Archiv der Kategorie: Einkommen- und Lohnsteuer

Werbungskostenhöchstbetrag für häusliches Arbeitszimmer – Verfassungsmäßigkeit

Werbungskostenhöchstbetrag für häusliches Arbeitszimmer – Verfassungsmäßigkeit – Lohnzahlung Dritter

BFH, Urteil VI R 58/11 vom 28.02.2013

Leitsatz

  1. Die Zuwendung eines Dritten kann ausnahmsweise Arbeitslohn sein, wenn sie als Entgelt für eine Leistung beurteilt werden kann, die der Arbeitnehmer im Rahmen seines Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll.
  2. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b i. V. m. § 52 Abs. 12 Satz 9 EStG i. d. F. des JStG 2010 begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit danach Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in den Fällen, in denen kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2007 auf einen Jahresbetrag von 1.250 Euro begrenzt wurden.

Volltext der Entscheidung

Werbungskostenabzug bei Ausbildung einer Flugbegleiterin zur Verkehrsflugzeugführerin

Berufsausbildung i. S. der §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 EStG

BFH, Urteil VI R 6/12 vom 28.02.2013

Leitsatz

Weder die erstmalige Berufsausbildung i. S. des § 12 Nr. 5 EStG noch die i. S. des § 9 Abs. 6 EStG setzen ein Berufsausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz oder eine bestimmte Ausbildungsdauer voraus (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 27. Oktober 2011 VI R 52/10, BFHE 235, 444, BStBl II 2012, 825).

Volltext der Entscheidung auf http://www.steuerschroeder.de/steuer/vi-r-6-12-berufsausbildung-is-der-parpar-9-abs-6-12-nr-5-estg-werbungskostenabzug-bei-ausbildung-einer-flugbegleiterin-zur-verkehrsflugzeugfuehrerin/

Werbungskostenabzug für mit Dienstwagen durchgeführte Familienheimfahrten

Korrespondierender Anwendungsbereich von § 9 EStG und § 8 Abs. 2 EStG

BFH, Urteil VI R 33/11 vom 28.02.2013

Leitsatz

  1. Aufwendungen für Familienheimfahrten des Arbeitnehmers mit einem vom Arbeitgeber überlassenen Dienstwagen berechtigen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 6 EStG nicht zum Werbungskostenabzug.
  2. Trägt der Arbeitgeber durch Überlassung eines Dienstwagens im Ergebnis die Aufwendungen des Arbeitnehmers für dessen Familienheimfahrten, ist ein Werbungskostenabzug nicht geboten.

Volltext des BFH-Urteils auf http://www.steuerschroeder.de/steuer/vi-r-33-11-werbungskostenabzug-fuer-mit-dienstwagen-durchgefuehrte-familienheimfahrten-korrespondierender-anwendungsbereich-von-par-9-estg-und-par-8-abs-2-estg/

Lohnsteuerklassen III und V für eingetragene Lebenspartner

 Leitsatz

1. Nach dem die Frage, ob die Nichtgewährung des Splittingvorteils aus § 32a Abs. 5 EStG an Steuerpflichtige, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, eine Verletzung des Gleichheitsgebotes nach Art. 3 Abs. 1 GG darstellt, Gegenstand dreier Verfassungsbeschwerdeverfahren (Az.: 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07) ist, bestehen ernstliche Zweifel an der Versagung der lohnsteuerrechtlichen Einstufung eingetragener Lebenspartner in die Steuerklassen III und V.

2. Die Aussetzung der Vollziehung ist auch nicht wegen Nichtvorliegens eines besonderen berechtigten Interesses an der Vollziehungsaussetzung zu verweigern. Für die Bejahung des besonderen berechtigten Interesses der Lebenspartner an der Aussetzung der Vollziehung genügt es, dass die beanstandete Ungleichbehandlung die Lebenspartnerschaft besonders trifft, was bei der zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft differenzierenden und damit an die sexuelle Orientierung von Personen anknüpfenden Regelung anzunehmen ist.

 Tatbestand

 Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes um die Frage, ob in den Lohnsteuerkarten von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft vorläufig die Merkmale der gemeinsamen Veranlagung nach dem Splittingtarif (Steuerklassen III und V) einzutragen sind.

Die beiden Antragsteller (nachfolgend: ASt) begründeten am 30. September 2011 vor dem Standesamt eine Lebenspartnerschaft (vgl. die Lebenspartnerschaftsurkunde auf Blatt 5 der Rechtsbehelfsakte). Sie leben nicht getrennt und sind im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Sie beziehen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Die ASt beantragten am 2. November 2011 bei dem Antragsgegner (dem Finanzamt – FA –), ihre Lohnsteuerkarten insoweit zu ändern, als in die Lohnsteuerkarte des ASt zu 1. für 2012 die Steuerklasse III und für den ASt zu 2. die Steuerklasse V einzutragen sei. § 38b EStG sei eine lückenhafte Regelung, da dort zwar die Ehe, nicht jedoch die eingetragene Lebenspartnerschaft geregelt sei. Die ASt dürften jedoch nicht wie Ledige behandelt werden, da die eingetragene Lebenspartnerschaft in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht einer Ehe entspreche.

Das FA lehnte am 3. November 2011 den Antrag auf Änderung der Lohnsteuerklassen ab. Die derzeit gültige Rechtslage sehe nur die Einzelveranlagung der Lebenspartner vor, der Splittingtarif nach §§ 26 , 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) gelte nur für den Familienstand von Ehegatten. Dem Ausgang der wegen dieser Frage anhängigen Verfahren bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) könne vorliegend nicht vorgegriffen werden. Die Entscheidung des BVerfG vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400 ) habe das Erbschaftsteuerrecht betroffen und könne nicht zur Beantwortung der Frage nach der Anwendung des Splittingtarifs auf Lebenspartner im Einkommensteuerrecht angewendet werden. Es sei jedoch möglich, einen Einkommensteuerbescheid für 2012 nach dessen Ergehen anzufechten und das Verfahren dann im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden ruhen zu lassen (vgl. Blatt 17 der Rechtsbehelfsakte).

Am 9. November 2011 legten die ASt gegen diesen Bescheid Einspruch ein und beantragten die Vollziehung der Ablehnung der Änderung der Steuerklassen wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufzuheben (vgl. Blatt 19 ff. der Rechtsbehelfsakte).

Das FA lehnte am 28. November 2011 die Aussetzung der Vollziehung ab. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ablehnungsentscheidung sei nicht ernstlich zweifelhaft. Das FA verwies in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit, gerichtliche Aussetzung der Vollziehung zu beantragen (vgl. Blatt 24 f. der Rechtsbehelfsakte). Am 5. Dezember 2011 verfolgten die ASt bei dem Sächsischen Finanzgericht ihr Begehren weiter.

Der ASt zu 2. ist seit 1. April 2012 als Arbeitnehmer beschäftigt. Das FA bestätigte dem ASt zu 2. mit Schreiben vom 18. April 2012, dass für sein Lohnsteuerabzugsverfahren ab 1. April 2012 die Steuerklasse I gelte (vgl. Blatt 25 der Gerichtsakte).

Die ASt sind der Ansicht, dass die begehrte Änderung der Steuerklassen auf den Lohnsteuerkarten für 2012 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes durch Aussetzung der Vollziehung, nicht durch einstweilige Anordnung zu bewirken sei. Der BFH habe diese Rechtsfrage offen gelassen, aber in einer Entscheidung vom 8. Juni 2011 (– III B 210/10 –, BFH/NV 2011, 1692 ) angemerkt, dass viel dafür spreche, den vorläufigen Rechtsschutz bei einer Ablehnung der Änderung der Steuerklasse entsprechend dem Vorgehen bei der Ablehnung der Eintragung eines Freibetrags in einer Lohnsteuerkarte zu gestalten. Es dürften für die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung keine höheren Anforderungen gestellt werden, wenn es statt um die Eintragung eines Freibetrags auf einer Lohnsteuerkarte um die Eintragung einer anderen Steuerklasse gehe.

Nach Ansicht der ASt bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Eintragung der Steuerklassen III und V in die Lohnsteuerkarten der ASt für 2012. Denn zu Jahresbeginn 2012 seien die ASt nicht ledig gewesen, sondern verpartnert. Die Lücke, die in der Regelung des § 38b EStG dadurch entstehe, dass Ledige und Ehegatten genannt würden, nicht jedoch die eingetragene Lebenspartnerschaft, dürfe nicht so geschlossen werden, wie das FA dies getan habe. Die Lebenspartner seien aus einkommensteuerrechtlicher Sicht nicht der Gruppe der Ledigen zuzuordnen, sondern den Ehegatten. Denn aus einkommensteuerrechtlicher Sicht entspreche die Lebenspartnerschaft der Ehe. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides folgten aus den Entscheidungen des BVerfG über die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Lebenspartner bei der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung im öffentlichen Dienst (Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 7. Juli 2009 – 1 BvR 1164/07 –, BVerfGE 124, 199 ) und bei der Erbschaftsteuer (Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 21. Juli 2010 – 1 BvR 611/07 , 1 BvR 1464/07 –, BVerfGE 126, 400 ). Die Grundsätze dieser Entscheidungen seien ohne Weiteres auf die Gleichstellung von Lebenspartnern auch bei der Einkommensteuer zu übertragen. Die Privilegierung von Ehegatten sei auch im Einkommensteuerrecht nicht davon abhängig, ob die betroffenen Ehepaare Kinder hätten oder nicht. Den genannten Entscheidungen des BVerfG komme Gesetzeskraft zu. Sie seien deshalb auch für den vorliegenden Rechtsstreit bindend. Die dem entgegenstehende frühere Rechtsprechung des BFH sei überholt. Die ASt verweisen auf verschiedene finanzgerichtliche Entscheidungen, durch die der von ihnen begehrte vorläufige Rechtsschutz in vergleichbaren Fällen gewährt worden sei.

Das Interesse der ASt an der Aussetzung der Vollziehung sei höher zu bewerten, als die gegen die Aussetzung des Vollzugs sprechenden öffentlichen Belange. Zwar handele es sich bei der Norm, auf die die Ablehnung der Eintragung der begehrten Steuerklassen III und V für Lebenspartner gestützt werde, um ein formell verfassungskonform zustande gekommenes Gesetz, das grundsätzlich Geltung beanspruchen dürfe. Ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz der aufgezeigten erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelung bzw. deren Anwendung könne auch nicht wegen eines Haushaltsvorbehaltes verneint werden. Dies könnte nur dann in Betracht kommen, wenn eine Aussetzung der Vollziehung eine erhebliche Breitenwirkung mit entsprechenden finanziellen Wirkungen zur Folge hätte. Es sei jedoch davon auszugehen, dass nur eine geringe Zahl eingetragener Lebenspartnerschaften von dieser Frage betroffen sei; im Jahr 2010 hätten in Deutschland erst etwa 23.000 Lebenspartnerschaften bestanden. Im Übrigen könne durch die Aussetzung der Vollziehung gerade vermieden werden, dass durch die Verplanung oder Verausgabung möglicherweise verfassungswidrig festgesetzter Steuern später die öffentliche Haushaltsführung beeinträchtigt werde. Schließlich nehme die Änderung der Lohnsteuerklassen nicht die Einkommensteuerveranlagung vorweg. Wenn das BVerfG die Nichtgewährung des Splittingvorteils für Lebenspartner nicht verfassungsrechtlich beanstande, könne in dem nachfolgenden Veranlagungsverfahren der einfache Steuertarif angesetzt werden. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG seien die ASt verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, da sie im Jahr 2012 beide Arbeitslohn bezögen.

Schließlich sei auch nicht zu erwarten, dass das BVerfG dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Herstellung verfassungsgemäßer Zustände einräumen werde. Auch in der oben genannten Erbschaftsteuer-Entscheidung habe das BVerfG keine befristete Fortgeltung angeordnet, sondern die Nichtigkeit der gesetzlichen Regelungen ausgesprochen. Wenn dem Gesetzgeber nach einer Nichtigerklärung auch ein Gestaltungsspielraum für eine Neuregelung zukomme, so sei die einzig tragfähige Unterscheidung – die Beschränkung des Splittingvorteils auf Ehegatten mit Kindern – nicht zu erwarten. Sollte das Splitting auch kinderlosen Ehen zugestanden werden, so müsse dies auch für Lebenspartner anwendbar sein.

Die ASt beantragen

  1. 1.          den Bescheid des FA vom 28. November 2011 aufzuheben und
  2. 2.          die Vollziehung des Bescheids des FA vom 3. November 2011 nach § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO auszusetzen und anzuordnen, dass für das ganze Jahr 2012 die Steuerklasse des ASt zu 1. von I in III und die des ASt zu 2. von I in V zu ändern ist.

 

Das FA beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Ablehnung der Eintragung der Steuerklassen III und V sei nicht ernstlich zweifelhaft. Es verweist auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung.

 Gründe

  

II.

Die zulässigen Anträge sind begründet.

1. Die Anträge sind zulässig.

a) Das Verfahren der gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung ist das statthafte Verfahren für das Begehren der ASt. Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ablehnung einer beantragten Änderung auf der Lohnsteuerkarte ist durch die Aussetzung der Vollziehung, nicht durch die einstweilige Anordnung zu gewähren (vgl. BFH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – III B 210/10 –, BFH/NV 2011, 1692 ; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. September 2011 – 3 V 2820/11 –, StE 2011, 743; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 7 V 56/11 –, juris; FG Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 4 V 2831/11 –, juris; FG Bremen, Beschluss vom 13. Februar 2012 – 1 V 113/11 (5) –, juris; vgl. Drenseck, in: Ludwig Schmidt, EStG , 30. Auflage 2011, § 39 Rn. 8).

b) Das FA hat vor Anrufung des Finanzgerichts einen Antrag der ASt auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt (vgl. § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).

2. Die Anträge sind begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Eintragung der begehrten Steuerklassen III und V für eine vorläufige Bestimmung der Lohnsteuerpflicht.

a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind anzunehmen, wenn bei der überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des BFH vgl. Beschluss vom 10. Februar 1967 – III B 9/66 –, BStBl III 1967, 182; vgl. Koch, in: Gräber, FGO , 7. Auflage 2010, § 69 Rn. 86).

Nach Rechtsprechung des BFH kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen trotz Vorliegens solcher Zweifel die Aussetzung der Vollziehung gleichwohl abgelehnt werden. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer den Verwaltungsakt tragenden gesetzlichen Vorschrift beruhen. Die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung soll dann wegen des – bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – bestehenden Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes voraussetzen. Dieses berechtigte Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen sei mit den gegen die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Hierbei komme es maßgeblich – einerseits – auf die Bedeutung und Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eingetretenen Eingriffs bei dem Steuerpflichtigen und – andererseits – auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an. Das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift sei bei dieser Abwägung nicht von ausschlaggebender Bedeutung. An dem Erfordernis eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses des Steuerpflichtigen bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an einer streitentscheidenden Norm sei jedenfalls dann festzuhalten, wenn der Ausspruch der begehrten Aussetzung der Vollziehung im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führte, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung bei dem Steuerpflichtigen erfolgten Eingriffs eher gering einzustufen sei und der Eingriff keine dauerhaft nachteiligen Wirkungen habe (vgl. BFH, Beschluss vom 1. April 2010 – II B 168/09 –, BStBl II 2010, 558 zur gerügten Verfassungswidrigkeit des § 19 ErbStG ; Beschluss vom 9. März 2012 – VII B 171/11 –, BFH/NV 2012, 874 zur gerügten formellen Verfassungswidrigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes). Das Kriterium des besonderen Aussetzungsinteresses bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an Steuergesetzen wird in der Judikatur des BFH aber auch zum Teil in Frage gestellt (vgl. BFH, Beschlüsse vom 22. Dezember 2003 – IX B 177/02 –, BStBl II 2004, 367; vom 31. Januar 2007 – VIII B 219/06 –, BFH/NV 2007, 914 und vom 25. August 2009 – VI B 69/09 –, BStBl II 2009, 826) und wird in der Literatur zum Teil kritisiert (vgl. Schallmoser, DStR 2010, 297 und Seer, DStR 2012, 325).

b) Der Senat setzt die Vollziehung in dem beantragten Umfang aus, da bereits die vorhandene Judikatur der Finanzgerichte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsakte belegt (aa). Den ASt ist die Aussetzung auch nicht wegen Nichtvorliegens eines besonderen berechtigten Interesses an der Vollziehungsaussetzung zu verweigern (bb). Ebenso wenig steht der Aussetzung ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen (cc).

aa) Die von den beiden ASt begehrte steuerliche Erleichterung durch Anwendung des ermäßigten Einkommensteuertarifs durch das Splitting-Verfahren nach § 32a Abs. 5 EStG gegenüber dem ansonsten geltenden Grundtarif des § 32a Abs. 1 EStG steht ihnen nach den geltenden einkommensteuerrechtlichen Vorschriften deshalb nicht zu, weil sie nicht als Ehegatten gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden im Sinne von §§ 26 , 26b EStG. Diese unterschiedliche einkommensteuerliche Belastung ist der Hintergrund der verfahrensgegenständlichen Frage einer lohnsteuerrechtlichen Einstufung in die begehrten Steuerklassen III und V nach § 38b Satz 2 Nr. 3 und Nr. 5 EStG . Darüber hat das FA nach § 39 Abs. 6 Satz 3 EStG negativ für die ASt entschieden.

Die Frage indes, ob die Nichtgewährung des Splittingvorteils aus § 32a Abs. 5 EStG an Steuerpflichtige, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind, eine Verletzung des Gleichheitsgebotes aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG ) darstellt, ist Gegenstand dreier Verfassungsbeschwerdeverfahren, die bei dem Zweiten Senat des BVerfG anhängig sind; sie sind u.a. gegen Entscheidungen des BFH gerichtet, in denen die Verfassungskonformität der unterschiedlichen Besteuerung bejaht wurde (2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 288/07).

Nach der in jüngerer Zeit, insbesondere nach dem Beschluss des Ersten Senates des BVerfG vom 21. Juli 2010 , in dem die verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit der Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht festgestellt wurde (– 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07 –, BVerfGE 126, 400 ), ergangenen Rechtsprechung der Finanzgerichte ist es ernsthaft zweifelhaft, ob die unterschiedliche Begünstigung von Ehegatten und Lebenspartnern durch Gewährung oder Versagung des Splittingtarifs den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes standhält. So wird in einer Vielzahl finanzgerichtlicher Entscheidungen die ernsthafte Möglichkeit einer nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigten Benachteiligung von Lebenspartnern gegenüber zusammen veranlagten Ehegatten bejaht (vgl. die Beschlüsse des FG Nürnberg vom 16. August 2011 – 3 V 868/11 –, StE 2011, 729; des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2011 – 3 V 2820/11 –, StE 2011, 743; des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 15. Juni 2011 – 3 V 125/11 –, juris vom 7. Dezember 2011 – 7 V 56/11 –, juris; des FG Köln vom 7. Dezember 2011 – 4 V 2831/11 –, juris des FG Bremen vom 13. Februar 2012 – 1 V 113/11 –, StE 2012, 183). Auch der BFH hält die Rechtslage insoweit für nicht endgültig geklärt (vgl. schon dessen Beschluss vom 14. Dezember 2007 – III B 25/07 –, BFH/NV 2008, 779 ). Es ist vor diesem Hintergrund von einer rechtlichen Unsicherheit beziehungsweise Unentschiedenheit auszugehen, die das Vorhandensein ernstlicher Zweifel begründet.

bb) Der Senat lässt offen, in welchem Umfang ein besonderes berechtigtes Interesse der ASt für eine Aussetzung der Vollziehung wegen materieller verfassungsrechtlicher Zweifel gefordert werden kann. Nimmt man im Sinne der dieses Kriterium befürwortenden Rechtsprechung des BFH eine Abwägung zwischen dem Interesse des Steuerpflichtigen an einem effektiven Rechtsschutz und dem Geltungsanspruch des formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes vor, so überwiegt nach Überzeugung des Senates im Streitfall das Aussetzungsinteresse der ASt (so im Ergebnis auch die oben unter 2.b.aa) genannte finanzgerichtliche Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen; eine Aussetzung der Vollziehung wurde mangels eines besonderen Aussetzungsinteresses wegen einer im Stattgabefall als wahrscheinlich unterstellten vorläufigen Weitergeltungsanordnung des BVerfG abgelehnt durch das FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 4 V 1910/11 –, EFG 2012, 459 . Eine Ablehnung mangels besonderen Aussetzungsinteresses wurde auch durch das FG München in einem Beschluss vom 5. August 2010 – 8 V 1107/10 –, EFG 2011, 67 ausgesprochen).

Zwar geht der Senat nicht davon aus, dass bei den ASt ein besonders dringendes wirtschaftliches Bedürfnis vorliegt, vorläufig die steuerliche Minderbelastung durch Gewährung des Splittingvorteils zu erhalten, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass der Splittingvorteil für den ASt zu 1. erheblich und auch wirtschaftlich bedeutsam sein dürfte, da der ASt zu 2. lediglich eine geringfügig bezahlte Erwerbstätigkeit ausübt und der Ast zu 1. ihm zivilrechtlich in vollem Umfange unterhaltspflichtig ist. Es ist indes auch von Seiten des FA kein hinreichend gewichtiger Grund dargetan, der den Vollzug der in verfassungsgerichtlicher Prüfung befindlichen einkommensteuerrechtlichen Regeln über die Anwendung des Splittingvorteils aus öffentlichen Interessen geboten erscheinen lässt. Insbesondere für eine konkrete Gefährdung einer geordneten Haushaltsführung hat das FA nichts vorgetragen. Angesichts der durch die ASt mitgeteilten geringen Anzahl der bestehenden eingetragenen Lebenspartnerschaften in Deutschland ist eine solche Gefährdung einer geordneten Haushaltsführung auch nicht erkennbar. Auch kann die Aussetzung der Lohnsteuer, soweit sie den Splittingtarif übersteigt, nicht zur Nichtanwendbarkeit des gesamten EStG oder eines erheblichen Teils davon führen. Für die Bejahung des besonderen berechtigten Interesses der ASt an der Aussetzung der Vollziehung genügt es danach, dass die beanstandete Ungleichbehandlung die ASt besonders trifft. Denn die gesetzliche Regelung nimmt eine Differenzierung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft vor, die damit letztlich an die sexuelle Orientierung von Personen anknüpft; in diesem Bereich wiegt eine Ungleichbehandlung jedoch grundsätzlich schwer; es ist dort deshalb auch eine strenge Gleichheitsprüfung gefordert (vgl. Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 21. Juli 2010 , a.a.O., Rn. 85 m.w.N.).

cc) Die Abgeltungswirkung der Lohnsteuererhebung für die Einkommensteuer nach § 46 Abs. 4 EStG kann vorliegend nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen, so dass offen bleiben kann, ob der – aus dem Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes durch einstweilige Anordnung (§ 114 FGO ) stammende – Gedanke der grundsätzlichen Unzulässigkeit einer solchen Vorwegnahme überhaupt im Verfahren nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO Berücksichtigung finden könnte. Es kann dahinstehen, ob im Streitfall eine Veranlagungspflicht nicht nur im Falle der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG , sondern auch – wie die ASt dartun – wegen § 46 Abs. 1 Nr. 3a EStG besteht. Denn die letztgenannte Fallgruppe setzt voraus, dass die Veranlagungspflicht jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehender Ehegatten – über den Wortlaut der Norm hinaus – auch auf Lebenspartner anzuwenden wäre. Kommt man zur Bejahung der materiellen Gleichbehandlung von Lebenspartnern und Ehegatten, so spricht der gebotene Gleichlauf zwischen materiellem Recht und lohnsteuerlichem Verfahren dafür, die Veranlagungspflicht dann auch für Lebenspartner zu bejahen.

Die vorliegend zu treffende Entscheidung über die teilweise Aussetzung der Vollziehung einer Lohnsteuerabzugsverpflichtung steht indes wegen ihrer Vorläufigkeit nicht der endgültigen Wirkung des Lohnsteuerabzugs gleich. Die erstrebte Aussetzung der Vollziehung einer Lohnsteuerpflicht, die die Belastung durch die Splittingtabelle übersteigt, kann demnach nicht die Abgeltungswirkung des § 46 Abs. 4 Satz 1 EStG verursachen. Die endgültige Bestimmung der Reichweite der Lohnsteuerpflicht und damit der Abgeltungswirkung für die Einkommensteuer muss deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

3. Die Aussetzung der Vollziehung wird ohne Sicherheitsleistung angeordnet, da ein Sicherungsbedürfnis durch das FA nicht dargetan wurde. Auch aus den Akten ergibt sich dies nicht.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO . Die Beschwerde an den BFH wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 128 Abs. 3 , § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Voraussetzungen für die Änderung einer Verlustfeststellung gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG a.F.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 22.1.2013, IX R 11/12

Voraussetzungen für die Änderung einer Verlustfeststellung gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG a.F.

Tatbestand

1
I. Da die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ihre Einkommensteuererklärung für 2006 nicht rechtzeitig abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Besteuerungsgrundlagen und erließ im Februar 2008 einen Einkommensteuerbescheid für 2006, in dem bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von ./. 18.617 EUR die Steuer auf 0 EUR festgesetzt wurde. Am selben Tage erließ das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, in dem der verbleibende Verlustvortrag auf 106.428 EUR festgestellt wurde (verbleibende negative Einkünfte lt. Steuerbescheid für 2006  18.617 EUR zzgl. verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2005: 87.811 EUR). Beide Bescheide wurden nicht angefochten.
2
Aufgrund eines Prüfhinweises erließ das FA im März 2008 einen nach § 10d Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, in dem der verbleibende Verlustvortrag auf 93.064 EUR festgestellt wurde (verbleibende negative Einkünfte 18.617 EUR zzgl. verbleibender Verlustvortrag 74.447 EUR). Auch dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
3
Aufgrund einer Mitteilung für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb erließ das FA im Mai 2008 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheid über Einkommensteuer 2006, in dem die Steuer wiederum auf 0 EUR festgesetzt wurde. In den Besteuerungsgrundlagen ist ein Gesamtbetrag der Einkünfte von ./. 10.672 EUR enthalten. Am selben Tag erließ das FA auch einen nach § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, in dem der verbleibende Verlustvortrag auf 85.119 EUR festgestellt wird (verbleibende negative Einkünfte 10.672 EUR zzgl. verbleibender Verlustvortrag 74.447 EUR).
4
Gegen den geänderten Verlustfeststellungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung reichte sie die Einkommensteuererklärung für 2006 ein. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA erneut einen Bescheid für 2006 über Einkommensteuer, in dem die Steuer wiederum auf 0 EUR festgesetzt wurde. Der in den Besteuerungsgrundlagen aufgeführte Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich wieder auf ./. 18.617 EUR. Als „weitere Erläuterungen“ ist ausgeführt: „Der Verlustvortrag zum 31.12.2006 konnte gem. § 351 Abs. 1 AO nur in Höhe des durch Bescheid vom März 2008 bestandskräftig festgestellten Betrags von 93.064 EUR festgestellt werden. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurden daher für die zutreffende Ermittlung des Verlustvortrags –entgegen der Erklärung– mit 3.659 EUR angesetzt. Den Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006 sehe ich hiermit als erledigt an.“ Am gleichen Tag erließ das FA einen nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO (handschriftlicher Vermerk) und nach § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG (maschinenschriftlicher Vermerk) geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006, mit dem der verbleibende Verlustvortrag wiederum auf 93.064 EUR festgestellt wurde (verbleibende negative Einkünfte 18.617 EUR zzgl. verbleibender Verlustvortrag 74.447 EUR).
5
Im April 2009 beantragte die Klägerin gegenüber dem FA, den Einkommensteuerbescheid 2006 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu ändern. Diese seien –wie erklärt– in Höhe von ./. 30.328 EUR statt mit 3.659 EUR anzusetzen. Am folgenden Tag legte die Klägerin gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006 vom April 2009 Einspruch ein. Zur Begründung verwies die Klägerin auf ihr Schreiben vom Vortrag zum Einkommensteuerbescheid für 2006.
6
Das FA wies den Einspruch gegen den Bescheid für 2006 über Einkommensteuer vom April 2009 als unzulässig zurück, da die Klägerin durch die Festsetzung der Steuer auf 0 EUR nicht beschwert sei. Mit Einspruchsentscheidung vom selben Tage wies das FA den Einspruch gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006 vom April 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies das FA darauf, dass der angefochtene Verlustfeststellungsbescheid vom Mai 2008 den insoweit unanfechtbaren Bescheid vom März 2008 geändert habe, so dass nach § 351 Abs. 1 AO die Änderung aufgrund der Anfechtung auf den im Ursprungsbescheid festgesetzten Betrag beschränkt sei.
7
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Der Berücksichtigung weiterer von der Klägerin nunmehr erklärter negativer Einkünfte stehe § 351 AO entgegen. Der Verlustfeststellungsbescheid vom Mai 2008, mit dem ein Verlust in Höhe von 85.119 EUR festgestellt wurde, habe den bestandskräftigen Bescheid vom März 2008 geändert, mit dem ein Verlust in Höhe von 93.064 EUR festgestellt worden sei. Damit sei die Anfechtbarkeit und Änderbarkeit des Verlustfeststellungsbescheides vom Mai 2008 nach § 351 Abs. 1  1. Halbsatz AO auf die Differenz zwischen 93.064 EUR und 85.119 EUR beschränkt. Im Rahmen dieser Beschränkung habe das FA mit dem geänderten Verlustfeststellungsbescheid vom April 2009 dem Begehren der Klägerin in vollem Umfang entsprochen, in dem es den Verlust nunmehr wiederum in Höhe von 93.064 EUR festgestellt habe.
8
Eine weitergehende Änderung durch Festsetzung eines höheren Verlustvortrags setze nach § 351 Abs. 1  2. Halbsatz AO voraus, dass die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt seien. Daran fehle es hier. Die Änderung des Feststellungsbescheides nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG erfordere, dass der diesbezügliche Steuerbescheid auch verfahrensrechtlich noch geändert werden könne. Eine solche verfahrensrechtliche Änderungsnorm für den bestandskräftigen Bescheid vom März 2008 sei nicht ersichtlich.
9
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts rügt. § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG sei anzuwenden. Auf eine Änderungsmöglichkeit könne es nicht ankommen, da das FA den Einkommensteuerbescheid tatsächlich geändert habe. Im Übrigen habe die Klägerin den der Verlustfestsetzung zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid vom April 2009 mit dem Einspruch angefochten, den das FA wiederum als unzulässig zurückgewiesen habe.
10
Die Klägerin beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben sowie die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006 vom 6. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2010 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag auf 119.733 EUR festgestellt wird.

11
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12
II.  Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zutreffend hat das FG die von der Klägerin begehrte Änderung der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2006 gemäß § 351 Abs. 1 AO abgelehnt und eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG verneint.
13
1. Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Verbleibender Verlustvortrag sind die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Abs. 1 abgezogenen und die nach Abs. 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag (§ 10d Abs. 4 Satz 2 EStG). Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG sind Feststellungsbescheide u.a. zu erlassen, soweit sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Ändern sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge aber nicht, ist die Vorschrift von vornherein unanwendbar (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 17. September 2008 IX R 70/06, BFHE 223, 50, BStBl II 2009, 897).
14
§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG verlangt auch, dass wegen der Änderung der nach § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Beträge der entsprechende Steuerbescheid –vorliegend der Einkommensteuerbescheid– zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Dies gilt gemäß Satz 5 auch, wenn die Änderung mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt. Gründe dafür, dass § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG abweichend von diesem Gesetzeswortlaut auszulegen wäre, sind nicht ersichtlich. Danach setzt die Änderung des Feststellungsbescheides nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG voraus, dass der korrespondierende Einkommensteuerbescheid verfahrensrechtlich –d.h. gemäß §§ 164 f., §§ 172 ff. AO– zu ändern ist oder dies allein wegen fehlender steuerlicher Auswirkung unterbleibt (so auch BFH-Beschluss vom 27. September 2005 XI B 123/04, BFH/NV 2006, 301, m.w.N.).
15
2. Nach diesen Grundsätzen ist § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG zwar anwendbar, weil sich die der Verlustfeststellung zugrunde liegenden, bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in Gestalt eines Werbungskostenüberschusses bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung unstreitig geändert haben.
16
Gleichwohl hat das FG zutreffend eine Änderung des streitbefangenen Änderungsbescheides gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG abgelehnt, da der korrespondierende Einkommensteuerbescheid 2006 unstreitig verfahrensrechtlich nicht geändert werden kann. Darauf, dass er eine Steuer von 0 EUR festsetzt, kommt es nicht an (§ 10d Abs. 4 Satz 5 EStG).

 

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Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.4.2013, III R 83/09

Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern

Leitsätze

Die Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern in der Berufsausbildung, einer Übergangs- oder Wartezeit oder einem Freiwilligendienst durch das StÄndG 2007 war ebenso wie die dazu getroffene Übergangsregelung mit dem GG vereinbar (Bestätigung des Senatsurteils vom 17. Juni 2010 III R 35/09 nach Nichtannahme der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 22. Oktober 2012  2 BvR 2875/10).

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist als Beamtin des gehobenen Dienstes des Landes Niedersachsen tätig. Ihr am 8. Januar 1983 geborener Sohn absolvierte vom 1. August 2000 bis zum 31. Juli 2003 eine Ausbildung. Im Anschluss daran erlangte er durch den Besuch einer Fachoberschule Mitte des Jahres 2005 die Fachhochschulreife. Seit dem Wintersemester 2005/2006 studiert er an einer Hochschule.
2
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 23. November 2007 die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab dem 1. Februar 2008 auf. Zur Begründung verwies sie auf die Absenkung der Altersgrenze in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Art. 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, 1652).
3
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Sohn der Klägerin habe im Januar 2008 das 25. Lebensjahr vollendet; gegen die Absenkung der Altersgrenze bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 359.
4
Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, die Herabsetzung der Altersgrenze enthalte für Kindergeldberechtigte eine unechte Rückwirkung, die verfassungsrechtlich unzulässig sei. Durch die nicht vorhersehbare Absenkung der Altersgrenze werde sie durch den Verlust des Kindergeldes sowie dessen besoldungs- und beihilferechtliche Folgen erheblich belastet.
5
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2008 und den Aufhebungsbescheid vom 23. November 2007 aufzuheben.
6
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
7
Das Verfahren war durch Senatsbeschluss vom 28. Juni 2011 bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2875/10 gegen das Urteil des Senats vom 17. Juni 2010 III R 35/09 (BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176) ausgesetzt worden. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

8
II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
9
1. Der Sohn der Klägerin hat im Januar 2008 das 25. Lebensjahr vollendet und damit die Altersgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG 2008 überschritten. Die Übergangsregelung in § 52 Abs. 40 Satz 7 setzt die Vollendung des 24. Lebensjahres im Veranlagungszeitraum 2006 voraus und ist deshalb auf den Sohn der Klägerin nicht anzuwenden. Er kann daher nach § 32 Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG ab Februar 2008 nicht mehr als Kind berücksichtigt werden.
10
2. Gegen die Absenkung der Altersgrenze vom 27. auf das 25. Lebensjahr und die dazu getroffene Übergangsregelung bestehen, wie der Senat mit Urteil in BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176 entschieden hat, keine verfassungsrechtlichen Bedenken; die gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG mit Beschluss vom 22. Oktober 2012  2 BvR 2875/10 nicht zur Entscheidung angenommen.
11
Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Herabsetzung der Altersgrenze ist unerheblich, ob die sich daraus ergebenden Folgen für die Beamtenbesoldung und -beihilfe ebenfalls verfassungsgemäß sind (Senatsurteil in BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176, unter II.2.a bb (3)). Denn eine etwaige Verfassungswidrigkeit –z.B. wegen eines Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes– könnte auch anders als durch die (Wieder-)Heraufsetzung der Altersgrenze behoben werden, etwa indem der Gesetzgeber besoldungsrechtlich neben den nach § 32 Abs. 4 EStG zu berücksichtigenden Kindern auch ältere Kinder einbezieht, die sich noch in Ausbildung befinden und an die nach § 33a Abs. 1 EStG abziehbarer Unterhalt geleistet wird.

 

Kein verfassungsrechtlich gebotener Rücktrag eines 2000 erzielten Verlusts in den Veranlagungszeitraum 1998

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 16.4.2013, IX R 20/12

Kein verfassungsrechtlich gebotener Rücktrag eines 2000 erzielten Verlusts in den Veranlagungszeitraum 1998

Leitsätze

§ 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wirkt nicht in verfassungsrechtlich erheblicher Weise zurück, wenn danach Verluste aus dem Jahr 2000 lediglich in das Jahr 1999 zurückgetragen werden können.

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Wegfall des zweijährigen Verlustrücktrags gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz verstößt.
2
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (1998) als Rechtsanwalt Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Er erwarb in diesem Jahr und im Jahr 1999 zwei Vermietungsobjekte, übernahm die Sanierungsverpflichtung und finanzierte diese Projekte mit Fremd- und Eigenmitteln. Daraus erklärte er in den Jahren 1998 bis 2000 erhebliche Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) im Wesentlichen anerkannte. Im Anschluss an eine Außenprüfung setzte das FA die Einkommensteuer für das Streitjahr im (geänderten) Einkommensteuerbescheid vom 4. August 2003 auf 198.711 DM fest.
3
Im Jahr 2000 setzte das FA im (geänderten) Einkommensteuerbescheid für 2000 vom 4. August 2003 die Einkommensteuer auf 0 DM fest und stellte den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2000 fest. Die u.a. hiergegen (Einspruch ferner gegen die Steuerfestsetzung 1999) gerichteten Einsprüche, mit denen der Kläger neben weiteren nicht mehr bedeutsamen Begehren den Verlustrücktrag von 2000 in das Streitjahr beantragte, blieben erfolglos. Einspruchsentscheidungen ergingen am 29. September 2003.
4
Die hiergegen gerichtete Klage hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) zog in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1251 veröffentlichten Urteil den nicht ausgleichsfähigen Verlust des Jahres 2000 (142.378 DM) in Höhe von 137.840 DM vom Gesamtbetrag Einkünfte des Jahres 1999 ab, setzte die Einkommensteuer 1999 auf 0 DM fest und stellte den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31. Dezember 2000 in Höhe von 4.538 DM fest. Einen Verlustrücktrag von 2000 in das Jahr 1998 lehnte das FG mangels gesetzlicher Grundlage ab. Eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung liege in der Regelung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/ 2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) nicht. Der auf ein Jahr gekürzte Verlustrücktrag wirke bezogen auf den Streitfall nicht zurück; jedenfalls sei das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand des zweijährigen Verlustrücktrags weder allgemein noch im konkreten Einzelfall schützenswert.
5
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die er auf die Verletzung des § 10d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 stützt. Die Regelung führe zu einer echten Rückwirkung. Die Einkommensteuer 1998 stünde unter dem Vorbehalt des zweijährigen Verlustrücktrags. Der Kläger habe damit eine Rechtsposition erworben, diese Steuer durch einen Verlustrücktrag wieder zu mindern. Die Möglichkeit ist im Veranlagungszeitraum des Rücktrags (hier das Streitjahr) selbst angelegt; es werde lediglich technisch an die Verlustentstehungsjahre angeknüpft. Selbst wenn man von einer unechten Rückwirkung ausgehe, seien die im Streitjahr durchgeführten Dispositionen des Klägers im Rahmen einer Abwägung besonders schutzwürdig, während das Gesetz maßgeblich aus Gründen der Haushaltssicherung geändert worden sei.
6
Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1998, zuletzt geändert durch Bescheid vom 4. August 2003, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2003 unter Aufhebung des angefochtenen Urteils mit der Maßgabe zu ändern, dass die verbleibenden negativen Einkünfte des Jahres 2000 in das Jahr 1998 zurückgetragen werden.

7
Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8
II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG einen Verlustrücktrag gemäß § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG in das Jahr 1998 abgelehnt.
9
1. Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, bis zu einem Betrag von 2 Mio. Deutsche Mark vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). Ist diese Regelung nach § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG erstmals für Verluste anzuwenden, die ab dem Veranlagungszeitraum 1999 entstanden sind, so ist ein Rücktrag von in den Veranlagungszeiträumen ab 1999 erzielten Verlusten nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG zu beurteilen (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. März 2011 IX R 72/04, BFHE 233, 147, BStBl II 2011, 751, unter 3.).
10
Das bedeutet im Streitfall: Der im Jahr 2000 entstandene Verlust ist lediglich –wie geschehen– in das Jahr 1999 zurückzutragen, nicht aber in das Streitjahr rücktragbar.
11
2. Diese Norm verletzt nicht die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes. Sie wirkt nicht zurück.
12
a) Vor dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes bedarf es besonderer Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Eine Rechtsnorm wirkt in dieser Weise zurück, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. So liegt eine (grundsätzlich unzulässige) echte Rückwirkung in der Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten, während eine unechte Rückwirkung nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind (vgl. eingehend dazu die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 3. Dezember 1997  2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, und vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1).
13
b) Der entscheidende Sachverhalt, der „ins Werk gesetzt“ wird, d.h. das maßgebende Verhalten des Steuerpflichtigen, an den der Gesetzgeber die Rechtsfolgen knüpft, ist beim Verlustabzug die Verlustentstehung.
14
aa) Im Verlustentstehungszeitraum verwirklicht der Steuerpflichtige den Steuertatbestand, an den das Gesetz die Rechtsfolge des Verlustabzugs knüpft. Das Verlustentstehungsjahr ist der Ausgangspunkt für das Normverständnis des § 10d EStG; von dort aus sind die Voraussetzungen des Verlustabzugs in § 10d Abs. 1 und Abs. 2 EStG konzipiert (vgl. dazu Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz B 5). Es geht beim Verlustrücktrag in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG um „negative Einkünfte“ des Entstehungsjahres, „die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte im Entstehungsjahr nicht ausgeglichen werden“. Die überperiodische Abziehbarkeit negativer Ergebnisse ist mithin an die Verwirklichung eines Steuertatbestandes i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gebunden. Allein die Verwirklichung dieses Tatbestandes entscheidet auch über die zeitliche Zuordnung der Voraussetzungen des Verlustabzugs, über die dadurch ausgelösten Rechtsfolgen (also die Berücksichtigung in den Abzugsjahren) und bildet so den   Anknüpfungspunkt   für   die   zeitliche   Geltungsanordnung   von Gesetzesänderungen (Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 10d Rz B 16). Denn mit der tatbestandlichen Bestimmung und Abgrenzung der verschiedenen Einkunftsarten und Einkünfte trifft der Gesetzgeber die zentralen Ausgangsentscheidungen für die einkommensteuerrechtliche Belastung (so BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 1, Rz 68).
15
bb) Zwar wird im Rücktragsjahr über Grund und Höhe des rücktragbaren Verlusts entschieden; die negativen Einkünfte, „die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden“, bilden eine Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung für die Ermittlung des Verlustabzugs (BFH-Urteil in BFHE 233, 147, BStBl II 2011, 751, unter 3.). Dies ist aber lediglich die verfahrensmäßige Ausprägung und Folge des im Entstehungsjahr verwirklichten Steuertatbestandes.
16
cc) Daraus folgt: Wenn der Gesetzgeber mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 den Verlustrücktrag auf ein (das der Verlustentstehung unmittelbar vorangegangene) Jahr beschränkt, bedeutet dies für den im Jahr 2000 verwirklichten Steuertatbestand keine Rückwirkung. Der Gesetzgeber änderte im Jahre 1999 mit dem neu strukturierten Verlustabzug die Rechtsfolge eines erst der Zukunft zugehörigen Verhaltens, des Verwirklichens eines Steuertatbestandes im Jahr 2000.
17
c) Wenn demgegenüber die Revision auf den Veranlagungszeitraum des Verlustrücktrags abstellt und von der Steuerfestsetzung des Jahres 1998 unter Vorbehalt einer durch Verlustrücktrag geminderten Steuer spricht, verwechselt sie Ursache und Wirkung. Das zu Verlusten führende und Vertrauen in die Rechtslage reklamierende Verhalten ist allein das Verwirklichen des Steuertatbestandes: Wenn der Steuerpflichtige sich im Jahre 2000 steuerrechtlich bedeutsam betätigt und sein Verhalten am Markt zu Verlusten führt, weiß er, dass er diesen Verlust nur in das unmittelbar vorangegangene Jahr zurücktragen kann, im Übrigen aber vortragen muss.
18
Der positive Gesamtbetrag der Einkünfte in den Verlustabzugsjahren bildet lediglich das Verlustabzugspotential (vgl. dazu Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 10d Rz A 39) für erst im Entstehungsjahr erzielte und verwirklichte negative Einkünfte. Mithin erlangt der Steuerpflichtige im potentiellen Abzugsjahr mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte als mögliche Kompensation für einen Verlustabzug keine verfassungsrechtlich schützenswerte Rechtsposition. Das Verlustabzugspotential besteht nicht per se, sondern allein in Abhängigkeit von in anderen Veranlagungszeiträumen erzielten negativen Einkünften. Deswegen wirkt das Gesetz nicht zurück, wenn es für einen nach seiner Verkündung beginnenden Veranlagungszeitraum den Verlustrücktrag in ein vor seiner Verkündung abgelaufenes Jahr nicht mehr gewährt.
19
3. Nach diesen Maßstäben hat das FG zutreffend bereits eine Rückwirkung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 abgelehnt. Der Senat muss deshalb nicht darauf eingehen, ob das Vertrauen des Klägers im Streitjahr allgemein und im hier gegebenen Einzelfall schutzwürdig war.

 

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Zahlungen für den Ausgleich der Entwertung einer veräußerten Kapitalbeteiligung nicht steuerbar

Abgrenzung zwischen Vermögensentschädigung und Leistungsentgelt i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG

 FG Hamburg Urteil vom 11.11.2010 1 K 219/09 BFH IX R 65/10

 Gründe

[1 ] I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2006) zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden.

[2 ] Der Kläger beteiligte sich in den Jahren 1998 und 1999 als Kommanditist mit Einlagen in Höhe von . DM und . DM an der A-KG, die als Teil der A-Gruppe auf einem technischen Gebiet tätig war. Im Zuge des Beteiligungsvorgangs wurde der Kläger in ein von den Gesellschaftern der Firmengruppe gebildetes Konsortium aufgenommen; er erwarb aufgrund des am . Januar 1998 geschlossenen Konsortialvertrags das Recht, ”… bei Kapitalerhöhungen von Gesellschaften innerhalb der Gruppe…nach Maßgabe des Verhältnisses ihrer Festkapitalanteile…gegen Bareinzahlungen zum Nominalbetrag der Festkapitalerhöhung teilzunehmen” (§ 2 Ziff. 2.1 des Vertrags). Im Jahr 1999 wurde die A-KG in eine AG umgewandelt; durch die Kapitalerhöhung sank die Beteiligungsquote des Klägers von knapp unter 10 % auf nunmehr 7,54 %.

[3 ] Im Jahr 2001 erfuhr der Kläger im Rahmen seiner Aufsichtsratstätigkeit für die A-AG von dem Verdacht, dass C —ein bereits ausgeschiedener Geschäftsführer der A-Gruppe— firmeneigene Technologien, Patente und Kundenlisten unbefugt für D, ein Konkurrenzunternehmen mit Sitz in X (Ausland), nutze. Die Beteiligung des Klägers hatte zu diesem Zeitpunkt einen Wert von . €.

[4 ] Die neue Konkurrenzsituation führte zum wirtschaftlichen Einbruch bei der A-AG, so dass im Jahr 2002 das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet werden musste. Der Kläger veräußerte daraufhin im Jahr 2003 seine Beteiligung für . € (. DM). Der in Höhe von . € entstandene Veräußerungsverlust wurde im Einkommensteuerbescheid 2003 unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens anteilig gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuermindernd berücksichtigt.

[5 ] Im Februar 2006 erhielt der Kläger Unterlagen, die den Verdacht einer Veruntreuung von Firmeninterna durch C stützten. Daraufhin nahm er mit dem mittlerweile in X wohnhaften C Verhandlungen über mögliche Ausgleichsansprüche wegen der Entwertung seiner Beteiligung an der A-AG auf und erlangte dabei Kenntnis vom anstehenden Börsengang der D.

[6 ] Da eine Einigung mit C zunächst nicht zustande kam, informierte der Kläger wenige Tage vor dem Börsengang u.a. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht über die seiner Auffassung nach unvollständigen bzw. unzutreffenden Angaben der D im Emissionsprospekt. Der Börsengang der D wurde daraufhin verschoben.

[7 ] Unter dem 8. Mai/16. Juni 2006 schloss der Kläger (u.a.) mit C eine mit sofortiger Wirkung bindende Vereinbarung, wonach beide wechselseitig auf sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit der behaupteten Veruntreuung von Firmen-Knowhow durch C verzichteten (§ 1 Ziff. 1.1 und 1.4 der Vereinbarung). In § 3 der Vereinbarung wurden verschiedene Stillhalte-, Förder- und Wohlverhaltenspflichten geregelt. Danach hatte der Kläger insbesondere „jede…zulässige und angemessene Unterstützung (zu) gewähren, soweit dies zur Durchführung des Börsenganges der D…erforderlich sein sollte” (Ziff. 3.1) sowie „gegenüber Dritten Stillschweigen über die von ihm behaupteten Vorgänge…zu wahren und alles zu unterlassen, was dem Börsengang, einer positiven Entwicklung des Aktienkurses nach Börsengang und dem geschäftlichen Erfolg der D…entgegen stehen könnte” (Ziff. 3.4). Nach § 4 Ziff. 4.1 sollte er „zur Abfindung aller (ihm) eventuell zustehenden Ansprüche und als Gegenleistung für die vorgenannten Verpflichtungen…bei einem erfolgten Börsengang der D…einen Betrag in Höhe von insgesamt EUR . ” erhalten.

[8 ] Die Aktie der D wurde im Juli 2006 erstmals börsennotiert. Der Kläger erhielt daraufhin eine Gutschrift in Höhe von . € (50 % des vereinbarten Betrags) auf seinem Bankkonto. Der restliche Betrag wurde ihm vereinbarungsgemäß im Jahr 2007 ausgezahlt.

[9 ] Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr teilte der Kläger formlos mit, er habe in diesem Jahr eine steuerfreie Entschädigungszahlung für Vermögensverluste aus seiner früher bestehenden Beteiligung an der A-AG erhalten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte dieser Auffassung nicht und setzte den vereinnahmten Betrag im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr als sonstige Einkünfte an.

[10 ] Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 631 veröffentlichen Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die Auffassung, dass es sich bei der Zahlung um sonstige Einkünfte aus Leistungen nach § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG handele. Mit dem Verzicht des Klägers auf die von ihm behaupteten Ansprüche und seiner Verpflichtung, den Börsengang der D nicht (weiter) zu stören, sei Gegenstand der Vereinbarung ein Verhalten des Klägers, das insgesamt entgolten werden sollte. Wegen fehlender Zahlungsnachweise seien die vom Kläger (hilfsweise) geltend gemachten Werbungskosten nicht anzuerkennen.

[11 ] Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ihrer Auffassung nach sei die Zahlung nicht als Vergütung für ein Verhalten des Klägers, sondern allein auf der Grundlage des Konsortialvertrags als Entschädigung für einen —durch die Entwertung seiner Beteiligung— privat erlittenen Vermögensverlust geleistet worden; sie sei deshalb nicht steuerbar. Die Entschädigung sei auch nicht für die künftige Aufgabe einer Kapitalbeteiligung gewährt worden. Im Übrigen fielen die in § 3 der Vereinbarung geregelten Stillhalte-, Förder- und Wohlverhaltenspflichten gegenüber dem Schadenersatzcharakter der Zahlung wirtschaftlich nicht ins Gewicht. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügen die Kläger sinngemäß eine Verletzung der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO .

[12 ] Während des Revisionsverfahrens erließ das FA unter dem 5. August und dem 28. Oktober 2011 (weitere) Änderungsbescheide für das Streitjahr, in denen es bei den (streitigen) sonstigen Einkünften erstmals Werbungskosten in Höhe von . € und . € zum Abzug zuließ.

[13 ] Die Kläger beantragen,

das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. August 2009 —zuletzt geändert durch den Bescheid vom 28. Oktober 2011— dahingehend zu ändern, dass die sonstigen Einkünfte des Klägers aus Leistungen außer Ansatz bleiben.

[14 ] Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

[15 ] Nach seiner Auffassung komme den Stillhalte-, Förder- und Wohlverhaltenspflichten des Klägers eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu, die dem Entschädigungscharakter der Zahlung jedenfalls gleichrangig gegenüberstehe.

[16 ] Der Rechtsstreit wurde in der mündlichen Verhandlung vom 20. November 2012 vertagt. Die Parteien haben anschließend auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.

[17 ] II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ).

[18 ] 1. Die Revision ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet; denn das FG hat über den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres in Gestalt des Änderungsbescheids vom 11. März 2010 entschieden. Während des Revisionsverfahrens sind am 5. August und am 28. Oktober 2011 geänderte Einkommensteuerbescheide ergangen. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr wirksamer Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 26. Januar 2011 IX R 7/09 , BFHE 232, 463 , BStBl II 2011, 540, m.w.N.). Der Senat kann auch nicht auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG in der Sache selbst entscheiden, da das FA mit den Änderungsbescheiden die streitigen sonstigen Einkünfte um bisher nicht berücksichtigte Werbungskosten gemindert hat. Feststellungen, anhand derer das Revisionsgericht die Rechtmäßigkeit des Werbungskostenabzugs überprüfen könnte, hat das FG nicht getroffen.

[19 ] 2. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass der vertraglich vereinbarte Betrag in Höhe von . €, der dem Kläger im Streitjahr zur Hälfte zugeflossen ist, insgesamt als sonstige Einkünfte aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zu qualifizieren ist.

[20 ] a) Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte solche aus Leistungen, soweit sie weder zu den anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nrn. 1, 1a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören. Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vorgangs sein kann und eine Gegenleistung auslöst (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile vom 25. Februar 2009 IX R 33/07, BFH/NV 2009, 1253 , unter II.2., und vom 28. November 2007 IX R 39/06, BFHE 220, 67 , BStBl II 2008, 469, unter II.1., jeweils m.w.N.). Nicht erfasst werden Entgelte aus Veräußerungen oder veräußerungsähnlichen Vorgängen im privaten Bereich, die dafür erbracht werden, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 IX R 97/07 , BFH/NV 2009, 9 , unter II.1.). Ein Verhalten ist jedoch nur dann als Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zu erfassen, wenn ihm eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt und es vorrangig keiner anderen Einkunftsart zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 2003 IX R 76/99 , BFH/NV 2003, 1161 , unter II.2.a, m.w.N.).

[21 ] b) Nach diesen Grundsätzen kann die Würdigung des FG, wonach das Entgelt ausschließlich für Leistungen des Klägers i.S. des § 22 Nr. 3 EStG gezahlt wurde, keinen Bestand haben; sie verletzt §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und bindet den Senat daher nicht nach § 118 Abs. 2 FGO (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09 , BFHE 227, 349 , BStBl II 2010, 539, m.w.N.). Denn nach dem Wortlaut von § 4 Ziff. 4.1 der Vereinbarung sollte die Zahlung sowohl „zur Abfindung” behaupteter Ansprüche als auch „als Gegenleistung” für bestimmte Verhaltenspflichten geleistet werden. Sie diente damit einem doppelten Zweck: Einerseits sollte sie den Kläger dafür entschädigen, dass seine Beteiligung entwertet worden war. Andererseits sollte sie ein bestimmtes Verhalten entgelten.

[22 ] c) Soweit damit dem Kläger eine Entschädigung für den erlittenen Substanzverlust seiner Beteiligung an der A-AG zugeflossen ist, ist die Zahlung nicht steuerbar.

[23 ] aa) Die Entschädigungszahlung ist insbesondere nicht —abweichend vom tatsächlichen Zufluss— als nachträglicher Veräußerungspreis nach § 17 EStG bereits im Jahr 2003 zu erfassen. Der Veräußerungsgewinn, der gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG nach Abzug der Veräußerungs- und Anschaffungskosten vom Veräußerungspreis verbleibt, ist regelmäßig für den Zeitpunkt der Veräußerung zu ermitteln, d.h. dann, wenn das rechtliche oder zumindest wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juli 2010 IX R 45/09 , BFHE 230, 380 , BStBl II 2010, 969). Später eintretende Veränderungen wirken nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung auf ein abgeschlossenes Rechtsgeschäft nur zurück, wenn der Rechtsgrund für die später geleistete Zahlung bereits in diesem Rechtsgeschäft angelegt war (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04 , BFHE 210, 278 , BStBl II 2006, 15). Das FG geht im Streitfall zutreffend davon aus, dass es sich bei der Vergleichsvereinbarung um einen Vertrag handelt, der ohne sachlichen Bezug zur Veräußerung der Beteiligung im Jahr 2003 geschlossen wurde und daher keine Rückwirkung entfaltet. Anknüpfungspunkt für den Vergleichsvertrag war nicht der Veräußerungsvorgang als solcher, sondern die Entwertung der Beteiligung, die der Veräußerung vorausging und sich durch diese realisierte. Zweck der Zahlung des C war es (u.a.), den Kläger für diesen Veräußerungsverlust im Nachhinein (teilweise) abzufinden.

[24 ] bb) Als Vermögensentschädigung ist die Zahlung ferner nicht nach § 17 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbar (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 2002 IV R 64/00 , BFHE 198, 460 , BStBl II 2002, 658; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 24 EStG Rz 38, m.w.N.). Sie ist auch keine Entschädigung i.S. des § 17 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG , da sie nicht „für” die (künftige) Aufgabe einer Gewinnbeteiligung gewährt, sondern lediglich durch eine solche (mit)verursacht wurde (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 2007 IV R 30/06 , BFH/NV 2008, 546 ; vom 12. Juni 1996 XI R 43/94, BFHE 180, 433 , BStBl II 1996, 516).

[25 ] d) Soweit dem Kläger die vereinbarte Zahlung als Gegenleistung für bestimmte Stillhalte-, Förder- und Wohlverhaltenspflichten zugeflossen ist, könnte diese als sonstige Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar sein. Entgegen der Auffassung der Kläger lässt sich aus dem (möglichen) Bestehen von Ansprüchen des Klägers aus dem Konsortialvertrag nicht zwingend schließen, dass die vereinbarte Zahlung ausschließlich als Ausgleich für einen entsprechenden Vermögensschaden geleistet wurde.

[26 ] 3. Die Sache ist gleichwohl nicht spruchreif. Der Senat kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht abschließend darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Zahlung —neben dem Entschädigungszweck— auch als (selbständige) Gegenleistung für die vom Kläger versprochenen Verhaltenspflichten dienen sollte. Darüber wird das FG im zweiten Rechtsgang zu befinden haben.

[27 ] a) Unter Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls wird das FG daher zunächst —dem Grunde nach— zu entscheiden haben, ob die Stillhalte-, Förder- und Wohlverhaltenspflichten als selbständige Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zu qualifizieren sind oder ob sie —mit Blick auf den bestehenden Entschädigungscharakter der Zahlung— lediglich unselbständige „Nebenleistungen” hierzu darstellen (vgl. zur Abgrenzung etwa BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1161 , zum Wettbewerbsverbot).

[28 ] b) Sind die Verhaltenspflichten danach als selbständige Leistungen anzusehen, wird das FG den hierauf entfallenden Entgeltanteil ermitteln. Dabei könnte insbesondere der Bedeutung des (erfolgreichen) Börsengangs für Abschluss, Ausgestaltung und Durchführung der Vergleichsvereinbarung Gewicht zukommen: Anhaltspunkte für eine Entgeltbemessung könnten sich dabei einerseits aus der Regelung in § 3 Ziff. 3.6 der Vergleichsvereinbarung, wonach der Kläger bei Verstoß gegen die ihm obliegenden —insoweit nicht näher differenzierten— Pflichten auf Verlangen (u.a.) des C eine Vertragsstrafe von jeweils mindestens . € hätte leisten müssen, als auch aus der Regelung in § 4 Ziff. 4.8 ergeben, wonach die Zahlungspflicht des C mit dem (durch den Kläger) ungestörten Börsengang der D steht und fällt. Bei der Ermittlung der Höhe etwaiger sonstiger Einkünfte wird das FG außerdem Feststellungen über Grund und Höhe der geltend gemachten Werbungskosten nachzuholen haben.

[29 ] 4. Da die Revision schon aus materiell-rechtlichen Gründen Erfolg hat, war auf die geltend gemachten Verfahrensrügen nicht mehr einzugehen.

 

Keine Zwangsläufigkeit von Kosten einer Teilungsversteigerung

 Leitsatz

1. Wer die Auflösung einer Grundstücksgemeinschaft durch Verkauf des gemeinschaftlichen, bislang vermieteten Grundstücks im Wege der Teilungsversteigerung beantragt, kann die damit verbundenen Prozess- und Anwaltskosten nicht deshalb als Werbungskosten absetzen, weil er rein hypothetisch die Möglichkeit hat, das Grundstück im Wege der Versteigerung selbst zu erwerben.

2. Wer die Auflösung einer Grundstücksgemeinschaft begehrt und —ohne das Scheidungsverfahren und die damit verbundene vermögensmäßige Auseinandersetzung abzuwarten— sogleich einen Antrag auf Teilungsversteigerung stellt, weil ihm eine Gemeinschaft mit dem geschiedenen Ehegatten nicht zumutbar erscheint, kann die dadurch entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten nicht als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

Vorinstanz: Sächsisches FG vom 13. September 2012 5 K 653/12 BFH IX R 41/12

 

 Gründe

I.

[1 ] Die Beteiligten streiten über die Abziehbarkeit von Aufwendungen für eine Teilungsversteigerung.

[2 ] Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war gemeinsam mit seiner seit dem Streitjahr (2009) von ihm geschiedenen Ehefrau Eigentümer eines vermieteten Grundstücks in T. Da die geschiedene Ehefrau einem gemeinsamen Verkauf nicht zustimmte und der Kläger die Gemeinschaft —weil unzumutbar— nicht aufrechterhalten wollte, beantragte er beim Amtsgericht, sie im Wege der Teilungsversteigerung aufzulösen.

[3 ] Im Rahmen eines Vergleichs im Scheidungsverfahren vor dem Familiengericht (12. Januar 2009) vereinbarten der Kläger und seine Ehefrau sodann, dass sie das Grundstück in T erhält und er eine Eigentumswohnung in B, die den früheren Eheleuten ebenfalls gemeinsam gehörte. Der Kläger sollte seine frühere Ehefrau von einem Kredit (Restschuld 55.000 €) freistellen und sie sollte ihm 25.000 € zahlen. Damit sollte zugleich der Unterhalt der Ehefrau für das Streitjahr getilgt sein. Das Amtsgericht hob daraufhin mit Beschluss vom 26. Januar des Streitjahres das Teilungsverfahren auf. Der Kläger trug Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe von insgesamt 1.656 €.

[4 ] Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte die Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung nicht. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Aufwendungen seien weder als Werbungskosten noch als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.

[5 ] Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die er auf Verletzung von Bundesrecht stützt. Die Kosten der Teilungsversteigerung stünden im Zusammenhang mit dem Alleinerwerb der Eigentumswohnung in B, aus der ebenfalls Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt würden. Außerdem bestünde ein Zusammenhang mit dem Grundstück in T. Die Teilungsversteigerung hätte auch zur Folge haben können, dem Kläger als möglichem Käufer Alleineigentum zu vermitteln, so dass er ungeteilt die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hätte erzielen können. Jedenfalls seien die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen nach den Maßstäben des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015) zu berücksichtigen.

[6 ] Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 23. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. April 2012 zu ändern und die Einkommensteuer für 2009 neu festzusetzen, indem das zu versteuernde Einkommen um 1.656 € gemindert wird.

[7 ] Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

[8 ] Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG es abgelehnt, die Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung steuermindernd zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei weder um Werbungskosten (1.) noch um außergewöhnliche Belastungen (2.).

[9 ] 1. Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG ) sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung abzuziehen, wenn sie bei ihr erwachsen, und das heißt, durch sie veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. das BFH-Urteil vom 28. September 2010 IX R 42/09 , BFHE 230, 567 , BStBl II 2011, 271). Daran fehlt es z.B., soweit die Aufwendungen ganz überwiegend durch die nicht steuerbare Veräußerung des Mietwohnobjekts veranlasst sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 24. Januar 2012 IX R 16/11 , BFH/NV 2012, 1108 , m.w.N.).

[10 ] Nach diesen Maßstäben hat das FG zutreffend einen Zusammenhang der Aufwendungen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgelehnt.

[11 ] a) Ein Zusammenhang mit den Einkünften aus der Vermietung des Grundstücks in T, dessen Teilungsversteigerung beantragt wurde, besteht nicht. Denn die Teilungsversteigerung zielte zunächst —wie das FG zutreffend hervorhebt— darauf ab, die Vermietungstätigkeit des Klägers zu beenden. Die rein hypothetische Annahme, er könnte letztlich als möglicher Käufer das Alleineigentum an dem Grundstück erwerben, vermag einen wirtschaftlichen Zusammenhang mit möglichen künftigen Einnahmen nicht zu begründen. Ferner war nach den Feststellungen des FG, die den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO binden, allein die persönliche Entscheidung des Klägers das auslösende Moment für den Aufwand, dass ihm eine Fortsetzung der Gemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau nicht zumutbar erschien und er eine gütliche Entscheidung nicht abwarten wollte. Da deshalb allein die private Lebensführung (§ 12 Nr. 1 EStG ) Ursache für den Aufwand war, darf er bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht abgezogen werden.

[12 ] b) Ein Zusammenhang des durch den Antrag auf Teilungsversteigerung verursachten Aufwands mit den aus der Eigentumswohnung in B erzielten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung besteht ebenfalls nicht. Es mag offenbleiben, inwieweit die Vereinbarung im Scheidungsverfahren zu Anschaffungskosten des Klägers in Bezug auf diese Wohnung führte. Denn er hat die Teilungsversteigerung über das Grundstück ja nicht angestrengt, um das Alleineigentum an der Eigentumswohnung in B zu erlangen, sondern weil er eine gütliche Einigung im Scheidungsverfahren, zu der es schließlich kam, nicht abwarten wollte. Das hat mit dem Alleinerwerb der Eigentumswohnung in B aufgrund der Vereinbarung im Scheidungsverfahren vom 12. Januar des Streitjahres nichts zu tun.

[13 ] c) Schließlich eröffnet auch die neue Rechtsprechung des Senats zum nachträglichen Schuldzinsenabzug (BFH-Urteil vom 20. Juni 2012 IX R 67/10 , BFHE 237, 368 ) keinen Werbungskostenabzug der Prozess- und Anwaltskosten. Maßgeblich für die Gewährung eines nachträglichen Schuldzinsenabzugs ist die Überlegung, dass der ursprüngliche Veranlassungszusammenhang zwischen Aufwand und steuerbaren und steuerpflichtigen Einkünften i.S. des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG durch eine Veräußerung der Immobilie nicht automatisch unterbrochen wird, sondern in bestimmten Fallgestaltungen (anteilig) fortbestehen kann. Im Gegensatz hierzu sind die Aufwendungen, um die es hier geht, ausschließlich veranlasst durch die auf einer privaten Motivation beruhende Entscheidung, die bisher bestehende, dem Zweck der Einkünfteerzielung dienende Gemeinschaft aus Gründen der (Un-)Zumutbarkeit aufzulösen und die Einkünfteerzielung zu beenden. Der Kläger kann sich daher schon nicht auf einen ursprünglich bestehenden, einkünftebezogenen Veranlassungszusammenhang berufen; auf die Frage, ob und ggf. inwieweit ein solcher an einem Surrogat fortbestehen könnte, kommt es überhaupt nicht an.

[14 ] 2. Die Aufwendungen sind auch nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.

[15 ] Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG ).

[16 ] a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind die Kosten nicht in den Zwangsverbund fallender familienrechtlicher und sonstiger Regelungen im Zusammenhang mit der Ehescheidung grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Eheleute sind in ihrer Entscheidung frei, wie sie ihre Verhältnisse untereinander güterrechtlich regeln. Deshalb stellen auch Kosten, die ihnen in Ausübung dieser Dispositionsfreiheit entstehen, keine unvermeidbare Belastung dar, die die steuerliche Freistellung des insoweit aufzuwendenden Einkommens gebietet (vgl. BFH-Urteile vom 30. Juni 2005 III R 36/03 , BFHE 210, 302 , BStBl II 2006, 491, und III R 27/04, BFHE 210, 306 , BStBl II 2006, 492). Dem folgt auch der erkennende Senat. Die Aufwendungen sind nicht zwangsläufig. Die notwendigen vermögensrechtlichen Regelungen können auch ohne Zivilprozess getroffen werden (so auch Mellinghoff in Kirchhof, EStG , 11. Aufl., § 33 Rz 54 Stichwort „Ehescheidung”; Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 233, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Darunter fällt auch die vermögensmäßige Auseinandersetzung des Klägers mit seiner früheren Ehefrau über das Grundstück in T.

[17 ] b) Die durch den Antrag auf Teilungsversteigerung entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten sind auch nicht unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Aus der Entscheidung des BFH in BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015 folgt nicht, sämtliche Kosten von Verfahren, bei dem ein Gericht zu beteiligen ist, als außergewöhnliche Belastungen zu qualifizieren. Die Unausweichlichkeit von Prozesskosten ergibt sich für den VI. Senat daraus, dass der Steuerpflichtige, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten muss (BFH-Urteil in BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015, Rz 14).

[18 ] Der erkennende Senat muss nicht entscheiden, ob er dieser Prämisse zustimmen könnte. Selbst wenn er das Urteil des VI. Senats (in BFHE 234, 30 , BStBl II 2011, 1015) anwenden würde, fehlte es im Streitfall bereits an der Unausweichlichkeit der Aufwendungen. Für den hier streitigen Antrag auf Teilungsversteigerung ergibt sich dazu Folgendes: Zwar muss der Steuerpflichtige nach § 753 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Zwangsversteigerung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG ) beantragen, für die das Amtsgericht mit der Folge zuständig ist (§§ 180 , 1 ZVG), dass Gerichtskosten notwendigerweise anfallen. Ob diese Aufwendungen damit aber stets zwangsläufig i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind, kann hier unerörtert bleiben. Denn der Kläger war nicht gezwungen, den Antrag auf Teilungsversteigerung zu stellen. Er konnte sein Recht auch ohne Zwangsversteigerung durchsetzen, so dass die damit zusammenhängenden Aufwendungen schon aus diesem Grund nicht zwangsläufig waren. Wie das FG zutreffend ausführt, hätte der Kläger die vermögensmäßige Auseinandersetzung —wie auch geschehen— im Zuge des Scheidungsverfahrens als Folgesache verlangen können. In der Tat kam es hier zu einer gütlichen Einigung über die vermögensmäßige Auseinandersetzung.

[19 ] Überdies hat der Kläger —wie dies das FG für den Senat bindend festgestellt hat— den Antrag auf Teilungsversteigerung allein aus persönlichen Gründen gestellt, weil ihm eine Fortsetzung der Gemeinschaft mit seiner geschiedenen Ehefrau nicht zumutbar erschien und er eine mögliche gütliche Einigung im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren nicht abwarten wollte. Es entspricht nicht dem Zweck des § 33 EStG , der der verminderten subjektiven Leistungsfähigkeit des Betroffenen Rechnung tragen will, die Allgemeinheit durch die Abziehbarkeit von Gerichts- und Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen an einer verfrühten, unabgestimmten und damit vermeidbaren Inanspruchnahme von Gerichten zu beteiligen.

 

Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting ist verfassungswidrig

Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und Ehen beim Ehegattensplitting ist verfassungswidrig. Die entsprechenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, da es an hinreichend gewichtigen Sachgründen für die Ungleichbehandlung fehlt. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem am 06.06.2013 veröffentlichten Beschluss entschieden. Die Rechtslage muss rückwirkend ab der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes zum 1. August 2001 geändert werden. Übergangsweise sind die bestehenden Regelungen zum Ehegattensplitting auch auf eingetragene Lebenspartnerschaften anzuwenden. Die Entscheidung ist mit 6:2 Stimmen ergangen; der Richter Landau und die Richterin Kessal-Wulf haben ein gemeinsames Sondervotum abgegeben.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

1. Das Einkommensteuergesetz ermöglicht Ehegatten, die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer zu wählen, was zur Anwendung des so genannten Splittingtarifs führt (§§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG). Die Beschwerdeführer beantragten nach Begründung eingetragener Lebenspartnerschaften für die Jahre 2001 und 2002 die Zusammenveranlagung mit ihren jeweiligen Lebenspartnern. Die Finanzverwaltung führte stattdessen Einzelveranlagungen durch. Die hiergegen gerichteten Klagen blieben vor den Finanzgerichten und dem Bundesfinanzhof erfolglos. Gegen diese Entscheidungen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Verfassungsbeschwerden.

2. Die §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes sind mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit sie eingetragenen Lebenspartnern anders als Ehegatten nicht die Möglichkeit der Zusammenveranlagung und die damit verbundene Anwendung des Splittingverfahrens eröffnen. Die angegriffenen Entscheidungen hat der Senat aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

a) Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften zum Ehegattensplitting stellt eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung dar. Auch wenn die Regelung selbst an den Familienstand anknüpft, ist doch die Entscheidung für eine Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft kaum trennbar mit der sexuellen Orientierung verbunden.

Im Fall der Ungleichbehandlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Anforderungen an die Rechtfertigung sind umso strenger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale an die des Art. 3 Abs. 3 GG annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Dies ist bei Differenzierungen nach der sexuellen Orientierung der Fall.

b) Allein der besondere Schutz der Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG vermag die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft nicht zu rechtfertigen. Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der in erster Linie dazu geeignet ist, die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften besser zu stellen, die durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägt sind. Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich verfasster Lebensformen einher, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung indes nicht.

Der Gesetzgeber hat die Lebenspartnerschaft von Anfang an in einer der Ehe vergleichbaren Weise als umfassende institutionalisierte Verantwortungsgemeinschaft verbindlich gefasst und bestehende Unterschiede kontinuierlich abgebaut. Wie die Ehe unterscheidet sich die Lebenspartnerschaft sowohl von ungebundenen Partnerbeziehungen als auch von den Rechtsbeziehungen zwischen Verwandten.

c) Es bedarf daher jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der die Begünstigung von Ehen gegenüber Lebenspartnerschaften gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel rechtfertigt. Ein solcher lässt sich für das Splittingverfahren weder aus dem Normzweck noch aus der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht herleiten.

aa) Zweck des 1958 eingeführten Splittingverfahrens ist es, Ehen unabhängig von der Verteilung des Einkommens zwischen den Ehegatten bei gleichem Gesamteinkommen gleich zu besteuern. Das Splittingverfahren nimmt hierbei den zivilrechtlichen Grundgedanken der Ehe als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs auf. Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft ist als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs ausgestaltet. Bereits seit ihrer Einführung im Jahr 2001 ist sie in ihren für die steuerrechtliche Anknüpfung wesentlichen Grundzügen mit der Ehe vergleichbar: Die wechselseitige Verpflichtungsbefugnis bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs sowie die eingeschränkte Verfügungsberechtigung über eigenes Vermögen sind in beiden Instituten identisch geregelt. Zudem mussten die Lebenspartner bereits seit 2001, wenn sie nicht einen Lebenspartnerschaftsvertrag schließen wollten, die so genannte Ausgleichsgemeinschaft vereinbaren, für die die Vorschriften für die eheliche Zugewinngemeinschaft entsprechend galten. Zum 1. Januar 2005 wurde explizit die Zugewinngemeinschaft als Regelgüterstand eingeführt. Darüber hinaus wurde der – bei Ehescheidungen erst seit 1977 stattfindende – Versorgungsausgleich auf die Aufhebung der Lebenspartnerschaft erstreckt.

Familienpolitische Intentionen vermögen die Ungleichbehandlung von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften bezüglich des Splittingverfahrens nicht zu rechtfertigen. Nach dem Einkommensteuergesetz hängt die Gewährung des Splittingvorteils allein von der Existenz einer Ehe ab, in der die Partner nicht dauernd getrennt leben. Unbeachtlich ist demgegenüber das Vorhandensein von Kindern sowie die Möglichkeit, dass während der Ehe gemeinsame Kinder der Ehepartner geboren werden.

Das Splittingverfahren erweitert den Spielraum der Ehepartner bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe und wird deshalb auch als Regelung angesehen, die vor allem für Familien gedacht ist, in denen ein Ehepartner wegen Familienarbeit (d. h. wegen Kindererziehung oder Pflege) nicht oder nur teilweise erwerbstätig ist. Jedoch erkennt auch das Lebenspartnerschaftsgesetz – ebenso wie das Eherecht – den Partnern Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung zu und geht von der Gleichwertigkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit aus. Unterschiede zwischen der Lebenssituation von Ehepartnern und Lebenspartnern, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, sind insoweit nicht zu erkennen. Zum einen gibt es nicht in jeder Ehe Kinder und ist nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Zum anderen werden zunehmend auch in Lebenspartnerschaften Kinder großgezogen; insoweit sind Ausgestaltungen denkbar und nicht völlig unüblich, in denen der eine der Lebenspartner schwerpunktmäßig die Betreuung der Kinder übernimmt.

bb) Die Privilegierung der Ehe im Verhältnis zur Lebenspartnerschaft lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers im Steuerrecht begründen.

Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen; die tatsächlichen Anknüpfungspunkte müssen im Normzweck angelegt sein. Typisierung setzt voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Der gesetzgeberische Spielraum für Typisierungen ist umso enger, je dichter die verfassungsrechtlichen Vorgaben außerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG sind. Er endet dort, wo die speziellen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG betroffen sind.

Der Umstand, dass eingetragene Lebenspartnerschaften und Ehen gleichermaßen als Gemeinschaften des Verbrauchs und Erwerbs konstituiert sind, geböte bei einer typisierenden Gruppenbildung eine steuerliche Gleichbehandlung.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung des Aufwachsens von Kindern kommt eine typisierende Begünstigung von Ehepaaren gegenüber eingetragenen Lebenspartnerschaften beim Splittingverfahren nicht in Betracht. Nach Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen entfallen zwar 91 % des gesamten Splittingvolumens auf Ehepaare mit aktuell oder früher steuerlich relevanten Kindern. Da der Splittingvorteil umso höher ist, je größer die Einkommensunterschiede zwischen beiden Partnern ausfallen, werden indes eingetragene Lebenspartnerschaften ebenso wie Ehen insbesondere dann vom Splitting profitieren, wenn in ihnen Kinder aufwachsen oder aufgewachsen sind und deshalb einer der Partner nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig ist. Dass der Kinderanteil bei eingetragenen Lebenspartnerschaften weit unter dem von Ehepaaren liegt, genügt für eine typisierende Beschränkung des Splittingverfahrens auf Ehepaare nicht. Die Benachteiligung von Lebenspartnerschaften beim Splittingverfahren ist ohne größere Schwierigkeiten für den Gesetzgeber und die Verwaltung vermeidbar. Auszublenden, dass auch in Lebenspartnerschaften Kinder aufwachsen, liefe auf eine mittelbare Diskriminierung gerade wegen der sexuellen Orientierung der Partner hinaus.

3. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft am 1. August 2001 zu beseitigen. Da er hierfür unterschiedliche Möglichkeiten hat, kommt vorliegend nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung, die der Gesetzgeber unverzüglich zu treffen hat, bleiben §§ 26, 26b, 32a Abs. 5 EStG zur Vermeidung einer Unsicherheit über die Rechtslage anwendbar mit der Maßgabe, dass auch eingetragene Lebenspartner, deren Veranlagungen noch nicht bestandskräftig durchgeführt sind, mit Wirkung ab dem 1. August 2001 unter den für Ehegatten geltenden Voraussetzungen eine Zusammenveranlagung und die Anwendung des Splittingverfahrens beanspruchen können.

Sondervotum des Richters Landau und der Richterin Kessal-Wulf:

1. Der Senat verkennt, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts am 1. Januar 2005 nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht als eine der Ehe vergleichbare Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch ausgestaltet war. Bereits dies rechtfertigt die Privilegierung der Ehe in den allein streitgegenständlichen Veranlagungsjahren 2001 und 2002, ohne dass es eines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 GG bedarf.

a) Die Ehe ist von Verfassungs wegen als Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs konzipiert, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen jeweils zur Hälfte teilhat. Die §§ 26, 26b und 32a EStG nehmen die zivil- und sozialversicherungsrechtliche Gestaltung der Ehe auf und führen sie für den Bereich des Einkommensteuerrechts fort. Der Gesetzgeber hat das Splittingverfahren als „Reflex“ der Zugewinngemeinschaft angesehen. Es wahrt und stärkt – dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG folgend – die eheliche Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch. Einem Ehepartner wird ermöglicht, ohne steuerliche Einbußen dauerhaft oder vorübergehend einer Beschäftigung in Teilzeit nachzugehen oder sich gar ausschließlich familiären Aufgaben zu stellen.

b) Für das Kriterium der Vergleichbarkeit sind das eheliche Güterrecht und das Recht des Versorgungsausgleichs daher in besonderem Maße bedeutsam; hinzu treten flankierende Regelungen im Sozialversicherungsrecht, insbesondere zur Hinterbliebenenversorgung. Diese konstitutiven Merkmale sind jedoch erst mit Wirkung zum 1. Januar 2005 auf die eingetragene Lebenspartnerschaft ausgedehnt worden. Die Übergangsvorschriften sahen keine zwingende rückwirkende Erstreckung auf bestehende Lebenspartnerschaften vor.

c) Die Lebenspartnerschaften der Beschwerdeführer sind daher – jedenfalls in den allein streitgegenständlichen Veranlagungsjahren 2001 und 2002 – nicht als Gemeinschaften von Erwerb und Verbrauch im Sinne der Splittingvorschriften anzusehen. Der Verweis des Senats auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaft- und Schenkungsteuer, zur Grunderwerbsteuer und zum besoldungsrechtlichen Familienzuschlag ist ungeeignet, das gegenteilige Ergebnis zu begründen. Keine der genannten Entscheidungen stellt Grundsätze auf, die auf den Bereich des Einkommensteuerrechts unbesehen übertragbar sind. Durch den bloßen Hinweis auf diese Entscheidungen setzt sich der Senat dem Vorwurf einer rein schematischen Fortführung der bisherigen Rechtsprechung aus.

Die Erstreckung des Splittingverfahrens auf eingetragene Lebenspartner für die Veranlagungsjahre vor 2005 läuft auf die Gewährung der einkommensteuerrechtlichen Vorteile einer Gemeinschaft von Erwerb und Verbrauch hinaus, ohne dass die hieraus spiegelbildlich erwachsenden Verpflichtungen zwischen den Lebenspartnern in auch nur annähernd vergleichbarem Umfang bestanden hätten. Auch blendet die Begründung des Senats aus, dass der Gesetzgeber bewusst von einer vollständigen Gleichstellung abgesehen und gerade die ökonomische Selbständigkeit beider Partner als gesetzliches Leitbild herausgestellt hat. Somit setzt der Senat seine Einschätzung an die Stelle des hierzu alleine berufenen Gesetzgebers.

2. Die Annahme des Senats, die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers rechtfertige nicht die festgestellte Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, entbehrt einer tragfähigen Begründung.

a) Der Senat räumt zwar ein, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Splittingverfahrens im Jahr 1958 auch familienpolitische Zwecke verfolgt hat. Er zieht daraus aber nicht den gebotenen Schluss, dass auch diese familienpolitische Funktion grundsätzlich geeignet ist, eine typisierende Privilegierung der Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu rechtfertigen, selbst wenn sie in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich gefasst sind. Entsprechend der sozialen Wirklichkeit konnte der Gesetzgeber bei der Einführung des Splittingverfahrens davon ausgehen, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Ehen auf die Erziehung von Kindern ausgerichtet war, und es – typisierend – nur vom Bestand der Ehe und nicht zusätzlich vom Vorhandensein von Kindern abhängig machen.

b) Heute wachsen zunehmend auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften Kinder auf. Hieraus kann jedoch nicht zwingend geschlossen werden, dass schon in den Veranlagungsjahren 2001 und 2002 der Gesamtheit der eingetragenen Lebenspartnerschaften das Splittingverfahren im Wege der Typisierung zu eröffnen gewesen wäre. Die Annahme des Senats, die steuerlichen Vorteile kämen auch bei Lebenspartnerschaften typischerweise solchen mit Kindern zugute, ist nicht belegt. Unbeantwortet bleibt zudem die für die Typisierung entscheidende Frage, wie hoch der Anteil der Lebenspartnerschaften gewesen ist, in denen Kinder erzogen wurden.

Etwaigen Ungleichbehandlungen von eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen Kinder erzogen werden oder wurden, hätte auch durch eine auf diese beschränkte Eröffnung des Splittingverfahrens Rechnung getragen werden können. Ein solcher Lösungsansatz ist durch den Senat, der ausschließlich auf die typisierende Einbeziehung der Lebenspartnerschaften abstellt, jedoch nicht vertieft worden.

3. Schließlich wäre es dem Gesetzgeber angesichts des familienpolitischen Normzwecks des Splittingverfahrens zuzubilligen gewesen, zunächst die eingetragene Lebenspartnerschaft im Hinblick auf ihre Vorwirkung für die Familie und Generationenfolge zu evaluieren und hieraus gegebenenfalls steuerliche Konsequenzen zu ziehen. Diesen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers übergeht der Senat durch seine rückwirkende Unvereinbarkeitserklärung und verengt dessen Gestaltungsmöglichkeiten zusätzlich. Dabei setzt sich der Senat zudem über die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinweg, wonach der Gesetzgeber einen mit dem Grundgesetz unvereinbaren Rechtszustand nicht rückwirkend beseitigen muss, wenn die Verfassungslage nicht hinreichend geklärt war.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 06.06.2013 zum Beschluss 2 BvR 909/06 u. a. vom 07.05.2013