Archiv der Kategorie: Einkommen- und Lohnsteuer

Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken

Umsatzsteuer: Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken; Konsequenzen des EuGH-Urteils vom 10. März 2011 – C-497/09 u. a – sowie der BFH-Urteile vom 8. Juni 2011, XI R 37/08, 30. Juni 2011, V R 3/07, V R 35/08, V R 18/10, 12. Oktober 2011, V R 66/09, und vom 23. November 2011, XI R 6/08 sowie der Verordnung (EU) Nr. 282/11 des Rates vom 15. März 2011 (ABl. EU Nr. L 77 S. 1)

Mit Urteilen vom 10. März 2011, C-497/09 u. a., 8. Juni 2011, XI R 37/08, 30. Juni 2011, V R 3/07, V R 35/08, V R 18/10, 12. Oktober 2011, V R 66/09, und vom 23. November 2011, XI R 6/08, haben der EuGH und der BFH zur Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken Recht gesprochen1.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Anwendung der Urteile

Neben den genannten Urteilen ist für nach dem 30. Juni 2011 ausgeführte Umsätze Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 282/11 des Rates vom 15. März 2011, ABl. EU Nr. L 77 S. 1, (MwStVO) zu berücksichtigen. Nach Artikel 6 Abs. 1 MwStVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als sonstige
1 Die Urteile werden zeitgleich im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.

Leistung. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt. Auf die Zubereitung kommt es demnach nicht an. Soweit die genannten Urteile für die Beurteilung eines Umsatzes an die Komplexität der Zubereitung von Speisen anknüpfen, sind sie für nach dem 30. Juni 2011 ausgeführte Umsätze nicht mehr anzuwenden.

II. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Abschnitt 3.6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 7. März 2013 – IV D 2 – S 7105/11/10001 (2013/0213861) – geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
„3.6. Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken

(1) Verzehrfertig zubereitete Speisen können sowohl im Rahmen einer ggfs. ermäßigt besteuerten Lieferung als auch im Rahmen einer nicht ermäßigt besteuerten sonstigen Leistung abgegeben werden. Die Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen richtet sich dabei nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. Abschnitt 3.5). Nach Artikel 6 Abs. 1 MwStVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken zusam-men mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als sonstige Leistung. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt. Ob der Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Umsatzes zu beurteilen. Bei dieser wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls sind nur solche Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden sind (vgl. Absatz 3). Dienstleistungselemente, die notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden sind, bleiben bei der vorzunehmenden Prüfung unberücksichtigt (vgl. Absatz 2). Ebenso sind Dienstleistungen des speiseabgebenden Unternehmers oder Dritter, die in keinem Zusammen-hang mit der Abgabe von Speisen stehen (z. B. Vergnügungsangebote in Freizeitparks, Leistungen eines Pflegedienstes oder Gebäudereinigungsleistungen außerhalb eigenständiger Cateringverträge), nicht in die Prüfung einzubeziehen.

(2) Insbesondere folgende Elemente sind notwendig mit der Vermarktung verzehrfertiger Speisen verbunden und im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen:
− Darbietung von Waren in Regalen;
− Zubereitung der Speisen;
− Transport der Speisen und Getränke zum Ort des Verzehrs einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Leistungen wie Kühlen oder Wärmen, der hierfür erforderlichen Nutzung von besonderen Behältnissen und Geräten sowie der Vereinbarung eines festen Lieferzeitpunkts;
− Übliche Nebenleistungen (z. B. Verpacken, Beigabe von Einweggeschirr oder -besteck);
− Bereitstellung von Papierservietten;
− Abgabe von Senf, Ketchup, Mayonnaise, Apfelmus oder ähnlicher Beigaben;
− Bereitstellung von Abfalleimern an Kiosken, Verkaufsständen, Würstchenbuden usw.;
− Bereitstellung von Einrichtungen und Vorrichtungen, die in erster Linie dem Verkauf von Waren dienen (z. B. Verkaufstheken und -tresen sowie Ablagebretter an Kiosken, Verkaufsständen, Würstchenbuden usw.);
− bloße Erstellung von Leistungsbeschreibungen (z. B. Speisekarten oder -pläne);
− allgemeine Erläuterung des Leistungsangebots;
− Einzug des Entgelts für Schulverpflegung von den Konten der Erziehungsberechtigten.
Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, stellt stets eine Lieferung dar (Artikel 6 Abs. 2 MwStVO). Die Sicherstellung der Verzehrfertigkeit während des Transports (z. B. durch Warmhalten in besonderen Behältnissen) sowie die Vereinbarung eines festen Zeit-punkts für die Übergabe der Speisen an den Kunden sind unselbständiger Teil der Beförde-rung und daher nicht gesondert zu berücksichtigen. Die Abgabe von Waren aus Verkaufsautomaten ist stets eine Lieferung.

(3) Nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbundene und damit für die Annahme einer Lieferung schädliche Dienstleistungselemente liegen vor, soweit sich der leistende Unternehmer nicht auf die Ausübung der Handels- und Verteilerfunktion des Lebensmitteleinzelhandels und des Lebensmittelhandwerks beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 24. 11. 1988, V R 30/83, BStBl 1989 II S. 210). Insbesondere die folgenden Elemente sind nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden und daher im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen:
− Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur (vgl. Absatz 4);
− Servieren der Speisen und Getränke;
− Gestellung von Bedienungs-, Koch- oder Reinigungspersonal;
− Durchführung von Service-, Bedien- oder Spülleistungen im Rahmen einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur oder in den Räumlichkeiten des Kunden;
− Nutzungsüberlassung von Geschirr oder Besteck;
− Überlassung von Mobiliar (z. B. Tischen und Stühlen) zur Nutzung außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers;
− Reinigung bzw. Entsorgung von Gegenständen, wenn die Überlassung dieser Gegen-stände ein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 10. 8. 2006, V R 55/04, BStBl 2007 II S. 480);
− Individuelle Beratung bei der Auswahl der Speisen und Getränke;
− Beratung der Kunden hinsichtlich der Zusammenstellung und Menge von Mahlzeiten für einen bestimmten Anlass.
Erfüllen die überlassenen Gegenstände (Geschirr, Platten etc.) vornehmlich Verpackungs-funktion, stellt deren Überlassung kein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement dar. In diesem Fall ist auch die anschließende Reinigung bzw. Entsorgung der überlassenen Gegenstände bei der Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen.
Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur

(4) Die Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur stellt ein im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigendes Dienstleistungselement dar. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die Bereitstellung von Vorrichtungen, die den bestimmungsgemäßen Ver-zehr der Speisen und Getränke an Ort und Stelle fördern sollen (z. B. Räumlichkeiten, Tische und Stühle oder Bänke, Bierzeltgarnituren). Auf die Qualität der zur Verfügung gestellten Infrastruktur kommt es nicht an. Daher genügt eine Abstellmöglichkeit für Speisen und Getränke mit Sitzgelegenheit für die Annahme einer sonstigen Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II S. ___). Daneben sind beispielsweise die Bereitstellung von Garderoben und Toiletten in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Eine in erster Linie zur Förderung der Bewirtung bestimmte Infrastruktur muss nicht einer ausschließlichen Nutzung durch die verzehrenden Kunden vorbehalten sein. Duldet der Unternehmer daneben eine Nutzung durch andere Personen, steht dies einer Berücksichtigung nicht entgegen. Vor-richtungen, die nach ihrer Zweckbestimmung im Einzelfall nicht in erster Linie dazu dienen, den Verzehr von Speisen und Getränken zu erleichtern (z. B. Stehtische und Sitzgelegenhei-ten in den Wartebereichen von Kinofoyers sowie die Bestuhlung in Kinos, Theatern und Stadien, Parkbänke im öffentlichen Raum, Nachttische in Kranken- und Pflegezimmern), sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 3/07, BStBl 2013 II). Dies gilt auch dann, wenn sich an diesen Gegenständen einfache, behelfsmäßige Vorrichtungen befinden, die den Verzehr fördern sollen (z. B. Getränkehalter, Ablagebretter). Nicht zu berücksichtigen sind außerdem behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen, wie z. B. Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit oder Stehtische. Sofern die Abgabe der Speisen und Getränke zum Verzehr vor Ort erfolgt, kommt es jedoch nicht darauf an, dass sämtliche bereitgestellte Einrichtungen tatsächlich genutzt werden. Vielmehr ist das bloße Zur-Verfügung-Stellen ausreichend. In diesem Fall ist auf sämtliche Vor-Ort-Umsätze der allgemeine Steuersatz anzuwenden. Für die Berücksichtigung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur ist die Zweckabrede zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblich. Bringt der Kunde zum Ausdruck, dass er eine Speise vor Ort verzehren will, nimmt diese anschließend jedoch mit, bleibt es bei der Anwendung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes. Werden Speisen sowohl unter Einsatz von nicht zu berücksichtigenden Infrastrukturelementen (z. B. in Wartebereichen von Kinos) als auch hiervon getrennt in Gastronomiebereichen abgegeben, ist eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Bereiche vorzunehmen.

(5) Die in Absatz 3 genannten Elemente sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kunden vom speiseabgebenden Unternehmer im Rahmen einer einheitlichen Leistung zur Verfügung gestellt werden und vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II). Von Dritten erbrachte Dienstleistungselemente sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Voraussetzung für eine Nichtberücksichtigung ist, dass der Dritte unmittelbar gegenüber dem verzehrenden Kunden tätig wird. Es ist daher im Einzelfall – ggf. unter Berücksichtigung von getroffenen Vereinbarungen – zu prüfen, inwieweit augenscheinlich von einem Dritten erbrachte Dienstleistungselemente dem speiseabgebenden Unternehmer zuzurechnen sind. Leistet der Dritte an diesen Unternehmer und dieser wiederum an den Kunden, handelt es sich um ein Dienstleistungselement des speiseabgebenden Unternehmers, das im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist.

(6) Die in den Absätzen 1 bis 5 dargestellten Grundsätze gelten gleichermaßen für Imbissstände wie für Verpflegungsleistungen in Kindertagesstätten, Schulen und Kantinen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder ähnlichen Einrichtungen, bei Leistungen von Catering-Unternehmen (Partyservice) und Mahlzeitendiensten („Essen auf Rädern“). Sie gelten ebenso für unentgeltliche Wertabgaben. Ist der Verzehr durch den Unternehmer selbst als sonstige Leistung anzusehen, liegt eine unentgeltliche Wertabgabe § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG vor, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegt. Für unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b UStG – z. B. Entnahme von Nahrungsmitteln durch einen Gastwirt zum Verzehr in einer von der Gaststätte getrennten Wohnung – kommt der ermäßigte Steuersatz in Betracht. Auf die jährlich im BStBl Teil I veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben (Sachentnahmen) wird hingewiesen (vgl. Abschnitt 10.6 Abs. 1 Satz 6).

Beispiel 1:
Der Betreiber eines Imbissstandes gibt verzehrfertige Würstchen, Pommes frites usw. an seine Kunden in Pappbehältern oder auf Mehrweggeschirr ab. Der Kunde erhält dazu eine Serviette, Einweg- oder Mehrwegbesteck und auf Wunsch Ketchup, Mayonnaise oder Senf. Der Imbissstand verfügt über eine Theke, an der Speisen im Stehen eingenommen werden können. Der Betreiber hat vor dem Stand drei Stehtische aufgestellt. 80% der Speisen werden zum sofortigen Verzehr abgegeben. 20 % der Speisen werden zum Mit-nehmen abgegeben.

Unabhängig davon, ob die Kunden die Speisen zum Mitnehmen oder zum Verzehr an Ort und Stelle erwerben, liegen insgesamt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Die erbrachten Dienstleistungselemente (Bereitstellung einfachster Verzehrvorrichtungen wie einer Theke und Stehtischen sowie von Mehrweggeschirr) führen bei einer wertenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs auch hinsichtlich der vor Ort verzehrten Speisen nicht zur Annahme einer sonstigen Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 8. 6. 2011, XI R 37/08, BStBl 2013 II, und vom 30. 6. 2011, V R 35/08, BStBl 2013 II). Die Qualität der Speisen und die Komplexität der Zubereitung haben auf die Beurteilung des Sachverhalts keinen Einfluss.

Beispiel 2:
Wie Beispiel 1, jedoch verfügt der Imbissstand neben den Stehtischen über aus Bänken und Tischen bestehende Bierzeltgarnituren, an denen die Kunden die Speisen einnehmen können.
Soweit die Speisen zum Mitnehmen abgegeben werden, liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Soweit die Speisen zum Verzehr vor Ort abgegeben werden, liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Mit der Bereitstellung der Tische und der Sitzgelegenheiten wird die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II). Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Sitzgelegenheiten kommt es nicht an. Maßgeblich ist die Absichtserklärung des Kunden, die Speisen vor Ort verzehren zu wollen.

Beispiel 3:
Der Catering-Unternehmer A verabreicht in einer Schule auf Grund eines mit dem Schul-träger geschlossenen Vertrags verzehrfertig angeliefertes Mittagessen. A übernimmt mit eigenem Personal die Ausgabe des Essens, die Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks.
Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Neben den Speisenlieferungen werden Dienstleistungen erbracht, die nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden sind (Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen, Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks) und die bei Gesamtbetrachtung des Vorgangs das Lieferelement qualitativ überwiegen.

Beispiel 4:
Ein Schulverein bietet in der Schule für die Schüler ein Mittagessen an. Das verzehrfertige Essen wird von dem Catering-Unternehmer A dem Schulverein in Warmhaltebehältern zu festgelegten Zeitpunkten angeliefert und anschließend durch die Mitglieder des Schulvereins an die Schüler ausgegeben. Das Essen wird von den Schülern in einem Mehrzweck-raum, der über Tische und Stühle verfügt, eingenommen. Der Schulverein übernimmt auch die Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks.

Der Catering-Unternehmer A erbringt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, da sich seine Leistung auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt.

Der Schulverein erbringt sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG. Neben den Speisenlieferungen werden Dienstleistungen erbracht, die nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden sind (Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen, Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks) und die bei Gesamt-betrachtung des Vorgangs das Lieferelement qualitativ überwiegen. Bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen können die Umsätze dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG unterliegen.

Beispiel 5:
Wie Beispiel 4, jedoch beliefert der Catering-Unternehmer A den Schulverein mit Tief-kühlgerichten. Er stellt hierfür einen Tiefkühlschrank und ein Auftaugerät (Regeneriertechnik) zur Verfügung. Die Endbereitung der Speisen (Auftauen und Erhitzen) sowie die Ausgabe erfolgt durch den Schulverein.

Der Catering-Unternehmer A erbringt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Die Bereitstellung der Regeneriertechnik stellt eine Nebenleistung zur Speisenlieferung dar.

Beispiel 6:
Ein Unternehmer beliefert ein Krankenhaus mit Mittag- und Abendessen für die Patienten. Er bereitet die Speisen nach Maßgabe eines mit dem Leistungsempfänger vereinbarten Speiseplans in der Küche des auftraggebenden Krankenhauses fertig zu. Die Speisen wer-den zu festgelegten Zeitpunkten in Großgebinden an das Krankenhauspersonal übergeben, das den Transport auf die Stationen, die Portionierung und Ausgabe der Speisen an die Patienten sowie die anschließende Reinigung des Geschirrs und Bestecks übernimmt. Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt. Die durch das Krankenhauspersonal erbrachten Dienstleistungselemente sind bei der Beurteilung des Gesamtvorgangs nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 7:
Sachverhalt wie im Beispiel 6. Ein Dritter ist jedoch verpflichtet, das Geschirr und Besteck in der Küche des Krankenhauses zu reinigen.

Soweit dem Unternehmer die durch den Dritten erbrachten Spülleistungen nicht zuzurechnen sind, beschränkt sich seine Leistung auch in diesem Fall auf die Abgabe von zubereiteten Speisen ohne andere unterstützende Dienstleistungen. Es liegen daher ebenfalls begünstigte Lieferungen an das Krankenhaus vor.

Beispiel 8:
Ein Unternehmer bereitet mit eigenem Personal die Mahlzeiten für die Patienten in der angemieteten Küche eines Krankenhauses zu, transportiert die portionierten Speisen auf die Stationen und reinigt das Geschirr und Besteck. Die Ausgabe der Speisen an die Patienten erfolgt durch das Krankenhauspersonal.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Die Reinigung des Geschirrs und Bestecks ist im Rahmen der Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen, da die Überlassung dieser Gegenstände kein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement darstellt.

Beispiel 9:
Eine Metzgerei betreibt einen Partyservice. Nachdem der Unternehmer die Kunden bei der Auswahl der Speisen, deren Zusammenstellung und Menge individuell beraten hat, bereitet er ein kalt-warmes Büffet zu. Die fertig belegten Platten und Warmhaltebehälter wer-den von den Kunden abgeholt oder von der Metzgerei zu den Kunden geliefert. Die leeren Platten und Warmhaltebehälter werden am Folgetag durch den Metzger abgeholt und gereinigt.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen, ggf. deren Beförderung sowie die Beratung beschränkt. Die Überlassung der Platten und Warmhaltebehälter besitzt vornehmlich Verpackungscharakter und führt bei der Gesamtbetrachtung des Vorgangs auch zusammen mit dem zu berücksichtigenden Dienstleistungselement „Beratung“ nicht zu einem qualitativen Überwiegen der Dienstleistungselemente. Da die Platten und Warmhaltebehälter vornehmlich Verpackungsfunktion besitzen, ist deren Reinigung nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 10:
Sachverhalt wie Beispiel 9, zusätzlich verleiht die Metzgerei jedoch Geschirr und/oder Besteck, das vor Rückgabe vom Kunden zu reinigen ist.

Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Das Geschirr erfüllt in diesem Fall keine Verpackungsfunktion. Mit der Überlassung des Geschirrs und des Bestecks in größerer Anzahl tritt daher ein Dienstleistungselement hinzu, durch das der Vorgang bei Betrachtung seines Gesamtbildes als nicht begünstigte sonstige Leistung anzusehen ist. Unerheblich ist dabei, dass das Geschirr und Besteck vom Kunden gereinigt zurückgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 23. 11. 2011, XI R 6/08, BStBl 2013 II).

Beispiel 11:
Der Betreiber eines Partyservice liefert zu einem festgelegten Zeitpunkt auf speziellen Wunsch des Kunden zubereitete, verzehrfertige Speisen in warmem Zustand für eine Feier seines Auftraggebers an. Er richtet das Buffet her, indem er die Speisen in Warmhaltevorrichtungen auf Tischen des Auftraggebers anordnet und festlich dekoriert.
Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Die Überlassung der Warmhaltevorrichtungen erfüllt zwar vornehmlich eine Verpackungsfunktion. Sie führt bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs zusammen mit den zu berücksichtigenden Dienstleistungselementen (Herrichtung des Büffets, Anordnung und festliche Dekoration) jedoch zu einem qualitativen Überwiegen der Dienstleistungselemente.

Beispiel 12:
Der Betreiber eines Partyservice liefert auf speziellen Wunsch des Kunden zubereitete, verzehrfertige Speisen zu einem festgelegten Zeitpunkt für eine Party seines Auftraggebers an. Der Auftraggeber erhält darüber hinaus Servietten, Einweggeschirr und -besteck. Der Betreiber des Partyservice hat sich verpflichtet, das Einweggeschirr und -besteck abzuholen und zu entsorgen.

Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs überwiegen die zu berücksichtigenden Dienstleistungselemente (Überlassung von Einweggeschirr und -besteck in größerer Anzahl zusammen mit dessen Entsorgung) das Lieferelement qualitativ.

Beispiel 13:
Wie Beispiel 12, jedoch entsorgt der Kunde das Einweggeschirr und -besteck selbst.
Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Da der Kunde die Entsorgung selbst übernimmt, beschränkt sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unter-stützende Dienstleistungen.

Beispiel 14:
Ein Mahlzeitendienst übergibt Einzelabnehmern verzehrfertig zubereitetes Mittag- und Abendessen in Warmhaltevorrichtungen auf vom Mahlzeitendienst zur Verfügung gestelltem Geschirr, auf dem die Speisen nach dem Abheben der Warmhaltehaube als Einzelportionen verzehrfertig angerichtet sind. Dieses Geschirr wird – nach einer Vorreinigung durch die Einzelabnehmer – zu einem späteren Zeitpunkt vom Mahlzeitendienst zurückgenommen und endgereinigt.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Da das Geschirr vornehmlich eine Verpackungsfunktion erfüllt, überwiegt seine Nutzungsüberlassung sowie Endreinigung das Lieferelement nicht qualitativ. Auf das Material oder die Form des Geschirrs kommt es dabei nicht an.

Beispiel 15:
Ein Mahlzeitendienst übergibt Einzelabnehmern verzehrfertig zubereitetes Mittag- und Abendessen in Transportbehältnissen und Warmhaltevorrichtungen, die nicht dazu bestimmt sind, dass Speisen von diesen verzehrt werden. Die Ausgabe der Speisen auf dem Geschirr der Einzelabnehmer und die anschließende Reinigung des Geschirrs und Bestecks in der Küche der Einzelabnehmer übernimmt der Pflegedienst des Abnehmers. Zwischen Mahlzeiten- und Pflegedienst bestehen keine Verbindungen.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Mahlzeitendienstes auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt. Die Leistungen des Pflegedienstes sind bei der Beurteilung des Gesamtvorgangs nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 16:
Verschiedene Unternehmer bieten in einem zusammenhängenden Teil eines Einkaufszentrums diverse Speisen und Getränke an. In unmittelbarer Nähe der Stände befinden sich Tische und Stühle, die von allen Kunden der Unternehmer gleichermaßen genutzt werden können (sog. „Food Court“). Für die Rücknahme des Geschirrs stehen Regale bereit, die von allen Unternehmern genutzt werden.

Soweit die Speisen zum Mitnehmen abgegeben werden, liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Soweit die Speisen zum Verzehr vor Ort abgegeben werden, liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Maßgeblich ist die Absichtserklärung des Kunden, die Speisen mitnehmen oder vor Ort verzehren zu wollen. Die gemeinsam genutzte Infrastruktur ist allen Unternehmern zuzurechnen. Einer Berücksichtigung beim einzelnen Unternehmer steht nicht entgegen, dass die Tische und Stühle auch von Personen genutzt werden, die keine Speisen oder Getränke verzehren.“

Dieses Schreiben tritt mit Wirkung vom 1. Juli 2011 an die Stelle der Schreiben vom 16. Oktober 2008 – IV B 8 – S 7100/07/10050 (2008/0541679) – (BStBl I S. 949) und vom 29. März 2010 – IV D 2 – S 7100/07/10050 (2010/0227270) – (BStBl I S. 330). Beruft sich der Unternehmer für vor dem 1. Oktober 2013 ausgeführte Umsätze auf eine nach diesen Schreiben günstigere Besteuerung, wird dies nicht beanstandet.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht und steht ab sofort für eine Übergangszeit auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen (http://www.bundesfinanzministerium.de) unter der Rubrik Themen – Steuern – Steuerarten – Umsatzsteuer – zum Herunterladen bereit.

Zum Vorliegen eines Steuerstundungsmodells

Das Halten einer Schuldverschreibung über die Beteiligung an einer verwaltenden Personengesellschaft kann ein Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b EStG darstellen. § 15b EStG ist nicht verfassungswidrig (FG Hessen, Urteil v. 17.10.2012 – 1 K 2343/08; Revision anhängig).

 

1. Der Senat kann in der Sache über die Klage entscheiden. Insbesondere war nicht den Anträgen der Beteiligten zu folgen und das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BFH in dem dort anhängigen Revisionsverfahren 1 R 39/11 gegen ein Urteil des FG Baden-Württemberg vom 30. März 2011 (4 K 1723/09, DStRE 2012, 315) anzuordnen.

Gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn die Beteiligten dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Beteiligten halten die Anordnung der Verfahrensruhe für geboten, weil der dem genannten Revisionsverfahren zu Grunde liegende Sachverhalt dem vorliegenden vergleichbar sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar lag dem Urteil des FG Baden-Württemberg ausweislich des mitgeteilten Sachverhalts ebenfalls eine Kapitalanlage im Wege der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Kommanditgesellschaft, die ihrerseits in zu 100 % fremdfinanzierte, speziell entwickelte, an ein Referenzaktivum geknüpfte und einen festen sowie einen variablen Zins beinhaltende Schuldverschreibungen investiert hatte, zu Grunde. Indessen war, abweichend vom vorliegenden Sachverhalt, an der dortigen vermögensverwaltenden KG als weiterer Gesellschafter eine ausländische Familienstiftung mit Sitz in Liechtenstein beteiligt. Das FG Baden-Württemberg hat sich in dem Urteil mit der Frage eines Steuerstundungsmodells nicht auseinandergesetzt, sondern aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 Abgabenordnung (AO) angenommen. Dem Revisionsverfahren gegen dieses Urteil liegt die Frage zu Grunde, ob ein steuerrechtlicher Gestaltungsmissbrauch vorliegt, wenn der Stiftungszweck einer ausländischen Stiftung erst nach 8 Jahren erfüllt wird und ob bejahendenfalls für solch eine rechtsmissbräuchlich gegründete Stiftung eine Feststellung von Verlusten ausgeschlossen ist. Der Senat vermag angesichts dessen derzeit nicht zu erkennen, ob sich die Entscheidung im Revisionsverfahren überhaupt mit der hier maßgeblichen Frage des Vorliegens eines Steuerstundungsmodells befasst.

2. Die Klage ist unbegründet.

Die Feststellung von unter § 20 Abs. 2 b EStG i.V.m. § 15 b EStG fallende Werbungskosten der Klägerin in Höhe von … € und eines nicht ausgleichs-/abzugsfähigen Verlustes der Kommanditistin der Klägerin für das Streitjahr 2006 in gleicher Höhe gemäß § 20 Abs. 2 b EStG i.V.m. § 15 b EStG im angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes der Klägerin ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

a) Gemäß § 15 b Abs. 4 Satz 1 EStG ist der nach Abs. 1 dieser Vorschrift nicht ausgleichsfähige Verlust im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell jährlich gesondert festzustellen. Diese Feststellung ist einheitlich durchzuführen, wenn es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine Gesellschaft im Sinne des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO handelt und die Feststellung mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte verbunden wird (§ 15 b Abs. 4 Satz 5, 2. Halbsatz EStG).

b) Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass es sich bei der Gründung der Klägerin zum Zwecke des Erwerbs einer zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonusabrede bei Kopplung des variablen Bonuszins an die Entwicklung eines Indexwertes durch deren einzige Kommanditistin im Dezember des Streitjahres und dem Erwerb der „Inhaberschuldverschreibung 2006/2016 mit Bonuszinsabrede” der L durch die Klägerin um ein Steuerstundungsmodell i.S.d. § 15 b Abs. 1 EStG handelt.

aa) Bei der von der Klägerin erworbenen „Inhaberschuldverschreibung 2006/2016 mit Bonuszinsabrede” handelt es sich um eine Kapitalanlage, aus der sie Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung erzielt, da die Zinserträge den in einer der anderen Ziffern des § 20 Abs. 1 EStG genannten Einkünften nicht zugerechnet werden können.

Nach der Vorschrift des durch Art. 1 Nr. 13 Buchst. b des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 ( BGBl 2006 I S. 2878) in § 20 EStG eingeführten und gemäß § 52 Abs. 37 d EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2006 anzuwendenden Abs. 2 b Satz 1 ist auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen nach den vorhergehenden Absätzen § 15 b EStG sinngemäß anzuwenden mit der Folge, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 b EStG negative Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Absätze 1 und 2 EStG der eingeschränkten Verlustverrechnung unterliegen.

bb) Gemäß § 15 b Abs. 1 EStG dürfen Verluste in Verbindung mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden und auch nicht nach § 10 d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt.

Ein Steuerstundungsmodell iSd § 15 b Abs. 1 EStG liegt vor, wenn aufgrund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen (§ 15 b Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen (§ 15 b Abs. 2 Satz 2 EStG). Dabei ist es ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen (§ 15 b Abs. 2 Satz 3 EStG).

Dem vorliegenden Erwerb der Schuldverschreibung der L liegt ein vorgefertigtes Konzept zugrunde.

Allerdings definiert das Gesetz diesen Begriff nicht. Auch in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/107, S. 6, 7) und in den Erläuterungen der Bundesregierung in den Beratungen im Finanzausschuss im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 106/254, S. 5) wird der Begriff des vorgefertigten Konzepts nicht definiert, sondern vorausgesetzt, wenn in diesem Zusammenhang davon gesprochen wird, dass für die Modellhaftigkeit das Vorhandensein eines vorgefertigten Konzepts, das auf die Erzielung steuerlicher Vorteile ausgerichtet sei, spreche, und dass das Konzept typischerweise, wenn auch nicht zwingend, durch die beispielhaft aufgezählten Medien (Anlegerprospekt, Katalog, Verkaufsunterlagen, Beratungsbögen usw.) vermarktet werde.

Das Anwendungsschreiben des BMF zu § 15 b EStG vom 17. Juli 2007 (a.a.O.) führt hierzu unter Tz 8 aus, dass für die Frage der Modellhaftigkeit vor allem die Kriterien „vorgefertigtes Konzept” und „gleichgerichtete Leistungsbeziehungen, die im Wesentlichen identisch sind”, maßgeblich seien. Für die Modellhaftigkeit typisch sei die Bereitstellung eines Bündels an Haupt-, Zusatz- und Nebenleistungen. Zusatz- oder Nebenleistungen führten dann zur Modellhaftigkeit eines Vertragswerks, wenn sie es nach dem zugrunde liegenden Konzept ermöglichten, den sofort abziehbaren Aufwand zu erhöhen. Im Übrigen wird der Begriff in Tz 10 Satz 5 negativ dahingehend abgegrenzt, dass es sich nicht um ein vorgefertigtes Konzept handele, wenn der Anleger die einzelnen Leistungen und Zusatzleistungen sowie deren Ausgestaltung vorgebe.

Dabei orientieren sich einerseits sowohl die Gesetzesbegründung als auch das BMF-Anwendungsschreiben ersichtlich an den klassischen Anlageformen, insb. Fondsgesellschaften, indem sie das Vokabular des Anwendungsschreibens des BMF vom 22. August 2001 (BStBl I 2001, 588) zur Vorgängervorschrift des § 2 b EStG übernehmen, das seinerseits in erster Linie auf die Beteiligung von Steuerpflichtigen an Verlustzuweisungsgesellschaften in der Regel in der Form geschlossener Fonds abstellt.

Andererseits sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auch Anlage- und Investitionstätigkeiten mit modellhaftem Charakter von Einzelpersonen von der Regelung erfasst werden (BT-Drs 16/107, S. 6). Insoweit beschränken sich die Erläuterungen im BMF-Schreiben vom 17. Juli 2007 (Tz 7) indessen wiederum auf die Nennung einer bereits im BMF-Schreiben vom 22. August 2001 (Tz 11, 12) beschriebenen Investition in eine mit einem Darlehen gekoppelte Lebens- und Rentenversicherung gegen Einmalbetrag.

Jedenfalls lässt sich der Begründung des Gesetzes und den Erläuterungen der Bundesregierung in den Beratungen im Finanzausschuss im Gesetzgebungsverfahren der Wille des Gesetzgebers entnehmen, Steuerstundungsmodellen, die ein extrem hohes Verlustverrechnungspotential in der Anfangsphase einer Investition generieren, die Anerkennung zu versagen, und in diesem Zusammenhang nicht nur die klassischen Anlageformen, insb. Fondgesellschaften, sondern auch Einzelinvestitionen zu erfassen.

Nach dem Sprachgebrauch ist der Begriff des Konzepts als Plan für ein bestimmtes Vorhaben zu begreifen. Es ist das Ergebnis eines Prozesses des Erkennens und Entwickelns von Zielen und daraus abgeleiteten Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung eines größeren strategisch zu planenden Vorhabens (vgl. z.B. die Erläuterungen in „Wikipedia” zu den Begriffen Konzept und Konzeption).

Ein Konzept in diesem Sinne ist vorgefertigt, wenn der Anwender es vorfindet und zumindest die wesentlichen Grundlagen für ein geplantes Vorhaben einsetzen kann und nicht erst selbst die Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung seines Vorhabens entwickeln muss.

Der Senat versteht daher unter einem vorgefertigten Konzept im Kontext der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung des skizzierten gesetzgeberischen Willens einen Gesamtplan eines vom an der Anlage Interessierten verschiedenen Dritten, der durch die Entwicklung einzelner oder einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Leistungen und Maßnahmen die Erreichung des angestrebten Ziels – hier das Generieren hoher verrechenbarer Verluste in der Anfangsphase einer Investition – ermöglichen soll und der jedenfalls in seinen wesentlichen Grundzügen vom Interessenten verwendet werden kann und auch in einer Vielzahl anderer Fälle unabhängig von der äußeren Gestaltung im Einzelnen verwendbar ist. Dabei ist das Bewerben und Vermarkten eines derartigen Plans kein ausschlaggebendes Kriterium. Dem Anbieten gegenüber einem größeren Verkehrskreis mittels unterschiedlicher Medien kann allenfalls indizielle Bedeutung zukommen.

cc) Bei Anwendung dieser Begrifflichkeiten stellt die vorliegend streitige Investition in eine Schuldverschreibung über die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft eine modellhafte Gestaltung im Sinne des § 15 b Abs. 2 Satz 1 EStG dar.

Die für einen Gesamtplan sprechenden Merkmale dieser Gestaltung sind:

(Neu-)Gründung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (hier: GmbH & Co.KG) durch den Kunden als einzigen – geschäftsführenden – Gesellschafter unter Verwendung einer vom Berater zur Verfügung gestellten bzw. vermittelten Vorrats-GmbH bei Identität der gezeichneten und eingezahlten Gesellschafter-Einlage mit dem Anlagebetrag;

Erwerb einer Schuldverschreibung durch die Personengesellschaft (vorzugsweise von einem Anbieter mit einer Niederlassung im Ausland – hier: …) mit befristeter Laufzeit;

Zu 100 % Fremdfinanzierung des Erwerbs der Schuldverschreibung durch Aufnahme eines Darlehens mit identischer Laufzeit bei dem gleichen Institut (bzw. der Muttergesellschaft);

Vereinbarung eines hohen Disagio – hier: … % des für den Erwerb der Anleihe vorgesehenen Darlehensbetrages – das nicht gezahlt, sondern auf den Darlehensbetrag aufgeschlagen und bei Auszahlung des Darlehens einbehalten wird. Dadurch entsteht ein hoher Anfangsverlust;

Vorschüssige Zahlung der Darlehenszinsen bei gleichzeitiger nachschüssiger Zahlung der Guthabenzinsen aus der Anleihe, wodurch sich der Anfangsverlust weiter erhöht;

Zahlung zweier feststehender (garantierter) Bonusbeträge und eines variablen, an die Entwicklung des Wertes eines Index gekoppelten Bonusbetrages bei Endfälligkeit der Anleihe.

Diese Merkmale dienen in ihrem Zusammenwirken ausschließlich der steueroptimierten Kapitalanlage:

Der Kunde – hier: die Kommanditistin der Klägerin – gibt vor, welchen Anlagebetrag er zur Verfügung hat. Sodann werden die Gründung der Personengesellschaft, der Erwerb der Anleihen durch die Personengesellschaft und die Darlehensverträge zur Finanzierung des Erwerbs vorbereitet, wobei Emittent und Darlehensgeber identisch oder, wie hier, zumindest eng miteinander verflochten sind. Dabei werden die Anleihebedingungen für den Erwerb der Schuldverschreibungen und die Darlehensverträge zur 100 % igen Fremdfinanzierung des Erwerbs so aufeinander abgestimmt, dass bezogen auf den Anlagebetrag ein höchstmöglicher, sich bei der Besteuerung des Anlegers zu Beginn der Investition auswirkender, Verlust erzielt werden kann, der zum Ende des Investitionszeitraums zumindest wieder ausgeglichen wird.

Der Anlagebetrag – hier: … € – entspricht dem gezeichneten und eingezahlten Eigenkapital und ergibt gleichzeitig den im ersten Jahr der Laufzeit des Darlehens vorschüssig zu zahlenden, einen steuerlichen Verlust in entsprechender Höhe generierenden, Zinsbetrag. Es ist der einzige Betrag, der im Rahmen der Investition vom Anleger tatsächlich aufgebracht werden muss.

Gleichzeitig wird im Darlehensvertrag ein hohes Disagio – hier: … % des für den Erwerb der Anleihe benötigten Darlehensbetrages – vereinbart, das den Anleger tatsächlich nicht belastet, sondern auf den Darlehensbetrag aufgeschlagen und vom Institut einbehalten wird. Dadurch erhöht sich der steuerliche Verlust im Erstjahr.

Während der identischen Laufzeit der Anleihe und des Darlehens beträgt der Saldo der in den Anleihebedingungen vereinbarten, nachschüssig auszuschüttenden, Guthabenzinsen und der vorschüssig zu zahlenden Darlehenszinsen – hier: jeweils … € – aufgrund der aufeinander abgestimmten Verträge vom zweiten Jahr bis zum vorletzten Jahr der Laufzeit immer null. Im Zusammenhang mit den während der Laufzeit der Schuldverschreibung und des Darlehens anfallenden Gebühren und Steuerberatungskosten werden im Investitionszeitraum weitere – wenn auch deutlich niedrigere – Verluste aus der Kapitalanlage generiert.

Im Zeitpunkt der – gleichzeitigen – Endfälligkeit der Anleihe und des Darlehens werden keine Darlehenszinsen mehr fällig. Der Anleger erhält den letzten laufenden Guthabenzinsbetrag – hier: … € – und zwei feststehende Bonusbeträge. Davon entspricht der Bonusbetrag von hier … € dem Darlehenszinsbetrag des Erstjahres, der Bonusbetrag von hier … € dem Differenzbetrag zwischen dem laufenden Guthabenzins von … € und dem Disagio von hier … €. Die Ausschüttung beträgt insgesamt … € und entspricht exakt dem für 2006, dem Erstjahr der Laufzeit der Verträge, in die Einnahme-Überschussrechnung eingestellten Verlust.

Darüber hinaus ist der variable, an die Entwicklung eines Index gekoppelte Bonus für den Gesamtplan von Bedeutung. Er dient der Darstellung der für die steuerliche Anerkennung der Investition erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht. Diese wäre ohne die Aussicht auf eine weitere Bonuszahlung nicht begründbar. Denn die dargestellte Neutralisierung der Ergebnisse der Investition und der Kreditaufnahme führt dazu, dass keine Mittel zum Ausgleich der während des Investitionszeitraums anfallenden Kosten für Gebühren und Beratungskosten, die von der Klägerin in einer Prognoseberechnung (Bl. 96 bis 98 Feststellungsakte) mit … € beziffert wurden, zur Verfügung stehen.

Der Senat hat in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, ob im Hinblick darauf, dass der Bonus an die Wertentwicklung eines Wertpapier-/Aktienindex gekoppelt ist und für die Höhe des Bonus allein der Indexwert an einem Stichtag – hier: 20. Dezember 2016 – maßgebend ist, das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht überhaupt angenommen werden kann. Zwar ist die Gewinnerzielungsabsicht vorrangig vor dem Vorliegen eines Steuerstundungsmodells zu prüfen. Dies ist jedoch in erster Linie Aufgabe der Finanzbehörden. Der Senat sieht sich in diesem Klageverfahren an einer solchen Entscheidung aufgrund des Verbots der Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren gehindert, da er das Vorliegen eines Steuerstundungsmodells bejaht und die Klage deshalb keinen Erfolg hat. Im Falle der Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht wäre der angefochtene Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin vollständig aufzuheben mit der Folge, dass auch der beschränkte Verlustausgleich entfiele.

Aus diesem Grund war der vom Vertreter des FA im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme zum Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Gewinnerzielungsabsicht im Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 abzulehnen.

Die Gründung der Klägerin durch die Kommanditistin diente in erster Linie dazu, dem FA gegenüber darzustellen, dass die Investition in Inhaberschuldverschreibungen auf einer individuellen Entscheidung der Kommanditistin beruhte und sich die Art der Investition erst im Zuge intensiver Beratungen herauskristallisiert habe und weiterentwickelt worden sei, also nicht auf ein bereits vorgefundenes Konzept zurückgegriffen wurde.

Darüber hinaus diente die Einschaltung der Klägerin der Minimierung der für die Kommanditistin mit der Anlage verbundenen etwaigen Risiken. Weitergehende, insbesondere wirtschaftliche Gründe für die Investition der Kommanditistin in die Inhaberschuldverschreibungen über die Beteiligung an der Klägerin vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Einschaltung der Komplementärin hatte wirtschaftlich keinen Sinn, da sie weder an der Klägerin noch an deren laufenden Ergebnis und erst recht nicht an einem Liquidationsgewinn beteiligt war. Es bestanden auch praktisch keine Haftungsrisiken aufgrund der Freistellungsvereinbarung mit der Klägerin. Wesentliche Entscheidungsbefugnisse hatte sie ebenfalls nicht, da für den maßgeblichen Bereich der Vermögensverwaltung die geschäftsführende Kommanditistin geschäftsführungsbefugt war.

Für die Kommanditistin macht die Beteiligung an der Klägerin über die Haftungsbeschränkung hinaus wirtschaftlich ebenfalls keinen Sinn, da von vornherein beabsichtigt war, dass die Klägerin in den nächsten neun Jahren ausschließlich Verluste erzielen werde.

dd) Dass die Kommanditistin der Klägerin bei ihrer Investition in die Inhaberschuldverschreibungen der L auf ein vorgefertigtes Konzept zurückgreifen konnte, das lediglich noch auf ihre Bedürfnisse angepasst wurde, ergibt sich für den Senat aus folgendem:

Nach dem Vorbringen der Klägerin wurde deren Kommanditistin von ihren damaligen Kapitalanlageberatern an das Beraterbüro D verwiesen. Nach telefonischer Kontaktaufnahme mit Rechtsanwalt B. am 17. November 2006 erteilte sie am 18. November 2006 den Auftrag zur Vorbereitung des Erwerbs einer sogenannten „Asset Linked Note” (Bl. 107 Feststellungsakte) und, nachdem eine zur Emittierung und Finanzierung der Investition bereite Bank gefunden war, am 11. Dezember 2006 den Auftrag zur konkreten Umsetzung des Anlagemodells mit der G (Bl. 106 Feststellungsakte). Hieraus geht zur Überzeugung des Senats eindeutig hervor, dass die Vermittlung der Kommanditistin an D durch ihre Kapitalanlageberater einzig der Kapitalanlage über das vorbeschriebene Modell der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede diente. Dieses Modell stand bei den Verhandlungen von D mit den verschiedenen als Partner in Betracht kommenden Banken nach der Auftragserteilung vom 18. November 2006 selbst nie zur Disposition. Bestätigt wird dies durch die schriftlichen Erklärungen des Herrn … vom 19. Juni 2008 (Bl. 105 Feststellungsakte) und des Herrn …, dem heutigen Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, vom 16. Juni 2008 (Bl. 104 Feststellungsakte). Beide waren im Streitjahr als Kapitalanlageberater für die Klägerin tätig. Beide bestätigen in ihren Erklärungen, dass es bei den Verhandlungen mit den Banken durch D ausschließlich um den Erwerb einer „Asset Linked Note” ging. Die Wahl sei auf die G gefallen, weil diese die besten Konditionen, insbesondere niedrige Kosten, gehabt habe, und in der Lage gewesen sei, den Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen noch im Streitjahr umzusetzen.

Danach beschränkten sich die Verhandlungen darauf, das Konzept der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede hinsichtlich der Höhe des Anlagebetrages, den die Kommanditistin der Klägerin investieren wollte bzw. konnte, der Zinsen und Kosten und der Laufzeit der Anlage so auf die Verhältnisse der Kommanditistin abzustimmen, dass die Anlage bezogen auf das Ziel der Steuerersparnis in der Anfangsphase bestmögliche Ergebnisse erzielte.

Demgegenüber stand zur Überzeugung des Senats das eigentliche Konzept zur Erreichung dieses Ziels mit seinen oben beschriebenen einzelnen Merkmalen in seinen wesentlichen Grundlagen von Anfang an fest.

Hierfür sprechen auch der in den Verwaltungsvorgängen befindliche E-Mail-Verkehr vom 11. bis 13. Dezember 2006 innerhalb D und zwischen D und G, sowie die Kürze des zeitlichen Ablaufs von der Auftragserteilung über die Gründung der Klägerin bis zur Zeichnung der Anleihen und dem Abschluss des Darlehensvertrages.

Der E-Mail-Verkehr vom 11. Dezember 2006 (dem Tag der Beauftragung durch die Kommanditistin; Bl. 112 Feststellungsakte) und 12. Dezember 2006 (Bl. 110, 111 Feststellungsakte) innerhalb D verdeutlicht, dass das Anlagekonzept mit seinen vorbeschriebenen Merkmalen längst entwickelt war und es bei der Abarbeitung des Auftrags der Kommanditistin nur noch um die „Feinabstimmung” ging.

Mit der E-Mail vom 11. Dezember 2006 wurden intern bereits erstellte verschiedene Versionen des Anlagemodells an die Kommanditisten versandt. Bei dem E-Mail-Verkehr zwischen …(Kapitalanlageberater) und D und innerhalb D ging es ebenfall nur noch um Abstimmungsarbeiten, da nunmehr ein höheres Anlagevolumen zur Verfügung stand.

Aufschlussreich ist auch der E-Mail-Verkehr zwischen der G und D vom 13. Dezember 2006 (Bl. 109 Feststellungsakte). Hier wird besonders deutlich, dass es bei der Abarbeitung des Auftrags der Kommanditistin nur noch um Anpassungs- und Abstimmungsarbeiten ging. Offensichtlich war G der von D in die Berechnung der Anlage eingestellte Gebührenanteil zu gering. Gefordert wurde eine Anhebung von … % auf mindestens … %, was erneute Berechnungen durch D erforderte. Die dortige interne E-Mail vom 13. Dezember 2006, 16:14 Uhr, („…kannst Du bitte nachrechnen, ob … % für die Gewinnerzielungsabsicht reicht?”), zeigt zudem, welche Bedeutung der Darstellung der Gewinnerzielungsabsicht und damit dem variablen Bonus innerhalb des Modells zukommt.

Für ein von der Kommanditistin vorgefundenes, also vorgefertigtes Anlagekonzept spricht auch der kurze Zeitraum zwischen Auftragserteilung durch die Kommanditistin und abschließender Zeichnung der Anleihen und Abschluss des Darlehensvertrages zu deren Finanzierung durch die Klägerin. Der Zeitraum von der Auftragserteilung an D vom 18. November 2006 zur Erstellung eines Angebots für den Erwerb einer „Asset Linked Note” bis zur Zeichnung der Anleihe durch die Klägerin betrug lediglich einen Monat. Die Zeit zwischen dem 18. November 2006 und der Beauftragung von D mit dem Abschluss der Investition mit G am 11. Dezember 2006 wurde offensichtlich für die Suche nach einer geeigneten Bank als Partner für das Anlagemodell und die Vorbereitung der Gründung der Klägerin einschließlich des Erwerbs einer Vorratsgesellschaft als Komplementärin verwendet. Nach der Auftragserteilung am 11. Dezember 2006 wurden offenbar innerhalb einer Woche am 12. Dezember 2006 der G der Zuschlag erteilt und die Unterlagen zur bankinternen Prüfung und Umsetzung des Investments übersandt, noch am selben Tag die Klägerin auf der Grundlage eines umfangreichen Gesellschaftsvertrages gegründet, am 19. Dezember 2006 die Inhaberschuldverschreibungen gezeichnet und am 20. Dezember 2006 der Darlehensvertrag zu deren Finanzierung.

Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass innerhalb dieser kurzen Zeitspanne von einem Monat die Kommanditistin und ihre Berater von D ausgiebig über in Betracht kommende Investitionsmöglichkeiten beraten, schließlich auf Initiative der Kommanditistin das vorbeschriebene, im Hinblick auf die gewünschten steuerlichen Auswirkungen finanzmathematisch komplexe, Anlagemodell erstmals entwickelt und sodann durch die Einholung von Angeboten bei verschiedenen Banken und Fertigung der erforderlichen Verträge umgesetzt haben.

Er ist vielmehr davon überzeugt, dass die Kommanditistin auf ein von D auf der Grundlage eines Investments in Inhaberschuldverschreibungen weiterentwickeltes Anlagemodell zurückgegriffen hat, das lediglich ihren Bedürfnissen angepasst wurde. Dass Anlagemodelle, wie das Vorbeschriebene, nach der Einführung des § 15 b EStG durch das Jahressteuergesetz 2005 und verstärkt nach dem Aufkommen der Diskussion über eine Ausdehnung der Regelung auf sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen auftraten und nach der Einbringung des entsprechenden Gesetzesentwurfs in das Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2006 Hochkonjunktur hatten, lässt sich im Übrigen auch der Gesetzesbegründung zur Einführung des neuen § 20 Abs. 2 b EStG und zu dessen rückwirkenden Geltung für das Veranlagungsjahr 2006 im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 (BT-Drs. 16/2712, S. 50, 63, 64) entnehmen.

Im Übrigen verdeutlichen die oben dargestellten Umstände und Abläufe, wie auch die schriftlichen Erklärungen der Herren … und … (Anlageberater) anschaulich, wie das Produkt den Weg zum Kunden fand. Es wurde nicht aktiv mittels eines Prospektes oder sonstigen geläufigen Mediums beworben. Der Vertrieb des Modells erfolgte – offenbar unter Nutzung entsprechender Netzwerke – im Wege der Vermittlung der Kunden durch deren Kapitalanlageberater. Dies zeigt wiederum, dass dem Kriterium der aktiven Vermarktung eines Anlagekonzepts durch Prospekte oder andere Medien keine entscheidende Bedeutung zukommt.

Insgesamt ist daher festzustellen, dass das vorbeschriebene Anlagemodell allein den steuerlichen Sinn hatte, der Kommanditistin der Klägerin über das Disagio und die Kombination aus vorschüssigen Darlehenszinsen, nachschüssigen Guthabenzinsen und feststehenden Bonusbeträgen bei Endfälligkeit aus der Anleihe zusätzliche Erträge in Form von Steuervorteilen aufgrund anfänglicher hoher – verrechenbarer – negativer Einkünfte zu vermitteln und dieses Anlagekonzept nicht eigens für die Kommanditistin und auf deren Initiative erdacht und entwickelt worden ist. Sie hat vielmehr ein bereits vorhandenes und am Markt eingesetztes Konzept jedenfalls in seinen wesentlichen Grundlagen für ihre Anlage verwendet. Die Zeichnung der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonusabrede stellt mithin eine modellhafte Gestaltung in Form einer Einzelinvestition im Sinne des § 15 b EStG dar.

c) Die Anwendung des § 15 b Abs. 1 EStG ist vorliegend auch nicht durch § 15 b Abs. 3 EStG ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift ist § 15 b Abs. 1 EStG nur anwendbar, wenn innerhalb der Anfangsphase der Investition das Verhältnis der Summe der prognostizierten Verluste zur Höhe des gezeichneten und nach dem Konzept auch aufzubringenden Kapitals oder bei Einzelinvestoren des eingesetzten Eigenkapitals 10 % übersteigt. Vorliegend übersteigt bereits der für das Streitjahr ermittelte Verlust aus der Kapitalanlage der Klägerin in Höhe von … € das von der Kommanditistin aufgebrachte Kapital von … € um deutlich mehr als die geforderten 10 %.

d) Der Senat hält die Vorschrift des § 15 b EStG nicht für verfassungswidrig.

aa) Die Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Klägerin inhaltlich hinreichend klar und bestimmt.

Aus dem auf dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) beruhenden Bestimmtheitsgebot folgt, dass der Gesetzgeber Vorschriften so genau zu fassen hat, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, die gesetzesausführende Verwaltung muss für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte müssen in die Lage versetzt werden, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Die Anforderungen sind umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den die Norm vorsieht (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 23. März 2011 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282; vom 3. März 2004 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33). Das Bestimmtheitsgebot verbietet nicht von vornherein die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Insbesondere nimmt die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift dieser noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit. Denn es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 1971 1 BvR 775/66 , BVerfGE 31, 255). Vor Allem bei vielgestaltigen Sachverhalten ist die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn diese sich durch eine Auslegung der betreffenden Normen nach den Regeln der juristischen Methodik hinreichend konkretisieren lassen. Insbesondere für den Bereich des Steuerrechts ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, dass der Gesetzgeber ohne die Verwendung solcher Begriffe nicht auskommt (z.B. BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83 , BVerfGE 78, 214, m.w.N.). Verbleibende Ungewissheiten dürfen jedoch nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 13. Juni 2007 1 BvR 603/05 , BVerfGE 118, 168).

Zwar enthält § 15 b EStG mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe. Nach der Einschätzung des Senats bereiten indessen Anwendungsprobleme allein der Begriff der modellhaften Gestaltung sowie die Frage, ob bei Bejahung einer modellhaften Gestaltung jeglicher Verlust unter § 15 b Abs. 1 EStG fällt. Der Senat hält jedoch aufgrund der Legaldefinition des Begriffes der modellhaften Gestaltung in § 15 b Abs. 2 Satz 2 EStG und der in § 15 b Abs. 3 EStG klar definierten Verlustquote insgesamt die Norm für mit juristischen Methoden handhabbar (gleicher Auffassung: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Juli 2011, 3 K 4368/09, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1897; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 b EStG Rz 10; Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 15 b EStG Rz A 58 ff).

bb) Das Verbot des sofortigen Ausgleichs der Verluste aus Steuerstundungsmodellen und die Verweisung auf einen späteren Verlustausgleich mit Gewinnen aus der gleichen Einkunftsquelle verstoßen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 1735/00 , BFH/NV 2003, Beilage 3, 174). Im Bereich des Einkommensteuerrechts wird die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft, vor allem durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt (z.B. BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481). Steuerpflichtige sollen bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (horizontale Steuergerechtigkeit), die Besteuerung höherer Einkommen muss im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein (vertikale Steuergerechtigkeit). Zudem muss bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (statt aller BVerfG-Beschluss vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG-Beschluss vom 14. Juli 2006 2 BvR 375/00, BFH/NV 2007, Beilage 4, 235) und des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BStBl II 2011, 826) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GGgrundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als die Verlustverrechnung nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, und sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen allerdings dann, wenn die Verlustverrechnung gänzlich ausgeschlossen wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Hat es der Steuerpflichtige in der Hand, zu entscheiden, welcher steuerlichen Norm er sich bedienen will, gebietet Art. 3 Abs. 1 GGnicht, dass die Wahlmöglichkeiten in jeder Hinsicht gleichwertig sind, da ihm die jederzeitige Möglichkeit eröffnet ist, die Erfüllung des zur Verlustausgleichsbeschränkung führenden Tatbestands durch alternative Sachverhaltsgestaltung zu vermeiden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 26. Oktober 2004 2 BvR 246/98, BFH/NV 2005, Beilage 3, 259; 17. November 2009 1 BvR 2192/05, BFH/NV 2010, 803). Der Bürger hat von Verfassungs wegen kein Recht darauf, aus jeder der ihm zur Auswahl angebotenen Regelungen die für ihn günstigsten Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen (BVerfG-Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348).

Nach diesen Kriterien ist die in § 15b EStG enthaltene Einschränkung der Möglichkeiten zum Verlustausgleich verfassungsgemäß. Der bei einem Steuerstundungsmodell in der Anfangsphase konzeptionell vorgesehene Verlust kann in späteren Veranlagungszeiträumen mit Gewinnen verrechnet werden. Soweit Verluste aus Steuerstundungsmodellen insoweit schlechter gestellt sind als andere Beteiligungsverluste, kann dem der Steuerpflichtige ohne weiteres durch alternative Gestaltung des Sachverhalts ausweichen. Er hat keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass der Fiskus in der Anfangsphase einer Investition einen wesentlichen Anteil der Anschaffungskosten mitfinanziert. Es ist grundsätzlich auch nicht zu befürchten, dass bei einem planmäßigen Verlauf der Beteiligung an einem Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b EStG die Verluste der Anfangsphase definitiv untergehen. Dies belegt das im vorliegenden Verfahren streitige Anlagemodell anschaulich. Anderenfalls wäre bereits nach dem Beteiligungskonzept damit zu rechnen, dass in den Folgejahren nicht ausreichend Gewinne entstehen werden, um die Verluste der Anfangsphase auszugleichen. Dies hätte zur Folge, dass die Einkünfteerzielungsabsicht des Anlegers von vornherein zu verneinen und die entstehenden Verluste ohnehin schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht ausgleichsfähig wären, was ebenfalls verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 17. September 1977 1 BvR 373/77, StRK EStG § 2 Nr. 129; vom 24. April 1990 2 BvR 2/90, HFR 1991, 111; vom 18. November 1986 1 BvR 330/86, HFR 1988, 34). Der Senat folgt auch insoweit dem FG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 07. Juli 2011 (3 K 4368/09, a.a.O.).

e) Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Rückwirkung der im Jahressteuergesetz 2007 durch Einführung des Abs. 2 b in § 20 EStG angeordneten Geltung des § 15 b EStG auch für Einkünfte aus Kapitalvermögen für das Veranlagungsjahr 2006 stellt sich vorliegend nicht. Jedenfalls ist sie nicht zugunsten der Klägerin zu beantworten. Zum Einen hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 7. Juli 2010 (2 BvL 14/0 2, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, DStR 2010, 1727 und 2 BvR 748, 753, 1738/05, DStR 2010, 1733) bei der Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung von Steuergesetzen gegen die Kritik in der Literatur hieran weiterhin an dem Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld festgehalten und für den Bereich des Einkommensteuerrechts die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuordnet.

Zum Anderen hat die Kommanditistin der Klägerin ihre maßgeblichen Dispositionen erst am 19. und 20. Dezember 2006 durch die Zeichnung der Schuldverschreibung und Unterzeichnung des Darlehensvertrages für die Klägerin getroffen und damit nach der am 18. Dezember 2006 erfolgten Verkündung des Gesetzes vom 13. Dezember 2006, durch das § 20 Abs. 2 b EStG eingeführt wurde. Zudem hatte sie bei Zeichnung der Schuldverschreibung ein zweiwöchiges Widerrufsrecht vorbehalten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der BFH hat bislang, soweit ersichtlich, weder zur Verfassungsmäßigkeit des § 15 b EStG noch zur Problematik der modellhaften Gestaltung einer Investition zum Zwecke der Erzielung steuerlicher Vorteile in Form negativer Einkünfte und in diesem Zusammenhang des Vorliegens eines vorgefertigten Konzepts in einem Hauptsacheverfahren entschieden.

Zinsbeginn bei Auflösung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG

Aufgabe der Investitionsabsicht als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO.

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 05.05.2011 (Az. 1 K 266/10) entschieden, dass die Aufgabe der Investitionsabsicht nach Erlass des Steuerbescheides, in dem ein Investitionsabzugsbetrag berücksichtigt wurde, ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO darstellt.

Damit beginnt der Zinslauf für den steuerlichen Unterschiedsbetrag, der sich aus der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages im Ausgangsjahr (§ 7g Abs. 3 EStG) ergibt, im Gegensatz zur Auffassung der Finanzverwaltung, nicht schon 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Abzugsbetrag geltend gemacht wurde, sondern erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.

Die Klägerin – eine GmbH & Co. KG – hatte für 2007 einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG für noch anzuschaffende bewegliche Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen. Nach Erlass des Gewinnfeststellungsbescheides für das Jahr 2007 teilte die Klägerin dem Finanzamt im Jahr 2010 mit, dass die Investitionsabsicht für diese Wirtschaftsgüter aufgegeben worden sei. Das Finanzamt änderte daraufhin den Gewinnfeststellungsbescheid für 2007 nach § 7g Abs. 3 EStG und machte den Abzug des Investitionsabzugsbetrages gewinnerhöhend rückgängig. Das beklagte Finanzamt lehnte es ab, in den geänderten Feststellungsbescheid darauf hinzuweisen, dass die Änderung auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO beruhe.

Der 1. Senat des NFG hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Für die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruhten, komme es nicht darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt seien. Maßgebend sei allein, ob die Voraussetzungen des rückwirkenden Ereignisses im Sinne der vom Großen Senat des BFH geprägten Definition vorlägen.

Die Antwort auf die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukomme, bestimme sich danach allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht. Im konkreten Fall komme es also auf die einkommensteuerliche Rechtslage an.

Die Aufgabe der Investitionsabsicht im Jahr 2010 sei in materiell-rechtlicher Hinsicht ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der Rechtsprechung des BFH, weil sie die Rückgängigmachung des Abzugs des Investitionsabzugsbetrags im Ausgangsjahr (2007) auslöse und erst nach Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheides eingetreten sei.

Die von der Finanzverwaltung und von Teilen der Literatur vertretene gegensätzliche Auffassung sei nicht überzeugend. Insbesondere habe der behauptete abweichende Wille des Gesetzgebers noch nicht einmal andeutungsweise einen Niederschlag im Gesetzestext gefunden. Auch aus der Gesetzessystematik lasse sich kein abweichendes Ergebnis ableiten.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist eingelegt worden – Az. IV B 87/11.

 

Niedersächsisches Finanzgericht

Urteil

vom

05.05.2011

Az.: 1 K 266/10

Orientierungssatz: Ges. und einh. Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2007
  Die Aufgabe der Investitionsabsicht nach Erlass des Steuerbescheides, in dem der Investitionsabzugsbetrag berück-sichtigt wurde, ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.
  Nichtzulassungsbeschwerde – BFH-Az.: IV B 87/11


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, in den geänderten Bescheid vom 23.08.2010 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin zu 1. für das Jahr 2007 (nachfolgend Feststellungsbescheid) die ergänzenden Feststellungen aufzunehmen, dass die Änderung des Feststellungsbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von §  233a Abs. 2a AO beruht.

Die Klägerin betreibt einen Zimmerei- und Dachdeckerbetrieb. Für den Veranlagungszeitraum 2007 machte sie für die voraussichtliche Anschaffung von Schiebetoren und für einen Kastenwagen einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von insgesamt 20.400 € geltend. Die Schiebetore sollten im Jahr 2009 und der Kastenwagen im Jahr 2010 angeschafft werden. Der Beklagte berücksichtigte den Investitionsabzugsbetrag antragsgemäß und stellte den Gewinn mit Bescheid vom 14.05.2010 auf 258.832,91 € fest.

Am 15.06.2010 teilte die Klägerin zu 1. dem Beklagten in der Anlage zur Bilanz auf den 31.12.2009 mit, dass die Investitionsabsicht für die beiden Wirtschaftsgüter aufgegeben worden sei. Daraufhin erließ der Beklagte am 23.08.2010 einen geänderten Feststellungsbescheid für 2007, in dem er den Gewinn um den bisher berücksichtigten Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 20.400 € auf 279.232,91 € erhöhte. Der Änderungsbescheid enthält den Vermerk: „Der Bescheid ist nach § 7g (3) EStG geändert“.

Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin zu 1. geltend, dass Grundlage für die Änderung des Feststellungsbescheides nicht § 7g Abs. 3 EStG sondern § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Ihre Beschwer liege in der Angabe der unzutreffenden Korrekturnorm und der daraus folgenden höheren Zinsbelastung für die Gesellschafter.

Die im Juni 2010 mitgeteilte Aufgabe der Investitionsabsicht sei ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Daraus folge, dass für die Verzinsung § 233a Abs. 2a AO anwendbar sei. Der Zinslauf für die Nachzahlungszinsen beginne deshalb erst mit Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Veranlagungszeitraums 2010, d.h. am 01.04.2012, weil das rückwirkende Ereignis im Verlauf des Jahres 2010 eingetreten sei. Nach der vom Beklagten vertretenen Auffassung habe der Zinslauf nach § 233 Abs. 2 AO bereits im April 2009 begonnen.

Der Feststellungsbescheid und die in ihm angegebene Änderungsgrundlage sei als Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzungen der Gesellschafter und auch für den Beginn des Zinslaufs bindend. Deshalb sei die Klägerin zu 1. beschwert und habe einen Anspruch auf eine entsprechende Änderung des Feststellungsbescheides.

Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Der Beklagte vertrat in der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2010 die Auffassung, dass die Aufgabe der Investitionsabsicht kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Der Bescheid sei zutreffend nach § 7g Abs. 3 EStG geändert worden. Wenn die Wirtschaftsgüter nicht bis zum Ablauf des 3-jährigen Investitionszeitraums angeschafft worden seien, müsse nach dieser Norm der in Anspruch genommene Investitionsabzugsbetrag bei der Veranlagung rückgängig gemacht werden, bei der er ursprünglich vorgenommen worden sei. Eine solche Änderung habe auch vorgenommen werden können, wenn – wie im Streitfall – die Investitionsabsicht vor Ablauf dieser Frist aufgegeben worden sei.

Nach der Absicht des Gesetzgebers habe die Verzinsung nach § 233a AO den bisherigen Gewinnzuschlag nach § 7g Abs. 5 EStG alter Fassung ablösen sollen. Deshalb habe der Gesetzgeber für den Fall der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 4 EStG in Satz 4 dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt, dass die Vorschrift des § 233a Abs. 2a AO nicht anzuwenden sei.

Aus dem Umstand, dass diese Bestimmung in Abs. 3 der Vorschrift fehle, obwohl der Gesetzgeber zweifelsfrei auch in diesem Fall keinen abweichenden Zinslauf gewollt habe, ergebe sich, dass der Gesetzgeber im Falle der Änderung nach Abs. 3 der Vorschrift nicht davon ausgegangen sei, dass es sich um ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung handele.

Zur weiteren Begründung weist der Beklagte hin auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 08.05.2009 – IV C 6 – S 2139 – b/07/10002 – 2009/0294464 – BStBl I S. 633, Anm. 72. Dort wird die Auffassung vertreten, dass die Änderung der Steuerfestsetzung in den Fällen des § 7g Abs. 3 EStG gerade nicht auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses beruhe, weshalb der Gesetzgeber in dieser Norm auch eine eigenständige Korrekturvorschrift (§ 7g Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG) geschaffen habe.

Im Klageverfahren wiederholen die Beteiligten ihr Vorbringen in dem Vorverfahren.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheids für 2007 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 23.08.2010 und der Einspruchs-entscheidung vom 12.11.2010 festzustellen, dass die Änderung des Feststellungsbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von §  233a Abs. 2a Abgabenordnung beruht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

I.          Die Klage ist zulässig.

1.         Die Klägerin zu 1. ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 und der Kläger zu 2. ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO klagebefugt.

2.         Die Entscheidung über die begehrten ergänzenden Feststellungen, nämlich ob die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, ist im Feststellungsverfahren zu treffen (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 20/08 – BStBl II 2010, 528). Der ergänzte Feststellungsbescheid ist zugleich auch Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung nach § 233a AO (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 20/08 – a.a.O.).

3.         Die Kläger sind durch den Feststellungsbescheid beschwert, weil er die verlangten ergänzenden Feststellungen nicht enthält. Aus ihrem Fehlen ergeben sich bezüglich der Frage der Anwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO belastende Auswirkungen auf die Festsetzung von Zinsen beim Kläger zu 2. gemäß § 233a AO.

II.         Die Klage ist auch begründet.

Die Kläger haben nach § 179 Abs. 3 in Verbindung mit § 233a Abs. 2a AO einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den streitigen Feststellungsbescheid um die begehrten Feststellungen ergänzt.

1.         Im Streitfall kann dahinstehen, ob der Feststellungsbescheid allein oder zugleich auf § 7g Abs. 3 EStG, § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruht. Dass der Feststellungsbescheid zumindest nach einer dieser Vorschriften geändert werden konnte, steht außer Frage und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

2.         Für die hier im Feststellungsverfahren mit verbindlicher Wirkung für die Folgebescheide zu treffende Feststellung, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruhen, kommt es nicht darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt sind, sondern es ist allein maßgebend, ob die Voraussetzungen des rückwirkenden Ereignisses vorliegen. Die Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in dem in § 233a Abs. 2a AO enthaltenen Klammerzusatz beschränkt sich allein hierauf (vgl. BFH, Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634; für die Fälle der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG im Ergebnis gleicher Auffassung Schmidt/Kulosa, EStG, 30 Aufl. 2011, § 7g Rz 29; Frotscher/Kratzsch, EStG – Loseblatt, Stand 155. Lfg. 2010, § 7g Anm. 71, HHR/Meyer, EStG – Loseblatt, Stand 236. Lfg. 2009, Anm. 116).

3.         Der geänderte Feststellungsbescheid beruht – im Sinne der vorstehenden Ausführungen – auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO.

a)         Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss vom 19.07.1993 – GrS 2/92 – BStBl II 1993, 897, definiert, unter welchen Voraussetzungen ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt. Er führt dazu in den Beschlussgründen unter C I 1. aus:

§ 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 bestimmt allerdings nicht näher, unter welchen Voraussetzungen tatsächlicher oder rechtlicher Art das Tatbestandsmerkmal „rückwirkendes Ereignis“ als erfüllt anzusehen ist. Die Vorschrift bedarf daher der Auslegung.

Aus dem Bedeutungszusammenhang, in dem § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 steht und aus seiner Zielsetzung ergibt sich zunächst, daß der Begriff „Ereignis“ alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge umfaßt. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (…).

Ferner verdeutlichen die sprachliche Bedeutung des Begriffs „eintritt“ und der Bedeutungszusammenhang mit § 173 Abs.1 AO 1977, daß sich der Vorgang ereignen muß, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und –bezogen auf den der Vorlage zugrunde liegenden Streitfall– bei Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 liegen nicht vor, wenn das FA –wie im Fall des § 173 Abs.1 AO 1977– lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt (…). 

Es reicht nicht aus, daß das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muß sich darüber hinaus –ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen– steuerlich in die Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, daß nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (…)“.

b)         Die Antwort auf die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich in § 233a Abs. 2a AO nicht anders als in § 175 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 AO allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. BFH, Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634 und schon BFH, Beschluss des Großen Senats vom 19.07.1993 – GrS 2/92 – BStBl II 1993, 897). Im konkreten Fall kommt es also auf die einkommensteuerliche Rechtslage an.

c)         Im Falle der Inanspruchnahme der Steuervergünstigung des § 7g EStG in der nach § 52 Abs. 23 EStG für die Klägerin zu 1. im Streitjahr geltenden Neufassung durch das Gesetz vom 14.08.2007, BGBl I 1912, die – unter weiteren Voraussetzungen – den Abzug eines Investitionsabzugsbetrages erlaubt, wenn die Absicht der künftigen Anschaffung eines Wirtschaftsguts besteht, entsteht die entsprechend geminderte Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Investitionsabzugsbetrag gewinnmindernd abgezogen worden ist, § 38 Abs. 1 EStG. Der Steuerpflichtige kann diesen Steuervorteil für den Veranlagungszeitraum der Inanspruchnahme nur behalten, wenn er die Investition bis zum Ablauf des dritten auf das Wirtschaftsjahr der Inanspruchnahme des Abzugsbetrages folgenden Wirtschaftsjahrs durchführt. Je nachdem, ob das Wirtschaftsgut in dieser Frist angeschafft wird oder nicht, bleibt es bei der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum der Inanspruchnahme des Abzugsbetrages (der Abzugsbetrag ist in diesem Fall gemäß § 7g Abs. 2 EStG in dem Veranlagungszeitraum gewinnerhöhend hinzuzurechnen, in dem das Wirtschaftsgut angeschafft worden ist) oder es kommt zur Rückgängigmachung des Abzugs im Ausgangsjahr, § 7g Abs. 3 EStG. Zur Rückgängigmachung des Abzugs kommt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – seine Investitionsabsicht vor Ablauf der Frist aufgibt und dies dem Finanzamt anzeigt.

Die unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen beruhen jeweils auf Ereignissen im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Definition des Großen Senats (Anschaffung des Wirtschaftsguts innerhalb der Investitionsfrist, Aufgabe der Investitionsabsicht, Verstreichenlassen der Investitionsfrist). Die von der Klägerin zu 1. am 15.06.2010 aufgegebene Investitionsabsicht ist damit in materiell-rechtlicher Hinsicht ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der vom Großen Senat des BFH geprägten Definition, weil es die Rückgängigmachung des Abzugs des Investitionsabzugsbetrags im Ausgangsjahr auslöst und erst nach Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheides vom 14.05.2010 eingetreten ist.

d)         Ob zugleich ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 2 Satz 1 AO vorliegt, kann dahinstehen.

e)         Der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung des BMF im Schreiben vom 08.05.2009  (IV C 6 – S 2139 – b/07/10002 – 2009/0294464 – BStBl I S. 633, Tz. 72) zu folgen, dass § 233a Abs. 2a AO deshalb nicht zur Anwendung kommen könne, weil der Gesetzgeber in § 7g Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG eine eigenständige Korrekturnorm geschaffen habe. Die Änderung der Steuerfestsetzung beruhe deshalb nicht auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses. Nach dem oben Ausgeführten und nach der zitierten Rechtsprechung des BFH kommt es für die Anwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO gerade nicht darauf an, ob die Änderung des betreffenden Bescheides auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO oder auf einer anderen Norm beruht. Maßgeblich ist allein, ob die Voraussetzungen eines rückwirkenden Ereignisses vorliegen.

f)         Der von Brandis zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung geprägte Satz „Die Nichtinvestition berührt den Umstand einer früher einmal geplanten Investition nicht“ (Blümich/Brandis, EStG, § 7g Rz 66) ist unbestreitbar richtig. Im Hinblick auf das vorliegende Problem, ob in der Nichtinvestition zum Ablauf der gesetzlichen Frist oder der Aufgabe der Investitionsabsicht ein rückwirkendes Ereignis zu sehen ist, führt er jedoch zu keinerlei Erkenntnisgewinn.

Zur Begründung der Nichtanwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO kann nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht herangezogen werden, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass in den Fällen der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG materiell kein rückwirkendes Ereignis vorliege. Da der Begriff des rückwirkenden Ereignisses nicht gesetzlich definiert ist und der angebliche Wille des Gesetzgebers, dass die Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages kein rückwirkendes Ereignis sei, noch nicht einmal andeutungsweise einen Niederschlag im Gesetzestext (zu den Voraussetzungen und Grenzen der Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers bei der Auslegung von Gesetzen vgl. Tipke/Kruse – Drüen, Kommentar zur AO und FGO, Loseblatt Stand Aug. 2009, § 4 AO Tz 231 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung) und darüber hinaus auch nicht in den Materialien gefunden hat (vgl. BT- Drs. 16, 4841, S. 53), kann dieser vermutete Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht berücksichtigt werden (a.A. Brandis a.a.O.).

Aus dem Fehlen einer dem § 7g Abs. 4 Satz 4 EStG vergleichbaren Vorschrift (Nichtanwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO) in § 7g Abs. 3 EStG lässt sich in Bezug auf den Inhalt und die Auslegung des Gesetzesbegriffs des rückwirkenden Ereignisses nichts ableiten (a.A. Brandis a.a.O.).

g)         Der erkennende Senat folgt auch nicht der abweichenden Auffassung von Wendt (FR 2008, 598, 602), die auf der Annahme beruht, dass § 233a Abs. 2a AO im Fall der Änderung nach § 7g Abs. 3 EStG allenfalls analog anwendbar sei. Diese Auffassung steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634). Dort wird ausgeführt, dass § 233a Abs. 2a AO direkt anwendbar ist, wenn die Voraussetzung des rückwirkenden Ereignisses gegeben ist, ohne dass zusätzlich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt sein müssen und auch ohne dass die fragliche Änderung nach dieser Vorschrift erfolgt sein muss.

III.        Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

1%-Regelung ist verfassungsgemäß

Keine Anpassungsverpflichtung der 1%-Regelung des Gesetzgebers

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 14.09.2011 entschieden, dass die Vorschriften zur Ermittlung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kfz (§ 8 Abs. 2 Satz i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) verfassungsgemäß sind (Az.: 9 K 394/10).

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Der Kläger war im Streitjahr 2009 als Geschäftsführer für eine GmbH tätig. Sein Arbeitgeber stellte ihm ein geleastes Gebrauchtfahrzeug (Neuwagenlistenpreis: 81.400 €; Gebrauchtwagenwert: 31.990 €) als Dienstwagen zur Verfügung. Bei Berechnung des geldwerten Vorteils für die Privatnutzung ging das FA unter Anwendung der 1%-Regelung vom Bruttoneuwagenlistenpreis aus und errechnete einen monatlich zu versteuernden Vorteil von 814 €. Der Kläger vertrat in dem vom Bund der Steuerzahler unterstützten Verfahren die Auffassung, die sog. 1%-Regelung sei verfassungswidrig. Sie genüge insbesondere den für typisierende Regelungen geltenden Anforderungen wegen der fortdauernden Bezugnahme auf den Bruttoneuwagenlistenpreis nicht mehr. Der Gesetzgeber sei spätestens im Streitjahr 2009 verpflichtet gewesen, die Bemessungsgrundlage nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklung im Kfz-Handel anzupassen und übliche Rabattabschläge (im Durchschnitt 20%) zu berücksichtigen. Hierzu verweist der Kläger auf das BFH-Urteil vom 17.09.2009 (VI R 18/07, BStBl II 2010, 67), in dem der Bundesfinanzhof die unverbindliche Preisempfehlung eines Automobilherstellers aus den vorgenannten Gründen jedenfalls seit dem Jahr 2003 nicht mehr als geeignete Grundlage für die Bewertung des lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteils eines Personalrabatts für sog. Jahreswagen angesehen hat. Der verfassungsrechtlich bestehende Anpassungszwang könne nicht durch Verweis auf die Fahrtenbuchmethode (sog. Escape-Klausel) unterlaufen werden.

Der 9. Senat des NFG ist der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt. Er hält die Regelungen nicht für verfassungswidrig. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen, indem er unverändert seit 1996 an dem Bruttoneuwagenlistenpreis als Bemessungsgrundlage festgehalten habe. Zwar stehe das Recht auf Typisierung unter dem Vorbehalt der realitätsgerechten Erfassung der Wirklichkeit. Ein Gleichheitsverstoß wegen Verletzung der Anpassungsverpflichtung liege im Streitfall gleichwohl nicht vor. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, im Kfz-Handel gewährte übliche Rabatte von 10% – über 30%, die zudem vom Hersteller, Modell und vielen Sonderfaktoren (Verkäuflichkeit, Auslauf- oder Sondermodell) abhängig seien, bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Das NFG hat die Revision zugelassen.

Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt, das Aktenzeichen des BFH lautet VI R 51/11.

Niedersächsisches Finanzgericht

Urteil

vom

14.09.2011

Az.: 9 K 394/10

Orientierungssatz: Einkommensteuer 2009
Zur Verfassungsmäßigkeit der 1%-RegelungKeine Verpflichtung des Gesetzgebers, die typisierende 1%-Regelung nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklungen im Kraftfahrzeughandel zu überprüfen und an die veränderten Marktverhältnisse anzupassen.
Revision eingelegt:  VI R 51/11


Tatbestand

Streitig ist, ob die Pauschalbewertung der privaten Nutzung eines betrieblichen Kfz`s nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG insoweit noch verfassungsgemäß ist, als die Nutzungsentnahme nach dem inländischen Bruttolistenpreis bei der Erstzulassung bemessen wird.

Die Kläger sind verheiratet und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt als Geschäftsführer der Firma …GmbH im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Auch die Klägerin erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielten die Kläger im Streitjahr auch noch Verluste aus der Vermietung eines bebauten Grundstücks. Entsprechend einem Beschluss der Gesellschafter der …GmbH stellte der Arbeitgeber dem Kläger im Streitjahr einen Dienstwagen BMW 730 D zur Verfügung. Es handelt sich dabei um ein Gebrauchtfahrzeug (Erstlassung 27. August 2004, Kilometer-Stand 58.000), das der Arbeitgeber vom 5. März 2008 bis 4. März 2011 geleast hat. Der PKW hatte zu Beginn des Leasing-Zeitraums einen Gebrauchtwagenwert von brutto 31.990 €. Der Bruttolistenpreis des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt der Erstzulassung 81.400 €. Die vom Arbeitgeber zu zahlende Leasing-Rate belief sich auf 722,57 € monatlich. Der Kläger war berechtigt, das Fahrzeug auch privat und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu nutzen. Ein Fahrtenbuch führte der Kläger nicht.

Bei der Berechnung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung des Kfz und für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist der Arbeitgeber vom Bruttolisten-Neupreis ausgegangen. Dabei ergab sich unter Anwendung der sogenannten 1 %-Regelung ein monatlicher geldwerter, bei der Einkommensteuer zu versteuernder Vorteil in Höhe von 814 €. Nach Angaben der Kläger erhielt unter anderem auch ein Montageinspektor ein Betriebs-Kfz gestellt, das dieser auch privat nutzen durfte. Für diesen Mitarbeiter leaste der Arbeitgeber einen Neuwagen Renault Grand Scenic Exception 2.0 dCi FAP zu einem Bruttolisten-Neupreis von 35.132 €. Die Leasing-Rate des Arbeitgebers belief sich auf brutto 717,03 € monatlich. Der geldwerte zu versteuernde Vorteil betrug unter Anwendung der sogenannten 1 %-Regelung 351 € im Monat.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29. Juli 2010 legten die Kläger Einspruch ein und beantragten, bei der Berechnung des geldwerten Vorteils den Gebrauchtwagenwert zugrunde zu legen. Aufgrund der entgegen stehenden gesetzlichen Regelungen hatte der Einspruch insoweit jedoch keinen Erfolg.

Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor:

Zu beanstanden sei die Berechnung des geldwerten Vorteils. Die mit Bezugnahme auf den Bruttolistenneupreis vom Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG vorgenommen Typisierung und Pauschalierung zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzung eines betrieblich Kfz. sei zumindest seit dem Streitjahr nicht mehr verfassungsgemäß. Bei § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG handele es sich um eine grundsätzlich zwingende, stark typisierende und pauschalierende Bewertungsregelung, die in der steuerrechtlichen Literatur teilweise als grober Klotz bezeichnet werde. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung sei grundsätzlich in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesverfassungsgerichts anerkannt. Grundsätzlich dürfe er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssten allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere dürfe der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern müsse realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Eine Typisierung, die die tatsächliche Ausnahme zur normativen Regel erhebe, sei dagegen unhaltbar. Letzterer Aspekt könne von vornherein im Gesetz angelegt sein; er könne aber auch erst später durch eine Veränderung der Umstände eintreten. Aufgrund der Verpflichtung, die Wirklichkeit realitätsnah zu erfassen, stehe der Gesetzgeber unter einem ständigen Anpassungszwang. Die den Einkommensteuergesetzgeber bindenden verfassungsrechtlichen Grundsätze folgerichtiger Bestimmung und Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit würden ergänzt und unterstützt durch das Gebot realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung. Insbesondere realitätsfremde Bemessungstatbestände könnten für einkommensteuerlich berücksichtigungsbedürftige Aufwendungen gleichheitswidrig sein. Hieraus folge, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung von Pauschalen inhaltlich nicht völlig frei sei. So dürften steuerrechtliche Höchstbeträge nicht völlig realitätsfern sein und müssten innerhalb angemessener Frist veränderten Verhältnissen angepasst werden. Dies gelte auch für andere Formen der Pauschalierung.

Die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG genüge diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Regelungen nicht. Sie sei heute aufgrund eines sich ändernden Marktes weder nach der gesetzgeberischen Zielsetzung noch nach dem objektiven Regelungsgehalt das Ergebnis eines noch zulässigen Typisierungsvorgangs. Der Gesetzgeber habe auch die Beibehaltung der 1972 vorgenommenen Typisierung seine Typisierungsbefugnis dadurch überschritten, dass er dem sich ergebenden Anpassungszwang nicht nachgekommen sei.

Es könne dahinstehen, ob bei Aufnahme der 1 %-Regelung in das Gesetz mit dem Jahressteuergesetz 1996 die Bemessungsgrundlage „Bruttolistenneupreis“ eine zulässige Typisierung einer Pauschalierungsregelung gewesen sei. Zumindest für das Streitjahr 2009 treffe dies nicht mehr zu. Die 1 %-Regelung stelle zwar einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung dar. Aus welchem Grund es mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden sein solle, dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis, der aus der Buchhaltung oder den Belegen zu ersehen sei, zur Bemessungsgrundlage der 1 %-Regelung zu machen, sei nicht nachvollziehbar. Auch die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers zuzüglich der Preisempfehlungen für etwaige Sonderausstattungen müssten gegebenenfalls bei einem Händler oder Hersteller abgefragt werden. Auch die Rechtsprechung gehe grundsätzlich davon aus, dass der geldwerte Vorteil der Nutzung eines Kfz. durch einen Arbeitnehmer von der Höhe des Kaufpreises abhänge. Der gesetzliche Maßstab von 1 % des Listenpreises sei auf statistische Erhebungen zurückzuführen, in die die durchschnittlichen Gesamtkosten aller auch privat genutzten betrieblichen Fahrzeuge eingegangen seien. Danach spiegele der mit 1 % des Listenpreises bemessene Wert realistisch den durchschnittlichen – also vom Einzelfall losgelösten – Anteil der Gesamtkosten wieder, der auch die reinen Privatfahrten entfalle. Soweit Anknüpfungspunkt des geldwerten Vorteils der Bruttolisten-Neupreis sei, wovon 12 % jährlich nach statistischen Erfahrungswerten auf die durch Privatfahrten ausgelösten Kosten entfielen, sei diese gesetzliche Annahme nur zutreffend, wenn in der Mehrzahl der Fälle der Bruttolistenneupreis mehr oder weniger den tatsächlichen Anschaffungskosten entspreche. Anders herum formuliert liege ein Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) vor, wenn die zum gesetzlichen Grundfall gemachte Bemessungsgrundlage „Bruttolistenneupreis“ den Ausnahmefall darstelle. Dies sei vorliegend aber offenkundig der Fall. Der BFH habe im Urteil vom 17. Juni 2009 (VI R 18/07) bereits darauf hingewiesen, dass spätestens seit der Abschaffung des Rabatt-Gesetzes und der Zugabeverordnung zum 25. Juli 2001 sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklung im Kraftfahrzeughandel, die unverbindliche Preisempfehlung in aller Regel nicht der Preis sei, zu dem Fahrzeuge im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten würden. Damit macht das Gesetz einen fiktiven, realitätsfernen Wert zur Bemessungsgrundlage einer Pauschalierung. Dadurch überschreite der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Typisierungs- und Pauschalierungsrahmen. Angesichts des bestehenden Anpassungsfalles sei der Gesetzgeber zumindest für den Zeitraum ab dem Streitjahr verpflichtet, die vorgenommene Pauschalierung zu überprüfen und aufgrund der geänderten Marktverhältnisse anzupassen. Von dem Bruttolistenneupreis sei ein üblicher, durchschnittlicher Abschlag vorzunehmen. Dieser Abschlag sei auf Basis einer Preis-Studie der Universität Duisburg-Essen für Oktober 2010 mit 20 % anzunehmen. Zur Glaubhaftmachung verweisen die Kläger auf die im Schriftsatz vom 4. Februar 2011 beigefügte Preis-Studie. Den verfassungsrechtlichen Einwendungen könne nicht entgegen gehalten werden, dass der Gesetzgeber mit der sogenannten Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG die Möglichkeit geschaffen habe, im Rahmen eines Wahlrechts den Nutzungswert anhand der tatsächlichen Kosten zu ermitteln und dadurch der verfassungswidrigen Pauschalierung zu entgehen. Zum einen sei zu berücksichtigen, dass dies im Rahmen des § 8 EStG lediglich mit der Einschränkung gelte, dass der Arbeitnehmer auf die Mitwirkung des Arbeitgebers angewiesen sei. Obwohl grundsätzlich der Arbeitgeber arbeitsrechtlich verpflichtet sei, dem Arbeitnehmer Auskunft über die tatsächlichen Kfz-Kosten zu erteilen, laufe das Wahlrecht des Arbeitnehmers dort ins Leere, wo der Arbeitgeber, z. B. bei einem großen Fuhrpark, die Fahrzeugkosten nicht getrennt erfasse. Zudem stelle die Fahrtenbuchmethode in der Praxis ein mehr als streitanfälliges Beweismittel dar. Schon bei kleineren Fehlern werde das Fahrtenbuch als nicht ordnungsgemäß verworfen und es komme zwingend die Pauschalierungsmethode zur Anwendung. Zum anderen könne es nicht sein, dass einer verfassungswidrigen Pauschalierungsmöglichkeit letztlich dadurch der Bestand gesichert werde, dass der Gesetzgeber eine Alternativmöglichkeit zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen schaffe. Hierdurch werde der verfassungsrechtlich bestehende Anpassungszwang unterlaufen.

Zudem rügen die Kläger die angewendete gesetzliche Regelung insoweit, als sie auf einen einheitlichen Satz von Sachbezugswert des Arbeitnehmers und Entnahmewert des Unternehmers abziele. Diese Bewertungsansätze seien nicht vergleichbar. Während im Rahmen des § 8 EStG die Höhe des geldwerten Vorteils der privaten Nutzung nach objektiven Merkmalen zu bestimmen sei, gehe es im betrieblichen Bereich um die Korrektur der Betriebsausgaben in Höhe der (tatsächlichen) Aufwendungen des Unternehmers für Privatfahrten, die für die Höhe des geldwerten Vorteils gerade nicht maßgebend seien.

Die Kläger regen an, den Rechtsstreit auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Richtervorlage anzurufen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2009 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 abzuändern und den geldwerten Vorteil für die Überlassung des Pkw nach dem Wert von 31.990 € anstelle des Bruttolistenpreises zu bemessen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er zunächst auf seinen Einspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010. Darüber hinaus weist der Beklagte auf Folgendes hin:

Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entspreche unbeschadet ihres typisierenden und pauschalierenden Charakters den verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Danach sei der Wert der privaten Pkw-Nutzung anhand des inländischen Listenpreises zum Zeitpunkt der Erstzulassung anzusetzen. Diese pauschalierende und stark typisierende Bewertungsregelung sei grundsätzlich zwingend. Die Tatsache, dass im Kfz-Handel aufgrund von Rabatten Fahrzeuge in der Regel unter dem Listenpreis erworben werden, führe nicht zum Verstoß gegen Artikel 3 GG. Im Rahmen des dem Steuergesetzgeber bei Typisierungen eröffneten Gestaltungsspielraums seien steuerrechtliche Regelungen nach Artikel 3 Abs. 1 GG so auszugestalten, dass die Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtige hergestellt werden könne. Dabei stehe dem Gesetzgeber bei Typisierungen von Verfassungs wegen ein breiter Spielraum zur Verfügung. Die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG erfolgte Typisierung begegne auch in der Höhe keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der inländische Listenpreis gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG sei nicht durch Preisnachlässe zu korrigieren. Die Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG stelle sicher, dass – bei Einhaltung der entsprechenden Nachweisanforderungen – niemand zum pauschalen Ansatz eines höheren als des tatsächlichen geldwerten Vorteils gezwungen werde. Diese Regelung diene der Vermeidung von Härtefällen und verhindere damit eine Übermaßbesteuerung in den Fällen, in denen die Pauschalansätze zu Lasten des Steuerpflichtigen der Realität nicht entsprächen. Die Verfassungswidrigkeit könne sich nicht aus dem Gesichtspunkt ergeben, dass die Führung eines Fahrtenbuches unzumutbar sei. Dem Bürger komme von Verfassungs wegen kein Recht auf die für ihn günstigste Lösung zu, ohne dass er selbst mitwirken müsse. Im Hinblick auf die Nachweisanforderungen sei zu berücksichtigen, dass es um die Nutzung eines einheitlichen Gegenstandes sowohl für berufliche als auch private Zwecke gehe und damit eine Vermischung von Aufwendungen der Lebensführung vorliege. Soweit die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ordnungsmäßigkeit eines Fahrtenbuches für unzumutbar gehalten würden, könne dies nicht die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG begründen, da diese Vorschrift lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff „ordnungsgemäß“ enthalte, der im Einzelfall auszulegen sei. Zudem erleichtere die von der Finanzverwaltung zugelassene Benutzung elektronischer Fahrtenbücher den Nachweis erheblich. Die verfassungsrechtlichen Bedenken seien auch unbeschadet der Unzulänglichkeiten hinsichtlich der nicht vergleichbaren Bewertungsansätze des Arbeitnehmers (Sachbezugswert) und des Unternehmers (Entnahmewert) nicht durchgreifend, da dem Gesetzgeber bei typisierenden Regelungen von Massenverfahren mit dem Ziel der Vereinfachung ein breiter Gestaltungsspielraum zukomme.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO-). Der Beklagte hat zu Recht den geldwerten Vorteil für die private Nutzung des betrieblichen Kfz auf der Basis des inländischen Bruttolistenneupreises von 81.400 € berechnet (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) und diesen geldwerten Vorteil als Arbeitslohn bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) erfasst.

a. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG neben Gehältern, Löhnen, Gratifikationen, Tantiemen und anderen Bezügen auch Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Das sind nach § 8 Abs. 1 EStG alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter, die dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zufließen. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG benennt die geldeswerten Güter oder Vorteile (Einnahmen, die nicht in Geld bestehen), nämlich „Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge“; sie sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Nach § 8 Abs. 3 EStG gelten für Waren oder Dienstleistungen, die ein Arbeitnehmer auf Grund seines Dienstverhältnisses erhält, und die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug pauschal versteuert wird, als deren Werte die um 4 % geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber die Waren oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbieten.

aa. Abweichend von diesen auf „Endpreise“ abstellenden Bestimmungen für die Bewertung von Zuwendungen an den Arbeitnehmer verweist § 8 EStG in seinem Absatz 2 Satz 2 und Satz 3 für die private Nutzung eines betrieblichen Kfz zu privaten Fahrten und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift ist für die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Unter dem inländischen Listenpreis im Zeitpunkt der Erstzulassung ist die an diesem Stichtag maßgebliche Preisempfehlung des Herstellers zu verstehen, die für den Endverkauf des tatsächlich genutzten Fahrzeugmodells auf dem inländischen Neuwagenmarkt gilt (R 8.1 Abs. 9 Nr.1 Satz 6 LStR 2011). Mit der Anknüpfung an die Preisempfehlung des Automobilherstellers hat der Gesetzgeber eine stark vereinfachende, typisierende und damit für alle gleichen Fahrzeuge einheitliche Grundlage für die Bewertung der Nutzungsvorteile geschaffen (Bundestags-Drucksache 13/1686, S. 8; BFH-Urteil vom 16. Februar 2005 – VI R 37/04, BStBl II 2005, 563; vgl. auch Urban, Finanz-Rundschau – FR – 2004, 1383 f.).

Kann das Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden, erhöht sich der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Außerdem ist in § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG die sog. Escape-Klausel geregelt, wonach bei Führung eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs nicht die sog. 1 % – Regelung, sondern die aus dem Fahrtenbuch entnommenen Werte maßgeblich sind. Der Arbeitgeber muss bei Führen eines Fahrtenbuches in Abstimmung mit dem Arbeitnehmer die Anwendung eines Verfahrens (1%-Regelung oder Fahrtenbuchmethode) für jedes Kalenderjahr festlegen (Einzelheiten hierzu in R 8.1 Abs. 9 Nr. 3 LStR 2011). Wird kein Fahrtenbuch geführt, ist die Regelung grds. zwingend; eine abweichende Schätzung ist nicht zulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 706; Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Auflage 2011, § 6 Rz. 511).

In den Anwendungsbereich der vorgenannten Vorschriften fallen nach allgemeiner Ansicht nicht nur vom Arbeitgeber angeschaffte, sondern auch – wie im Streitfall – geleaste oder mietete Kfz (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 – VIII R 67/06, BFH/NV 2008, 1662; Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Auflage 2011, § 6 Rz. 512; Hoffmann in Littmann/Bitz/Putz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 6 Rz. 736; Bundesministerium der Finanzen – BMF – vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 1), selbst wenn das Kfz bei Anschaffung oder – wie im Streitfall – Beginn des Leasingverhältnisses gebraucht (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2007 – XI B 178/06, BFH/NV 2008, 562; Blümich/Ehmke, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG, § 6 EStG Rz. 1013h) oder bei Beginn der Nutzungsüberlassung bereits abgeschrieben ist (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2007 – XI B 149/06, BFH/NV 2007, 892).

bb. Unstreitig hat der Beklagte den geldwerten Vorteil für die Überlassung des Dienstwagens BMW 730i in zutreffender Weise auf Grundlage der vorstehend beschriebenen (zwingenden) gesetzlichen Regelungen berechnet (mit 1% des Bruttoneuwagenlistenpreises von 81.400 €/Monat) und Einkünfte erhöhend bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) angesetzt. Im vorliegenden Fall greift § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG ersichtlich nicht ein, weil der Kläger unstreitig kein Fahrtenbuch geführt hat. Bei Befolgen der gesetzlichen Regelungen verbietet sich ein Abzug üblicher Händlerrabatte von der anzusetzenden Bemessungsgrundlage (=Bruttoneuwagenlistenpreis).

b. Der Senat hat nicht die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung zu gewinnen vermocht, dass die gesetzliche Bewertungsregel in § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG verfassungswidrig ist.

aa. Nach der verstetigten Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die 1%-Regelung unter Ansatz des Bruttoneuwagenlistenpreises als Bemessungsgrundlage.

Die Rechtsprechung hat dabei die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG mit der 1%-Regelung für zahlreiche Sachverhaltskonstellationen und unter Berücksichtigung verschiedenster (verfassungs-)rechtlicher Aspekte als verfassungsgemäß erachtet (BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl II 2000, 273 betr. pauschaler Wert der Nutzungsentnahme höher als insgesamt tatsächlich entstandene Aufwendungen und Anwendung des Bruttoneuwagenlistenpreises als Bemessungsgrundlage bei Gebrauchtwagen; BFH-Beschluss vom 18. Januar 2001 – III R 14/99, juris, betr. Verstoß gegen Übermaßbesteuerung, Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen: Beschluss des BVerfG vom 29. Oktober 2002 – 2 BvR 434/01, HFR 2003, 178; BFH-Urteil vom 1. März 2001 – IV R 27/00, BStBl II 2001, 403 betr. pauschale Bewertung der privaten Nutzung bei Gebrauchtwagen; BFH-Beschluss vom 11. März 2002 – XI B 54/01, BFH/NV 2002, 1024; BFH-Urteil vom 13. Februar 2003 – X R 23/01, BStBl II 2003, 472 betr. geleasten und gebrauchte Kfz; BFH-Urteil vom 6. März 2003 – XI R 12/02, BStBl. II 2003, 704 betr. Berechnungsgrundlage für 1%-Regelung; BFH-Beschluss vom 30. Juli 2003 – X R 70/01, BFH/NV 2003, 1580 betr. Ansatz des Listenpreises einschl. Umsatzsteuer, Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen: Beschluss des BVerfG vom 30. Juni 2004 – 2 BvR 1931/03; BFH-Beschluss vom 25. Mai 2005 – IV B 214/03, BFH/NV 2005, 1788 betr. Ausschluss des Betriebsausgabenabzug bei gebrauchten und abgeschriebenen Kfz trotz Versteuerung eines Veräußerungsgewinns; BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2006 – XI B 89/06, BFH/NV 2007, 416 betr. grds. Bewertung von Nutzungsentnahmen mit den anteiligen Kosten; BFH-Beschluss vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 706 betr. Anwendung der 1%-Regelung auf abgeschriebenes Kfz; BFH-Urteil vom 19. März 2009 – IV R 59/06, BFH/NV 2009, 1617 betr. Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs; FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v., rkr, betr. Ansatz des Bruttolistenpreises ohne Berücksichtigung vom Händler gewährter Rabatte; Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. März 2011 – 12 K 345/10, n.v., rkr, betr. Ansatz des Bruttolistenpreises ohne Abzug am Markt üblicher Rabatte).

Vorgebrachten bzw. ins Auge stechenden Bedenken im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip (objektives Nettoprinzip) bzw. eine Übermaßbesteuerung, die sich insbesondere durch den faktischen Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs bei Anwendung der 1%-Regelung auf gebrauchte oder abgeschriebene Kfz geradezu aufdrängen, wurden dabei regelmäßig wegen der Möglichkeit des Führens eines Fahrtenbuches mit belegmäßigem Einzelnachweis (z.B. zuletzt: BFH-Urteil vom 9. März 2010 – VIII R 24/08, BStBl. II 2010, 903 betr. Nutzung mehrerer betrieblicher Kfz) und im Hinblick auf die von der Finanzverwaltung im Billigkeitswege gewährte Deckelungsregelung (vgl. BMF vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 18 ff.) überwunden.

Die Rechtsprechung weist darauf hin, dass der Gesetzgeber sich bei der Typisierung im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums gehalten hat, da es sich um eine widerlegbare Typisierung handelt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl. II 2000, 273). Danach braucht der Gesetzgeber bei Typisierungen nicht allen Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen und immer mehr individualisierende und spezialisierende Regelungen zu treffen. Es entspreche vor diesem Hintergrund den Anforderungen an eine sachgerechte Typisierung, wenn der Gesetzgeber zur Ermittlung des privaten Nutzungsanteils nicht auf die tatsächlichen Anschaffungskosten des Kfz, sondern auf den Listenpreis abstelle. Der Ansatz des Listenpreises statt der Anschaffungskosten entspreche dem Erfordernis, die Entnahme des Steuerpflichtigen für die private Lebensführung nach dem dem Steuerpflichtigen zukommenden Nutzungsvorteil zu bemessen. Hierfür stelle der Listenpreis einen geeigneten Maßstab dar (vgl. BFH-Entscheidungen vom 25. Mai 1992 – VI R 146/88, BStBl II 1992, 700; vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 708; FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v.).

Der Gesetzgeber verlange mit dem Nachweis durch ein ordnungsgemäß geführtes Fahrtenbuch auch nichts Unmögliches oder Unzumutbares vom Steuerpflichtigen. Die 1%-Regelung komme daher auch nicht der Sache nach einer unwiderlegbaren Typisierung gleich, für die strengere verfassungsrechtliche Maßstäbe anzulegen seien (so ausdrücklich FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v.).

bb. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG wird in der steuerrechtlichen Literatur dagegen unterschiedlich beurteilt.

(1) Teilweise wird die Regelung – der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend – in vollem Umfange für verfassungsgemäß erachtet. Zur Begründung wird angeführt, dass Einzelermittlungen im Grenzbereich zwischen betrieblicher und privater Sphäre kaum möglich seien. Außerdem stehe dem Steuerpflichten jederzeit die Wahl der Fahrtenbuchmethode frei. Umgekehrt entfalte die Regelung bei hohem privatem Nutzungsanteil verfassungs-rechtlich problematische Subventionswirkungen, die aber seit dem VZ 2006 durch das Erfordernis einer betrieblichen Nutzung von mehr als 50 % abgemildert seien. Verfassungsrechtlich sei auch der Umstand, dass der Listenpreis in der Regel höher sei als die tatsächlichen Anschaffungskosten unbedenklich. Dies betreffe alle Kfz gleichermaßen und sei daher nur eine Frage der Bemessung des pauschalen Prozentsatzes. Im internationalen Vergleich sei die Pauschalierung ohnehin eher großzügig; im Ausland werde vor allem bei Pkw mit hohem Schadstoffausstoß der Betriebsausgabenabzug stärker eingeschränkt als in Deutschland (vgl. hierzu Schmidt/Kulosa, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 30. Auflage 2011 § 6 Rz. 527).

Auch Pust (in Littmann/Bitz/Pust (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 367 ff.) hält die gegen die 1 %-Regelung erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen für nicht durchgreifend. Die Grenzen der zulässigen Typisierung erweiterten sich für den Gesetzgeber dadurch, dass der Steuerpflichtige die Anwendung der Regelung vermeiden könne, in dem er ein Fahrtenbuch führe und die Gesamtkosten des Kfz nachweise. Der Höhe nach sei die an den Listenneukaufpreis zzgl. Umsatzsteuer und Sonderausstattung anknüpfende Typisierung auch bei der Benutzung eines Altwagens ebenfalls nicht zu beanstanden, da sie über den gesamten Zeitraum der Nutzung des Kfz gesehen – jedenfalls im Zusammenhang mit der Deckelungsregelung der Finanzverwaltung – zu sachgerechten Ergebnissen führe. Durch die Deckelungsregelung sei eine Übermaßbesteuerung auch bei Arbeitnehmern verhindert worden. Die 1 %-Regelung erscheine auch nicht deshalb als verfassungsrechtlich bedenklich, weil der Steuerpflichtige die Führung eines Fahrtenbuches zur Ermittlung der auf die private Nutzung entfallenden anteiligen tatsächlichen Kosten zugemutet werde. Werde ein Gegenstand sowohl privat wie auch beruflich genutzt, treffen den Steuerpflichtigen eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des betrieblichen Aufwandanteils.

Auch Fischer (in Kirchhof, Kommentar zum EStG, 10. Auflage 2011, § 6 Rn. 168) erachtet die auf den inländischen Listenpreis (nicht einen tatsächlichen niedrigeren Kaufpreis, auch bei Reimporten) abhebende, Neu- wie Gebrauchtwagen umfassende, auch bei Vorhandensein eines auch betrieblichen Zweitwagens anwendbare, grob typisierende Regelung für verfassungsgemäß. Zur Begründung wird ebenfalls auf die Möglichkeit des Nachweises des konkreten privaten Nutzungsanteils und einen Billigkeitsanspruch auf Deckelung hingewiesen.

Birk/Kister (in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 Anm. 76 ff.) weisen zwar darauf hin, dass sich die Verfassungswidrigkeit der 1-%-Regelung aus dem Gesichtspunkt ergeben könne, dass die Führung eines Fahrtenbuches unzumutbar sei. Dem Bürger könne jedoch von Verfassungs wegen kein Recht auf die für ihn günstigste Lösung zukommen, ohne dass er daran selbst mitwirken müsse. Außerdem werde man gegen erhöhte Nachweisanforderungen nichts einwenden können, wenn es sich um die Nutzung eines einheitlichen Gegenstands sowohl für berufliche als auch für private Zwecke handele und damit eine Vermischung von Aufwendungen der Lebensführung vorliege. Soweit die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ordnungsmäßigkeit eines Fahrtenbuches für unzumutbar gehalten werden, könne dies nicht die Verfassungswidrigkeit begründen, da dieser lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff „ordnungsgemäß“ enthalte, der im Einzelfall auszulegen sein werde. Zudem erleichtere auch die von der Finanzverwaltung zugelassene Benutzung elektronischer Fahrtenbücher den Nachweis erheblich.

(2) Teilweise wird die 1 %-Regelung in der steuerrechtlichen Literatur aber auch kritisiert. Ehmcke (in Blümich, a.a.O., § 6 Rz. 1013i) hält die Begründungen der Rechtsprechung für die Verfassungsmäßigkeit, insbesondere die Kostendeckelung für zweifelhaft. Die Kostendeckelung sei eine reine Billigkeitsregelung. Sie verstoße zudem gegen die Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung.

Auch Kanzler (FR 2000, 618) hält die 1 %-Regelung für einen groben Klotz. In vielen Fällen komme ein Abzug der Aufwendungen nur bei Führen eines Fahrtenbuches in Betracht. Faktisch wirke die Regelung als Abzugsverbot. Die verwaltungseigene „Deckelungsregelung“, die eine über das Abzugsverbot hinausgehende Nutzungswertbesteuerung verhindere, sei eigentlich schon Beleg für die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift; der Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip wäre evident, gäbe es nicht den Ausweg der Fahrtenbuchführung.

Dürr (in Frotscher, Kommentar zum EStG, § 8 Rz. 157 ff.) hält die 1 %-Regelung insgesamt für unausgewogen. Sie führe bei unter dem Listenpreis für Neufahrzeuge liegenden Anschaffungskosten (z.B. Gebrauchtwagen) und bei nur geringem Umfang der privaten Nutzung zu unrealistischen Privatnutzungswerten. Dem Arbeitnehmer stehe die Einzelnachweismethode als Ausweg (Escape-Klausel) nur dann offen, wenn der Arbeitgeber – worauf der Arbeitgeber häufig keinen Einfluss hat – sich zum belegmäßigen Nachweis bereit finde. Die Führung eines Fahrtenbuchs erscheine nicht unzumutbar – jedoch dürften dabei die Anforderungen an die Fahrtenbuchführung nicht überspannt werden. Dürr plädiert dafür, krasse Härten im Billigkeitswege zu beseitigen. Die 1%-Regelung dürfe nicht dazu führen, dass für ein nachweislich betrieblich genutztes Kfz, also eindeutig betrieblich veranlasstem Aufwand, kein Betriebsausgabenabzug verbleibe. Derartige Ergebnisse seien im Billigkeitsweg schätzungsweise zu korrigieren. Billigkeitsmaßnahmen seien jedenfalls auch dann angebracht, wenn die Fahrtenbuchaufzeichnungen des Steuerpflichtigen aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht anerkannt werden könnten.

Gröpl (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 8 Rn. C 28 f.) erachtet die pauschalierte Kraftfahrzeug-Nutzungswertbesteuerung für verfas-sungsrechtlich bedenklich. Sie könne zu spürbaren Verzerrungen der tatsächlichen Ver-hältnisse führen, insbesondere dann, wenn das betriebliche Kfz einen hohen Listenpreis besitze, sein tatsächlicher Wert deutlich darunter bleibe (etwa bei Gebrauchtwagen) oder wenn das Kfz sehr selten für private Zwecke eingesetzt werde. Unter diesen Umständen bestehe für die Typisierungen die Gefahr, wegen eines übergroßen Nivellierungseffektes an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen zu stoßen. In bestimmten Konstellationen sei zu vermuten, dass ein Teil der Steuerpflichtigen geringere Vorteile aus der Nutzung eines betrieblichen Kfz ziehe, als es die Pauschalierungen in § 8 Abs. 2 Satz 2, 3 und 5 EStG  unterstellten. Rechtsfolge sei die Versteuerung von Nutzungsvorteilen, die tatsächlich nicht zuflössen – eine für den betreffenden Steuerpflichtigen unter Umständen sehr belastende Fiktion, die durchaus in einem Missverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen könne. Für solche Fälle habe der Gesetzgeber zwar eine Härtefallregelung vorgesehen. Das Sammeln von Belegen und der Nachweis der tatsächlichen Nutzungsvorteile könnten für den Steuerpflichtigen aber einen sehr hohen Arbeitsaufwand erfordern, der in der Praxis selten zum Erfolg führe. Die Lohnsteueraußenprüfer der Finanzverwaltung forderten für die Ordnungsmäßigkeit des Fahrtenbuches eine akribisch kontrollierte Lückenlosigkeit, die kaum zu erreichen sei. Insofern scheine die Verfassungs-mäßigkeit der Pauschalierungsregelungen durch die Escape-Klausel in der Theorie zwar gewährleistet zu sein. Bei überaus regidem Vollzug könne insoweit die Verfassungswid-rigkeit des gesamten Regelungskomplexes herauf beschworen werden.

Bedenken gegen die materielle Verfassungsmäßigkeit werden auch von Nolte (in Herr-mann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer/Körperschaftsteuergesetz, § 6 Anm. 1202 d) vorgebracht. Gerügt wird die Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe nicht bedacht, dass die Bewertung der Nutzungsentnahme in vielen Fällen ein faktisches Abzugsverbot für betrieblich veranlasste Kfz-Kosten bedeute. Damit sei der Steuerpflichtige gezwungen, die Escape-Klausel, also die Fahrten-buchmethode mit belegmäßigem Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen, in Anspruch zu nehmen. Ferner sei das Gebot der Gesetzesbestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) durch § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 2 und 3 EStG verletzt. Das Gesetz enthalte die Begriffe „inländischer Listenpreis“ und „Sonderausstattungen“. Das Gesetz lasse dabei völlig offen, von welcher inländischen Liste der Preis zu entnehmen sei und was zu den Sonderausgestaltungen gehöre. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG enthalte die Begriffe „Belege“ und „Fahrtenbuch“. Was unter einem Beleg sowie unter einem Fahrtenbuch zu verstehen sei, besage die Vorschrift selbst nicht.

(3) Urban (in „Die Besteuerung von Firmen- und Dienstwagen“, Köln, 2009) hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Nutzungswertbesteuerung bis VZ 2005 betroffen ist (vgl. hierzu 10. Kapitel, A., S. 248 – 259).

Anders beurteilt er jedoch die Verfassungsmäßigkeit unter Berücksichtigung der ab dem VZ 2006 geltenden 50%-Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Ausgehend von der herrschenden Meinung, nach der der modifiziert individuelle Nutzungswert nicht bei Überschusseinkünften anwendbar ist, seien Gewinn- und Überschusseinkünfte bei einem Nutzungsanteil zu Privatfahrten von mindestens 50% unterschiedlich zu behandeln. Wegen der in der Mehrzahl der Fälle begünstigenden Wirkung der Pauschalierung in diesen Fällen werde die Kfz-Nutzungsüberlassung bei Überschusseinkünften damit besser gestellt als die Eigennutzung bei Gewinneinkünften. In den Fällen, in denen trotz Privatnutzung von nicht unter 50% der Ansatz der tatsächlichen Kosten niedriger ist als derjenige des pauschalen Nutzungswerts, seien Überschusseinkünfte schlechter gestellt als Gewinneinkünfte. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung sei nicht gegeben. Eine Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG sei nur zu vermeiden, wenn man im Wege der verfassungskonformen Auslegung dazu komme, dass die 50%-Regelung auch bei den Überschusseinkünften anwendbar ist (vgl. Urban, a.a.O., B. I.3., S. 264 ff.; anders aber die Begründung des Gesetzesentwurfs, siehe BT.-Drucks. 16/634 S. 11).

cc. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Regelungskonstrukt zur Bewertung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kfz insgesamt verfassungsgemäß ist. Der Senat teilt die gegen die Verfassungsmäßigkeit in der steuerrechtlichen Literatur vorgebrachten Bedenken nicht. Entgegen der Auffassung der Kläger war der Gesetzgeber auch nicht gezwungen, die typisierende 1%-Regelung nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklungen im Kraftfahrzeughandel zu überprüfen und an die veränderten Marktverhältnisse anzupassen.

Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG erfolgte Typisierung, die auf den inländischen Listenpreis und nicht auf einen tatsächlich niedrigeren Kaufpreis oder – bei Leasingverträgen einem der Finanzierung zugrunde gelegten Wert -abhebt – und Neu- und Gebrauchtwagen gleichermaßen betrifft, eine recht grobe Typisierung darstellt. Gleichwohl begegnet sie nach Überzeugung des Senats keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

(1) Die vorgebrachte verfassungsrechtliche Kritik im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG teilt der Senat nicht. Der Senat ist der Überzeugung, dass die 1%-Regelung insbesondere mit den Grundsätzen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einklang steht.

Aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlichen Lasten hergeleitet, der das Gebot der Besteuerungsgleichheit und der Belastungsgleichheit umfasst. Dabei wird die Besteuerungsgleichheit grundsätzlich dadurch herbeigeführt, dass für alle vergleichbaren Besteuerungssubjekte gleiche Regelungen geschaffen, insbesondere für vergleichbare Sachverhalte gleiche steuerliche Forderungen herbeigeführt werden. Für das Einkommensteuerrecht wird dies insbesondere durch den Leistungsfähigkeitsgrundsatz konkretisiert (st. Rspr. des BVerfG, z.B. Beschluss v. 21. Juni 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Das hieraus abgeleitete objektive Nettoprinzip beinhaltet, dass nur die reinen Einkünfte einkommensteuerlich erfasst werden dürfen, also im Rahmen der Einkunftsermittlung die Erwerbsaufwendungen steuermindernd berücksichtigt werden müssen. Allerdings darf der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip durchbrechen. So ist er nicht verpflichtet, gewillkürte Aufwendungen zwingend in ihrer tatsächlichen Höhe zu berücksichtigen. Er darf insbesondere bei der Abgrenzung der Erwerbs- von der Privatsphäre die Abzugsfähigkeit auf notwendige Aufwendungen beschränken (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 2 BvR 301/98, BStBl. II 2000, 162). Gerade im Bereich dieser Abgrenzung darf der Gesetzgeber sich auch typisierender, pauschalierender und generalisierender Regelungen bedienen. Er kann insbesondere im Bereich von Massenerscheinungen einen typischen Lebenssachverhalt zugrunde legen und individuelle Besonderheiten unberücksichtigt lassen. Dabei müssen solche Regelungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bestimmte Anforderungen erfüllen: Sie müssen grundsätzlich erforderlich, geeignet und angemessen sein, um den Zweck der Vereinfachung zu erfüllen, und sie müssen realitätsgerecht sein, was die Zugrundelegung eines atypischen Falles ausschließt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 21. Juni 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Härten und Ungerechtigkeiten dürfen nur eine relativ kleine Zahl von Personen treffen und nicht sehr intensiv und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein. Diese Einschränkungen beziehen sich aber nur auf zwingende bzw. unwiderlegbare Typisierungen, Pauschalierungen und Generalisierungen. Sind sie widerlegbar, steht dem Gesetzgeber in begünstigenden Regelungen ein weiter Ermessensspielraum zu (BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl. II 2000, 273). Ausgeschlossen sind hier nur willkürliche oder unangemessene Differenzierungen, also gezielte Gruppenbenachteiligungen und umgekehrt die willkürliche oder unangemessene Gleichbehandlung zwingend zu differenzierender Gruppen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind.

Auf den Streitfall übertragen bedeutet dies Folgendes: Bei der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG handelt es sich um eine sog. widerlegbare Typisierung. Dem Gesetzgeber steht hier also ein weiter Ermessensspielraum zu. Eine willkürliche oder unangemessene Differenzierung vermag der Senat nicht zu erkennen. Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine gesetzliche Verweisung auf die Fahrtenbuchmethode zulässig und geboten. Steuerpflichtige haben keinen Anspruch auf die Berücksichtigung eines günstigeren Ansatzes, als er sich nach der Fahrtenbuchmethode ergibt. Diese Methode genügt, obgleich sie keinen völlig abstrakten Maßstab, sondern den aus den Gesamtkosten abgeleiteten Durchschnittswert zugrunde legt, den Anforderungen des objektiven Nettoprinzips an die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Erwerbskosten. Die weitergehende Berücksichtigung bedeutet eine Subventionierung der privaten Kfz-Nutzung, zu der es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt.

Gegen die Fahrtenbuchmethode kann auch nicht eingewandt werden, sie sei zu kompliziert und deshalb unverhältnismäßig. Soweit das BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 68/05, BFH/NV 2008, 1240) unter II, 2.e die Verweisung auf die Fahrtenbuchmethode allein für den Nachweis der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als unverhältnismäßig ansieht, berührt dies nicht die Verhältnismäßigkeit der Methode bei Anwendung auch für Privatfahrten. Die Methode geht nicht über die nach allgemeinen Buchführungsgrundsätzen gebotenen Anforderungen an die Form und den Inhalt der Aufzeichnungen und Belegnachweise hinaus (vgl. Urban, a.a.O., 254 f.). Da die Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse gerade bei der Kfz-Nutzung sehr schwierig ist und auch deshalb eine erhebliche Missbrauchsneigung besteht, ist der Gesetzgeber auch außerhalb des Bereiches der buchführungpflichtigen Steuerpflichtigen nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gehindert, den Nachweis an strenge Anforderungen zu knüpfen (vgl. Birk/Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 Anm. 76 am Ende). Dies gilt auch vor dem Hintergrund des ohnehin relativ geringen Beweiswertes von Eigenaufzeichnungen wie einem Fahrtenbuch (vgl. FG München, Urteile vom 5. Oktober 1988 – I R 55/82 E, EFG 1989, 165, rechtskräftig; und vom 8. April 2002 – 6 K 2850/99, n.v.). Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass durch die Möglichkeit, ein elektronisches Fahrtenbuch zu führen, der Aufzeichnungsaufwand erheblich reduziert werden kann (vgl. Birk/Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 Anm. 76). Verfassungsrechtlich dürfte es überhaupt nicht geboten sein, ohne exakten Nachweis bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen steuermindernd zu berücksichtigen. Von der Finanzverwaltung praktizierte Erschwernisse der Fahrtenbuchregelung begründen nicht die Verfassungswidrigkeit der pauschalen Nutzungswertbesteuerung. Diesen kann durch – ggf. im Klageverfahren herbeizuführende – zutreffende Rechtsanwendung begegnet werden (so auch Urban, a.a.O., S. 254 ff.). Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH kleinere Mängel nicht gleich zur Verwerfung des Fahrtenbuchs und Anwendung der 1%-Regelung führen, wenn die Angaben insgesamt plausibel sind und die Aufzeichnungen eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten (vgl. BFH-Urteil vom 10. April 2008 – VI R 38/06, BStBl. II 2008, 768).

Davon abgesehen ist es im vorliegenden Streitfall nicht geboten, die Frage der Zumutbarkeit des Führens eines Fahrtenbuches zu überprüfen, da der Kläger unstreitig kein Fahrtenbuch geführt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2007 – XI B 149/06, BFH/NV 2007, 892).

Entgegen der Auffassung der Kläger ist es verfassungsrechtlich auch nicht geboten, für ältere oder gebraucht erworbene Kfz niedrigere Werte anzusetzen. Denn für die Gleichbehandlung von Neufahrzeugen gibt es verschiedene sachliche Rechtfertigungsgründe, die dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit berechtigen, diese Gruppen gleich zu behandeln. Erfahrungsgemäß sind die laufenden Verbrauchs- und Reparaturkosten bei älteren Kfz höher als bei Neuwagen. Soweit die AfA bereits abgelaufen ist, wird mit dem beibehaltenen Kfz-Nutzungswert lediglich eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Vergünstigung kompensiert, die darin liegt, dass die AfA-Laufzeit von sechs bzw. acht Jahren die tatsächlichen Laufzeiten erheblich unterschreitet. Im Übrigen wird das Fahrzeugalter zumindest teilweise dadurch berücksichtigt, dass der historische Listenpreis und nicht der aktuelle, in der Regel höhere Preis des Nutzungszeitraums zugrunde gelegt wird. Schließlich ist die Beibehaltung des Listenpreises aus Gründen der Vereinfachung gerechtfertigt; die Berücksichtigung individueller wertmindernder Faktoren würde die Anforderungen an das Massenverfahren überspannen. Eine Benachteiligung von Arbeitnehmern durch schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers ist schließlich hinreichend durch aus dem arbeitsrechtlichen Treueverhältnis erwachsene Schadensersatzansprüche Rechnung getragen, so dass es hier zu keiner gesonderten steuerrechtlichen Regelungen bedarf (vgl. hierzu Urban, a.a.O., S. 256).

Der Senat vermag auch nicht einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit festzustellen. Das Gebot der Normenklarheit als Aspekt der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) abgeleiteten Gebote der Bestimmtheit und Justiziabilität von Rechtsnormen erfordert so klare, bestimmte, in sich schlüssige (widerspruchsfrei), verständliche, einsichtige, exakt formulierte, in ihren Folgen möglichst voraussehbare, praktikable und justiziable Normen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und Normenzwecke möglich ist (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02, BFH/NV – Beilage 2005, 340). Bloße Auslegungsschwierigkeiten begründen die Verfassungswidrigkeit nicht (Mellinghoff, DStJG 27 (2004), 25, 36).

Aus Sicht des Senates kann dahinstehen, ob die Regelungen über dem Kfz-Nutzungswert dem Idealbild der Normenklarheit entsprechen. So kann der Senat offen lassen, ob die Regelungen – wie teilweise in der Literatur kritisiert – Systembrüche, rechtstechnische und sprachliche Mängel, uneinheitliche Begriffsbildungen, unklare Verweisungstechniken und unklare Regelungen der Rechtsfolgen enthalten. Nach Überzeugung des Senates überschreiten diese Mängel aber nicht die Grenzen des Gebots der Normenklarheit. Der Grundregelungsgehalt der Bestimmungen ist jedenfalls unter Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsregeln hinlänglich verständlich. Dies gilt insbesondere für die typischen Anwendungsfälle des pauschalen Nutzungswerts. Aber auch die Probleme der Sonderfälle lassen sich durch Auslegung – wenn auch unter einigen Schwierigkeiten – hinreichend klären (so auch Urban, a.a.O., S. 256 ff.).

(2) Für den Streitfall kann auch dahinstehen, ob die gesetzliche Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften und solchen mit Überschusseinkunftsarten im Hinblick auf die Möglichkeit des Ansatzes eines modifizierten individuellen Nutzungswertes bei Unterschreiten der 50%-Grenze zur Verfassungswidrigkeit führen kann (so Urban, a.a.O., S. 209 ff. und 264 ff.). Im Streitfall ist weder vorgetragen worden noch aus den Akten zu ersehen, dass der Kläger das überlassene Kfz zu weniger als 50% für seine berufliche Tätigkeit nutzt. Nur insoweit wäre eine den Kläger belastende Ungleichbehandlung denkbar. Im Übrigen fehlen auch die für die Feststellung des Nutzungsumfangs erforderlichen (formlosen) Aufzeichnungen über einen repräsentativen zusammenhängenden Zeitraum von 3 Monaten (vgl. BMF-Schreiben vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 4 ff.).

(3) Entgegen der Auffassung der Kläger hat der Gesetzgeber auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, in dem er unverändert seit 1996 an dem Bruttoneuwagenlistenpreis als Bemessungsgrundlage festgehalten hat. Ein Gleichheitsverstoß wegen Verletzung der Anpassungsverpflichtung liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor.

Zu Recht weisen die Kläger darauf hin, dass das Recht zur gesetzlichen Typisierung unter dem Vorbehalt der realitätsgerechten Erfassung der Wirklichkeit steht. Verändern sich die tatsächlichen Umstände wesentlich, so ist die gesetzliche Typisierung an die tatsächliche Entwicklung anzupassen. Dem Gesetzgeber ist daher grundsätzlich vor allem verwehrt, einen atypischen Fall zum Leitbild der Typisierung zu machen oder an einem früher vielleicht typischen Leitbild festzuhalten, das mittlerweile zu einem atypischen Fall geworden ist. Der Gesetzgeber steht insoweit unter einem ständigen Anpassungszwang (vgl. hierzu insbesondere BVerfG, Urteil vom 8. Juni 1993 – 1 BvL 20/85, BStBl II 1994, 59 und vom 6. März 2002 – 2 BvL 17/99, BStBl II 2002, 618 m.w.N.; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 3 AO Tz. 51; Seer, StuW 1996, 323, 329; Druen, StuW 1997, 261, 270).

Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu dem der Gesetzgeber zur Überprüfung einer Typisierung gezwungen ist, gibt es – soweit ersichtlich – keine starre Grenzen. Vielmehr müssen die Umstände des jeweiligen Einzelfalls daraufhin überprüft werden, ob sich die Lebenswirklichkeit so weit von dem gesetzgeberischen Leitbild entfernt hat, das ein Festhalten daran zu einem gleichheitswidrigen Verstoß gegen die Anpassungsverpflichtung führt.

So hat das BVerfG (Urteil vom 8. Juni 1993 – 1 BvL 20/85, BStBl II 1994, 59)  z.B. die Verfassungswidrigkeit des § 3b Abs. 2 Nr. 4 EStG (alte Fassung) festgestellt, weil der Gesetzgeber die ursprünglich verfassungsgemäße Regelung nicht an die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse angepasst hat. Die Begrenzung der Höchstbeträge für Nachtarbeitszuschläge auf 15% des Grundlohns war nach Auswertung der Vereinbarungen von rund 470 Lohn- und Gehaltstarifbereichen eingeführt worden, weil sie einem guten Durchschnitt der damals tarifvertraglich vereinbarten Zuschläge entsprochen haben. In den Jahren 1975 bis 1977 hatten die erfassten Arbeitnehmer des tarifvertraglichen Bereichs im Durchschnitt 25% des Grundlohns als Zuschläge für regelmäßige Nachtarbeit erhalten. Damit lag der durchschnittliche Zuschlag um 66,66% über dem gesetzlichen Höchstbetrag. 1975 und 1977 hatten 72% und 1976 71% der im tarifvertraglichen Bereich erfassten Arbeitnehmer einen höheren Zuschlag als 15% erhalten.

Vergleichbare gravierende Abweichungen von der Lebenswirklichkeit sind im Streitfall nicht festzustellen. Selbst wenn den Klägern konstatiert werden kann, dass nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung der Bruttoneuwagenlistenpreis für ein Neufahrzeug nicht dem Wert entspricht, der am Markt für das Kfz tatsächlich bezahlt wird (so auch BFH-Urteil vom 17. Juni 2009 – VI R 18/07, BStBl. II 2010, 67) und Rabatte – abhängig vom Hersteller, Modell und Sonderfaktoren wie Verkäuflichkeit und Auslauf- oder Sondermodell – zwischen 10% und teilweise über 30% üblich sind, führt dies nach Auffassung des Senats noch nicht zu einer Anpassungsverpflichtung für den Gesetzgeber. Abgesehen davon, dass die Abweichungen vom Bruttolistenpreis durch übliche Rabatte die Größenordnung der oben genannten Entscheidung des BVerfG (Abweichung 66%) bei weitem nicht erreichen, ist zu berücksichtigen, dass sich die Höhe der Rabatte auch – bei entsprechend veränderten Marktverhältnissen und großer Nachfrage – wieder zurückentwickeln kann und die Rabatte für größere und teure Fahrzeuge inländischer Hersteller häufig die Grenze von 15% nicht überschreiten. Diese Größenordnung üblicher Rabatte für größere Fahrzeuge macht zudem deutlich, dass der von den Klägern begehrte generelle Abschlag von 20% vom Bruttolistenpreis nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht verpflichtet, jeder Veränderung der Marktpreise Rechnung zu tragen. Dabei spiegeln sich grundsätzlich steigende Preise auch in entsprechend angepassten Bruttolistenpreisen wieder, sodass insoweit eine regelmäßige Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse – Preissteigerungen – erfolgt.

Alles andere ließe sich im Übrigen auch nicht mit dem von der gesetzlichen Regelung verfolgten Vereinfachungszweck und den Anforderungen an das Massenverfahren vereinbaren.

Im Ergebnis hält sich der Gesetzgeber daher auch im Streitjahr 2009 durch ein Festhalten am Bruttoneuwagenlistenpreis noch im Rahmen seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1  Finanzgerichtsordnung.

3. Die Revision war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Soweit ersichtlich liegt noch keine Entscheidung des BFH zu der Frage des Anpassungszwangs des Gesetzgebers im Rahmen der 1%-Regelung vor. Der BFH könnte im Rahmen eines Revisionsverfahrens klarstellen, inwieweit seine Entscheidung zur Bewertung eines durch die günstige Überlassung eines Neuwagens an einen Arbeitnehmer gewährten Vorteils (Urteil vom 17. Juni 2009 – VI R 18/07, BStBl. II 2010, 67) Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Anpassung der Bemessungsgrundlage „Bruttolistenpreis“ hat.

Überschusserzielungsabsicht bei der Vermietung einer Ferienwohnung trotz geringfügiger Selbstnutzung

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 07.03.2012 (Az.: 9 K 180/09) einer Klage wegen der steuerlichen Anerkennung von mehrjährigen Verlusten aus der privaten Vermietung einer Ferienwohnung stattgegeben und dabei – entgegen der Rechtsprechung des BFH – die Überschusserzielungsabsicht trotz geringfügiger Selbstnutzung unterstellt.

Hintergrund: Die Kläger sind Eigentümer einer 1997 erworbenen Ferienwohnung, die sie über eine Vermittlungsgesellschaft in den Streitjahren 1997 bis 2006 – abgesehen von einer jährlichen dreiwöchigen, im Vermittlungsvertrag vorbehaltenen Selbstnutzung – fremdvermieteten. Das beklagte Finanzamt (FA) hatte zunächst in den Jahren 1997 bis 2005 die erklärten Verluste aus der Vermietung der Ferienwohnung vorläufig nach § 165 der Abgabenordnung (AO) anerkannt. Nachdem in diesem Zeitraum nur Verluste in erheblicher Höhe erklärt wurden, überprüfte das FA die Überschusserzielungsabsicht anhand einer Prognoseberechnung über einen Zeitraum von 30 Jahren. Weil die Prognoseermittlung einen Totalverlust ergab, erkannte das FA in allen Streitjahren die Verluste mangels Überschusserzielungsabsicht rückwirkend nicht mehr an. Die Überprüfung der Überschusserzielungsabsicht, die grundsätzlich bei ausschließlicher Vermietung an fremde Dritte entbehrlich ist, hielt das FA dabei auch bei nur geringfügiger Selbstnutzung für geboten.

Dieser Rechtsauffassung, die auf der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) basiert, ist der 9. Senat des Niedersächsischen FG entgegengetreten. Nach Auffassung des NFG besteht jedenfalls dann kein Anlass, an der Überschusserzielungsabsicht eines Wohnungsvermieters zu zweifeln, der seine Ferienwohnung an zwei oder drei Wochen im Jahr selbst nutzt, sich dies nur vorbehält oder die Selbstnutzung auf übliche Leerstandszeiten beschränkt, wenn die tatsächlichen Vermietungstage die ortsüblichen Vermietungstage – wie dies im Streitfall festgestellt werden konnte – erreichen oder sogar übertreffen. Nur auf diese Weise könne eine Gleichbehandlung zwischen den Fällen der Vermietung über einen Vermittler mit den Fällen der Vermietung in Eigenregie erreicht werden (vgl. hierzu bereits FG Köln, Urteil vom 30.06.2011, 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11).

Der temporären Überlagerung der unterstellten Überschusserzielungsabsicht durch die vorbehaltene, steuerlich unbeachtliche Selbstnutzung trug das Gericht insoweit Rechnung, als die Gesamtaufwendungen der Kläger zeitanteilig im Verhältnis der vorbehaltenen Selbstnutzungstage zu den Gesamttagen des jeweiligen Streitjahres gekürzt wurden.

Das NFG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Abweichung von der BFH-Rechtsprechung zugelassen. Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Az. IX R 22/12 anhängig.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Unterstellung der Überschusserzielungsabsicht auch bei nur geringfügiger Selbstnutzung einer ansonsten fremdvermieteten Ferienwohnung

Erzielt ein Steuerpflichtiger durch die Fremdvermietung einer einzelnen Ferienwohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, ist die Überschusserzielungsabsicht auch dann zu unterstellen, wenn die Wohnung in geringem Umfang selbst genutzt wird, die jährlichen tatsächlichen Vermietungstage aber regelmäßig die Grenze von 75% der ortsüblichen Vermietungstage überschreiten (entgegen BFH-Rechtsprechung).

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 07.03.2012, 9 K 180/09

§ 15 Abs 1 S 1 EStG 1997, § 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997, § 2 Abs 1 S 1 Nr 6 EStG 1997

Tatbestand

1
Streitig ist die Berücksichtigung von Verlusten aus der Vermietung einer Ferienwohnung in den Streitjahren 1997 – 2006.
2
Die Kläger sind Eheleute und werden in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erwarben mit Vertrag vom 27. November 1997 eine Ferienwohnung an der Ostsee in F. Die Wohnung befindet sich in einem Wohnkomplex mit mehreren weiteren Ferienwohnungen. Nach umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten wurde die Wohnung im Dezember 1998 bezugsfertig. Die erstmalige Vermietung erfolgte im Jahr 1999.
3
Die Vermietung der Ferienwohnung erfolgte zunächst durch die von den Klägern beauftragte L Immobilien GmbH (im Folgenden: L). In dem vorgelegen Vermietungsauftrag vom 22. April 1998 wurde die Vermietung zwischen der L und den Klägern wie folgt geregelt:
4
1. Die L übernimmt die ausschließliche Vermietung.
5
2. Die Kläger übergeben die Wohnung voll möbliert (einschließlich Geschirr und Bettwäsche) gem. Inventarliste an die L.
6
3. Die L betreibt selbstständig Werbung.
7
4. Die L nimmt die jeweilige Reinigung auf Kosten des Mieters vor.
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5. Die L übergibt die Wohnung an den jeweiligen Mieter und übernimmt sie nach Ablauf der Mietzeit.
9
6. Die L veranlasst die Begleichung der Kurtaxe durch den Mieter.
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7. Den Klägern bleibt eine Eigennutzung von max. 21 Tagen vorbehalten.
11
Um ergänzende Leistungen wie z.B. Wäscheverleih, Fahrradverleih oder Frühstücksbüffet sollte die L bei Nachfrage bemüht sein.
12
Nach Differenzen mit den Eigentümern des Ferienwohnungskomplexes trat die Fa. U Hotel und Freizeit GmbH & Co. mit Wirkung vom 1. Februar 2002 in den Vertrag der L ein und übernahm seither die Vermittlung auch der Ferienwohnung der Kläger.
13
Zur Frage der Selbstnutzung ist im § 5 des Vermittlungsvertrags vom 1. Juli/16. Juli 2001 Folgendes geregelt:
14
„(1) Die Eigennutzung ist auf den Vermieter und seine Familienangehörigen beschränkt. Jede entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung an Dritte während der vereinbarten Eigennutzungszeit ist strikt untersagt. Bei einer Zuwiderhandlung schuldet der Vermieter dem Vermittler die entgangene Provision, die auf der Basis der Brutto-Logis berechnet wird.
15
(2) Eine Nutzung der Ferienwohnung für den Vermieter wird auf 21 Tage im Kalenderjahr begrenzt, soweit Vermieter und Vermittler nicht die Eigennutzung ausdrücklich durch Zusatzvereinbarung anders regeln. Soll die Ferienwohnung vom Vermieter 7 oder mehr Tage zusammenhängend genutzt werden, so ist dies am jeweiligen Jahresende für das nächste Jahr bekannt zu geben. Der Vermieter wird Eigennutzungswünsche ansonsten spätestens 4 Wochen vor beabsichtigtem Nutzungsbeginn bekanntgeben.
16
(3) Bei eventuellen Überschneidungen mit bereits erfolgten Buchungen hat der Mieter Vorrang.
17
(4) Für die Zeit der Eigennutzung außerhalb der Hauptsaison im Sinne der Anlage 2a bzw. 2b schuldet der Vermieter dem Vermittler keine Provision. Der Vermieter ist jedoch verpflichtet, dem Vermittler für die Zeit der Eigennutzung in der Hauptsaison (Anlage 2a bzw. 2b) die bei Fremdnutzung geschuldete Provision zu zahlen. In jedem Fall sind vom Vermieter aber die Kosten für die Endreinigung zu zahlen.“
18
Die Kläger nutzten die zur Selbstnutzung vorbehaltenen 21 Tage in der Regel vollständig aus. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass jährlich 3 bis 4 Aufenthalte stattgefunden haben, und zwar in der Regel in den Zeiträumen April/Mai, Mai/Juni, Juli/August und Oktober. Nach den Angaben der Kläger erfolgte die Eigennutzung nur zu Erholungszwecken. Um notwendige Reparaturen kümmerte sich ausschließlich der Vermittler. Die insoweit entstandenen Kosten wurden den Klägern in Rechnung gestellt.
19
In den Streitjahren erzielten die Kläger folgende Einkünfte der Vermietung ihrer Ferienwohnung:
20
1997: ./. 39.218 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
21
1998: ./. 40.325 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
22
1999: ./. 18.286 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 42.327 DM)
23
2000: ./. 24.408 DM (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 34.000 DM)
24
2001: ./. 21.740 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 30.399 DM)
25
2002: ./. 11.942 € (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 16.574 €)
26
2003: ./. 8.723 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 16.401 €)
27
2004: ./. 11.009 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 17.474 €)
28
2005: ./. 10.853 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 17.014 €)
29
2006: ./. 8.365 € (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 15.807 €)
30
Aus den noch vorhandenen Unterlagen der Kläger ließen sich für folgende Streitjahre die Vermietungszeiten der Ferienwohnung (ohne Selbstnutzung) ermitteln:
31
2000: 101 Tage
32
2003: 141 Tage
33
2004: 113 Tage
34
2005: 105 Tage
35
2006: 121 Tage
36
Für die nicht streitigen Folgejahre ergaben sich folgende Vermietungszeiten:
37
2007: 106 Tage
38
2008: 130 Tage
39
2009: 125 Tage
40
2010: 154 Tage
41
2011: 142 Tage
42
Über alle Kalenderjahre ergibt sich danach ein Durchschnittswert von 123,8 Tagen; unter der Regie des neuen Vermittlers ab 2002 ergibt sich ein Durchschnittswert von 126,3 Vermietungstagen pro Jahr.
43
Nach Auskunft der Stadt Ostseebad F (Schreiben vom 15. Juni 2007) beträgt die durchschnittliche Auslastung von Ferienwohnungen in Strandnähe ca. 150 Tage im Jahr. Für die konkrete Ferienwohnung der Kläger, die nicht in Strandnähe liegt, sei „bei einer Auslastung von 135 Tagen im Jahr von einer sehr guten Auslastung auszugehen“.
44
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, die sich vornehmlich auf die ersten Vermietungsjahre (Vermittler L) beschränken, betrug die Anzahl der zusammenhängenden Vermietungstage regelmäßig über 3 Tage, in den Hauptsaisonzeiten und insbesondere in den Jahren ab 2003 zwischen 7 und 14 Tagen.
45
Bei der Berechnung der Einkünfte kürzten die Kläger ab dem Streitjahr 2005 die Aufwendungen im Verhältnis der tatsächlichen Selbstnutzungstage zu den Gesamttagen des jeweiligen Jahres wie folgt:
46
2005: 15/365
47
2006: 21/365
48
Bis zum Streitjahr 2006 machten die Kläger insgesamt Verluste aus der Vermietung der Ferienwohnung i.H.v. 124.506 € geltend. Die Veranlagungen der Jahre 1997 – 2005 erfolgten hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb/Vermietung und Verpachtung gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO) vorläufig mit dem Vermerk, dass die Gewinnerzielungsabsicht bzw. die Einkünfteerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne. Die jeweiligen Erstbescheide mit den entsprechenden Vorläufigkeitsvermerken wurden von den Klägern nicht angefochten und sind bestandskräftig.
49
Mit dem Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. November 2005 wurden die Kläger aufgefordert, eine Prognoseberechnung für die Ferienwohnung zu erstellen. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung 2005 ein und wandten sich erstmals gegen die Einstufung der Vermietungseinkünfte als solche aus Gewerbebetrieb. Sie vertraten die Auffassung, die Einkünfte seien als solche aus Vermietung und Verpachtung anzuerkennen. Eine weitere Begründung und auch die angeforderte Prognoseberechnung reichten die Kläger zunächst nicht ein.
50
Der Beklagte führte daraufhin die Veranlagung 2005 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) durch. Er übersandte den Klägern mit dem nachfolgenden Einkommensteuerbescheid einen Fragebogen zur Qualifizierung der Einkünfte und forderte die Kläger nochmals auf, eine Prognoseberechnung einzureichen. Anhand des ausgefüllten Fragebogens und der am 23. Mai 2008 durch die Kläger eingereichten Prognose entschied der Beklagte, dass es sich bei der Vermietung der Ferienwohnung um steuerlich nicht berücksichtigungsfähige Verluste handele. Der Beklagte gelangte im Rahmen der Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte aus der Vermietung der Ferienwohnung als solche aus § 21 EStG (Vermietung und Verpachtung) zu qualifizieren seien. Abweichend von der Prognoseberechnung der Kläger ermittelte der Beklagte einen Totalverlust i.H.v. 75.681 €, hilfsweise einen Totalverlust nach § 15 EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb) i.H.v. 22.308 €. Da nach Auffassung des Beklagten keine Gewinnerzielungsabsicht/bzw. Einkünfteerzielungsabsicht gegeben war, änderte der Beklagte die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2005 entsprechend. Der in der Einkommensteuererklärung 2006 geltend gemachte Verlust aus Vermietung und Verpachtung wurde nicht berücksichtigt.
51
Gegen die nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2005 und den erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2006 legten die Kläger jeweils Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren vertraten die Kläger zunächst die Auffassung, dass die Vermietungseinkünfte als solche aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren seien. Bei der Prognoseberechnung sei deshalb ein Veräußerungsgewinn von 135.000 € zu berücksichtigen. Im Übrigen sei keine Überprüfung des Totalgewinns vorzunehmen, wenn wie im Streitfall die Wohnung nur in einem geringen Maße selbst genutzt worden sei. Die Ermittlung des Totalgewinns sei darüber hinaus in Bezug auf die Zinsaufwendungen zu korrigieren, da neue Darlehensverträge abgeschlossen worden seien. Die Änderungen der Steuerbescheide für die Jahre 1997 – 2002 seien im Übrigen unzulässig, da die Festsetzungsfrist hierfür bereits abgelaufen sei. So habe sich die Ungewissheit, die vorliegen müsse, in keiner Weise seit Kauf der Wohnung bis heute verändert.
52
Im Einspruchsverfahren verblieb der Beklagte bei der Qualifizierung der Vermietungseinkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung und erstellte insoweit eine angepasste Prognose zur Ermittlung des Totalüberschusses:
53
Jahresbetrag Durchschnitt der letzten 4 Jahre Verbleibende Jahre des Prognosezeitraums 2007 bis 2026 /
20 Jahre
Zwischensumme Endsumme
Einnahmen lt. Stellungnahme Berater 6.091,00 EUR 121.820,00 EUR
+ Sicherheitszuschlag 10 % 12.182,00 EUR
Summe der Einnahmen 134.002,00 EUR 134.002,00 EUR
Zinsen 23.053,00 EUR
Sonstige Werbungskosten 4.876,00 EUR 97.520,00 EUR
Instandhaltungskosten 259,00 EUR 5.180,00 EUR
Ersatzbeschaffung für Einrichtung 15.000,00 EUR
Werbungskosten / ohne AfA gesamt 140.753,00 EUR
– Sicherheitsabschlag 10 % – 14.075,00 EUR
Gebäude AfA 1.590,94 EUR 31.819,00 EUR
Stellplatz AfA / Restbuchwert 1.296,00 EUR
Summe der gesamten Werbungskosten 159.793,00 EUR
 
 
54
Summe der Einnahmen für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums 134.002,00 EUR
Summe der Werbungskosten für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums – 159.793,00 EUR
Zuzüglich Ergebnisse der bisherigen Veranlagungen (VZ 1996 bis VZ 2006) – 70.964,00 EUR
Totalüberschuss/Verlust – 96.755,00 EUR
 
55
Des Weiteren vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, dass den vorgenommenen Änderungen die Festsetzungsverjährungsfrist nicht entgegenstehe. Die Vorläufigkeitsvermerke seien insoweit rechtmäßig, denn ob die den Verlusten zugrunde liegende Tätigkeit mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt worden sei, sei zum Zeitpunkt der Veranlagungen jeweils ungewiss gewesen.
56
In ihrer Stellungnahme vom 25. November 2008 entgegneten die Kläger, dass die Vermietung zumindest bis zur Übernahme der Vermittlungstätigkeit durch die Fa. U Hotel und Freizeit GmbH & Co. erst mit Wirkung vom 1. Februar 2002 den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen gewesen sei. Insoweit verweisen die Kläger auf den Vermietungsauftrag vom 22. April 1998 gegenüber der L.
57
Gleichwohl hatten die Einsprüche keinen Erfolg.
58
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus den Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung verweisen sie zunächst auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren. Des Weiteren wird die Klage wie folgt begründet: Wegen der nur eingeschränkten Eigennutzung sei eine Totalprognose nicht anzustellen. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1997 – 2005 lägen nicht vor. Da dem Beklagten bereits nach Einreichung der Steuererklärung für das Kalenderjahr 1996 alle wesentlichen Tatsachen zur Ermittlung des Totalgewinnes bekannt gewesen seien und problemlos eine Ermittlung des Totalgewinns im Rahmen der Amtsermittlungspflicht möglich gewesen sei, sei die Änderung der Steuerbescheide nach § 165 AO rechtswidrig. Die Vermietung der Ferienwohnung sei steuerlich als Gewerbebetrieb einzuordnen. Die Wohnung werde vom Vermittler U auch hotelmäßig beworben. Insoweit seien der angebotene Wäscheservice und die Möglichkeit der täglichen Reinigung der Wohnung von Bedeutung. Bezüglich der einzelnen vom Vermittler angebotenen Zusatzleistungen verweisen die Kläger auf das vorgelegte Schreiben des Vermittlers U vom 23. November 2011. Im Übrigen ergebe sich entgegen der Berechnung des Beklagten – gerechnet ab dem Jahr 2002 – auf 30 Jahre gesehen ein Totalüberschuss. Die ersten 5 Jahre seien als Anlaufverluste zu berücksichtigen. Bei der Totalprognose sei zu berücksichtigen, dass wegen der beabsichtigten Darlehensablösung in 2014 ab diesem Zeitpunkt keine Schuldzinsen mehr anfielen. Daneben sei wegen eines Baustopps für weitere Ferienwohnungen mit einer erheblichen Steigerung der Mieteinnahmen zu rechnen. Auf  Basis der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Berechnung ergebe sich danach ab 2002 ein jährlicher durchschnittlicher Überschuss von 403,43 €.
59
Bezüglich des weiteren Vorbringens wird insoweit auf die Schriftsätze der Kläger vom 1. August 2009 bzw. 2. März 2012 Bezug genommen.
60
Die Kläger beantragen,
61
die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 – 2005 und die entsprechenden Einspruchsentscheidungen vom 29. April 2009 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 7. August 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. April 2009 dergestalt zu ändern, dass der erklärte Verlust aus der Ferienwohnung steuermindernd berücksichtigt und die Einkommensteuer 2006 entsprechend herabgesetzt wird.
62
Der Beklagte beantragt,
63
die Klage abzuweisen.
64
Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen Folgendes vor: Da die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 AO wirksam bis mindestens 23. Mai 2009 (ein Jahr nach Einreichen der Totalprognose am 23. Mai 2008) bestanden habe, weil die Einkommensteuern zuvor nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig festgesetzt gewesen seien, habe der Beklagte mit Änderungsbescheiden die Steuer für endgültig erklären und die Wirkungsdauer der vorläufigen Bescheide beenden können. Der Beklagte habe somit am 7. August 2008 die nach § 165 AO geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2002 zu Recht innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen. Die gegen die Totalprognose des Beklagten vorgebrachten Einwendungen seien nicht durchgreifend. Dabei sei von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auszugehen. Nach Art und Umfang des vorgelegten Vermietungsauftrags mit der L könne nicht festgestellt werden, dass die Werbung für die kurzfristige Vermietung der Wohnung an laufend wechselnde Mieter und die Verwaltung der Wohnung von einer für die einheitliche Wohnanlage bestehende Feriendienstorganisation durchgeführt worden sei und nach Art der Rezeption eines Hotels laufend Personal anwesend gewesen sei. Eine Unternehmensorganisation, wie sie auch in fremden Pensionen vorkomme, sei nicht dargelegt worden mit der Folge, dass die Vermietungseinkünfte aus der Ferienwohnung als solche nach § 21 EStG zu beurteilen seien. Die Totalüberschussprognose sei auch bei nur geringer Eigennutzung vorzunehmen. Aufgrund der vorgenommenen Ermittlung der Einnahmen und Werbungskosten für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums ergebe sich insgesamt ein Totalverlust von ./. 96.755 €. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf den Einspruchsbescheid vom 29. April 2009 Bezug genommen.
 

Entscheidungsgründe

65
1. Die Klage ist überwiegend begründet.
66
Die in den Streitjahren von den Klägern erklärten Verluste aus der Vermietung der in F belegenen Ferienwohnung sind – soweit die geltend gemachten Aufwendungen nicht auf die Zeit der vorbehaltenen Selbstnutzung entfallen – als Verluste aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) steuermindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte hat zu Unrecht eine Überschussprognose von den Klägern für ihre Ferienwohnungsvermietung angefordert und die Verluste aus diesem Objekt dementsprechend zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
67
a. Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen der Erzielung positiver Einkünfte dienen (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413 unter Bezugnahme auf BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, 435, BStBl II 1984, 751, 766 f., unter C. IV. 3.).
68
b. Zutreffend geht der Beklagte zunächst davon aus, dass die Kläger aus der Vermietung ihrer Ferienwohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und nicht solche aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erzielen und die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht danach ausgehend von den Besonderheiten dieser Einkunftsart zu erfolgen hat (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 2005  – VIII B 67, 68/04, BFH/NV 2005, 2181).
69
Bei der Vermietung einzelner Ferienwohnungen kann ein Gewerbebetrieb nur angenommen werden, wenn vom Vermieter bestimmte, ins Gewicht fallende, bei der Vermietung von Räumen nicht übliche Sonderleistungen erbracht werden oder wenn wegen eines besonders häufigen Wechsels der Mieter eine gewisse – einem gewerblichen Beherbergungsbetrieb (Fremdenpension, Hotel) vergleichbare – unternehmerische Organisation erforderlich ist (BFH-Urteile vom 15. Februar 2005 – IX R 53/03, BFH/NV 2005, 1059 und vom 14. Januar 2004 – X R 7/02, BFH/NV 2004, 945).
70
Das hotelmäßige Angebot erfordert dabei, dass die Wohnungen auch ohne Voranmeldungen jederzeit zur Vermietung bereitgehalten werden und sich in einem Zustand befinden, der die sofortige Vermietung zulässt (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 17. März 2009  – IV B 52/08, BFH/NV 2009, 1114 für eine in einer Ferienparkanlage erworbene Ferienwohnung, die nach der zugrunde liegenden Vereinbarung von den Steuerpflichtigen entsprechend dem Standard der Anlage auszustatten war und die von einer GmbH beworben und im Namen der Steuerpflichtigen an laufend wechselnde Gäste vermietet wurde). Von einem hotelmäßigen Angebot in diesem Sinne kann insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn die Vermietung in der Regel mindestens wochenweise erfolgt, und nur in wenigen zu vernachlässigenden Ausnahmefällen für einen Zeitraum zwischen 4 und 7 Tagen (vgl. FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011 – 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11).
71
Maßgebend sind jeweils die besonderen Umstände des Einzelfalles. Die Zwischenschaltung eines gewerblichen Vermittlers führt nicht zwangsläufig dazu, dass deshalb auch der Vermieter eine gewerbliche Tätigkeit ausübt. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit – in der Person des Vermieters – die Vermietung einer Ferienwohnung im Hinblick auf die Art des vermieteten Objekts und die Art der Vermietung einem gewerblichen Beherbergungsbetrieb vergleichbar ist. Daher können dem Vermieter nur solche Tätigkeiten zugerechnet werden, die der gewerbliche Vermittler für ihn erbringt; die Eigenschaft als Gewerbebetreibender ist dem Vermieter nicht zuzurechnen (BFH-Urteile vom 15. Februar 2005 – IX R 53/03, BFH/NV 2005, 1059 und vom 14. Januar 2004 – X R 7/02, BFH/NV 2004, 945).
72
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, kann vorliegend eine gewerbliche Tätigkeit nicht angenommen werden.
73
Gegen die Annahme gewerblicher Einkünfte spricht zunächst, dass die Vermietung einer einzelnen Wohnung nur ausnahmsweise die Grenzen privater Vermögensverwaltung überschreiten kann. Eine bloße Vermögensverwaltung durch den Wohnungseigentümer wird insbesondere dann vorliegen, wenn es um die Vermietung einer einzelnen Wohnung geht, diese auf einen gewerblichen Vermietungsvermittler übertragen wird und der Steuerpflichtige sich damit einer aktiven Tätigkeit in Bezug auf das Vermietungsobjekt vollständig begibt. In diesen Fällen kann eine gewerbliche Tätigkeit daher regelmäßig nur auf der Seite des gewerblichen Vermietungsvermittlers bejaht werden.
74
Entscheidend ist im Streitfall, dass entgegen der Annahme der Kläger die beauftragten Vermittler (L, U) keine ins Gewicht fallenden, bei der Vermietung von Räumen nicht üblichen Sonderleistungen erbracht und auch keine einem Hotelbetrieb ähnliche Organisation für einen ständigen Gästewechsel zur Verfügung gestellt haben. Der Wäscheservice und das Angebot einer Zwischenreinigung gehört nach der Überzeugung des Senats zu den Standardleistungen eines Vermittlers. Der Vermittler stellt auch weder Ansprechpartner an einer Rezeption zur (ständigen) Verfügung noch kümmert er sich um andere, in einem Hotel üblicherweise von den Gästen erwartete Zusatzleistungen wie Frühstück oder andere gastronomische Leistungen. Der Vermittler erbringt im Streitfall vielmehr ausschließlich übliche Vermittlungsleistungen. Hinzu kommt, dass jedenfalls in den Zeiträumen der Hauptsaison die Wohnung der Kläger überwiegend wochenweise vermietet wird. Zeiträume unter 3 Tagen bilden jedenfalls die zu vernachlässigende Ausnahme. Ein spezifisch hotelmäßiges Angebot der Wohnung vermag der Senat nicht zu erkennen. Einzig die Vermittler selbst sind vorliegend gewerblich tätig, was jedoch nicht auf die Kläger abfärbt.
75
c. Ausgehend von der Qualifizierung der Einkünfte aus solche aus Vermietung und Verpachtung ist im Streitfall die Überschusserzielungsabsicht trotz vorgehaltener Selbstnutzung von 21 Tagen im Kalenderjahr zu unterstellen.
76
aa. Das Erfordernis der Überschusserzielungsabsicht bedeutet für die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, dass Einkünfte gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur erzielt, wer ein Grundstück gegen Entgelt zur Nutzung überlässt und beabsichtigt, auf die Dauer der Vermögensnutzung einen Totalüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erwirtschaften; nichtsteuerbare Veräußerungsgewinne bleiben dabei unberücksichtigt (BFH-Urteile vom 9. Juli 2002 – IX R 47/99, DStR 2002, 1612, vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413 und vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771). Dabei ist es ebenso möglich, dass die Überschusserzielungsabsicht erst nachträglich einsetzt, wie es denkbar ist, dass eine einmal vorhandene Überschusserzielungsabsicht nachträglich wieder wegfällt (BFH-Urteile vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413, vom 31. März 1987 – IX R 112/83, BStBl. II 1987, 774, m.w.N.).
77
bb. Die Absicht, einen Totalüberschuss zu erzielen kann als sog. innere Tatsache, wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge, nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden. Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden. Entscheidend ist, ob die Vermietungstätigkeit bei objektiver Betrachtung einen Totalüberschuss erwarten lässt. Der besondere Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG gebietet es allerdings, bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass die Steuerpflichtigen beabsichtigen, letztlich einen Einnahmeüberschuss zu erwirtschaften, selbst wenn sich über längere Zeiträume Werbungskostenüberschüsse ergeben (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413).
78
(1) Die Eigenart der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung besteht darin, dass die Einkunftserzielung sich im Regelfall über längere Zeiträume erstreckt und häufig zunächst jahrelang Werbungskostenüberschüsse getragen werden müssen. Denn mit Immobilien ist – wenn Wertsteigerungen der Vermögenssubstanz außer Betracht bleiben – je nach Umfang der Fremdfinanzierung allenfalls erst nach sehr langen Zeiträumen eine Rendite zu erwirtschaften. Trotz zwischenzeitlicher Abschaffung reiner Subventionstatbestände, die mit Immobilien in Zusammenhang stehen, wird die Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG weiterhin aus gesetzespolitischen Erwägungen ohne Einschränkung als Tatbestand der steuerbaren Erzielung von Einkünften erfasst. Der Subventionierungseffekt, der sich daraus ergibt, dass jedenfalls während des AfA- und des Schuldzinsen-Zeitraums im Regelfall Verluste entstehen, wird dabei hingenommen. Die Vorschrift des § 21 EStG beruht mithin auf der typisierenden, wenn auch häufig nicht zutreffenden Annahme, dass die langfristige Vermietung und Verpachtung trotz über längere Zeiträume anfallender Werbungskostenüberschüsse in der Regel letztlich zu positiven Einkünften führt (BFH-Urteil vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771; BFH-Beschluss vom 5. März 2007 – X B 146/05, BFH/NV 2007, 1125).
79
(2) Der Normzweck gebietet es deshalb, bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass die Steuerpflichtigen – selbst bei Werbungskostenüberschüssen über lange Zeiträume – beabsichtigen, letztlich einen Einnahmeüberschuss zu erwirtschaften, so dass die Einkunftserzielungsabsicht gegeben ist. Eine Verneinung der Überschusserzielungsabsicht ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann denkbar, wenn nach der tatsächlichen Gestaltung des Sachverhaltes kein üblicher Fall der Dauervermietung vorliegt, z.B. weil sich die Steuerpflichtigen nicht zu einer langfristigen Vermietung entschlossen haben (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl. II 2005, 388).
80
(3) Diese Grundsätze gelten auch für Ferienwohnungen, wenn diese von den Steuerpflichtigen (in Eigenregie oder durch Beauftragung eines Dritten) ausschließlich an wechselnde Feriengäste vermietet und in der übrigen Zeit hierfür bereitgehalten werden, sodass im Allgemeinen ohne weitere Prüfung von der Überschusserzielungsabsicht des Steuerpflichtigen auszugehen ist (BFH-Urteile vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726, vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02,  BStBl. II 2005, 388).
81
(4) Das Vermieten einer Ferienwohnung ist einer auf Dauer angelegten Vermietung nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl. II 2005, 388) allerdings nur dann vergleichbar, wenn die Ferienwohnung im ganzen Jahr (bis auf die üblicherweise vorkommenden Leerstandzeiten) an wechselnde Feriengäste vermietet wird. Nur so zeige sich auch in nachprüfbarer Weise, dass die Steuerpflichtigen die Ferienwohnung in geeigneter Form am Markt angeboten und alle in Betracht kommenden Interessenten berücksichtigt haben. Je mehr das Vermieten der Ferienwohnung die ortsüblichen Vermietungszeiten unterschreite, umso mehr gewinne deshalb die Frage nach den Gründen des Leerstandes an Bedeutung (in Betracht kommen z.B. einerseits Unbenutzbarkeit der Wohnung wegen Instandsetzungsarbeiten oder anderer Vermietungshindernisse; andererseits aber auch Leerstand wegen unzureichender Vermietungsbemühungen, z.B. als Ausdruck der Absicht, die Ferienwohnung letztlich nur als Vermögensanlage und/oder für eine zukünftige Selbstnutzung vorzuhalten). Dabei sind durch die Vermietung veranlasste kurzfristige Aufenthalte des Steuerpflichtigen in der Ferienwohnung anlässlich eines Mieterwechsels (z.B. zur Endreinigung, Schlüsselübergabe), aber auch zur Erhaltung der Mietsache (beispielsweise zur Beseitigung der durch den Gebrauch der Mietsache verursachten Schäden) keine Selbstnutzung. Unerheblich ist für die Beurteilung, ob der Steuerpflichtige die Ferienwohnung in Eigenregie vermietet oder mit der Vermietung einen Dritten beauftragt (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413).
82
Daher ist bei einer (in Eigenregie oder durch Beauftragung eines Dritten) ausschließlich an wechselnde Feriengäste vermieteten und in der übrigen Zeit hierfür bereitgehaltenen Ferienwohnung die Einkünfteerzielungsabsicht der Steuerpflichtigen immer dann anhand einer überschlägigen Betrachtung der bisherigen Verlustsituation und einer auf einen Zeitraum von 30 Jahren angelegten Prognose nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 6. November 2001  (IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726; zum dreißigjährigen Prognosezeitraum vgl. ferner BFH-Beschluss vom 5. März 2007  – X B 146/05, BFH/NV 2007, 1125) zu überprüfen, wenn das Vermieten die ortsübliche Vermietungszeit von Ferienwohnungen erheblich unterschreitet, ohne dass Vermietungshindernisse gegeben sind. Aus Gründen der Praktikabilität und um den bei einer solchen Prüfung gegebenen Unsicherheiten Rechnung zu tragen, ist eine Prognoseberechnung vom Steuerpflichtigen zu fordern, wenn die ortsübliche Vermietungszeit um mindestens 25 % unterschritten wird. Ausgangspunkt für diese Berechnung ist die ortsübliche Vermietungsdauer für Ferienwohnungen an den jeweiligen Ferienorten (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl II 2005, 388). Außerdem ist eine Prognoseberechnung erforderlich, wenn ortsübliche Vermietungszeiten nicht festgestellt werden können (BFH-Urteil vom 19. Januar 2008  – IX R 39/07, BStBl II 2009, 138; BFH-Beschluss vom 14. Januar 2010  – IX B 146/09, BFH/NV 2010, 869).
83
(5) Der BFH hat sich zudem für eine Überprüfung der Überschusserzielungsabsicht ausgesprochen, wenn sich der Steuerpflichtige – auch in einer vorformulierten Vertragsbedingung – die Möglichkeit der Selbstnutzung vorbehalten hat, und zwar auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung tatsächlich nicht zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Denn bereits die sich aus der Rechtsstellung des Steuerpflichtigen ergebende Möglichkeit der Selbstnutzung führe zu der Notwendigkeit, die Überschusserzielungsabsicht durch eine Prognose zu überprüfen. Auch wenn es in späteren Veranlagungszeiträumen zur Selbstnutzung komme oder dieser nachträglich vorbehalten werde, entfalle ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, ohne Prüfung von der Überschusserzielungsabsicht auszugehen (BFH-Beschluss vom 7. Juni 2002 – IX B 15/02, BFH/NV 2002, 1300 unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726; Urteil des Niedersächsischen FG vom 25. Februar 2010 – 11 K 100/08, EFG 2010, 1038).
84
cc. Der Senat hat zunächst Bedenken, ob es überhaupt grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, die für die langfristige Vermietung einer Immobilie an fremde Dritte entwickelten Grundsätze zur Unterstellung der Überschusserzielungsabsicht (zuerst wohl BFH-Urteil vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771) auf die Vermietung einer einzelnen Ferienwohnung zu übertragen. Nach der Überzeugung des Senats ist jedenfalls die Vermietung z.B. eines fremdvermieteten Mehrfamilienhauses, bei der private Einflüsse wie die Selbstnutzung ausgeschlossen sind, nicht zu vergleichen mit der Vermietung einer Ferienwohnung, die üblicherweise in einem mehr oder weniger attraktiven Feriengebiet liegt, zumindest teilweise leersteht und daher auch für die Selbstnutzung zur Verfügung steht. Das private Veranlassungsmoment an der Vermietung einer Ferienwohnung lässt sich zudem immer dann nicht quantifizieren oder objektiv nachprüfen, wenn die Vermietung durch die Eigentümer selbst erfolgt. In einem solchen Fall bestehen bereits grundsätzlich erhebliche Zweifel an einer Überschusserzielungsabsicht. Der Steuerpflichtige muss hier nur dann eine Überprüfung „fürchten“, wenn die Vermietungstage um mehr als 25% hinter den ortsüblichen Werten zurückbleiben.
85
Folgt man aber trotz der geäußerten Bedenken dem BFH und erachtet die Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf die Fälle der Vermietung einer einzelnen Ferienwohnung als zulässig und gerechtfertigt, führt dies im Streitfall nicht dazu, allein wegen der vorbehaltenen und tatsächlich in der Regel ausgenutzten Selbstnutzungszeit von 3 Wochen für jeweils das ganze Kalenderjahr nicht von einer Überschusserzielungsabsicht auszugehen. Innerhalb des Zeitraums der vorbehaltenen Selbstnutzung überlagert vielmehr die Selbstnutzung die für diese Zeitspanne unterstellte Überschusserzielungsabsicht.
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Es ist sicher zutreffend, wenn die zeitweise Privatnutzung ein Indiz dafür ist, dass eine Tätigkeit auch aus anderen als Erwerbsmotiven ausgeübt wird. Insbesondere in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige die Ferienwohnung in nur geringem Umfang die Selbstnutzung vorbehält und darüber hinaus eine Selbstnutzung nach dem Vermittlungsvertrag ausgeschlossen ist, kann der erste Anschein für eine Überschusserzielungsabsicht in Gänze aber nur dann erschüttert sein, wenn die tatsächlichen Vermietungstage deutlich, d.h. mehr als 25% hinter den ortsüblichen Vermietungstagen zurückbleiben. Nutzt ein Steuerpflichtiger eine vermietete Ferienwohnung nur an wenigen Tagen selbst (ggf. noch in üblichen Leerstandzeiten) oder behält er sich eine gewisse Anzahl an Tagen die Selbstnutzung vor, nutzt die Wohnung aber tatsächlich nicht, ist es nicht gerechtfertigt diesen Steuerpflichtigen steuerlich schlechter zu stellen als einen Steuerpflichtigen, der ein Ferienwohnung in Eigenregie vermietet, sich dabei quasi die Selbstnutzung ganzjährig vorbehält und gleichwohl 76% der ortsüblichen Vermietungstage erreicht. Die Vermietung in Eigenregie ermöglicht zu jeder Zeit, die eigene Selbstnutzung vor die Fremdvermietung zu stellen.
87
Entscheidendes Indiz, das ein Absehen von dem Unterstellen der Überschusserzielungsabsicht rechtfertigt, ist allein das erhebliche Unterschreiten der ortsüblichen Vermietungstage. Es besteht kein Anlass an der Überschusserzielungsabsicht eines Steuerpflichtigen zu zweifeln, der seine Ferienwohnung an 2 oder 3 Wochen im Jahr selbst nutzt, sich dies nur vorbehält oder die Selbstnutzung auf übliche Leerzeiten beschränkt, aber auf der anderen Seite die ortsüblichen Vermietungstage in etwa erreicht oder sogar übertrifft.
88
Nur auf diese Weise kann nach Überzeugung des Senats eine Gleichbehandlung zwischen den Fällen der Vermietung über einen Vermittler mit den Fällen der Vermietung in Eigenregie erreicht werden (vgl. hierzu auch FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011 – 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11, das aus ähnlichen Erwägungen heraus die nur vorbehaltene 4-wöchige Selbstnutzungszeit, zumal innerhalb von üblichen Leerstandszeiten, als unschädlich angesehen hat).
89
Im Ergebnis ist trotz der tatsächlichen Selbstnutzung der Kläger, die im Unterschied zum vorgenannten Fall des FG Köln in den normalen Saisonzeiten stattfand, ohne Prüfung von einer Überschusserzielungsabsicht auszugehen. Mit durchschnittlich rund 126 Vermietungstagen erreichen die Kläger nahezu die ortsüblichen Vermietungstage von 135 Tagen. In einzelnen Jahren werden diese ortsüblichen Vermietungstage, die von der Stadt F als sehr gute Auslastung ansieht,  sogar – teilweise deutlich – überstiegen (2003, 2010, 2011). In jedem Fall liegen die Kläger mit ihren tatsächlichen Vermietungstagen weit über der 75%-Grenze (bezogen auf die ortsüblichen Vermietungstage).
90
dd. Der temporären Überlagerung der unterstellten Überschusserzielungsabsicht durch die vorbehaltene steuerlich unbeachtliche Selbstnutzung trägt der Senat insoweit Rechnung als die Gesamtaufwendungen der Kläger zeitanteilig im Verhältnis der vorbehaltenen Selbstnutzungstagen zu den Gesamttagen des jeweiligen Streitjahres – sofern noch keine Kürzung erfolgt ist – zu kürzen sind (anders wohl FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011, a.a.O., das die entstandenen Verluste insgesamt zeitanteilig kürzt).
91
Danach ergeben sich in den Streitjahren folgende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung:
92
1997: ./. 36.961 DM (Aufwendungen: 39.218 DM x 21/365)
93
1998: ./. 38.005 DM (Aufwendungen: 40.325 DM x 21/365)
94
1999: ./. 15.851 DM (Aufwendungen: 42.327 DM x 21/365)
95
2000: ./. 22.452 DM (Aufwendungen: 34.000 DM x 21/365)
96
2001: ./. 19.991 DM (Aufwendungen: 30.399 DM x 21/365)
97
2002: ./.   10.988 € (Aufwendungen: 16.574 € x 21/365)
98
2003: ./.     7.779 € (Aufwendungen: 16.401 € x 21/365)
99
2004: ./.   10.004 € (Aufwendungen: 17.474 € x 21/365)
100
2005: ./.   10.573 € (Aufwendungen: 17.014 € x 6/365; eine Kürzung in Höhe von 15/365 war bereits  in der Steuererklärung erfolgt)
101
2006: ./.     8.365 €  (keine Kürzung, weil bereits in der Steuererklärung erfolgt)
102
Dem beklagten Finanzamt wird aufgegeben, die festzusetzende Einkommensteuer in den Streitjahren auf dieser Grundlage neu zu berechnen und das Ergebnis der Neuberechnung den Beteiligten unverzüglich formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft des Urteils sind die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Finanzgerichtsordnung).
103
ee. Entgegen der Auffassung Kläger kann eine unter dd. vorgenommene Korrektur der Aufwendungen im Hinblick auf die vorbehaltene Selbstnutzung auch noch nach Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2005 erfolgen.
104
Die grundsätzliche Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO besteht im Streitfall. Danach kann ein Einkommensteuerbescheid geändert werden, soweit das Finanzamt die Einkommensteuer vorläufig festgesetzt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO). Vorläufig festgesetzt werden kann auch ein Teil einer Steuerfestsetzung. Dabei wird regelmäßig Grund und Umfang der Vorläufigkeit des Bescheids dadurch angegeben, dass eine einzelne Besteuerungsgrundlage als ungewiss gekennzeichnet wird. Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheides bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2004 – IX R 14/02, BFH/NV 2005, 2, m.w.N.).
105
Von der Möglichkeit hat der Beklagte vorliegend Gebrauch gemacht und die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2005 hinsichtlich der Einkünfte aus der Vermietung der Ferienwohnung hinsichtlich der ungewissen Beurteilung der Überschusserzielungsabsicht für vorläufig erklärt.
106
Erklärt das Finanzamt die Steuerfestsetzung für vorläufig, weil es die Einkünfteerzielungsabsicht noch nicht abschließend beurteilen kann, so kann es bei der endgültigen Steuerfestsetzung auch die von der tatsächlichen Ungewissheit nicht betroffenen, aber zunächst hingenommenen rechtlichen Fehlbeurteilungen zur Abziehbarkeit von Werbungskosten ändern (grundlegend BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1987 – IV B 174/86, BStBl. II 1988, 234; BFH-Beschluss vom 24. Februar 2009 – IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889).
107
Von dieser Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO in Bezug auf nachgelagerte Fragen wird auch die streitbefangene Korrektur der Werbungskosten umfasst.
108
Nach alledem konnte die Klage überwiegend Erfolg haben.
 
109
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).
110
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
111
4. Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO).

Kein Splitting-Verfahren für Alleinerziehende

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass Alleinerziehende keinen Anspruch auf die Anwendung des Ehegatten-Splittings oder eines Familien-Splittings haben (Az.: 7 V 4/12).

Hintergrund:
Die Antragstellerin ist verwitwet und hat zwei minderjährige Kinder. Im Hauptsacheverfahren (anhängig unter Az. 7 K 114/10) macht sie geltend, ihre Besteuerung als Alleinerziehende sei verfassungswidrig. Gegenüber einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar (mit oder ohne Kinder) und gegenüber einem geschiedenen Ehepaar, das ein Real-Splitting in Anspruch nehme, zahle sie bei gleich hohen Einkünften mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer. Ein Familien-Splitting sei verfassungsrechtlich geboten. Im Übrigen seien die Grund- und Kinderfreibeträge und der Entlastungsbetrag zu niedrig und damit verfassungswidrig. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin, die von ihr nach Erhalt des Einkommensteuerbescheides nachgezahlte Einkommensteuer und die von ihr geleisteten Vorauszahlungen an sie zurückzuzahlen, soweit sie eine von ihr nach dem Modell eines Familien-Splittings errechnete Einkommensteuer übersteigen.

Das Gericht hat den Antrag mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:

1. Die derzeitige Besteuerung nach der Grundtabelle sei nicht verfassungswidrig. Auch wenn die von einer Alleinerziehenden erzielten Einkünfte gleich hoch seien wie die zusammengerechneten Einkünfte eines Ehepaares und ein Alleinerziehende(r) mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer als das zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehepaar zu zahlen habe, liege kein verfassungswidriger Begünstigungsausschluss vor. Es handele sich um unterschiedliche Sachverhalte, die die steuerliche Ungleichbehandlung rechtfertigten. Auch eine nach neuerer Rechtsprechung der Finanzgerichte denkbare bzw. verfassungsrechtlich gebotene Anwendung des Splitting-Verfahrens auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft führe nicht zu einem vergleichbaren Anspruch eines Alleinerziehenden.

2. Das Ehegatten-Splitting gewährleiste die verfassungsrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute zur Gestaltung ihrer ehelichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse und sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern verfassungsrechtlich geboten. Es diskriminiere nicht die Ehefrau bzw. den Partner mit dem niedrigeren Einkommen. Niedrigere Erwerbstätigkeitsquoten und niedrigere Durchschnittseinkommen von Frauen seien nicht Folge des Splitting-Verfahrens, sondern durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und die individuell aus vielfältigen Gründen getroffenen persönlichen Entscheidungen bedingt.

3. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch das Wahlrecht für die Zusammenveranlagung (mit Splitting-Verfahren) und die Kind bedingten Belastungen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplittings zu berücksichtigen. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung seien nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber dazu berufen, diese Regelungen zu überprüfen und ggf. zu ändern.

4. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende im Jahr 2008 sei bei summarischer Prüfung nicht evident zu niedrig und damit nicht verfassungswidrig.

Das NFG hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Verfahren ist unter dem Az. III B 68/12 beim Bundesfinanzhof anhängig.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Splitting-Tarif für Alleinerziehende – Aufhebung der Vollziehung – Einkommensteuer 2008
Alleinerziehenden steht aus verfassungsrechtlichen Gründen weder das Ehegatten-Splitting noch ein Familien-Splitting zu. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende (2008) sind bei summarischer Prüfung nicht verfassungswidrig.
Beschwerde eingelegt, BFH-Az. III B 68/12

Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, Beschluss vom 28.03.2012, 7 V 4/12

§ 10 Abs 1 Nr 1 EStG, § 22 Nr 1a EStG, § 24a EStG, § 25 EStG, § 26 EStG, § 32 Abs 6 EStG, § 32a EStG, § 69 FGO, Art 20 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 GG

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung, soweit sie nach ihrer Auffassung als Alleinerziehende mit zwei Kindern in verfassungswidriger Weise besteuert wird.
2
Die Antragstellerin ist Mutter zweier …und …geborener Kinder. Ihr Ehemann und Vater der Kinder verstarb im Jahr …. Seitdem ist die Antragstellerin verwitwet.
3
Die Antragstellerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus … als … in Höhe von rund € x. Des Weiteren erhielt sie Versorgungsbezüge in Höhe von rund € …. Ihre Kinder erhielten im Streitjahr Renten und Versorgungsbezüge (nach ihren Angaben in Höhe von jährlich € … und € …). In ihrer Gewinnermittlung und ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Antragstellerin keine Kinderbetreuungskosten geltend.
4
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom … (gemäß § 164 Abs. 1 AO unter Vorbehalt der Nachprüfung)  und in dem (gemäß § 164 Abs. 2 AO geringfügig geänderten) Bescheid vom … setzte das Finanzamt (FA) die Einkommensteuer unter Zugrundelegung der Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Für die beiden Kinder zog es Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von gesamt € 11.616 ab und rechnete im Gegenzug der Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 4 EStG das Kindergeld in Höhe von € 3.696 hinzu. Ferner zog das FA den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308 ab. Es veranlagte die Antragstellerin einzeln zur Einkommensteuer und setzte die Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen von rund € … nach der Grundtabelle mit € … an. Nach Berücksichtigung von Steuerermäßigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen und Hinzurechnung des Kindergeldes ergaben sich eine festzusetzende Einkommensteuer in Höhe von € … und ein festgesetzter Solidaritätszuschlag in Höhe von € ….
5
Aufgrund der entsprechend ihren Angaben festgesetzten und von der Antragstellerin geleisteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen ergab sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom … eine Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € … und aus dem Einkommensteuerbescheid in der Fassung vom … eine weitere Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …, zusammen € …. Die Antragstellerin leistete die Nachzahlungen.
6
Mit Schreiben vom … legte die Antragstellerin gegen den „ESt-Solz-Bescheid vom …“ Einspruch ein. Das FA legte das Schreiben als Einspruch gegen den Bescheid vom … aus. Mit Schreiben vom … begründete die Antragstellerin ihren Einspruch u.a. wie folgt:
7
Er richte sich gegen die Nichtgewährung des Splitting-Tarifs. Bei einem kinderlosen Ehepaar, bei dem einer der Ehepartner Einkünfte in der von ihr allein erzielten Höhe (rund € …) und der andere Ehepartner Einkünfte in Höhe von € 0 erzielt hätte, hätten nach den beigefügten Berechnungen die festgesetzte Einkommensteuer € … und der Solidaritätszuschlag  € … betragen, mithin gesamt rund € 7…. weniger. Bei einem Ehepaar mit denselben Einkünften mit einem Kind (ebenfalls drei Personen) ergebe sich eine um gesamt rund € 7…. niedrigere Steuer. Das kinderlose Ehepaar habe einen Grenzsteuersatz von rund 3… %, das Ehepaar mit einem Kind von rund 3… %, während sie einen Grenzsteuersatz von rund 4… % habe, mithin auf jeden mehr verdienten Euro … % (incl. Solidaritätszuschlag) mehr Steuer bezahlen müsse als ein Ehepaar mit einem Kind, welches sich Haus- und Erziehungsarbeit teilen könne, nur ein Kind statt zweien zu erziehen und zu betreuen habe und auch nur für ein Kind eine Ausbildung zu finanzieren habe.
8
Das steuerliche Ehegattensplitting in Deutschland sei ein antiquierter „Klassiker“ der staatlichen Instrumente zur Förderung des männlichen Ernährermodells. Es fördere die nicht unterstützungsbedürftige kinderlose Ehe. Das mit € 3.648 bewertete tatsächliche Existenzminimum eines Kindes (§ 32 Abs. 6 EStG) bleibe weit hinter dem funktionsgleichen Grundfreibetrag für Erwachsene in Höhe von € 7.664 zurück. Dies sei analog dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3, 4/09 BVerfGE 125, 175) verfassungswidrig. Unter Zugrundelegung der nach dem Sozialrecht angemessenen Wohnfläche entstünden ihr als drei-Personen-Haushalt sozialrechtlich angemessen höhere Kosten als einem kinderlosen Ehepaar. Verwitwete Steuerpflichtige erhielten weder Unterhaltsleistungen noch Unterhaltsersatzleistungen.
9
Neben der steuerlichen Benachteiligung sei sie dadurch benachteiligt, dass sie als Frau und allein erziehende Mutter von zwei Kindern ein deutlich geringeres Lebenseinkommen erreiche als Männer mit Kindern mit gleicher Bildung. Dadurch könne sie nur in einem deutlich geringeren Umfang für ihr Alter vorsorgen. Bei einem Ehepaar mit einem Kind werde der berufstätige Partner in der Regel von dem nicht oder nur teilweise berufstätigen Partner in der Haushaltsführung und Kinderbetreuung und -versorgung einschließlich Unterstützung bei Hausaufgaben der Kinder unterstützt. Durch diese von ihr allein zu erbringenden Tätigkeiten würden ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. habe sie entsprechend eine überdurchschnittliche Personalkostenquote. Aufgrund des höheren Grenzsteuersatzes müsse sie einen noch höheren Gewinn erzielen als ein gleich verdienendes Ehepaar ohne oder mit einem Kind, um nach Steuern das gleiche verfügbare Haushaltseinkommen zu haben. Ferner müsse sie einen höheren Organisationsgrad unter Einschaltung von Fremdverpflegung und Nachhilfe mit entsprechenden Kosten bewerkstelligen.
10
Die Antragstellerin führte „allgemeine weitere Kritikpunkte am Ehegattensplitting“ auf. Es fördere insbesondere die Ehen, in denen hohe Einkommen ungleich auf die Ehepartner verteilt seien, und zwar unabhängig davon, ob in dieser Familie Kinder lebten. Angesichts der gesellschaftlichen Realität, dass knapp 20 % der Jugendlichen in Deutschland bei einem alleinerziehenden Elternteil lebten und statistisch zur so genannten „traditionellen Familie“ auch verheiratete Paare mit Kindern aus früheren Beziehung sowie mit Stief-, Pflege- und Adoptivkindern zählten, seien die erheblichen Mittel für das Ehegattensplitting (über 20 Milliarden Euro jährlich) nicht mehr gerechtfertigt.
11
Art. 3 Abs. 1 GG gebiete in seiner Ausprägung als horizontale Steuergleichheit, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Mit der Versagung des Splittingtarifs für verwitwete Alleinerziehende bevorzuge das Steuerrecht einseitig die Ehe, insbesondere die kinderlose Ehe und belaste die Familie mit Kindern, in der ein Ehegatte gestorben sei, unverhältnismäßig hoch. Hierdurch sei Art. 20 GG verletzt. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse. Art. 6 Abs. 4 GG gebiete den Schutz der Mutter.
12
In sehr veralteten verfassungsrechtlichen Entscheidungen werde immer wieder auf eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1961 verwiesen (richtig: BVerfG, Urteil vom 3. November 1982, 1 BvR 620/78 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61,319, BStBl II 1982, 717). In den zwischenzeitlich ins Land gegangenen knapp 50 Jahren hätten sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen erheblich verändert. Das Unterhaltsrecht habe sich geändert. Die Ehe als Versorgungsinstitut habe ausgedient. Die Scheidungsraten, die Anzahl kinderloser Ehen und der ehelosen Eltern sei gestiegen.
13
Die der Begründung der Entscheidung des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ sei ein unbestimmter und durch die Realität überholter antiquierter Rechtsbegriff. Mit der Annahme, dass Eheleute als Erwerbsgemeinschaft gleichberechtigter Personen jegliche Einkünfte gleichmäßig und gerecht aufteilen und auch dementsprechend besteuert werden sollen, unterstelle der Staat ein Idealmodell, das empirisch häufig genug widerlegt worden sei. Geld sei auch in Ehen ein Machtfaktor. Wer das Einkommen erziele, bestimme letztendlich über die Art und Weise, wie es ausgegeben werde. Das Ehegattensplitting fördere diese Machtasymmetrie, in dem die Steuervergünstigung auch noch jenem zufließe, der das höhere Einkommen erziele – in der Regel immer noch dem Mann. Die OECD benenne diese Besonderheit des deutschen Steuersystems daher als einen wesentlichen Grund für die zu geringe Erwerbstätigkeit von Frauen und damit als steuerlichen Fehlanreiz. Darüber hinaus habe das Splittingverfahren nach seinem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Zweck u.a. „eine besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ bedeuten sollen. In einer kinderlosen Ehe gebe es begriffslogisch keine Mutter. Solange das Ehegattensplitting beibehalten werde, werde damit das Modell der traditionellen Arbeitsteilung perpetuiert. Statt endlich gleicher Bezahlung, Karrieremöglichkeiten und einem Ende der Frage für Frauen „Familie oder Beruf“ verharre die Gesellschaft teilweise (im Steuerrecht) in einer 50er-Jahre-Realität, obwohl die Ansprüche und Wünsche junger Frauen und Männer deutlich in eine egalitäre Gesellschaft wiesen.
14
Das FA wies mit Bescheid vom … den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurück. Die von der Antragstellerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob von Verfassungs wegen Alleinerziehenden mit Kindern das Splittingverfahren zu gewähren sei, sei durch ständige, bis in die jüngste Zeit bestätigte Rechtsprechung des BVerfG und des BFH geklärt. Die gesellschaftliche Entwicklung und die wachsende Zahl sogenannter Restfamilien mit Kindern führe zu keinem anderen Ergebnis.
15
Das Ehegattensplitting stelle eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG orientierte sachgerechte Besteuerung dar. Der Gleichheitssatz i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete es nicht, den Splittingvorteil auf Alleinerziehende auszudehnen. Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern bestehe weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führe, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis. Ebenso wenig komme für Alleinerziehende mit Kindern ein durch Art. 6 Abs. 1 GG zu schützendes Recht in Betracht, über die Aufgabenteilung partnerschaftlich zu entscheiden.
16
Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 3. November 1982 noch angenommen, der Splitting-Tarif erleichtere Eheleuten mit Kindern, ihre Lebensführung so einzurichten, dass ein zusätzlicher Betreuungsaufwand für die Kinder entweder nicht entstehe oder zumindest leichter getragen werden könne als bei Alleinerziehenden. Dies habe das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 (2 BvR 1057/91, 1226/91, 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) modifiziert. Das BVerfG gehe nunmehr davon aus, dass der Betreuungsbedarf eines Kindes generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere und als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensteuerlich unbelastet bleiben müsse. Die Abzugsfähigkeit eines Haushaltsfreibetrages und von Kinderbetreuungskosten nur bei Alleinstehenden benachteilige eheliche Erziehungsgemeinschaften. Diese Benachteiligung werde nicht dadurch gemindert, dass in ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern zusammen veranlagt werden könnten. Die Zusammenveranlagung setze eine Ehe, nicht hingegen einen kindbedingten Bedarf voraus. Betreuungs- und Erziehungsbedarf müssten bei allen Erziehungsgemeinschaften und Alleinstehenden in gleicher Weise und unabhängig davon berücksichtigt werden, in welcher statusrechtlichen Beziehung die Eltern lebten. Das BVerfG sehe das Benachteiligungsverbot nur zu Lasten der Ehe, nicht jedoch zu Lasten anderer Lebensgemeinschaften.
17
Mit ihrer Klage im Hauptsacheverfahren, die unter dem Aktenzeichen 7 K 114/10 beim Niedersächsischen Finanzgericht geführt wird, begehrt die Antragstellerin, den Einkommensteuer- und Solidaritätszuschlagsbescheid vom … abzuändern auf die festzusetzende Einkommensteuer, die sich unter Anwendung eines auf drei Personen angewendeten Splittingtarifs ergibt. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen macht sie geltend: Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken zeichne sich auch auf der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Ebene ein Paradigmenwechsel ab. Hierzu legt die Antragstellerin im Einzelnen politische Meinungen und Bestrebungen zur Abschaffung des Ehegattensplittings und zur Einführung eines Familiensplittings dar. Interessant seien die Ansätze der CDU/CSU und der FDP, die steuerliche Berücksichtigung von Kindern auf den für Erwachsene geltend gemachten Freibetrag von € 8.004 anzuheben. Diese Vorstellung berücksichtige das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) zur Verfassungswidrigkeit der abgeleiteten Höhe der Regelleistung für Kinder pauschal von der eines alleinstehenden Erwachsenen. Im Falle geschiedener Eheleute mit Realsplitting (insbesondere eines wieder verheirateten alleinverdienenden Unterhaltszahlers) falle die steuerliche Belastung für drei Erwachsene ohne Kinder sogar um über € 12.000 niedriger aus als für eine gleich verdienende Alleinerziehende mit zwei in Ausbildung befindlichen Kindern. Dies alles widerspreche dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dass die Zeit reif sei, sei auch dem Beschluss des BVerfG vom 21. Juli 2010 zur Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften (1 BvR 611/07, 2464/07, BVerfGE 126, 400) zu entnehmen. Das BVerfG habe ausdrücklich verworfen, andere Lebensformen mit bloßem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 GG zu benachteiligen.
18
Mit Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigten vom … und … macht die Antragstellerin weitere Ausführungen zu dem vorgetragenen Verfassungsverstoß und zur Besteuerung von Eheleuten und Eltern / Alleinerziehenden mit Kindern in anderen europäischen Ländern (insbesondere der Schweiz). Es komme nicht allein auf die Vergleichbarkeit von Sachverhalten (Eheleute einerseits, Eheleute und Kinder andererseits) an, sondern auch auf die Versagung einer Begünstigung. Aus dem Gleichheitssatz folge das Verbot eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses. Das BVerfG habe mit seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 den gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes bezüglich eingetragener Lebenspartner für alle noch offenen Verfahren aufgehoben und die dortigen Steuervorteile, die bislang nur Ehegatten erhielten, auf eingetragene Lebenspartner ausgedehnt. Nach dem (im Einzelnen dargestellten) Leistungsfähigkeitsprinzip und dem dualistischen Konzept „Erwerbseinkommen ./. private Abzüge“ zur Messung der objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit würden Alleinerziehende benachteiligt. § 26 EStG stelle eine kinderlose Ehefrau ohne eigenes Erwerbseinkommen besser als ein oder mehrere in Schulausbildung befindliche Kinder. Das BVerfG habe bezüglich des Betreuungsbedarfs eines Kindes festgestellt, dass dieser generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere. Die Leistungsfähigkeit einer Alleinerziehenden mit Kindern sei also anerkannt gemindert, dennoch bezahle sie mehr Steuern als ein Alleinverdiener-Ehepaar ohne Kinder. Da Alleinerziehende überwiegend weiblich seien, würden überwiegend Angehörige weiblichen Geschlechts benachteiligt und mittelbar diskriminiert. In über der Hälfte aller Haushalte lebten keine Kinder mehr. 43 % des Splittings kämen Kinderlosen zugute. Es fördere nicht die Familie, sondern die Alleinverdiener-Ehe. Die Entlastung falle zu ca. 93 % in den alten Bundesländern an. Für diese regionale Diskriminierung gebe es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Die Argumentation des Einkommens-Poolings in Haushalten sei empirisch nicht haltbar bzw. gebe es hierzu keine fundierten Erkenntnisse. Die im Urteil des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ habe sich in den Jahren seit 1982 so weit gewandelt, dass die Grundlage für die Argumentation des BVerfG entfallen sei.
19
Es werde als verfassungswidrig gerügt, dass in einer kinderlosen Alleinverdiener-Ehe ein nicht erwerbstätiger Ehegatte einen ungleich höheren Grundfreibetrag erhalte als ein Kind, dass die Ehe zusätzlich durch die Verdoppelung von Sonderausgabenhöchstbeträgen begünstigt werde und dass die Alleinverdiener-Ehe einen um ca. 10 % günstigeren Grenzsteuersatz habe als eine verwitwete Alleinerziehende mit zwei Kindern. Dies widerspreche insgesamt eklatant dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
20
Ergänzend und hilfsweise werde auf die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) verwiesen. Der für das Jahr 2008 geltende Sechste als auch der aktuelle Siebente Existenzminimumbericht basierten auf für verfassungswidrig erklärten Grundnormen des SGB. Bei der Einelternfamilie führe das Fehlen eines Elternteils auf der Ausgabenseite kaum zu Einsparungen. Auf der Einkommensseite fehle der in unbezahlter Arbeit geleistete Beitrag.
21
Der geringe Alleinverdiener-Freibetrag werde nur für das erste Kind gewährt. Für weitere Kinder gebe es keine Entlastung. Ein Alleinerziehender könne erst mit mehr als 6 Kindern den gleichen steuerlichen Vorteil erreichen, den ein Spitzenalleinverdiener maximal als Splitting-Vorteil für eine nicht arbeitende Frau bekomme.
22
Jedes Kind beschränke zudem die Leistungsfähigkeit durch den berechtigten Anspruch auf Zeitressourcen (für Betreuung und Versorgung) und damit die für die Einkommenserzielung zur Verfügung stehende Zeit.
23
Die Antragstellerin beantragt im Hauptsacheverfahren (unter Einbeziehung der Einkünfte ihrer Kinder), „unter analoger Anwendung des Splittingtarifs die Einkommensteuer 2008 in der Weise festzusetzen, dass das zu versteuernde Einkommen gedrittelt wird (da drei Personen und von drei Personen das Einkommen enthalten ist), auf das Drittel in einem Zwischenschritt die Einkommensteuer ermittelt wird und das Dreifache der so ermittelten Steuer festgesetzt wird.“ Auf die dem Schriftsatz vom … beigefügten Berechnungen wird Bezug genommen; hiernach ergebe sich eine Einkommensteuer in Höhe von € …. Es ergebe sich ein Nachteil bezüglich der Einkommensteuer in Höhe von € ….
24
Mit Schreiben vom … und … an das FA hat die Antragstellerin beantragt, „die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zur Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zzgl. entsprechendem Solidaritätszuschlag)“. Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen im Hauptsacheverfahren verwiesen. Das FA hat den Antrag mit Bescheid vom … unter Verweis auf seine im Einspruchs- und Klageverfahren gefertigten Schriftsätze abgelehnt.
25
Die Antragstellerin beantragt,
26
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zu Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zuzüglich entsprechender Solidaritätszuschlag).
27
Der Antragsgegner beantragt,
28
den Antrag abzulehnen.
29
Er verweist auf seine Ausführungen im Hauptsacheverfahren und hält an seiner Auffassung fest. Im Hauptsacheverfahren weist er ergänzend darauf hin, dass der BFH mit Beschluss vom 28. Januar 2005 (III B 97/04, BFH/NV 2005, 1050) dazu Stellung genommen habe, dass Aufwendungen für die Betreuung von Kindern nicht durch das auf einer anderen Grundlage beruhende und anderen Zwecken dienende Ehegattensplitting steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Das BVerfG habe die gegen dieses Urteil eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Zudem habe der BFH mit Beschluss vom 17. August 2004 (III B 121/03, BFH/NV 2005, 46) entschieden, dass das Ehegattensplitting mit den Grundwerten des Familienrechts sowie mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Die Rechtsprechung zur einkommensteuerlichen Gleichstellung von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sei mangels Vergleichbarkeit auf den Streitfall nicht anwendbar, denn die Gewährung des Splittingtarifs setze eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Partnern voraus.
30
Wegen des weiteren Sachverhaltes und Vorbringens wird auf den Inhalt der Steuerakten und der gewechselten Schriftsätze, auch im Hauptsacheverfahren 7 K 114/10, Bezug genommen.
II.
31
Der Antrag ist unbegründet.
32
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für die Betroffene eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen – wie im Streitfall – tritt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung.
33
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
34
1) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen der §§ 25 ff. EStG, nach denen die Antragstellerin als nicht verheiratete Alleinerziehende gemäß §§ 25, 32a Abs. 1 EStG einzeln (unter Anwendung der Grundtabelle) und nicht gemäß §§ 26 ff., 32a Abs. 5 EStG wie Eheleute (unter Anwendung der Splitting-Tabelle) zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Die Voraussetzungen des § 32a Abs. 6 Nr. 1 EStG zur Anwendung des sog. Gnadensplitting zur Milderung von Härten sind im Streitjahr unstreitig nicht mehr erfüllt.
35
Der von der Antragstellerin geltend gemachte verfassungswidrige Begünstigungsausschluss gegenüber einem kinderlosen Ehepaar oder einem Ehepaar mit einem Kind oder einem geschiedenen, ggf. teilweise wieder verheirateten Ehepaar, bei dem das Realsplitting (§§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 22 Nr. 1a EStG) in Anspruch genommen wird, liegt nicht vor.
36
Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 1 GG , wobei die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Familie mit zu beachten ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II  1990, 653). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG „gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen …. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. … Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Bevorzugung oder Benachteiligung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung, die ihren Anknüpfungspunkt in der Person findet, regelmäßig einer strengen Bindung …. Dabei kommt es hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. … Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten …“ (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, a.a.O., m.w.N.).
37
Dass sowohl Eheleute (mit oder ohne Kinder) als auch Alleinerziehende unter den Begriff „Familie“ fallen, führt nicht dazu, dass beide Gruppen trotz bestehender Unterschiede steuerlich gleich behandelt werden müssten. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Begünstigung für eine dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auf eine andere, ebenfalls dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auszudehnen, wenn zwischen den Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
38
Zwischen der alleinerziehenden Antragstellerin und Eheleuten (verheiratet oder geschieden mit Realsplitting, mit oder ohne Kindern) bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung – Splitting-Verfahren nur für zusammen zu veranlagende Eheleute, nicht für Alleinerziehende, Real-Splitting für Geschiedene – rechtfertigen können. Eheleute sind rechtlich gleichberechtigte Partner einer Lebensgemeinschaft, die untereinander bestimmen, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten und insbesondere auch, wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt und wie sie das Familieneinkommen verwenden. Die im Wege des Real-Splitting vom Unterhaltszahler abziehbaren, vom Unterhaltsempfänger zu versteuernden Unterhaltsleistungen sind eine Fortwirkung der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach Scheidung. Dagegen ist das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern dadurch geprägt, dass die Eltern zur Pflege und Erziehung (einschließlich der Unterhaltsgewährung) ihrer Kinder berechtigt und verpflichtet sind (Art. 6 Abs. 2 GG). „Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern besteht weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führt, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis“ (BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., m.w.N.). Das BVerfG und entsprechend der BFH haben nicht nur in der nach Meinung der Antragstellerin überholten Entscheidung vom 3. November 1982, sondern auch fortlaufend entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG es nicht gebietet, das Ehegattensplitting auf die Besteuerung von Alleinstehenden mit Kindern auszudehnen (BFH, Urteil vom 27. Juni 1996, IV R 4/84, BFHE 181,31, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 21. Dezember 1996, 2 BvR 2163/96, juris, BFH, Beschluss vom 20. September 2002, III B 40/02, BFH/NV 2003, 157, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2004, 2 BvR 1933/02; BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Das Gericht teilt diese Auffassung.
39
Eine sachlich nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt auch nicht deshalb vor, weil nach neueren Entscheidungen mehrerer Finanzgerichte den Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft aus Gleichbehandlungsgründen die einkommensteuerliche Zusammenveranlagung und entsprechend die Anwendung des Splitting-Verfahrens zustehen muss. Für die eingetragene Lebenspartnerschaft gelten die gleichen Rechtsnormen wie für die Ehe, insbesondere im Bereich der Regelungen zur Gestaltung der partnerschaftlichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, des Unterhalts- und des Erbrechts. Der Unterschied eingetragener Lebenspartner zu den Partnern einer Ehe besteht lediglich darin, dass die Lebenspartner gleichen, die Eheleute unterschiedlichen Geschlechts sind; dieser Unterscheid rechtfertigt nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte die einkommensteuerliche Ungleichbehandlung nicht. Naturgemäß können Lebenspartner keine gemeinsamen leiblichen Kinder haben. Dieser Unterschied ist unbeachtlich, weil das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung Ehegatten unabhängig davon zusteht, ob sie Kinder haben. Zudem gibt es auch Lebenspartnerschaften, zu deren Familie ein Kind gehört (vgl. den Sachverhalt im Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. August 2011, 7 K 65/10, juris).
40
Darüber hinaus wendet die Antragstellerin nicht den richtigen Vergleichsmaßstab an. Sie vergleicht die Besteuerung der von ihr als Erwachsene erzielten Einkünfte (rund € x) mit der Besteuerung eines Ehepaars, bei dem beide gemeinsam rund € x, d.h. durchschnittlich pro Erwachsenem jeweils ein Halb von € x erzielt haben, mithin mit einem wesentlich anderem Sachverhalt. Dass bei einem Einkommen pro erwachsenem Mitglied der Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft nur in Höhe der Hälfte des von der Antragstellerin erzielten Einkommens die Einkommensteuer und entsprechend der Grenzsteuersatz niedriger sind, liegt auf der Hand bzw. entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Kinder der Antragstellerin sind nicht einem Ehegatten oder Lebenspartner gleich zu setzende Mitglieder einer gemeinsam bestehenden Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Vorstellung, dass Eltern mit ihren pflege- und erziehungsbedürftigen minderjährigen (überspitzt: wickelbedürftigen Klein-) Kindern gemeinsam partnerschaftlich die Erzielung und Verwendung des Familieneinkommens als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft bestimmen und gestalten, ist nicht realitätsgerecht.
41
Die Einwendungen der Antragstellerin, das Ehegattensplitting sei nicht mehr zeitgemäß, trage auch im Vergleich zu Regelungen in anderen Ländern der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr Rechnung, fördere nur die Alleinverdiener-Ehe, dies überwiegend in den alten Bundesländern, bestärke eine Machtasymmetrie und führe zur Diskriminierung von Frauen, sind politische Argumente, deren Berechtigung nicht im Besteuerungsverfahren zu überprüfen ist. Die Antragstellerin übersieht, dass nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber berufen ist, im politischen Verfahren der Gesetzgebung einer ggf. geänderten gesellschaftlichen Realität entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen bzw. zu ändern (so bereits BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C II).
42
Die Antragstellerin übersieht ferner, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG als auch des BFH „das Ehegatten-Splitting keine beliebig veränderbare Steuer-‘Vergünstigung‘ ist, sondern eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung (z.B. BVerfG-Beschluss vom 28. Juni 1993 1 BvR 132/89, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 1993, 524; BVerfG-Urteil vom 3. November 1982  …, unter C.I.2. und C.I.4.)“ (BFH, Beschluss vom 5. August 2011, III B 158/10, BFH/NV 2011, 1870).
43
Das Gericht teilt diese Auffassung. Nachdem das BVerfG entschieden hat, dass Betreuungs- und Unterhaltskosten für Kinder unabhängig vom Status der Eltern bei allen Eltern zu berücksichtigen sind (Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O.) gewährleistet das Splittingverfahren nicht mehr die Berücksichtigung kindbedingter Belastungen, sondern (nur noch) die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute untereinander, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten wollen und insbesondere wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt (vgl. BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss a.a.O.). Bei der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG mit der Folge der Ermittlung der Einkommensteuer im Splitting-Verfahren nach § 32a Abs. 5 EStG wird das Einkommen beider Eheleute zusammen gerechnet und dann geteilt. Die auf die Hälfte des gemeinsamen Einkommens entfallende Einkommensteuer wird sodann verdoppelt. Anders als die Antragstellerin (und ein Teil der hierzu ersichtlichen frauen- und steuerpolitischen Literatur) meinen, wird dadurch nicht derjenige Ehegatte mit dem niedrigeren Einkommen (i.d.R. die Frau) diskriminiert. Vielmehr macht es einkommensteuerlich gerade keinen Unterschied, ob einer der Eheleute allein (oder mehr) verdient als der andere, da die Einkommensteuer immer in gleicher Höhe festzusetzen ist, so als ob beide Ehegatten jeweils gleich hohe Einkünfte erzielen würden. Dass Frauen im Durchschnitt in der Regel weniger verdienen als Männer und häufiger Frauen, insbesondere im Fall der Kindererziehung, ganz oder teilweise nicht berufstätig sind, ist nicht Folge des Splittingverfahrens, sondern u.a. durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und durch die von den Individuen nach ihren persönlichen Verhältnissen aus vielfältigen Gründen getroffenen Entscheidungen bedingt.
44
Das BVerfG hat im Urteil vom 3. November 1982 entschieden, aus Art. 6 Abs. 1 GG folge „die Pflicht des Staates, die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren …. Die Ehegatten bestimmen in gleichberechtigter Partnerschaft … ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung …. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt der freien Entscheidung der Eheleute …. Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten in ihren finanziellen Beziehungen untereinander wird insoweit verfassungsrechtlich geschützt.“ Diese durch Art. 6 Abs.. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit werde durch das Splitting für Ehegatten ermöglicht. (BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C I 4a, m.w.N.).
45
An der Auffassung, dass das Selbstbestimmungsrecht (von Eheleuten als auch Eltern) nach Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist, hält das BVerfG aktuell in seinen Beschlüssen zu Regelungen des Elterngeldes fest: „Art. 6 Abs. 1 GG garantiert … die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren.“ (Beschluss vom 20. April 2011, 1 BvR 1811/08, m.w.N., juris). „Demgemäß können Ehepaare nach eigenen Vorstellungen zwischen einer Doppelverdiener- und einer Einverdienerehe wählen und dürfen Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen.“ (Beschluss vom 9. November 2011, 1 BvR 1853/11, NJW 2012, 214, juris). Das BVerfG spricht in diesen zum Elterngeld ergangenen Entscheidungen die zu gewährleistende Gestaltungsfreiheit nicht nur des familiären Zusammenlebens (einschließlich Kindern), sondern auch des ehelichen Zusammenlebens an.
46
2) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen, nach denen die Antragstellerin nicht zusammen mit ihren Kindern im Wege eines Familiensplitting zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
47
Anders als die Antragstellerin meint, ist eine Besteuerung im Wege eines Familiensplitting nicht durch das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich geboten. Steuerlich freizustellen ist (nur) das Existenzminimum. „Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen …. Die somit von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen …. In einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis hierzu steht die Befugnis des Gesetzgebers, bei der Ordnung der steuerrechtlichen Massenverfahren die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen und auf dieser Grundlage typisierende Regelungen zu treffen …. Im Bereich der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat er dabei allerdings Sorge zu tragen, dass typisierende Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken“ (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 m.w.N.).
48
Bei der Besteuerung einer Familie gilt „das verfassungsrechtliche Gebot, dass der Staat das Einkommen dem Steuerpflichtigen insoweit steuerfrei belassen muss, als es Mindestvoraussetzung eines menschenwürdigen Daseins ist … unter zusätzlicher Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG – für das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder …. Bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muss der Staat daher den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem dieses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich ist.“ (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O., m.w.N.). Zum Existenzminimum eines Kindes gehören auch der Betreuungsbedarf (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 a.a.O.) und Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, a.a.O.).
49
Der Gesetzgeber hat sich nicht für ein Familiensplitting, sondern dafür entschieden, einkommensteuerlich das sächliche Existenzminimum sowie den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf eines Kindes durch den Abzug der in § 32 Abs. 6 EStG geregelten Freibeträge (soweit nicht das Kindergeld günstiger ist, § 31 EStG) steuerfrei zu stellen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
50
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bei der Einkommensbesteuerung (nur) dass Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie freizustellen. Das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, a.a.O.). Das Kinderexistenzminimum muss in jedem Fall vor dem steuerlichen Zugriff verschont werden, „mehr gebietet das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht“ (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2010, 2 BvR 2122/09, NJW 2010, 3564, juris). Der Gesetzgeber ist mithin nicht verpflichtet, über die steuerliche Freistellung des Existenzminimums hinaus sämtliche kindbedingten Aufwendungen bzw. zivilrechtlichen Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern in voller Höhe zu berücksichtigen oder gar die durch die kindbedingte verringerte Möglichkeit zur Einkommenserzielung entstehenden finanziellen Nachteile auszugleichen (so aber zur Ausgleichspflicht sog. „Negativeinkünfte“ Prof. Dr. Leisner-Egensperger, „Kindergerechte Familienbesteuerung, Plädoyer für ein demographiegünstiges und sozial gerechtes Familiensplitting“, FR 2010, 865, anders BFH, Urteil vom 13. August 2002, VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 4. August 2003, 2 BvR 1537/02, juris, BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Urteil vom 17. Juni 2010, III R 35/09, BFHE 230, 523 BStBl 2011, 176, BFH, Beschluss vom 8. Juni 2011, X B 176/10 BFH/NV 2011, 1679, jeweils m.w.N.).
51
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch die Möglichkeit der Zusammenveranlagung mit Splitting-Verfahren zu gewährleisten und das Existenzminimum der Kinder des Steuerpflichtigen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplitting zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass ein alleinerziehendes, d.h. einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagendes Elternteil mit Kindern – im Streitfall eine Familie mit drei Personen – im Vergleich zu einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar ohne oder mit einem Kind, bei dem beide Eheleute gemeinsam Einkünfte in derselben Höhe wie das alleinerziehende Elternteil erzielen, eine höhere Einkommensteuer (mit entsprechend höherem Grenzsteuersatz und der Notwendigkeit zur Erzielung höherer Einkünfte, um über den gleichen Betrag nach Steuern verfügen zu können) zu zahlen hat, wie von der Antragstellerin in ihren Berechnungen dargelegt. Der Gesetzgeber hat trotz der im Hinblick auf das Generationenproblem gesellschaftlich erwünschten höheren Kinderzahl die systematisch unterschiedliche Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse und der Lebensverhältnisse von Eltern (-teilen) mit Kindern nicht geändert.
52
Insoweit sind nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern ist der Gesetzgeber unter Wahrung der ihm durch die Verfassung vorgegebenen Parameter nach seiner politischen Überzeugung berufen, die derzeitige gesetzliche Systematik der Berücksichtigung der kindbedingten Aufwendungen beizubehalten, ggf. steuerlich oder anderweitig Familien mit Kindern mehr zu fördern oder ggf. geänderte gesetzliche Regelungen z.B. zur Einführung eines Familiensplitting zu schaffen.
53
3) Die Antragstellerin macht geltend, nach dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 sei es verfassungswidrig, dass der Freibetrag für Kinder niedriger als der Grundfreibetrag für Erwachsene sei. Damit macht sie konkludent geltend, Kinder hätten einen genauso hohen Bedarf wie ein Erwachsener. Dass dies so ist, hat die Antragstellerin weder im Einzelnen substantiiert dargelegt noch belegt. Weder das Sozial- noch das Unterhaltsrecht gehen davon aus, dass Erwachsene und Kinder der Höhe nach den gleichen existenznotwendigen Unterhaltsbedarf hätten. Die Regelungen im SGB II (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II) bzw. zur Grundsicherung im SGB XII (Regelbedarfssätze gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII, für das Streitjahr Regelbedarfsverordnungen auf der Grundlage des § 28 SGB XII) gehen ebenso wie die familienrechtlich normierten Unterhaltspflichten (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 71. Aufl. 2012, Rdz. 19 Einführung vor § 1601 BGB, Düsseldorfer Tabelle) von einem höheren existenznotwendigen Unterhaltsbedarf eines Erwachsenen gegenüber einem Minderjährigen aus. Anders als die Antragstellerin meint, hat auch das BVerfG in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 nicht entschieden, dass Kinder einen gleich hohen Bedarf wie Erwachsene hätten. Das BVerfG hat im Gegenteil entschieden, dass Kinder „einen besonderen kinder- und altersspezifischen Bedarf“ haben; „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ (Orientierungssatz 4e.bb, II 6.1a der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.6). Die Methode des Gesetzgebers, den Bedarf eines Kindes pauschal an dem Bedarf eines Erwachsenen angelehnt festzulegen, sei nicht geeignet, den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.
54
Das Gericht hat deshalb keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen, soweit die für das sächliche Existenzminimum einschließlich des Betreuungs- und Ausbildungsbedarfs für die Kinder der Antragstellerin abgezogenen Beträge nicht entsprechend dem für die Antragstellerin abgezogenen Grundfreibetrag gemäß § 32a EStG mit jeweils € 7.664 abgezogen worden sind.
55
4) Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch die im Bescheid angesetzten Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von jeweils € 5.808 ausreichend berücksichtigt ist. Die Bemessung des einkommensteuerlich freizustellenden Existenzminimums, d.h. die Höhe der Freibeträge, orientiert sich an dem im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf einschließlich des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs und ist für das Streitjahr unter Umrechnung des Bedarfs entsprechend den sozialrechtlichen Regelungen mit € 5.808 angesetzt worden (Sechster Existenzminimumbericht für das Jahr 2008, Bundestagsdrucksache 16/3265). Die Methode der Ermittlung des sozialrechtlich zu gewährleistenden kindbedingten existenznotwendigen Bedarfs ist, wie das BVerfG mit Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden hat, nicht verfassungsgemäß. Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmethode auch auf die Ermittlung der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge aus.
56
Hieraus folgt jedoch nicht zwingend, dass die gemäß § 32 Abs. 6 EStG abgezogenen Beträge von jeweils € 5.808 nicht dem existenznotwendigen Bedarf entsprechen bzw. zu niedrig sind. Dass der existenznotwendige Bedarf eines Kindes höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Des Weiteren können nach dem EStG zusätzlich zu der Umrechnung des sozialrechtlich angesetzten Bedarfs in einkommensteuerliche Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG weitere kindbedingte Aufwendungen abzogen werden, insbesondere für Kinderbetreuungskosten (im Streitjahr bis zur Höhe von € 4.000 je Kind bis zum 14. Lebensjahr als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG bzw. wie Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten gemäß § 4f bzw. § 9 Abs. 5 EStG); dies ist bei einem Vergleich der Höhe des sozialrechtlich festgelegten Bedarfs mit den einkommensteuerlichen Regelungen zu berücksichtigen. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden, dass die (den Freibeträgen gemäß § 32 Abs. 6 EStG zugrunde gelegten) sozialhilferechtlich als Bedarf eines Kindes angesetzten Beträge nicht „evident unzureichend“ sind (Orientierungssatz 4b.aa. und bb., II.2 der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.2). Weil in der Rechtsprechung des BVerfG bislang nicht geklärt worden war, nach welchen verfassungsrechtlichen Maßstäben im Einzelnen sich die Bemessung der existenznotwendigen Sozialleistungen richtet, hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2010 gesetzt, um ihm die Schaffung einer Neuregelung zu ermöglichen. Eine rückwirkende Verpflichtung zur Neuregelung hat das BVerfG dem Gesetzgeber aus diesem Grund nicht auferlegt (Orientierungssatz 4h.aa, D I.1 bis 5 der Entscheidung).
57
Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die nach Auffassung des BVerfG nicht „evident unzureichende“ Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs eines Kindes auch auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Höhe der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge als nicht evident unzureichend aus. Das Gericht hat deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe der Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG. Darüber hinaus hat das FA die Einkommensteuer u.a. hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig festgesetzt; die Rechte der Antragstellerin insoweit sind dadurch gewahrt.
58
5) Das Vorstehende gilt auch für die Höhe des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308. Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die durch die Alleinerziehung bedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch diesen Freibetrag ausreichend berücksichtigt ist. Dass der durch die Alleinerziehung bedingte Bedarf höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Kinderbetreuungskosten hat sie nicht geltend gemacht. Die von Antragstellerin vorgetragene Notwendigkeit, in erhöhtem Umfang Fremdleistungen z.B. bei Verpflegung und Nachhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, kann auch bei zusammenlebenden Eltern bestehen, z.B. wenn diese aufgrund niedriger Einkunftserzielungsmöglichkeiten beide berufstätig sein müssen. Dass aufgrund der für Kinder erforderlichen Zeit  weniger Zeit für die Einkommenserzielung zur Verfügung steht, wirkt sich bereits dadurch aus, dass das in der nicht zur Verfügung stehenden Zeit nicht erzielte Einkommen nicht besteuert wird. Auch der vorgetragenen höheren Personalkostenquote würde bereits dadurch steuerlich Rechnung getragen, dass die Antragstellerin die Personalkosten als Betriebsausgaben abziehen kann. Die Höhe des Freibetrages gemäß § 24b EStG entspricht in etwa einem einkommensteuerlich umgerechneten Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II, wobei die Regelungen wegen der einkommensteuerlich unabhängig, nach § 21 Abs. 3 SGB II jedoch abhängig von Alter und Zahl der Kinder bestimmten Beträge nicht direkt vergleichbar sind. Zudem können einkommensteuerlich zusätzlich Kinderbetreuungskosten abgezogen werden. Das Gericht hat deshalb keine eine Aufhebung der Vollziehung rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe des Freibetrages des § 24b EStG.
59
6) Bezüglich der von der Antragstellerin als verfassungswidrig gerügten unzureichenden Berücksichtigung der Sonderausgaben bzw. zum (Nicht-) Abzug der einkommensteuerlich zu verschonenden existenznotwendigen Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen für ihre unterhaltsberechtigten Kinder hat das BVerfG mit Urteil vom 13. Februar 2008 (a.a.O.) entschieden, dass die für das Streitjahr geltenden Regelungen in § 10 EStG nicht verfassungsgemäß sind. Es hat jedoch eine Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zum 31. Dezember 2009 angeordnet und damit dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist für eine verfassungsgemäße Neuregelung eingeräumt. Für das Streitjahr hat das Gericht deshalb keine Zweifel daran, dass die gesetzlichen Regelungen des § 10 EStG zum Sonderausgabenabzug für Eltern bzw. Alleinerziehende mit Kindern zu Recht der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegt worden sind.
60
7) Dass die Besteuerung den von der Antragstellerin erwähnten nach Art. 6 Abs. 4 GG geschützten Anspruch der Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft verletzt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
61
8) Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Aus den Bescheiden des FA vom … bzw. … ergab sich eine (geringe) Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …. Die Antragstellerin möchte über die Höhe der Nachzahlung hinaus im Vorgriff auf eine von ihr für erforderlich gehaltene gesetzliche Neuregelung – die Einführung eines Familiensplittings bzw. die Anwendung der Splittingtabelle auf ihr zu versteuerndes Einkommen bzw. die Berücksichtigung höherer als der gesetzlichen Frei- bzw. Zusatzbeträge – eine Aufhebung der Vollziehung erreichen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Nach § 361 Abs. 2 Satz 4 AO, § 69 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO sind die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich auf die Differenz zwischen der festgesetzten Jahressteuer und den anzurechnenden Abzugsbeträgen, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und den festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt. Nach dem Zweck der Vorschrift soll eine vorläufige Erstattung von Vorauszahlungen ausgeschlossen werden (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, Rdz. 46 zu § 69 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH sind im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO „wesentliche Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO … nur gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde“ (vgl. Beschluss vom 22. November 2001, V B 100/01, BFH/NV 2002, 519, ebenso BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010, VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935 m.w.N.), nicht jedoch, wenn es sich lediglich um Nachteile handelt, die typischerweise mit der Pflicht zur Steuerzahlung verbunden sind (vgl. Koch in Gräber a.a.O., Rdz. 47 zu § 69 FGO mit weiteren Nachweisen). Dass § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) verfassungswidrig seien, hat die Antragstellerin weder vorgetragen, noch ist dies ersichtlich (vgl. BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010 a.a.O. m.w.N., BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2002 1 BvR 66/02 zum Beschluss des BFH vom 22. November 2001, juris).
62
9) Die Aufhebung der Vollziehung ist auch nicht deshalb geboten, weil die erfolgte Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie die Antragstellerin substantiiert vorgetragen.
63
10) Das Gericht legt im Kosteninteresse der Antragstellerin den Antrag dahingehend aus, dass sie die Aufhebung der Vollziehung nur bezüglich der Einkommensteuer beantragt und nur nachrichtlich mitgeteilt hat, dass entsprechend der Solidaritätszuschlag ausgesetzt werden möge. Ein auch bezüglich des Solidaritätszuschlages gestellter Antrag wäre unzulässig. Eigenständige Einwendungen gegen dessen Festsetzung hat die Antragstellerin nicht erhoben. Sie begehrt dessen Aufhebung der Vollziehung als Folgewirkung aufgrund der begehrten Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuer, die hierfür die Grundlage bildet (§ 233 a Abs. 5 AO, § 1 Abs. 5 Satz 2 SolzG). Ein insoweit gestellter Antrag wäre unzulässig (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010. Rdz. 55 zu § 69 FGO, Stichwort Folgebescheide).
64
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
65
Das Gericht lässt gemäß § 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO die Beschwerde zu.

Sammelauskunftsersuchen zu Internetverkäufen

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 23.02.2012 (Az. 5 K 397/10) einer Klage gegen ein Sammelauskunftsersuchen der niedersächsischen Steuerverwaltung stattgegeben.

Hintergrund: Das beklagte Finanzamt für Fahndung und Strafsachen hatte die Klägerin um Auskunft über Verkäufe niedersächsischer Unternehmen in den Jahren 2007 bis 2009 als Drittanbieter über eine Internethandelsplattform ersucht.

Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass die website mit der darauf eingerichteten Internethandelsplattform in den Jahren 2007 bis 2009 nicht von der Klägerin, sondern ihrer luxemburgischen Muttergesellschaft betrieben und das Drittanbietergeschäft über diesen Internetmarktplatz von einer luxemburgischen Schwestergesellschaft abgewickelt wurde. Die Klägerin, eine inländische Kapitalgesellschaft, erbrachte gegenüber Mutter- und Schwestergesellschaft eine Vielzahl von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Betrieb der Internethandelsplattform.

Das Niedersächsische Finanzgericht gab der Klage gegen das Auskunftsersuchen statt, weil es der Klägerin nach Auffassung des erkennenden Senates nicht möglich ist, die ersuchten Auskünfte zu erteilen.

Die Auskunftsrechte der Finanzbehörden unterliegen nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen: Die verlangte Auskunft muss zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein. Eine Auskunft über den Inhalt elektronisch gespeicherter personenbezogener Daten – um die es im Streitfall ging – ist nach Auffassung des 5. Senates des NFG möglich, wenn der um Auskunft Ersuchte tatsächlich über die Speichermedien, auf denen die personenbezogenen Daten gespeichert sind, verfügen kann oder wenn er gegen den Verfügungsberechtigten einen rechtlichen Anspruch auf Herausgabe der Daten oder jedenfalls eine entsprechende Auskunft hat.

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist der Klägerin die Erteilung der ersuchten Auskünfte nicht möglich.

In tatsächlicher Hinsicht ist die Auskunft unmöglich, weil die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgerichts mangels Zugriffsberechtigung über keinen eigenen Zugriff auf die im Ausland befindlichen Server verfügt, auf denen die zur Auskunftserteilung benötigten Daten gespeichert sind.

Einen rechtlichen Anspruch gegen die Schwestergesellschaft als Betreiberin des Drittanbietergeschäfts auf Herausgabe der Daten, Erteilung einer Auskunft oder auf Verschaffung einer Berechtigung zum Zugriff auf die elektronischen Speichermedien hat die Klägerin nicht. Ein solcher Anspruch ergibt sich nach Auffassung des Gerichts weder aus dem zwischen ihnen geschlossen Datenverarbeitungsvertrag noch aus dem Umstand, dass es sich bei der Betreiberin des Drittanbietergeschäfts um eine ausländische Schwestergesellschaft der Klägerin handelt. Konkrete gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten der Klägerin konnte das Finanzgericht nicht feststellen. Allein der Umstand, dass die Klägerin und die luxemburgische Schwestergesellschaft Teil eines Konzerns sind, begründet keine solchen Einflussmöglichkeiten. Insofern bezog sich das NFG auf einen Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.5.2001 (Az. I S 3/01, BFH/NV 2001, 957).

Auf die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob die Finanzbehörde einen hinreichenden Anlass für das Ausbringen des Sammelauskunftsersuchens im Sinne der finanzgerichtlichen Rechtsprechung hatte (vgl. BFH-Urteil vom 16.01.2009 VII R 25/08, BStBl II 2009, 582), kam es für die Entscheidung nicht an.

Das Finanzgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Ein Aktenzeichen des BFH liegt derzeit noch nicht vor.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

Antrag auf Günstigerprüfung bei Abgeltungsteuer fristgebunden? (FG)

Das Niedersächsische Finanzgericht hat sich mit der Frage befasst, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids ein Antrag auf Günstigerprüfung gestellt werden und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer steuermindernd berücksichtigt werden kann. Im Streitfall hat das Gericht dies verneint. Die daraufhin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hatte jedoch Erfolg (FG Niedersachsen, Urteil v. 23.5.2012 – 2 K 250/11; Revision anhängig).

 

Einkommensteuer 2010

Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG fristgebunden?

Nichtzulassungsbeschwerde, BFH-Az. VII B 95/12 – Revision zugelassen
Revision eingelegt, BFH-Az. VIII R 14/13

Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Urteil vom 23.05.2012, 2 K 250/11

 

Tatbestand

1
Streitig ist, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2010 ein Antrag auf Günstigerprüfung im Sinne des § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) gestellt werden kann und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag steuermindernd zu berücksichtigen ist.

2
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2010 als Mini-Jobberin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 16.765 €. Daneben erhielt sie nach ihrem verstorbenen Ehemann eine Leibrente in Höhe von 2.432 €. In der am 27. Januar 2011 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung gab die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht an. Die Einkommensteuererklärung wurde gefertigt von der Vereinigten X. Aufgrund der Einkommensteuererklärung ermittelte das Finanzamt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 7.849 € und daraus resultierend eine Einkommensteuer von 0,00 €. Der Einkommensteuerbescheid vom 3. März 2011 wurde bestandskräftig.

3
Mit Schreiben vom 12. Mai 2011, Eingang beim Finanzamt am 25. Mai 2011, beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Steuerbescheinigung der K über die Kapitalerträge sowie anrechenbare Abzugsbeträge die Verrechnung der Abzugsbeträge mit der persönlichen Einkommensteuer. Die Bescheinigung der K (Bl. 17 der Einkommensteuerheftung) trägt das Datum vom 20. August 2010. Die Bescheinigung ist ausdrücklich als Steuerbescheinigung bezeichnet. Bestätigt wurde darin, dass Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in Höhe von 1.523,72 € im Jahr 2010 ausgezahlt wurden. Die Kapitalertragssteuer wurde in Höhe von 380,93 € ausgewiesen, der Solidaritätszuschlag mit 20,95 €. In der Steuerbescheinigung findet sich weiter der Hinweis, dass die Höhe des in Anspruch genommenen Sparerpauschbetrages 0,00 € beträgt.

4
Der Beklagte lehnte die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides ab. Bei den Wahlrechten nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG seien die allgemeinen Grundsätze über steuerliche Wahlrechte zu beachten. Eine Anrechnung von Abgeltungssteuern sei somit nach Rechtskraft nicht möglich, wenn zuvor kein Antrag auf Günstigerprüfung bzw. auf Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge gestellt worden sei.

5
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.

6
Die Klägerin ist weiterhin der Rechtsansicht, dass der Einkommensteuerbescheid 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) dergestalt zu ändern sei, dass bisher nicht erklärte Kapitalerträge im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG in die Veranlagung einbezogen werden müssen, mit der Folge, dass sich die festzusetzenden Steuern erhöhen und die von den Kapitalerträgen einbehaltenen Abzugssteuern (Abgeltungssteuer) anzurechnen seien. Die alleinstehende Klägerin sei in steuerlichen Dingen unerfahren. Sie erziele Versorgungsbezüge, eine kleine Rente sowie Einnahmen aus einem Minijob. Kapitalerträge aus den üblichen Spar- oder Wertpapiereinlagen habe sie im Jahr 2010 nicht erzielt. Allerdings habe sie per 1. September 2010 eine vor 2005 abgeschlossene Lebensversicherung innerhalb der Sperrfrist von 12 Jahren gekündigt. Es seien deshalb nach § 43 Abs. 1 EStG Kapitalertragssteuern auf die Auszahlung rechnungsmäßiger und außerrechnungsmäßiger Zinsen aus Sparanteilen einzubehalten gewesen. Die Klägerin habe nicht erkannt, dass die von der Versicherungsleistung einbehaltenen Abzugssteuern im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG zu deren teilweisen Erstattung hätte führen können. Daher habe sie die Steuerbescheinigung der K ihrem Berater zunächst auch nicht vorgelegt. Mangels irgendeines Hinweises auf einbehaltene Kapitalertragssteuern habe die für die Klägerin zuständige Beratungsstellenleiterin der Einkommensteuererklärung 2010 keine Anlage KAP beigefügt. Erst nachdem die Klägerin im Mai 2011 ihrem Berater die Steuerbescheinigung der K für 2010 doch noch zur Kenntnis gegeben habe, habe die Beratungsstellenleiterin sodann eine nachträgliche Günstigerprüfung beim Beklagten beantragt.

7
Die Finanzrechtsprechung habe sich bis heute noch nicht mit der Frage beschäftigt, ob ein Antrag nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG fristgebunden sei oder nicht. Im Gegensatz zu § 32d Abs. 4 EStG enthalte der Text des § 32d Abs. 6 EStG jedenfalls keine Verpflichtung, eine Günstigerprüfung schon mit der Erklärung zu beantragen. Die unterschiedlichen Formulierungen in den Absätzen 4 und 6 sprächen für ein nicht fristgebundenes Wahlrecht für eine Günstigerprüfung.

8
Zwar sei im ersten Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (Bundestagsdrucksache 16/4841) zu § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt worden, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeiten im Rahmen seiner Veranlagung geltend machen könne; diese Formulierung sei später allerdings nicht mehr wiederholt und auch, anders als im Rahmen des § 32d Abs. 4 EStG, nicht ansatzweise in den Gesetzestext des Absatzes 6 übernommen worden. Da der Gesetzentwurf vom BMF stamme, gebe er nur die Auffassung der Finanzverwaltung wieder, die aber im weiteren Verfahren nicht ausdrücklich übernommen worden sei und demgemäß nicht als Willen des Gesetzgebers anzusehen sei. In der Literatur werde indes davon ausgegangen, dass dem Gesetz insoweit eine eindeutige Regelung nicht zu entnehmen sei und nicht auszuschließen sei, dass der Gesetzgeber eine Frist bewusst nicht aufgenommen habe.

9
Die Bundesregierung habe auf eine entsprechende Nachfrage in der Gesetzesberatung mitgeteilt, die Antragswahlrechte nach § 32d Abs. 4 und 6 EStG seien nicht fristgebunden, nach Eintritt der Bestandskraft könnten sie allerdings nur noch im Rahmen der Änderungsvorschriften ausgeübt werden, einschlägig könne insbesondere § 173 Abgabenordnung sein.

10
Auch im Streitfall sei aufgrund eines nicht fristgebundenen Wahlrechtes eine Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO eröffnet, weil die für die Ausübung des Wahlrechtes relevanten Tatsachen (Kapitaleinkünfte) und Beweismittel (Steuerbescheinigung) dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden seien und die nachträgliche Einbeziehung der Kapitaleinkünfte zum tariflichen Steuersatz zu einer höheren festzusetzenden Einkommensteuer führt. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Klägerin durch die Anrechnung der Kapitalertragssteuer und der Solidaritätsbeitrage letztlich ein Vorteil entstehe, weil die Mehrbeträge an festzusetzenden Steuern niedriger seien als die zu erstattenden Steuereinbehalte. Es komme bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 AO allein auf das Ergebnis der Steuerfestsetzung an, die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen sei nicht dem Festsetzungs-, sondern dem Erhebungsverfahren zuzuordnen.

11
Die Klägerin beantragt,

12
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 20. Juli 2007 und des Einspruchsbescheides vom 30. August 2011 den Beklagten zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 7. April 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dergestalt zu ändern, dass die bisher nicht erklärten Kapitalerträge noch in die Veranlagung einbezogen werden.

13
Der Beklagte beantragt,

14
die Klage abzuweisen.

15
Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

16
Der BMF habe Einzelfragen zur Abgeltungssteuer mit bindender Wirkung für die Finanzbehörden im Anwendungsschreiben vom 22. Dezember 2009 (BStBl. I 2010, 94) geregelt. Dabei sei unter Randziffer 149 zur Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ausgeführt, dass der Steuerpflichtige diese Wahlmöglichkeit im Rahmen seiner Veranlagung geltend zu machen habe.

17
Die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes oder die nachträgliche Antragstellung sei auch keine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, sondern lediglich eine Verfahrenshandlung. Tatsachen im Sinne des § 173 AO seien die zugrunde liegende Einkünfte aus § 20 EStG. Bei Antragsstellung nach Bestandskraft eines Steuerbescheides werden dem Finanzamt diese Tatsachen nachträglich bekannt.

18
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

19
In der mündlichen Verhandlung sind wurden die Parteien darauf hingewiesen worden, dass im Streitfall der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet sein könnte.

 

Entscheidungsgründe

20
I. Die Klage ist unter Berücksichtigung von anrechenbaren Steuerabzugsbeträgen trotz höherer Steuerfestsetzung zulässig, vgl. BFH VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72.

21
II. Die Klage ist allerdings nicht begründet, da der Beklagte zu Recht eine Änderung des bestandskräftigen Bescheides abgelehnt hat.

22
1. In Betracht kommt vorliegend im Hinblick auf die bei der erstmaligen Veranlagung nicht bekannten Kapitaleinkünfte des Klägers allein eine Änderung gem. § 173 AO. Die Eröffnung des Anwendungsbereiches ist allerdings nur gegeben, wenn der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden wäre, andernfalls wären die neuen Tatsachen nicht rechtserheblich.

23
a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist für die Frage der Rechtserheblichkeit im Fall unterbliebener Anträge oder im Zusammenhang mit Wahrechten maßgeblich, ob der entsprechende Antrag fristgebunden oder nicht fristgebunden ist. Dementsprechend hat der BFH im Urteil vom 30. September 1991, II R 105/81 BStBl II 1982, 80 die Rechtserheblichkeit im Fall eines grunderwerbsteuerlichen Befreiungstatbestandes verneint unter Hinweis darauf, dass der entsprechende Antrag nach dem im entschiedenen Fall einschlägigen § 26 Abs. 2 GrEStG Berlin nicht in der dort ausdrücklich geregelten Frist gestellt worden war. Nach dieser Vorschrift konnte der Steuerpflichtige Anträge auf Steuervergünstigen ausdrücklich nur „bis zum Eintritt der Rechtskraft der Steuerfestsetzung oder im Anfechtungsverfahren bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht stellen.“ Die für die begehrte Steuerbefreiung relevanten Tatsachen waren deshalb zwar nachträglich bekannt geworden, aber nicht rechtserheblich, weil die Antragstellung ihrerseits nicht rechtzeitig bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit, sondern erst nach Bestandskraft erfolgt ist.

24
Demgegenüber hat der BFH im Urteil vom 28. September 1984, VI R 48/82 BStBl II 1985, 117 die Rechtserheblichkeit neuer Tatsachen bejaht bei der Ausübung nicht fristgebundener Wahlrechte und dabei zwischen Antrag und Wahlrecht nicht differenziert. Im entschiedenen Fall ging es um das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1976 geltenden Fassung, für das sich im Gesetz kein Hinweis auf eine Befristung ergibt.

25
Entsprechend dieser Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass eine Befristung im Sinne dieser Differenzierung nicht in den generell bestehenden Einschränkungen durch die Bestandskraft zu sehen ist. Wäre Bestandskraft nicht eingetreten, würde sich die Frage nach einer Änderungsvorschrift indes nicht stellen.

26
b) Es spricht zunächst einiges dafür, ohne dass dies allerdings abschließend entschieden werden müsste, dass der Antrag auf Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden ist.

27
Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich keine Befristung. Sofern sich aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ergibt, dass der Steuerpflichtige die Wahlmöglichkeit im Rahmen der Veranlagung geltend machen könne, so ist dies ebenfalls keine eindeutige Begrenzung auf die Bestandskraft, die sich zudem im Gesetzestext nicht niedergeschlagen hat. Wäre eine entsprechende Befristung gewollt gewesen, ist im Hinblick auf die ausdrücklichen Regelungen in § 32d Abs. 4 sowie Abs. 2 Nr. 3 EStG davon auszugehen, dass dies auch ausdrücklich geregelt worden wäre.

28
Diese Auslegung entspricht auch der ausdrücklichen Aussage des aus dem Geschäftsbereich des BMF vom 15. April 2011 (Drucksache 17/5568, Frage Nr. 19), nach der der Antrag entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für steuerliche Wahlrechte nicht fristgebunden sei und die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung lediglich insoweit einschränke, als die nachträgliche Antragstellung nur unter den Voraussetzung der §§ 172ff AO möglich ist.

29
Gleiches folgt aus Tz. 8 AEAO vor §§ 172 bis 177 AO: Danach können Wahlrechte grundsätzlich bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ausgeübt werden, wobei allerdings die Bestandskraft die Wahlrechtsausübung einschränke und die nachträgliche Ausübung eines Wahlrechtes keine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO sei.

30
c) Seitens der Verwaltung wird allerdings eine andere Auffassung vertreten (vgl. z.B. Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2011, S 0351, juris). Für eine Befristung könnte möglicherweise die in § 32d Abs. 6 EStG enthaltene Verweisung auf die Absätze 1, 3 und 4 der Norm sprechen, anstelle derer die Besteuerung mit der tariflichen Einkommensteuer beantragt werden kann. Jedenfalls sofern der Antrag auf Günstigerprüfung in einem Fall des § 32d Abs. 4 EStG gestellt wird, könnte ebenfalls eine Antragstellung bereits mit der Einkommensteuererklärung zu fordern sein.

31
2. Die Frage braucht indes letztlich nicht abschließend entschieden zu werden, weil eine Änderung im vorliegenden Fall auch bei Annahme eines fristungebundenen Antragsrechts nicht in Betracht kommt, weil die Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen ein grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO trifft.

32
a) Auch wenn die Klägerin die Festsetzung einer höheren Steuer beantragt und sich der Vorteil für ihn erst aus der Anrechnung der eingehaltenen Steuerbeträge ergibt, ist vorliegend der Anwendungsbereich des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eröffnet.

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aa) Grundsätzlich ist bei der Frage, ob sich die Änderung eines Steuerbescheids zugunsten oder zuungunsten eines Steuerpflichtigen auswirkt, allein auf den zu ändernden Bescheid abzustellen. Ebenso kann im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO nur aus einem Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung abgeleitet werden, ob die beabsichtigte Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1990, VI R 90/86 BStBl. II 1990, 610). Allerdings hat der BFH in dem zitierten Fall ausnahmsweise nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende Steuerbeträge in die Betrachtung einbezogen, weil im konkreten Fall der Nettolohnvereinbarung mit einer Einbeziehung des Differenzbetrages in die Einkommensteuerveranlagung zugleich die Entscheidung der Streitfrage verknüpft sei, ob zwischen dem Kläger und dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden ist und diese Entscheidung zugleich die Grundlage dafür biete, dass sämtliche im Rahmen der Nettolohnvereinbarung als einbehalten behaupteten Abzugsbeträge zugunsten des Klägers angerechnet werden können.

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bb) In der vorliegenden Fallgestaltung ist die Einbeziehung der anrechenbaren Steuerabzugsbeträge ebenfalls in den Vergleich mit einzubeziehen. Dies folgt aus der Überlegung, dass die mit dem Antrag verfolgte Günstigerprüfung zwingend nur unter Berücksichtigung der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge erfolgen kann und der Antrag in dem Fall, dass die Versteuerung der Einkünfte mit dem individuellen Steuersatz insgesamt gesehen (also unter Berücksichtigung der anrechenbaren Abzugsbeträge) für den Steuerpflichtigen nicht günstiger ist, als nicht gestellt gilt.

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Vorliegend ergäbe sich bei Berücksichtigung der Kapitalerträge sowie der anzurechnenden Steuerbeträge mit über 400,00 € eine im Vergleich zur ursprünglichen Festsetzung (0,00 €) um 78,00 € höhere Steuerfestsetzung, allerdings nach Abzug der Kapitalertragsteuer von 380,93 € eine um ca. 300,00 € verminderte Steuerlast. Die Günstigerprüfung würde dementsprechend vorliegend dazu führen, dass entsprechend dem Antrag die Kapitalerträge der tariflichen Einkommensteuer der Klägerin zu unterwerfen wären.

36
Die Entscheidung über die Änderung der Steuerfestsetzung kann danach nicht ohne Berücksichtigung der gem. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechenbaren Steuerabzugsbeträge getroffen werden, dementsprechend sind auch im vorliegenden Fall die anzurechnenden Steuerbeträge in die Betrachtung mit einzubeziehen und führen die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen zu einer niedrigeren Steuer.

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b) Die Klägerin trifft ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen (Einkünfte aus Kapitalvermögen).

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aa) Grobes Verschulden i.S.d § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Letztere ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. August 1994, VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl. II 1995, 264; vom 23. Januar 2001, XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl. II 2001, 379, und vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 369, BStBl. II 2005, 75, jeweils m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

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Grob fahrlässiges Handeln liegt insbesondere vor, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er unvollständige Steuererklärungen abgibt (BFH-Urteile vom 30. Oktober 1986, III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl. II 1987, 161; vom 1. Oktober 1993, III R 58/92, BFHE 172, 397, BStBl. II 1994, 346; vom 16. September 2004, IV R 62/02, BFHE 207, 269, BStBl. II 2005, 75; in BFH/NV 2007, 866). Beruht die unvollständige Steuererklärung auf einem Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (BFH-Urteile vom 10. August 1988, IX R 219/84, BFHE 154, 481, BStBl. II 1989, 131; vom 23. Februar 2000, VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2005, VIII B 18/02, BFH/NV 2005, 1212).

40
Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteile in BFHE 175, 500, BStBl. II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, BStBl. II 2001, 379). Auf einen die grobe Fahrlässigkeit ausschließenden, entschuldbaren Rechtsirrtum kann sich der Steuerpflichtige auch dann nicht berufen, wenn er eine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung (BFH-Urteile in BFH/NV 2003, 441, sowie in BFH/NV 2007, 866).

41
bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen hätte die Klägerin ihre Kapitaleinkünfte sowie anrechenbaren Steuerabzugsbeträge dem Beklagten spätestens im Rahmen eines Einspruchsverfahrens mitteilen müssen. Es bestehen zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst keine Kenntnis von den Erträgen hatte. Die Steuerbescheinigung über Kapitalerträge von 1.523,72 € sowie anzurechnende Steuerabzugsbeträge von 380,93 € (KapESt) sowie 20,95 € (Solidaritätszuschlag) ist der Klägerin von der K bereits am 20. August 2010, also weit vor Erstellung der Steuererklärung, übermittelt worden.

42
Soweit sich die Klägerin auf einen Rechtsirrtum wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruft, ist dies wenig plausibel. Sie hat eine als solche ausdrücklich bezeichnete Steuerbescheinigung erhalten, in der aufgeführt war, in welche Zeilen der Anlage „KAP“ die Beträge einzutragen sind, ein Hinweis auf eine Abgeltungswirkung war indes nicht enthalten. Bei der dargelegten Unsicherheit wäre die Klägerin zumindest gehalten gewesen, ihren Steuerberater über die (außerordentlichen) Erträge und einbehaltenen Steuerabzugsbeträge zu informieren und über die Rechtslage zu befragen. Im Übrigen wäre es auch Aufgabe des Steuerberaters gewesen, die Klägerin zu befragen, welche Anlagen zur Einkommensteuererklärung zu erstellen sind und welche Änderungen sich ggf. gegenüber dem Vorjahr bei den einzelnen Einkunftsarten ergeben haben.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Steuererklärung 2012 für Rentner

Finanzämter fordern Rentner zur Steuererklärung auf

Ursache ist das Alterseinkünftegesetz, wonach Rentner verpflichtet sind, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, weil immer mehr Rentner Einkommensteuer auf Ihre Rente zahlen müssen. Die Einkommensteuererklärung 2012 müssen Rentner – wie alle anderen Steuerpflichtigen auch – bis zum 31.05.2013 beim Finanzamt eingereicht haben. Jetzt beginnen die Finanzämter bereits damit, die Steuererklärungen 2012 zu bearbeiten. Daher wird es auch für Rentner jetzt Zeit, ihre Steuererklärung für das vergangene Jahr abzugeben.

Die Besteuerung der Renten wird sichergestellt, durch das Rentenbezugsmitteilungsverfahren, d.h. die Finanzämter werden über sämtliche seit 2005 ausgezahlten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie von privaten Versicherungen oder Versorgungswerken informiert. Die Überprüfung hat jahrelang Zeit in Anspruch genommen, da die Steuerindentifikationsnummer erst eingeführt werden musste. Jetzt beginnen die Finanzämter damit, betroffene Rentner anzuschreiben und diese aufzufordern, ihre Steuererklärung abzugeben. Die Finanzämter prüfen auch, ob die Renten für die Jahre 2005 bis 2009 steuerpflichtig sind. Neben den Steuernachzahlungen drohen auch Nachzahlungszinsen. Auch Rentner können betroffen sein, die vom Finanzamt in früheren Jahren eine  Nichtveranlagungsbescheinigung erhalten haben.

Nach wie vor stellen sich viele Rentner folgende Fragen:

  • Wer muss überhaupt eine Steuererklärung einreichen?
  • Welche Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen können steuerlich abgesetzt werden?

Hier finden Sie viele Tipps und praktische Beispiele, die Rentnern beim Ausfüllen der Steuererklärung helfen und finden Sie Antworten auf Fragen zur

Rentenbesteuerung.

Es handelt sich um ein kostenloses Angebot im Internet. Außerdem können Sie Ihre Steuererklärung auch gleich online über Elster abgeben.

FG Köln zum gleichzeitigen Kindergeldbezug in mehreren EU-Staaten

FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 47/09
FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 930/09
FG Köln Urteil vom 30.01.2013 – 15 K 2058/09

Pressemitteilung des Gerichts:

“Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, können auch dann in Deutschland kindergeldberechtigt sein, wenn sie weiterhin in das Sozialsystem ihres Heimatlandes eingegliedert bleiben und auch dort Kindergeld beziehen. In diesen Fällen ist das deutsche Kindergeld allerdings um die ausländischen Leistungen zu kürzen. Dies hat der 15. Senat des Finanzgerichts Köln in drei Urteilen vom 30.01.2013 für niederländische und polnische Arbeitnehmer entschieden (15 K 47/09, 15 K 930/09 und 15 K 2058/09). Der Senat stützt sich hierin auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 12.06.2012 (RS C-611/10 und C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak). Gegenstand des EuGH-Urteils waren die Kindergeldansprüche eines von Polen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmers und eines polnischen Saisonarbeiters. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass entsandte Arbeitnehmer und Saisonarbeiter aus Polen und anderen EU-Ländern nicht deshalb gänzlich vom Kindergeld in Deutschland ausgeschlossen werden dürften, weil sie in ihrem Heimatland vergleichbare Familienleistungen erhielten. Dies verstoße gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte.

Der 15. Senat vertritt in seinen Urteilen die Auffassung, dass der Anwendungsbereich dieser EuGH-Entscheidung nicht auf die entschiedenen Fallkonstellationen beschränkt sei, sondern dass diese Grundsätze auch und erst Recht für andere als entsandte oder nur saisonal beschäftigte Arbeitnehmer gelten, wenn diese von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach Deutschland verlegt haben. § 65 des Einkommensteuergesetzes, der einen inländischen Kindergeldanspruch im Falle des Bezuges ausländischer Familienleistungen ausschließt, verstoße nach Auffassung des Senats gegen die im EU-Vertrag garantierten Freizügigkeitsrechte. Diese Vorschrift sei daher dahingehend auszulegen, dass das deutsche Kindergeld lediglich um die ausländischen Familienleistungen gekürzt werden dürfe.

Der 15. Senat hat gegen die Urteile die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen.”

Finanzgericht Köln