Umsatzsteuer: Umsatzsteuerpflicht der Visabeschaffung durch Reiseveranstalter

Umsatzsteuer: Unabhängig davon, ob die Visabeschaffung durch einen Veranstalter von Russlandreisen als unselbständige Nebenleistung oder als eigenständige Leistung zu beur-teilen ist, ist das dafür erzielte Entgelt ohne die darin enthaltene Visumsgebühr der Umsatzsteuer zu unterwerfen, Urteil des 1. Senats vom 6.11.2012, 1 K 52/10, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 1 K 52/10
Urteil des Senats vom 06.11.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: UStG § 25, UStG § 3 Abs. 9, UStG § 3a Abs. 1, UStG § 10
Leitsatz: Unabhängig davon, ob die Visabeschaffung durch einen Veranstalter von Russlandreisen als unselbständige Nebenleistung oder als eigenständige Leistung zu beurteilen ist, ist das dafür erzielte Entgelt ohne die darin enthaltene Visumsgebühr der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Überschrift: Umsatzsteuer: Umsatzsteuerpflicht der Visabeschaffung durch Reiseveranstalter
Tatbestand:
Streitig ist, ob und in welcher Höhe Umsatzsteuer für die Beschaffung von Visa durch die Klägerin zu entrichten ist.
Die Klägerin veranstaltet Reisen insbesondere in baltische Staaten und nach Russland. In diesem Zusammenhang bietet sie ihren Kunden auch die Beschaffung der erforderlichen Visa für Russlandreisen an. 99 % ihrer Kunden nehmen diese Leistung der Klägerin in Anspruch. Die Klägerin beschafft die Visa beim russischen Konsulat in A und berechnet ihren Kunden hierfür ein die Visagebühren jeweils um 20 € übersteigendes Entgelt.
Die Klägerin versteuerte in den Streitjahren die von ihr erbrachten Reiseleistungen gemäß § 25 UStG. Sie behandelte dabei ihre Leistung als steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandgebiet (insbesondere Russland) bewirkt wurden (§ 25 Abs. 2 UStG). Die Entgelte für die Visabeschaffung behandelte die Klägerin als ebenfalls gemäß § 25 Abs. 2 UStG steuerfreien Teil der Reiseleistung.
Nach einer für die Jahre 2004 bis 2006 durchgeführten Betriebsprüfung (Betriebsprüfungsbericht vom … 2008) gelangte der Beklagte zu der Auffassung, die von der Klägerin erzielten Entgelte für die Visabeschaffung seien als Entgelte für selbstständige Leistungen umsatzsteuerpflichtig. Unter Einbeziehung des gesamten Entgeltes für Visabeschaffung einschließlich der beim Konsulat zu entrichtenden Visagebühren errechnete der Beklagte insoweit eine zusätzliche Umsatzsteuer für 2004 in Höhe von 8.532,24 €, für 2005 in Höhe von 9.428,10 € und für 2006 in Höhe von 6.048,05 €. Auf dieser Grundlage ergingen gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide vom 13.10.2008 über die Umsatzsteuer für 2004 bis 2006. Der hiergegen von der Klägerin am … 2008 eingelegte Einspruch blieb gemäß Einspruchsentscheidung vom … 2010 erfolglos.
Die Klägerin trägt vor, zu der von ihr zu erbringenden Visabeschaffung gehöre auch die erforderliche Einholung der Visumsbetätigungen/Visareferenzen von den hierfür lizenzierten Unternehmen in Russland. Dabei handele es sich nicht um eine bloße Hotelbestätigung. Eine Visumsreferenz sei für die Erteilung eines Visums erforderlich. Sie werde von der Klägerin im Zusammenhang mit der Buchung der
Unterkunft eingeholt. Bei einer Direktbuchung im Hotel falle hierfür in der Regel eine separate Vergütung von 10 bis 20 € an. Bei einer Buchung über Agenturen, bei denen ein Gesamtpaket eingekauft werde, sei die Gebühr dafür bereits enthalten. Der von ihr ihren Kunden berechnete Betrag für die Besorgung eines Visums enthalte eine Vergütung für die gesamten Dienstleistungen einschließlich der Einholung der Visareferenz.
Die Klägerin ist der Auffassung, bei der von der Klägerin als Eigenleistung erbrachten Visabeschaffung handele es sich um eine unselbstständige Nebenleistung der Reiseleistung mit der Folge, dass sie nicht selbstständig der Umsatzsteuer unterliege. Sie sei Bestandteil der einheitlichen Leistung gemäß § 25 Abs. 1 S. 3 UStG. Sie sei nicht etwa mit einer Reiserücktrittskostenversicherung vergleichbar. Ein Visum sei für die Durchführung der Reise erforderlich. Die Leistung habe ein relativ geringes wirtschaftliches Gewicht. Einem Durchschnittsverbraucher stelle sich die Visumsbeschaffung als Nebenleistung der Reiseleistung dar. Sie sei daher auch ein verbreitetes Angebot von Reiseveranstaltern. Die Reiseleistung und die Visabeschaffung seien in Deutschland grundsätzlich steuerbar und steuerpflichtig als sonstige Leistung gemäß § 25 Abs.1 i. V. m. § 3a Abs.1 UStG. Im Hinblick auf die im Drittlandsgebiet – Russland – erbrachten Reisevorleistungen (u. a. Verpflegungs- und Beherbergungsleistungen) sei jedoch die gesamte Reiseleistung einschließlich der Visabeschaffung als Nebenleistung der eigentlichen Reiseleistung steuerfrei gemäß § 25 Abs.2 UStG. Sofern entgegen der Auffassung der Klägerin die Visabeschaffung nicht gemäß § 25 Abs. 2 UStG steuerfrei sei, seien zumindest die Visagebühren als steuerfreie durchlaufende Posten zu behandeln. Die Klägerin verweist darauf, dass zuvor in mehreren Umsatzsteuersonderprüfungen die umsatzsteuerliche Behandlung der Visabeschaffung durch die Klägerin nicht beanstandet worden war. Zudem erleide sie einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Mitbewerbern dadurch, dass von den Mitbewerbern keine Umsatzsteuer auf die Visabeschaffung verlangt werde.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006 vom 13.10.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2004 um 8.532,24 €, für 2005 um 9.428,10 € und für 2006 um 6.048,05 € herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Visabeschaffung sei nicht als unselbstständige Nebenleistung anzusehen. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Visabeschaffung gehöre nicht überwiegend zum Leistungsangebot von Reiseveranstaltern. Zudem sei die Visumsbeschaffung als Beibringung einer behördlichen Einreisegenehmigung nicht als nebensächlich zu qualifizieren, sondern stelle eine bürokratische Voraussetzung der Reisedurchführung dar. Mit ihr werde keine Ergänzung oder Verbesserung der Reise erreicht, denn als bloße Einreisegenehmigung sei die Visumsbeschaffung mit der eigentlichen Transportleistung, der Unterbringung und Verpflegung und gegebenenfalls anderen Serviceangeboten nicht inhaltlich verknüpft, sondern stelle ein aliud dar. Sie sei eine
sonstige Leistung, deren Leistungsort sich am Ort des Unternehmens der Klägerin und damit im Inland befinde.
Dem Gericht haben die Betriebsprüfungsakten I, Bp-Arbeitsakten I und II, Rechtsbehelfsakte, Umsatzsteuerakten Bd. 1 und die Bilanz- und Bilanzberichtsakten II bzgl. der Klägerin zur Steuernummer … (neu …) vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Beklagte hat zwar zu Recht die Visabeschaffung als umsatzsteuerpflichtige Leistung der Klägerin behandelt, dabei jedoch die Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2006 insoweit zu hoch festgesetzt und damit die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO), als die Umsatzsteuer unter Einbeziehung der Visagebühren in die Bemessungsgrundlage berechnet worden ist. Die Umsatzsteuer ist daher im tenorierten Umfang herabzusetzen.
1. Für die Entscheidung ist es unerheblich, ob die Visabeschaffung durch die Klägerin als eigenständige Leistung oder als unselbstständige Nebenleistung, die das umsatzsteuerliche Schicksal der Hauptleistung teilt, nach Maßgabe der Auslegungshinweise des EuGH gem. dessen Urteil vom 25.02.1999, C-349/96, juris zu betrachten ist.
a) Versteht man die Visabeschaffung durch die Klägerin als eigenständige Leistung, so ist diese umsatzsteuerpflichtig im Inland gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 1; 3 Abs. 9; 3a Abs. 1 UStG. Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer gem. § 10 Abs. 1 UStG ist dabei das vom Leistungsempfänger aufgewendete Entgelt abzüglich der Umsatzsteuer. Dabei gehören jedoch solche Beträge nicht zum Entgelt, die der Unternehmer im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt (durchlaufende Posten, § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG). Die von der Klägerin aufgewandten Konsulatsgebühren für die Visa sind durchlaufende Posten im Sinne dieser Regelung, so dass sie in die Bemessung der Umsatzsteuer nicht einzubeziehen sind. Denn die Visa werden von der Klägerin für bestimmte gegenüber dem Visaaussteller konkret bezeichnete Personen beschafft und damit im Namen und auf Rechnung ihrer Kunden. In diesem Sinne sind auch in dem Fall des Urteils des BFH vom 02.03.2006, V R 25/03, BFHE 213,.134, BStBl II 2006, 788 von den Beteiligten die Konsulatsgebühren unstreitig als durchlaufende Posten behandelt worden. Die Umsatzsteuer bemisst sich daher nach dem von der Klägerin erzielten Entgelt ohne Einbeziehung der Visagebühr.
b) Versteht man dagegen die Visabeschaffung durch die Klägerin als unselbstständige Nebenleistung zu den von der Klägerin gegenüber ihren Kunden erbrachten Reiseleistungen und damit als Bestandteil der einheitlichen sonstigen Leistung der Klägerin gemäß § 25 Abs. 1 S. 3 UStG, so folgt die Umsatzsteuerpflicht des Entgelts für die Visabeschaffung aus § 25 UStG. Gemäß § 25 Abs. 1 UStG gelten besondere Vorschriften für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen
Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1 UStG. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugutekommen. Gemäß § 25 Abs. 2 UStG ist die sonstige Leistung steuerfrei, soweit die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen im Drittlandsgebiet bewirkt werden. Die sonstige Leistung bemisst sich gem. § 25 Abs. 3 UStG nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die Reisevorleistungen aufwendet. Die Umsatzsteuer gehört dabei nicht zur Bemessungsgrundlage.
Die Klägerin erbringt Reiseleistungen im Sinne des § 25 UStG und unterliegt daher der Margenbesteuerung nach dieser Vorschrift. Bei Einbeziehung der Visabeschaffung durch die Klägerin in die von ihr den Kunden erbrachte einheitliche sonstige Leistung ist die Margenbesteuerung gemäß § 25 Abs. 3 UStG unter Einbeziehung der von der Klägerin für die Visabeschaffung erzielten Entgelte abzüglich der von ihr als Vorleistung aufgewandten Visagebühren zu berechnen. Die Visabeschaffung ist nicht gemäß § 25 Abs. 2 UStG steuerfrei, da die Steuerfreiheit nach dieser Regelung nur im Drittlandsgebiet bewirkte Reisevorleistungen umfasst. Die Regelung setzt Art. 26 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG um, wonach die Dienstleistung eines Reisebüros einer nach Art. 15 Nr. 14 der Richtlinie befreiten Vermittlungstätigkeit gleichgestellt wird, wenn die Umsätze, für die das Reisebüro andere Steuerpflichtige in Anspruch nimmt, von diesen außerhalb der Gemeinschaft erbracht werden; werden diese Umsätze sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft erbracht, so ist nur der Teil der Dienstleistung des Reisebüros als steuerfrei anzusehen, der auf die Umsätze außerhalb der Gemeinschaft entfällt. Für den Fall einer einheitlichen sonstigen Leistung im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 3 UStG gilt damit ein ausdrückliches Aufteilungsgebot, wonach eine Steuerfreiheit der sonstigen Leistung (Reiseleistung) nur in Betracht kommt, wenn und soweit die entsprechenden Reisevorleistungen tatsächlich im Drittlandsgebiet bewirkt wurden (vgl. BFH Urteil vom 19.10.2011, XI R 18/09, BFHE 236, 222, BFH/NV 2012, 887). Die Visabeschaffung durch die Klägerin erfolgt in Deutschland beim russischen Konsulat in A und damit im Inland und nicht im Drittlandsgebiet. Sie kann daher nicht ebenso als steuerfrei behandelt werden wie die in Russland gegenüber den Kunden erbrachten bzw. beschafften Reisevorleistungen (z. B. Beförderung, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung, Visareferenz und anderes).
Das für die Visabeschaffung erzielte Entgelt ist nicht aufzuteilen auf die eigentliche Visabeschaffung und die Einholung der Visareferenz. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das von der Klägerin ihren Kunden in Rechnung gestellte Entgelt für die Visabeschaffung auch Aufwendungen für die Einholung der Visareferenz umfasst. Die Einbeziehung solcher Aufwendungen würde dazu führen, dass die Klägerin für ihre Bemühungen im Zusammenhang mit der Visabeschaffung bei Entgelten für die Visareferenz bis zu 20 € keine eigene Vergütung erhalten würde. Es ist daher davon auszugehen, dass Aufwendungen für die Visareferenzen bereits in die sonstigen Reisevorleistungen gemäß § 25 Abs. 2 UStG einzubeziehen sind. Dem entspricht auch die von der Klägerin nicht beanstandete Berechnung der Betriebsprüfung zu den Umsätzen aus Visa-Besorgungsleistungen, die lediglich Angaben zu den Visagebühren und dem Gesamtentgelt, nicht jedoch Angaben zu darin berücksichtigten Aufwendungen für Visareferenzen enthält.
2. Die von der Klägerin in den Streitjahren für die Visabeschaffung zu entrichtende Umsatzsteuer bemisst sich nach dem von der Klägerin erzielten Entgelt ohne die darin enthaltene Visumsgebühr. In Anknüpfung an die in der Betriebsprüfung zusammengestellten unstreitigen Umsätze aus der Visabeschaffung errechnet sich eine im tenorierten Umfang zu hoch angesetzte Umsatzsteuer gemäß der folgenden tabellarischen Darstellung:

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Sie entspricht dem Verhältnis des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens. Die vom Beklagten bisher für die Visabeschaffung für die Streitjahre insgesamt angesetzte Umsatzsteuer von 24.008,39 € ist um 16.928,96 € herabzusetzen. Dies entspricht einem Obsiegen der Klägerin von 71 %.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vorliegen, kann im Billigkeitsverfahren ausnahmsweise nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes

Umsatzsteuer / Abgabenordnung: Wenn die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vorliegen, kann ein Unternehmer aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes einen Anspruch auf Vorsteuerabzug haben, sofern er gutgläubig war und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen, und seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist; Urteil des 6. Senats vom 21.12.2012 in einem Fall, in dem diese Voraussetzungen allerdings nicht vorlagen, 6 K 33/11, NZB eingelegt, Az. des BFH V B 14/13. – Entscheidung im Volltext

Grunderwerbsteuer: Einheitlicher Erwerbungsvorgang von Grundstück und zu bauendem Gebäude

Grunderwerbsteuer: Schließen die Käufer unmittelbar nach Erwerb eines Grundstücks einen Vertrag über ein auf dem Grundstück zu errichtendes Gebäude und besteht zwischen dem Bauunternehmer und dem Veräußerer des Grundstücks eine personelle Verbindung, so liegt grunderwerbsteuerlich ein einheitlicher Erwerbsvorgang für Grundstück und Haus vor, auch wenn in dem Kaufvertrag vereinbart worden ist, dass keinerlei vertragliche Bindung hinsichtlich der Bebauung durch die Erwerber bestehe, Beschluss des 3. Senats vom 25.1.2013, 3 V 231/12, rechtskräftig.

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FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 3 V 231/12
Beschluss des Senats vom 25.01.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, GrEStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, GrEStG § 8 Abs. 1

Leitsatz: Schließen die Käufer unmittelbar nach Erwerb eines Grundstücks einen Vertrag über ein auf dem Grundstück zu errichtendes Gebäude und besteht zwischen dem Bauunternehmer und dem Veräußerer des Grundstücks eine personelle Verbindung, so liegt grunderwerbsteuerlich ein einheitlicher Erwerbsvorgang für Grundstück und Haus vor, auch wenn in dem Kaufvertrag vereinbart worden ist, dass keinerlei vertragliche Bindung hinsichtlich der Bebauung durch die Erwerber bestehe.

Überschrift: Grunderwerbsteuer: Einheitlicher Erwerbungsvorgang von Grundstück und zu bauendem Gebäude

Gründe:

I.
Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache streitig, ob die Kosten für die Errichtung eines Einfamilienhauses in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen sind.
1.
a. Die A Immobilien GmbH (im Folgenden A-GmbH) war Eigentümerin des im X-Straße … in B-1 belegenen Grundstücks. Durch Teilungserklärung vom 09.10.2012 teilte die A-GmbH das Grundstück in zwei Wohnungseigentumsrechte auf. Geschäftsführer der A-GmbH war zunächst nur Herr A. Am … 2012 wurde die Alleingesellschafterin, Frau A, als weitere und ebenfalls einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin im Handelsregister eingetragen. Geschäftsgegenstand der A-GmbH war u. a. die Vermittlung von Grundstückskaufverträgen (Handelsregisterauszug, Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 12).
b. Die Antragsteller erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom … 2012 (UR-Nr. -1 des Notars Dr. C; Grunderwerbsteuerakten -GrEStA- Bl. 4 ff.) eines dieser Wohnungseigentumsrechte je zur ideellen Hälfte zum Preis von € 136.000,00.
Der Kaufvertrag enthielt u. a. folgende Regelungen:
§ 1 Kaufgegenstand
(…) Die Firma A Immobilien GmbH verkauft hiermit nunmehr das Wohnungseigentumsrecht Nr. 1 an die Erwerber je zur ideellen Hälfte, und zwar zum Zwecke der Bebauung des Grundbesitzes auf eigene Rechnung und Gefahr durch die Erwerber.
§ 14 Schlussbestimmungen
(…) Die Vertragsparteien erklären übereinstimmend, dass es sich bei diesem Vertrag lediglich um eine selbständige Grundstücksübertragung handelt, die nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien von der späteren Bebauung des Grundbesitzes durch den Erwerber unabhängig ist. Dementsprechend besteht keinerlei vertragliche Bindung hinsichtlich der Bebauung des Grundbesitzes durch den Erwerber.“
c. Im unmittelbaren Anschluss schlossen die Antragsteller mit der D-Gesellschaft mbH (im Folgenden: D-GmbH) einen notariell beurkundeten Bauwerkvertrag (UR-Nr. -2 des Notars Dr. C; GrEStA Bl. 8 ff.), in dem sich die D-GmbH gegen eine Vergütung in Höhe von € 199.000,00 zur Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück X-Straße … verpflichtete. In den dem Vertrag als Anlage beigefügten Bauzeichnungen war die A-GmbH als Bauherrin angegeben. Der Bauplan war mit folgendem Stempelaufdruck der Bauprüfabteilung des Bezirksamts E vom 08.08.2012 versehen: „Genehmigt! Anlage zum Bescheid“ (GrEStA Bl. 14). Gesellschafter der D-GmbH waren Herr A und Herr F. Herr F war alleiniger Geschäftsführer der D-GmbH und hatte als Architekt die Baupläne für das zu errichtende Haus entworfen.
2.
a. Der Antragsgegner setzte die Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks mit Grunderwerbsteuerbescheiden vom 20.11.2012 unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von € 167.500,00 (€ 136.000,00 zzgl. € 199.000,00, hiervon 50 %) auf jeweils € 7.537,00 fest und wies erläuternd darauf hin, dass die vorliegenden Verträge ein einheitliches Vertragswerk bildeten und sich die Steuer nach dem Gesamtaufwand bemesse.
b. Die Antragsteller legten mit Schreiben vom 05.12.2012 Einspruch gegen diesen Bescheid ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheides. Es liege kein einheitliches Vertragswerk vor, da sie, die Antragsteller, die freie Wahl gehabt hätten, das Grundstück ohne Bebauung zu erwerben.
c. Der Antragsgegner lehnte den AdV-Antrag mit Bescheid vom 10.12.2012 ab und wies darauf hin, dass die Antragsteller das Grundstück von der A-GmbH erworben hätten, Grundstückskaufvertrag und Werkvertrag am selben Tag unter nachfolgenden Urkundenrollennummern beurkundet worden seien und die A-GmbH in den Bauplänen als Bauherrin angegeben sei, so dass die Voraussetzungen für die Annahme eines einheitlichen Vertragswerks gegeben seien und die Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht ernstlich zweifelhaft sei.
d. Mit Einspruchsentscheidungen vom 04.01.2013 wies der Antragsgegner die Einsprüche der Antragsteller als unbegründet zurück. Die Antragsteller hätten ein bebautes Grundstück erworben mit der Folge, dass die Herstellungskosten des Gebäudes zur Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer gehörten. Denn der Kaufvertrag über das Grundstück und der Werkvertrag bildeten ein einheitliches Vertragswerk. Es liege ein sog. faktisch einheitlicher Erwerbsvorgang vor, weil die Antragsteller bei objektiver wirtschaftlicher Betrachtungsweise das bebaute Grundstück erhalten hätten. Dass sich der Übereignungsanspruch und der Anspruch auf Errichtung eines Gebäudes gegen verschiedene Personen richteten, sei unschädlich, da aufgrund der Identität des Gesellschafters der D-GmbH – A – mit
dem Geschäftsführer der A-GmbH zwischen beiden Gesellschaften eine wirtschaftliche bzw. gesellschaftsrechtliche Verbundenheit bestehe.
3. Die Antragsteller haben am 19.12.2012 bei Gericht einen AdV-Antrag eingereicht und tragen vor, bei dem Erwerb des Grundstücks sei die schlüsselfertige Bebauung durch die D-GmbH von der Verkäuferin zwar angeboten worden. Die Annahme dieses Angebots sei aber nicht Bedingung für den Abschluss des Grundstückskaufvertrages gewesen. Sie, die Antragsteller, seien in der Wahl des Bauträgers frei gewesen und hätten dies auch ausdrücklich im Vertrag festgelegt. Nachdem sie im Vorfeld bereits Kontakte zu anderen Baufirmen aufgenommen hätten, hätten sie letztlich das günstige Festpreisangebot der D-GmbH angenommen.
Ein einheitlicher Vertragsabschluss über den Grundstückserwerb und die Bebauung in zivilrechtlicher Hinsicht sei wegen des damit verbundenen Risikos im Fall der Insolvenz des Bauträgers nicht gewollt gewesen. Der Abschluss beider Verträge am selben Tag sei zwar ein Indiz für ein einheitliches Rechtsgeschäft, tatsächlich aber Ausfluss einer sich über mehrere Monate hinziehenden Verhandlung. Der erste Kontakt zu der Veräußerin sei im September 2012 zustande gekommen.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Vollziehung der Grunderwerbsteuerbescheide vom 20.11.2012 betreffend das Wohnungseigentumsrecht Nr. 1 X-Straße … in B-1 in Höhe von jeweils € 4.477,00 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, der Annahme eines einheitlichen Erwerbsvorganges stehe es nicht entgegen, dass die Antragsteller in der Lage gewesen wären, ein anderes Unternehmen mit der Bebauung zu beauftragen oder sich für eine andere Bebauung zu entscheiden. Maßgebend sei der tatsächliche Geschehensablauf. Im Übrigen sei zwischen dem ersten Kontakt der Antragsteller mit der Veräußerin im September 2012 und dem Vertragsabschluss am … 2012 kein Zeitraum von mehreren Monaten vergangen, wie von den Antragstellern behauptet.
Dem Gericht hat ein Band Grunderwerbsteuerakten vorgelegen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Insbesondere ist die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt. Danach ist ein gerichtlicher Aussetzungsantrag grundsätzlich nur zulässig, wenn die Behörde zuvor einen AdV-Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dabei genügt eine einmalige Ablehnung; es ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige in jedem Stadium des Verwaltungsverfahrens,
also etwa vor und nach Erlass der Einspruchsentscheidung, einen neuen AdV-Antrag stellt (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 71 m. w. N.). Der Antragsgegner hat den vor Erlass der Einspruchsentscheidung gestellten AdV-Antrag der Antragsteller mit Bescheid vom 10.12.2012 abgelehnt.
2. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
a. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung anhand präsenter Beweismittel neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss vom 24.10.2012 I B 47/12, juris). Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich (BFH-Beschlüsse vom 20.07.2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809; vom 07.09.2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590).
b. Bei der gebotenen summarischen Prüfung bestehen keine ernstlichen rechtlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide. Der Antragsgegner hat den vereinbarten Werklohn für die Errichtung des Einfamilienhauses zu Recht in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbezogen.
aa.
aaa. Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllende zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen, die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 27.09.2012 II R 7/12, BFH/NV 2013, 147; vom 29. Juli 2009 II R 58/07, BFH/NV 2010, 63, jeweils m. w. N.).
bbb. Ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und weiteren Vereinbarungen besteht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln (BFH-Urteil vom 28.03.2012 II R 57/10, BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920). Ein solcher Zusammenhang ist gegeben, wenn der Erwerber beim Abschluss des Grundstückskaufvertrags gegenüber der
Veräußererseite in seiner Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Baumaßnahme nicht mehr frei war und deshalb feststand, dass er das Grundstück nur in einem bestimmten (bebauten) Zustand erhalten werde (BFH-Beschluss vom 19.03.2010 II B 130/09, BFH/NV 2010, 1659).
ccc. Darüber hinaus wird ein derartiger objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen Kauf- und Bauvertrag aber auch dann indiziert, wenn der Veräußerer dem Erwerber vor Abschluss des Kaufvertrags über das Grundstück aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf einem bestimmten Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot später annimmt (BFH-Urteile vom 27.09.2012 II R 7/12, BFH/NV 2013, 147; vom 02.03.2006 II R 47/04, BFH/NV 2006, 1509).
ddd. Auf der Veräußererseite können dabei auch mehrere Personen als Vertragspartner auftreten. Nicht ausschlaggebend ist, dass der Grundstücksübereignungsanspruch und der Anspruch auf Errichtung des Gebäudes sich zivilrechtlich gegen verschiedene Personen richten. Entscheidend ist vielmehr, dass (auch) der den Grundstücksübereignungsanspruch begründende Vertrag in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen ist, das unter Berücksichtigung aller Umstände darauf gerichtet ist, dem Erwerber als einheitlichen Erwerbsgegenstand das Grundstück in bebautem Zustand zu verschaffen (BFH-Urteile vom 27.09.2012 II R 7/12, BFH/NV 2013, 147; vom 21.09.2005 II R 49/04, BFHE 211, 530, BStBl II 2006, 269, jeweils m. w. N.). Treten auf der Veräußererseite mehrere Personen als Vertragspartner auf, liegt ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen den Verträgen nur vor, wenn die Personen entweder personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbunden sind (BFH-Beschluss vom 19.03.2010 II B 130/09, BFH/NV 2010, 1659) oder aufgrund von Abreden bei der Veräußerung zusammenarbeiten oder durch abgestimmtes Verhalten auf den Abschluss sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch der Verträge, die der Bebauung des Grundstücks dienen, hinwirken (BFH-Urteil vom 27.09.2012 II R 7/12, BFH/NV 2013, 147). Dabei genügt ein tatsächliches, einvernehmliches Zusammenwirken ohne schriftlichen Vertragsschluss (BFH-Urteil vom 02.03.2006 II R 42/04, BFH/NV 2007, 760).
eee. Eine Indizwirkung für einen einheitlichen Erwerbsgegenstand ergibt sich folglich auch dann, wenn eine mit dem Veräußerer personell, wirtschaftlich oder gesellschaftsrechtlich eng verbundene Person vor Abschluss oder Wirksamwerden des Grundstückskaufvertrags aufgrund einer in bautechnischer und finanzieller Hinsicht konkreten und bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung dem Käufer die Errichtung eines bestimmten Gebäudes auf dem vom Veräußerer angebotenen Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis anbietet und der Erwerber dieses Angebot ebenso wie das Angebot zum Grundstückskauf annimmt. In solchen Fällen wird ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen Kauf- und Bauvertrag nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Bauvertrag erst nach dem Kaufvertrag geschlossen wird und der Erwerber tatsächlich und rechtlich in der Lage gewesen wäre, ein anderes, mit dem Grundstücksveräußerer nicht verbundenes Unternehmen mit der Bebauung zu beauftragen oder sich für eine andere, wesentlich vom Angebot abweichende Bebauung zu entscheiden, und ggf. auch entsprechende Angebote eingeholt hatte (BFH-Urteil vom 29.07.2009 II R 58/07, BFH/NV 2010, 63). Maßgebend ist der tatsächlich verwirklichte Geschehensablauf (BFH-Urteil vom 02.03.2006 II R 47/04, BFH/NV 2006, 1509).
fff. Die dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze zum „einheitlichen Erwerbsgegenstand“ sind weder in verfassungs- noch in unionsrechtlicher Hinsicht zu beanstanden (BFH-Urteile vom 27.09.2012 II R 7/12, BFH/NV 2013, 147; vom 28.03.2012 II R 57/10, BFHE 237, 460, BStBl II 2012, 920, m. w. N.).
bb. Die Würdigung der Umstände des Streitfalls ergibt bei summarischer Prüfung, dass die Antragsteller ein Angebot der Veräußererseite angenommen haben, dessen Gegenstand aufgrund einer bis (annähernd) zur Baureife gediehenen Vorplanung ein bestimmtes Gebäude auf dem von den Antragstellern erworbenen Grundstück zu einem im Wesentlichen feststehenden Preis war.
aaa. Aus dem Umstand, dass die Antragsteller den Bauvertrag, in dem ein Festpreis vereinbart war, im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an den Grundstückskaufvertrag abgeschlossen haben, folgt, dass die im Bauvertrag vereinbarten Einzelheiten der Bauausführung bereits vor Abschluss des Kaufvertrages festgestanden haben müssen. Nach dem Inhalt des Stempelaufdrucks auf der Bauzeichnung lag die Genehmigung der zuständigen Baubehörde offenbar sogar bereits vor; jedenfalls war die Planung bis zur Baureife gediehen.
bbb. Dass die Antragsteller das Grundstück von der A-GmbH erworben, den Bauerrichtungsvertrag aber mit der D-GmbH als Bauunternehmerin geschlossen haben, steht der Annahme eines einheitlichen Erwerbsgegenstands nicht entgegen. Da der Geschäftsführer der A-GmbH, Herr A, als Gesellschafter an der D-GmbH beteiligt war, bestand zwischen beiden Gesellschaften eine personelle Verbindung. Zusätzlich ist, ohne dass es darauf noch ankäme, wegen der Namensgleichheit davon auszugehen, dass es sich bei der Alleingesellschafterin und Mit-Geschäftsführerin der A-GmbH um die Ehefrau des Herrn A handelte. Darüber hinaus bestand aber auch eine wirtschaftliche Verbindung zwischen der als Maklerin tätigen A-GmbH und der als Bauträgerin tätigen D-GmbH, wie aus dem Umstand ersichtlich ist, dass in den Bauplänen die A-GmbH als Bauherrin aufgeführt war.
Unabhängig davon haben die A-GmbH und die D-GmbH auch durch ein abgestimmtes Verhalten auf den gemeinsamen Abschluss sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch des Bauerrichtungsvertrags hingewirkt. Die D-GmbH hat die Baupläne für die A-GmbH erstellt und die A-GmbH hat, wie die Antragsteller selbst vortragen, ihnen die schlüsselfertige Bebauung des Grundstücks angeboten.
ccc. Dass die Antragsteller, wie sie unter Hinweis auf die Vereinbarungen in § 1 und § 14 des Kaufvertrages vortragen, die Möglichkeit gehabt hätten, einen anderen Bauunternehmer mit der Errichtung des Hauses zu beauftragen, spielt, wie oben (unter II.2.a.bb.eee.) dargelegt, keine Rolle.
c. Die Antragsteller haben nicht geltend gemacht, dass die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheides für sie eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte; dies ist auch sonst nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Gründe für die Zulassung der Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Gewerbesteuer: Verlustnutzung bei unterschiedlicher gewerblicher Betätigung, Verlustfeststellung

Gewerbesteuer: Betätigt sich der Steuerpflichtige sowohl als Einzelunternehmer als auch als Mitunternehmer einer KG in derselben Branche (hier Projektentwicklung), kann er die auf seinen Sonderbetriebsausgaben beruhenden Verluste der KG nach deren Insolvenz mangels Unternehmens- und Unternehmeridentität nicht im Rahmen seines Einzelunter-nehmens nutzen, Urteil des 2. Senats vom 15.11.2012, 2 K 140/11, NZB eingelegt, Az. des BFH X B 5/13.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 140/11
Urteil des Senats vom 15.11.2012
Rechtskraft: Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BFH: X B 5/13
Normen: GewStG § 10 a, GewStG § 35 b Abs. 2
Leitsatz: Betätigt sich ein Gewerbetreibender als Einzelunternehmer und als Mitunternehmer einer KG, kann er die auf seinen Sonderbetriebsausgaben beruhenden Verluste der KG nicht im Rahmen seines Einzelunternehmens nutzen.
Überschrift: Gewerbesteuer: Verlustnutzung bei unterschiedlicher gewerblicher Betätigung, Verlustfeststellung
Tatbestand:
Streitig ist die Berücksichtigung gewerbesteuerliche Verluste.
Seit den 1990er Jahren war der Kläger als Kommanditist an der im Handelsregister des Amtsgerichts A eingetragenen B & Co. … GmbH & Co. KG (im Folgenden KG), einer Bauträgergesellschaft, beteiligt. Bis zu seiner Abberufung Anfang 1998 war er zugleich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Durch Beschluss des Amtsgerichts C vom 03.04.2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt verfügte sie noch über sechs Grundstücke, die der Insolvenzverwalter in der Folgezeit verwertete. Dieser beauftrage den Kläger, für ein in D belegenes Grundstück, das im Miteigentum des Klägers und der KG stand, die noch nicht abgeschlossenen Projektentwicklungsarbeiten fortzusetzen und die Vermietung bzw. den Verkauf durchzuführen.
Mit Berechnung vom 31.07.2007 über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2001, die dem Insolvenzverwalter bekannt gegeben wurde, stellte das Finanzamt (FA) C I einen vortragsfähigen Gewerbeverlust von … € fest. Mit Gewinnfeststellungsbescheid für 2001 vom 27.07.2007 hatte es negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb von … € festgestellt und dem Kläger in voller Höhe zugerechnet, weil sie auf seinen Sonderbetriebsausgaben beruhten. Dieser Bescheid änderte die ursprüngliche Feststellung vom 22.02.2005. Dem vorausgegangen war ein Rechtsstreit des Klägers vor dem Finanzgericht (FG) E wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung 1996 bis 1998 (…) und 1999 bis 2002 (…), in dessen Verlauf am 02.03.2007 eine Einigung u. a. dahin erzielt worden war, dass 10 % einer gegen den Kläger geltend gemachten Ausgleichsforderung, … €, in 2001 in die Sonderbilanz des Klägers einzustellen sei. Dieser Feststellungsbescheid wurde -ohne Auswirkungen für den Kläger– erneut am 10.07.2008 geändert.
In Umsetzung der tatsächlichen Verständigung ergingen am 09.12.2008 für die KG auch Änderungsbescheide über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes für die Folgejahre auf den 31.12.2002 bis 31.12.2007 und am 02.09.2010 auf den 31.12.2008 sowie am 18.10.2010 auf den 31.12.2009, die dem Insolvenzverwalter bekannt gegeben wurden und im Wesentlichen unverändert einen vortragsfähigen Verlust von ca. … € feststellten.
Die in dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 2001 dem Kläger zugewiesenen negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb berücksichtigte sein Wohnsitzfinanzamt bei der Festsetzung der Einkommensteuer.
Seit den 1990er Jahren war der Kläger auch einzelunternehmerisch als Immobilienmakler und Bauträger gewerblich in Hamburg tätig. In der Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 2007 erklärte er einen Gewerbeertrag von … €. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 23.09.2010 den Gewerbesteuermessbetrag unter Berücksichtigung eines auf den 31.12.2006 festgestellten Gewerbeverlustes von … € auf … € fest und stellte mit Bescheid vom selben Tag den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2007 mit 0 € fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 25.10.2010, mit dem der Kläger einen berichtigten Jahresabschluss ankündigte und zur Begründung vortrug, der bei der KG per 31.12.2001 festgestellte vortragsfähige Verlust sei bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages 2007 bei seinem Einzelunternehmen zu berücksichtigen. Insoweit bestehe Unternehmer- und Unternehmensidentität. Die von der KG in C erbrachten Leistungen seien mit denen von ihm in Hamburg als Einzelunternehmer erbrachten identisch. Mit Entscheidung vom 28.06.2011 wies der Beklagte den Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid zurück. Am 21.07.2011 hat der Kläger Klage gegen den Gewerbesteuermessbescheid für 2007 und den Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2007 erhoben.
Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass die Voraussetzungen für eine Nutzung der bei der KG entstandenen Verluste erfüllt seien. Nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet worden sei, habe er, der Kläger, die Verbindungen zu den Kunden des Bauträgergeschäfts und die Kontakte zu den Bauunternehmen aufrechterhalten. Das von der KG betriebene Geschäft habe er praktisch als Einzelunternehmer in Hamburg fortgeführt. Zudem habe er bereits von der KG projektierte Objekte fortgeführt. Auch die Stellungnahme des Insolvenzverwalters F vom 13.07.2012 (Anl. K 14) belege die gleichbleibende Tätigkeit für die KG und als Einzelunternehmer. Sonach sei die erforderliche Unternehmensidentität zu bejahen. Weil er, der Kläger, die Verluste als Mitunternehmer selbst erlitten habe, und die Geschäfte als Gesellschafter-Geschäftsführer maßgeblich geprägt habe, sei auch die Unternehmeridentität gegeben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid für 2007 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 23.09.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 28.06.2011 mit der Maßgabe zu ändern, dass unter Berücksichtigung eines Gewerbeverlustes von … € der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festgesetzt wird
sowie
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2007 zu ändern und einen vortragsfähigen Gewerbeverlust von … € festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und hält an seiner Ansicht fest, dass weder Unternehmens- noch Unternehmeridentität bestehe. Die Nutzung von Kunden- und anderen Kontakten für das Einzelunternehmen bedeute keine Fortsetzung der mitunternehmerischen Betätigung durch die KG. Die bei Insolvenzeröffnung noch vorhandenen Grundstücke der KG seien bereits 2001 veräußert und der Betreib eingestellt worden. Lediglich ein einzigen Grundstück der KG habe der Kläger in Absprache mit dem Insolvenzverwalter entwickelt und vermarktet.
Zudem fehlten auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Verlustnutzung. Die Verluste hätten ab 2002 berücksichtigt werden müssen und zwar entsprechend dem gesellschaftsrechtlichen Verteilungsschlüssel.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschriften über den Erörterungstermin und die Senatssitzung Bezug genommen.
Die den Kläger betreffende Gewinnfeststellungsakte nebst Beiakten hat vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
1.) Die Klage gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2007 ist unzulässig. Nach § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht durch Anfechtung des Folgebescheides angegriffen werden.
Gemäß § 10a Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) wird der maßgebende Gewerbeertrag um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 GewStG ergeben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge ist gesondert festzustellen (§ 10a Satz 2 GewStG). Der Feststellungsbescheid ist jeweils Grundlagenbescheid für den Gewerbesteuermessbescheid des oder der Folgejahre(s), vgl. § 182 AO (vgl. Bundesfinanzhof (BFH) vom 09.06.1999 I R 92/98, BStBl II 1999, 733; Drüen in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 10a GewStG Rz. 116). Steht die Höhe des zu berücksichtigen gewerblichen Verlustes im Streit, muss sonach der Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes angegriffen werden bzw. der Erlass eines entsprechenden Bescheides beantragt werden. Die Klage gegen den Folgebescheid, den Gewerbesteuermessbescheid, ist demgegenüber unzulässig.
2.) Soweit sich die Klage gegen den Bescheid über die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes richtet, fehlt es an der Durchführung eines
Vorverfahrens i. S. von § 44 FGO, weil insoweit eine Einspruchsentscheidung bislang nicht ergangen ist. Die Klage wäre danach unzulässig. Sie kann aber als Untätigkeitsklage gem. § 46 Abs. 1 FGO angesehen werden, weil der Beklagte ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht über den Einspruch des Klägers entschieden hat.
Die so verstandene Klage hat aber in der Sache ebenfalls keinen Erfolg.
Wie vorstehend dargestellt, ist die Höhe der vortragsfähigen Gewerbeverluste gesondert festzustellen. Maßgebender Gewerbeertrag in diesem Sinne ist gemäß § 7 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 Abs. 2 Satz 1 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. § 14 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewStG bestimmt, dass unter Erhebungszeitraum das Kalenderjahr bzw. ggf. der Zeitraum der Steuerpflicht zu verstehen ist. Nach dessen Ablauf wird der Steuermessbetrag (vgl. § 11 GewStG) festgesetzt. Daraus folgt in zeitlicher Hinsicht, dass das Gesetz auf eine lückenlose Fortschreibung der vortragsfähigen Fehlbeträge hin angelegt ist. Die Höhe dieser Beträge ist in Einklang hiermit gemäß § 10a Satz 2 GewStG für den jeweiligen Erhebungszeitraum (vgl. § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG) unter Verrechnung oder Zuschreibung von Fehlbeträgen gesondert festzustellen (BFH vom 09.06.1999 I R 92/98, BStBl II 1999, 733).
Im Streitfall geht es um Verluste, die -nach Maßgabe der tatsächlichen Verständigung vor dem FG E – auf Sonderbetriebsausgaben des Klägers im Erhebungszeitraum 2001 beruhen. Diese Verluste sind mit formell bestandskräftigem Verlustfeststellungsbescheid vom 31.07.2007 auch für 2001 und sodann für die Folgejahre gesondert festgestellt worden. Allerdings ist diese Feststellung für die KG erfolgt, an der der Kläger weiterhin beteiligt war und ist, und deren Insolvenzverwalter bekannt gegeben worden.
Die Feststellung der vortragsfähigen Gewerbeverluste ist auch zu Recht für die KG erfolgt. Denn der Verlustabzug erfordert in materieller Hinsicht, dass der im Kürzungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der im Verlustentstehungsjahr bestanden hat, sog. Unternehmensidentität (vgl. z. B. BFH vom 14.09.1993 VIII R 84/90, BStBl II 1994,764; GewStR 2009 R 10a. 2 Satz 1). Ferner bedarf es der Unternehmeridentität, d.h. der Unternehmer muss den Verlust in eigener Person erlitten haben. An beiden Voraussetzungen fehlt es bezogen auf das Einzelunternehmen des Klägers. Dieses und der in mitunternehmerischer Verbundenheit geführte Betrieb der KG sind zwei unterschiedliche Gewerbebetriebe, die von unterschiedlichen Unternehmern -einerseits der Kläger als Einzelunternehmer in Hamburg, andererseits die Personengesellschaft in C- betrieben worden sind.
Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Kläger ab 2001 als Einzelunternehmer einen abgrenzbaren Teilbetrieb der KG übernommen hätte, dem die in Rede stehenden Verluste auch sachlich zuzuordnen wären. Abgesehen davon, dass für die Annahme eines übertragenen bzw. übernommenen Teilbetriebes jegliche Anhaltspunkte fehlen -insoweit reicht das Ausnutzen von während der Tätigkeit für die KG erworbenen Geschäftskontakten oder die Verwertung eines im Miteigentum stehenden Grundstücks im Auftrag des Insolvenzverwalters nicht aus (s.
dazu im einzelnen z. B. BFH vom 05.09.1990 X R 20/89, BStBl II 1991, 25)–, würde es auch diesbezüglich in formeller Hinsicht an der erforderlichen auf diesen Teilbetrieb bezogenen gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes ab 2001 fehlen.
Das Verfahren ist auch nicht nach § 74 FGO auszusetzen, bis über die Höhe der in Rede stehenden vortragsfähigen Fehlbeträge zum 31.12.2001 eine bestandskräftige Feststellung gem. § 10a Satz 2 GewStG ergangen ist (vgl. hierzu z. B. BFH vom 09.06.1999 I R 91/98, BFH/NV 1999, 913). Abgesehen vom Fehlen der materiellen Voraussetzungen, ist für 2001 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Gewerbesteuerklärung für sein Einzelunternehmen hat der Kläger im April 2003 eingereicht, sodass mit Ablauf des Jahres 2007 Festsetzungsverjährung eingetreten ist (§§ 169 Abs. 2 Nr. 4; 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 35b Abs. 2 Satz 4 GewStG).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Erbschaftsteuer: Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung

Erbschaftsteuer: Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung, an einen vertraglich bezugsberechtigten Lebenspartner als Hinterbliebenen sind nicht als Erwerb von Todes wegen steuerbar; die Versorgungsleistungen stammen wirtschaftlich aus dem Vermögen des Arbeitgebers oder aus dem dienst- bzw. arbeitsvertraglichen Deckungsverhältnis. Für den Fall der Leistung aufgrund des vereinbarten Bezugsrechts ist die daneben geregelte Vererblichkeit erbschaftsteuerlich zumindest bei Altverträgen vor 2000 unschädlich, Urteil des 3. Senats vom 31.110.2012, 3 K 24/12, Revision eingelegt, Az. des BFH II R 55/12.

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FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 3 K 24/12
Urteil des Senats vom 31.10.2012
Rechtskraft: Revision eingelegt, Az. des BFH: II R 55/12
Normen: BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1, BetrAVG § § 1 Abs. 2 Nr. 3, BetrAVG § 1b Abs. 2 S. 1 HS 1, ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4, GG Art. 2, GG Art. 20 Abs. 3

Leitsatz:

1. Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung, an einen vertraglich bezugsberechtigten Lebenspartner als Hinterbliebenen sind nicht als Erwerb von Todes wegen steuerbar; die Versorgungsleistungen stammen wirtschaftlich aus dem Vermögen des Arbeitgebers oder aus dem dienst- bzw. arbeitsvertraglichen Deckungsverhältnis.

2. Für den Fall der Leistung aufgrund des vereinbarten Bezugsrechts ist die daneben geregelte Vererblichkeit erbschaftsteuerlich zumindest bei Altverträgen vor 2000 unschädlich.
Überschrift: Erbschaft- und Schenkungsteuer: Betriebliche Altersversorgung für Lebenspartner

Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Steuerbarkeit von durch den Kläger als Begünstigtem auf Grund Bezugsrechtseinräumung im Todesfall erhaltenen Versicherungsleistungen aus einer Direktversicherung. Diese Direktversicherung hatte der Arbeitgeber (ArbG) des verstorbenen Lebensgefährten des Klägers für seinen Arbeitnehmer (ArbN), den Lebensgefährten, zu dessen Lebzeiten abgeschlossen.

I.
1. Mit Schreiben vom 01. Januar 1984 bot der ArbG, eine GmbH, dem ArbN auf Grund der Dauer seiner Firmenzugehörigkeit als betriebliche Altersversorgung den Abschluss einer Direktversicherung für ihn bei einer Versicherungsaktiengesellschaft (V-AG) an.
Diesem Schreiben fügte der ArbG eine vorformulierte Vereinbarung über eine entsprechende Entgeltumwandlung bei, die der ArbN unterzeichnete und in der es unter anderem heißt:
„3. Die [ArbG] wird Herrn [ArbN] ein unwiderrufliches Bezugsrecht einräumen. …“
(Finanzgerichtsakte Anlagenband –FG-A Anl-Bd.– Bl. 26).
2. Mit Wirkung ab dem … 1984 schloss der ArbG dementsprechend eine Direktversicherung für den ArbN bei der V-AG unter der Versicherungsnummer -1 (auch: Nr. -2) ab (FG-A Anl-Bd. Bl. 66).
3. Mit Wirkung ab dem … 1990 schloss der ArbG im Einvernehmen mit dem ArbN eine die ursprüngliche Versicherung ergänzende Direktversicherung für den ArbN bei der V-AG unter der Versicherungsnummer -3 (auch: Nr. -4) ab (FG-A Anl-Bd. Bl. 67,
vgl. Bl. 68).
4. Den genannten Versicherungsverträgen (im Folgenden zusammengefasst als: die Direktversicherung) lagen zu Grunde:
a) Der Gruppenversicherungsvertrag Nr. -5 (auch: KL-FG -5) zwischen dem ArbG und der V-AG vom … 1977, in dem es unter anderem heißt:
㤠8 Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
1. Versicherungsnehmer aller Versicherungen ist die Firma.
Es wird unwiderruflich vereinbart, daß während der Dauer des Dienstverhältnisses eine Übertragung der Versicherungsnehmer-Eigenschaft und eine Abtretung von Rechten aus diesem Vertrag auf den versicherten Arbeitnehmer bis zu dem Zeitpunkt, in dem der versicherte Arbeitnehmer sein 59. Lebensjahr vollendet, insoweit ausgeschlossen ist, als die Beiträge vom Versicherungsnehmer (Firma) entrichtet worden sind.
2. Die versicherte Person ist aus der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unwiderruflich bezugsberechtigt:
[…]
Für den Todesfall ist die Versicherungsleistung in nachstehender Reihenfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen,
c) die Eltern,
d) die Erben“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 34 ff.).
b) Der Nachtrag Nr. 1 zum Gruppenversicherungsvertrag KL-FG -5 vom … 1981, durch den der Gruppenversicherungsvertrag mit Wirkung vom … 1981 unter anderem wie folgt geändert wurde:
„Paragraph 8
Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
1. Versicherungsnehmer aller Versicherungen ist die Firma. Es wird unwiderruflich vereinbart, daß während der Dauer des Dienstverhältnisses eine Übertragung der Versicherungsnehmer-Eigenschaft und eine Abtretung von Rechten aus diesem Vertrag auf den versicherten Arbeitnehmer bis zu dem Zeitpunkt, in dem der versicherte Arbeitnehmer sein 59. Lebensjahr vollendet, insoweit ausgeschlossen ist, als die Beiträge vom Versicherungsnehmer (Firma) entrichtet worden sind.
Es wird vereinbart, daß, abgesehen von der Einräumung eines nicht übertragbaren und nicht beleihbaren Bezugsrechts an die nach dem Vertrag zu
begünstigenden Personen, die Übertragung der Ansprüche auf die versicherten Leistungen an Dritte – auch in Form von anderen Bezugsrechten – ausgeschlossen ist.
2. Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt.
Für den Todesfall ist die Versicherungsleistung in nachstehender Rangfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten, mit dem der Versicherte im Zeitpunkt seines Ablebens verheiratet war,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen,
c) die Eltern,
d) die Erben.
Das verfügte Bezugsrecht bezieht sich auch auf die Überschußanteile. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl 43 f.).
c) Der Nachtrag Nr. 2 zum Gruppenversicherungsvertrag KL-FG -5 vom … 1990, durch den der Gruppenversicherungsvertrag mit Wirkung vom … 1990 unter anderem wie folgt geändert wurde:
㤠7 Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
[…]
2. Der versicherten Person wird auf die Leistung der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt.
Im Todesfall ist die Versicherungsleistung, sofern nichts anderes bestimmt ist (Hervorhebung des Gerichts), in nachstehender Rangfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten, mit dem die versicherte Person im Zeitpunkt ihres Ablebens verheiratet war,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder der versicherten Person zu gleichen Teilen,
c) die Eltern der versicherten Person zu gleichen Teilen,
d) die Erben der versicherten Person.
Das verfügte Bezugsrecht bezieht sich auch auf die Überschußanteile. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 45 ff.).
d) Die Allgemeinen Versicherungs-Bedingungen (AVB) für die Firmengruppenversicherung der V-AG, und zwar bis 1987 in der Fassung von 1967 und ab 1987 bis zum Tode des versicherten ArbN in der Fassung von 1987. In den AVB von 1987 heißt es unter anderem:
„§ 13 Wer erhält die Versicherungsleistung?
(1) Die Leistung aus der Versicherung erbringen wir an Sie als unseren Versicherungsnehmer, falls Sie uns keine andere Person benannt haben, die bei Eintritt des Versicherungsfalls die Ansprüche aus der Versicherung erwerben soll (Bezugsberechtigter). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls können Sie das Bezugsrecht jederzeit widerrufen.
(2) Wenn Sie ausdrücklich bestimmen, daß der Bezugsberechtigte die Ansprüche aus der Versicherung unwiderruflich und damit sofort erwerben soll, werden wir Ihnen schriftlich bestätigen, daß der Widerruf des Bezugsrechts ausgeschlossen ist. Sobald Ihnen unsere Bestätigung zugegangen ist, kann das bis zu diesem Zeitpunkt noch widerrufliche Bezugsrecht nur noch mit Zustimmung des von Ihnen Benannten aufgehoben werden.
(3) Sie können Ihre Rechte aus der Versicherung weder abtreten noch verpfänden.
(4) Die Einräumung und der Widerruf eines widerruflichen Bezugsrechts (vgl. Absatz 1) sind uns gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie uns schriftlich angezeigt worden sind. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 92 ff.).
II.
1. Der Kläger war seit den 1980er Jahren der Lebensgefährte (nicht eingetragener Lebenspartner) des verstorbenen ArbN. Beide unterhielten zwar je eine Wohnung, verbrachten jedoch ihre Freizeit zusammen und fuhren auch gemeinsam in den Urlaub. Dazu hatten sie eine gemeinsame Kasse (Finanzgerichtsakte –FG-A– Bl. 175 ff.).
Im Sommer 2001 erkrankte der ArbN an … Der Kläger betreute und pflegte ihn von da an in dessen Wohnung. Der Kläger erhielt 2001 vom ArbN Generalvollmacht und 2002 zusätzlich Vollmacht für dessen Bankkonto. Im Frühjahr 2002 wurde der ArbN ins Krankenhaus eingeliefert. Auch dort betreute ihn der Kläger täglich (FG-A Bl. 175 ff.).
2. Ebenfalls im Frühjahr 2002 besprach der ArbN die Möglichkeit einer Bezugsrechtsänderung für den Todesfall zu Gunsten des Klägers mit seinem ArbG. Dieser war mit einer solchen Bezugsrechtsänderung einverstanden (FG-A Anl-Bd. Bl. 87).
Mit zwei Schreiben vom 20. Juni 2002 verfügte der ArbN eine widerrufliche Bezugsrechtsänderung für die Todesfallleistung der Direktversicherung zu Gunsten und mit Zustimmung des Klägers gegenüber der V-AG; zugleich im Einverständnis mit seinem ArbG und mit Zustimmung der V-AG, seitens letzterer spätestens nach dortigem Eingang der Schreiben am 26. Juni 2002 (FG-A Anl-Bd. Bl. 33, 34, 87).
Die Schreiben sind bis auf die im Betreff jeweils genannte Versicherungsnummer (-1 bzw. -3) wortgleich und lauten:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit verfüge ich, bis auf Widerruf, die Begünstigung im Todesfall zu Gunsten von:
Herrn [Name des Klägers]
[Adresse des Klägers]
[Geburtsdatum des Klägers]
Ich bitte Sie, mir die Änderung der Begünstigung schriftlich zu bestätigen.
[Name und Unterschrift des ArbN]“
3. Am 25. September 2002 errichtete der ArbN ein handschriftliches Testament und setzte darin den Kläger als seinen Alleinerben ein (Erbschaftsteuerakten –ErbSt-A– Bl. 4).
4. Am … 2003 verstarb der ArbN auf Grund seines … (ErbSt-A Bl. 3).
5. Spätestens zum 30. Januar 2003 zahlte die V-AG an den Kläger als Begünstigten aus der Versicherung Nr. -2 den Betrag von 35.370,00 € und aus der Versicherung Nr. -4 den Betrag von 4.235,98 €, insgesamt also 39.605,98 €, aus (ErbSt-A Bl. 6, 7).
III.
1. Mit Schreiben vom 21. Juli 2003 forderte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf. Am 10. Oktober 2003 gab der Kläger eine solche Erklärung ab, in der er den genannten Betrag in der Anlage Erwerber in der Zeile 28 „Erwerb auf Grund eines Vertrags zu Gunsten Dritter“ aufführte (ErbSt-A Bl. 8, 9 ff.).
2. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 03. November 2003 setzte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) eine Erbschaftsteuer in Höhe von 3.077,00 € aufgrund § 3 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) fest (FG-A Anl-Bd. Bl. 2 ff.).
3. Mit Schreiben vom 22. November 2003 legte der Kläger gegen den Erbschaftsteuerbescheid Einspruch ein. Es fehle bei der Direktversicherung bereits an einem für eine Besteuerung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG notwendigen Vertragsschluss des Verstorbenen (FG-A Anl-Bd. Bl. 13).
4. Mit Einspruchsentscheidung vom 02. Januar 2012 (per einfacher Post) wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Der Abschluss der Direktversicherung seitens des ArbG sei Ausfluss aus dem Arbeitsverhältnis des ArbN. Die Bezüge aus der Direktversicherung seien damit auf ein Dienstverhältnis zurückzuführen. Solche Bezüge unterlägen nur dann nicht der Erbschaftsteuer, wenn der Empfänger ein Hinterbliebener sei. Der Einspruchsführer sei jedoch kein Hinterbliebener (FG-A Bl. 51 ff.).
IV.
1. Der Kläger hat am 03. Februar 2012 Klage vor dem Finanzgericht (FG) erhoben und trägt zur Begründung vor (FG-A Bl. 1 ff., 13 ff., 38 ff., 52 ff.):
Die Leistungen aus der Direktversicherung des ArbN seien als Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung an einen Hinterbliebenen nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerbar. Der Hinterbliebenenbegriff sei im Gesetz zur Verbesserung der betriebliche Altersversorgung (BetrAVG) nicht festgeschrieben und könne auch andere Personen als Ehegatten und Kinder umfassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß (FG-A Bl. 1 f.),
den Erbschaftsteuerbescheid vom 03. November 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Januar 2012 aufzuheben.
2. Das FA beantragt (FG-A Bl. 35),
die Klage abzuweisen.
Das FA trägt in Ergänzung seiner Einspruchsentscheidung vor (FG-A Bl. 35 ff., 47 ff.):
Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung seien nur dann nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerbar, wenn Empfänger der Leistungen ein Hinterbliebener im Sinne der hier anwendbaren R. 8 Abs. 2, 3 Erbschaftsteuerrichtlinie (ErbStR) zu § 3 ErbStG sei. Dieser Hinterbliebenenbegriff umfasse keine – im vorliegenden Fall: nicht eingetragenen – Lebenspartner (Lebensgefährten). Ein Lebensgefährte könne kein Hinterbliebener bei einer betrieblichen Altersversorgung in Form einer Direktversicherung sein. Dies ergebe sich auch schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch.
Weiterhin erfülle die Direktversicherung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht die Voraussetzung der Unvererblichkeit nach den jetzt einschlägigen einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) betreffend die betriebliche Altersversorgung.
V.
1. Die Beteiligten haben sich im telefonischen Erörterungstermin am 04. Juli 2012 dahingehend tatsächlich verständigt, dass sie sich über sämtliche Voraussetzungen dafür einig sind, dass es sich bei der Direktversicherung um eine betriebliche Altersversorgung handelt und zwar auch gemäß den einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen BMF-Schreiben vom 31. März 2010 (BStBl 2010 I 270) und vor dem Stichtag 10. Januar 2003 nach den BMF-Schreiben vom 05. August 2002 (BStBl I 2002, 767) und vom 04. Februar 2000 (BStBl I 2000, 354).
Nicht umfasst von dieser tatsächlichen Verständigung sind nur zwei Punkte, und zwar erstens der Hinterbliebenenbegriff im Sinne von R. 8 Abs. 2, 3 ErbStR zu § 3 ErbStG, mit anderen Worten, ob als Hinterbliebener bei einer betrieblichen Altersversorgung in Form der Direktversicherung auch ein – nicht eingetragener – Lebensgefährte gilt.
Zweitens ist die in den vorgenannten einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen Schreiben genannte Voraussetzung der Unvererblichkeit streitig (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 252, BMF-Schreiben vom 05. August
2002, BStBl I 2002, 767, Tz. 148 und BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000, BStBl I 2000, 354), während diese Voraussetzung im koordinierten Ländererlass Schleswig-Holstein vom 02. März 1995 (Juris; Hamburg vom 16. Mai 1995 n. v.) noch nicht enthalten war (FG-A Bl. 181).
2. Beide Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (FG-A Bl. 181).
3. Das FG hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26. April 2012 (FG-A Bl. 133 ff.) durch schriftliche und mündliche (telefonische) Zeugenerklärung der Personalleiterin des ArbG des verstorbenen ArbN (FG-A Anl-Bd. Bl. 60 ff., FG-A Bl. 166), gemäß Beweisbeschluss vom 19. April 2012 (FG-A Bl. 61 f.) durch schriftliche Zeugenerklärung der Sachbearbeiterin der V-AG (FG-A Anl-Bd. Bl. 32 ff.) und gemäß Beweisbeschluss vom 22. Mai 2012 (FG-A Bl. 150 ff.) durch schriftliche und mündliche (telefonische) Zeugenerklärung des Rechtsabteilungs-Volljuristen der V-AG als sachverständigem Zeugen (FG-A Anl-Bd. Bl. 88 ff.).
4. Das FG hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten teilweise telefonisch am 20. April 2012 (Protokoll FG-A Bl. 117 ff.) sowie telefonisch am 26. April 2012 (Protokoll FG-A Bl. 131 ff.), am 18. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 165 ff.), am 22. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 172 ff.), am 28. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 175 ff.) und am 04. Juli 2012 (Protokoll FG-A Bl. 180 ff.) erörtert.
5. Ergänzend wird Bezug genommen auf die genannten Sitzungsprotokolle, die durchgeführten Beweisaufnahmen und die damit zusammenhängenden Unterlagen aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) nebst Anlagenband (FG-A Anl-Bd.) sowie aus der Erbschaftsteuerakte (ErbSt-A).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Erbschaftsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Adressaten in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO–).
I.
Die im Streit stehenden Leistungen aus der Direktversicherung des ArbN sind nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG als Erwerb von Todes wegen steuerbar.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bestimmt, dass jeder Vermögensvorteil, der auf Grund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags bei dessen Tode von einem Dritten unmittelbar erworben wird, als Erwerb von Todes wegen gilt.
1. Nach ihrem Wortlaut könnte letztere Vorschrift auch auf eine Direktversicherung anzuwenden sein, die ein Arbeitgeber zu Gunsten seines Arbeitnehmers auf Grund des bestehenden Arbeitsverhältnisses für diesen abschließt und aus der eine andere Person beim Tode des Arbeitnehmers Leistungen erhält.
2. Den Erwerb von Hinterbliebenenbezügen, die auf einem Arbeits- oder Dienstverhältnis des Erblassers beruhen, hat der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch in ständiger Rechtsprechung von der Steuerpflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG durch teleologische Reduktion der Vorschrift ausgenommen und damit insbesondere den Bezügen der Hinterbliebenen der Beamten gleichgestellt, die mangels eines vom Erblasser geschlossenen Vertrages (sondern Beamtenernennung) schon nicht unter den Wortlaut der Vorschrift fallen (BFH vom 16. Januar 2008 II R 30/06, BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626; vom 24. Mai 2005 II B 40/04, BFH/NV 2005, 1571; vom 15. Juli 1998 II R 80/96, BFH/NV 1999, 311, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst –DStRE– 1999, 401; vom 13. Dezember 1989 II R 23/85, BFHE 159, 228, BStBl II 1990, 322; vom 27. November 1974 II 175/64, BFHE 115, 540, BStBl II 1975, 539).
Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, es könne „bei einer am Gleichheitssatz unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung orientierten Auslegung dieser Vorschrift keinen Unterschied machen, ob die Hinterbliebenenversorgung auf einem Gesetz, einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einer Ruhegeldordnung, einer betrieblichen Übung, auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder auf einem Einzelvertrag“ beruhe (BFH vom 20. Mai 1981 II R 11/81, BFHE 133, 426, BStBl II 1981, 715; vom 20. Mai 1981 II R 33/78, BFHE 134, 156, BStBl II 1982, 27).
3. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auch mit den durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gezogenen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung für vereinbar erklärt (BVerfG vom 09. November 1988 1 BvR 234/86, BStBl II 1989, 938; vom 05. Mai 1994 2 BvR 397/90, BStBl II 1994, 547).
4. Unter Beachtung der BFH-Rechtsprechung sind somit Bezüge nicht erbschaftsteuerbar, die eine Person aus einer betrieblichen Altersversorgung als Hinterbliebene erhält.
5. Es handelt sich bei der Direktversicherung um eine betriebliche Altersversorgung.
a) Eine betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG).
Eine betriebliche Altersversorgung kann auch so ausgestaltet sein, dass eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (Direktversicherung, § 1b Abs. 2 Satz 1 HS 1 BetrAVG).
Alleinig entscheidendes Merkmal für die fehlende Erbschaftsteuerbarkeit der betrieblichen Altersversorgung ist, dass die Versorgungsleistungen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aus dem Vermögen des Arbeitgebers erbracht werden, es sich also beim Deckungsverhältnis der Versorgung um einen Arbeits- oder Dienstvertrag handelt (BFH vom 20. Mai 1981 II R 11/81, BFHE 133, 426, BStBl II 1981, 715; vom 20. Mai 1981 II R 33/78, BFHE 134, 156, BStBl II 1982, 27; Viskorf/Knobel/Schuck, Kommentar zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 3. Auflage 2009, § 3 Rz. 174 ff. m. w. N).
So liegt der Fall hier.
b) Unschädlich für die Beurteilung einer Direktversicherung als betriebliche Altersversorgung ist es, wenn – wie hier – zur Finanzierung der Versicherung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber eine Entgeltumwandlung vereinbart wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG; BFH vom 29. Juli 2010 VI R 39/09, BFH/NV 2010, 2296; vgl. auch BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270 Tz. 254 ff.).
c) Ebenfalls unschädlich ist es, wenn – wie hier – die Leistung aus der Direktversicherung nicht in einer Rente, sondern in einer Einmalzahlung besteht (FG Baden-Württemberg vom 23. Februar 2010 11 K 498/07 m. w. N., EFG 2010, 1144).
d) Insbesondere kommt es danach nicht darauf an, dass die betriebliche Altersversorgung unvererblich ist, solange die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts gezahlt werden (unten 6). Die fehlende Erbschaftsteuerbarkeit ist außerdem unabhängig von einer Abgrenzung des Hinterbliebenenkreises, wie er arbeitsrechtlich ausgehandelt ist (unten 7).
6. Davon abgesehen wird eine betriebliche Altersversorgung nicht schon allein deswegen zur bloßen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und verliert nicht dadurch ihren Charakter als Hinterbliebenenversorgung, dass sie vererblich ist.
a) Soweit heute die Finanzverwaltung in den einschlägigen einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen BMF-Schreiben die Auffassung vertritt, Voraussetzung einer betrieblichen Altersversorgung sei die Unvererblichkeit (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 252, BMF-Schreiben vom 05. August 2002, BStBl I 2002, 767, Tz. 148 und BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000, BStBl I 2000, 354), muss nicht entschieden werden, ob diese Ansicht nicht bereits einkommensteuer-rechtlich angreifbar ist.
In der Literatur ist vorgebracht worden, sie entspreche nicht der geltenden Gesetzeslage. Zu den nach §§ 10a, 79 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) steuerlich geförderten Altersvorsorgebeiträgen gehörten gemäß § 82 Abs. 2 EStG auch Beiträge zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung. Die Vorschrift des § 82 Abs. 2 EStG enthalte eine Verweisung auf § 93 EStG. Letztere Norm gehe eindeutig von der Vererblichkeit geförderten Altersvorsorgevermögens aus. Die Auszahlung des Kapitals an die Erben sei gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 EStG möglich, auch wenn dann steuerliche Vorteile entfielen. Weiterhin sei die Auffassung der Finanzverwaltung auch im Hinblick auf Art. 14 GG, der neben dem Eigentum auch das Erbrecht gewährleiste, bedenklich (Hanau/Arteaga/Rieble, Entgeltumwandlung, 2. Auflage 2006, D Rz. 783 m. w. N).
Hier ist die vorliegende Direktversicherung jedoch aus erbschaftsteuerlicher, nicht aus einkommensteuerlicher, Sicht zu beurteilen.
b) Davon abgesehen gilt das jetzige einkommensteuer-rechtliche Kriterium der Unvererblichkeit zumindest nicht für Vertragsschlüsse vor dem BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000 (BStBl I 2000, 354).
Gerade die langjährige Bindung von Vereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung erfordert hinsichtlich des Regelungsinhalts Schutz des Vertrauens in die Rechtslage bei Vertragsschluss. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz folgen aus dem Rechtsstaatgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BFH, Beschluss des Großen Senats vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D IV 2 b bb Juris Rd. 99; zur Anerkennung von Altverträgen durch das BAG – in Abgrenzung zur Durchführung – vgl. unten c cc).
Zur Zeit des Vertragsschlusses der vorliegenden Direktversicherung gab es weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur oder in der Auffassung der Finanzverwaltung ein Kriterium der Unvererblichkeit zur Anerkennung eines Versicherungsvertrages als betriebliche Altersversorgung. Auch im koordinierten Ländererlass Schleswig-Holstein vom 02. März 1995 (Juris; vgl. Hamburg vom 16. Mai 1995 n. v.) war ein solches Kriterium nicht enthalten.
c) Auch arbeitsrechtlich kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bezüglich betrieblicher Altersversorgung und Insolvenzschutz (§§ 7 ff. BetrAVG) für die Einordnung eines Vertrages als betriebliche Altersversorgung, mindestens für Altverträge, nicht darauf an, dass die Leistungen unvererblich sind.
aa) Das BAG ist in seiner Rechtsprechung zum Zeitpunkt des Abschlusses der vorliegenden Direktversicherung davon ausgegangen, dass eine Leistung aus einer betrieblichen Altersversorgung ohne weiteres auch dann vorlag, wenn das Versprochene im Falle des Todes an die Erben auszuzahlen war. Es komme vielmehr darauf an, dass der Versorgungszweck zur Absicherung eines biometrischen Risikos die Leistung und ihre Regelung präge; dazu sei es nicht notwendig, dass eine Zusage ausschließlich dem Versorgungszweck diene, vielmehr könnten einzelne Regelungen ohne Versorgungscharakter die rechtliche Einordnung einer Zusage als betriebliche Altersversorgung nicht beeinflussen (BAG vom 30. Oktober 1980 3 AZR 805/79, BAGE 34, 242; vom 30. September 1986 3 AZR 22/85, BAGE 53, 131).
bb) Diese Ansicht des BAG wird im Übrigen dadurch gestützt, dass insbesondere die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung stets die bei der betrieblichen Altersversorgung bestehende Formenvielfalt betont und Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen weitreichenden Gestaltungsspielraum zugestanden hat, der dem Arbeitgeber erlaubt, die Reichweite seiner Zusage nach seinen eigenen betrieblichen Erfordernissen und den bestehenden Versorgungsinteressen zu bestimmen (BAG vom 30. Oktober 1980 3 AZR 805/79, BAGE 34, 242, Gewinnbeteiligung; vom 30. September 1986 3 AZR 22/85, BAGE 53, 131, Kapitalzusage; Bundessozialgericht –BSG– vom 30. Januar 1997 12 RK 17/96, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1997, 1418, Abschluss einer Direktversicherung bei jedem Lebensversicherer; Landesarbeitsgericht –LAG– Hamm vom 22. Juni 2010 9 Sa 1261/09M, Juris, Jeweiligkeitsklausel).
cc) In einer neueren Entscheidung hat das BAG in Kenntnis der einkommensteuerrechtlichen Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 05. August 2002 (BStBl I 2002, 767) seine bisherige Rechtsprechung aufrechterhalten. Maßgeblich ist noch immer der im Vordergrund des Vertrages stehende Versorgungszweck. Dieser entfällt durch eine Vererblichkeit von Leistungen jedenfalls dann nicht, wenn – wie hier – bei der Durchführung des
Vertrages die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts gezahlt werden (BAG vom 18. März 2003 3 AZR 313/02, BAGE 105, 240).
dd) Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts sondern als Bezugsberechtigter erhalten (oben A II 5). Die Bezugsberechtigung konnte nach dem Vertrag („sofern nichts anderes bestimmt“, oben A I 4 c) auch nicht einseitig durch den ArbN übertragen werden (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 251), sondern wurde mit Zustimmung des ArbG und der V-AG vorgenommen (oben A II 2).
d) Der erkennende Senat weicht mit dieser Qualifizierung als betriebliche Altersversorgung auch nicht von bisheriger finanzgerichtlicher Rechtsprechung ab.
Bis heute ist, soweit ersichtlich, zu dem einkommensteuerlichen Unvererblichkeitskriterium der Finanzverwaltung nur ein Urteil des FG Rheinland-Pfalz ergangen (vom 01. Oktober 2008 1 K 1454/05, Juris). Dort hat das FG im Rahmen der Einkommensteuer 2000 zur Beurteilung einer Vereinbarung vom 24. März 1999 / 08. März 2000 das BMF-Schreiben vom 17. November 2004 (BStBl I 2004, 1065), Tz. 158, herangezogen und eine steuerschädliche Vererblichkeit angenommen, weil in der Vereinbarung die Möglichkeit zur Benennung einer anderen Person als einer Hinterbliebenen eingeräumt war. Der BFH hat dieses Urteil aufgehoben, weil der Kläger nicht mit seinem Vorbringen gehört worden war, dass die Vereinbarung vom 08. März 2000 bereits vor der Verkündung des BMF-Schreibens vom 04. Februar 2000 getroffen worden sei und vor dem genannten BMF-Schreiben eine andere Rechtsauffassung geherrscht habe (BFH vom 29. Juli 2010 VI R 39/09, BFH/NV 2010, 2296).
Ein vorangehendes Urteil des FG Rheinland-Pfalz stellt fest, dass die Vererblichkeit zwar bei Rentenansprüchen ungewöhnlich, dagegen bei Einmalzahlungen aus Lebensversicherungen üblich war (FG Rheinland-Pfalz vom 26. März 1996 2 K 2791/93, EFG 1996, 1103).
7. Davon abgesehen, dass es nach Ansicht des Senats für die Beurteilung der Erbschaftsteuerbarkeit von Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung ohnehin nicht auf die Abgrenzung des Hinterbliebenenkreises ankommt (oben 5 a nebst Hinweis u. a. auf Viskorf/Knobel/Schuck aaO), würde ein auch für die steuerliche Betrachtung maßgeblicher arbeitsrechtlicher Hinterbliebenenbegriff gleichgeschlechtliche Lebensgefährten wie den Kläger einschließen.
a) Das Steuerrecht kennt zwar eine gesetzliche Definition des Angehörigen (§ 15 Abgabenordnung –AO–), nicht jedoch des Hinterbliebenen.
b) Soweit das FA einen besonderen erbschaftsteuerlichen Hinterbliebenenbegriff aus der R. 8 ErbStR zu § 3 ErbStG herleiten will, kann diese Überlegung schon deswegen nicht durchgreifen, weil dort keine Definition des Begriffs allgemein für alle dort behandelten Formen der Hinterbliebenenversorgung systematisch vorangestellt ist.
Vielmehr heißt es in Abs. 1 der Richtlinie:
„Die kraft Gesetzes entstehenden Versorgungsansprüche Hinterbliebener unterliegen nicht der Erbschaftsteuer. Hinterbliebene in diesem Sinne sind nur der
mit dem Erblasser bei dessen Tod rechtsgültig verheiratete Ehegatte oder Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes und die Kinder des Erblassers“ (Hervorhebungen des Gerichts).
Daraus lässt sich nicht ableiten, dass dieser Hinterbliebenenbegriff auch für solche Hinterbliebenenbezüge gelten soll, die auf Tarifvertrag, Betriebsordnung, Betriebsvereinbarung, betrieblicher Übung oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Abs. 2) beziehungsweise auf Einzelvertrag (Abs. 3) beruhen. In den Absätzen 2 und 3 der Richtlinie wird der Ausdruck „Hinterbliebener“ ohne eine einschränkende nähere Definition wie im Absatz 1 verwendet.
Aus den Erbschaftsteuerrichtlinien ergibt sich damit gerade keine Eingrenzung des Hinterbliebenenbegriffs für den hier interessierenden Fall der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer einzelvertraglich abgeschlossenen Direktversicherung. Dieses Ergebnis entspricht dem Recht der betrieblichen Altersversorgung.
c) Das BetrAVG enthält ebenso wenig wie das Steuerrecht eine gesetzliche Definition des Hinterbliebenenbegriffs. Das Arbeitsrecht sieht vielmehr, wie bereits dargelegt, für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung vor (oben 6 c bb).
Insbesondere steht es dem Arbeitgeber im Rahmen der Vertragsfreiheit frei, welche Personen er in den Kreis der Versorgungsberechtigten aufnehmen oder gezielt aus ihm ausschließen will, z. B. über Spätehen-, Getrenntlebend- oder Wiederverheiratungsklauseln (BAG vom 28. März 1995 3 AZR 343/94, Der Betrieb –DB– 1995, 1666, Getrenntlebendklausel; vom 26. August 1997 3 AZR 235/96, DB 1998, 1114, Spätehenklausel; vom 19. Dezember 2000 3 AZR 186/00, DB 2001, 2303, Spätehenklausel; vom 19. Februar 2002 3 AZR 99/01, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2002, 2339 Beschränkung auf Begünstigte ab 50 Jahren, Privatrechtliche Gestaltungsfreiheit, s. insb. Juris Rz. 25; vom 18. November 2008 3 AZR 277/07, DB 2009, 294, Privatrechtliche Einschränkung des Hinterbliebenkreises; vom 15. September 2009 3 AZR 797/08, DB 2010, 231, Spätehenklausel auch bei eing. Lebenspartnern; vom 20. April 2010 3 AZR 509/08; BAGE 134, 89, Spätehenklausel; Privatrechtliche Gestaltungsfreiheit, s. insb. Juris Rz. 74 f.; Bundesgerichtshof –BGH– vom 07. Dezember 2005 XII ZB 39/01, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport –NJW-RR– 2006, 190, Wiederverheiratungsklausel; dagegen LAG Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1999 11 Sa 786/98, Juris, Ausschluss nichtehelicher Kinder nicht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit gedeckt).
Durch die ständige Rechtsprechung des BAG überholt ist damit eine ältere Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) Wiesbaden, das unter den Hinterbliebenen nur Ehefrau und Kinder des verstorbenen Arbeitnehmers unter 18 Jahren verstehen wollte (ArbG Wiesbaden vom 09. Januar 1980 6 Ca 5289/79, Juris).
d) Ebenso überholt ist die einzige bekannte steuerrechtliche Entscheidung des FG Münster zum Hinterbliebenenbegriff. Im Rahmen der hier interessierenden Prüfung der Steuerbarkeit einer betrieblichen Altersversorgung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG hat es den vertraglich begünstigten Bruder des Verstorbenen nicht als
Hinterbliebenen angesehen (FG Münster vom 02. Juni 1987 III 8787/86 Erb, EFG 1987 570).
aa) Zur Begründung hat sich das FG auf das Sozialversicherungsrecht sowie das Beamtenrecht bezogen, die Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung enthielten, welche den Schluss rechtfertigten, dass nach allgemeinem Sprachgebrauch grundsätzlich nur die überlebenden und früheren Ehegatten sowie die Waisen zu rechnen seien. So bestimme die (inzwischen entfallene) Vorschrift des § 1263 Reichsversicherungsordnung (RVO), dass Hinterbliebenenrenten die Witwen-, Witwer-, und Waisenrenten seien, und weist das FG auf andere wortgleiche (ebenfalls inzwischen außer Kraft getretene) Normen hin. Weiterhin hat sich das FG bezogen auf Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und auf das Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG).
Wenn diese Regelungen in bestimmten Fällen ein Sterbegeld für Geschwister vorsehen, sei dies der besondere Zweckbestimmung des Sterbegeldes geschuldet und bilde eine Ausnahme von dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass als Hinterbliebene lediglich Witwen, Witwer und Waisen anzusehen seien.
Weiterhin hat das FG ausgeführt, schon der Reichsminister der Finanzen (RdF) habe im Erlass vom 09. Juni 1941 (RStBl 1941, 417) angeordnet, „steuerfrei zu lassen Ruhegehälter und ähnliche Zuwendungen, die ein Erblasser oder Schenker früheren oder noch bei ihm in Dienst befindlichen Angestellten oder Bediensteten oder deren Witwen und Waisen gewährt, soweit die Zuwendungen das Maß eines angemessenen Ruhegehalts nicht übersteigen“. In dem Erlass vom 07. Januar 1942 (DB 1961, 1004) habe der RdF im Anschluss daran hervorgehoben, es entspreche diesem Grundgedanken, den „Erwerb von Ansprüchen auf Ruhegehälter und ähnliche Zuwendungen“ steuerfrei zu lassen, wenn sie „Witwen und Waisen eines früheren Angestellten oder Bediensteten auf Grund eines von ihm geschlossenen Vertrags gegen den Betriebsinhaber oder eine Pensions- oder Unterstützungskasse seines Betriebs zustehen.“
bb) Der Argumentation des FG Münster kann schon deswegen nicht ohne weiteres gefolgt werden, weil sämtliche der zur Begründung herangezogenen Vorschriften inzwischen entweder außer Kraft getreten oder dahingehend geändert worden sind, dass sie jedenfalls den eingetragenen Lebenspartner dem Ehegatten gleichstellen (vgl. § 38 ff. BVG und § 1a BeamtVG).
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Rückgriff des FG auf die geschichtliche Entwicklung des Hinterbliebenenbegriffs in der Finanzverwaltung um 1940 nicht nur wegen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sondern auch wegen der Verfolgung von Homosexuellen im Unrechtsregime des Nationalsozialismus für die Definition des heute gültigen Hinterbliebenenbegriffs keine Hilfestellung geben kann. Auch noch zum Entscheidungszeitpunkt des FG Münster im Jahre 1980 dürften gleichgeschlechtliche Partner als mögliche Hinterbliebene weder im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch des FG gewesen sein. Erst 1969 beziehungsweise 1973 war der § 175 Strafgesetzbuch (StGB), der einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, im Hinblick auf das Schutzalter reformiert worden. Endgültig abgeschafft wurde die Vorschrift erst 1994.
Weiterhin ergibt sich aus den Festlegungen des Hinterbliebenenbegriffs in den genannten Normen kein allgemeiner Rechtsgedanke, dass als Hinterbliebene auch in anderen Rechtsgebieten lediglich Ehegatten (bzw. eingetragene Lebenspartner) und Kinder anzusehen seien; zumal der Gesetzgeber im BetrAVG auf eine ausdrückliche Legaldefinition verzichtet hat, obwohl eine solche gesetzestechnisch unproblematisch hätte vorgesehen werden können.
e) Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob oder inwieweit die Entscheidung des FG Münster auch versicherungsrechtlich überholt ist, weil das Landgericht (LG) Mönchengladbach in einer Entscheidung aus dem Jahre 1997 einen sehr weitgehenden Hinterbliebenenbegriff vertreten hat.
Das LG hat eine (bloße) Freundin des Verstorbenen als Hinterbliebene betrachtet. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, „hinterbleiben“ bedeute schlichtes Zurückbleiben. Somit könne jede Person Hinterbliebene sein, die nach dem Tod des Verstorbenen zurückbleibe, auch ohne, dass ein besonderes Näheverhältnis erforderlich sei. Wolle man ein solches verlangen, so genüge jedoch bereits eine enge Freundschaft. Es habe der beklagten Versicherung freigestanden, eine andere, engere Definition des Hinterbliebenenbegriffs im Vertrag festzulegen. Bei Lebensversicherungen gelte insoweit ein anderer Hinterbliebenenbegriff als im Sozialversicherungsrecht (LG Mönchengladbach vom 15. 02. 1996 10 O 407/95, Versicherungsrecht VersR 1997, 478).
f) Aus der Sicht des Erbschaftsteuersenats bleibt für den Hinterbliebenenbegriff die bereits angesprochene Rechtsprechung des BAG zur Gestaltungsfreiheit bei der betrieblichen Altersversorgung maßgeblich (oben c). Danach kann auch ein Lebensgefährte – wie der Kläger – Hinterbliebener sein.
Das BAG ist davon ausgegangen, dass der Kreis der potentiellen Hinterbliebenen nicht auf den Ehegatten und die Kinder des Arbeitnehmers begrenzt ist. Voraussetzung für die Anerkennung der Hinterbliebeneneigenschaft ist, dass dem Arbeitnehmer bezogen auf die begünstigte Person bei typisierender Betrachtung ein Versorgungsinteresse unterstellt werden kann. Dieses typische Versorgungsinteresse hängt nicht mit der Frage einer etwaigen Erbberechtigung zusammen. Will der Arbeitgeber dagegen den Kreis der möglichen Hinterbliebenen beschränken, so steht ihm dies im Rahmen und in den Grenzen der Vertragsfreiheit zu. Entscheidend ist damit vor allem die privatrechtliche Ausgestaltung der Versorgungszusage (BAG vom 18. November 2008 3 AZR 277/07, DB 2009, 294; vom 28. März 1995 3 AZR 343/94, DB 1995, 1666).
g) Insoweit hat auch das FG Rheinland-Pfalz in dem bereits erwähnten (aus anderen Gründen aufgehobenen) Urteil nicht nur Ehegatten und Kinder sondern auch die Lebensgefährtin oder den Lebensgefährten als mögliche Hinterbliebene anerkannt. Der Begriff Lebensgefährte ist danach als Oberbegriff zu verstehen, der auch gleichgeschlechtliche Partner umfasst (FG Rheinland-Pfalz vom 01. Oktober 2008 1 K 1454/05, Juris; vgl. ebenso Wälzholz in Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG/BewG, 3. A., § 3 ErbStG, Rd. 180).
h) Im Ergebnis entspricht die Entscheidung des Senats im Übrigen auch der Auffassung der Finanzverwaltung im einkommensteuerlichen BMF-Schreiben vom 31. März 2010 (BStBl I 2010, 270), wonach eine Hinterbliebenenversorgung im steuerlichen Sinne auch Leistungen an die Lebensgefährtin oder den
Lebensgefährten vorsehen kann. Umfasst sind vom Oberbegriff des Lebensgefährten dabei auch gleichgeschlechtliche Partner. Dies gilt auch dann, wenn es sich nicht um eine Lebenspartnerschaft nach dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (LPartG) handelt. Ist die Partnerschaft nicht eingetragen, wird gemäß dem BMF-Schreiben vom 25. Juli 2002 (BStBl I 2002, 706) die Hinterbliebenenversorgung anerkannt, wenn die Partner in eheähnlicher Gemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 BGB, § 2 LPartG) leben – wie hier (oben A II 1, 2, 3, V 1).
II.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 151, 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer

Einkommensteuer: In dem Verfahren einer Steuerpflichtigen, die zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, hat der 1. Senat mit dem Finanzamt die Ordnungsmäßigkeit ihrer Aufzeichnungen verneint, der Klage jedoch überwiegend stattgegeben, weil er im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis von dem Mittelwert für den Rohgewinnaufschlag der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Er-zeugnisse im Einzelhandel wegen der Besonderheiten ihres Gewerbes gegenüber einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels zugunsten der Klägerin abgewichen ist (85% statt 96%), Urteil vom 18.12.2012, 1 K 172/10, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 1 K 172/10
Urteil des Senats vom 18.12.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, AO 158, AO 162
Leitsatz: Der Betrieb eines Steuerpflichtigen, der nur zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, weicht gegenüber dem in der Richtsatzsammlung erfassten Normalbetrieb des Einzelhandels ab, was im Rahmen der Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts einen Abschlag vom durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag rechtfertigt.
Überschrift: Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Schätzungsbescheiden für die Jahre 2002 bis 2003.
Die Klägerin verkaufte auf Weihnachts-, Oster- und anderen Sondermärkten, überwiegend im A-Einkaufszentrum (A) der Stadt B, auf eigenen Ständen Artikel aus Keramik und Porzellan sowie Dekorationsartikel und Weihnachtsschmuck in der Regel gegen Bargeld. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin nahm sie wie folgt an Veranstaltungen teil:
– im Jahr 2002 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 82 Kalendertagen, davon 54 Kalendertage im A,
– im Jahr 2003 insgesamt 13 Ausstellungen an insgesamt 76 Kalendertagen, davon 41 Kalendertage im A,
– im Jahr 2004 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 69 Kalendertagen, davon 43 Kalendertage im A.
Für die Tätigkeit der Klägerin im A berechnete sich die Standmiete nach den täglichen Nettoumsätzen der Klägerin. Die Klägerin teilte dem A ihre täglichen Nettoumsätze auf sogenannten „Umsatzmeldungen“ mit. In ihren Jahreskalendern (Timer) notierte die Klägerin den Bruttoumsatz des jeweiligen Tages sowie teilweise das jeweilige „Kleingeld/Wechselgeld“. Soweit die Klägerin auf Notizzetteln die anfängliche Summe des Kleingeldes notierte, warf sie diese Zettel teilweise nach Erfassung des Bruttoumsatzes weg.
Der Beklagte erließ erklärungsgemäß Einkommensteuerbescheide …. Den Umsatzsteuererklärungen stimmte der Beklagte zu.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Prüferin zu der Auffassung, die Klägerin führe kein ordnungsmäßiges Kassenbuch. Die Prüferin schätzte unter Berücksichtigung eines Abschlages in Höhe von 5 vom Hundert (v. H.) auf den Wareneinkauf wegen Bruchs/Diebstahls und eines Rohgewinnaufschlages in Höhe von 96 v. H. (Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im
Einzelhandel) Umsätze hinzu. Warenbestandsveränderungen berücksichtigte die Prüferin nicht. Die Prüferin kam danach zu Mehrumsätzen …. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 26.09.2006 verwiesen.
Der Beklagte folgte der Auffassung der Betriebsprüferin und erließ am … geänderte Einkommensteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Einkommensteuer … höher festsetzte. Des Weiteren erließ der Beklagte Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Umsatzsteuer höher festsetzte, sowie erstmalige Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer für 2003 und 2004, in denen er den Gewerbesteuermessbetrag festsetzte.
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 legte die Klägerin am 28.03.2007 Einsprüche ein, gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 sowie die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 am 15.06.2007. Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 13.09.2010 erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, es fehle an einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach. Sie habe jeden Abend „Kassensturz“ gemacht und ihre Umsätze ordnungsgemäß aufgezeichnet. Da die Umsatzmeldungen für das A anerkannt worden seien, seien ihre Unterlagen sachlich richtig. Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach gegeben sein sollte, seien für die Zeiträume der Veranstaltungen im A die hierfür angefertigten Umsatzmeldungen zugrunde zu legen. Die Schätzung des Beklagten sei im Übrigen deshalb fehlerhaft, da er die Besonderheiten ihres Betriebes nicht berücksichtigt habe. Aufgrund der Beschaffenheit ihrer Waren komme ein nicht unerheblicher Teil zu Bruch. Zudem müsse von einer höheren Diebstahlsquote ausgegangen werden, da sie kein Ladengeschäft habe und ihre Ware nur auf offen zugänglichen Ständen von ca. 9 m² Größe anbiete. Wegen ihrer geringen Kosten habe sie die Ware deutlich preiswerter anbieten können. Im Übrigen sei es nicht möglich, die erworbenen Artikel noch im selben Jahr wieder zu verkaufen. Denn die Artikel der Klägerin unterlägen starken Modeschwankungen. Die in ihren Einnahme-Überschussrechnungen dargestellten Warenbestände habe sie in der Weise ermittelt, dass sie nur die Gegenstände gezählt habe, die in dem betreffenden Jahr eingekauft und nicht wieder verkauft worden seien. Für das Jahr 2003 sei in dieser Weise ein Warenbestand in Höhe von … EUR ermittelt worden. Soweit Waren aus Vorjahren noch vorhanden gewesen seien, seien diese in den Warenbeständen nicht enthalten.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 vom 26.03.2007 sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 und Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007, in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Schätzung sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Warenbestände seien im Streitfall unter Berücksichtigung des Mittelwerts der Richtsatzsammlung zu schätzen. Der Beklagte sei nicht gehalten, bei einer groben Verletzung von Aufzeichnungspflichten von dem unteren Wert der Richtsatzsammlung auszugehen, sondern könne auch bis an die obere Grenze gehen.
Auf eine mündliche Verhandlung haben die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.10.2012, bei Gericht eingegangen am 19.10.2012, und der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.11.2012, bei Gericht eingegangen am 13.11.2012, verzichtet.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
II.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Weise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Beklagte zu hohe Einnahmen bzw. Umsätze hinzugeschätzt hat. Die Hinzuschätzung erfolgt nach Maßgabe der Entscheidungsgründe und führt dazu, dass die Einkommensteuer 2002 bis 2004 und die Umsatzsteuer 2004 nicht ganz in dem begehrten Umfang herabgesetzt sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 und 2003 und die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010, aufgehoben werden. Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Die Besteuerungsgrundlagen sind dem Grunde nach zu schätzen.

Das Gericht hat die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 der Abgabenordnung (AO) zugrunde gelegt werden können (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO in Verbindung mit – i. V. m. – § 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Die Klägerin hat Aufzeichnungen nach den Steuergesetzen zu führen. Auch die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG -, die die Klägerin vornahm, setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden. Dabei ergibt sich die Pflicht zur Einzelaufzeichnung aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i. V. m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Die
Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 26.02.2004 XI R 25/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 205, 249, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2004, 599 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. -). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Des Weiteren müssen nach § 63 Abs. 1 UStDV die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.
Die Aufzeichnungen der Klägerin entsprechen nicht der Vorschrift des § 146 AO. Diese Norm gilt auch für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 ff. AO betreffen grundsätzlich jegliche zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen, also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze verpflichtet ist, wie z. B. nach § 22 UStG (BFH-Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452 m. w. N.). Dabei ist bei der Überschussrechnung im Fall von Kasseneinnahmen die Vorschrift des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO als spezielle Aufzeichnungsnorm zu beachten (vergleiche – vgl. – Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146 AO Rz. 30a m. w. N.). Entscheidend ist, dass die für die Besteuerung maßgebenden Vorgänge vollständig erfasst werden und die Einnahmeermittlung nachvollziehbar dokumentiert und überprüfbar ist (Finanzgericht – FG – des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 1816 m. w. N.).
Im Streitfall sind die Aufzeichnungen der Klägerin der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, da die Aufzeichnungen der Klägerin den Vorgaben des § 146 AO nicht genügen. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwar ergibt sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung für Einzelhandelsunternehmer, die im Allgemeinen Waren an ihnen der Person nach nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen, in der Regel nicht die Verpflichtung, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen (BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 372; Bundesministerium der Finanzen – BMF -, Schreiben vom 24.02.2004, IV D 2 – S 0315 – 4/04, BStBl I 2004, 419). Die Kassenaufzeichnungen müssen jedoch so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (vgl. auch BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.; vgl. zu den Anforderungen an die Kassenbuchführung/Kassenaufzeichnungen auch BFH-Urteil vom 20.6.1985 IV R 41/82, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1985, 12 m. w. N.; BFH-Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683; FG des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, EFG 2012, 1816 m. w. N.). Diese sogenannte Kassensturzfähigkeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Es ist nicht möglich, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen. Die Klägerin hat lediglich den Gesamtbruttoumsatz der jeweiligen Tage in ihren Timern aufgezeichnet. Angaben zu Anfangsbeständen in ihrer Kasse sind nur rudimentär – ebenfalls in den Timern, wobei die Klägerin die Beträge als „Kleingeld“ bezeichnete – vorhanden. Nach eigenen Angaben hat die Klägerin Notizzettel, auf
denen Angaben zum Kassenanfangsbestand (dem „Kleingeld“) vorhanden waren, vernichtet.
Der Mangel der Aufzeichnungen der Klägerin ist derart gravierend, dass er den Aufzeichnungen der Klägerin die Ordnungsmäßigkeit nimmt. Mängel in der Kassenaufzeichnung können den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kassenaufzeichnungen wesentlicher Teil der Aufzeichnungen sind, weil der Steuerpflichtige nach der Art seines Unternehmens – wie im Streitfall – vorwiegend Bargeschäfte tätigt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 02.12.2008 X B 69/08, juris, m. w. N.; BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.).
Eine Schätzung scheidet nicht deswegen aus, weil die durch die Fehler der Aufzeichnungen verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden könnten (BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.). Die Fehler der Kassenaufzeichnung können nicht durch anderweitige Ermittlungen zur Höhe der Einnahmen des Betriebs beseitigt werden. Solche Möglichkeiten sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage erkennbar.
2. Das Gericht macht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO Gebrauch. Danach erfolgt die Schätzung anhand der Richtsatzsammlung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebes der Klägerin.
Ziel der Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Die Schätzung muss in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH-Urteil vom 24.6.1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51). Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts, das an die von der Behörde gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden ist und nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis besitzt. Das Gericht ist in der Wahl seiner Schätzungsmethode frei. Schätzungsunsicherheiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226 m. w. N.).
Das Gericht übernimmt zunächst den Abschlag in Höhe von 5 v. H. des Wareneinkaufs für Bruch bzw. Diebstahl. Mangels konkreter Anhaltspunkte ist nicht ersichtlich, dass ein höherer Satz in Betracht kommt.
Sodann ist für die Schätzung von dem Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im Einzelhandel auszugehen (96 v. H.; Richtsatzsammlung 2002, BStBl I 2003, 342). Allerdings weicht das Gericht von dem Mittelsatz ab, da dies aufgrund der besonderen betrieblichen Verhältnisse der Klägerin begründet ist, die nicht durch Entnormalisierungen erfassbar oder ansonsten betragsmäßig feststellbar sind (vgl. auch Nr. 10.2.1 Richtsatzsammlung 2002).
Die Klägerin ist nicht mit einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels vergleichbar. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls ist von dem Mittelwert nach unten abzuweichen. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin ihre Waren mit einem niedrigeren Rohgewinnaufschlag verkaufte, um die Ware preiswerter anzubieten und mehr Kundschaft zu erreichen. Die Klägerin konnte dies tun, da sie im Vergleich zu
einem Normalbetrieb geringere Kosten hat. Die Kostenstruktur der Klägerin weicht von der eines Normalbetriebs erheblich ab. Insbesondere war die Klägerin nicht durchgehend im Jahr in einem eigenen Ladengeschäft tätig, sondern verkaufte – mit Aushilfskräften – nur an wenigen Tagen im Jahr auf Ausstellungen auf einem Stand ihre Waren. Angesichts der Art ihrer Ware – überwiegend Saisonartikel -, die sie auf zeitlich begrenzten Ständen anbot, erscheint es dem Senat zudem nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin gegen Ende der Ausstellungszeiten ihre Ware mit weiteren Preisnachlässen anbot, um die Ware zu verkaufen. Nicht zuletzt erscheint auch die Möglichkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin vermehrt Kunden gegenüberstand, die über den Preis der Ware stärker verhandelten, als es sonst im Einzelhandel verbreitet ist. Danach ist der Rohgewinnaufschlag griffweise in Höhe von 85 v. H. anzusetzen.
Hinzu kommt, dass die Warenbestandsänderungen auch bei der Klägerin zu erfassen sind. Mangels anderer Anhaltspunkte ist für die laufenden Warenbestände von den Beträgen auszugehen, die die Klägerin ermittelt hatte.
3. Ausgehend vom Wareneingang, den die Betriebsprüferin ermittelte, ergeben sich die hinzuzuschätzenden Beträge danach wie folgt:
2002 2003 2004
Wareneingang laufendes Jahr … EUR … EUR … EUR
abzüglich Bruch/Diebstahl (5 v. H.) … EUR … EUR … EUR
zuzüglich Warenbestand am Anfang
des Wirtschaftsjahres
(2002: geschätzt) … EUR … EUR … EUR
abzüglich Warenbestand am Ende
des Wirtschaftsjahres … EUR … EUR … EUR
Wareneinsatz … EUR … EUR … EUR
Rohgewinnaufschlag (85 v. H.) … EUR … EUR … EUR
Umsatz … EUR … EUR … EUR
abzüglich erklärte Verkaufserlöse … EUR … EUR … EUR
Hinzuschätzung … EUR … EUR … EUR
zuzüglich USt (16 v. H.) … EUR … EUR … EUR
4. Danach sind die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 unter Berücksichtigung folgender Gewinne/Verluste der Klägerin bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb zu ändern:

Die Berechnung wird dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 werden aufgehoben. Ein Gewerbesteuermessbetrag wäre allenfalls mit 0 EUR festzusetzen. Der Gewinn 2003 liegt unter dem Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Im Jahr 2004 erzielte die Klägerin einen geringen Verlust.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Wiedereinsetzung gem. § 110 AO 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ausgeschlossen

Die Gewährung von Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gem. § 110 AO ist ausgeschlossen, wenn sich aus dem Tatbestand der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Frist um 3 Tage versäumt worden ist und dann nicht innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung der Wiedereinsetzungsantrag gestellt wird. Der Umstand, dass das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt hat, schließt ein Verschulden insoweit nicht aus.

Erweisen sich die für die Geltendmachung von Betriebsausgaben vorgelegten Rechnungen als Scheinrechnungen, besteht kein Anlass für die Schätzung von Betriebsausgaben, wenn der Steuerpflichtige insoweit keine Angaben zu den Empfängern (hier Subunternehmer oder Hilfsarbeiter) macht, Urteil des 2. Senats vom 10.10.2012, 2 K 130/11, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 130/11
Urteil des Senats vom 10.10.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: AO § 110 Abs. 1, AO § 110 Abs. 2, EStG § 4 Abs. 4
Leitsatz: 1. Die Gewährung von Wiedereinsetzung gem. § 110 AO ist ausgeschlossen, wenn sich aus dem Tatbestand der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Frist um 3 Tage versäumt worden ist und dann nicht innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung der Wiedereinsetzungsantrag gestellt wird. Der Umstand, dass das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt hat, schließt ein Verschulden insoweit nicht aus.

2. Erweisen sich die für die Geltendmachung von Betriebsausgaben vorgelegten Rechnungen als Scheinrechnungen, besteht kein Anlass für die Schätzung von Betriebsausgaben, wenn der Steuerpflichtige insoweit keine Angaben zu den Empfängern (hier Subunternehmer oder Hilfsarbeiter) macht.
Überschrift: Abgabenordnung/Einkommensteuergesetz: Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist/Keine Schätzung von Betriebsausgaben bei Vorlage von Scheinrechnungen

Tatbestand:

Streitig ist in formeller Hinsicht, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist erfüllt sind. Materiell besteht Streit über die Höhe der Betriebsausgaben.
Der Kläger lebt seit 1989 in Deutschland und ist hier seit 1999 gewerblich tätig. Für die Streitjahre erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 14.272 € (Einnahmen lt. Gewinnermittlung 28.887,90 €, Ausgaben 14.615,87 €) für 2003 und in Höhe von 17.132 € (Einnahmen lt. Gewinnermittlung 64.391,80 €, Ausgaben 47.275,32 €) für 2004. Das seinerzeit zuständige Finanzamt A verzichtete gem. § 156 der Abgabenordnung (AO) auf die Festsetzung von Einkommensteuer. Im Januar 2008 wurde ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger für 2003 eingeleitet und im Juni 2008 auf 2004 erweitert. Aufgrund der Erkenntnisse der Steuerfahndung berücksichtigte der Beklagte mit Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden vom 12.10.2009 für 2003 einen Gewinn von 74.110 € und für 2004 von 84.459 €. Die Bescheide waren an den Kläger persönlich adressiert. Mit beim Beklagten am 15.12.2009 eingegangenem Schriftsatz legitimierte sich der jetzige Verfahrensbevollmächtigte für den Kläger und beantragte Aussetzung der Vollziehung, weil „über die Steuerfestsetzungen für 2003 und 2004“ noch streitig zu verhandeln sein werde und erbat eine Frist für die Sachverhaltsaufklärung bis zum 15.01.2010.

Mit beim Beklagten am 18.01.2010 eingegangenem Schriftsatz vom 12.01.2010 beantragte der Klägervertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfristen. Der Kläger habe sich seit mehreren Jahren von Dipl. Kaufmann B, …, vertreten lassen, ohne zu wissen, dass dieser kein öffentlich bestellter Steuerberater gewesen sei. Dieser habe die buchhalterischen Aufgaben erfüllt und den Kläger auch in allen steuerlichen Angelegenheiten beraten und dabei den Eindruck erweckt, hierzu auch berechtigt zu sein. Diesen habe der Kläger beauftragt, Einsprüche gegen die Bescheide einzulegen. Erst am 15.12.2009 habe der Kläger auf energisches Nachfragen erfahren, dass Einsprüche nicht eingelegt worden seien. In der Sache beantragte der Klägervertreter die Änderung der Bescheide, weil bislang nicht berücksichtigte Betriebsausgaben in Ansatz zu bringen seien. Die von der Steuerfahndung festgestellten Aufträge habe der Kläger nicht alleine ausführen können und hierfür Subunternehmer eingesetzt. Erst jetzt habe der Kläger Rechnungen von Subunternehmern gefunden, die noch zu berücksichtigen seien. Für 2003 berief sich der Kläger auf drei Rechnungen in Höhe von insgesamt 50.112,00 €, für 2004 auf drei Rechnungen in Höhe von insgesamt 48.520 ,00 €.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011 gewährte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und setzte die Steuer niedriger fest unter Zurückweisung der Einsprüche im Übrigen. Zwar seien die vorgelegten Rechnungen der Firma C als Scheinrechnungen zu qualifizieren, es bestünden aber gewisse Unsicherheiten beim Betriebsausgabenabzug. Für 2004 seien daher weitere Betriebsausgaben in Höhe von 9.000 € zu berücksichtigen. Am 05.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Hinsichtlich der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Kläger während des Klageverfahrens am 22.05.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt, nachdem im Erörterungstermin vom 25.04.2012 angesprochen worden war, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 18.01.2010 verspätet eingegangen sei. Zur Begründung trägt der klägerische Verfahrensbevollmächtigte vor, er habe davon ausgehen können, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 12.01.2010, der ausweislich des Postausgangsbuchs am 12.01.2010 abgesandt worden sei, innerhalb der gesetzlichen Frist beim Finanzamt eingehen werde. In seinem Büro sei sichergestellt, dass die Post an den Tagen, wie im Posteingangsbuch eingetragen, abgesandt werde.
In der Sache trägt der Klägervertreter vor, die Beauftragung von Subunternehmern sei erforderlich gewesen, weil der Kläger allein das Auftragsvolumen nicht habe bewältigen können. Hiervon gehe ersichtlich auch die Steuerfahndung aus, die Betriebsausgaben von 117.000 € im Zusammenhang mit der Einschaltung des Subunternehmers D anerkannt habe. Die jetzt streitigen Rechnungen des Subunternehmers E seien ebenfalls zum Betriebsausgabenabzug zuzulassen. Zwar seien sie auf inkorrekten Formularen erstellt worden, der C, die 2003 und 2004 nicht existent gewesen sei. Der Kläger habe aber den Kontakt unmittelbar zu E als seinem Subunternehmer gehabt und in gutem Glauben handelnd die Rechnungen akzeptiert, weil E als Geschäftsführer ausgewiesen gewesen sei. Dieser habe den Erhalt der Beträge -insgesamt 98.632 €– auch persönlich bestätigt. Nur weil die ursprünglichen Rechnungen verloren gegangen seien, seien nachträglich die Rechnungen nochmals erstellt worden. Soweit der Beklagte die Authentizität der Unterschriften von E in Zweifel gezogen habe, verkenne er, dass auch die Druckbuchstaben der Unterschrift eine individuelle Zuordnung ermöglichten, auch wenn sie nicht so akkurat ausgeführt worden sei wie die Vergleichsprobe aus den Handelsregisterunterlagen.

Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe der Kläger mangels steuerlicher Beratungshilfe die für ihn günstigen Umstände nicht vortragen können. Er habe sich zudem als Ausländer unsicher gefühlt.
Der Kläger beantragt, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist die Einkommensteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbescheide für 2003 und 2004, jeweils vom 12.10.2009, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Gewinn aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in 2003 von 56.756 € und in 2004 von 53.243 € berücksichtigt wird.

der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger die geltend gemachten Betriebsausgaben nicht nachgewiesen habe. Während der Vernehmung im Steuerfahndungsverfahren habe der Kläger angegeben, die Namen seiner vier bis fünf Subunternehmer nicht nennen zu können. Erstmals im Einspruchsverfahren habe er sich für die Geltendmachung weiterer Betriebsausgaben auf nunmehr nach diversen Umzügen aufgefundene Eingangsrechnungen der Firma C berufen. Diese Rechnungen seien aber nicht unter ihrem Ausstellungsdatum verfasst worden, denn die C GmbH sei erst später am … 2006 in das Handelsregister eingetragen worden. Dies habe der Kläger damit zu erklären versucht, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer der C GmbH, E, als Einzelunternehmer für ihn tätig geworden sei und ihn getäuscht habe. Insoweit habe der Kläger weder neue Rechnungen von E noch die angekündigte eidesstattliche Versicherung des E vorgelegt. Auch die vorgelegten Quittungen von E seien unzulänglich.

Der Kläger habe zudem das Verlangen nach Empfängerbenennung gem. § 160 der Abgabenordnung (AO) nicht erfüllt. Im Zusammenhang mit E existierten vier Handelsregistereintragungen, die dort hinterlegten Unterschriften von E stimmten nicht mit denen auf den Eingangsrechnungen überein (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 22.07.2011 und 02.09.2011 Bezug genommen).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird im Übrigen auf die Sitzungsniederschriften über den Erörterungstermin und die Senatssitzung Bezug genommen.
Die den Kläger betreffenden Einkommen- und Gewerbesteuerakten zur Steuernummer …/…/… nebst RB-Akten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Die Klage ist bereits in formeller Hinsicht unbegründet. Es fehlt an der für die Klage erforderlichen Sachurteilsvoraussetzung der Zulässigkeit des Einspruchs. Der Einspruch gegen die angegriffenen Bescheide ist verspätet eingelegt worden, die
Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt.
a) Gem. § 110 Abs. 1 AO kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden, § 110 Abs. 2 AO. Die in diesem Verfahren streitigen Bescheide vom 12.10.2009 gelten gem. § 122 AO als am 15.10.2009 bekannt gegeben; die gem. § 355 Abs. 1 AO einen Monat betragende Einspruchsfrist lief damit am Montag, den 16.11.2009 ab (§ 108 Abs. 3 AO). Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist beantragt hat der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 12.01.2010, der am 18.01.2010 beim Beklagten eingegangen ist. Am 18.01.2010 war die Wiedereinsetzungsfrist aber bereits abgelaufen. Diese begann am 15.12.2009 zu laufen, denn an diesem Tage hatten der Kläger und sein Bevollmächtigter erfahren, dass der vormalige Bevollmächtigte des Klägers es versäumt hatte, Einspruch einzulegen. Daraufhin hatte sich der jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers am 15.12.2009 beim Beklagten gemeldet und Aussetzung der Vollstreckung beantragt, weil „über die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuern 2003 und 2004 noch streitig zu verhandeln sein wird“. Zugleich beantragte er „für die genaue Sachverhaltsaufklärung und Darstellung“ eine Frist bis 15.01.2010.
Der Beklagte hat zwar mit der Einspruchsentscheidung das Schreiben vom 15.12.2009 als Einspruch gewertet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Diese Entscheidung bindet das Gericht aber nicht, weil es die Sachurteilsvoraussetzungen, zu denen auch die Rechtzeitigkeit des Einspruchs gehört, von Amts wegen zu prüfen hat. Tatsächlich kann das Schreiben vom 15.12.2009 aber nicht als Einspruch gewertet werden. Es ist von einem mit dem Verfahrensrecht vertrauten Berufsträger verfasst worden und bezieht sich allein auf einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung. Verbunden ist dieser Antrag lediglich mit der Bitte um Einräumung einer Frist für die Sachverhaltsaufklärung und die weitere Darstellung. Dass der Verfahrensbevollmächtigte dieses Schreiben selbst nicht als Einspruch verstanden wissen wollte, zeigt sich daran, dass er erst mit dem am 18.01.2010 eingegangenen Schriftsatz vom 12.01.2010 Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung hat. Selbst wenn in Übereinstimmung mit dem Beklagten das Schreiben vom 15.12.2009 als Einspruch gewertet würde, wären die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt, weil innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 2 AO der Antrag nicht begründet und glaubhaft gemacht worden ist.

b) Allerdings kann auch wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (Bundesfinanzhof -BFH– vom 25.01.1989 V B 143/87, BFH/NV 1989, 705; vom 19.08.1992, V B 27792, BFH/NV 1993, 480). Im Streitfall sind die Voraussetzungen hierfür aber nicht erfüllt.
Der klägerische Verfahrensbevollmächtigte hat nach einem Hinweis auf den verspäteten Eingang des Wiedereinsetzungsantrages im Erörterungstermin vom 25.04.2012 am 22.05.2012 einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag gestellt unter Hinweis darauf, dass er angesichts der Aufgabe zur Post seines Schriftsatzes vom 12.01.2009 noch am selben Tage mit einem rechtzeitigen Eingang beim Beklagten habe rechnen können. Die Aufgabe zur Post hat er durch Vorlage seines Postausgangsbuchs belegt. Allerdings kann auch insoweit Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn es an einem Verschulden für die Fristversäumnis fehlt und der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Klägervertreter hat den Wiedereinsetzungsantrag zwar binnen eines Monats nach dem Erörterungstermin gestellt, in dem über die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist gesprochen worden ist. Tatsächlich begann diese Wiedereinsetzungsfrist aber bereits früher zu laufen, und zwar mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011, d. h. am 17.06.2011. Denn im Tatbestand dieser Einspruchsentscheidung heißt es, dass der Wiedereinsetzungsantrag am 18.01.2010 gestellt worden sei.

Das Gericht verkennt nicht, dass es angesichts des Umstandes, dass der Beklagte mit eben dieser Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung gewährt hatte, einer gewissen Umsicht bedurfte, wahrzunehmen, dass die Wiedereinsetzungsfrist versäumt war und die Beantragung von Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist geboten gewesen wäre. Gleichwohl beginnt die Frist zu laufen, wenn der Beteiligte bei sorgfältiger Prüfung die Fristversäumnis hätte erkennen können und müssen (vgl. z. B. BFH v. 18.02.2004 I R 45/03, BFH/NV 2004, 1108; vom 22.08.2006 I R 24/05, BFH/NV 2007, 63). Bei sorgfältiger Lektüre des Tatbestandes der Einspruchsentscheidung hätte ohne weiteres erkannt werden können, dass der Wiedereinsetzungsantrag verspätet eingegangen war. Als mit dem Verfahrensrecht vertrauten Steuerberater hätte der Klägervertreter wissen müssen, dass die -möglicherweise irrige- Gewährung von Wiedereinsetzung in der Einspruchsentscheidung keine Bindungswirkung für das Gericht entfaltet.

II. Die Klage ist aber auch aus materiellen Gründen abzuweisen. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Die angegriffenen Bescheide verletzen den Kläger folglich nicht in seinen Rechten.
Die für die Streitjahre zusätzlich geltend gemachten Betriebsausgaben aus den Rechnungen der C GmbH sind nicht zum Abzug zuzulassen. Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 der Finanzgerichtsordnung -FGO) davon überzeugt, dass es sich um Scheinrechnungen handelt, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt.

Im Einzelnen gilt Folgendes:
Sämtliche Rechnungen, datierend aus 2003 und 2004, sind unter dem Briefkopf der C GmbH verfasst worden, die erst im Juli 2006 gegründet und am … 2006 in das Handelsregister eingetragen worden ist. Auch die auf zwei Rechnungen mit Datum versehenen Vermerke über den Erhalt des Rechnungsbetrages in bar datieren vom 15.11.2003 und 23.05.2004. Somit handelt es sich bei diesen Rechnungen um Fälschungen bzw. schriftliche Lügen. Die hierzu vom Kläger unterbreitete Erläuterung vermag den Senat nicht zu überzeugen.

Der Kläger hat sich in der Klageschrift darauf berufen, er habe mit E als Subunternehmer kontrahiert, der mit unterschiedlichen GmbH unternehmerisch tätig gewesen sei und der ihm den Erhalt der vereinbarten Entgelte bestätigt habe, allerdings auf unzutreffenden Rechnungsformularen der C GmbH. Er, der Kläger, habe bei Erhalt der Rechnungen nicht wissen können, dass die C GmbH zu diesem Zeitpunkt noch nicht existent gewesen sei und die Rechnungen gutgläubig akzeptiert. Diese Darstellung macht schon deshalb keinen Sinn, weil E 2003 und
2004 noch nicht die in den Rechnungsformularen aufgeführte Handelsregisternummer aus dem Jahr 2006 kennen konnte. Somit kann der Kläger in den Streitjahren diese Rechnungen nicht erhalten haben.
Im Erörterungstermin hat der Kläger dann angegeben, die ursprünglichen Rechnungen seien verloren gegangen. Deshalb habe er E gebeten, die Rechnungen nochmals zu schreiben und die Barzahlung handschriftlich zu quittieren. Diese Rechnungen habe er dann zu seinem Verfahrensbevollmächtigten gebracht. Abgesehen davon, dass es wenig überzeugend ist, dass der „Ersatz“ für verloren gegangene Rechnungen auf dem Briefpapier einer GmbH erfolgt, die es zur Zeit der Ausführung der Arbeiten nicht gab, und die Rechnung keinerlei Hinweis darauf enthält, dass es sich um eine Ersatzrechnung handelt, steht dieser Vortrag auch im Widerspruch zu dem Vorbringen im Rechtsbehelfsverfahren. Hier hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.05.2010 vortragen lassen, seine Buchhaltungsunterlagen seien durch zwei trennungsbedingte Umzüge in 2003 und 2004 an verschiedenen Stellen aufbewahrt worden, deshalb habe er die in Rede stehenden Eingangsrechnungen erst jetzt, d. h. während des Rechtsbehelfsverfahrens, gefunden. Er habe die Eingangsrechnungen abgelegt, weil er sie zunächst als durchlaufende Posten für steuerlich irrelevant angesehen habe.
Darüber hinaus weisen die Rechnungen weitere gravierende Unstimmigkeiten auf, die die Einordnung als Scheinrechnungen bestätigen:

Die Rechnung des Klägers vom 05.01.2004 an F, enthält eine außerordentlich detaillierte Leistungsbeschreibung über Putzarbeiten u. Ä., im Anschriftenfeld wird als Absender aber nicht der Kläger genannt, sondern „Hans Mustermann“ aus Musterstadt, die Zeile für die Bankverbindung ist nicht ausgefüllt, der Ort des Bauvorhabens wird ebenso wenig genannt wie der Zeitraum der Leistungserbringung. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dieser Ausgangsrechnung nicht um eine authentische Rechnung des Klägers, sondern um ein mutmaßlich aus dem Internet heruntergeladenes Rechnungsmuster. Insoweit weisen auch alle anderen Rechnungen des Klägers keine vergleichbar detaillierte Leistungsbeschreibung auf. Die dazu gehörige Eingangsrechnung vom 03.01.2004 schlüsselt die Leistungen nicht annähernd so detailliert auf, Leistungszeitraum und Bauvorhaben werden ebenfalls nicht genannt.
Im Falle der Ausgangsrechnung an die Firma Gerüstbau G datieren Ausgangs-und Eingangsrechnung vom selben Tag, Schreibfehler bei den vermeintlichen Einsatzstellen stimmen in beiden Rechnungen überein: die Straße Juhafenstraße existiert nicht. Ebenso verhält es sich bei der Ausgangsrechnung vom 30.10.2003 und der zugehörigen Eingangsrechnung vom 28.10.2003, hier wird in beiden Rechnungen die nichtexistente Straße Lasseler Damm (möglicherweise gemeint sein dürfte der Y- Damm) genannt. Diese Fehler legen die Annahme nahe, dass die Einsatzorte für die Scheinrechnungen nur abgeschrieben worden sind, ohne dass Leistungen erbracht wurden.
Auch der Umstand, dass sämtliche Rechnungen bar beglichen sein sollen bestärkt die Annahme von Scheinrechnungen. Denn es handelt sich zum Teil um sehr hohe Beträge von über 20.000 €. Zudem sollen ausweislich der mit Datum versehenen Quittungen die Barzahlungen umgehend, noch vor Weiterbelastung der Beträge an die Kunden des Klägers erfolgt sein. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der sehr unterschiedliche Gewinnaufschlag auf die Leistungen der Eingangsrechnungen gegenüber dem Empfänger der Ausgangsrechnung, hier ergibt sich eine Bandbreite von 25 % bis zu 5,7 %. Keine plausible Erklärung gibt es auch dafür, dass der Kläger im Ermittlungsverfahren angegeben hat, Betriebsausgaben nur in Höhe von ca. 2000 € gehabt und vier bis fünf Subunternehmer beschäftigt zu haben, deren Namen er nicht mehr nennen könne. Wenn E tatsächlich die in den streitigen Eingangsrechnungen bezeichneten Leistungen erbracht hätte, ist es nicht vorstellbar, dass sich der Klägerin angesichts des beträchtlichen Leistungsumfanges in den Rechnungen hieran nicht mehr erinnern konnte.
Soweit sich der Kläger schließlich darauf berufen hat, die geltend gemachten zusätzlichen Betriebsausgaben seien in jedem Fall angefallen und zu berücksichtigen, weil er die erzielten Erlöse, beispielsweise aus Gerüstbauarbeiten, unmöglich alleine habe erwirtschaften können, trifft schon diese Prämisse nicht zu. Der Beklagte hat im Einzelnen in der Einspruchsentscheidung dargestellt, dass es dem Kläger durchaus möglich gewesen sein könnte, die Leistungen selbst zu erbringen. Überdies ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Kläger anderer Hilfskräfte bedient hat. Insoweit ist er aber dem Benennungsverlangen des Beklagten gem. § 160 AO nicht nachgekommen, so dass ein weiterer Betriebsausgabenabzug –ggfs. auch auf der Grundlage einer Schätzung– nicht in Betracht kommt.
Nach alledem kommt ein Betriebsausgabenabzug aus den streitigen Rechnungen nicht in Betracht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Finanzgericht schätzt Umsatz und Gewinn aufgrund eigener Schätzungsbefugnis und bestätigt Gewerbesteuerpflichtigkeit

Im Streitfall war die Klägerin als Prostituierte tätig und mietete sich hierfür in einem sog. Laufhaus ein Zimmer. Steuern zahlte sie nicht und gab auch keine Steuererklärungen ab. Als sich im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen wegen Betrugstaten bei ihr Preislisten und Quittungen fanden, schätzte das Finanzamt Umsätze zwischen 170.000 € bis 320.000 € pro Jahr und erließ Steuerbescheide für Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer über mehrere Jahre.

Die Klägerin wandte sich an das Finanzgericht Hamburg. Die Schätzungen seien völlig überhöht, zumal sie nur tageweise gearbeitet habe. Die Klägerin reichte nun Steuererklärungen ein, nach denen sie maximal 17.200 € pro Jahr eingenommen haben wollte. Die Klägerin meinte zudem, als Kleinunternehmerin unterliege sie nicht der Umsatzsteuer und habe auch keine Gewerbesteuern zu zahlen.
Dem ist der 2. Senat in seinem Urteil nicht gefolgt. Trotz ihrer inzwischen eingereichten Steuererklärungen sei die Klägerin zu schätzen, weil sie keine nachvollziehbaren Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben vorgelegt habe. Der 2. Senat ging von 48 Arbeitswochen pro Jahr und Tageseinnahmen von durchschnittlich 500 € aus, die die Klägerin nach den aufgefundenen Quittungen mit ein bis drei Kunden habe erzielen können, und berechnete einen Umsatz der Klägerin von jährlich 120.000 €. Unter Berücksichtigung der Zimmermiete von täglich 120 € und geschätzten weiteren Betriebsausgaben von 5.000 € verblieb ein Gewinn von 85.000 € pro Jahr. Der 2. Senat stellte nach Vernehmung eines Milieubeamten und des Zimmervermieters fest, dass die Klägerin auf eigene Rechnung gearbeitet und in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Das Laufhaus sei kein eigenständiger Bordellbetrieb. Weil die Klägerin selbst in Abrede genommen hatte, Zahlungen an einen Zuhälter abgeführt zu haben, konnte das Gericht auch keine weiteren Betriebsausgaben schätzen.

Mit dem 3. Senat des Bundesfinanzhofs bejahte der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg die Gewerbesteuerpflicht. Eigenprostitution sei ein Gewerbebetrieb, denn die Prostituierten beteiligten sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und böten ihre Leistungen am Markt an. Die entgegenstehende Rechtsprechung, die auf einem Urteil des Großen Senats des Bundesfinanzhofs von 1964 beruht, sei überholt. Der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat in seinem Urteil (Az.: 2 K 169/11) die Revision nicht zugelassen. Da die Beschwerdefrist noch läuft, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Vorsteuerabzug auch bei sogenannter unregelmäßiger Einfuhrumsatzsteuer

In Abkehr von der seit jeher in Deutschland geübten Praxis hat der 5. Senat entschieden, dass eine „Einfuhr für das Unternehmen“ i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraussetzt, dass der den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) als Vorsteuer begehrende Unternehmer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand inne-hat. Auch die gegenüber dem Inhaber eines Zolllagers nach Art. 203, 204 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG wegen zollrechtlicher Pflichtverletzungen festgesetzte sog. unregelmäßige Einfuhrumsatzsteuer kann bei diesem als Vorsteuer abzugsfähig sein.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren u.a. ein Zolllager Typ C. Neben der Lagerung der Waren übernahm sie für ihren Hauptkunden auch die zollrechtliche Abwicklung. Auftragge-ber des Hauptkunden waren überwiegend Unternehmen aus Osteuropa, die die Waren i.d.R. an Abnehmer aus osteuropäischen Staaten weiterverkauften. An das Zolllagerverfah-ren schloss sich jeweils ein Versandverfahren bzw. Verfahren Carnet TIR an. Die Zollan-meldungen erfolgten mittels eines Zolldeklaranten und nicht im Namen und für Rechnung der Klägerin. Eigentum an den von ihr eingelagerten Waren erlangte die Klägerin nicht. Bei einer Prüfung stellte der Zoll Unregelmäßigkeiten fest. Wegen Entziehung von einfuhrabga-bepflichtigen Waren aus der zollamtlichen Überwachung i.S.v. Art 203 Abs. 1 ZK und Ver-letzung von Pflichten aus der Inanspruchnahme des Zolllagerverfahrens i.S.v. Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK erließ das Hauptzollamt (HZA) verschiedene Einfuhrabgabenbescheide, mit denen es u.a. EUSt festsetzte. Die Bescheide ergingen (ausschließlich) an die Klägerin als Schuldnerin der Einfuhrabgaben. Klagen gegen die Einfuhrabgabenbescheide sind z.T. noch anhängig. EUSt entrichtete die Klägerin bislang nur in rechtskräftig durch Urteile fest-gesetzter Höhe.

Mit ihrer Umsatzsteuererklärung und ihrer Klage machte die Klägerin die festgesetzte EUSt als Vorsteuer geltend, deren Anerkennung der Beklagte verwehrte.

Der 5. Senat stellt in seinem Urteil vom 19.12.2012 (5 K 302/09) zunächst fest, das Recht zum Vorsteuerabzug setze entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraus, dass die EUSt entrichtet ist. Hinreichend sei, dass sie festgesetzt worden sei, wobei der Senat ausdrücklich offen lässt, ob die EUSt tatsächlich entstanden ist. Soweit § 15 Abs. 1 NR. 2 UStG die Entrichtung der EUSt voraussetze, stehe die Vorschrift nicht im Einklang mit Art. 168 Buchst. e und Art. 178 Buchst. e MwStSystRL und sei daher insoweit nicht an-wendbar. In Abweichung von Abschn. 15.8 Abs. 4 UStAE und von der bisherigen, nach Ansicht des 5. Senats überholten Rechtsprechung kommt er zu dem Ergebnis, bei richtlinien-konformer Anwendung und Auslegung von § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG könne auch ein Zolllagerinhaber zum Vorsteuerabzug von EUSt berechtigt sein. Der Senat stellt heraus, dass die Entstehung der EUSt – anders als für USt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG – nicht durch eine Lieferung der Gegenstände, sondern durch deren Einfuhr ausgelöst werde, nämlich der Verbringung eines Gegenstandes in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr eines Mitgliedstaats der Union. Dieser Vorgang sei unabhängig von der eigentümerähnlichen Verfügungsmacht, wie eine Lieferung sie voraussetze, und von einem entsprechenden Herrschaftswillen des Handelnden. Weil die Gegenstände, für deren Einfuhr die hier streitige Mehrwertsteuer geschuldet werde, für das Unternehmen bzw. für Zwecke der besteuerten Umsätze der Klägerin verwendet worden seien – ohne die eingeführten Gegenstände hätte sie keine Lagerleistungen erbringen können -, gebiete der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer auch bei ihr die Abzugsfähigkeit.
Gegen das Urteil ist Revision eingelegt worden, Az. des BFH V R 8/13.

Verfassungswidrigkeit der Kernbrennstoffsteuer?

Finanzgericht Hamburg legt dem Bundesverfassungsgericht das Kernbrennstoffsteuergesetz zur Überprüfung vor

Die Klägerin wechselte im Juli 2011 in dem vor ihr betriebenen Kraftwerk die Kernbrennstäbe, berechnete pflichtgemäß die Kernbrennstoffsteuer (KernbrSt) und gab beim für sie zuständigen Hauptzollamt eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro ab, wendet sich aber mit ihrer Klage gegen die Steuer.

Aufgrund erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG hatte das FG Hamburg der Klägerin bereits mit Beschluss vom 16.9.2011 (Az. 4 V 133/11) vorläufigen Rechtsschutz gewährt, der allerdings vom Bundesfinanzhof aus formellen Gründen wieder aufgehoben wurde. In weiteren Eilverfahren hat bisher neben dem 4. Senat auch das Finanzgericht München ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der KernbrSt geäußert, wohingegen das Finanzgericht Baden-Württemberg das Gesetz für verfassungsgemäß gehalten hat.

Der Vorlagebeschluss des 4. Senats vom 29.1.2013 (Az. 4 K 270/11) ist bundesweit die ers-te Entscheidung in einem Klageverfahren gegen die im Jahr 2011 als Verbrauchsteuer ein-geführte KernbrSt.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens am 29. Januar 2013 hat der Präsident des Finanzgerichts Hamburg und Vorsitzende des 4. Senats Schoenfeld den Beschluss des Senats verkündet. Aus der mündlichen Begründung:
Der vorlegende Senat sei von der formellen Verfassungswidrigkeit des KernbrStG überzeugt. Der Bund habe die sich aus Art. 105, 106 GG ergebende Gesetzgebungskompetenz für Ver-brauchsteuern nicht in Anspruch nehmen können, weil die KernbrSt weder eine herkömmliche Verbrauchsteuer sei noch die Typusmerkmale einer Verbrauchsteuer erfülle. Prägendes Wesensmerkmal der Verbrauchsteuern sei insbesondere ihr Ziel, den privaten Verbraucher zu belasten. Auch wenn Verbrauchsteuern typischerweise nicht unmittelbar beim Konsumenten erhoben würden, sondern indirekt beim Handel oder bei der Industrie, müssten sie doch darauf angelegt sein, auf den Konsumenten abgewälzt zu werden. Dies sei bei der KernbrSt nicht der Fall. Schon in der Begründung des KernbrStG sei festgehalten worden, dass eine Überwälzung der Steuer allenfalls in geringem Umfang möglich sein werde. Eine Betrachtung des Strommarktes bestätige erwartungsgemäß, dass die KernbrSt auf die Strompreisbildung ohne Einfluss geblieben sei. Wie Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren belegten, werde mit der KernbrSt das Ziel verfolgt, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen. Dem Bund stehe auch im Übrigen keine (alleinige) Gesetzgebungskompetenz zur Einführung der KernbrSt zur Verfügung.

Zur Verfassungsmäßigkeit der KernbrSt im Übrigen – die Klägerin rügt insbesondere noch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die Verletzung der Eigentumsgarantie – hat sich der 4. Senat nicht geäußert; sie wird vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Nor-menkontrollverfahrens von Amts wegen zu prüfen sein. Eine Überprüfung, ob das KernbrStG gegen höherrangiges Europarecht verstößt – etwa gegen Beihilfevorschriften oder den Euratom-Vertrag – hat der 4. Senat zunächst zurückgestellt.
Die schriftliche Begründung des Beschlusses lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin