verhalten gegenüber „Vorgesetzten“ beurteilt. Ferner wurden der Klägerin regelmäßig Hinweise über Änderungen im Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht erteilt und es wurde ihr ein „A Verhaltenskodex“ für Mitarbeiter ausgehändigt (vgl. Anlagen K21 und K22 zum Schriftsatz vom 05.05.2010). Letztlich wies der A in seinem Schreiben vom 23. Oktober 2007 über die Beendigung der Zusammenarbeit die Klägerin noch daraufhin, dass sie zur Wahrung ihrer Ansprüche auf Arbeitslosengeld sich rechtzeitig bei der Bundesagentur für Arbeit melden müsse.
Ob die Klägerin tatsächlich, wie von ihr geschildert, für nicht hergestellte Filmbeiträge und für die von ihr ausgearbeiteten, aber vom A nicht übernommene Konzepte reine Recherche- bzw. Ausfallhonorare erhielt, kann offen bleiben.
Demgegenüber lässt der Einwand des Beklagten, die Klägerin sei im Hinblick auf ein vom A vorgegebenes Recherchethema in der Art der Ausführung eines Filmbeitrags „völlig frei“ gewesen, nicht den Schluss zu, die Klägerin sei als selbständige Unternehmerin tätig geworden. Denn zum einen waren der Freiheit der Klägerin faktische Grenzen gesetzt. So mussten die von ihr zu erstellenden Filmbeiträge eine bestimmte Sendelänge haben und in einer bestimmten Art und Weise hergestellt werden, die dem allgemeinen Erscheinungsbild der jeweiligen Sendung entsprach. Auch mussten die vom A vorgegebenen Sendetermine eingehalten werden; die Klägerin war insoweit also den Vorgaben des A unterworfen. Zum anderen kann dem Umstand, dass die Erstellung und Ausgestaltung des jeweiligen Filmbeitrags eigenverantwortlich durch die Klägerin erfolgte und sie ihre Arbeit – wie vom Beklagten angeführt – in Bezug auf Ausführung, Ort und Zeit frei bestimmen konnte, auch als Ausdruck ihrer journalistischen Gestaltungsfreiheit verstanden werden, die ihre Entsprechung im öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag des A findet. Ungeachtet dessen war die Klägerin zumindest in Bezug auf ihre Tätigkeit als sog. „Gagman“ in wöchentliche Dienstpläne eingeteilt (s. Anlagen K26 und K27 zum Schriftsatz der Klägerin vom 06.07.2010, Anlagenband). Ferner musste sie nach ihrem glaubhaften und zuletzt unwidersprochenen Vortrag an Konferenzen teilnehmen, in denen die Abläufe der jeweiligen Sendung besprochen wurden, erhielt teilweise auch verbindliche Anweisungen, Änderungen an ihren Beiträgen vorzunehmen, und unterlag als Livereporterin bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit genauen Vorgaben des A. In der Gesamtschau spricht auch dies deshalb für ein Verhältnis der Unterordnung der Klägerin zum A und damit für eine weisungsgebundene Tätigkeit, bei der lediglich der ihr vom A für die programmgestaltenden Arbeit eingeräumte Rahmen entsprechend des zu erfüllenden journalistischen Auftrags relativ weit gefasst war.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht durch den Hinweis des Beklagten, die Einordnung der Tätigkeit der Klägerin habe entsprechend Ziffer 1.3.3. Beispiel b) des Künstlererlasses bereits deshalb als selbstständig zu erfolgen, weil ihre Tätigkeit von vornherein nicht auf Dauer angelegt gewesen sei und die Filmbeiträge auf der Grundlage von jeweils einzeln abgeschlossenen Vereinbarungen mit dem A erstellt wurden. Der Beklagte vernachlässigt dabei, dass die Klägerin und der A im Vorfeld zu den Einzelvereinbarungen Rahmenvereinbarungen geschlossen hatten, die von vornherein von einer auf Dauer angelegten Tätigkeit ausgingen. Die zeitliche Befristung der einzelnen Rahmenvereinbarungen war dabei unschädlich. Ein dem vom Beklagten angeführten Beispielsfall vergleichbarer Sachverhalt liegt im Streitfall mithin nicht vor, zumal – wie unter Ziffer 1.3.7. des Künstlererlasses ausgeführt – daneben noch zu berücksichtigen gewesen wäre, dass auch ein Journalist aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls gleichwohl als nicht selbständig tätig einzustufen sein kann.
Ferner geht auch das von dem Beklagten angeführte Argument fehl, die Klägerin habe Unternehmerinitiative entfaltet, da sie nach den Rahmenvereinbarungen und den geltenden Tarifverträgen jederzeit auch mit anderen Auftraggebern habe Verträge schließen können, d. h. grundsätzlich keinen Beschränkungen in der anderweitigen Verwertung ihrer Arbeitskraft unterlegen habe. Zwar war die Klägerin in den Streitjahren 2003 und 2005 auch für den Sender C sowie den Sender D tätig, dies allerdings nur in einem sehr geringen Umfang von weniger als 5 Prozent gemessen an den erzielten Gesamthonoraren des jeweiligen Streitjahres. Diese Nebentätigkeit fällt also tatsächlich nicht ins Gewicht und ändert nichts an dem Umstand, dass Hauptauftraggeber der Klägerin in den Streitjahren der A gewesen ist. Darauf, dass vertraglich keine Anzeigepflicht für die Klägerin gegenüber dem A bestand, kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht an.
Auch das Argument des Beklagten, dass der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der Tätigkeit der Klägerin allenfalls indizielle Bedeutung für die umsatzsteuerliche Bewertung zukomme, greift nicht durch. Denn die umsatzsteuerliche Beurteilung im Streitfall entspricht gerade der durch den A in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG-Urteile vom 22.02.1995 5 AZR 757/93 und vom 11.12.1996, 5 AZR 592/95, beide juris) vorgenommenen Einordnung, dass auch „feste freie Mitarbeiter“, die programmgestaltend tätig sind, nichtselbstständig als Arbeitnehmer tätig sein können.
Nach alledem liegen im Streitfall keine hinreichenden Indizien vor, die zumindest in ihrer Summe geeignet wären, eine selbstständige Tätigkeit der Klägerin überzeugend zu begründen. Selbst wenn sich insoweit aus den Besonderheiten des vorliegenden Falles noch Unsicherheiten ergeben hätten, wären diese zulasten des Beklagten gegangen.
c) Diese Wertung führt zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit der Klägerin insgesamt als nicht selbständige Tätigkeit einzuordnen ist. Eine Aufteilung und unterschiedliche Zuordnung nach den von der Klägerin bei der Erstellung der von ihr verfassten Beiträge einzeln vorgenommen Arbeitsschritten ist nach Auffassung des Gerichts nicht möglich. Diese stellen eine Einheit dar und sind einer einheitlichen Wertung zu unterziehen. Das gilt entgegen der von dem A in der Honorarbescheinigung vorgenommen Aufteilung auch für das Streitjahr 2003.
d) Im Übrigen schuldet die Klägerin Umsatzsteuer für den streitigen Zeitraum auch nicht aus § 14c Abs. 2 S. 1 UStG. Weder hat die Klägerin Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellt noch hat der A der Klägerin Gutschriften erteilt, in denen die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen wurde.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
5. Die Revision war nicht zuzulassen. Der Streitfall hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 115 Abs. 2 FGO.

Kraftfahrzeugsteuer: Ist ein Fahrzeug zur Nutzung als Wohnmobil ausgebaut, so scheidet eine Besteuerung als Lkw aus; erfüllt das Fahrzeug jedoch die gesetzlichen Anforderungen an ein Wohnmobil nicht, so ist es – nachdem § 23 Abs. 6a StVZO durch VO vom 2.11.2004 ersatzlos entfallen ist – gleichwohl nicht als Wohnmobil, sondern als Pkw zu besteuern.

Eine Neufestsetzung der KraftSt kann – ohne Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit des früheren Kraftfahrzeugsteuerbescheids – rückwirkend von dem Zeitpunkt an erfolgen, in dem sich die Bemessungsgrundlage oder der einschlägige Steuersatz geändert hat und für alle Zeiträume vorgenommen werden, hinsichtlich derer die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, Urteil des 2. Senats vom 16.9.2013, 2 K 50/13, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 50/13
Urteil des Einzelrichters vom 16.09.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: KraftStG § 2 Abs. 2b, § 8 Nr. 2, § 9 Abs.1 Nr. 2a, § 12 Abs. 2 Nr. 1, StVZO a.F. § 23 Abs. 6a
Leitsatz: 1. Ist ein Fahrzeug zur Nutzung als Wohnmobil ausgebaut, so scheidet eine Besteuerung als Lkw aus; erfüllt es jedoch die gesetzlichen Anforderungen an ein Wohnmobil nicht, so ist es – nachdem § 23 Abs. 6a StVZO durch VO vom 2.11.2004 ersatzlos entfallen ist – nicht als Wohnmobil, sondern als Pkw zu besteuern.
2. Eine Neufestsetzung kann – ohne Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit des Kraftfahr-zeugsteuerbescheids – rückwirkend von dem Zeitpunkt an erfolgen, in dem sich die Be-messungsgrundlage oder der einschlägige Steuersatz geändert hat. Eine Neufestset-zung der Kraftfahrzeugsteuer kann für alle Zeiträume vorgenommen werden, hinsichtlich derer die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Überschrift: Rückwirkende KraftSt-Festsetzung für wohnmobilähnliche Fahrzeuge.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Halterin eines am 24.01.2007 in Hamburg zugelassenen Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen HH…. Es handelt sich dabei um einen VW-Transporter mit drei Sitzplätzen, der im Fahrzeugschein als „Lkw geschl. Kasten“ bezeichnet, mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 2810 kg und einer Nutzlast von 1130 kg ausge-wiesen ist. Zuvor war das Kfz in B zugelassen; die Steuer war von der dort zuständigen Stelle zuletzt mit Bescheid vom 17.01.2003 mit jährlich 172 € festgesetzt worden. Die Besteuerung erfolgte als Lkw nach dem zulässigen Gesamtgewicht.
Bei einer Verkehrskontrolle am 28.10.2011 stellte die Polizei fest, dass das Fahrzeug als Wohnmobil umgebaut worden war und dokumentierte dies durch Fotoaufnahmen. Die Ladefläche sei durch einen festen Einbau in eine Liegefläche umgewandelt worden, Matratzen seien vorhanden gewesen. Eine Abseite sei eingebaut und eine Musikanlage installiert worden. Die Seitenwände seien mit einer Art Decke behangen und Wohn-raumleuchten angebracht worden. Allerdings fehlte es nach Angaben der Polizei an der gesetzlich festgeschriebenen Stehhöhe eines Wohnmobils und auch eine Kochstelle sei nicht vorhanden gewesen.
Mit Bescheid vom 08.12.2011 sowie erneut mit Bescheid vom 12.12.2011 änderte der Beklagte den Bescheid über die Kraftfahrzeugsteuer und setzte diese für den Zeitraum ab dem 17.01.2007 bis 23.01.2012 auf insgesamt 3.759 € sowie eine jährliche Kraft-fahrzeugsteuer von 901 € ab dem 24.01.2012 fest. Zur Erläuterung führte der Beklagte aus, dass das Fahrzeug ab dem 24.01.2007 als Personenkraftwagen nach dem Hub-raum zu besteuern sei, weil es weder die Voraussetzungen eines Wohnmobils noch die eines Lkws erfülle.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.12.2011 bzw. 11.01.2012 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass der VW Transporter T4 die Merkmale eines Lkws erfülle und auch nach dem äußeren Erscheinungsbild einem kleinen Lkw mit lan-ger Ladefläche und kleinem Fahrgastraum entspreche.
Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde mit Beschluss des Finanzgerichts (FG) Hamburg vom 20.04.2012 (2 V 114/12) als unbegründet abgewiesen.
Am 25.02.2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
Mit Einspruchsentscheidung vom 06.03.2013 wies der Beklagte den Einspruch als un-begründet zurück.
Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin aus, dass sie ungefähr seit 2002 Eigen-tümerin des Fahrzeugs sei, das bisher als Lkw besteuert worden sei. Nach der Konzep-tion des Herstellers sei das Fahrzeug zur Lastenbeförderung gedacht und weise alle nach der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungsmerkmale eines Lkw aus. Sie habe bewusst ein Fahrzeug angeschafft, das zum Transport größerer Lasten geeignet sei, denn sie habe als Sportlehrerin, aber auch privat häufig größere Gegenstände zu trans-portieren. Auch ihr Ehemann und die weitere Familie nutze das Fahrzeug zum Transport größerer Lasten. Entgegen der Auffassung des Beklagten handele es sich nicht um ein unechtes Wohnmobil, denn die Ausstattung im Zeitpunkt der Verkehrskontrolle sei nur vorübergehender Natur gewesen und könne nicht zu einer Umwandlung in einen Pkw bzw. ein Sonderfahrzeug führen. Matratze, Beleuchtung und Musikanlage seien heraus-nehmbar, die Bodenplatte hindere nicht an der Beförderung von Lasten auf zwei Ebe-nen. Die Trennwand zum Fahrgastraum sei u. a. herausgenommen, um die Sitze besser verstellen zu können. Die Verkleidung der Seitenwände sei aus Gründen der Isolierung und besseren Optik erfolgt. Die eingebauten Schränke dienten als Stauraum u. a. auch für die notwendigen Sicherheitsutensilien. Seit 2003 seien die Umbauten fortlaufend vorgenommen worden.
Darüber hinaus sei zu bezweifeln, ob der Beklagte auf der Grundlage von § 12 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) befugt gewesen sei, den Kraftfahrzeugsteuer-bescheid rückwirkend ab Januar 2007 zu ändern. Auch sei fraglich, ob die Berliner Steuerverwaltung nicht hätte eine „Endbescheid“ erlassen müssen. Sie, die Klägerin, sei weder von der Berliner Steuerverwaltung noch von dem Beklagten auf die geänderte Rechtslage hingewiesen worden. Sie habe auf die Eintragung der Zulassungsstelle ver-traut und nicht gewusst, dass diese nach damaliger Rechtslage nur Erfüllungsgehilfin der Finanzämter gewesen sei.
Ein Teil der Kosten sei dem Beklagten wegen der von ihm verursachten Klage wegen Untätigkeit aufzuerlegen. Bei richtiger Sachaufklärung und Inaugenscheinnahme des Fahrzeuges durch den Beklagten hätte die Klage vermieden werden können.
Mit Bescheid vom 23.07.2013 hat der Beklagte die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 24.01.2012 bis 11.12.2012 auf 795 € und für die Zeit ab 12.12.2012 auf 172 € jährlich festgesetzt. Grundlage der Änderung sei die Neufassung des § 2 KraftStG, nach dem das Fahrzeug ab dem 12.12.2012 wieder entsprechend der Feststellungen der Zulas-sungsbehörde hinsichtlich der Fahrzeugklassen zu besteuern sei.
Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich danach der Antrag,
den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 08.12.2011, vom 12.12.2011 und die Ein-spruchsentscheidung vom 06.03.2013 sowie den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 23.07.2013 in der Weise zu ändern, dass das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzei-chen HH … als anderes Kraftfahrzeug besteuert und die Kraftfahrzeugsteuer auf die ursprünglich geschuldete Lkw-Steuer festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass der Kraftfahrzeugsteuerbescheid recht-mäßig sei. Die Steuerfestsetzung sei zu Recht geändert worden. Wie von der Polizei in der Verkehrsstrafanzeige dokumentiert und auch in dem Beschluss des Finanzgerichts vom 20.04.2012 festgestellt, sei das Fahrzeug mit Innenausbauten ausgestattet worden, wie sie für eine Nutzung als Wohnmobil kennzeichnend seien. Danach werde das Fahr-zeug nicht zur Lastenbeförderung genutzt. Es gebe keine Hinweise für die von der Klä-gerin aufgestellte Behauptung, dass die Nutzung des Fahrzeugs an einem anderen Tag nicht zu Beanstandungen geführt hätte.
Im Übrigen bestehe keine rechtliche Verpflichtung zur Erstellung eines „Endbescheids“ bei Wechsel der Zuständigkeit. In solchen Fällen werde dem Steuerpflichtigen lediglich mitgeteilt, dass der bisherige Bescheid und die bisherige Fälligkeit weiter gelten würden.
Mit Beschluss vom 16.05.2013 ist der Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsord-nung (FGO) dem Einzelrichter übertragen worden.
In der mündlichen Verhandlung am 12.07.2013 ist das Fahrzeug in Augenschein ge-nommen worden. Hinsichtlich des Ergebnisses der Inaugenscheinnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 09.08.2013 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 23.07.2013 die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhand-lung erteilt.
Dem Gericht hat die Kraftfahrzeugsteuerakte des Beklagten vorgelegen. Die Gerichtsak-te des Verfahrens 2 V 114/12 ist beigezogen worden.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht konnte nach § 90 Abs. 2 FGO ohne (erneute) mündliche Verhandlung ent-scheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
II.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Nach der bis zum 11.12.2012 gelten-den Rechtslage ist das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen HH … als Pkw zu be-steuern. Der Bescheid vom 23.07.2013, mit dem der Beklagte der geänderten Rechtsla-ge ab dem 12.12.2012 Rechnung getragen und eine Änderung der Steuerfestsetzung vorgenommen hat, ist gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden.
1. Der Beklagte war nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG befugt, ab dem 17.01.2007 die Kraftfahrzeugsteuer geändert festzusetzen, denn die Bemessungsgrundlage hat sich seit 2005 auch für so genannte unechte Wohnmobile geändert. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG ist die Steuer neu festzusetzen, wenn sich infolge einer Änderung der Bemes-sungsgrundlage oder des Steuersatzes eine andere Steuer ergibt.
Nach alter Rechtslage, die ihre Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des Bundesfi-nanzhofs (BFH) erhalten hatte (vgl. Urteil vom 01.02.1984, II R 144/81, BStBl II 1984, 461; Urteil vom 31.03.1998, VII R 116/97, BStBl II 1998, 487), waren sogen. Kombina-tionsfahrzeuge und auch Wohnmobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 2,8 t nicht als PKW, sondern als andere Fahrzeuge im Sinne des § 8 Nr. 2 KraftStG zu be-steuern. Mit der Aufhebung des § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) durch die 27. Verordnung vom 02.11.2004 (BGBl I 2004, 2712) ist die bis dahin nur für die Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Die frühere Rechtsprechung des BFH, Wohnmobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeuges nicht als PKW zu besteuern, kann deshalb keine Geltung mehr beanspruchen (vgl. BFH-Urteile vom 24.02.2010, II R6/08, BStBl II 2010, 994; vom 09.04.2008, II R 62/07, BStBl II 2008, 691; Beschlüsse vom 03.04.2008, II B 22/08, BFH/NV 2008, 1364; vom 18.03.2008, II B 102/07, BFH/NV 2008, 1206). Auf Grund der geänderten Rechtslage seit dem 01.05.2005 ist zu entscheiden, ob ein Pkw oder Lkw vorliegt. Darin liegt eine Änderung der Bemessungsgrundlage, mit der Folge, dass auf der Grundlage von § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG die Steuer neu festzusetzen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 03.04.2008 II B 22/08, BFH/NV 2008, 1364).
Die Vorschrift gestattet nicht nur eine Neufestsetzung, sondern auch ohne Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit des Kraftfahrzeugsteuerbescheids eine rückwirkende Festsetzung von dem Zeitpunkt an, in dem sich die Bemessungsgrundlage oder der einschlägige Steuersatz geändert hat. Eine Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer kann für alle Zeiträume vorgenommen werden, hinsichtlich derer die Festsetzungsfrist noch nicht ab-gelaufen ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.03.2008, II B 102/07, BFH/NV 2008, 1206; vom 25.03.1999, VII B 294/98, BFH/NV 1999, 1252; Urteil vom 02.04.1996, VII R 131/95, BFH/NV 1996, 852). Für den Zeitraum ab 17.01.2007 war die vierjährige Fest-setzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) bei Erlass der Ände-rungsbescheide am 08.12.2011 bzw. 12.12.2011 noch nicht verstrichen.
Die Kraftfahrzeugsteuer war vor den in diesem Verfahren angefochtenen Bescheiden auch noch nicht wegen der geänderten Bemessungsgrundlage neu festgesetzt worden. Zuletzt hatte das Landeseinwohneramt Berlin mit Bescheid vom 17.01.2003 die Kraft-fahrzeugsteuer festgesetzt.
Einer Änderung der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung auf der Grundlage von § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG außerdem steht nicht entgegen, dass der Klägerin die Rechtslage mög-licherweise nicht bekannt war. Insoweit obliegt es jedem Steuerpflichtigen, sich hinsicht-lich der von ihm ggf. zu leistenden Abgaben selbst kundig zu machen. Auch führt der Wechsel des Zulassungsortes des Fahrzeugs nicht dazu, dass die für die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer zuständige Stelle einen „Endbescheid“ zu erstellen hätte. Nach § 12 Abs. 1 KraftStG wird die Steuer grundsätzlich unbefristet festgesetzt.
2. Der Beklagte hat das Fahrzeug der Klägerin zu Recht als Pkw i.S.d. § 8 Nr. 1 Kraft-StG eingestuft und nach dem Hubraum besteuert. Das Kraftfahrzeugsteuergesetz ent-hält keine ausdrückliche Definition des Pkw und verweist in § 2 Abs. 2 S. 1 KraftStG le-diglich auf die jeweils geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften, wenn nichts anderes bestimmt ist. Die verkehrsrechtlichen Vorschriften enthalten keine ausdrückliche Be-stimmung des Begriffs Pkw oder Lkw. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt vielmehr ein eigenständiger kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Pkw-Begriff zu Grunde. Da-nach ist ein Pkw ein Fahrzeug mit vier oder mehr Rädern, dass nach seiner Bauart und Einrichtung zur Personenbeförderung geeignet und bestimmt ist (BFH-Urteil vom 24.02.2010, II R 6/08, BStBl II 2010, 994, m.w.N.). Die Abgrenzung zwischen Lkw und Pkw ist nach der objektiven Beschaffenheit des Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung bedeutsame Merkmale sind von der Rechtsprechung z.B. die Zahl der Sitz-plätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstat-tung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Fenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahr-zeugen die Konzeption des Herstellers anerkannt worden. Bei Fahrzeugen – wie das der Klägerin -, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sowie ihrer technischen Ausstat-tung sowohl als PKW als auch als Lkw eingesetzt werden können, kommt eine Besteue-rung als Lkw nach dem Fahrzeuggewicht erst dann in Betracht, wenn diese den typi-schen Gewichtsbereich und die regelmäßigen Zuladungsmöglichkeiten eines Pkw deut-lich überschreiten. Denn ein Lkw wird maßgeblich durch die Möglichkeit geprägt, Lasten von erheblichem Umfang zu befördern (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2010, II R 6/08, a. a. O.).
Zwar erfüllt das Fahrzeug der Klägerin etliche Kriterien, die es als Lkw kennzeichnen könnten, wie beispielsweise die Verblechung der Fenster, die Anzahl der Sitzplätze, das Gesamtgewicht und die Nutzlast. Es wird jedoch von dem Zweck der Personenbeförde-rung und nicht der Lastenbeförderung geprägt. Nur bei einem eindeutigen Überwiegen der Eignung und Bestimmung zur Lastenbeförderung ist eine Besteuerung als Lkw zu-lässig. Der Eignung und Bestimmung zur Personenbeförderung steht dabei grundsätz-lich nicht entgegen, dass Fahrzeuge neben der Beförderung von Personen auch dem Transport von Gepäck oder anderer Güter im privaten oder gewerblichen Bereich die-nen oder dazu bestimmt sind, wie dies z. B. bei Kombinationskraftwagen der Fall ist (BFH-Urteil vom 24.02.2010, II R 6/08, a. a. O.).
Das Fahrzeug ist – wie die Inaugenscheinnahme bestätigt hat – mit Innenausbauten ausgestattet, wie sie für die Nutzung als Wohnmobil kennzeichnend sind. Dies gilt ins-besondere für den Einbau eines Gestells als Matratzenunterlage, von Schränken als Stauraum, der Verkleidung der Seitenwände und die Einrichtung einer Beleuchtung. Zweck eines Wohnmobils ist es, Personen zu befördern und eine besondere Art des
Reisens zu ermöglichen, bei dem auch ein vorübergehendes Wohnen in dem Fahrzeug erfolgen kann. Zu diesem Zweck und nicht vorrangig zur Lastenbeförderung wird das Fahrzeug der Klägerin genutzt. Denn die am Fahrzeug vorgenommen Ein- und Umbau-ten erfolgten, um die Nutzung als Wohnmobil oder als Pkw zu verbessern. Dies gilt für die Verkleidung der Seitenwände, die nach den Angaben der Klägerin insbesondere auch dem Zweck der Kälteisolierung dient. Der Einbau eines Dachfensters diente der besseren Belüftung, insbesondere auch bei einer Nutzung als Wohnmobil. Die Heraus-nahme der Trennwand zum Fahrerbereich erfolgte zu dem Zwecke des bequemeren Fahrens und ermöglicht einen besseren Zugang zum hinteren Bereich bei einer Nutzung als Wohnmobil. In keinem Fall dienen die Ein- und Umbauten dem Zweck der Lastenbe-förderung, vielmehr verschlechtern sie diese Nutzungsmöglichkeit, wie beispielsweise die Herausnahme der Trennwand, der Einbau von Schränken und eines Gestells als Matratzenunterlage.
Die genannten Einbauten sind fest mit dem Fahrzeug verbunden und nicht ohne weite-res aus dem Fahrzeug wieder zu entfernen, so dass der Zweck des Fahrzeugs auch nachhaltig bestimmt wird. Die Klägerin selbst behauptet auch nicht, dass sie das Fahr-zeug vorrangig als Lkw, d. h. zur Beförderung von Lasten einsetzt. Die gelegentliche Beförderung von Gütern im privaten Bereich, die die Klägerin in der mündlichen Ver-handlung am 12.07.2013 geschildert hat, steht der Qualifizierung des Kombinationsfahr-zeuges als Pkw nicht entgegen. Es ist auch nicht entscheidend, dass das Fahrzeug nach Angaben der Klägerin nur wenigen Male im Jahr als Wohnmobil genutzt wird. Es ist das einzige Fahrzeug der Familie und wird auch deshalb – wie den Schilderungen der Klägerin entnommen werden kann – wie ein Pkw eingesetzt. Eine Besteuerung als Lkw scheidet danach aus.
Die Voraussetzungen für eine (günstigere) Besteuerung als Wohnmobil nach § 2 Abs. 2b, § 9 Abs. 1 Nr. 2a KraftStG liegen nicht vor, weil das Fahrzeug nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Danach gelten Fahrzeuge als Wohnmobile, wenn sie auch zum vorübergehenden Wohnen ausgelegt und ausgebaut sind, die Bodenfläche des Wohnteils den überwiegenden Teil der gesamten Nutzfläche des Fahrzeugs einnimmt und der Wohnteil eine Stehhöhe von mindestens 170 cm sowohl an der Kochgelegen-heit als auch an der Spüle ausweist. In dem streitgegenständlichen Pkw fehlt es an ei-ner Kochgelegenheit, einer Spüle und die erforderliche Stehhöhe von 170 cm ist nicht gegeben.
Der Beklagte hat danach zu Recht das Fahrzeug der Klägerin für den Zeitraum vom 17.01.2007 bis 11.12.2012 nach dem Hubraum als Pkw besteuert. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Steuer der Höhe nach unzutreffend berechnet sein könn-te.
3. Die Klägerin hat nach § 136 Abs. 1 S. 3 FGO die Kosten des Verfahrens insgesamt zu tragen, obwohl der Beklagte den Steuerbescheid ab dem 12.12.2012 entsprechend dem Begehren der Klägerin geändert hat, denn sie hat nur zu einem sehr geringen Teil obsiegt. Eine andere Kostenentscheidung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil die Klage zunächst als Untätigkeitsklage erhoben wurde. Nach Ergehen der Ein-spruchsentscheidung hat die Klägerin die Klage als Anfechtungsklage fortgeführt und ist somit das Kostenrisiko eingegangen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Kostenrecht: An der für die Erledigungsgebühr vorausgesetzten besonderen, auf die Erledigung gerichteten Mitwirkung des Anwalts fehlt es, wenn die Einigung über die Abhilfe auf der Nachreichung von bereits seit dem Einspruchsverfahren angeforderten Unterlagen beruht. Die Kosteneinigung beruht nicht auf einem besonderen Entgegenkommen der Kläger-seite, wenn mangels rechtzeitigen Vorbringens für sie ohnehin kein Kostenerstattungsanspruch in Betracht kam, Beschluss des 3. Senats vom 24.9.2013, 3 KO 172/13, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 3 KO 172/13
Beschluss des Einzelrichters vom 24.09.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 137, FGO § 138, FGO § 155 S. 2, GVG § 198, RVG § 33, RVG § 45, RVG § 56, RVG-VV Nr. 1001, RVG-VV Nr. 1002, RVG-VV Nr. 1003
Leitsatz: An der für die Erledigungsgebühr vorausgesetzten besonderen auf die Erle-digung gerichteten Mitwirkung des Anwalts fehlt es, wenn die Einigung über die Ab-hilfe auf der Nachreichung von bereits seit dem Einspruchsverfahren angeforderten Unterlagen beruht (hier Belege über Kinderuntersuchungen und Reisen in Kinder-geldsache).
Die Kosteneinigung beruht nicht auf einem besonderen Entgegenkommen der Klä-gerseite, wenn mangels rechtzeitigen Vorbringens für sie kein Kostenerstattungsan-spruch in Betracht kam.
Überschrift: Rechtsanwaltsvergütungsgesetz: Erledigungsgebühr des beigeordneten Anwalts
Gründe:
A.
Streitig ist, ob aufgrund Mitwirkung des beigeordneten Rechtsanwalts bei der Erledi-gung der Klage wegen Kindergeld für die in 2005 und 2006 geborenen Kinder durch tatsächliche Verständigung eine Erledigungs- oder Einigungsgebühr verdient und festzusetzen ist.
I.
1. Der Erinnerungsführer bzw. die aus ihm und einem weiteren Namensträger beste-hende Rechtsanwalts-Sozietät vertrat die Klägerin in der Kindergeldsache bereits im Einspruchsverfahren, das die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2011 durch Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet abschloss. In deren Wiedergabe des Sachverhalts heißt es u. a. (FG-A Bl. 11 ff.):
„Mit Schreiben vom …, …, …, … und 01.04.2011 wurden die Einspruchsführerin bzw. ihre Bevollmächtigten zur Einreichung von Unterlagen/Nachweisen aufgefor-dert. Insbesondere wurde die Einspruchsführerin aufgefordert, Unterla-gen/Nachweise über den gewöhnlichen Aufenthalt/Wohnsitz von ihr und ihren Kindern einzureichen.
… Die erforderlichen Unterlagen/Nachweise wurden trotz mehrfacher Aufforderung nicht vollständig eingereicht.
Mit Schreiben vom 24.02.2011 wurde die Interessensvertretung durch die Rechts-anwälte … gegenüber der Familienkasse angezeigt und Akteneinsicht beantragt. Mit Schreiben vom …, …, 01.04.2011 und 31.05.2011 wurde den Bevollmächtigten eine Akteneinsicht in den Diensträumen der Familienkasse angeboten. Eine Ter-minsvereinbarung zur Akteneinsicht erfolgte nicht.“
2. Die Klage ist am Montag 1. August 2011 mit Vorab-Begründung, Prozesskosten-hilfe- und Beiordnungsantrag, Pkh-Unterlagen sowie Antrag auf Akteneinsicht zur Mitnahme in die Kanzlei erhoben worden (FG-A Bl. 1 ff.; Pkh-Heft Bl. 1 ff.).
Von der ausnahmsweise durch das FG am 29. August 2011 angebotenen Möglich-keit der Aktenüberlassung zur Einsicht in der Kanzlei (FG-A Bl. 25 R) hat der Erinne-rungsführer bis 16. September 2011 keinen Gebrauch gemacht. Unter diesem Datum hat das FG die Gewährung von Akteneinsicht nunmehr bei Gericht verfügt (FG-A Bl. 26). Auf telefonische Bitte des Erinnerungsführers vom 21. September 2011 um ei-nen Beschluss (FG-A Bl. 26) hat der mit der Klage befasste 1. Senat am selben Tage die Ablehnung des Antrags auf Aktenmitnahme in die Kanzleiräume beschlossen und begründet (FG-A Bl. 28 ff.).
3. Der Erinnerungsführer hat für die Klägerin weiter vorgetragen am 4. Oktober 2011 (FG-A Bl. 35 ff. = 43 ff.), Äußerungs-Fristverlängerungen beantragt am 19. Dezember 2011 (FG-A Bl. 54 f.), am 17. Januar 2012 (FG-A Bl. 56 f.), am 25. Januar 2012 (FG-A Bl. 58 f.), am 8. Februar 2012 (FG-A Bl. 60 f.), Akteneinsicht zur Mitnahme erneut und erfolgreich beantragt am 22. Februar 2012 (FG-A Bl. 62 ff.), weiter vorgetragen am 17. April 2012 (FG-A Bl. 71 ff., 77 ff.) mit Kopie des Untersuchungshefts des in 2006 geborenen Kindes (Anl. K 3), auf Auforderung der Senatsvorsitzenden am 7. und 21. Mai 2012 neue Prozesskostenhilfeunterlagen der Klägerin eingereicht (FG-A Bl. 83; Pkh-Heft Bl. 13 ff., 41 ff.) sowie unter Wiederholung des Pkh- und Beiord-nungsantrags weiter vorgetragen am 21. Juni 2012 (FG-A Bl. 85 ff.).
Die beklagte Familienkasse hat unter dem 12. Oktober 2011 erwidert (FG-A Bl. 24 f., 52 f.), unter dem 21. Mai 2012 immer noch fehlende Nachweise über Aufenthalte und Reisen der Klägerin und der Kinder bemängelt (FG-A Bl. 84) sowie unter dem 3. Au-gust 2012 Äußerungs-Fristverlängerung beantragt (FG-A Bl. 93).
4. Nach Änderung der Geschäftsverteilung des 1. Senats hat die neue Berichterstat-terin mit Ladung vom 19. April 2013 zum Erörterungstermin am 3. Juni 2013 folgende Hinweise erteilt (FG-A Bl. 94 f.).
„Ein Kindergeldanspruch der Klägerin für den streitigen Zeitraum bis Juni 2010 lässt sich nach dem bisherigen Akteninhalt nicht feststellen, so dass die Bewilli-gung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht möglich ist. Insbesondere sind keine konkreten Feststellungen möglich, in welchen Zeiträumen die Klägerin und ihre Kinder sich hier in Hamburg aufgehalten haben. Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich für die Klägerin positive Feststellungen im Rahmen einer weiteren Aufklärung etwa im Erörterungstermin treffen lassen. Die Klägerin wird daher gebeten, eine aktuelle Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen.
Im Erörterungstermin sollen insbesondere die Wohnverhältnisse hier in der Woh-nung der Eltern der Klägerin sowie in der Türkei bei ihren Schwiegereltern aufge-klärt werden. Zudem wird die Klägerin gebeten, die Kinderuntersuchungshefte für beide Kinder mitzubringen.“
5. Der Erinnerungsführer hat unter dem 29. April 2013 erneut und vor dem Erörte-rungstermin um eine Pkh-Entscheidung gebeten, da nicht ausgeschlossen sei, dass sich im Erörterungstermin positive Feststellungen treffen lassen könnten (FG-A Bl. 104 f., 108 f.).
6. Die Berichterstatterin des 1. Senats hat unter dem 30. April 2013 ausführlich in dem unter dem 19. April 2013 beschriebenen Sinne geantwortet (FG-A Bl. 106 f.):
„… Zudem sind möglichst detaillierte Angaben dazu zu machen, wann die Klägerin und ihre Kinder sich tatsächlich hier in A aufgehalten haben.“
7. Der Erinnerungsführer hat nach Ankündigung vom 7. Mai unter dem 17. Mai 2013 zum dritten Mal aktuelle Pkh-Unterlagen eingereicht und wie unter dem 29. April 2013 um eine Pkh-Entscheidung gebeten (FG-A Bl. 110 ff.). Mit dem Schriftsatz vom 17. Mai 2013 hat der Prozessbevollmächtigte zugleich zur Wohnsituation vorgetra-gen sowie erstmals Reisedaten für die Klägerin und die Kinder bezeichnet und belegt (Anl. K 5).
8. Im Erörterungstermin vom 3. Juni 2013 hat die Berichterstatterin Prozesskostenhil-fe ohne Ratenzahlung bewilligt und der Klägerin den Erinnerungsführer beigeordnet. Auf Vorschlag der Berichterstatterin haben sich die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits über das Kindergeld geeinigt sowie über die Kostenverteilung dahin, dass die beklagte Familienkasse die Gerichtskosten trägt und außergerichtliche Kos-ten nicht erstattet werden (FG-A Bl. 117 ff.).
II.
1. Der Antrag auf Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts un-ter dem 10. Juni 2013 ist am 11. Juni 2013 bei der Gemeinsamen Annahmestelle eingereicht worden. Neben der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr hat der Erinnerungsführer u. a. eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr gemäß RVG-VV Nr. 1003 beantragt (Pkh-Heft Bl. 59).
Auf Rückfrage der Urkunds- bzw. Kostenbeamtin, welche besondere Mitwirkung eine Erledigungsgebühr ausgelöst haben solle, hat sich der Erinnerungsführer auf seinen Schriftsatz vom 17. Mai 2013 bezogen, der die Prozesskostenhilfe ohne Ratenzah-lung und den gerichtlichen Einigungsvorschlag ermöglicht habe (Pkh-Heft Bl. 61 f.).
2. Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 10. Juli 2013 hat die Urkunds- bzw. Kostenbeamtin die Prozesskostenhilfe-Anwaltsvergütung ohne die Erledigungsge-bühr festgesetzt und keine „besondere Mitwirkung“ bei der Erledigung in dem ange-führten Schriftsatz gesehen. Dieser habe keinen Einigungsvorschlag, sondern Vor-trag zum Klagebegehren enthalten und sei nur allgemein auf die Verfahrensförde-rung gerichtet gewesen, die als Bestandteil der Prozessförderung bereits mit der Ver-fahrensgebühr abgegolten worden sei (Pkh-Heft Bl. 65 f.).
3. Mit seiner am 26. Juli 2013 eingelegten Erinnerung hat der Erinnerungsführer zu-nächst vorgetragen (FG-A Bl. 68 ff.):
Die Erledigung aufgrund vorgeschlagener und vereinbarter Verständigung sei als vergleichsweise Lösung anzusehen, zu der die anwaltliche Mitwirkung beigetragen habe.
4. Auf Anfrage der Kostenbeamtin hat die Berichterstatterin des 1. Senats sich am 31. Juli 2013 zur Erinnerung dahin dienstlich geäußert, dass in der Hauptsache der Erinnerungsführer nur für die Klägerin vorgetragen und der Einigung in Form der vorgeschlagenen und protokollierten Verständigung zugestimmt habe. Mit der Nicht-
erstattung außergerichtlicher Kosten sei die Klägerin auf sein Anraten einverstanden gewesen (Pkh-Heft Bl. 72 f.).
5. Nach Übermittlung der dienstlichen Äußerung mit Schreiben der Kostenbeamtin vom 2. August 2013 (Pkh-Heft Bl. 74 f.) trägt der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 15. August 2013 weiter vor (Pkh-Heft Bl. 77 ff.):
Im Unterschied zu einem Anerkenntnis oder zu einer definitiv gerichtlich geäußerten Erfolgsankündigung habe eine Risikosituation bestanden. Ansonsten hätte die Kläge-rin nicht auf Erstattung außergerichtlicher Kosten verzichtet und eine eventuelle Ver-pflichtung zur Rückerstattung der Prozesskostenhilfe-Vergütung für den Fall zukünf-tig besserer finanzieller Verhältnisse in Kauf genommen.
6. Die Erinnerungsgegnerin hat der Erinnerung am 24. September 2013 nicht abge-holfen.
B.
I.
Die auf höhere Festsetzung der der Prozesskostenhilfe-Anwaltsvergütung (§§ 45 ff., 55 RVG) gerichtete Erinnerung ist gemäß § 56 i. V. m. entsprechender Anwendung von § 33 Abs. 4 Satz 1, Abs. 7-8 RVG zulässig (vgl. FG Köln, Beschluss vom 26.07.2013 10 Ko 3989/12, Juris Rz. 11 f zu II 2).
Dabei gilt gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 nicht die Fristbindung nach § 33 Abs. 3 RVG (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.03.1988 11 S 847/87, ES-VGH 38, 194 zur BRAGebO).
II.
Die Erinnerung ist jedoch nicht begründet; zu Recht ist keine Gebühr gemäß RVG-VV Nr. 1003 i. V. m. Nr. 1001 oder 1002 zugunsten des beigeordneten Rechtsan-walts festgesetzt worden.
1. Dabei kommt es hier nicht auf die streitige Frage an, ob im Finanzprozess eine Einigungsgebühr gemäß RVG-VV Nr. 1001 oder nur eine Erledigungsgebühr gemäß RVG-VV Nr. 1002 i. V. m. Nr. 1003 in Betracht kommt (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 14.02.2011 3 KO 197/10, EFG 2011, 463, NVwZ-RR 2011, 463).
2. Ebenso wenig wie eine Einigungsgebühr ist eine Erledigungsgebühr nicht entstan-den. Eine solche Gebühr setzt nach der gesetzlichen Regelung – wie schon bei der Vorgängervorschrift § 24 BRAGO – neben dem Einigungs- bzw. Erledigungserfolg die darauf gerichtete anwaltliche Mitwirkung voraus. Dabei muss es sich in Abgrenzung zur Verfahrensgebühr Nr. 3200 RVG-VV nach ständiger Rechtsprechung und allge-meiner Ansicht um eine über das Betreiben des Verfahrens hinausgehende beson-dere Mitwirkung handeln, die nicht nur allgemein auf Verfahrensförderung gerichtet ist, sondern ein besonderes Bemühen um eine unstreitige oder außergerichtliche Erledigung umfasst (vgl. Beschlüsse FG Hamburg vom 19.04.2011 3 Ko 24/11, BeckRS, Juris m. w. N.; FG Mecklenburg-Vorpommern vom 01.06.2010 2 Ko 4/10, EFG 2010, 1447; FG Köln vom 08.12.2008 10 Ko 1355/08, EFG 2009, 515; Schles-wig-Holsteinisches FG vom 20.12.2006 2 KO 189/06, EFG 2007, 383; Müller-Rabe in
Gerold/Schmidt, RVG, 20. A., VV 1002 Rd. 38; Hartmann, Kostengesetze, 44. A., VV 1002 Rd. 9, 10).
3. Zwar wäre eine besondere auf unstreitige Erledigung gerichtete und kausale Mit-wirkung denkbar bei anwaltlichem Vorschlag oder anwaltlicher Aushandlung einer tatsächlichen Verständigung über schwierige Sachverhaltsfragen oder bei Aushand-lung schwieriger Zahlungs- oder Kostenregelungen (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 14.02.2011 3 KO 197/10, DStRE 2011, 1159, EFG 2011, 1468 zu II 1 „Raten-zahlung“; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 20. A., VV 1002 Rd. 46 „Aushan-deln“, „reduziert“, Rd. 50 „Teilaufhebung“, „Herabsetzung“; Hartmann, Kostengeset-ze, 42. A., VV 1002 Rd. 12, 15 „tatsächliche Verständigung“, Rd. 13 „Einigung“; u. U. Rd. 14 „Erörterungstermin“, Rd. 15 „Terminsbesprechung“; zur Kostenregelung vgl. ferner bei außergerichtlicher Besprechungsgebühr FG Hamburg, Beschluss vom 19.04.2013 3 KO 13/13, Juris).
4. Jedoch genügen dafür nicht die Erhebung und Begründung der Klage (vgl. FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.08.2007 8 KO 1/07, EFG 2007, 1972) oder eine ergänzte Begründung – wie hier in einem überschaubaren Kindergeldfall – bei anschließender Abhilfeeinigung und beiderseitiger Erledigungserklärung (vgl. Be-schlüsse BFH vom 10.02.2007 III B 140/06, BFH/NV 2007, 1109; FG Hamburg vom 23.11.2005 V 213/02, EFG 2006, 370, DStRE 2006, 831; FG Brandenburg vom 14. August 2006 1 KO 817/06, EFG 2006, 1786; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 42. A., Rd. 44 Hartmann, Kostengesetze, 41. A., VV 1002, Rd. 13 „“Beschwerde“, „Einlenken“, Rd. 15 „Schriftsatz“ m. w. N.).
Über das allgemeine Betreiben des Verfahrens hinaus geht auch nicht die – trotz Amtsermittlungsgrundsatz – noch zur prozessualen Mitwirkungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 2 ff. FGO) gehörende Benennung von Beweismitteln oder Einreichung von Be-weisunterlagen, insbesondere – wie hier von Belegen über Kinderuntersuchungen und -Reisen (oben A I 7) – nach wiederholten Aufforderungen, wenn aufgrund dieser Beweislage eine Abhilfeeinigung möglich wird (vgl. Beschlüsse FG Hamburg vom 19.04.2011 3 KO 24/11, BeckRS, Juris; SG Stuttgart vom 08.04.2011 S 24 SF 574/10 E, Juris; Bay.LSG vom 21.10.2010 L 19 R 97/06, Juris; BSG vom 05.05.2009 B 13 R 137/08 R, JurBüro 2009, 481, Juris Rd. 18; vom 02.10.2008 B 9/9a SB 3/07 R, Juris; FG Baden-Württemberg vom 25.08.2006 3 KO 1/02, EFG 2007, 221; VGH Baden-Württemberg vom 23.04.1990 6 S 2474/89, JurBüro 1990, 1450; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 20. A., VV 1002 Rd. 44 „Vorlage“; Hartmann, Kostengeset-ze, 42. A., VV 1002 Rd. 13 „Einreichung“, insoweit auch Rd. 15 „Urkundenvorle-gung“; ferner FG Köln vom 13.08.2008 10 Ko 3867/07, EFG 2008, 1235).
So liegt der Fall hier, wie aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den wiederholten vorangegangen Hinweisen und Aufforderungen der beklagten Familienkasse im Ein-spruchsverfahren und der Berichterstatterin im Klageverfahren, deutlich wird und wie durch die eingeholte dienstliche Äußerung der Berichterstatterin bestätigt wird (oben A I 1, 3, 4, 6).
5. Soweit der Erinnerungsführer dagegen mit der Erinnerung ein besonderes Entge-genkommen bei der Kostenregelung geltend macht, konnte seine Beiordnung nach dem ergänzten Vortrag und der Einreichung von Belegen nur gerichtlich angeordnet werden – wie geschehen – und hätte ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Kosten wegen § 137 FGO gar nicht entstehen können, weil die für den Kindesauf-enthalt naheliegenden Tatsachen -wie z. B. Wohnsituation, Reisedaten, Kinder-
Untersuchungen – früher hätten geltend gemacht und bewiesen werden können und sollen, nämlich im Einspruchsverfahren nach den Aufforderungen der Familienkasse (oben A I 1).
6. Danach kommt es nicht mehr auf die Fragen an, ob bzw. inwieweit die Verständi-gung sich auf „Tatsachen“ bezog (im Sinne der BFH-Rechtsprechung zur „tatsächli-chen Verständigung“) und warum die Einigung über die Abhilfe nicht ausdrücklich eine „Zusage“ enthielt (vgl. z. B. FG Hamburg, Beschlüsse vom 19.04.2013 3 KO 13/13, Juris; vom 11.07.2012 3 KO 49/12, EFG 2012, 2157; vom 07.10.2011 3 K 122/10, DStRE 2012, 759); vom 14.04.2011 3 KO 201/10, EFG 2011, 1546, DStRE 2012, 383; vom 14.02.2011 3 KO 197/11, NVwZ-RR 2011, 463, EFG 2011, 1468, DStRE 2011, 1159 jeweils m. w. N.).
7. Desgleichen ist hier nicht über die in der Zeit vor Änderung der Geschäftsvertei-lung des 1. Senats entstandenen Verzögerungen und über den dadurch bewirkten erheblichen Mehraufwand der Prozessführung – u. a. mit dreimal aktualisierten Pkh-Unterlagen – zu entscheiden (vgl. § 155 S. 2 FGO i. V. m. § 198 GVG).
III.
1. Die Nichtentstehung von Gerichtsgebühren für die Erinnerung und die Nichterstat-tung außergerichtlicher Kosten im Erinnerungsverfahren folgen aus § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG.
2. Die Entscheidung ergeht gemäß § 56 i. V. m. § 33 Abs. 8 RVG durch den originä-ren Einzelrichter; und zwar hier des durch die Geschäftsverteilung des FG bestimm-ten Kostensenats, dessen Zuständigkeit für Erinnerungen gegen Kostenfestsetzun-gen sich über § 149 FGO hinaus sinngemäß auch auf Erinnerungen gegen andere Anwaltsvergütungs-Festsetzungen erstreckt (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 02.12.2010 3 KO 195/10, NJW-RR 2011, 720).
3. Die Unanfechtbarkeit folgt aus § 56 i. V. m. § 33 Abs 4 Satz 3 RVG.

Kostenrecht: Nach Gerichtskostenerinnerung kann das Gericht einen – über den Ansatz des Kostenbeamten hinausgehend – höheren Streitwert festsetzen, denn die im Fall einer Gerichtskosten-Erinnerung anzuwendenden speziellen Vorschriften des GKG gehen dem allgemeinen Verböserungsverbot vor.

Die Streitwertfestsetzung des mit der Klagesache befassten Spruchkörpers bindet den Kostensenat bzw. dessen originären Einzelrichter, Beschluss des 3. Senats vom 14.8.2013, 3 KO 156/13, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 3 KO 156/13
Beschluss des Einzelrichters vom 14.08.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 96 Abs. 1 Satz 2, FGO § 149, GKG § 3, GKG § 9 Abs. 2, GKG § 19 Abs. 5, GKG § 20, GKG § 63 Abs. 3, GKG § 66 Abs. 1, GKG § 66 Abs. 6, GKG § 66 Abs. 7, GKG § 68
Leitsatz: 1. Nach Gerichtskosten-Erinnerung kann das Gericht – über den Ansatz des Kostenbeamten hinausgehend – einen höheren Streitwert festsetzen.
2. Dem allgemeinen Verböserungsverbot gehen die im Fall einer Gerichtskosten-Erinnerung anzuwendenden speziellen Vorschriften des GKG vor.
3. Die Streitwertfestsetzung des mit der Klagesache befassten Spruchkörpers bindet den Kostensenat bzw. dessen originären Einzelrichter.
Überschrift: Gerichtskostengesetz: Kein Verböserungsverbot bei Festsetzung eines höheren Streitwerts
Gründe:
I.
Die Gerichtskosten-Erinnerung ist nach § 66 Abs. 1 GKG zulässig auf Beanstandung des in der Gerichtskostenrechnung zugrunde gelegten Streitwerts von 309.260 Euro gestützt worden; und zwar im Zusammenhang mit dem Antrag auf gerichtliche Festsetzung des Streitwerts gemäß § 63 Abs. 2 Satz 2 GKG.
Entsprechendes gilt für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, der sinngemäß als Antrag gemäß § 66 Abs. 7 Satz 2 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Gerichtskosten-Erinnerung zu verstehen ist (FG Hamburg, Beschluss vom 29.07.2011 3 KO 130/11, Rpfleger 2012, 157, Juris Rz. 19).
II.
1. Die Gerichtskosten-Erinnerung und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung sind als unbegründet gemäß § 66 Abs. 1, 6, 7 GKG zurückzuweisen, nachdem der Streitwert durch gestrigen Beschluss des mit der Klagesache befassten Spruchkörpers mit bindender Wirkung nach § 3 GKG für das vorliegende Erinnerungsverfahren beim Kostensenat auf 317.142 Euro festgesetzt worden ist (§ 79a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 FGO; §§ 3, 52, 63 Abs. 2 Satz 2 GKG); kein Streit besteht über den nach Klagerücknahme ermäßigten 2,0 Gebührenansatz als solchen (§ 3, § 9 Abs. 2 Nr. 2, § 34 GKG i. V. m. GKG-KV Nr. 6111).
2. Der höheren Streitwertfestsetzung aufgrund der Gerichtskosten-Erinnerung steht kein Verbot der Verböserung (reformatio in peius) aus den zu § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO entwickelten Rechtsgrundsätzen entgegen.
a) Eine Verschlechterung scheidet hier schon deswegen aus, weil der höhere Streitwert in der aus § 34 GKG entwickelten Gerichtskostentabelle keinen
Gebührensprung auslöst, insbesondere nicht in der gemäß § 71 GKG anzuwendenden bisherigen Fassung für die vor Ende Juli 2013 erhobene Klage.
b) Davon abgesehen gehen dem allgemeinen Verböserungsverbot die im Fall einer Gerichtskosten-Erinnerung anzuwendenden speziellen Vorschriften § 19 Abs. 5, § 20, § 63 Abs. 3 GKG vor (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 42. A., GKG § 19 Rz. 5 f., § 20 Rz. 9 f., § 63 Rz. 15, § 66 Rz. 29, § 68 Rz. 19 m. w. N.; Beschlüsse FG Rheinland-Pfalz vom 22.07.2011 3 Ko 1137/11, EFG 2012, 551, Juris Rz. 19; FG Sachsen-Anhalt vom 05.08.2009 4 K 503/08, EFG 2010, 74 m. w. N.; FG Münster vom 11.11.1969 VII 255/69 Ko, EFG 1970, 85; entgegen BFH-Beschlüssen unten d; vom 22.03.1989 VI E 4/88, BFH/NV 1989, 656; FG Saarland, Beschluss vom 19.11.1974 100/74, EFG 1975, 77).
Insoweit kann nichts anderes gelten als bei einer – in anderen Gerichtsbarkeiten – eröffneten Streitwertbeschwerde gemäß § 68 GKG (vgl. Beschlüsse OVG Lüneburg vom 14.10.2011 13 OA 196/11, Juris Rz. 9; vom 04.02.2008 5 OA 185/07. NVwZ-RR 2008, 431; LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.03.2011 L 8 R 1107/10 B, Juris; OLG Brandenburg vom 26.05.2010 13 WF 20/10, FamRZ 2011, 755; ständ. Rspr.) oder nach der Vorgängervorschrift § 25 GKG a. F. (Thüringer LAG vom 14.11.2000 8 Ta 134/2000, MDR 2001, 538; OLG Brandenburg vom 18.06.1996 10 WF 49/96, FamRZ 1997, 689).
Das beruht darauf, dass das Streitwertfestsetzungsverfahren im überwiegenden öffentlichen Interesse an einer jederzeit objektiv richtigen Bewertung der Verfahrensgegenstände gemäß §§ 63 ff. GKG als amtliches Verfahren ausgestaltet ist und insoweit die unterschiedlichen Interessen der Prozessbeteiligten, die Rechtsverfolgung für sich möglichst kostengünstig oder für den Gegner möglichst kostspielig zu gestalten, nicht schutzwürdig sind und vollständig zurücktreten (Beschlüsse LG Hamburg vom 26.06.2012 318 T 36/12, Juris; OLG Düsseldorf vom 19. Mai 2009 I-24 W 13/09, MDR 2009, 1187).
c) Dabei kommt es hier nicht darauf an, inwieweit sonst die Bindung entsprechend § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO bzw. das Verschlechterungsverbot im Kostenrecht gilt, sei es in Verfahren nach § 33 RVG oder sei es bei Erinnerungen gegen – förmliche – Kostenfestsetzungsbeschlüsse betreffend die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten gemäß § 149 FGO (vgl. Beschlüsse FG Hamburg vom 11.07.2012 3 KO 49/12, EFG 2012, 2157; vom 07.12.1967 IVa 683/64 S-H, EFG 1968, 138; FG Köln vom 16.11.2001 10 Ko 6021/01, EFG 2002, 224; Bay. VGH vom 27.07.1998 23 C 98.981, Juris Rz. 44; BFH vom 16.12.1969 VII B 45/68, BFHE 98, 12, BStBl II 1970, 251).
d) Für Gerichtskosten-Erinnerungen sind insoweit Verweisungen auf Rechtsquellen betreffend Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht einschlägig (entgegen Beschlüssen BFH vom 28.02.2001 VIII E 6/00, Juris Rz. 4; FG Bremen vom 15.07.1997 2 97 103 Ko 2, EFG 1997, 1330). Ebenso wenig überzeugt die auf derartig verweisende Entscheidungen undifferenziert Bezug nehmende ständige BFH-Rechtsprechung (entgegen BFH-Beschlüssen vom 31.12.2006 XI E 5/06, Juris Rz. 10; vom 18.06.1999 I E 1/99, BFH/NV 1999, 1505, Juris Rz. 14; vom 06.06.1989 X E 3/88, Juris Rz. 8; vom 23.01.1989 IV E 1/85, BFH/NV 1989, 718; vom 18.11.1986 VII E 9/86, BFH/NV 1987, 597).
III.
Die Gerichtskostenfreiheit des Erinnerungsverfahrens und die Nichterstattung außergerichtlicher Kosten folgen aus § 66 Abs. 8 GKG.
Die Entscheidung ergeht durch den der originären Einzelrichter des Kostensenats des FG gemäß § 66 Abs. 6 GKG (FG Hamburg, Beschluss vom 29.07.2011 3 KO 130/11, Rpfleger 2012, 157, Juris Rz. 35 f. m. w. N.; a. A. BFH vom 01. September 2005 III 1/05, BFH/NV 2006, 92 zur dortigen Besetzung).
Die Unanfechtbarkeit ergibt sich aus § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 128 Abs. 4 FGO.

Körperschaftsteuer: Verpflichtet die vertragliche Gestaltung innerhalb eines internationa-len Konzerns eine (Großmutter-) Gesellschaft, die Vergütung für bestimmte Managementleistungen im Konzern zu tragen, übernimmt dann aber ihre Enkelgesellschaft die Zahlung, so liegt eine vGA der Enkelgesellschaft an die Muttergesellschaft zu Gunsten der Großmuttergesellschaft als ihr nahestehende Person vor.

Die inländische Enkelgesellschaft haftet für die durch die vGA ausgelöste Kapitalertragsteu-er der ausländischen Muttergesellschaft, sofern sie nicht nachweist, dass sie die Pflicht zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Der Haftungsbescheid ist auch dann hinreichend bestimmt, wenn er als Steuerschuldner fälschlich die Großmuttergesellschaft statt der Muttergesellschaft nennt. Die Inanspruch-nahme der Enkelgesellschaft bedarf angesichts des Umstandes, dass der Steuerschuldner im Ausland ansässig ist, keiner besonderen Darstellung von Ermessenserwägungen, AdV-Beschluss des 2. Senats vom 18.10.2013, 2 V 110/13, Beschwerde nicht zugelassen, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 V 110/13
Beschluss des Senats vom 18.10.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: KStG § 8 Abs. 1 Satz 1, KStG § 8 Abs. 3 Satz 2, KStG § 31 Abs. 1 Satz 1, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, EStG § 20 Abs. 5, EStG § 43 Abs. 1 Nr. 1, EStG § 44 Abs. 5, EStG § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, EStG § 50 Abs. 2 Satz 1
Leitsatz: Zahlt die inländische Enkelgesellschaft Rechnungen über Managementleistungen im Konzern, obwohl die ausländische Konzerngroßmutter nach der vertraglichen Gestaltung zur Übernahme des Honorars verpflichtet ist, führt dies zu einer vGA an die Muttergesellschaft zu Gunsten der Großmuttergesellschaft als nahestehender Person.
Die Enkelgesellschaft haftet für die durch die vGA ausgelöste Kapitalertragsteuer der ausländischen Muttergesellschaft, sofern sie nicht nachweist, dass sie die Pflicht zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Einer besonderen Darstellung von Ermessenserwägungen bedarf es angesichts des Umstandes, dass der Steuerschuldner im Ausland ansässig ist, nicht.
Der Haftungsbescheid für Kapitalertragsteuer ist auch dann hinreichend bestimmt, wenn er als Steuerschuldner nicht die Muttergesellschaft, sondern fälschlich die Großmuttergesellschaft nennt. Denn die Angabe des Steuerschuldners ist keine hinreichende Begründungsvoraussetzung, solange die Haftungsschuld in anderer Weise ausreichend konkretisiert werden kann.
Überschrift: Haftung für Kapitalertragsteuer: Haftung für Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit einer vGA an die ausländische Muttergesellschaft
Gründe:
Streitig ist die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheides über Kapitalertragsteuer.
Die Antragstellerin ist eine 2006 errichtete GmbH. Sie ist eine reine Holdinggesellschaft und war im Streitjahr 2009 Anteilseignerin von Grundstücksgesellschaften in A, B und C. Die Anteile an der Antragstellerin wurden zu 100% von der D Holding A/S, vormals E Holding A/S (im Folgenden E) gehalten, deren Anteilseignerin zu 100% die F f.m.b.a. (im Folgenden: F) ist. Beide Gesellschaften hatten ihren Sitz in Dänemark. Die Antragstellerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Juli bis 30. Juni.
Die F war am … 2006 auf Initiative der G Management A/S (G) gegründet worden. Im Zusammenhang mit ihrer Gründung schloss sie einen Verwaltungsvertrag mit der G über „die Verwaltung der F, die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft („Holdinggesellschaft“) sowie die Verwaltung der Tochtergesellschaften der Holdinggesellschaft („Tochtergesellschaften“)“. Nach Ziffer 2 des Vertrages müssen die Holdinggesellschaft und die Tochtergesellschaften -sobald sie gegründet wurden- vom Vertrag als Parteien umfasst sein. Für jede Gesellschaft muss eine Anlage zum Vertrag ausgearbeitet werden, woraufhin die betreffende Gesellschaft verpflichtet ist, dem Vertrag beizutreten. Die F und die Holdinggesellschaft können danach nicht Eigentümer einer Gesellschaft sein, die nicht vom Vertrag umfasst ist. Gegenstand
des Vertrages sind u. a. die Übernahme von Stabsfunktionen (IT, Ökonomie, Kommunikation), der Erwerb von Immobilien, Verkauf von Immobilien sowie die Verwaltung der Immobilien der Tochtergesellschaften. Das Honorar setzt sich nach Ziffer 4 des Vertrages aus einer fixen Komponente in Höhe von 0,75 % der gesamten konsolidierten Bilanzsumme der F, der Holdinggesellschaft und der Tochtergesellschaften sowie einer erfolgsabhängigen Komponente nach einem bestimmten Renditeschlüssel zusammen. Die Fakturierung des Verwaltungshonorars erfolgt über die F, die Holdinggesellschaft und die Tochtergesellschaften entsprechend dem jeweiligen Anteil an der Bilanzsumme, während das Erfolgshonorar von der F zu zahlen ist (Textziffer 4.2.1; wegen weiteren der Einzelheiten des Vertrages wird auf Anlagen 7 und 8 Bezug genommen).
Unter dem … 2009 schlossen die G und die Antragstellerin sowie ihre Tochtergesellschaften ein Endorsement Agreement zum Verwaltungsvertrag, mit dem diese sich verpflichtete, der Antragstellerin und ihren Tochtergesellschaften kontinuierlich Dienstleistungen entsprechend dem Leistungskatalog des Verwaltungsvertrages mit der F zu erbringen, ohne dass hierfür spezielle Aufforderungen erteilt werden mussten. Im Anhang 3 zu diesem Vertrag heißt es, dass die Erfolgsprämie nach Ziffer 4.2 des Verwaltungsvertrages von E zu begleichen sei.
Während die G das feste Honorar für ihre Dienstleistungen im Wirtschaftsjahr 2007/2008 den die Immobilien haltenden Tochtergesellschaften der Antragstellerin direkt berechnete, verlangte sie mit Rechnung vom 14. November 2008 einen Betrag von … € als Erfolgshonorar (success fee) von der Antragstellerin (Anlage 9), den diese in 2009 beglich. Nach einer Außenprüfung sah der Antragsgegner diese Zahlung des Erfolgshonorars als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) der Antragstellerin an ihre dänische Muttergesellschaft an, weil keinerlei Leistungen gegenüber der Antragstellerin erbracht worden seien. Am 18. Januar 2013 erließ der Antragsgegner geänderte Körperschaft- und Gewerbesteuermessbescheide sowie Verlustfeststellungsbescheide für 2009 und 2010 bzw. auf den 31. Dezember 2009 und 2010. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 21. Februar 2013. Weil die vGA bei der F zu Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz des Einkommensteuergesetzes (EStG) führe, die gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterlägen, nahm der Antragsgegner die Antragstellerin zudem mit Bescheid vom 21. Februar 2013 für Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von … € gem. § 44 Abs. 5 EStG in Haftung.
Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2013 beantragte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids, den der Antragsgegner zugleich als Einspruch ansah. Mit Entscheidung vom 25. März 2013 wies der Antragsgegner u. a. den Einspruch gegen den Haftungsbescheid zurück. Ebenfalls am 25. März 2013 lehnte er die Aussetzung der Vollziehung ab. Am 17. April 2013 hat die Antragstellerin Klage erhoben (2 K 109/13) und Aussetzung der Vollziehung bei Gericht beantragt.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für ihre Haftungsinanspruchnahme nicht erfüllt seien, weil die Zahlung des Erfolgshonorars nicht zu einer vGA führe.
Die Leistungen seien durch einen fremden Dritten und nicht durch eine nahestehende Person bzw. ein verbundenes Unternehmen auf der Grundlage des Verwaltungsvertrags mit der F erbracht worden. Auch wenn es sich der Sache nach
um einen Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich der Tochtergesellschaften, gehandelt habe, hätten diese die Vereinbarung gebilligt. Durch das Endorsement Agreement vom … 2009 habe sie, die Antragstellerin, den Vertrag auch bestätigt und die verabredeten Leistungen konkretisiert. Das Erfolgshonorar sei auch üblich und der Höhe nach angemessen. Im Übrigen sei auch nicht erkennbar, inwieweit, selbst wenn eine vGA angenommen werde, die Zahlung zu einem Vorteil bei der Muttergesellschaft führen könne.
Die G habe auch tatsächlich die in Rechnung gestellten Leistungen erbracht. Sie, die Antragstellerin, werde im Verwaltungsvertrag ausdrücklich als Leistungsempfänger genannt, die in der Anlage 2 des Vertrages genannten Leistungen seien auch ihr gegenüber erbracht worden und hätten in ihrem originären Interesse gelegen. Deshalb sei das Erfolgshonorar auch nicht an ihre Tochtergesellschaften weiterbelastet worden. Selbst wenn dies anders gesehen werde, seien die Aufwendungen letztlich wegen des bestehenden Organschaftsverhältnisses steuerlich wieder bei ihr als Organträgerin zu erfassen. Bei einer fremdüblichen konsolidierten Betrachtungsweise für das „Gesamtunternehmen“ spiele es keine Rolle, welche juristische Einheit welche Dienstleistungen empfangen habe.
Ferner seien auch die Schrankenwirkungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Nachlass-, Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Beistandsleistung in Steuersachen (Deutsch-dänisches Steuerabkommen) vom 22. November 1995 (DBA-Dänemark) zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dürften bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Erbringung von Dienstleistungen nur der Höhe nach einem Fremdvergleich unterzogen werden; auf die Kriterien einer zivilrechtlich wirksamen, im Voraus getroffenen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung komme es nicht an.
Schließlich treffe den Antragsgegner die Feststellungslast für das Vorliegen einer vGA.
Die Antragstellerin beantragt,
den Haftungsbescheid vom 21. Februar 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 25. März 2013 von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass der Antrag unzulässig ist, weil das Finanzamt einen entsprechenden Antrag nicht zuvor abgelehnt habe.
Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Die Zahlung des Erfolgshonorars führe zu einer vGA an die Muttergesellschaft, weil der Antragstellerin gegenüber keinerlei Leistungen erbracht worden seien.
Die Inanspruchnahme der Antragstellerin sei auch ermessenfehlerfrei erfolgt. Aus dem Außenprüfungsbericht ergebe sich, dass sich das Finanzamt in Kenntnis des Umstandes, dass die Gläubigerin der Kapitalerträge im Ausland ansässig sei,
bewusst für eine Haftungsinanspruchnahme entschieden habe. Die Inanspruchnahme des inländischen Haftungsschuldners bedürfe nach der Rechtsprechung des BFH keiner weiteren, besonderen Ermessensbegründung.
Die die Antragstellerin betreffenden Steuer- und Haftungsakten haben vorgelegen.
II.
1.) Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig.
Der Antragsgegner hat am 25. März 2013 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides abgelehnt. Damit sind die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt. Zu Unrecht wendet der Antragsgegner ein, die Antragstellerin habe zunächst erneut beim Finanzamt Aussetzung der Vollziehung beantragen müssen. Die einmalige Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde genügt, auch wenn sie in einem früheren Verfahrensstadium erfolgt ist (vgl. z. B. BFH vom 15. Juni 2005 IV S 3/05, BFH/NV 2005, 2014).
2.) In der Sache hat der Antrag keinen Erfolg.
Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Seer in Tipke/ Kruse, AO FGO § 69, Rz. 89). Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (z. B. BFH vom 21. Dezember 1993, VIII B 107/93, BStBl II 1994, 300). Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Haftungsbescheides bestehen nicht.
Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise dürfte der Antragsgegner die Antragstellerin zu Recht für Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag –in unstreitiger Höhe von … €– in Haftung genommen haben. Die Zahlung des Erfolgshonorars dürfte als vGA zu beurteilen sein, die zu Kapitaleinkünften bei der dänischen Muttergesellschaft führt (dazu a). Die Antragstellerin haftet für die insoweit einzubehaltende Kapitalertragsteuer (dazu b).
a) Unter einer vGA i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht. Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat die Rechtsprechung eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (ständige Rechtsprechung des BFH seit Urteil vom 16. März 1967 I 261/63, BStBl III 1967, 626; vgl. auch BFH vom 11. Oktober 2012 I R 75/11, BFH/NV
2013, 25). Ist der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender, so kann eine vGA auch dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn oder an eine ihm nahe stehende Person erbringt, für die es an einer klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung fehlt (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH vom 17. Dezember 1997 I R 70/97, BStBl II 1998, 545; vom 27. März 2001 I R 27/99, BStBl II 2002, 111, jeweils m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen führt die Begleichung der Rechnung der G vom 14. November 2008 über das Erfolgshonorar zu einer vGA an die Muttergesellschaft E. Eine vertragliche Grundlage für die Verpflichtung zum Ausgleich der Rechnung fehlte nach Lage der Dinge. Vertragspartner der G war die F, nicht die Antragstellerin. In Ziffer 2 des Vertrages heißt es unter „Vertragsparteien“, dass die Holdinggesellschaft und die Tochtergesellschaften vom Vertrag als Parteien umfasst sein müssen, sobald sie gegründet worden sind. Für jede solche Gesellschaft ist eine Anlage zum Vertrag auszuarbeiten, woraufhin die betreffende neu gegründete Gesellschaft verpflichtet ist, dem Vertrag beizutreten. Fraglich ist bereits, ob die Antragstellerin von dem Katalog der genannten Gesellschaften -Tochtergesellschaft der F = Holdinggesellschaft und Tochtergesellschaften der Holdinggesellschaft = Tochtergesellschaften- überhaupt erfasst wird, denn die Antragstellerin ist als weitere (deutsche) Holdinggesellschaft zwischen die dänische Holdinggesellschaft als Tochtergesellschaft der F und die vermögensverwaltenden Immobilien-Tochtergesellschaften zwischengeschaltet worden. Jedenfalls war die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum der Leistungserbringung, dem Wirtschaftsjahr 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2008, dem Managementvertrag nicht entsprechend Ziffer 2 des Vertrages beigetreten. Dass die Antragstellerin die Existenz des Management-Vertrages gekannt und gebilligt haben mag, wie die Antragstellerin vorträgt, reicht nicht aus, eine vertragliche Verpflichtung für die Antragstellerin zur Zahlung des Erfolgshonorars zu begründen.
Den vertraglichen Regelungen „beigetreten“ ist die Antragstellerin mit ihren Tochtergesellschaften erst später durch das Endorsement Agreement vom … 2009 mit der G, das folglich für das in Rede stehende Wirtschaftsjahr 2007/2008 der Leistungserbringung keine Bedeutung entfalten kann. Deshalb kann auch dahinstehen, ob der Vertrag überhaupt wirksam geschlossen worden ist, weil er nicht unterfertigt worden ist, und ob im Anhang 3 zu dieser Vereinbarung unter Ziffer 3 eine Verpflichtung der Antragstellerin zur Zahlung des Erfolgshonorars wirksam begründet worden ist. Nach dieser Klausel soll E das Erfolgshonorar zahlen. Die Antragstellerin wird im Vertrag aber ansonsten als „Recipient Company“ bezeichnet, E ist zudem auch Namensbestandteil aller Tochtergesellschaften und war es 2009 auch noch bei der dänischen Muttergesellschaft E Holding A/S. Dieser Klausel, ihre Wirksamkeit unterstellt, könnte auch keine rückwirkende Bedeutung in der Weise beigemessen werden, dass sie die Begleichung der Rechnung vom 14. November 2008 erfassen sollte. Zwar ist diese Rechnung erst nach dem behaupteten Vertragsschluss am … 2009 beglichen worden. Für eine Rückbeziehung hätte es aber einer ausdrücklichen Regelung in dem Endorsement Agreement bedurft. Fehlt es hieran, ist davon auszugehen, dass die beiderseitigen vertraglichen Pflichten (frühestens) ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses übernommen werden.
Andere vertragliche Absprachen über Kostenübernahmen innerhalb des Konzerns bestanden nach Auskunft der Antragstellerin nicht.
Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass sie selbst irgendwelche Leistungen von der G erlangt hat. Insoweit verweist sie lediglich auf den Leistungskatalog der Anlage 2 zum Managementvertrag bzw. zum Endorsement Agreement. Dieser allgemeine Leistungskatalog ist aber vornehmlich auf die Aktivitäten der Grundstücksgesellschaften und nicht die Tätigkeit einer Holdinggesellschaft zugeschnitten und kann im Übrigen auch nicht einen konkreten Leistungsnachweis ersetzen. Die Erbringung von Leistungen nach Maßgabe des Katalogs der Anlage 2 dürfte tatsächlich auch nicht gegenüber der Antragstellerin, sondern gegenüber ihren Tochtergesellschaften erfolgt sein. Dementsprechend ist das anteilige Verwaltungshonorar nach Ziffer 4.1 des Managementvertrages auch den Tochtergesellschaften gemäß ihrem Anteil an der Bilanzsumme in Rechnung gestellt worden.
Der Hinweis der Antragstellerin, die Zahlung des Erfolgshonorars habe in ihrem originären Interesse als shareholder activities gelegen, geht fehl angesichts der eindeutigen Regelung im Managementvertrag, wonach die dänische Konzernmuttergesellschaft F dieses Honorar zu zahlen hatte. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass die Zuordnung wegen des bestehenden Organschaftsverhältnisses letztlich unerheblich sei, denn Organgesellschaft und Organträger ermitteln ihren Gewinn zunächst getrennt.
Fehlt es danach an einer vertraglichen Grundlage für die Zahlung des anteiligen Erfolgshonorars und dürften tatsächlich auch keine Leistungen gegenüber der Antragstellerin erbracht worden sein, die unabhängig von einer ausdrücklichen Vertragsgrundlage die Zahlung rechtfertigen könnten, erweist sich der Ausgleich des Erfolgshonorars im Ergebnis als Zuwendung an die Muttergesellschaft, die allein durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hätte die Zahlung des Erfolgshonorars für einen Nichtgesellschafter nicht übernommen. Sie erweist sich somit als vGA.
Auf die besonderen Anforderungen des sog. formellen Fremdvergleichs bei beherrschenden Gesellschaftern und die in diesem Zusammenhang zu beachtende Sperrwirkung der abkommensrechtlichen Regelungen –hier von Art. 9 des DBA Dänemark– bei der Beurteilung der angemessenen Höhe des Vereinbarten (vgl. dazu BFH vom 11. Oktober 2012 I R 75/11, BFH/NV 2013, 324) kommt es danach nicht mehr an.
Die vGA führt gem. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu Einkünften aus Kapitalvermögen. Nach § 20 Abs. 5 EStG erzielt diese Einkünfte der Anteilseigner. Anteilseigner der Antragstellerin ist ihre Muttergesellschaft, die E. Insoweit reicht es aus, dass der Vorteil deren Muttergesellschaft, der F, als nahestehender Person zu Gute kommt (vgl. dazu auch Gosch in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 231 m. w. N.) Diese hat in Höhe des übernommenen Rechnungsbetrages eigene Aufwendungen in entsprechender Höhe gespart. Dieser Vorteil der F ist der E als mittelbarer Vorteil steuerlich zuzurechnen. Sie reicht ihn ihrerseits an ihre Muttergesellschaft F weiter. Mit der Begleichung der Rechnung in 2009 vereinnahmt die Holding A/S mithin die Einkünfte gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG.
Mit diesen Einkünften ist die E gem. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a) EStG in Deutschland beschränkt steuerpflichtig. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt die Einkommensteuer durch die Erhebung der Kapitalertragsteuer gem. § 43 Abs. 1 Nr.
1 EStG als abgegolten. Die Kapitalertragsteuer ist auch ungeachtet einer späteren ggfs. möglichen Erstattung zu erheben, weil diese einem gesonderten Verfahren entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EStG vorzubehalten ist. Entsprechendes gilt nach § 1 SolZG für den Solidaritätszuschlag.
b) Der Antragsgegner hat die Antragstellerin auch zu Recht für die Kapitalertragsteuer in Haftung genommen. Gemäß § 44 Abs. 5 EStG haftet der Schuldner der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, es sei denn, er weist nach, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Die Pflicht zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer erstreckt sich auch auf vGA (vgl. BFH vom 20. August 2008 I R 29/07, BStBl II 2010, 142; FG Köln vom 27. September 2012 10 K 2898/10, EFG 2013, 232; Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl. 2010, § 44 EStG Rz. 39). Es wird mithin zunächst vermutet, der Quellensteuerabzug sei vorsätzlich oder grob fahrlässig unterblieben; den Nachweis dafür, dass der Quellensteuerabzug weder vorsätzlich noch fahrlässig unterblieben ist, hat der Entrichtungspflichtige zu erbringen. Eine Haftung kommt der Sache nach somit nur bei schuldlosem oder bei leicht fahrlässigem Verhalten nicht in Betracht (vgl. auch Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 44 Rz. F 20).
Vorsätzlich handelt, wer seine Pflichten wissentlich verletzt oder eine Pflichtverletzung billigend in Kauf nimmt. Grob fahrlässig handelt, wer nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder Steuergesetze nicht beachtet. Das Unterlassen des Quellensteuerabzugs aus Unkenntnis kann zur groben Fahrlässigkeit des Entrichtungspflichtigen führen (vgl. z. B. BFH vom 20. August 2008 I R 29/07, BStBl II 2010, 142; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 44 Rz. F 23); bei Zweifeln ist Rechtsrat einzuholen bzw. zunächst vorsorglich Kapitalertragsteuer einzubehalten (vgl. BFH vom 8. April 2009 I B 78/08, nv; juris).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze geht der Senat bei summarischer Betrachtung davon aus, dass die Antragstellerin nicht schuldlos bzw. nicht lediglich leicht fahrlässig Kapitalertragsteuer nicht einbehalten hat. Sie selbst hat hierzu nichts Konkretes vorgetragen, sie nimmt vielmehr lediglich die Annahme einer vGA in Abrede. Wie sich aber aus den vorstehenden Ausführungen unter a) ergibt, dürften die Voraussetzungen einer vGA erfüllt sein. Bei der Zahlung fremder Schulden muss sich für einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter die Frage stellen, ob es sich hierbei nicht um eine vGA handeln könnte, für die Kapitalertragsteuer einzubehalten ist; ggf. muss Rechtsrat eingeholt werden. Die Antragstellerin war im Streitzeitraum auch steuerlich fachkundig vertreten, sodass sie sich die Folgen einer fehlenden oder fehlerhaften Beratung zurechnen lassen muss.
Der Haftungsbescheid dürfte auch hinreichend bestimmt sein. Zwar heißt es in dem Bescheid unter Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht, dass der dänischen Muttergesellschaft F vGA zugeflossen seien. Auch im Betriebsprüfungsbericht wird unter Textziffer 18 ausgeführt, dass die vGA bei der dänischen Muttergesellschaft F zu Einkünften aus Kapitalvermögen führten. Diese Angabe ist zumindest nicht eindeutig, denn die F ist die Großmuttergesellschaft der als nahe stehender Person der Vorteil zugeflossen ist, während Muttergesellschaft die E ist, die aufgrund der vGA die der Kapitalertragsteuer unterliegende Einkünfte erzielt hat. Nach der Rechtsprechung ist die Angabe des Steuerschuldners aber keine hinreichende Begründungsvoraussetzung, solange die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in anderer Weise ausreichend konkretisiert werden kann (vgl. z.
B. BFH vom 3. Dezember 1996 I B 44/96, BStBl II 1997, 306). Dies dürfte der Fall sein, denn aus dem Bescheid ergibt sich ohne weiteres, dass die Antragstellerin für Kapitalertragsteuer in bestimmter Höhe im Zusammenhang mit einer vGA in Haftung genommen wird.
Schließlich bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel an der gebotenen Ermessensausübung des Antragsgegners. Nach allgemeiner Ansicht erfordert trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts von § 44 Abs. 5 EStG die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners die Ausübung von Erschließungsermessen und Auswahlermessen (vgl. z. B. Knaupp in Kirchhof, EStG, 12. Aufl. 2013, § 44 Rz. 9; Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 44 Rz. F 31). Allerdings verlangt die Rechtsprechung des BFH bei einem ausländischen Steuerschuldner -wie im Streitfall- keine besondere Begründung der Ermessenerwägungen. Ein Hinweis auf die beschränkte Steuerpflicht und die fehlenden Zugriffsmöglichkeiten im Inland soll regelmäßig ausreichen (BFH vom 19. Dezember 2012 I R 81/11 <Rz. 20>, BFH/NV 2013, 698; vom 5. November 1992 I R 41/92, BStBl II 1993, 407; vom 3. Dezember 1996 I B 44/96, BStBl II 1997, 306; vom 8. November 2000 I B 59/00 BFH/NV 2001, 448). Zudem kann im Haftungsbescheid von einer Begründung der Ermessensausübung abgesehen werden, wenn dem Empfänger des Bescheids die Auffassung der Finanzbehörde bekannt oder ohne weiteres erkennbar ist (BFH vom 20. Juli 1988 I R 61/85, BStBl II 1989, 99; vom 5. November 1992 I R 41/92, BStBl II 1993, 407). Hieran dürfte auch nach Inkrafttreten des Beitreibungsrichtlinienumsetzungsgesetzes vom 13. Dezember 2011 festzuhalten sein, weil das grenzüberschreitende Vollzugsdefizit dadurch nicht beseitigt worden ist und eine effiziente Vollstreckung nach wie vor nicht gewährleistet sein dürfte.
Mit den Erläuterungen während der Außenprüfung und dem Hinweis im Haftungsbescheid, dass Gläubiger der Kapitalerträge eine dänische Gesellschaft ist, ist diesen Minimalanforderungen genügt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Beschwerde ist gem. § 128 Abs. 3 FGO in entsprechender Anwendung von § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

Kindergeld: Bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich um zwei unterschiedliche Verfahren; der Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend. Ändern sich nicht die tatsächlichen Verhältnisse, sondern nur die rechtliche Beurteilung durch das Finanzamt, liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung nach § 173 oder § 175 AO nicht vor. Die Änderungsvorschrift § 70 Abs. 2 EStG findet keine Anwendung, wenn die Fa-milienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewendet hat, Urteil des 6. Senats vom 8.8.2013, 6 K 101/13, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 6 K 101/13
Urteil des Einzelrichters vom 08.08.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: EStG § 62, EStG § 70 Abs. 2, AO § 173, AO § 175
Leitsatz: 1. Bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich um unterschiedliche Verfahren, sodass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend ist.
2. § 70 Abs. 2 EStG ist nicht anwendbar, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat. Ändern sich nicht die tatsächlichen Verhältnisse, sondern nur die rechtliche Beurteilung durch das Finanzamt, liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung nicht vor.
Überschrift: Kindergeld: Rückwirkende Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ändern und das bereits gezahlte Kindergeld zurückfordern durfte.
Der Kläger ist seit 2004 in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt. Seit 2005 lebt er mit seiner griechischen Ehefrau in Griechenland. Hier wurden 2006 und 2009 auch seine Kinder geboren.
Der Kläger arbeitet als angestellter Rechtsanwalt in Griechenland. Außerdem hat er eine Rechtsanwaltszulassung in Deutschland. Hier ist er auch Mitglied der Rechtsanwaltsversorgungskammer. In Deutschland ist er im Haus seiner Eltern mit Nebenwohnsitz gemeldet. 2006 stellte sich erstmalig für den Kläger die Frage, ob er in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Das zuständige Finanzamt Hamburg-1 gelangte nach einer rechtlichen Prüfung zu der Ansicht, dass der Kläger in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sei, und teilte ihm dieses durch Schreiben vom 18.08.2006 mit. Nach der Geburt seines ersten Kindes teilte das Finanzamt ihm bei Abgabe seiner Einkommensteuererklärung für 2006 mit, dass er kindergeldberechtigt sei. Der Kläger beantragte daraufhin bei der zuständigen Familienkasse Kindergeld, welches ihm durch Bewilligungsbescheid vom 18.10.2007 gewährt wurde.
Der Kläger erklärte in den Jahren ab 2006 jeweils geringe Einkünfte aus seiner deutschen Rechtsanwaltstätigkeit im Rahmen seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht und wurde dementsprechend veranlagt.
Die Familienkasse überprüfte den Anspruch des Klägers auf Kindergeld regelmäßig und forderte in diesem Zusammenhang einen Nachweis über die unbeschränkte Steuerpflicht. Für die Jahre 2008, 2009, 2010 und 2011 (21.09.2011) legte der Kläger Bescheinigungen des Finanzamts Hamburg-1vor, durch die ihm seine unbeschränkte Steuerpflicht bescheinigt wurde.
Durch Schreiben vom 09.08.2012 teilte das Finanzamt Hamburg-1 dem Kläger mit, dass nach Durchsicht der Akten und Unterlagen festgestellt worden sei, dass bereits seit geraumer Zeit eine unbeschränkte Steuerpflicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht mehr gegeben sei, weil der Kläger weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Die Veranlagung der Einkommensteuererklärung werde daher ab dem Jahr 2011 abgelehnt.
Der Kläger reichte diese Bescheinigung am 17.08.2012 an die Familienkasse weiter und teilte mit, dass er davon ausgehe, dass ihm damit ab dem 10.08.2012 kein Kindergeld mehr zustehe. Er bitte deshalb um die Einstellung der Kindergeldzahlungen.
Durch Bescheid vom 04.10.2012 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Januar 2011 auf und forderte das Kindergeld für die Monate Januar 2011 bis August 2012 in Höhe von 7.360 € zurück.
Am 16.10.2012 legte der Kläger Einspruch ein, welcher durch Einspruchsentscheidung vom 27.03.2013 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Hiergegen hat der Kläger am 29.04.2013 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, die Voraussetzungen für eine Änderung gem. § 70 Abs. 2 EStG seien nicht gegeben, denn an den tatsächlichen persönlichen Lebensumständen habe sich seit der Bewilligung des Kindergeldes in 2007 nichts geändert. Es sei für den Kläger deshalb auch nicht nachvollziehbar, warum das Finanzamt zu einer anderen Rechtsansicht gelangt sei. Eine andere rechtliche Beurteilung durch das Finanzamt oder die Familienkasse stelle keine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 70 Abs. 2 EStG dar.
Darüber hinaus verstoße die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des bereits gezahlten Kindergeldes gegen Treu und Glauben, denn er, der Kläger, habe nach den regelmäßigen Prüfungen durch die Beklagte davon ausgehen können, dass ihm das Kindergeld zustehe und habe dieses Kindergeld auch bereits ausgegeben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
der Aufhebungsbescheid vom 04.10.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2013 dahingehend zu ändern, dass die Kindergeldfestsetzung erst ab September 2012 aufgehoben wird und
den Rückforderungsbescheid vom 04.10.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt die Beklagte vor, dass der Kläger im Inland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt habe und deshalb nicht gem. § 62 EStG kindergeldberechtigt sei. Die Feststellungen des Finanzamtes zur unbeschränkten Steuerpflicht seien für das Kindergeldverfahren gem. der für sie
geltenden Dienstanweisung grundsätzlich bindend. Die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. November 2008 III R 53/05 (BFH/NV 2009, 564) und vom 24. Mai 2012 III R 14/10 (BFHE 237, 239, BStBl II 2012) seien noch nicht in ihre Dienstanweisung umgesetzt worden. Die unbeschränkte Steuerpflicht sei in der Regel durch die vom zuständigen Finanzamt erstellte Bescheinigung gem. § 39c EStG nachzuweisen. Das zuständige Finanzamt habe durch sein Schreiben vom 09.08.2012 eine unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers abgelehnt. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung sei § 70 Abs. 2 EStG. Die Erstattungspflicht ergebe sich aus § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO).
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin erklärt. Auf das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins vom 18.06.2013 wird verwiesen. Dem Gericht haben die Kindergeldakten des Klägers vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung (§ 79a Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 90 Abs. 2 FGO).
I.
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 04.10.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2013 sind rechtswidrig und verletzen den Klägers in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO) sofern der Aufhebungsbescheid den Zeitraum vor September 2012 betrifft.
1. Der Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung liegen nicht vor.
a) Die Voraussetzungen für eine Änderung gem. § 70 Abs. 2 EStG liegen nicht vor.
Gem. § 70 Abs. 2 EStG kann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung aufgehoben oder verändert werden, wenn in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind.
Die Regelung betrifft den Fall, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes nachträglich unrichtig wird (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81). Eine Änderung der Verhältnisse i. S. des § 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes. § 70 Abs. 2 EStG ist daher nicht anwendbar, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat.
Nach § 62 Abs. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG u. a., wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1
Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).
Es muss an dieser Stelle nicht entschieden werden, ob der Kläger in den von Januar 2011 bis August 2012 unbeschränkt steuerpflichtig gewesen ist, denn entscheidend ist ausschließlich, dass keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in diesem Zeitraum eingetreten ist. Denn der Kläger hat sich weder in Deutschland abgemeldet, noch hat er seine Aufenthaltszeiten in Deutschland verändert bzw. reduziert oder in Griechenland erst seinen Wohnsitz neu begründet.
Eine Änderung der Verhältnisse ergibt sich jedenfalls nicht aus der vom Finanzamt vorgenommenen anderweitigen steuerrechtlichen Qualifikation als nicht unbeschränkt steuerpflichtig und der entsprechenden Ablehnung der Einkommensteuerveranlagung für 2011. Denn bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung handelt es sich um unterschiedliche Verfahren, sodass der Einkommensteuerbescheid hinsichtlich des inländischen Wohnsitzes für die Kindergeldfestsetzung nicht bindend ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897; BFH-Beschluss vom 28. September 2007 III S 28/06 (PKH), BFH/NV 2008, 50). § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt für die Anspruchsberechtigung nur einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus und stellt nicht auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung ab.
b) Auch die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO, die auf Kindergeldbescheide gemäß § 155 Abs. 4 AO, § 31 Satz 3 EStG sinngemäß anzuwenden sind und zu § 70 Abs. 2 bis 4 EStG nicht im Verhältnis der Spezialität oder Subsidiarität stehen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81), sind im Streitfall nicht erfüllt.
aa) Die Voraussetzungen für eine Änderung gem. § 173 AO liegen nicht vor.
Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache i. S. des § 173 AO ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen sind dagegen rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d. h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BStBl II 2007, 714).
Bei den Bescheinigungen des Finanzamts handelt es sich weder um Tatsachen noch um Beweismittel, sondern um eine rechtliche Würdigung durch das Finanzamt. Wie bereits oben dargelegt, setzt § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Anspruchsberechtigung nur einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus und stellt nicht auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung durch das Finanzamt ab.
bb) Die Voraussetzungen für eine Änderung gem. § 175 AO sind ebenfalls nicht gegeben, denn weder stellt die Bescheinigung des Finanzamts einen
Grundlagenbescheid für die Kindergeldfestsetzung dar, noch ist ein rückwirkendes Ereignis eingetreten.
2. Wegen der Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheides liegt auch kein Rechtsgrund für die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes vor, denn das zurückgeforderte Kindergeld wurde nicht ohne Rechtsgrund gezahlt.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision wird nicht gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

Finanzgerichtsordnung: Die Versäumung einer an einem Montag ablaufenden Klagefrist ist nicht unverschuldet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand daher nicht zu gewäh-ren, wenn der Kläger die Klage erst am Freitag zuvor im Ausland zur Post gegeben hat. Der Grundsatz, wonach bei Postsendungen davon ausgegangen werden darf, dass werktags aufgegebene Sendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden, gilt nur für innerhalb des Bundesgebiets aufgegebene Postsendungen. Für Postsendungen aus Polen ist mit einer Laufzeit von 2-3 Werktagen zu rechnen, Urteil des 4. Senats vom 16.10.2103, 4 K 26/13, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 4 K 26/13
Urteil des Einzelrichters vom16.10.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 47, FGO § 56
Leitsatz: Der Grundsatz, wonach bei Postsendungen davon ausgegangen werden darf, dass werktags aufgegebene Sendungen im Bundesgebiet am folgenden Werktag ausgeliefert werden, gilt nur für innerhalb des Bundesgebiets aufgegebene Postsendungen. Für Postsendungen aus Polen ist mit einer Laufzeit von 2-3 Tagen zu rechnen.
Überschrift: Prozessrecht: Wiedereinsetzung wegen der Postlaufzeit
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Vollstreckung von Einfuhrabgaben.
Der in Polen wohnhafte Kläger ließ zwischen November 2008 und November 2010 keramisches Geschirr aus gewöhnlichem Ton bzw. Steinzeug der Codenummern 6912 0010 900 bzw. 6912 0030 000 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiter Lieferung anmelden. Die Anmeldungen wurden von beauftragten Speditionen erstellt. Von den Waren wurden Proben genommen, bei der Untersuchung stellte sich nach Darstellung des Beklagten heraus, dass es sich um Geschirr aus Porzellan und in einem Fall aus Steinzeug handelte. Die insofern nachzuerhebenden Einfuhrabgaben wurden im Wesentlichen über Aufschubkonten der jeweiligen Speditionen entrichtet. Wegen eines noch offenen Betrages wurde seitens des für die Abgabenerhebung zuständigen Hauptzollamts Hamburg-1 ein Vollstreckungstitel gegen den Kläger erwirkt, gegen den er mit Schreiben vom 03.09.2012 Einspruch einlegte.
Der Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 09.01.2013 zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung wurde dem Kläger mit Einschreiben – ausweislich des Rückscheins – am 16.01.2013 zugestellt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger sei als Anmelder Schuldner der Einfuhrabgaben, dementsprechend sei auch der Vollstreckungstitel an ihn gerichtet worden. Die Vollstreckung sei auch nicht unbillig. Nachteile könnten durch Vereinbarung einer Ratenzahlung abgewendet werden.
Mit seiner am 22.02.2013 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hält die Einfuhrabgabenerhebung für rechtswidrig. Über die Probenentnahme und die Entscheidung des Zollamts sei er nicht informiert worden.
Nachdem der Senat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13.05.2013 wegen Verfristung als unzulässig abgewiesen hatte, trug der Kläger mit Schriftsatz vom 12.06.2013 vor, die Klageschrift rechtzeitig geschickt zu haben, sie trage den Poststempel vom 15.02.2013.
Der Kläger beantragt,
gegen ihn gerichtete Vollstreckungstitel in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.01.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage wegen des Versäumens der Klagefrist für unzulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Sachakte des Beklagten, die auszugsweise vorgelegen, hat verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2010 nicht vertreten war. Er wurde ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass bei seinem Ausbleiben auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, § 91 Abs. 2 FGO.
Die Klage ist unzulässig.
Gemäß § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage, die der Kläger vorliegend erhoben hat, einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Der außergerichtliche Rechtsbehelf, also die Einspruchsentscheidung vom 09.01.2013, wurde dem Kläger ausweislich des Rückscheins persönlich am 16.01.2013 übergeben, mithin bekannt gegeben. Die Klagefrist lief, da der 16.02.2013 ein Samstag war, bis zum 18.02.2013. Die Klageschrift ging jedoch ausweislich des Eingangsstempels erst am 22.02.2013 und damit verfristet beim Finanzgericht ein.
Anlass, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 FGO zu gewähren, besteht nicht. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was das Gericht veranlassen könnte, Wiedereinsetzung zu gewähren. Sofern er vorträgt, die Klageschrift ausweislich des polnischen Poststempels am 15.02.2013 zur Post gegeben zu haben, rechtfertigt dies keine Wiedereinsetzung, da das Versäumen der Klagefrist gleichwohl nicht unverschuldet ist. Angesichts der üblichen Postlaufzeiten konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass ein am Freitag, dem 15.02.2013, abgesandtes Einschreiben bereits am kommenden Werktag, also Montag, dem 18.02.2013, bei Gericht eingeht. Lediglich bei Postsendungen innerhalb des Bundesgebietes darf davon ausgegangen werden, dass werktags aufgegebene Sendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden (Brandis in Tipke/Kruse, § 110 AO Rn. 14). Von einer derart kurzen Laufzeit kann allerdings bei der Zustellung einer Postsendung aus Polen mittels Einschreiben ins Bundesgebiet nicht ausgegangen werden. Die Laufzeit für Post von Polen nach Deutschland beträgt 2-3 Tage (Angabe unter www.deutschepost.de, internationale Brieflaufzeiten). Der Kläger darf zwar die Rechtsmittelfrist ausschöpfen und darauf vertrauen, dass die Klageschrift innerhalb der üblichen Laufzeit bei Gericht eingeht, er muss jedoch, wenn die übliche Laufzeit 2-3 Tage beträgt, damit rechnen, dass die
Postsendung drei Tage braucht. Insofern konnte der Kläger jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die Klageschrift vor Dienstag, dem 19.02.2013 bei Gericht eingeht. Selbst bei einem Eingang am 19.02.2013 wäre die Klage indes verfristet, sodass in jedem Fall von einem verschuldeten Versäumen der Klagefrist ausgegangen werden muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Finanzgerichtsordnung, Prozesskostenhilfe: Im Rahmen der Prozesskostenhilfe besteht kein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters, wenn Gegenstand der Klage die Anfechtung von Schätzungsbescheiden ist und mit den zur Begründung der Klage vorgelegten Steuererklärungen nur das im finanzgerichtlichen Verfahren erbracht wird, was zuvor schon Gegenstand außerprozessualer Mitwirkungspflichten des Steuer-pflichtigen gewesen ist, und die Prozessführung ohne fachkundige Hilfe zu bewältigen ist, Beschluss des 6. Senats vom 8.10.2013, 6 K 92/13, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 6 K 92/13
Beschluss des Einzelrichters vom 08.10.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 142 Abs. 2, ZPO § 121 Abs. 2
Leitsatz: Die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters ist dann nicht erforderlich, wenn im Zuge der Anfechtung von Schätzungsbescheiden mit der Vorlage von Steuererklärungen im finanzgerichtlichen Verfahren nur das erbracht wird, was zuvor schon Gegenstand außerprozessualer Mitwirkungspflichten gewesen ist und die Prozessführung ohne fachkundige Hilfe zu bewältigen ist.
Überschrift: Prozesskostenhilfe: Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten bei Verletzung von Mitwirkungspflichten
Gründe:
I.
Weil der Antragsteller trotz Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für 2011 abgegeben hatte, schätzte das Finanzamt Hamburg-1 (Finanzamt) die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO) und setzte mit Bescheid vom 30.11.2012 die Einkommensteuer für 2011 auf 1.401 € fest. Gegen diesen Bescheid legte der durch den Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller fristgerecht Einspruch ein, den das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 15.03.2013 als unbegründet zurückwies.
Mit Schreiben vom 18.04.2013 hat der Antragsteller, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben und angekündigt, die Begründung in Form der Einkommensteuererklärung für 2011 nachreichen zu wollen. Mit Schreiben vom 15.05.2013 hat der Antragsteller beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Die Klage sei zur Abwendung der Rechtskraft des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2011 erhoben worden; die der Klagebegründung dienende Steuererklärung habe er beim Finanzamt eingereicht. Mit Schreiben vom 26.06.2013 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mitgeteilt, dass wegen Zahlungsschwierigkeiten seines Mandanten die Steuererklärungen erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung erstellt worden seien.
Mit Bescheid vom 04.06.2013 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2011 erklärungsgemäß auf 385 € geändert fest. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen des Finanzamts vom 23.05.2013 wie auch des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 18.06.2013 sind die Kosten des Verfahrens mit Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 19.06.2013 dem Antragsteller zur Last gelegt worden.
Mit Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 31.07.2013 ist dem Antragsteller Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Mit Schreiben vom 01.10.2013 hat der Antragsteller beantragt, ihm den Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
II.
Der Antrag auf Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers war zu versagen.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) kann nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellt werden (Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rn. 7). Der Antrag kann somit nicht mehr wirksam gestellt werden, nachdem die Beteiligten des Verfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen die Rechtshängigkeit der Hauptsache beendigt haben (vgl. BFH Beschluss vom 11.11.1985 IV B 77/85, BFHE 145, 28, BStBl II 1986, 67). Denn die Erledigungserklärung ist eine prozessuale Bewirkungshandlung, die den Rechtsstreit in gleicher Weise wie ein – eine Steuerfestsetzung abänderndes – Urteil beendet, wenn sie in Übereinstimmung mit dem Gegner abgegeben wird. Die Prozesslage wird durch diese übereinstimmenden Erklärungen abschließend gestaltet (BFH Urteil vom 14.05.2003 XI R 21/02, BFHE 202, 228, BStBl II 2003, 888). Dieses gilt gleichermaßen für den Antrag auf Beiordnung eines Steuerberaters gemäß § 142 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Antrag auf Beiordnung des Prozessbevollmächtigten vom 01.10.2013 erfolgte im Streitfall erst nach Vorliegen der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 23.05. und 18.06.2013 und damit nach Beendigung des Verfahrens. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag des Antragstellers vom 15.05.2013 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe dahin auszulegen wäre, dass er zugleich auch einen Antrag auf Beiordnung des Prozessbevollmächtigten umfasst, und damit das Beiordnungsbegehren vor Beendigung des Verfahrens geltend gemacht worden wäre.
2. Denn dem Antrag auf Beiordnung des Prozessbevollmächtigten muss in der Sache der Erfolg versagt bleiben.
Gemäß § 142 Abs. 2 FGO i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO wird ein Rechtsanwalt oder ein Steuerberater in einem Verfahren ohne Anwaltszwang – wie im Finanzgerichtsprozess (§ 62 Abs. 1 FGO) – auf Antrag beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater erforderlich erscheint. Hieran fehlt es, wenn nach dem Umfang, der Schwierigkeit und der Bedeutung der Rechtssache vom Antragsteller zur Rechtsverfolgung bei Gericht ersichtlich nichts anderes verlangt wird, als was zuvor schon Gegenstand seiner außerprozessualen Mitwirkungspflichten gewesen und ohne fachkundige Hilfe zu bewältigen ist (vgl. §§ 90, 365 Abs. 1 AO einerseits und § 76 Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 FGO andererseits; BFH Beschluss vom 19.09.1986 V B 39/86, DStZ 1987, 155). Eine Beiordnung ist insbesondere dann nicht erforderlich, wenn im Zuge der Anfechtung von Schätzungsbescheiden mit der Vorlage von Steuererklärungen im finanzgerichtlichen Verfahren nur das erbracht wird, was zuvor schon Gegenstand außerprozessualer Mitwirkungspflichten gewesen ist und die Prozessführung ohne fachkundige Hilfe zu bewältigen ist (vgl. BFH Beschlüsse vom 27.01.1989 III B 130/88, BFH/NV 1989, 767; vom 26. 10.1994 X B 156/94, BFH/NV 1995, 725; vom 27.12.2000 XI B 123/00, BFH/NV 2001, 919). Denn der Steuerpflichtige kann bereits in dem Verwaltungsverfahren, das einem Finanzrechtsstreit vorgeschaltet ist, seine Interessen wahrnehmen und hat andererseits aber auch seine steuerlichen Pflichten
zu erfüllen, ohne dass ihm dafür ein Gebührenanspruch für eine in Anspruch genommene Beratung gegenüber dem Staat zusteht; die Allgemeinheit soll dementsprechend im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten auch nicht mit Kosten des Prozessbevollmächtigten belastet werden (vgl. Lück, DStZ 1987, 155 f.).
Im Streitfall hat der Antragsteller seine steuerlichen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren dadurch verletzt, dass er es versäumt hat, die Einkommensteuererklärung 2011 rechtzeitig einzureichen. Das Einspruchs- und Klageverfahren wäre bei Erfüllung der Mitwirkungspflichten für den vorliegenden Streitgegenstand zu vermeiden gewesen. Die Prozessführung wäre auch ohne fachkundige Hilfe zu bewältigen gewesen, da außer der Erfüllung der Mitwirkungspflichten in Gestalt der Vorlage der Einkommensteuererklärung 2011 keine sonstigen Streitpunkte, zu denen Rechtsausführungen erforderlich gewesen wären, vorlagen.
III.
Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses beruht auf § 128 Abs. 2 FGO. Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren der Prozesskostenhilfe, hier auf Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters, nicht veranlasst.

Einkommensteuer, Tonnagesteuer: Die auf ein Schiff geleisteten Anzahlungen sind grundsätzlich als Vorleistung in einem schwebenden Vertrag auf eine vom anderen Vertragsteil zu erbringende Lieferung oder Leistung zu verstehen, die in die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eingehen. Ergibt sich aus der vertraglichen Gestaltung, dass die Anzahlungsvereinbarung den Charakter einer Finanzierung des zur Sachleistung verpflichteten Vertragspartners hat, so endet dieses Kreditgeschäft bei Ablieferung des Schiffes mit der Folge, dass das Wirtschaftsgut „geleistete Anzahlung“ aus dem Betriebsvermögen aus-scheidet und der Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG aufzulösen ist, Urteil des 2. Senats vom 14.8.2013, 2 K 32/13, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 32/13
Urteil des Senats vom 14.08.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: EStG § 5a Abs. 4, EStG § 4 Abs. 1, EStG § 5 Abs. 1
Leitsatz: 1. Grundsätzlich sind geleistete Anzahlungen als Vorleistung in einem schwebenden Vertrag auf eine vom anderen Vertragsteil zu erbringende Lieferung oder Leistung zu verstehen mit der Folge, dass die Anzahlung in die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eingeht, wenn die Gegenseite die Sach- oder Dienstleistungsverpflichtung erfüllt.
2. Steht auf Grund der besonderen vertraglichen Gestaltung der Charakter der Finanzierung des zur Sachleistung verpflichteten Vertragspartners im Vordergrund, endet mit der Ablieferung des Schiffes das Kreditgeschäft. Das Wirtschaftsgut „geleistete Anzahlung“ scheidet aus dem Betriebsvermögen aus, der Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 Satz 2 EStG ist aufzulösen.
Überschrift: Einkommensteuer: Tonnagebesteuerung: Auflösung von Unterschiedsbeträgen bei Ausscheiden von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der zum 31.12.2004 festgestellte Unterschiedsbetrag gemäß § 5a Abs. 4 S. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für geleistete Anzahlungen im Streitjahr 2006 dem Gewinn hinzuzurechnen ist.
Die Klägerin ist eine im November 2003 gegründete Kommanditgesellschaft, die mit Wirkung vom … 2004 in KG A Schifffahrts-GmbH & Co. umbenannt wurde und seit November 2006 unter dem Namen KG MS „B“ C Reederei GmbH & Co. firmiert. Komplementärin ist die D Schifffahrts-GmbH, die nicht am Vermögen der Klägerin beteiligt ist. Als Gründungskommanditisten waren zunächst die Reederei E GmbH & Co. KG sowie die F & Co. GmbH & Co. KG (im Folgenden die Beigeladene) beteiligt. Mit Gesellschaftsvertrag vom … 2006 wurde der Gegenstand des Unternehmens geändert in Erwerb, gewerblicher Betrieb und die Veräußerung des Containerschiffes „B“ sowie die Durchführung von Seetransporten und damit im Zusammenhang stehende Geschäfte. Als Kommanditist trat G mit einer Beteiligung von … US-Dollar ein und die Beigeladene schied als Gesellschafterin aus. Die Kommanditbeteiligung der Reederei E GmbH & Co. KG wurde auf … US-Dollar erhöht. Laut Handelsregister ist der Kommanditist G in 2008 aus der Gesellschaft wieder ausgeschieden.
Mit Vertrag vom 19.08.2004 bestellte die Klägerin bei einer koreanischen Werft ein Containerschiff mit einer Containerkapazität von 8400 TEU. Der Kaufpreis des Schiffes betrug … US-Dollar, zahlbar durch drei Raten von jeweils … US-Dollar und zwar im September 2004, 180 Tage nach Vertragsunterzeichnung und bei Beginn des Stahlschneidens, sowie eines Restbetrags von … US-Dollar (70 %) bei Ablieferung des Schiffes bis spätestens zum 31.12.2006. Nach den weiteren Vertragsbedingungen war die Vorauszahlung von dem Schiffsbauer bei Kündigung, Ungültigkeit oder Aufhebung an den Käufer einschließlich einer Verzinsung zu erstatten. Im Fall der Rückzahlung war die Vorauszahlung ab dem Tag der Zahlung
mit 6 % p. a. zu verzinsen (vgl. Tz. X.6 des Schiffsbauvertrags). Der Schiffbauer hatte ferner eine Bürgschaft der Bank-1 (…), einer koreanischen Bank, zur Absicherung der Erstattung der Vorauszahlungsraten zu stellen (Tz. X.9 des Schiffsbauvertrags).
Zur Finanzierung der Baupreisanzahlungen gewährte die Bank-2, H, mit Vertrag vom 01.09.2004 ein Darlehen in Höhe von … US-Dollar mit dem ausschließlichen Zweck der Finanzierung der ersten drei Teilzahlungen, zuzüglich einer Kreditlinie bis zu … US-Dollar für die Zahlung der Bauzinsen. Als Sicherheit des Zwischenfinanzierungsdarlehns diente die von dem Schiffsbauer gestellte Bürgschaft der Bank-1 (vgl. Präambel C des Darlehensvertrags über die Zwischenfinanzierung). Die Tilgung des Darlehens sollte nach Tz. 4 des Vertrages in einer Summe spätestens bei Ablieferung des Schiffes oder nicht später als bis zum 30.06.2007 erfolgen. Die langfristige Endfinanzierung des Schiffes erfolgte mit Darlehensvertrag vom 24.11.2004 ebenfalls über die Bank-2.
Am 12.12.2005 beantragte die Klägerin, ab dem Jahr 2005 die Gewinnermittlung nach der Tonnage gemäß § 5a EStG durchzuführen.
Mit einem durch Einspruchsentscheidung vom 22.11.2010 geänderten Bescheid auf den 31.12.2004 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Unterschiedsbetrags gemäß § 5a Abs. 4 EStG stellte der Beklagte folgende Unterschiedsbeträge fest:
Fremdwährungsverbindlichkeiten … €
Bauvertrag … €
Anzahlung – … €.
Eine gegen diese Feststellungen gerichtete Klage (2 K 31/13) hatte zunächst wegen eines Musterverfahrens vor dem Bundesfinanzhof (BFH) geruht. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens sagte der Beklagte zu, den Bescheid auf den 31.12.2004 über die Feststellung des Unterschiedsbetrages nach § 5a Abs. 4 EStG bezüglich des Bauvertrages aufzuheben. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit vom 15.08.2013 datierenden Änderungsbescheid hat der Beklagte nur noch – der Höhe nach unveränderte – Unterschiedsbeträge für die Fremdwährungsverbindlichkeiten und die Anzahlung festgestellt.
Die Ablieferung des Schiffes erfolgte am 22.11.2006.
Mit Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen stellte der Beklagte Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … € fest.
Am 27.12.2007 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 22.11.2010 stellte der Beklagte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb abweichend auf … € fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die Einkünfte setzen sich zusammen aus laufenden Einkünften nach § 5a Abs. 1 EStG in Höhe von … €, der Hinzurechnung eines Unterschiedsbetrags nach § 5a Abs. 4 S. 3 EStG in Höhe von … € sowie Sonderbetriebseinnahmen in Höhe von … €. Der Unterschiedsbetrag für geleistete
Anzahlungen sei auf das Wirtschaftsgut Seeschiff zu übertragen und erst dann aufzulösen, wenn das Schiff aus dem Betriebsvermögen ausscheide.
Am 21.12.2010 hat die Klägerin dagegen Klage erhoben. Die Rechtmäßigkeit der Auflösung des Unterschiedsbetrags für Fremdwährungsverbindlichkeiten werde nicht mehr bestritten. Jedoch sei auch der negative Unterschiedsbetrag für die geleistete Anzahlung aufzulösen. Die der Anzahlung zugedachte Funktion der erfolgsneutralen Darstellung des schwebenden Geschäfts entfalle, wenn das Wirtschaftsgut Seeschiff an die Käuferin abgeliefert werde. Damit sei der negative Unterschiedsbetrag für die Anzahlung in 2006 aufzulösen. Dem Grunde nach sei der Schiffbauvertrag nach englischem Recht ein Kaufvertrag, denn die Werft stelle das Schiff auf ihrer Werft her, um es sodann an den Käufer zu verkaufen und zu übergeben. Sie, die Klägerin, schulde den Kaufpreis und erwerbe mit den Anzahlungen einen Anspruch auf Lieferung des Schiffes. Zivilrechtlich gehe der Sachleistungsanspruch der Käuferin durch die Ablieferung des Schiffes unter und scheide dadurch aus dem Betriebsvermögen aus. Aber auch wenn die Anzahlung als Vorauszahlung in einem schwebenden Geschäft gesehen werde, scheide das Wirtschaftsgut geleistete Anzahlung bei Lieferung des Schiffes aus dem Betriebsvermögen aus, denn die Kreditierung ende mit Ablieferung des Schiffes. Die Auffassung werde auch von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, GrS 1/89, BStBl II 1990, 830, 834) gestützt. Danach werde die (als geleistete Anzahlung aktivierte) Forderung – wenn die erwartete Werkleistung erfolgt sei – mit der für die Werkleistung geschuldeten Gegenleistung, die ihrerseits Bestandteil der Herstellungskosten werde, verrechnet. Der BFH gehe hier also von einer Verrechnung von Anzahlungsforderung und Kaufpreiszahlungsverpflichtung aus, in der in Bezug auf die Anzahlungsforderung ein Realisationsakt liege. Darüber hinaus sei nach dem Sinn und Zweck des § 5a Abs. 4 EStG für die Hinzurechnung des „historischen“ Unterschiedsbetrags allein entscheidend, dass ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheide; es komme nicht auf die Realisierung eines Gewinns oder Verlustes an. Mit der Ablieferung des Schiffes scheide danach das Wirtschaftsgut „geleistete Anzahlung“ aus dem Betriebsvermögen aus.
Zu beachten sei, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Schiffsbauvertrag um einen Kaufvertrag handle, in dessen Rahmen üblicherweise keine Vorauszahlungen geleistet würden. Die in dieser Branche allerdings praktizierten Vorauszahlungen seien jedoch für alle Beteiligten von Vorteil. Höhere Vorauszahlungen führten in einem bestimmten Umfang zu einer Reduzierung des Kaufpreises, denn sie stellten letztlich eine Refinanzierung der Werft dar. Der Erwerber habe zwar höhere Zinsaufwendungen für die Vorauszahlungen. Dieser Aufwand lasse sich aber zumeist steuerlich durch die beteiligten Fondsgesellschaften nutzen. Die von der Werft gestellte Bürgschaft werde regelmäßig als Sicherheit an die die Vorauszahlung finanzierende Bank weitergeleitet.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 05.12.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.11.2010 in der Weise zu ändern, dass unter Auflösung der Unterschiedsbeträge für Fremdwährungsverbindlichkeiten und für Anzahlungen ein Verlust von … € festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass die Ablieferung des Schiffes hinsichtlich der geleisteten Anzahlung keinen Realisierungstatbestand darstelle, weil die Anzahlung als Anschaffungskosten für das später entstandene Wirtschaftsgut Seeschiff zu betrachten sei. Die geleistete Anzahlung werde buchungstechnisch als Aktivtausch auf das neue Wirtschaftsgut Seeschiff übertragen.
Mit Beschluss vom 29.07.2013 ist die F GmbH & Co. KG zu dem Rechtsstreit notwendig beigeladen worden.
Dem Gericht haben die Rechtsbehelfsakte, die Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuerakte, die Bilanz- und Bilanzberichtsakte, die Akte Allgemeines sowie die Akte Unterschiedsbetrag zu der Steuernummer …/…/… vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten sowie die Protokolle über den Erörterungstermin und die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Zu dem Rechtsstreit war der 2008 ausgeschiedene Gesellschafter G nicht beizuladen, da er erst Ende 2006 als Kommanditist eingetreten ist und von der allein streitigen Auflösung und Hinzurechnung der zum 31.12.2004 festgestellten Unterschiedsbeträge unter keinem Gesichtspunkt betroffen ist.
II.
Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, denn der Beklagte hat zu Unrecht den negativen Unterschiedsbetrag für die geleistete Anzahlung nicht bei Ablieferung des Schiffes aufgelöst.
Nach § 5a Abs. 4 S. 1 EStG ist zum Schluss des Wirtschaftsjahres, das der erstmaligen Anwendung des Absatzes 1 vorangeht (Übergangsjahr), für jedes Wirtschaftsgut, das unmittelbar dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr dient, der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und Teilwert in ein besonderes Verzeichnis aufzunehmen. Gemäß Satz 2 ist der Unterschiedsbetrag gesondert und bei Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG einheitlich festzustellen. Auch soweit in einem Feststellungsbescheid Unterschiedsbeträge für mehrere Wirtschaftsgüter festgestellt werden, handelt es sich bei den festgestellten Unterschiedsbeträgen um jeweils selbständige Regelungen, die jeweils unabhängig voneinander Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens sein können (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2012 IV R 47/09, BStBl II 2013, 324).
Auf dieser Grundlage hat der Beklagten zum 31.12.2004 Unterschiedsbeträge für Fremdwährungsverbindlichkeiten und für geleistete Anzahlungen gesondert und einheitlich festgestellt.
Der Unterschiedsbetrag ist nach § 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2 EStG in dem Jahr dem Gewinn hinzuzurechnen, in dem das Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen ausscheidet oder in dem es nicht mehr unmittelbar dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr dient.
Im Streitjahr ist neben dem Unterschiedsbetrag für die Fremdwährungsverbindlichkeiten auch der Unterschiedsbetrag für geleistete Anzahlungen aufzulösen und dem Gewinn hinzuzurechnen.
Über die Auflösung des Unterschiedsbetrags für Fremdwährungsverbindlichkeiten besteht zwischen den Beteiligten kein Streit mehr. Bei den Fremdwährungsverbindlichkeiten handelt es sich um ein Wirtschaftsgut, für das in Höhe der Differenz zwischen ihrem Buchwert und ihrem Teilwert nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 5a Abs. 4 S. 2 EStG ein Unterschiedsbetrag zu bilden war (vgl. BFH-Urteil vom 16.02.2012 IV B 57/11, BFH/NV 2012, 1108). Dieser Unterschiedsbetrag ist gemäß § 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2 EStG dem Gewinn hinzuzurechnen, denn das Zwischenfinanzierungsdarlehen ist durch die (vertraglich vereinbarte) Rückführung zum Ablieferungsdatum des Schiffes aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden. Die festgestellten Unterschiedsbeträge in Höhe von … € und … € (insgesamt … €) sind danach dem Gewinn in 2006 hinzuzurechnen.
Der negative Unterschiedsbetrag für geleistete Anzahlungen ist ebenfalls im Streitjahr aufzulösen.
a) Bei den Anzahlungen handelt es sich um ein Wirtschaftsgut, das auch nach den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften der § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG bilanziell zu erfassen ist, um ein schwebendes Geschäft erfolgsneutral zu behandeln (vgl. Kozikowski/F. Huber, Beck’scher Bilanzkommentar, 8. Aufl. 2012, § 247 Rn. 545; Ott in Handbuch der Bilanzierung – HdB, Nr. 11a Rn. 2; BFH-Urteil vom 25.10.1994 VIII R 65/91, BStBl II 1995, 312, 315).
Nach dem Regelungszweck des § 5a Abs. 4 EStG ist der Wechsel der Gewinnermittlungsart der Grund für die Erfassung der stillen Reserven und der Feststellung des Unterschiedsbetrags. Auf diese Weise wird die Phase der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG (Regelbesteuerung) von der Phase der Gewinnermittlung nach der Tonnage abgegrenzt. In dem Unterschiedsbetrag werden ausschließlich stille Reserven erfasst, die in der Zeit der Regelbesteuerung entstanden sind. Es ist daher konsequent, einen Unterschiedsbetrag nur für solche Wirtschaftsgüter festzustellen, die bei der Regelbesteuerung bis zum Übergang in die Phase der Tonnagebesteuerung in der Steuerbilanz zu erfassen und dadurch für die Besteuerung relevant waren (BFH-Urteil vom 29.11.2012 IV R 47/09, BStBl II 2013, 324).
Der Beklagte hat bestandskräftig einen Unterschiedsbetrag zum 31.12.2004 für die geleisteten Anzahlungen festgestellt, so dass etwaige Zweifel, ob für geleistete Anzahlungen ein Unterschiedsbetrag zu bilden ist, dahinstehen können. So können sich nach Auffassung von Dahm (in Lademann, EStG § 5a Rn. 101) in dem
Wirtschaftsgut „geleistete Anzahlungen“ keine stillen Reserven angesammelt haben, weil diese dem schwebenden Kaufvertrag über den Erwerb des Handelsschiffes zuzuordnen seien. Denn soweit eine Wertsteigerung oder ein Wertverlust in dem schwebenden Geschäft stattgefunden habe, finde dieser seinen Niederschlag in der Gegenleistung, der Wert der Anzahlung im Hinblick auf den (noch) zu erbringenden Kaufpreis verändere sich nicht. Würden nach dem Zahlungsvorgang Wechselkursschwankungen auftreten, könne sich der Betrag der tatsächlichen Anschaffungskosten, welcher für die zukünftige Gegenleistung aufgewendet wird, nicht mehr ändern (so auch Kozikowski/Leistner in Beck’scher Bilanzkommentar § 256a Rn. 71). Spätere Kursveränderungen nach Leistung der Vorauszahlung hätten daher keinen Einfluss auf den Anschaffungswert (Plewka/Schmidt in Lademann, EStG § 5 Rn. 865).
Grundsätzlich sind geleistete Anzahlungen als Vorleistung in einem schwebenden Vertrag auf eine vom anderen Vertragsteil zu erbringende Lieferung oder Leistung zu verstehen (vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG § 5 Rn. 270; Kozikowski/F. Huber, Beck’scher Bilanzkommentar, § 247 Rn. 545; Plewka/Schmidt in Lademann, EStG § 5 Rn. 865; BFH-Urteile vom 16.05.1973 I R 186/71, BStBl II 1974, 25; vom 25.10.1994 VIII R 65/91, BStBl II 1995, 312, 315). Der Aktivierung unterliegt dabei nicht der Sach- oder Dienstleistungsanspruch aus dem zugrunde liegenden schwebenden Geschäft – dem stünde das Verbot der Bilanzierung von Ansprüchen aus schwebenden Geschäften entgegen -, sondern das in der Vorauszahlung liegende Kreditgeschäft bzw. der Anspruch auf Rückforderung bei Nichtlieferung oder Nichtleistung (Kozikowski/F. Huber, Beck’scher Bilanzkommentar, § 247 Rn. 545; Plewka/Schmidt in Lademann, EStG § 5 Rn. 865; Stobbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 Rn. 291; Ott in HdB, Nr. 11a Rn. 2, 4). Erfüllt die Gegenseite die Sach- oder Dienstleistungsverpflichtung, so geht die geleistete Anzahlung in der Regel in die Anschaffungs- oder Herstellungskosten ein. In diesem Zeitpunkt wird die (Anzahlungs-) Forderung mit der geschuldeten Gegenleistung, die ihrerseits Bestandteil der Anschaffungskosten ist, verrechnet (BFH-Beschluss vom 04.07.1990 GrS 1/89, BStBl II 1990, 830; Kozikowski/F. Huber, Beck’scher Bilanzkommentar, § 247 Rn. 545; Plewka/Schmidt in Lademann, EStG § 5 Rn. 865; Stobbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 Rn. 291; Werndl in Kirchhof/Söhn, EStG § 6 Rn. B 85). Im Einzelfall können jedoch entgegenstehende Abreden zu beachten sein (vgl. Plewka/Schmidt in Lademann, EStG § 5 Rn. 865; BFH-Urteil vom 20.05.1993 X R 49/89, BStBl II 1992, 904, 908).
Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung wäre der Unterschiedsbetrag für Anzahlungen regulär bei Veräußerung des Schiffes oder Beendigung der Gewinnermittlung nach der Tonnage aufzulösen.
b) Im Streitfall ist den Anzahlungen aber aufgrund der besonderen Vertragsgestaltung des Schiffsbauvertrages vom 19.04.2004 eine andere rechtliche Bedeutung beizumessen und tritt deren Finanzierungscharakter in den Vordergrund.
Nach Abschnitt X.2 des Vertrages hatte die Klägerin drei Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 30 % des Vertragspreises zu leisten und damit die Herstellung des Schiffes zu einem erheblichen Teil und über einen längeren Zeitraum vorzufinanzieren: Zwischen Vertragsschluss (Fälligkeit der ersten Rate) und geplanter Auslieferung des Seeschiffes spätestens am 31.12.2006 lag eine Zeitspanne von über zwei Jahren. Als Gegenleistung hierfür wird regelmäßig – gewissermaßen als kumulierter Zins – eine Reduzierung des Kaufpreises
ausgehandelt. Denn der Käufer des Schiffes gewährt einen Vorschuss auf den Kaufpreis, der die Werft von der Notwendigkeit einer Vorfinanzierung ganz oder teilweise entlastet. Nach den Erläuterungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entspricht es gängiger Vertragspraxis, durch Hingabe hoher Teilzahlungen (von bis zu 90 Prozent der Vertragssumme) eine diesem Vorteil entsprechende Reduzierung des Kaufpreises für das zu erwerbende Schiff zu erreichen. Die Erwerberin des Schiffes finanziert die hohen Teilzahlungen durch Kreditinstitute, denen zur Sicherheit die von der ausländischen Werft bereitgestellten Rückzahlungsgarantien, im Streitfall die der Bank-1, abgetreten werden. Die an der Erwerberin beteiligten Anleger können die aus dieser Form der Vorfinanzierung resultierenden Verluste steuerlich geltend machen.
Für ein eigenständiges Kreditgeschäft und damit den Forderungscharakter der Anzahlungen spricht zudem, dass im Falle der Aufhebung oder Kündigung des Vertrages die Teilzahlungen von der Werft nicht nur zurückzuzahlen, sondern ab dem Tag nach Erhalt der Teilzahlung mit 6 % p. a. zu verzinsen waren. Außerdem musste die Werft für die Anzahlungen eine Rückzahlungsgarantie, die genannte Bürgschaft der Bank-1, stellen, die ausweislich der Präambel des Darlehensvertrages vom 01.09.2004 der Absicherung des Zwischenfinanzierungsdarlehens diente.
Schließlich unterstreicht auch der Umstand, dass der Schiffsbauvertrag, der zwar englischem Recht unterliegt, rechtlich eher als Kaufvertrag zu qualifizieren ist (vgl. § 651 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB), die Auslegung, dass es sich bei den Teilzahlungen nicht um übliche Anzahlungen handelt. Denn anders als im Werkvertragsrecht (§ 632a BGB) sind Abschlagszahlungen bzw. Anzahlungen bei einem Kaufvertrag weder gesetzlich vorgesehen noch üblich (§ 433 Abs. 2 BGB).
c) Mit der Lieferung des Wirtschaftsgutes endete die Kreditierung des Kaufpreises.
Entgegen der allgemeinen Regel geht die geleistete Anzahlung bei Ablieferung des Schiffes nicht automatisch in die Anschaffungskosten ein, sondern die Vorfinanzierung endet, Leistung und Gegenleistung des Kaufvertrages werden fällig und erfüllt, der Zinsanspruch auf die Vorauszahlungen erlischt, die Sicherheit wird hinfällig.
In die Betrachtung mit einzubeziehen ist, dass die Vorauszahlung durch ein Fremdwährungsdarlehen finanziert wurde, das durch die Rückzahlungsgarantie der Werft abgesichert worden war. Unstreitig scheidet das Zwischenfinanzierungsdarlehen bei Tilgung durch Auszahlung des Schiffshypothekendarlehens zur endgültigen Finanzierung des Kaufpreises aus dem Betriebsvermögen aus und der für das Zwischenfinanzierungsdarlehen gebildete (positive) Unterschiedsbetrag ist aufzulösen. Die Zwischenfinanzierung steht in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Vorausleistung auf den Kaufpreis. Durch die vertragliche Gestaltung sind beide Positionen derart eng miteinander verbunden, dass die Rückführung der einen Position nicht ohne die Auflösung der anderen wirtschaftlich zutreffend gewürdigt werden kann. Denn durch die Zahlung des Kaufpreises entfällt die Vorauszahlung, der verzinste und durch die Rückzahlungsgarantie absicherte Rückforderungsanspruch geht unter. Auch wenn die Vertragsparteien nicht ausdrücklich die Verrechnung der Vorauszahlung mit der zu erbringenden Kaufpreiszahlung vereinbart haben, wie dies für die Tilgung des Zwischenfinanzierungsdarlehens geschehen ist, ist faktisch von einer Verrechnung
der Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung auszugehen. Die geleistete Anzahlung scheidet damit als Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen aus.
d) Das Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen ist für die Auflösung des Unterschiedsbetrags auch ausreichend, eines Realisationstatbestandes bedarf es nicht. Dies folgt bereits aus § 5a Abs. 4 S. 3 Nr. 2 Alternative 2 EStG, nach der der Unterschiedsbetrag auch aufzulösen ist, wenn ein Wirtschaftsgut nicht mehr unmittelbar dem Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr dient. Dieses Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn die Feststellung des Unterschiedsbetrags steht in sachlichem Zusammenhang mit dem Wechsel der Gewinnermittlungsart vom Bestandsvergleich zur Tonnagebesteuerung. In dem Unterschiedsbetrag werden ausschließlich die stillen Reserven erfasst, die in der Zeit der Regelbesteuerung entstanden sind (vgl. BFH-Urteile vom 29.11.2012 IV R 47/09, BStBl II 2013, 324; vom 13.12.2007 IV R 92/05, BStBl II 2008, 583). Die Erfassung der stillen Reserven durch die Feststellung des Unterschiedsbetrags steht damit nicht im Zusammenhang mit einer Veräußerung oder Betriebsaufgabe, sondern erfolgt, um sie später einer Besteuerung zuführen zu können. Es handelt sich insoweit um Sonderregeln, die den Übergang vom Bestandsvergleich zur Tonnagebesteuerung und wieder zurück bestimmen. Danach ist es folgerichtig, dass der festgestellt Unterschiedsbetrag aufgelöst wird, wenn das Wirtschaftsgut aus dem subventionierten Betriebsvermögen ausscheidet, ohne dass ein Realisationstatbestand erfüllt wurde.
Nach allem ist auch der Unterschiedsbetrag für geleistete Anzahlungen in Höhe von -… € aufzulösen. Der festzustellende Gewinn setzt sich danach zusammen aus … € laufenden Einkünften nach § 5a Abs. 1 EStG, der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags für Fremdwährungsverbindlichkeiten in Höhe von … €, der Hinzurechnung des Unterschiedsbetrags für geleistete Anzahlungen in Höhe von – … € sowie Sonderbetriebseinnahmen in Höhe von … € und ist insgesamt auf – … € festzustellen.
III.
Die Kosten des Verfahrens sind nach § 136 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens auf die Beteiligten zu verteilen. Der Klägerin sind Kosten teilweise aufzuerlegen, da sie zunächst den weitergehenden Antrag auf Feststellung eines Verlustes von … € anhängig gemacht hatte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kosten und die Abwendungsbefugnis folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 139 Abs. 4 FGO von dieser selbst zu tragen.
Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Einkommensteuer, DBA-Recht: Tagegelder, die von der OSZE an Mitglieder einer OSZE-Mission gezahlt werden, sind Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i. S. des DBA-Aserbaidschan.

Der 1. Senat hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass die Abkom-mensrecht einschränkende Regelung des § 50d Abs. 8 EStG durch solche DBA verdrängt werde, die erst nach der Einführung dieser Regelung in das EStG in nationales Recht um-gesetzt worden sind und keine dem § 50d Abs. 8 EStG entsprechende Regelung enthalten, Gerichtsbescheid des 1. Senats vom 21.8.2013, 1 K 87/12, Revision eingelegt, Az. des BFH I R 64/13.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 1 K 87/12
Urteil des Senats vom 21.08.2013
Rechtskraft: Revision eingelegt, Az. des BFH: I R 64/13
Normen: EStG 2002 § 50d Abs. 8 Satz 1, EStG 2002 § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, DBA-Aserbaidschan 2004 Art. 15 Abs. 1 Satz 2, DBA-Aserbaidschan 2004 Art. 19 Abs. 4, DBA-Aserbaidschan 2004 Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1, DBA-Aserbaidschan 2004 Art. 23 Abs. 1 Buchst. D
Leitsatz: 1. Von der OSZE an Mitglieder einer OSZE-Mission (sekundierte Position) gezahlte Tagegelder sind Einkünfte aus unselbständiger Arbeit i. S. des DBA-Aserbaidschan.
2. § 50d Abs. 8 EStG wird im Hinblick auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG und die lex-posterior-Regel durch Regelungen eines später erlassenen DBA verdrängt.
Überschrift: Einkommensteuer/Doppelbesteuerungsabkommen: § 50d Abs. 8 EStG 2002 und später erlassene DBA
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die steuerliche Behandlung von Tagegeldern für eine Feldoperation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Aserbaidschan.
Die Kläger, deutsche Staatsangehörige, sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden und im Streitjahr ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatten.
Vom … 2008 bis zum … 2009 nahm die Klägerin an einer OSZE-Mission in Aserbaidschan als „Democratization Officer“ in Form einer sogenannten „sekundierten Position“ teil. Danach war die Klägerin in die Organisation der Mission eingegliedert und unterlag den Weisungen der Mission. Die Klägerin erhielt von der OSZE für diese Tätigkeit zur teilweisen Kompensation von Lebenshaltungskosten in Aserbaidschan ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung („Board and Lodging Allowance“, im Folgenden: BLA) im Jahr 2008 in Höhe von insgesamt … € direkt auf ihr Konto gezahlt. Des Weiteren erhielt die Klägerin im Streitjahr für diese Tätigkeit aufgrund einer Zuwendungsvereinbarung mit dem Auswärtigen Amt einen pauschalierten Aufwandsersatz in Höhe von insgesamt … €. Die Klägerin wendete für ihre Tätigkeit im Streitjahr insgesamt … € auf, u. a. für Fahrten, Flüge, Visakosten, Miete.
Der Kläger und die … Kinder der Kläger (geboren am …) besuchten die Klägerin in Aserbaidschan in der Zeit vom … 2008 bis zum … 2008 sowie in der Zeit vom … 2008 bis zum … 2008. Die Klägerin hielt sich im Kalenderjahr 2008 ab dem 09.01.2008 länger als 183 Tage in Aserbaidschan auf.
Der Beklagte erließ am 15.02.2011 einen Einkommensteuerbescheid für 2008, in dem er neben dem vom Auswärtigen Amt gezahlten Betrag die von der OSZE gezahlten BLA als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit besteuerte und zugleich
die geltend gemachten Werbungskosten in Höhe von insgesamt … € berücksichtigte. Am 03.03.2011 erließ der Beklagte aus hier nicht streitigen Gründen einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 und setzte die Einkommensteuer auf … € fest.
Am 11.03.2011 legten die Kläger Einspruch gegen den „Bescheid für 2008 über Einkommensteuer … vom 15.02.2011“ ein. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 zurück. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass der Einkommensteuerbescheid vom 03.03.2011 den Bescheid vom 15.02.2011 ersetzt habe.
Am 20.04.2012 erhoben die Kläger Klage. Sie sind der Auffassung, die von der OSZE gezahlten Tagegelder seien steuerfrei. Es handele sich lediglich um den Ausgleich der Lebenshaltungskosten der Klägerin. Da die Bundesrepublik Deutschland sich finanziell an der OSZE beteilige, sei die Bundesrepublik Deutschland als inländischer Arbeitgeber anzusehen. Im Übrigen habe die Klägerin auf die Steuerfreiheit vertrauen können, da sie bereits für das Jahr 2006 durch das seinerzeit zuständige Finanzamt einen Steuerbescheid erhalten habe, der die Tagegelder aus einer früheren OSZE-Mission steuerfrei behandelt habe. Auch in den Jahren 2009 und 2010 seien die von der OSZE gezahlten Tagegelder als steuerfrei in den Einkommensteuerbescheiden behandelt worden.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer auf … € herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die von der OSZE gezahlten Tagegelder seien steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Die Tagegelder seien nicht aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen steuerfrei. Der Besteuerung stehe auch nicht das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Aserbaidschan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Aserbaidschan, Bundesgesetzblatt Teil II – BGBl II – 2005, 1146) entgegen, da der Bundesrepublik Deutschland wegen der Rückfallklausel des § 50d Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG) das Besteuerungsrecht zustehe.
Dem Gericht haben die Einkommensteuerakte Bd. I und die Rechtsbehelfsakte Bd. I des Finanzamtes Hamburg-1, jeweils zur Steuernummer…/…/…, vorgelegen.
Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.
II.
Klagegegenstand ist der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 ersetzte den Einkommensteuerbescheid vom 15.02.2011 und nahm dessen Regelungsgegenstand in sich auf. Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger Einspruch gegen den Bescheid vom 15.02.2011 einlegten. Der Beklagte als Erklärungsempfänger musste den Einspruch dahin verstehen, dass nach dessen objektivem Erklärungswert der – jedenfalls aus Sicht des Beklagten – allein existente Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 überprüft werden sollte (vergleiche – vgl. – auch Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 19.06.1997 IV R 51/96, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1998, 6). Der Beklagte hat den Einspruch ausweislich der Einspruchsentscheidung auch in dieser Art und Weise verstanden.
III.
Das Verfahren ist nicht im Hinblick auf das bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 2 BvL 1/12 (Vorlagebeschluss des BFH vom 10.01.2012 I R 66/09, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 236, 304) gemäß § 74 FGO auszusetzen.
Das dortige Verfahren ist für den hier zu entscheidenden Fall nicht vorgreiflich. Dort setzte sich § 50d Abs. 8 EStG in der Fassung (i. d. F.) des Art. 1 Nr. 32 Buchstabe b des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003 – StÄndG 2003) vom 15.12.2003 (Bundesgesetzblatt Teil I – BGBl I – 2003, 2645) über das bereits zuvor mit der Republik Türkei im DBA-Türkei 1985 völkerrechtlich vereinbarte und national umgesetzte Konzept einseitig hinweg. § 50d Abs. 8 EStG trat am 20.12.2003 in Kraft (Art. 25 Abs. 1 StÄndG 2003; Verkündung am 19.12.2003) und war erstmals für den Veranlagungszeitraum 2004 anzuwenden (§ 52 Abs. 1 i. d. F. des StÄndG 2003), also erst nach der Umsetzung des DBA-Türkei in nationales Recht (sogenanntes „treaty override“, vgl. BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304). Anders verhält es sich im hiesigen Fall. Hier liegt kein „treaty override“ im eben beschriebenen Sinn vor. § 50d Abs. 8 EStG war bereits anzuwenden, als das DBA-Aserbaidschan am 28.12.2005 in Kraft trat (BGBl II 2006, 120).
IV.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Einkommensteuerbescheid vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit sind in Höhe von insgesamt … € anzusetzen sowie steuerfreie Einkünfte der Klägerin in Höhe von insgesamt … € in
die Berechnung des Steuersatzes einzubeziehen. Nur die Zahlungen des Auswärtigen Amtes sind steuerpflichtige Einnahmen der Klägerin. Die Tagegelder der OSZE sind hingegen von der Besteuerung auszunehmen, jedoch im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Die gesamten Werbungskosten der Klägerin für ihre Tätigkeit sind auf die steuerfreien und die steuerpflichtigen Einnahmen aufzuteilen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Die Zahlungen, die die Klägerin von dem Auswärtigen Amt in Höhe von insgesamt … € erhielt, sind steuerpflichtige Einnahmen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Dies ist zwischen den Beteiligten im Hinblick auf das ihnen bekannte Urteil des BFH vom 20.08.2008 I R 35/08 (BFH/NV 2009, 26), auf das sich der Senat zur Begründung bezieht, unstreitig.
2. Die von der OSZE gezahlten BLA in Höhe von insgesamt … € sind gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen.
a) Die Klägerin ist eine im Sinne des DBA-Aserbaidschan in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Person. Selbst wenn die Klägerin nach dem Recht der Republik Aserbaidschan dort aufgrund eines Wohnsitzes oder eines ständigen Aufenthalts steuerpflichtig ist (Art. 4 Abs. 1 DBA-Aserbaidschan), gilt die Klägerin jedenfalls nach Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan als eine nur in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Person, da wegen des Verbleibens ihrer Familie in der Bundesrepublik Deutschland im Streitjahr der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in der Bundesrepublik Deutschland lag.
b) Die Bundesrepublik Deutschland hat die BLA gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan freizustellen. Danach werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus der Republik Aserbaidschan ausgenommen, die nach diesem Abkommen in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können und nicht unter Art. 23 Abs. 1 Buchstabe b DBA-Aserbaidschan fallen.
aa) Die BLA können nach dem DBA-Aserbaidschan in der Republik Aserbaidschan besteuert werden. Es handelt sich hierbei um Vergütungen für eine unselbständige Arbeit, die infolge der Ausübung der Tätigkeit in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Aserbaidschan).
(1) Es handelt sich nicht um Vergütungen im Sinne des Art. 19 DBA-Aserbaidschan (Öffentlicher Dienst), der Art. 15 DBA-Aserbaidschan vorgeht (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Aserbaidschan).
Gemäß Art. 19 Abs. 1 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan können Vergütungen, ausgenommen Ruhegehälter, die von einem Vertragsstaat, einem seiner Länder oder einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates an eine natürliche Person für die diesem Staat, einem seiner Länder, einer ihrer Gebietskörperschaften oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts geleisteten Dienste gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden.
Die OSZE ist hiervon nicht erfasst. Denn die OSZE ist eine verstetigte Staatenkonferenz ohne eigene Völkerrechtssubjektivität (vgl. Evers/Kahl/Zellner, The Culture of Dialogue. The OSCE Aquis 30 Years after Helsinki, Hamburg 2005, S. 53, http://www.core-hamburg.de/documents/30Years_OSCE_Booklet.pdf).
Ebenso wenig ist Art. 19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan für die BLA einschlägig. Denn gemäß Art. 19 Abs. 4 DBA-Aserbaidschan gilt ein ausschließliches Besteuerungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland nur dann, wenn die BLA im Rahmen eines Programms der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eines Vertragsstaats aus Mitteln, die ausschließlich von diesem Staat bereitgestellt werden, an Fachkräfte gezahlt werden, die in den anderen Vertragsstaat (hier: Republik Aserbaidschan) mit dessen Zustimmung entsandt worden sind. Indes sind die Tagegelder nicht aus Mitteln gezahlt, die ausschließlich seitens der Bundesrepublik Deutschland bereitgestellt werden (Kostenbeteiligung Deutschlands an der OSZE: 9,35 %; vgl. OSZE-Jahrbuch 2008, S. 431, http://www.core-hamburg.de/documents/jahrbuch/08/1Staaten2008.pdf.).
(2) Die Klägerin übt eine unselbständige Arbeit im Sinne des Art. 15 DBA-Aserbaidschan in der Republik Aserbaidschan aus, da sie in die Organisation der OSZE-Mission eingegliedert ist und den Weisungen der Mission unterliegt. Zwar enthält das DBA-Aserbaidschan selbst keine Definition des Begriffs der unselbständigen Arbeit. Allerdings ist in Abgrenzung zu Art. 14 DBA-Aserbaidschan (Selbständige Arbeit) und gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan unter Rückgriff auf das nationale deutsche Recht (Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art. 15 Randziffer – Rz. – 53) unter einer unselbständigen Arbeit eine Tätigkeit zu verstehen, bei der die tätige Person einem anderen ihre Arbeitskraft schuldet. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Person – wie im Streitfall – im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (vgl. auch § 1 Abs. 2 Satz 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung – LStDV -, BGBl I 1989, 1848).
(3) Die Klägerin bezieht die BLA als eine den Gehältern ähnliche Vergütung aus unselbständiger Arbeit. Mangels ausdrücklicher Definition des Begriffs „Vergütungen“ in dem DBA-Aserbaidschan greift über Art. 3 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan ergänzend das nationale deutsche Recht ein (Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art. 15 Randziffer – Rz. – 54). Die BLA sind Vergütungen, die die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der OSZE erhalten hat (vgl. auch § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Denn die Tagegelder sind durch das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin mit der OSZE veranlasst und als Entlohnung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft der Klägerin zu verstehen. Dem steht nicht entgegen, dass die BLA die Lebenshaltungskosten in der Republik Aserbaidschan teilweise kompensieren sollten. Es kommt nicht darauf an, ob mit der Zuwendung gleichzeitig soziale oder sonstige Ziele verfolgt werden (Krüger, in Schmidt, EStG, 32. Auflage – Aufl. – 2013, § 19 Rz. 45).
bb) Die Bundesrepublik Deutschland hat kein ausschließliches Besteuerungsrecht für diese Vergütungen gemäß Art. 15 Abs. 2 DBA-Aserbaidschan. Ein ausschließliches Besteuerungsrecht scheitert schon daran, dass die Klägerin sich im Jahr 2008 – anders als in Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Aserbaidschan verlangt – länger als 183 Tage in Aserbaidschan aufhielt.
cc) Die BLA fallen nicht unter die in Art. 23 Abs. 1 Buchstabe b DBA-Aserbeidschan genannten Einkünfte. Insbesondere handelt es sich nicht um Einkünfte, die nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Aserbaidschan in der Republik Aserbaidschan besteuert werden können, da die Klägerin nicht im Rahmen gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung in der Republik Aserbaidschan tätig ist.
3. Der Steuerfreistellung der BLA steht § 50d Abs. 8 EStG im Streitfall nicht entgegen.
a) Gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG wird die Freistellung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Einen solchen Nachweis hat die Klägerin nicht erbracht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es der Klägerin unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, die Nachweise zu erbringen.
b) Im Streitfall verdrängen die durch das Zustimmungsgesetz zum DBA-Aserbaidschan in nationales Recht überführten Regelungen allerdings die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG.
aa) Es besteht zwischen § 50d Abs. 8 EStG und der Regelung des Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan eine Gesetzeskonkurrenz, da § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG unter bestimmten – im Streitfall vorliegenden – Voraussetzungen, die nach dem Abkommen gewährte Freistellung ausschließt.
Beide Regelungen sind „normenhierarchisch“ gleichrangig. DBA werden als völkerrechtliche Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) mittelbar in Form eines Zustimmungsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland angewendet. Hierdurch erhält das Abkommen innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Der innerstaatliche Gesetzgeber ist im Prinzip frei darin, im Zustimmungsgesetz Vorbehalte gegenüber der Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften zu verankern (BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. -).
bb) Die Gesetzeskonkurrenz ist im Streitfall zugunsten der Abkommensregelung zu lösen.
Zwar enthält § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG ausdrücklich eine Regelung, die einen Vorrang der Vorschrift im Verhältnis zum Abkommen begründen kann („ungeachtet des Abkommens“). Es ist allerdings dem Wortlaut des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nicht eindeutig und zwingend zu entnehmen, dass dieser Vorrang auch DBA erfassen soll, die nach Erlass des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in Kraft getreten sind. Dies ergibt sich auch aus nachfolgenden DBA, die teilweise – wie im Streitfall – keinen Vorbehalt zur Anwendung der Freistellungsmethode enthalten, teilweise jedoch die Anwendung der Freistellungsmethode von der tatsächlichen Besteuerung im Ausübungsstaat abhängig machen (so beispielsweise Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Bulgarien, BGBl II 2010, 1286; Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Ungarn, BGBl II 2011, 919; Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Großbritannien, BGBl II 2010, 1333).
Die Konkurrenz der Regelungen in § 50d Abs. 8 EStG und Art. 23 Abs. 1 Buchstabe a Satz 1 DBA-Aserbaidschan ist im Hinblick auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG und die Anwendung der allgemeinen Auslegungsregel des Vorrangs des späteren Gesetzes (lex-posterior-Regel) zugunsten des in die nationale Regelung umgesetzten DBA-Aserbaidschan zu lösen.
Im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ist das GG nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht (BVerfG-Beschluss vom 14.10.2004 2 BvR 1481/04, Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 111, 307). Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG folgt die für alle Staatsorgane geltende Pflicht, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen (BVerfG-Beschluss vom 26.10.2004 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112, 1; vgl. allgemein zur Berücksichtigung der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG Gosch, in: Kirchhof, EStG, 12. Aufl. 2013, § 50d Rz. 25; Gosch, Internationales Steuerrecht – IStR – 2008, 413, 419; des Weiteren BFH-Beschluss vom 10.01.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. -). Dies gilt erst recht für die Auslegung von im Rang unter dem GG stehenden Bundesgesetzen und damit auch für die Auslegung des Anwendungsbereichs des § 50d Abs. 8 EStG.
Die völkerrechtsfreundliche Auslegung ist auch bei der Anwendung allgemeiner Auslegungsregeln zur Lösung von Gesetzeskonkurrenzen (lex specialis und lex posterior) zu beachten. Dabei hilft allerdings die „lex-specialis-Regel“ nicht weiter. Sie ist hier nicht zielführend, da – je nach Sichtweise – entweder die nationale Norm aufgrund der Regelung eines besonderen Sachverhalts oder aber die Abkommensregelung aufgrund der Regelung im Verhältnis zu einem bestimmten Staat als spezielleres Gesetz angesehen werden kann (vgl. hierzu Rust/Reimer, IStR 2005, 843, 845). Im Übrigen ist schon fraglich, ob die Abkommensregelung nicht schon als lex aliud und nicht als lex specialis zu verstehen ist, weil Abkommen die Besteuerungsrechte der nationalen Staaten beschränken und deshalb einen anderen Regelungsgegenstand haben (Musil, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – AO -/FGO, Stand: September 2012, § 2 AO Rz. 165). Im Streitfall ist die „lex-posterior-Regel“ unter Berücksichtigung der völkerrechtsfreundlichen Auslegung heranzuziehen, die hier den Vorrang der Abkommensregelung begründet (weitergehend Rust/Reimer, IStR 2005, 843, 845 ff., die einen Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze von lex specialis und lex posterior für nicht notwendig erachten).
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nicht anzuwenden. Denn der Gesetzgeber hat sich bei Überführung des DBA-Aserbaidschan in nationales Recht dafür entschieden, die Freistellung der hier in Rede stehenden Einkünfte nicht von besonderen Nachweisvoraussetzungen abhängig zu machen. Die Regelung des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG war schon bei Abschluss des DBA-Aserbaidschan in Kraft und dem deutschen Gesetzgeber bewusst. Dennoch enthält das DBA-Aserbaidschan keine eigenen, dem § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG entsprechende oder auf diesen verweisende Vorschriften bzw. bestimmt keinen entsprechenden Vorbehalt zu Gunsten des nationalen Rechts (vgl. auch Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, S. 38; vgl. auch jetzt Art. 22 Abs. 1 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb der Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen, Stand: 17.04.2013, http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/
Downloads/BMF_Schreiben/Internationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2013-04-17-Verhandlungsgrundlage-DBA-deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=5; vgl. auch zur Vereinbarung von „Subject-to-tax-Klauseln“ in anderen Abkommen Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, Deutsche Abkommenspolitik, Schrift des Instituts Finanzen und Steuern – IFSt – Nr. 480 [2012], S. 41 f.).
Soweit vertreten wird, dass § 50d Abs. 8 EStG auch ein später in Kraft getretenes DBA verdrängt (z. B. Musil, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: September 2012, § 2 AO Rz. 169, 175; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2011, § 2 AO Rz. 38; Frotscher, EStG, Stand: September 2012, § 50d Rz. 5, 11), ist dem aufgrund der obigen Ausführungen nicht zu folgen.
4. Gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind steuerfreie Einkünfte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit für die OSZE in Höhe von … € bei der Berechnung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat in dieser Höhe Einkünfte bezogen, die nach einem DBA steuerfrei sind (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Die Ermittlung der Einkünfte, die nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG steuerfrei sind, erfolgt nach deutschem Recht, hier durch Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG).
Danach sind die BLA als Einnahmen zu berücksichtigen. Denn nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe d DBA-Aserbaidschan behält die Bundesrepublik Deutschland das Recht, diese Einnahmen bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigten.
Von den BLA in Höhe von … € sind anteilige Werbungskosten in Höhe von … € abzuziehen.
Die von der Klägerin geltend gemachten Werbungskosten sind gemäß § 3c Abs. 1 EStG auf die steuerfreien und die steuerpflichtigen Einkünfte der Klägerin aufzuteilen. Der auf die steuerfreien Einnahmen entfallende Teil der Werbungskosten ist nach dem Verhältnis zu bemessen, in dem die steuerfreien Einnahmen zu den steuerpflichtigen Einnahmen der Klägerin aus derselben Tätigkeit stehen. Es lässt sich nicht eindeutig feststellen, dass die Werbungskosten allein durch die Erzielung der nach DBA-Aserbaidschan steuerfreien BLA oder allein durch die steuerpflichtigen Zahlungen des Auswärtigen Amtes veranlasst sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 26.03.2002 VI R 26/00, BFHE 198, 545, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2002, 823; BFH-Urteil vom 11.02.2009 I R 25/08, BFHE 224, 498, BStBl II 2010, 536).
Der Anteil der steuerfreien Einnahmen (… €) an den Gesamteinnahmen (… € = … € + … €) beträgt 54,12 %. Danach entfällt von den insgesamt geltend gemachten Werbungskosten in Höhe von … € auf die steuerfreien Einnahmen ein Betrag in Höhe von … € (= 54,12 % von … €) und auf die steuerpflichtigen Einnahmen ein Betrag in Höhe von … € (= 45,88 % von … €).
5. Auf die Frage, ob die Tagegelder nach inländischem deutschem Recht steuerfrei sind, kommt es nach dem Vorstehenden nicht an.
6. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in anderen Veranlagungszeiträumen die BLA insgesamt steuerfrei gestellt wurden. Dem steht schon das Prinzip der Abschnittsbesteuerung entgegen. Ebenso wenig liegen die
Voraussetzungen eines Vertrauensschutzes der Klägerin nach § 176 AO vor. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist (§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Eine Rechtsprechung des BFH zur steuerlichen Berücksichtigung von Tagegeldern der OSZE bestand bisher nicht.
7. Der Einkommensteuerbescheid 2008 vom 03.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.03.2012 ist danach in der Weise zu ändern, dass nunmehr Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von insgesamt … € (Einnahmen: … €; Werbungskosten: … €) anzusetzen sowie steuerfreie Einkünfte der Klägerin in Höhe von insgesamt … € (= … € – … €) in die Berechnung des Steuersatzes nach § 32b EStG einzubeziehen sind.
Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da das Verhältnis zwischen § 50d Abs. 8 EStG und einem später in Kraft getretenen DBA durch den BFH noch nicht geklärt ist.