Gewerbesteuer | Prostituierte erzielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (BFH)

Keine sonstigen Einkünfte selbständig tätiger Prostituierter

 Leitsatz

Selbständig tätige Prostituierte erzielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Aufgabe des BFH-Urteils vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S , BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500).

 Tatbestand

1    A.   Vorgelegte Rechtsfrage, Sachverhalt und Ausgangsverfahren,

Anrufungsbeschluss des III. Senats

2    I. Vorgelegte Rechtsfrage

3  Der III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluss vom 15. März 2012 III R 30/10 (BFHE 237, 421 , BStBl II 2012, 661) dem Großen Senat gemäß § 11 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

4  Erzielen Prostituierte (sog. Eigenprostitution) Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder sonstige Einkünfte?

5    II. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

6  Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war seit dem Streitjahr (2006) als Prostituierte tätig und bot Dritten die Ausübung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt in einer eigens dafür gemieteten Wohnung an. Ihre Betriebseinnahmen beliefen sich im Streitjahr einschließlich der Umsatzsteuer auf etwa 64.000 € und die Betriebsausgaben auf ca. 26.000 €. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) behandelte den aus der Prostitution erzielten Gewinn in Höhe von 38.115 € nicht —wie erklärt— als sonstige Einkünfte, sondern als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und setzte den Gewerbesteuermessbetrag auf 152 € fest.

7  Die Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht entschied mit Urteil vom 14. April 2010 8 K 1846/07 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 318 ), dass die Klägerin Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt habe, und hob den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag auf. Zur Begründung verwies es insbesondere auf das BFH-Urteil vom 23. Juni 1964 GrS 1/64 S (BFHE 80, 73 , BStBl III 1964, 500), wonach aus „gewerbsmäßiger Unzucht” sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 3 EStG erzielt würden. An dieser Auffassung sei trotz veränderter Umstände festzuhalten (so auch BFH-Urteile vom 28. November 1969 VI R 128/68 , BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185; vom 17. April 1970 VI R 164/68, BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620).

8  Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Meinung, die Klägerin habe aus ihrer Tätigkeit als Prostituierte gewerbliche Einkünfte erzielt.

9    III. Vorlagebeschluss des III. Senats

10  Der III. Senat teilt die Auffassung des FA und beabsichtigt daher, der Revision des FA stattzugeben. Da diese Ansicht vom Urteil des Großen Senats des BFH in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 abweiche, sei eine erneute Klärung dieser im Streitfall entscheidungserheblichen Rechtsfrage erforderlich (§ 11 Abs. 2 FGO ).

 Gründe

    B. Entscheidung des Großen Senats zu Verfahrensfragen

    I. Keine mündliche Verhandlung

13  Der Große Senat entscheidet gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, weil eine weitere Förderung der Entscheidung durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten ist. Die Vorlagefrage und die Auffassungen, die dazu in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten werden, sind im Vorlagebeschluss eingehend dargestellt worden. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, zu der Vorlagefrage Stellung zu nehmen.

    II. Zulässigkeit der Vorlage

15  Die Vorlage des III. Senats ist zulässig.

16  1. Der vorlegende Senat ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine Pflicht zur Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat besteht. Das Urteil des Großen Senats in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 ist vor Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung (31. Dezember 1965) ergangen. Da es jedoch gemäß § 64 der Reichsabgabenordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Mai 1931 (RGBl I 1931, 161) veröffentlicht wurde, ist die Anrufung des Großen Senats gleichwohl erforderlich (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO i.d.F. vom 6. Oktober 1965, BGBl I 1965, 1477 ; vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 11 Rz 7).

17  2. Die gemäß § 11 Abs. 3 FGO vorgesehene Anfrage bei anderen Senaten war nicht erforderlich. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO ist eine Vorlage an den Großen Senat nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Zwar hat der VI. Senat mit Urteilen in BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185 und in BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620 entschieden, selbständig tätige Prostituierte erzielten sonstige Einkünfte. Eine Anfrage war aber deshalb entbehrlich, weil hierdurch die Divergenz zum Urteil des Großen Senats in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 nicht beseitigt werden könnte. Will der erkennende Senat von einer Entscheidung des Großen Senats des BFH abweichen, muss er die Rechtsfrage dem Großen Senat des BFH erneut vorlegen. Eine Anfrage bei allen anderen Senaten des BFH kommt ebenso wenig in Betracht wie eine Anfrage beim Großen Senat selbst, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhalte (Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 11 FGO Rz 44; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , § 11 FGO Rz 10; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO § 11 Rz 18; Dumke in Schwarz, FGO § 11 Rz 18; wohl auch BFH-Beschluss vom 24. Juni 1985 GrS 1/84, BFHE 144, 124 , BStBl II 1985, 587). Der in § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO angesprochene „Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll”, ist stets (nur) ein Fachsenat, nicht aber der Große Senat selbst.

18  3. Die Vorlage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Große Senat bereits durch Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500   über die aufgeworfene Rechtsfrage entschieden hat.

19  a) Nach der Rechtsprechung des Großen Senats ist eine erneute Vorlage derselben Rechtsfrage an ihn nur zulässig, falls in der Zwischenzeit neue rechtliche Gesichtspunkte aufgetreten sind, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt werden konnten, und/oder neue Rechtserkenntnisse eine andere Beurteilung der entschiedenen Rechtsfrage rechtfertigen könnten (BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1971 GrS 4/70, BFHE 101, 13 , BStBl II 1971, 207; in BFHE 144, 124 , BStBl II 1985, 587).

20  b) Gegen diese Auffassung wird vorgebracht, § 11 FGO enthalte derlei Einschränkungen für die erneute Vorlage einer Rechtsfrage an den Großen Senat nicht. § 11 Abs. 7 Satz 3 FGO erkläre im Gegenteil die Entscheidung des Großen Senats nur in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat als bindend, woraus sich im Gegenschluss ergebe, dass eine erneute Vorlage in einer anderen Sache selbst für den vorlegenden Senat möglich wäre (zur Kritik vgl. Brandis in Tipke/Kruse, a.a.O., § 11 FGO Rz 11; Gräber/Ruban, a.a.O., § 11 Rz 34; Sunder-Plassmann in HHSp, § 11 FGO Rz 45). Die Auffassung berge überdies die Gefahr der Rechtserstarrung (Gräber/Ruban, a.a.O., § 11 Rz 34).

21  c) Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Große Senat an seiner bisherigen Auffassung zur Zulässigkeit heute noch festhalten könnte (offengelassen bereits im BFH-Beschluss in BFHE 144, 124 , BStBl II 1985, 587). Denn die erneute Vorlage der Rechtsfrage, ob selbständig tätige Prostituierte sonstige Einkünfte oder gewerbliche Einkünfte erzielen, ist jedenfalls schon deshalb zulässig, weil seit der Entscheidung des Großen Senats mehr als 45 Jahre vergangen sind, Verwaltung und Literatur einhellig die Auffassung vertreten, Prostituierte erzielten gewerbliche Einkünfte (s. C.I.2. und 3.), und sich überdies die rechtlichen Rahmenbedingungen —wie im Einzelnen aus dem Beschluss des vorlegenden III. Senats in BFHE 237, 421 , BStBl II 2012, 661 ersichtlich— für die Ausübung der Prostitution seither geändert haben.

    III. Entscheidungserheblichkeit

23  Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des III. Senats erheblich. Würde der Große Senat an seiner Entscheidung in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500   festhalten, wäre der III. Senat gehindert, der Revision des FA —wie beabsichtigt— stattzugeben.

    C. Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage

25  Der Große Senat entscheidet die vorgelegte Rechtsfrage im Sinne der Auffassung des vorlegenden Senats.

    I. Entwicklung der Rechtsprechung, Auffassung der Literatur und Verwaltung

27  1. Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Behandlung der Einkünfte aus Prostitution ist im Vorlagebeschluss in BFHE 237, 421 , BStBl II 2012, 661 wiedergegeben.

28  2. Die Verwaltung ist der Auffassung, dass selbständig tätige Prostituierte Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen. So hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in vorliegendem Verfahren zwar nicht seinen Beitritt erklärt, jedoch mitgeteilt, die Auffassung des vorlegenden III. Senates werde von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder schon seit längerer Zeit vertreten (vgl. z.B. Verfügung der Oberfinanzdirektion Düsseldorf vom 30. Juli 2004 S 2240 A – St 11, EStG -Kartei NW § 15 (1) Nr. 1 EStG Nr. 802 in Übereinstimmung mit einem Beschluss der Referenten des Bundes und der Länder). Die im Vorlagebeschluss für diese Rechtsauffassung angeführten Argumente seien aus Sicht des BMF zutreffend.

29  3. In der Literatur wird allgemein die Ansicht vertreten, selbständig tätige Prostituierte erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb (z.B. Schön in Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi [Hrsg.], Festschrift K. Vogel, 2000, S. 661, 668; Fischer, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2000, 1342; ders. in Kirchhof, EStG , 11. Aufl., § 22 Rz 69; Schmidt/Weber-Grellet, EStG , 32. Aufl., § 22 Rz 150 „Prostitution”; Blümich/Bode, § 15 EStG Rz 17, und Blümich/Nacke, § 22 EStG Rz 168 „Gewerbsmäßige Prostitution”; Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Rz 1059; Reiß in Kirchhof, a.a.O., § 15 Rz 34; Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz , § 2 Rz 259; Leisner, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG , § 22 Rz D 179 „Geschlechtsverkehr”; Kemper, DStR 2005, 543).

    II. Auffassung des Großen Senats

31  Der Große Senat teilt die Auffassung des vorlegenden Senats in BFHE 237, 421 , BStBl II 2012, 661, dass selbständig tätige Prostituierte Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen und damit einen Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG unterhalten.

32  Unter einem Gewerbebetrieb ist gemäß § 2 Abs. 1 GewStG , § 15 Abs. 2 EStG jede selbständige nachhaltige Tätigkeit zu verstehen, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, falls sie den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet und es sich nicht um die Ausübung von Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG ) oder einer selbständigen Arbeit (§ 18 EStG ) handelt.

33  Selbständig tätige Prostituierte erfüllen diese Voraussetzungen; sie nehmen insbesondere in Abweichung von der im BFH-Urteil in BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500 vertretenen Auffassung auch am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil; die Prostitution kann in Gestalt eines „sich am wirtschaftlichen Verkehr beteiligenden Unternehmens” betrieben werden. Da dies einhelliger Auffassung in Verwaltung und Literatur (s. C.I.2. und 3.) entspricht, sieht der Große Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab, sondern verweist zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im Vorlagebeschluss des III. Senats in BFHE 237, 421 , BStBl II 2012, 661. Prostituierte erzielen auch keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. des § 18 EStG .

    III. Entscheidung der Vorlagefrage

35  Der Große Senat des BFH beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage danach wie folgt:

36  Selbständig tätige Prostituierte (sog. Eigenprostitution) erzielen Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Schenkungsteuer | Verzicht auf Mehrstimmrecht (BFH)

Verzicht eines Gesellschafters einer GmbH auf ein ihm persönlich zustehendes Mehrstimmrecht ohne schenkungsteuerrechtliche Bedeutung

 Leitsatz

Verzichtet ein Gesellschafter einer GmbH auf ein ihm persönlich zustehendes Mehrstimmrecht, liegt darin auch dann keine freigebige Zuwendung an die anderen Gesellschafter der GmbH, wenn sich der Wert von deren Anteilen an der GmbH dadurch erhöht.

 Gesetze

ErbStG § 7 Abs. 1 Nr. 1
BewG § 9

 Instanzenzug

FG Baden-Württemberg vom 25. Mai 2011 7 K 1475/09 (EFG 2011, 2178)

 Gründe

I.

1  Der Vater (V) der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) gründete im Jahr 1984 zusammen mit einem Dritten (D) eine GmbH und beteiligte sich mit 97 % an deren Stammkapital. Im März 1993 wurde das Stammkapital bei unverändertem Beteiligungsverhältnis auf 5.000.000 DM erhöht. Zugleich wurde der Gesellschaftsvertrag dahingehend geändert, dass die von V gehaltenen Geschäftsanteile unabhängig von ihrem Nennbetrag so viele Stimmen gewähren, dass die ihm zu Gebote stehenden Stimmen mindestens 51 %, die den anderen Gesellschaftern insgesamt zu Gebote stehenden Stimmen höchstens 49 % der Gesamtstimmenzahl ausmachen. Diese Regelung sollte solange gelten, wie V Gesellschafter der Gesellschaft ist.

2  Im Januar 1994 übertrug V den Klägern unentgeltlich jeweils 24 % der Geschäftsanteile an der GmbH im Nominalwert von je 1.200.000 DM. Da die Anteile keinen Einfluss auf die Geschäftsführung vermittelten, wurde bei der Festsetzung der Schenkungsteuer der nach R 97 bis 100 der Erbschaftsteuer-Richtlinien in der damals geltenden Fassung (ErbStR) ermittelte gemeine Wert der Anteile gemäß R 101 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 8 ErbStR um einen Abschlag von 10 % gekürzt.

3  Im Oktober 2000 erwarben die Kläger von den Erben des D je ein Prozent der Geschäftsanteile der GmbH hinzu, so dass sie nunmehr ebenso wie V jeweils zu 25 % an deren Stammkapital beteiligt waren.

4  Im Dezember 2000 wurde das Stammkapital der GmbH auf 2.600.000 € erhöht. Zugleich wurden durch eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrags die Gesellschafter hinsichtlich des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung gleichgestellt. Das Mehrstimmrecht des V entfiel. Dadurch sollten die Voraussetzungen einer bestehenden Betriebsaufspaltung zwischen der GmbH und der Besitz-KG aufrechterhalten werden.

5  Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) sah in dem Verzicht des V auf das Mehrstimmrecht eine freigebige Zuwendung des V an die Kläger. Der Wert der Anteile der Kläger am Stammkapital der GmbH habe sich dadurch erhöht, dass kein Abschlag wegen fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung mehr vorzunehmen sei. Die sich daraus ergebende Werterhöhung betrage jeweils 43 % vom Nominalwert der einzelnen Anteile von 650.000 €, also 279.500 €. Das FA setzte demgemäß gegen die Kläger Schenkungsteuer fest. Die Einsprüche blieben erfolglos.

6  Das FA erließ während des Klageverfahrens am 18. Juni 2009 geänderte Schenkungsteuerbescheide, mit denen es die Werterhöhung jeweils mit 43 % vom gegenwärtigen Nominalwert der von V im Januar 1994 auf die Kläger übertragenen Anteile von 624.000 €, also mit 268.320 € ansetzte. Die Erhöhung des Werts der Anteile am Stammkapital der GmbH, die die Kläger von den Erben des D erworben hatten, bezog das FA nicht mehr in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein.

7  Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 2178 veröffentlichte Urteil mit der Begründung statt, es lägen keine freigebigen Zuwendungen des V an die Kläger vor. Es fehle an der erforderlichen substantiellen Vermögensübertragung zwischen V und den Klägern. Das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung der GmbH sei ein aus der Mitgliedschaft in der GmbH folgendes und hiervon nicht abspaltbares Verwaltungsrecht und kein Vermögensrecht. Die aufgrund des Verzichts des V auf das Mehrstimmrecht eingetretene Erhöhung des Werts der Anteile der Kläger an der GmbH begründe keine freigebige Zuwendung.

8  Mit der Revision wendet sich das FA gegen diese Ansicht. In dem Verzicht des V auf das Mehrstimmrecht liege eine substantielle Vermögensverschiebung von V auf die Kläger. Der Verzicht könne schenkungsteuerrechtlich nicht anders als der Verzicht auf eine Darlehensforderung oder einen bei einer Schenkung vorbehaltenen Nießbrauch gewertet werden. Der Gegenstand, um den der Beschenkte bereichert sei, müsse sich nicht vorher in derselben Gestalt im Vermögen des Schenkers befunden haben. Der Schenker brauche daher keinen eigenständig bewertbaren Vermögensgegenstand im Sinne eines selbständigen Wirtschaftsguts zu übertragen. Es genüge vielmehr, wenn der Beschenkte als Folge der Schenkungshandlung um die Erhöhung des Werts seiner Beteiligung an einer GmbH bereichert werde. Der bei der Festsetzung der Schenkungsteuer für die im Jahr 1994 erfolgte Übertragung der Anteile an der GmbH auf die Kläger wegen des fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung der GmbH vorgenommene Abschlag vom gemeinen Wert der Anteile müsse aufgrund des Wegfalls des Mehrstimmrechts des V im Jahr 2000 schenkungsteuerrechtlich ausgeglichen werden. Sähe man dies anders, könnte bei der freigebigen Zuwendung von Anteilen an Kapitalgesellschaften die Bemessungsgrundlage der Schenkungsteuer allein dadurch um 10 % gemindert werden, dass die Anteile, die bei Anwendung der gesetzlichen Regelung der Stimmrechte einen Einfluss auf die Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft vermittelten, zunächst unter Vorbehalt eines Mehrstimmrechts des Schenkers übertragen würden und dieser am nächsten Tag darauf verzichte.

9  Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10  Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

11  Während des Revisionsverfahrens berechnete das FA die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für die Vorerwerbe abzuziehenden Steuerbeträge unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— (Urteile vom 2. März 2005 II R 43/03, BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728; vom 31. Mai 2006 II R 20/05, BFH/NV 2006, 2260, und vom 18. Mai 2011 II R 10/10, BFH/NV 2011, 2063, Rz 26) neu und setzte demgemäß die Schenkungsteuer durch Änderungsbescheide vom 13. Dezember 2012 gegenüber der Klägerin zu 1. und dem Kläger zu 3. auf jeweils 22.081,16 € und gegenüber der Klägerin zu 2. auf 23.781,21 € herab.

II.

12  Die Revision ist aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil sich während des Revisionsverfahrens die Verfahrensgegenstände, über deren Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert haben (§ 127 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). An die Stelle der Schenkungsteuerbescheide vom 18. Juni 2009, über die das FG entschieden hat, sind während des Revisionsverfahrens die Änderungsbescheide vom 13. Dezember 2012 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (BFH-Urteile vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147, Rz 23, und vom 28. Juni 2012 III R 86/09, BFHE 238, 68, Rz 8, je m.w.N.).

13  Dies ändert aber nichts daran, dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Grundlage für die Entscheidung des BFH bilden; da das finanzgerichtliche Verfahren nicht an einem Verfahrensmangel leidet, fallen die Feststellungen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nämlich nicht weg (BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1147, Rz 23, und in BFHE 238, 68, Rz 9, je m.w.N.).

III.

14  Die Sache ist spruchreif. Die Klagen sind begründet. Die angefochtenen Schenkungsteuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen sind rechtswidrig und aufzuheben. Freigebige Zuwendungen des V an die Kläger liegen entgegen der Ansicht des FA nicht vor.

15  1. Der Schenkungsteuer unterliegt als Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; vgl. § 516 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—).

16  a) Erforderlich hierfür ist eine Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Schenkers und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Bedachten (BFH-Urteile vom 7. November 2007 II R 28/06, BFHE 218, 414, BStBl II 2008, 258; vom 9. Juli 2009 II R 47/07, BFHE 226, 399, BStBl II 2010, 74; vom 28. Oktober 2009 II R 32/08, BFH/NV 2010, 893, Rz 11; vom 9. Dezember 2009 II R 28/08, BFHE 228, 169, BStBl II 2010, 566, Rz 9; vom 27. Oktober 2010 II R 37/09, BFHE 231, 223, BStBl II 2011, 134, Rz 17, und vom 15. Dezember 2010 II R 41/08, BFHE 232, 210, BStBl II 2011, 363, Rz 9). In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit (BFH-Urteile in BFHE 231, 223, BStBl II 2011, 134, Rz 17, und in BFHE 232, 210, BStBl II 2011, 363, Rz 9).

17  b) Die Vermögensverschiebung zwischen dem Schenker und dem Bedachten muss sich auf die Vermögenssubstanz (einschließlich der Überlassung eines Vermögensgegenstands zum Gebrauch oder zur Nutzung; vgl. dazu Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz 28 bis 34, 61) beziehen. Die Vermehrung der Vermögenssubstanz des Bedachten kann dabei nicht nur durch den Zugang aktiver Vermögensgegenstände, sondern auch durch den Wegfall negativer Vermögensgegenstände (insbesondere Schulden und andere geldwerte Verpflichtungen) und durch das Erhalten von Gebrauchs- oder anderen Nutzungsmöglichkeiten geschehen (Gebel, a.a.O., § 7 Rz 43 ff., 57, 71 f., 187, 199, 414; Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz 14 bis 18a).

18  c) Eine bloße Verminderung des Werts des Vermögens des „Schenkers” genügt demgegenüber nicht (Gebel, a.a.O., § 7 Rz 22, 28). Erhöht sich lediglich der Wert des Vermögens des „Bedachten” wie etwa der Wert ihm gehörender Anteile an einer Kapitalgesellschaft, so reicht dies ebenfalls nicht zur Verwirklichung des Tatbestands des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aus (BFH-Urteile vom 25. Oktober 1995 II R 67/93, BFHE 179, 157, BStBl II 1996, 160; vom 19. Juni 1996 II R 83/92, BFHE 181, 88, BStBl II 1996, 616, und in BFHE 228, 169, BStBl II 2010, 566, Rz 10; Gebel, a.a.O., § 7 Rz 43, 57, 187, 199, 414; Fischer, in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 7 Rz 73; Viskorf, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1998, 150; a.A. Weinmann, a.a.O., § 7 Rz 178; Hucke, Betriebs-Berater 2001, 1932; Gottschalk, DStR 2002, 377, 385 ff.; Hübner, DStR 2008, 1357; Birnbaum, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2009, 125; Schulte/Petschulat, Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen im Schenkungsteuerrecht, Institut Finanzen und Steuern e.V., Schrift Nr. 484, 2013, S. 37).

19  Der Gesetzgeber geht nunmehr ebenfalls davon aus, dass die bloße Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nicht unter § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG fällt. Er hat daher in dem durch das Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) eingefügten § 7 Abs. 8 ErbStG die Voraussetzungen, unter denen die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft als Schenkung gilt, gesondert geregelt. Von dieser Vorschrift erfasst werden zum einen die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person oder Stiftung (Bedachte) durch die Leistung einer anderen Person (Zuwendender) an die Gesellschaft erlangt (Satz 1), sowie bestimmte Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften (Satz 2). Die Vorschrift findet nach § 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 13. Dezember 2011 entsteht.

20  d) Aus der Rechtsprechung des BFH zur mittelbaren Schenkung ergibt sich entgegen der Ansicht des FA nichts anderes.

21  Nach dieser Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 22. Juni 2010 II R 40/08, BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843, und vom 28. März 2012 II R 39/10, BFHE 238, 208, BStBl II 2012, 712, Rz 25, je m.w.N.) ist es nicht erforderlich, dass der Gegenstand, um den der Beschenkte bereichert wird, sich vorher in derselben Gestalt im Vermögen des Schenkers befunden hat und wesensgleich übergeht. „Entreicherungsgegenstand” und „Bereicherungsgegenstand” brauchen nicht identisch zu sein. Danach kann in der Hingabe von Vermögensgegenständen mittelbar die Schenkung eines anderen Vermögensgegenstandes gesehen werden. Dies setzt voraus, dass der Beschenkte im Verhältnis zum Schenker nicht über das ihm unmittelbar Zugewendete, sondern (erst) über das Surrogat desselben, z.B. über den Verkaufserlös, verfügen kann; denn in diesem Fall ist der Beschenkte nicht um das unmittelbar Hingegebene, sondern erst um den Verkaufserlös bereichert. Dies gilt nicht nur für die Fälle der mittelbaren Grundstücksschenkung, sondern generell bei mittelbarer Schenkung aller als Zuwendungsobjekte in Betracht kommenden Gegenstände oder Rechte.

22  Eine mittelbare Schenkung setzt somit ebenso wie eine unmittelbare Schenkung voraus, dass der Schenker einen ihm gehörenden Vermögensgegenstand hingibt. So hatte die Schenkerin in dem Fall, der dem vom FA angeführten BFH-Urteil vom 13. März 1996 II R 51/95 (BFHE 180, 174, BStBl II 1996, 548) zu Grunde lag, der Bedachten einen Geldbetrag zur Errichtung eines Anbaus auf einem Grundstück überlassen.

23  e) Dem vom FA ebenfalls zitierten BFH-Urteil vom 6. März 2002 II R 85/99 (BFH/NV 2002, 1030) lässt sich nichts anderes entnehmen. Diese Entscheidung betraf die Werterhöhung eines Kommanditanteils und nicht die Erhöhung des Werts einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Der BFH hat in der Entscheidung ausdrücklich auf die schenkungsteuerrechtlich erheblichen zivilrechtlichen Unterschiede zwischen Kapital- und Personengesellschaften hingewiesen. Zuführungen in das Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft wirken sich im gesamthänderischen Vermögen der Gesellschafter, in ihrem Gesellschaftsanteil aus, da anders als bei Kapitalgesellschaften bei einer Personengesellschaft das (Gesamthands-)Vermögen den Gesamthändern (Gesellschaftern) und nicht der Gesellschaft zusteht.

24  2. Der Verzicht des V auf das Mehrstimmrecht erfüllt nicht die Voraussetzungen einer freigebigen Zuwendung. Es fehlt an der erforderlichen substantiellen Vermögensverschiebung zwischen V und den Klägern.

25  a) Die Substanz des Vermögens des V hat sich durch den Wegfall des Mehrstimmrechts nicht vermindert. Das Mehrstimmrecht war kein Vermögensgegenstand, sondern lediglich eine an die Person des V gebundene, unselbständige Ausgestaltung seines Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung der GmbH ohne konkreten Bezug auf das Vermögen des V. Dadurch unterscheidet sich das Mehrstimmrecht von selbständigen Rechtspositionen wie etwa Geldforderungen oder Nießbrauchsrechten (§§ 1030 ff. BGB), die Ansprüche auf die Zahlung von Geld oder auf bestimmte, in Geld bewertbare Leistungen begründen und die abgetreten werden können (§ 398 BGB) oder deren Ausübung einem anderen überlassen werden kann (§ 1059 Satz 2 BGB). Wird eine Geldforderung erlassen (§ 397 Abs. 1 BGB) oder auf einen Nießbrauch verzichtet (§§ 875, 1064 ggf. i.V.m. § 1068 Abs. 2 BGB), so wirkt sich dies unmittelbar auf das Vermögen des Gläubigers und des Schuldners oder des Nießbrauchers und des Nießbrauchsverpflichteten aus; denn sowohl die Berechtigung als auch die dieser gegenüberstehende Verpflichtung oder Belastung erlöschen. Betroffen ist somit in solchen Fällen die Vermögenssubstanz.

26  b) Der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist auch deshalb nicht erfüllt, weil es an der erforderlichen substantiellen Mehrung des Vermögens der Kläger fehlt. Das Gewicht ihrer Stimmen in der Gesellschafterversammlung hat sich zwar durch den Wegfall des Mehrstimmrechts des V erhöht. Selbständige Vermögensgegenstände haben sie dadurch aber nicht erhalten. Dass die Anteile der Kläger an der GmbH seit dem Wegfall des Mehrstimmrechts des V einen Einfluss auf die Geschäftsführung der GmbH vermitteln und deshalb der Bewertungsabschlag nach R 101 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 8 ErbStR nicht mehr zu berücksichtigen ist, genügt als bloße Werterhöhung nicht den Anforderungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Die Quote, mit der die Kläger an der GmbH beteiligt sind, hat sich durch den Verzicht des V auf das Mehrstimmrecht nicht verändert. Das ist entscheidend.

27  3. Selbst wenn man annähme, dass auch bloße Änderungen des Werts des Vermögens des „Schenkers” und des „Bedachten” zur Verwirklichung des Tatbestands des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausreichen können, bliebe das Ergebnis im Streitfall unberührt. Der Verkehrswert oder gemeine Wert des Vermögens des V hat sich nämlich durch den Verzicht auf das Mehrstimmrecht nicht vermindert.

28  a) Der Verkehrswert entspricht dem gemeinen Wert i.S. des § 9 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) und wird somit gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG durch den bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Preis bestimmt (BFH-Urteil vom 24. November 2005 II R 11/04, BFH/NV 2006, 744). Bei der Ermittlung des Verkehrswerts haben ebenso wie gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG bei der Bestimmung des gemeinen Werts ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse unberücksichtigt zu bleiben (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 II R 22/06, BFH/NV 2008, 962).

29  Ungewöhnliche oder persönliche Umstände sind solche, mit denen der Verkehr bei der Abschätzung des Werts eines Wirtschaftsguts nicht zu rechnen pflegt. Persönliche Umstände weisen darüber hinaus die Besonderheit auf, dass sie in der Person des Käufers oder Verkäufers liegen (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 962).

30  b) Das dem V früher zustehende Mehrstimmrecht erhöhte nach diesen Grundsätzen den Wert seiner Beteiligung an der GmbH nicht. Es handelte sich dabei um einen persönlichen Umstand, der bei der Bewertung seiner Beteiligung nicht berücksichtigt werden konnte. Hätte V die Beteiligung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr veräußert, hätte sich das Mehrstimmrecht bei der Preisbildung nicht ausgewirkt. Es war in der Person des V begründet; denn es stand nach den im Gesellschaftsvertrag getroffenen Regelungen nur ihm persönlich zu und hätte nicht mit seiner Beteiligung an der GmbH auf einen Erwerber übertragen werden können. Bei einem Ausscheiden des V aus der GmbH wäre es vielmehr erloschen.

31  4. Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Schenkungsteuerbescheide kann entgegen der Ansicht des FA auch nicht damit begründet werden, dass die im Januar 1994 vorgenommene Übertragung der Anteile an der GmbH auf die Kläger erst mit dem Wegfall des Mehrstimmrechts des V abgeschlossen worden sei und die wegen des fehlenden Einflusses der Anteile auf die Geschäftsführung der GmbH seinerzeit niedrigere Besteuerung nunmehr nachgeholt werden müsse.

32  Die freigebige Zuwendung der Anteile verwirklichte im Jahr 1994 den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; denn sie wurde mit der Übertragung der Anteile i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ausgeführt. Davon ist auch das FA ausgegangen und hat deshalb für die seinerzeitigen freigebigen Zuwendungen Schenkungsteuer festgesetzt. Ob der Wegfall des Mehrstimmrechts nunmehr erneut den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG verwirklicht hat, ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen und zu verneinen.

33  Wie Fälle zu beurteilen sind, bei denen der Verzicht auf ein Mehrstimmrecht bereits kurze Zeit nach der Übertragung von Gesellschaftsanteilen erfolgt, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. V hat nämlich erst mehr als sechs Jahre nach der Übertragung der Anteile an der GmbH auf die Kläger auf das Mehrstimmrecht verzichtet.

Stromsteuer | Spitzenausgleich nach § 10 StromStG a.F. (BFH)

Maßgeblichkeit des Referenzjahrs 1998 bei der Berechnung des nach § 10 StromStG a.F. zu gewährenden Spitzenausgleichs

 Leitsatz

1. Die Gewährung des Spitzenausgleichs nach § 10 Abs. 2 StromStG a.F. setzt nicht voraus, dass das begünstigte Unternehmen, das im Antragsjahr alle Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StromStG a.F. erfüllt, bereits im Jahr 1998 als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig gewesen ist.

2. Für Unternehmen, die vor dem 1. Januar 1998 gegründet worden sind, ist bei der Berechnung des Spitzenausgleichs und der Ermittlung der Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen nach § 10 Abs. 2 StromStG a.F. selbst dann auf die Arbeitnehmerzahl im Referenzjahr 1998 abzustellen, wenn diese im Antragsjahr infolge einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung erheblich höher sein sollte.

 Gesetze

StromStG a.F. § 10 Abs. 1 und 2
StromStG a.F. § 9 Abs. 3
StromStG a.F. § 2 Nr. 4

 Instanzenzug

Hessisches FG vom 6. Juni 2011 7 K 586/04

 Gründe

I.

1  Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde mit der Eintragung im Handelsregister am 24. März 1997 unter der Firma X-gesellschaft mbH als Vorrats- bzw. Projektgesellschaft gegründet. Zum 4. Juni 1998 wurde sie mit Änderung des Unternehmensgegenstandes in Y GmbH umbenannt. Unter dieser Firma fand jedoch zu keinem Zeitpunkt eine betriebliche Tätigkeit statt. Aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 26. September 2001 wurden die Firma und der Unternehmensgegenstand erneut geändert. Der nunmehr als Z GmbH firmierenden Gesellschaft wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2001 gemäß § 123 Abs. 3 Nr. 1, § 131 Abs. 1 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) von der K GmbH der Teilbetrieb (Geschäftsbereich) A-produkte übertragen.

2  Mit Stromsteueranmeldung vom 6. Februar 2003 beantragte die Klägerin für das Jahr 2002 eine Vergütung der Stromsteuer nach § 10 des Stromsteuergesetzes (StromStG ) in Höhe von 4.089.783,74 €. Sie gab an, im Referenzjahr 1998 keine Arbeitnehmer beschäftigt zu haben. Unter sinngemäßer Anwendung des § 10 Abs. 3 StromStG setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt —HZA—) mit Bescheid vom 15. August 2003 den Vergütungsbetrag lediglich auf 1.402.182,42 € fest. Bei der Berechnung dieses Betrags legte er die Arbeitgeberanteile zur Rentenversicherung zugrunde, die von der Klägerin im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2002 entrichtet worden waren. Der daraufhin eingelegte Einspruch führte unter Anwendung des § 10 Abs. 1 und 2 StromStG zu einer Neuberechnung der Vergütung unter Berücksichtigung der Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen für den Teilbetrieb A-produkte, die im Kalenderjahr 1998 im Bereich der damaligen K GmbH angefallen waren. Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2004 wurde der zu vergütende Betrag auf nunmehr 1.639.963,49 €. festgesetzt. Schließlich setzte das HZA den Entlastungsbetrag mit Änderungsbescheid vom 10. Mai 2011 auf 0 € fest mit der Begründung, die Klägerin habe im Referenzjahr 1998 das Kriterium eines Unternehmens des Produzierenden Gewerbes nicht erfüllt. Deshalb müsse es bei der gezahlten Stromsteuer verbleiben.

3  Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin eine Festsetzung der Stromsteuervergütung für den Zeitraum vom 8. Februar bis zum 31. Dezember 2002 in Höhe von 3.661.173,96 €. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, zwar habe die Klägerin im Zeitraum vom 8. Februar bis zum 31. Dezember 2002 alle Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StromStG erfüllt. Jedoch habe ihre eigenbetriebliche Tätigkeit bis zur Aufnahme des Teilbetriebs ausschließlich darin bestanden, zunächst als Vorrats- und später als Projektgesellschaft zu dienen und damit die Aufnahme des operativen Teils des A-geschäfts vorzubereiten. Da die Klägerin als der aufnehmende Rechtsträger im Jahr 1998 lediglich einen Unternehmensmantel darstellte, habe sie keine Tätigkeit ausgeübt, die nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes dem Produzierenden Gewerbe zugeordnet werden könnte. Dies habe zur Folge, dass eine der in § 10 Abs. 2 StromStG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sei. Deshalb sei mangels eines Entlastungsbetrags ein diesen übersteigender Vergütungsbetrag nicht errechenbar. Mithin habe es bei der von der Klägerin entrichteten Stromsteuer zu verbleiben.

4  Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des HZA und des FG, dass mit der Aufnahme des Geschäftsbereichs A-produktion nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise von einer Neugründung des Unternehmens auszugehen sei, so dass auf die Mitarbeiterzahl im Jahr 1998 nicht abgestellt werden könne. Zu Unrecht seien die Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen diesem Geschäftsbereich fiktiv zugeordnet worden. Es sei unstreitig, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Strom zu eigenbetrieblichen Zwecken entnommen habe. Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der in § 10 Abs. 2 StromStG getroffenen Regelung ergebe sich das Erfordernis einer Tätigkeit als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes bereits im Referenzjahr 1998, wenn erst für das Jahr 2002 eine Entlastung nach § 10 StromStG beantragt werde. Der Gesetzeswortlaut beschränke sich in § 10 Abs. 2 StromStG auf die Bezeichnung „Unternehmen”. Mit der Entlastungsregelung habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, energieintensive Unternehmen über einen Selbstbehalt hinaus nicht mit der Stromsteuer zu belasten. Die Anforderung, dass die Steuerverschonung nur Unternehmen zugutekomme, die bereits im Referenzjahr 1998 als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig gewesen seien, stelle eine rechtliche Sanktion dar, die nicht zu rechtfertigen sei. Auch den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren könne nicht entnommen werden, dass eine auslegungsbedürftige Regelungslücke bestehe und es auf die betriebliche Tätigkeit im Jahr 1998 ankommen solle. Hinsichtlich der Berechnung des Vergütungsbetrags könne deshalb nicht auf die Mitarbeiterzahl bzw. auf die Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen der K GmbH für den Teilbetrieb A-produktion abgestellt werden.

5  Das HZA trägt vor, die Regelung des § 10 Abs. 2 StromStG könne nur so ausgelegt werden, dass es sich bei dem antragstellenden Unternehmen im wirtschaftlichen Sinn im Wesentlichen um dasselbe Unternehmen wie im Jahr 1998 handeln müsse. Die Klägerin habe als aufnehmender Rechtsträger im Jahr 1998 lediglich einen Unternehmensmantel dargestellt und infolgedessen keine Arbeitnehmer beschäftigt. Da sie im Referenzjahr 1998 nicht als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig gewesen sei, müsse ihr die Entlastung in vollem Umfang versagt werden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 StromStG , nach dem der Entlastungsbetrag „nach Maßgabe” der Absätze 2 bis 4 zu berechnen sei.

II.

6  Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht für den Zeitraum vom 8. Februar bis zum 31. Dezember 2002 ein Vergütungsanspruch nach § 10 Abs. 1 und 2 StromStG in Höhe von 3.661.173,96 € zu, der nicht daran scheitert, dass die Klägerin im Referenzjahr 1998 noch nicht als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig gewesen ist. Für die Berechnung des Vergütungsbetrags ist auf die Verhältnisse der Klägerin in diesem Jahr abzustellen, so dass eine Berücksichtigung der Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen für den erst im Oktober 2001 übernommenen Teilbetrieb A-produkte nicht in Betracht kommt.

7  1. Nach § 10 Abs. 1 StromStG i.d.F. des Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform (BGBl I 1999, 2423 ) wird auf Antrag die Steuer für nachweislich versteuerten Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes entnommen hat, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erlassen, erstattet oder vergütet. Entlastungsberechtigt ist das Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, das den Strom zu betrieblichen Zwecken entnommen hat. Gemäß § 10 Abs. 2 StromStG wird die Stromsteuerentlastung für vor dem 1. Januar 1998 gegründete Unternehmen nur insoweit gewährt, als die Steuer im Kalenderjahr das 1,2fache des Betrages übersteigt, um den sich für das Unternehmen der Arbeitgeberanteil an den Rentenversicherungsbeiträgen des Kalenderjahrs 1998 bei entsprechender Anwendung der jeweils gültigen Beitragssätze in der Rentenversicherung des Kalenderjahrs, für das der Antrag gestellt wird (Antragsjahr), vermindert hätte.

8  Aus der Begründung des Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform geht hervor, dass die Änderung von § 10 StromStG in der ursprünglichen Fassung von Art. 1 des Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 378 ) und die dadurch vorgenommene Differenzierung nach der Gründung eines Unternehmens vor dem 1. Januar 1998, nach dem 31. Dezember 1998 oder im Kalenderjahr 1998 lediglich klarstellende Funktion haben sollte (BTDrucks 14/1524). Nicht beabsichtigt war daher eine Erweiterung oder Einschränkung des Begünstigtenkreises oder eine Modifizierung des Entlastungstatbestandes. Die erst auf Empfehlung des Finanzausschusses in das StromStG eingefügte Entlastungsregelung soll gewährleisten, dass energieintensive Unternehmen durch die Einführung der neuen Steuer nicht über einen tragbaren Selbstbehalt hinaus belastet werden (BTDrucks 14/440, S. 16). Nach dem erklärten Ziel des Gesetzgebers sollten die Einnahmen aus der Stromsteuer u.a. zur Senkung der Abgabenlast auf den Faktor Arbeit und damit zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet werden. Dabei sollte die Entlastung in der Rentenversicherung bei der Bemessung des zu gewährenden Spitzenausgleichs durch eine Gegenrechnung Berücksichtigung finden. Es sollten nur solche energieintensiven Unternehmen in den Genuss des Steuervorteils kommen, bei denen die Belastung mit der sog. Ökosteuer das 1,2fache der Entlastung in der Rentenversicherung übersteigt. Als Referenzjahr wurde das Jahr vor Einführung der Stromsteuer festgelegt. Damit wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Unternehmen den Vergütungsanspruch dadurch hätten erhöhen können, dass sie im Antragsjahr Arbeitnehmer entlassen (BTDrucks 14/440, S. 16). Diese Begründung kann auch nach der Änderung des § 10 StromStG Geltung beanspruchen. Bei der Berechnung der einem vor dem 1. Januar 1998 gegründeten Unternehmen zustehenden Vergütung ist demnach zu unterstellen, dass die abgesenkten Beitragssätze des Antragsjahres bereits im Jahr 1998 gegolten haben. Daraus folgt, dass auch hinsichtlich der zu berücksichtigenden Arbeitnehmerzahl auf das Referenzjahr 1998 abzustellen ist. Dies muss selbst dann gelten, wenn das Unternehmen in diesem Jahr keine Mitarbeiter beschäftigt hat (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 31. März 2004 4 K 4622/03 VSt , Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 2005, 132, und Urteil des FG Bremen vom 8. Dezember 2005 4 K 15/05 (2) , Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 710 ).

9  2. Dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 StromStG lässt sich nicht entnehmen, dass ein energieintensives und damit nach der Zielsetzung des Spitzenausgleichs entlastungsbedürftiges Unternehmen, das im Antragsjahr sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung einer Vergünstigung nach § 10 Abs. 1 StromStG erfüllt, nur dann eine Entlastung erlangen kann, wenn es auch im Jahr 1998 als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig gewesen ist. Vielmehr setzt die Erfüllung des Entlastungstatbestandes lediglich voraus, dass ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes Strom zu betrieblichen Zwecken entnimmt. Auf eine Tätigkeit vor dem Antragsjahr nimmt die Gesetzesformulierung keinen Bezug. Ohne Weiteres hätte der Gesetzgeber bereits bei der Ausgestaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StromStG Umstrukturierungen in den Blick nehmen und auf eine produzierende Tätigkeit des Unternehmens im Jahr 1998 abstellen können.

10  Auf bei Umstrukturierungen evtl. entstehende Probleme ist der Gesetzgeber zwar hingewiesen worden —so hat die Bundestagsabgeordnete Frau Dr. Hasselfeldt in den Beratungen ausgeführt, es sei unklar, was für Unternehmen gelte, die fusionieren oder getrennt werden (BTPlPro 14/24, S. 1832 f.)—, jedoch hat er es unterlassen, für Umwandlungsfälle eine besondere gesetzliche Regelung zu treffen. Auch entsprechende Hinweise im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren, in dem der Bundesverband der Deutschen Industrie mit Schreiben vom 24. September 1999 beanstandet hat, dass der gesamte Bereich der Umstrukturierungen wiederum nicht gesondert geregelt werde (vgl. Urteil des FG Düsseldorf in ZfZ 2005, 132), hat der Gesetzgeber nicht zum Anlass genommen, bei der Abfassung des Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform in § 10 StromStG ergänzende Bestimmungen aufzunehmen, die starke Schwankungen in der Mitarbeiterzahl berücksichtigen, und die Fälle einer Aufnahme der produzierenden Tätigkeit erst nach dem 31. Dezember 1998 gesondert zu regeln. In Kenntnis der Problematik hat er sich vielmehr mit einer generalisierenden Regelung begnügt, die in Einzelfällen eine überschießende Begünstigung in Kauf nimmt.

11  3. Entgegen der Ansicht des HZA ist auch keine Regelungslücke ersichtlich, die durch eine von den Vorgaben des § 2 Nr. 4 StromStG abweichende Auslegung des Unternehmensbegriffs geschlossen werden müsste. Das StromStG unterscheidet nicht zwischen einem Unternehmen im rechtlichen und einem Unternehmen im wirtschaftlichen Sinn. Entgegen der Ansicht des HZA kann der in § 10 Abs. 2 StromStG verwendete Unternehmensbegriff nicht einschränkend dahingehend verstanden werden, dass es sich bei dem antragstellenden Unternehmen im wirtschaftlichen Sinn im Wesentlichen um dasselbe Unternehmen wie im Jahr 1998 handeln muss oder, anders gewendet, dass bei dem in § 10 Abs. 2 StromStG angesprochenen Unternehmen nicht nur die rechtliche Selbständigkeit, sondern auch die wirtschaftliche Betätigung in den Blick genommen werden muss. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist die Gründung des Unternehmens vor dem 1. Januar 1998 maßgebend. Als Unternehmen wird in § 2 Nr. 4 StromStG die kleinste rechtlich selbständige Einheit bezeichnet. Der stromsteuerrechtliche Unternehmensbegriff ist nach der Begründung des Gesetzgebers inhaltsgleich mit den Vorgaben des Statistischen Bundesamtes für dessen Erhebungen zum Produzierenden Gewerbe (Fachserie 4, Reihe 4.1.1). Wie der Senat entschieden hat, wird mit dieser Regelung eine weitgehende Kongruenz zwischen den zu statistischen und stromsteuerlichen Zwecken zu erfassenden Unternehmen hergestellt, die die Anwendung der Klassifikation der Wirtschaftszweige wesentlich erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht (Senatsentscheidungen vom 24. August 2004 VII R 23/03, BFHE 207, 88 , ZfZ 2005, 88, und vom 15. September 2006 VII B 234/05, BFH/NV 2007, 278 ). Dabei ist der stromsteuerrechtliche Unternehmensbegriff nicht deckungsgleich mit dem umsatzsteuerrechtlichen Unternehmensbegriff oder dem Begriff der Betriebsstätte in § 12 der Abgabenordnung (Senatsurteil vom 2. November 2010 VII R 48/09, BFH-PR 2011, 246). Eine von den Vorgaben des UmwG und der Klassifikation der Wirtschaftszweige abweichende und ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtete Betrachtung, die sich zudem von der in § 2 Nr. 4 StromStG festgelegten Definition entfernt, ist aus stromsteuerrechtlicher Sicht nicht geboten. Wie der Senat bereits entschieden hat, geht das StromStG von einer formalen Betrachtungsweise aus, die auf die rechtlichen Gegebenheiten abstellt. Einem eigenständigen wirtschaftlichen Unternehmensbegriff steht die in § 2 Nr. 4 StromStG festgelegte Definition entgegen (so auch FG Düsseldorf in ZfZ 2005, 132).

12  Bei der vom HZA vertretenen Sichtweise würden Unternehmen, die im Referenzjahr 1998 über keine Mitarbeiter verfügten, in Umstrukturierungsfällen von jeglicher Vergünstigung ausgeschlossen, obwohl sie in einem folgenden Antragsjahr alle Voraussetzungen für einen Spitzenausgleich nach § 10 StromStG erfüllten. Alleiniges Kriterium für die Verweigerung der Begünstigung wäre eine nicht begünstigte Tätigkeit im Jahr 1998. Dies widerspräche jedoch dem Ziel der wettbewerbspolitisch motivierten Steuerverschonung. Zudem lassen sich auch aus der in § 9 Abs. 3 StromStG getroffenen Regelung keine Anhaltspunkte dafür gewinnen, die Anwendung des Unternehmen des Produzierenden Gewerbes gewährten ermäßigten Steuersatzes könne für solche Unternehmen nicht in Betracht kommen, die vor dem Jahr, für das die Begünstigung beantragt wird, nicht produzierend tätig gewesen seien. Sofern sich bei Anwendung des § 10 Abs. 2 StromStG für bestimmte Unternehmen eine aus wirtschaftspolitischer Sicht unerwünschte Steuerentlastung ergeben sollte, ist dies eine hinzunehmende Folge der vom Gesetzgeber bewusst unterlassenen Vorsorge für Umstrukturierungsfälle.

13  4. Nach den Feststellungen des FG ist die Klägerin am 24. März 1997 gegründet worden; somit ist im Streitfall von einer Unternehmensgründung der Klägerin vor dem Referenzjahr 1998 auszugehen, so dass § 10 Abs. 2 StromStG anwendbar ist. Zwar war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes tätig, doch ändert dieser Umstand nichts daran, dass sie als rechtlich selbständiges Unternehmen i.S. des § 2 Nr. 4 StromStG anzusehen ist. Für die Berechnung des Vergütungsbetrags ist auf die Mitarbeiterzahl im Referenzjahr 1998 abzustellen. Insofern kommt eine Berücksichtigung der Mitarbeiter und der Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen des erst im Oktober 2001 übernommenen Teilbetriebs A-produkte nicht in Betracht. Da die Klägerin im Jahr 1998 keine Mitarbeiter beschäftigte, ergibt sich auch keine Entlastung bei den Arbeitgeberanteilen an den Rentenversicherungsbeiträgen, die sie sich entgegenhalten lassen müsste. Daher steht ihr der mit der Klage geltend gemachte Entlastungsanspruch in ungekürzter Höhe zu.

14  Da das FG zu einer vom erkennenden Senat abweichenden Rechtsauffassung gelangt ist, war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben. Auch die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen können keinen Bestand haben.

Welche Daten speichert die Finanzverwaltung und wie prüfe ich das ?

Bei Anruf Durchblick – die Hotline der rheinland-pfälzischen Finanzämter

Unter dem Namen „ELStAM“ (Elektronische LohnSteuerAbzugsMerkmale) werden alle Daten für die Berechnung der Lohnsteuer, die bislang auf der Lohnsteuerkarte aus Papier zu finden waren, also Steuerklasse, Anzahl der Kinder, Freibeträge etc., elektronisch gespeichert. Für 2013 können diese Daten, die die Arbeitgeber für den monatlichen Lohnsteuerabzug benötigen, nun von dem Arbeitgeber sowie dem Finanzamt, aber auch von den betroffenen Arbeitnehmern elektronisch abgerufen werden.

Wie erfahre ich, welche Angaben über mich gespeichert und ob sie richtig erfasst sind? Was ist bei fehlerhaften Daten oder Änderungen zu tun?
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Aus Datenschutzgründen ist es nicht möglich, die Daten telefonisch abzufragen.

Kindergeld | Anspruch bei vorübergehender Rentenversicherungspflicht in Griechenland (BFH)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.7.2012, III R 76/10

Kindergeldanspruch eines in Deutschland selbständig tätigen Architekten, der vorübergehend noch in Griechenland rentenversichert war – Persönlicher Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 – Zusammentreffen mehrerer Ansprüche – Sondersysteme für Beamte

Leitsätze

1. Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, bestimmt sich dies grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt.

 

2. Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und Art. 10 der VO Nr. 574/72 sind auch dann anzuwenden, wenn der in Deutschland tätige Elternteil nicht die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 erfüllt, jedoch der andere Elternteil parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum hat und selbst in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fällt, so dass über diesen die Kinder als Familienangehörige im Sinne der VO Nr. 1408/71 gelten.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau sind die Eltern der im März 2006 geborenen Tochter (T), die seit 1. August 2007 zusammen mit ihren Eltern in der Bundes-republik Deutschland (Deutschland) lebt.
2
Der Kläger ist Architekt. Als solcher war er zunächst in Griechenland selbständig tätig und dort in der Kasse für Ingenieure und Bauunternehmer für öffentliche Arbeiten (TSMEDE) rentenversichert. Jedenfalls seit 1. August 2007 erzielte der Kläger nur noch in Deutschland Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Seit 1. April 2008 ist er Mitglied des Versorgungswerks einer Architektenkammer in Deutschland.
3
Die Ehefrau des Klägers ist als vom griechischen Staat beamtete Lehrerin beschäftigt und arbeitet seit dem 31. Juli 2007 bei einem griechischen Generalkonsulat in Deutschland. Sie erhält für T 18 EUR Kindergeld vom griechischen Staat.
4
Mit Bescheid vom 28. Februar 2008 lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) den Kindergeldantrag des Klägers ab. Der Kläger sei im Wohnland des Kindes nicht erwerbstätig im Sinne des Beschlusses Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Union, weshalb der Anspruch der Ehefrau des Klägers im Ausland nach Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72) vorrangig sei. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 2008 als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der auf das Differenzkindergeld in Höhe von monatlich 136 EUR für die Monate August 2007 bis März 2008 gerichteten Klage statt.
6
Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Revision macht die Familienkasse im Wesentlichen geltend, dass die Entscheidung des FG auf einer unzutreffenden Auslegung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 –VO Nr. 118/97– (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 –VO Nr. 647/2005– (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– 2005 Nr. L 117, S. 1) beruhe und damit Bundesrecht verletze.
7
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf Differenzkindergeld für die Monate August 2007 bis März 2008 zu Recht bejaht.
10
1. Der im Streitzeitraum in Deutschland wohnhafte Kläger erfüllte unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für seine ebenfalls in Deutschland wohnhafte Tochter T. Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass die Anwendbarkeit dieser deutschen Rechtsvorschriften nicht durch Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen wird.
11
2. Der Kläger fällt in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71.
12
a) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 19) ist für die im ersten Schritt zu prüfende Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt; denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.
13
b) Nach den Feststellungen des FG war der Kläger im Streitzeitraum in Griechenland in der TSMEDE rentenversichert. Hierbei handelt es sich nach den weiteren Feststellungen des FG um ein System der sozialen Sicherheit für Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71. Dieses ist auch nicht nach Art. 1 Buchst. j i.V.m. dem Anhang II der VO Nr. 1408/71 aus dem Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ausgenommen. Somit war der Kläger im Streitzeitraum i.S. des Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 ein Selbständiger, für den die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Griechenland gelten. Der persönliche Geltungsbereich ist daher eröffnet.
14
3. Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass sich aus den im zweiten Prüfungsschritt anzuwendenden Kollisionsregeln der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 eine Anwendbarkeit der deutschen Rechtsvorschriften ergibt.
15
a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil in BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 28 f.) entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern –entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung– danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen. Anzuknüpfen ist allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.
16
b) Da der Kläger nach den Feststellungen des FG im Streitzeitraum in Deutschland die selbständige Architektentätigkeit ausgeübt hat, hinsichtlich derer er in Griechenland als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 galt, kann sich daraus auch nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften ergeben. Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt –soweit nicht die Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71 etwas anderes bestimmen–, den Rechtsvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Staats wohnt. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Ausnahmebestimmungen der Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71 –insbesondere für eine nur vorübergehende selbständige Tätigkeit in Deutschland gemäß Art. 14a Nr. 1 der VO Nr. 1408/71 oder eine Tätigkeit in zwei oder mehr Mitgliedstaaten nach Art. 14a Nr. 2 der VO Nr. 1408/71– hat das FG nicht festgestellt. Es hat daher zu Recht die Grundregel des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 angewandt, wonach aufgrund der selbständigen Tätigkeit in Deutschland das Recht des Tätigkeitsstaats Anwendung findet.
17
c) Da Deutschland danach gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der zuständige Mitgliedstaat war, kommt es auf die von der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– (Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10, Hudzinski, juris) geprüfte Frage, ob die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften einen Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG ausschließen, wenn Deutschland nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der unzuständige Mitgliedstaat ist, nicht an.
18
4. Zu Recht hat das FG auch die sich aus der zeitgleichen Anspruchsberechtigung der Ehefrau des Klägers ergebende Anspruchskumulierung nach Art. 10 der VO Nr. 574/72 in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005, aufgelöst.
19
a) Ist der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes –wie hier im Falle des Wohnlands Deutschland– nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig, ist nicht Art. 76 der VO Nr. 1408/71, sondern Art. 10 der VO Nr. 574/72 anzuwenden. Insoweit kann der Senat dahingestellt lassen, ob die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D (entspricht Teil C in der bis April 2005 gültigen Fassung) der VO Nr. 1408/71 (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 30) –wie das FG meint– nur dann zu berücksichtigen sind, wenn die Familienleistungen von einem deutschen Träger für im Ausland lebende Kinder gezahlt werden sollen. Denn hier ergibt sich eine Anwendbarkeit des Art. 10 der VO Nr. 574/72 jedenfalls daraus, dass parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum bestehen und die Ehefrau des Klägers in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fällt, so dass über diese die Kinder als Familienangehörige im Sinne der VO Nr. 1408/71 einzustufen sind.
20
aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite der Bestimmungen des Anhangs I der VO Nr. 1408/71 (Urteil vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Slg. 2010, I-9717 Rdnr. 38) kann die Antikumulierungsvorschrift des Art. 10 der VO Nr. 574/72 auch dann zur Anwendung kommen, wenn der nach deutschem Recht Kindergeldberechtigte die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 nicht erfüllt. Dies begründete der EuGH zum einen damit, dass es trotz der fehlenden Anwendbarkeitsvoraussetzungen zur Entstehung paralleler Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum kommen könne. Zum anderen verwies er unter Bezugnahme auf die Entscheidung in der Rechtssache Kromhout (EuGH-Urteil vom 4. Juli 1985 C-104/84, Slg. 1985, I-2205 Rdnr. 15) darauf, dass die Kinder als Familienangehörige des Elternteils, der Arbeitnehmer (in der Schweiz) ist, in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallen.
21
bb) Im Streitfall fällt die Ehefrau des Klägers in den persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 gilt die Verordnung u.a. für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind.
22
Die Ehefrau des Klägers ist als Griechin Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und als Beamtin dieses Mitgliedstaats Arbeitnehmerin, da unter den Arbeitnehmerbegriff auch Personen fallen, die in einem Sondersystem für Beamte erfasst werden (Art. 1 Buchst. a Ziff. i der VO Nr. 1408/71).
23
Unter den Begriff der Rechtsvorschriften fallen über Art. 1 Buchst. j Ziff. a der VO Nr. 1408/71 auch die Sondersysteme für Beamte (vgl. ausführlich Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. August 2002 VIII R 97/01, BFHE 200, 211, BStBl II 2002, 869 Rz 10). Da somit die Kinder des Klägers als Familienangehörige (Art. 1 Buchst. f Ziff. i der VO Nr. 1408/71) der Ehefrau des Klägers in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallen (Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71) und zudem auch parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum bestehen, greift Art. 10 der VO Nr. 574/72 nach beiden vom EuGH genannten Voraussetzungen ein.
24
b) Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld nicht nach Art. 10 der VO Nr. 574/72 ausgeschlossen wird. Der Kläger hat nach den Feststellungen des FG eine Berufstätigkeit im Wohnland des Kindes (Deutschland) ausgeübt. Entgegen der Auffassung der Familienkasse ergibt sich nichts anderes auch aus dem Beschluss Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Union für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 7. April 2006 zur Auslegung des Art. 76 und des Art. 79 Abs. 3 der VO Nr. 1408/71 sowie des Art. 10 Abs. 1 der VO Nr. 574/72 bezüglich des Zusammentreffens von Familienleistungen oder -beihilfen (ABlEU 2006 Nr. L 175, S. 83). Denn danach ist die Formulierung in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 „Wird … eine Berufstätigkeit ausgeübt“ als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger zu verstehen. Aufgrund dieser selbständigen Tätigkeit des Klägers im Wohnland des Kindes ist nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 vorrangig Deutschland zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet.

Einkommensteuer | Eigener Hausstand bei der doppelten Haushaltsführung (BFH)

Doppelte Haushaltsführung – gemeinsamer Haushalt von Eltern und erwachsenen, wirtschaftlich eigenständigen Kindern

 Leitsatz

1. Dient die Wohnung am Beschäftigungsort dem Steuerpflichtigen lediglich als Schlafstätte, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Mittelpunkt der Lebensführung noch am Heimatort zu verorten ist und dort der Haupthausstand geführt wird.

2. Ein eigener Hausstand kann auch dann unterhalten werden, wenn der Erst- oder Haupthausstand gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil geführt wird. Einer gleichmäßigen Beteiligung des Kindes an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten bedarf es hierfür nicht.

3. Bei erwachsenen, berufstätigen Kindern, die zusammen mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt wohnen, ist im Regelfall davon auszugehen, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen.

 Gesetze

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5

 Instanzenzug

FG Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 2012 3 K 2338/09 (EFG 2012, 1921) BFH VI R 46/12

 Gründe

1  I. Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung vorliegen.

2  Der im Jahre 1964 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist alleinstehend und erzielte im Streitjahr 2007 als Chemiker Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er arbeitete im Streitjahr in B. Diese Stelle hatte er im Jahr 2006 angetreten und dort auch seinen Zweitwohnsitz begründet. Seinen Hauptwohnsitz behielt er in N bei und wohnte dort zusammen mit seiner Mutter im Einfamilienhaus, das im Streitjahr seiner (im Streitjahr 71 Jahre alten) Mutter zu 3/4 und dem Kläger und seiner Schwester zu jeweils 1/8 gehörte. Er nutzte nach eigenen Angaben in dem Einfamilienhaus ein Schlaf- und Arbeitszimmer sowie ein Badezimmer allein. Die Küche, das Ess- und Wohnzimmer wurden von ihm und seiner Mutter gemeinsam genutzt. Im Jahr 2010 wurde das Anwesen auf den Kläger übereignet.

3  In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger erfolglos Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von insgesamt 7.053 € als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Einspruch und Klage blieben ebenfalls ohne Erfolg. Zwar seien sich die Beteiligten inzwischen einig, dass der Kläger das Fortbestehen seines Lebensmittelpunktes am Heimatort durch geeignete Belege nachgewiesen habe. Gleichwohl habe der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der angefochtenen Einkommensteuerfestsetzung zu Recht nicht berücksichtigt. Denn der Kläger habe in N keinen eigenen Hausstand unterhalten, sondern sei lediglich in den Haushalt der Mutter eingegliedert gewesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1921 veröffentlicht.

4  Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

5  Er beantragt,

das Urteil des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 14. Februar 2012 3 K 2338/09 und die Einspruchsentscheidung vom 11. September 2009 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 vom 4. März 2009 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung in Höhe von 2.949 € als Werbungskosten berücksichtigt werden, hilfsweise

das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Gesetzeslage bzw. Verwaltungspraxis.

6  Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7  II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

8  1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 21. April 2010 VI R 26/09, BFHE 230, 5 , BStBl II 2012, 618, m.w.N.).

9  a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die Haushaltsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung weiterhin —wenn auch gegen Kostenbeteiligung— im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen. Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sein, sie ist aber nicht ein von dem Kind unterhaltener eigener Hausstand (BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 VI R 62/90 , BFHE 175, 430 , BStBl II 1995, 180). Bei älteren, wirtschaftlich selbständigen, berufstätigen Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt leben, ist hingegen davon auszugehen, dass sie die Führung des Haushalts maßgeblich mitbestimmen, so dass ihnen dieser Hausstand als „eigener” zugerechnet werden kann. Diese Regelvermutung gilt insbesondere, wenn die Wohnung am Beschäftigungsort dem Arbeitnehmer im Wesentlichen nur als Schlafstätte dient. Denn dort ist regelmäßig weder der Haupthausstand noch der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen zu verorten. Entspricht die Wohnsituation am Heimatort der Wohnung am Beschäftigungsort in Größe und Ausstattung oder übertrifft sie diese, ist dies vielmehr ein wesentliches Indiz dafür, dass der Mittelpunkt der Lebensführung nicht an den Beschäftigungsort verlegt worden ist, sondern der Haupthausstand dort fortgeführt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 430 , BStBl II 1995, 180). Dies gilt umso mehr, wenn der Steuerpflichtige dort sein Privatleben führt, weil zum Heimatort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen, beispielsweise wegen der —mit steigender Lebenserwartung immer häufiger— alten, betreuungs- oder sogar pflegebedürftigen Eltern (BFH-Urteile in BFHE 175, 430 , BStBl II 1995, 180; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380 , BStBl II 2007, 820).

10  b) Der Umstand, dass der Arbeitnehmer dabei am Heimatort nicht über eine abgeschlossene Wohnung verfügt, steht dieser Vermutung nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können die durch das Leben am Beschäftigungsort zusätzlich entstehenden notwendigen Aufwendungen grundsätzlich auch dann zu Werbungskosten führen, wenn die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunktes vergleichsweise einfach oder beengt sein sollten (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2004 VI R 82/02 , BFHE 207, 292 , BStBl II 2005, 98, m.w.N.). Insbesondere müssen die dem Arbeitnehmer zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Räumlichkeiten nicht den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden (BFH-Urteil in BFHE 207, 292 , BStBl II 2005, 98). Der Senat hat es in dieser Entscheidung auch für unerheblich angesehen, dass sich der Arbeitnehmer in der ihm von seinen Eltern überlassenen Wohnung die Sanitäreinrichtung mit seiner Schwester teilen musste, weil ihm die übrigen Räumlichkeiten eine eigenständige Haushaltsführung ermöglichten (vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Dezember 2005 III R 27/05 , BFHE 212, 376 , BStBl II 2006, 561, m.w.N.). Entsprechendes gilt, wenn dem Arbeitnehmer die Küche nicht zur alleinigen Verfügung steht (BFH-Urteil vom 30. Juli 2009 VI R 13/08 , BFH/NV 2009, 1986 ). Deshalb kann ein eigener Hausstand auch dann unterhalten werden, wenn der Erst- oder Haupthausstand gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil geführt wird (Senatsurteil vom 26. Juli 2012 VI R 10/12, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 112 ).

11  c) Auch bedarf es der Übernahme einer besonderen finanziellen Verantwortung für den (gemeinsamen) Hausstand durch die gleichmäßige Beteiligung an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten durch den Steuerpflichtigen nicht. Denn eine finanzielle Beteiligung, aus der auf eine gemeinsame Haushaltsführung von Eltern und Kindern geschlossen werden kann, kann auch vorliegen, wenn etwa eine Aufteilung nach laufenden und einmaligen Kosten oder nach gewöhnlichem und außergewöhnlichem Aufwand vorgenommen wird. Im Übrigen ist dem Merkmal der Entgeltlichkeit lediglich —eine gewichtige— Indizfunktion beizumessen. Denn die Entgeltlichkeit ist keine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) einer steuererheblichen doppelten Haushaltsführung. Dies gilt sowohl für die Überlassung der Wohnung selbst als auch für die Kostentragung im Übrigen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein alleinstehender Steuerpflichtiger auch dann einen eigenen Haushalt unterhält, wenn nicht er selbst, sondern Dritte für diese Kosten aufkommen. Denn eine eigene Haushaltsführung des auswärts Beschäftigten ist nicht zwingend ausgeschlossen, wenn sich dessen finanzielle Beteiligung am Haushalt nicht feststellen lässt, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist (Senatsurteile vom 28. März 2012 VI R 87/10 , BFHE 236, 553 , BStBl II 2012, 800, und in BFH/NV 2013, 112 ).

12  2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Grundsätzen nicht. Denn die Vorinstanz hat zum einen die gleichmäßige Beteiligung von Eltern und Kindern an den laufenden Haushalts- und Lebenshaltungskosten zu einer unverzichtbaren Voraussetzung für eine doppelte Haushaltsführung im Rahmen eines Mehrgenerationenhaushalts erhoben. Zum anderen hat das FG verkannt, dass bei einem erwachsenen, wirtschaftlich selbständigen Kind —wie dem Kläger, ein im Streitjahr 43 Jahre alter promovierter Diplomchemiker— regelmäßig vermutet werden kann, dass es nicht als Gast in den elterlichen Haushalt eingegliedert ist, sondern jedenfalls dann, wenn es dort lediglich unterbrochen durch Arbeits- und Urlaubsaufenthalte gemeinsam mit den Eltern oder einem Elternteil wohnt und deshalb dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen zu verorten ist, auch die gemeinsame Haushaltsführung wesentlich mitbestimmt. Schließlich hat die Vorinstanz im Streitfall auch nicht alle maßgeblichen Umstände in ihre Überzeugungsbildung einbezogen. Denn es hat weder die Wohnsituationen am Heimat- wie Beschäftigungsort in den Blick genommen noch gegeneinander abgewogen. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Auch deshalb bindet die Würdigung des FG, der Kläger habe keinen steuererheblichen doppelten Haushalt geführt, den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht.

13  3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze entsprechende weitere Feststellungen zu dem behaupteten Haupthausstand, insbesondere zu den Wohnsituationen des Klägers am Heimat- wie Beschäftigungsort zu treffen haben. Sollte es dabei zu der Erkenntnis gelangen, dass der Kläger am Beschäftigungsort nur über eine kleine bescheidene Unterkunft (Schlafstätte) verfügt —wofür die geltend gemachten Unterkunftskosten von weniger als 200 € monatlich sprechen— und am Heimatort bei seiner Mutter zwei Zimmer und ein Badezimmer alleine nutzt, liegt es nahe, aufgrund des Alters des Klägers und seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit sowie dem Umstand, dass der Lebensmittelpunkt von den Beteiligten unstreitig am Heimatort verortet wird, vom Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG auszugehen. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob der Kläger sich an den laufenden Haushaltskosten (beispielsweise für Wasser, Strom und Gas) beteiligt hat. Im Übrigen spricht das Vorbringen des Klägers, der behauptete gemeinsame Haushalt sei —abredegemäß— dergestalt finanziert worden, dass seine Mutter die laufenden Haushaltskosten und er die einmaligen hohen Kosten (beispielsweise für Instandhaltungsmaßnahmen, Schönheitsreparaturen, Gartenpflege u.Ä.) übernommen habe, ohnehin gegen eine unentgeltliche Überlassung der vom Kläger zu Wohnzwecken genutzten Räumlichkeiten.

14  4. Der Senat muss nicht entscheiden, ob dem FG die von dem Kläger gerügten Verfahrensfehler unterlaufen sind. Der Kläger hat seine Revision auch auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. In einem solchen Fall muss der BFH das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts prüfen, ohne dabei an die vorgebrachten Revisionsgründe gebunden zu sein (Senatsurteil vom 21. Januar 2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85 , BStBl II 2010, 700; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 118 Rz 73). Da die Revision aus anderen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung führt, muss der Senat nicht noch darüber entscheiden, ob der Kläger auch infolge eines Verfahrensfehlers in seinen Rechten verletzt ist.

Umsatzsteuer | Verjährungsregelung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG (BMF)

Jahressteuergesetz 2010; Verjährungsregelung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG

Mit der Einfügung des § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG durch das JStG 2010 wurde in Anlehnung an die Regelung zur Feststellungsverjährung eine Befristung für die rückwirkende Anwendung der für die Steuerbefreiung maßgebenden Bescheinigung geschaffen.

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Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010); Verjährungsregelung zu § 4 Nr. 20 Buchst. a Umsatzsteuergesetz (UStG)

Hierzu: BMF-Schreiben vom 20. August 2012 – IV D 3 – S 7177/07/10001-02 – 2012/0765888 –

Durch Artikel 4 Nr. 6 Buchstabe a des JStG 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1768) wurde § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geändert und folgender Satz “Für die Erteilung der Bescheinigung gilt § 181 Abs. 1 und 5 der Abgabenordnung (AO) entsprechend.” eingefügt. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder hat das BMF hierzu das folgende Schreiben erlassen.

Jahressteuergesetz 2010 (PDF, 56,5 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

Durch Artikel 4 Nr. 6 Buchstabe a des JStG 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1768) wurde § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG mit Wirkung zum 1. Januar 2011 geändert und folgender Satz „Für die Erteilung der Bescheinigung gilt § 181 Abs. 1 und 5 der Abgabenordnung (AO) entsprechend.“ eingefügt.

 

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:

 

I. Erlass und Aufhebung von Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG

 

Mit der Einfügung des § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG durch das JStG 2010 wurde in Anlehnung an die Regelungen zur Feststellungsverjährung eine Befristung für den rückwir-kenden Erlass der für die Steuerbefreiung maßgebenden Bescheinigung geschaffen. Damit geht einher, dass eine Abwicklung bzw. Rückabwicklung von Vorsteuerbeträgen sowohl durch den Steuerpflichtigen als auch durch die Finanzbehörden nur noch für einen zeitlich begrenzten Zeitraum möglich ist.

 

Für die Erteilung oder die Aufhebung der Bescheinigung sowie alle anderen damit im Zusam-menhang stehenden Aspekte des Verwaltungsverfahrens ist das jeweilige Verwaltungsverfah-rensgesetz des Landes maßgebend, dem die bescheinigende Behörde angehört. Im Gegensatz zur AO enthalten die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder aber keine Verjährungsrege-lungen. Dieser Tatsache trägt die gesetzliche Änderung in § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG Rechnung; allerdings sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Regelungen über die Feststellungsverjährung entsprechend anzuwenden sein. Hinsichtlich der allgemeinen Verfahrensvorschriften sind daher weiterhin die Regelungen der jeweils maßgebenden Ver-waltungsverfahrensgesetze der Länder anzuwenden.

 

Dabei ist im Einzelnen Folgendes zu beachten:

 

Die Frist für den rückwirkenden Erlass oder die rückwirkende Aufhebung der Bescheinigung beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AO).

 

Der Beginn dieser Frist richtet sich danach, für welchen Besteuerungszeitraum die Bescheini-gung erteilt werden soll (sinngemäße Anwendung des § 170 Abs. 1 AO gemäß dem nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG entsprechend anzuwendenden § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Hierbei ist zu beachten, dass die Bescheinigung regelmäßig einen Dauer-Verwaltungsakt darstellt, der das Vorliegen bestimmter Verhältnisse ab einem bestimmten Zeitpunkt bis auf weiteres bestätigt. Die nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG erforderliche Bescheinigung darf daher von den zuständigen Landesbehörden mit steuerlicher Wirkung grundsätzlich rückwir-kend nur noch für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1,§ 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 und § 170 Abs. 1 AO) nach Ab-lauf des Jahres, für das die Bescheinigung gilt, bzw. bis zum Eintritt der Festsetzungsverjäh-rung der Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO) aus-gestellt werden.

 

Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO kommt nicht zur Anwendung, weil für den Unternehmer keine Verpflichtung besteht, eine Bescheinigung im Sinne des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG zu beantragen. Insoweit greift als Korrektiv die Befugnis der Finanzbehör-den, unabhängig vom Unternehmer – und ggf. auch gegen dessen Willen – eine Bescheinigung zu beantragen. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO ist auf die Fälle der Aufhebung einer bereits erteilten Bescheinigung beschränkt. Die Frist für die Aufhebung der Bescheini-gung beginnt frühestens mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem vom Steuerpflichtigen oder der Finanzbehörde der entsprechende Antrag gestellt wurde.

 

Die Regelungen zu den Ablaufhemmungen (z. B. nach § 171 Abs. 1, 2, 3 und 3a AO) kom-men bei Berechnung der Frist für die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG entsprechend zur Anwendung.

 

Zudem ist das verjährungsrechtliche Wechselspiel zwischen der Umsatzsteuerfestsetzung und der Erteilung der Bescheinigung zu beachten:

 

1.

Wird eine Bescheinigung vor Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben, gilt hinsichtlich der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO, d. h. es besteht insoweit für den jeweiligen Umsatz-steuerbescheid eine Anpassungsfrist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Bescheinigung (vgl. AEAO zu § 171, Nummer 6). Für die betroffenen Kalenderjahre sind die jeweiligen Umsatzsteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern.

 

2.

Wird eine Bescheinigung nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben, gilt Folgendes:

 

Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG kann auch nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist insoweit erteilt oder aufgehoben werden, als sie für eine Umsatzsteuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeit-punkt der Erteilung oder Aufhebung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 AO sind dabei zu beachten (vgl. dazu auch AEAO zu § 181, Nummer 1). Wird eine Bescheinigung für einen mehr als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum erteilt oder aufgehoben und war die Verjährungsfrist im Bescheinigungsverfahren selbst nicht gehemmt, ist in die Bescheinigung der Hinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 2 AO aufzunehmen. Dieser Hinweis kann wie folgt lauten:

 

„Diese Bescheinigung ist für die Jahre … nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist erteilt/aufgehoben worden. Sie ist für diese Jahre nur für solche Umsatzsteuerfestsetzungen bedeutsam, bei denen die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. § 181 Abs. 5 AO).“

 

Die konkrete Feststellung, für welche Umsatzsteuerfestsetzung die Bescheinigung bzw. deren Aufhebung von Bedeutung ist, trifft das dafür zuständige Finanzamt. Soweit die Vorausset-zungen des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO erfüllt sind, sind die Umsatzsteuerfestsetzungen der noch nicht festsetzungsverjährten Kalenderjahre nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entsprechend zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben.

 

 

Beispiel:

 

Unternehmer U hat im Jahre 00 seine Tätigkeit aufgenommen. Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG hat U nicht beantragt; aus seinen Eingangsumsät-zen hat er den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Auf Antrag des zuständigen Finanz-amtes (gestellt im Januar 12) will die zuständige Landesbehörde im Jahr 12 rückwir-kend bescheinigen, dass U die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 1 UStG genannten Einrichtungen erfüllt. Die Leistungen des U wären demnach umsatzsteuerfrei. Für die Umsatzsteuer des Kalenderjahres 07 läuft die Festsetzungsfrist aufgrund der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO (Abgabe der Steuererklärung für 07 in 08) erst mit Ablauf des Jahres 12 ab.

 

Für die Folgejahre tritt die Festsetzungsverjährung entsprechend später ein.

 

Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Kalenderjahre vor 07 ist Anfang 12 bereits abgelaufen.

 

Lösung:

 

Die Bescheinigung kann mit umsatzsteuerlicher Wirkung grundsätzlich nur über einen zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 und § 170 Abs. 1 AO) erteilt werden. Die Vier-Jahres-Frist beginnt dabei mit Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung (erstmalig) erteilt werden soll.

 

Diese vierjährige Frist ist für die Jahre bis einschließlich 07 im Zeitpunkt der Antrag-stellung bereits abgelaufen. Für das Jahr 08 läuft sie erst mit Ablauf des Jahres 12 ab. Die Bescheinigung kann daher grundsätzlich nur mit Wirkung ab 08 erteilt werden.

 

Allerdings darf eine Bescheinigung auch nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG geltenden Frist insoweit erteilt oder aufgehoben werden, als sie für eine Umsatzsteuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung oder Aufhebung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO).

 

Da die Festsetzungsfrist der Umsatzsteuer des Kalenderjahrs 07 vorliegend im Zeit-punkt der Erteilung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist, kann die Bescheini-gung auch mit Wirkung für das Jahr 07 erteilt werden. Sie muss aber, um steuerliche Wirkung zu haben, den Hinweis enthalten, dass die Bescheinigung nach Ablauf der für sie geltenden Frist erteilt wird und nur für Umsatzsteuerfestsetzungen von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§ 181 Abs. 5 Satz 2 AO).

 

 Die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG kann uneingeschränkt für die Zeit ab 1. Januar 08 erteilt werden. Die Umsatzsteuerfestsetzungen ab 08 sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen. Der Vorsteuerabzug, soweit er auf die nunmehr steuerfreien Umsätze entfällt, ist zu korrigieren (Hinweis auf § 15 Abs. 2 UStG).

 

 Da die Voraussetzungen des § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO in Bezug auf das Jahr 07 vorliegen, kann die Bescheinigung unter Beifügung des Hinweises auf § 181 Abs. 5 Satz 2 AO auch mit Wirkung für dieses Kalender-jahr erteilt werden. Ist dies geschehen, ist die Umsatzsteuerfestsetzung 07 eben-falls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen und der Vorsteuerabzug für die nunmehr steuerfreien Umsätze insoweit zu korrigieren.

 Soweit die Bescheinigung auch mit Wirkung für Zeiträume vor 07 erteilt werden sollte, ist dies steuerlich – trotz eines etwaigen Hinweises auf § 181 Abs. 5 Satz 2 AO – ohne Bedeutung.

 

II. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE)

 

Ferner wird Abschnitt 4.20.5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 864), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 25. Juli 2012 – IV D 2 – S 7270/12/10001 – (2012/0674543), BStBl I S. xxx, geändert worden ist, wie folgt gefasst:

 

„4.20.5. Bescheinigungsverfahren

 

(1) 1Für die Erteilung der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde gilt Abschnitt 4.21.5 Abs.2 und 3 entsprechend. 2Gastieren ausländische Theater und Orchester im Inland an verschiedenen Orten, genügt eine Bescheinigung der Landesbehörde, in deren Zuständigkeits-bereich das ausländische Ensemble erstmalig im Inland tätig wird.

 

(2) 1Für den rückwirkenden Erlass der Bescheinigung gilt eine Befristung entsprechend den Regelungen der Abgabenordnung zur Feststellungsverjährung. 2Danach darf die Bescheini-gung von der zuständigen Landesbehörde grundsätzlich nur für einen Zeitraum von vier Jahren (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und 2 Satz 1 und § 170 Abs. 1 und 3 AO) nach Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung gilt, bzw. bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung der Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 20 Buchstabe a Satz 3 UStG i. V. m. § 181 Abs. 5 AO) ausgestellt oder aufgehoben werden (vgl. im Einzel-nen Abschn. I des BMF-Schreibens vom xx. 8. 2012, BStBl I S. xxx).“

 

Die Grundsätze dieses Schreibens gelten für alle Fälle des Erlasses oder der Aufhebung von Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchstabe a UStG nach dem 31. Dezember 2010.

Verzicht des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft auf eine Pensionsanwartschaft

Verzicht des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft auf eine Pensionsanwartschaft als verdeckte Einlage (§ 8 Absatz 3 Satz 3 KStG);
Verzicht auf künftig noch zu erdienende Pensionsanwartschaften (sog. Future Service)

 

Unter Bezugnahme auf die Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zur ertragsteuerlichen Behandlung des Verzichts eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf eine Pensionsanwartschaft gegenüber seiner Kapitalgesellschaft Folgendes:

 

1 Nach dem BFH-Beschluss vom 9. Juni 1997 (GrS 1/94 – BStBl 1998 II Seite 307) führt der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Verzicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf eine werthaltige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft zu einer verdeckten Einlage nach § 8 Absatz 3 Satz 3 KStG in die Kapitalgesellschaft und zu einem Zufluss von Einnahmen beim Gesellschafter-Geschäftsführer. Diese Grundsätze gelten auch bei einem Verzicht des Gesellschafter-Geschäftsführers auf eine Pensionsanwartschaft. Für die Bewertung der verdeckten Einlage ist dabei nach dem BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 (I R 58/93 – BStBl 1998 II Seite 305) auf den Teilwert der Pensionsanwartschaft des Gesellschafter-Geschäftsführers abzustellen und nicht auf den gemäß § 6a EStG ermittelten Teilwert der Pensionsverbindlichkeit der Kapitalgesellschaft. Der Teilwert ist dabei unter Beachtung der allgemeinen Teilwertermittlungsgrundsätze im Zweifel nach den Wiederbeschaffungskosten zu ermitteln. Demnach kommt es darauf an, welchen Betrag der Versorgungsberechtigte zu dem Zeitpunkt des Verzichtes hätte aufwenden müssen, um eine gleich hohe Pensionsanwartschaft gegen einen vergleichbaren Schuldner zu erwerben. Dabei kann die Bonität des Forderungsschuldners berücksichtigt werden. Außerdem kann von Bedeutung sein, ob die Pension unverfallbar ist oder ob sie voraussetzt, dass der Berechtigte bis zum Pensionsfall für den Verpflichteten nichtselbständig tätig ist (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 – I R 58/93 – BStBl 1998 II Seite 305).

 

2 Im Falle des vollständigen Verzichts auf eine Pensionsanwartschaft vor Eintritt des Versorgungsfalls liegt eine verdeckte Einlage in Höhe des bis zum Verzichtszeitpunkt bereits erdienten Anteils des Versorgungsanspruches vor. Bei einem teilweisen Verzicht ist eine verdeckte Einlage insoweit anzunehmen, als der Barwert der bis zu dem Verzichtszeitpunkt bereits erdienten Versorgungsleistungen des Gesellschafter-Geschäftsführers den Barwert der nach dem Teilverzicht noch verbleibenden Versorgungsleistungen übersteigt. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Verzichtsvereinbarung der Bezeichnung nach nur auf künftig noch zu erdienende Anwartschaften (sog. Future Service) bezieht oder ob es sich dabei um eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Änderung einer Pensionszusage handelt, die mit einer Reduzierung der bisher zugesagten Versorgungsleistungen verbunden ist.

 

3 Es wird nicht beanstandet, wenn als erdienter Teil der Versorgungsleistungen bei einer Leistungszusage an einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer der Teilanspruch aus den bisher zugesagten Versorgungsleistungen angesetzt wird, der dem Verhältnis der ab Erteilung der Pensionszusage bis zum Verzichtszeitpunkt abgeleisteten Dienstzeit (s) einerseits und der ab Erteilung der Pensionszusage bis zu der in der Pensionszusage vorgesehenen festen Altersgrenze (t) andererseits entspricht (zeitanteilig erdienter Anwartschaftsbarwert ab Pensionszusage – s/t). Bei einem nicht beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer ist insoweit nicht auf den Zeitpunkt der (erstmaligen) Erteilung einer Pensionszusage, sondern auf den Beginn des Dienstverhältnisses abzustellen (sog. m/n-Anwartschaftsbarwert).

 

Beispiel:

– Beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, geb. 1. Januar 1960

– Diensteintritt in die GmbH am 1. Januar 1986

– Zusage am 1. Januar 1996 einer Alters- und Invalidenrente über 3.000 €/monatlich

– Pensionseintritt mit Vollendung des 66. Lebensjahres

– Herabsetzung der Versorgungsanwartschaft am 1. Januar 2011 auf 1.500 €/monatlich

Lösung:

Ermittlung des erdienten Anteils der Versorgungsleistungen zum Zeitpunkt der Herabsetzung:

Quotient nach Rz. 3: tatsächlich geleistete Dienstjahre ab Zusageerteilung (da beherrschend) / maximal mögliche Dienstjahre ab Zusageerteilung = 15/30 = 0,5

Erdienter Anteil zum 1. Januar 2011: 1.500 €/monatlich

 

Ergebnis:

Da die nach Herabsetzung noch verbleibenden Versorgungsleistungen genau dem bereits erdienten Anteil entsprechen, beträgt der Wert der verdeckten Einlage nach § 8 Absatz 3 Satz 3 KStG 0 €.

 

4 Bei der Berechnung des Barwerts der bis zum Verzichtszeitpunkt erdienten sowie des Barwerts der danach herabgesetzten Pensionsanwartschaft sind die gleichen, im Verzichtszeitpunkt anerkannten Rechnungsgrundlagen und anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden. Es wird dabei für den Barwertvergleich nicht beanstandet, wenn die Rechnungsgrundlagen verwendet werden, die am vorangegangenen Bilanzstichtag der steuerlichen Bewertung der Pensionsverpflichtung zugrunde lagen.

 

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht

 

Im Auftrag

 

 

Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.

Basiszins für die Bewertung von Beteiligungen und Unternehmen (Mai 2013)

Zur Bewertung von Beteiligungen nach IDW RS HFA 10 und von Unternehmen nach IDW S 1 mit dem Ertragswertverfahren werden die Nettoeinnahmen der Anteilseigner abgezinst. Der Zinssatz berechnet sich dabei unter Anwendung des CAPM bzw. Tax-CAPM aus einem Basiszins zuzüglich eines Risikozuschlags.

Als Vorgabe des IDW sollen Basiszinssätze bei Unternehmensbewertungen aus zukunftsorientierten Zerobond-Zinssätzen abgeleitet werden, für deren Schätzung aus Objektivierungsgründen auf die von der Deutschen Bundesbank verwendete Svensson-Methode zurückgegriffen wird. Für Bewertungsstichtage im Mai 2013 ist der Basiszinssatz auf 2,25 % gesunken:

Bewertungsperiode: Mai 2013
Referenzzeitraum: 1. 2. 2013 – 30. 4. 2013
Basiszinssatz exakt: 2,357198 %
Basiszinssatz gerundet: 2,25 %

Quelle: NWB/ Klaus Wenzel und Andreas Hoffmann, BPG Beratungs- und Prüfungsgesellschaft mbH, Krefeld

Einkommensteuer | Behinderungsbedingter Mehraufwand durch Grundstückskauf (FG)

Außergewöhnliche Belastung: Behinderungsbedingter Mehraufwand durch Grundstückskauf

 Leitsatz

  1. 1.            Mehraufwendungen für den behindertengerechten Neubau eines Hauses können als agB abziehbar sein.
  2. 2.            Das gilt jedenfalls dann, wenn die Mehraufwendungen unausweislich waren, denn dann erwachsen sie zwangsläufig i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG .
  3. 3.            Zu derartigen zwangsläufigen Mehraufwendungen können im Einzelfall auch die Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks gehören.
  4. 4.            Die sog. Gegenwertslehre kommt schon dann nicht zum Tragen, wenn es sich um behinderungsbedingte notwendige Baumaßnahmen handelt, die keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert begründen.

 Gesetze

EStG § 33
Verfahrensstand:  Diese Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig

 Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Die Klägerin ist schwerbehindert. Sie leidet unter Multipler Sklerose. Mit Bescheid vom 22.12.2006 wurde der Grad der Behinderung auf 80 % festgestellt.

Die Kläger errichteten in den Jahren 2009 und 2010 zu eigenen Wohnzwecken einen Bungalow. Aufgrund der behinderungsbedingten Anforderungen an die Wohnfläche entschieden sie sich u.a. nach fachkundiger Beratung für einen eingeschossigen Bungalow. Die gegenüber einem mehrgeschossigen Bungalow erforderliche Grundfläche des Gebäudes erforderte aufgrund der im Bebauungsplan vorgeschriebenen Grundflächenzahl von 0,3 den Erwerb einer um 151,67 Quadratmeter größeren Grundstücksfläche. Dadurch ergaben sich bei einem Preis von 87 €/qm Mehrkosten für den Baugrund i.H.v. 13.195,29 €. Ferner entstand den Klägern in 2009 durch erforderliche behinderungsgerechte Baumaßnahmen ein behinderungsbedingter Mehraufwand von 205,45 €, den die Kläger nach Abzug von Zuschüssen der Kranken- und Pflegekassen als Eigenanteil selbst zu tragen hatten.

In ihrer Einkommensteuererklärung 2009 machten die Kläger aufgrund des behinderungsbedingten Mehraufwandes für den Hausbau zunächst keine Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 zuletzt mit Einkommensteuerbescheid vom 14.02.2011 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein. Diesen begründeten sie damit, dass ihnen durch den Hausbau in 2009 Mehrkosten wegen behinderungsbedingter Baumaßnahmen i.H.v. 13.400,74 € entstanden seien, die als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien. Da die Klägerin u. a. an einer schweren Gehbehinderung leide und ihr das Steigen von Treppen nicht möglich sei, seien sie auf eine eingeschossige Bauweise des Bungalows angewiesen gewesen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sanitäre Einrichtungen großzügig ausgelegt sein mussten, um die pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen zu ermöglichen, und Wendeflächen für den Rollstuhl, breitere Türen und niedrigere Schwellen, Haltegriffe und eine barrierefreie Duschkabine mit einem Klappsitz erforderlich gewesen seien. Dadurch habe sich eine um 45,5 m² größere Grundfläche des Bungalows gegenüber einem Bungalow ergeben, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können. Aufgrund der im Baugebiet vorgegebenen Grundflächenzahl seien sie gezwungen gewesen, ein 151,67 Quadratmeter größeres Grundstück zu kaufen, um das Gebäude entsprechend realisieren zu können. Dadurch hätten sich für das Grundstück Mehrkosten i.H.v. 13.195,29 € ergeben. Weitere Aufwendungen i.H.v. 205,45 € ergäben sich durch den nicht bezuschussten Eigenanteil der erforderlichen Mehraufwendungen.

Der Einspruch der Kläger war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger sind der Auffassung, dass baubedingte Mehrkosten aufgrund der Behinderung der Klägerin i.H.v. 13.400,74 € als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. Ferner hätten sie einen Anspruch auf die Berücksichtigung weiterer Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 14.02.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 23.11.2011 dahingehend zu ändern, dass der Teil von 14.300,74 €, der die den Klägern zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen und die Steuer entsprechend herabgesetzt wird.

Der Beklagte erkennt die von den Klägern als Eigenanteil getragenen behinderungsbedingten Mehraufwendungen i.H.v. 205,45 € und die Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten von pauschal 900 € an und beantragt im Übrigen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Krankheit der Klägerin sei nicht ursächlich für den Erwerb einer größeren Grundstücksfläche gewesen. Zumindest könnten erhebliche persönliche Motive, die unabhängig von der Krankheit der Klägerin seien, für den Erwerb der größeren Grundstücksfläche nicht ausgeschlossen werden. Unabhängig davon sei bei einer bebauten Fläche von 182,64 m² und einer Grundflächenzahl von 0,3 der Erwerb einer Grundstücksfläche von lediglich 609 m², nicht aber von 693 m² erforderlich gewesen. Ferner sei in dem konkreten Fall der Kläger zu berücksichtigen, dass weiterhin von der Gegenwerttheorie ausgegangen werden müsse. Der BFH habe in seinen Entscheidungen vom 22.10.2009 (VI R 7/09) und vom 24.02.2011 (VI R 16/10) nicht grundsätzlich Abstand von der Gegenwerttheorie genommen. Er habe lediglich klargestellt, dass dann nicht von einem über den Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert auszugehen sei, wenn eine Umbaumaßnahme durch die Behinderung bedingt und notwendig sei. Dies gelte jedoch nicht für die Anschaffung von Wirtschaftsgütern, die keine speziell auf die Behinderung zugeschnittenen Eigenschaften auswiesen. Das Grundstück der Kläger sei unabhängig von der Behinderung der Klägerin von bleibendem und andauerndem Nutzen und besitze einen in seiner Marktfähigkeit zum Ausdruck kommenden Verkehrswert, der unter Berücksichtigung der derzeitigen Wirtschaftslage zukünftig eher noch eine Wertsteigerung erfahren werde.

 Gründe

Die Klage ist begründet.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG ).

a) Mehraufwendungen für den behindertengerechten Neubau eines Hauses können als außergewöhnliche Belastungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sein, da es sich um größere Aufwendungen handelt, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen und die Aufwendungen weder durch den Grund- oder Kinderfreibetrag noch durch den Behinderten- und Pflegepauschbetrag abgegolten sind.

b) Den Klägern sind neben den vom Beklagten anerkannten, von den Klägern als Eigenanteil getragenen behinderungsbedingten baulichen Mehraufwendungen i.H.v. 205,45 € und den vom Beklagten ebenfalls anerkannten Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten von pauschal 900 € auch die Kosten für das größere Grundstück in Höhe von 13.195,29 € als behinderungsbedingter Mehraufwand zwangsläufig erwachsen. Die mit der schwerwiegenden Behinderung der Klägerin verbundene behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfeldes umfasste auch die Anschaffung des größeren Grundstücks. Da diese Mehraufwendungen für die Kläger unausweichlich waren, sind sie ihnen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen (vgl. BFH, Urteil vom 24.02.2011 VI R 16/10 , BFH/E 232, 518, BFH/NV 2011, 906 ). Den Klägern sind damit Mehraufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung ihres neu errichteten Bungalows i.H.v. 14.300,74 € entstanden.

aa. Die Entscheidung der Kläger, einen eingeschossigen Bungalow entsprechend ihren Vorstellungen und den Bedürfnissen der Klägerin zu errichten, steht der Zwangsläufigkeit behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht entgegen, da die Notwendigkeit einer behinderungsgerechten Ausgestaltung ihres Wohnumfeldes und damit die Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten aus tatsächlichen Gründen nicht auf ihrer freigewählten Wohnsituation, sondern auf der Krankheit und Behinderung der Klägerin beruht. Dies wird vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

(1) Abzugsfähig sind zwar nur Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Gestaltung seines individuellen Wohnumfeldes erforderlich sind. Hierunter fallen entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch auch die von den Klägern geltend gemachten Mehrkosten für die Anschaffung eines gegenüber einem zweigeschossigen Bungalow um 151,67 qm größeren Grundstücks. Die Kläger konnten sich der Anschaffung des entsprechend größeren Grundstücks nicht entziehen. Die Klägerin war krankheitsbedingt auf pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen angewiesen. Dadurch war eine flächenmäßig entsprechende Gestaltung der Sanitärbereiche erforderlich. Ferner waren Wendeflächen für den Rollstuhl und breitere Türen mit einer entsprechend größeren Wohnfläche zu berücksichtigen. Damit ergab sich für die Kläger eine um 45,5 m² größere Grundfläche gegenüber einem Bungalow, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können. Das um 151,67 qm größere Grundstück ist von den Klägern nur deshalb angeschafft worden, weil die den krankheitsbedingten Anforderungen der Klägerin entgegenkommende eingeschossige Bauweise mit der entsprechend größeren Grundfläche des Bungalows die Anschaffung des größeren Grundstücks aufgrund der nach den Bauvorschriften vorgegebenen Grundflächenzahl zwingend erforderlich machte. Darüber hinausgehende weitere Grundstückkosten haben die Kläger nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht. Die Grundflächenzahl von 0,3 hätte zwar im Verhältnis zur Grundfläche des Bungalows nur die Anschaffung eines Grundstücks von 609 qm statt der tatsächlich angeschafften 693 qm erfordert. Die Kläger haben jedoch in hinreichender Weise nachgewiesen, dass ein entsprechend kleineres Grundstück nicht zur Verfügung stand und an dem einmal erfolgten Zuschnitt der zum Verkauf anstehenden Grundstücke keine Änderung mehr möglich war. Auf die Erstellung eines Bungalows in einem anderen Baugebiet mit einer entsprechend kleineren Grundstücksfläche brauchen sich die Kläger im Rahmen der steuerrechtlichen Abzugsmöglichkeit nach § 33 EStG nicht verweisen zu lassen. Zudem machen die Kläger auch nur die Anschaffungskosten für die Grundstücksfläche geltend, die sie aufgrund der eingeschossigen Bauweise zusätzlich anschaffen mussten.

(2) Entgegen den Angaben der Klägerin war die Erstellung eines eingeschossigen Bungalows zwar nicht aufgrund ihrer Behinderung zwingend erforderlich. Denn nach dem Schreiben der Firma Westermann Massivhaus vom 22. Juli 2011 sind Alternativen, wie etwa ein Treppenlift oder ein Fahrstuhl u. a. lediglich auch aus Kostengründen verworfen worden. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die eingeschossige Bungalowbauweise alternativlos war, da es bei Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Umgestaltung seines individuellen Wohnfeldes erforderlich sind, auf die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen nicht ankommt (vgl. BFH, Urteil vom 24.02.2011 , a.a.O., Rdz. 13). Es bestehen für das Gericht auch keine Zweifel, dass die Gestaltung des individuellen Wohnfeldes der Kläger behindertenbedingt und erforderlich war. Aus den in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten vorgelegten Grundrissen des Bungalows ergab sich, dass die Kläger nur in minimalem Umfang Wohnflächen vergrößernde Baumaßnahmen umgesetzt haben, die behinderungsbedingt erforderlich waren. Diese Maßnahmen beschränkten sich darüber hinaus auf das Bad und die Flure. Außerdem hielten sich diese notwendigen Wohnflächenvergrößerungen immer noch im Rahmen allgemein üblicher Wohnflächen. Damit sind den Klägern die Mehrkosten für die Anschaffung des größeren Grundstücks zwangsläufig entstandenen.

(3) Der Abzug dieser zwangsläufigen Aufwendungen ist nicht durch einen Gegenwert gehindert, da es sich um behinderungsbedingte notwendige Baumaßnahmen handelt, die keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert begründen. Behinderungsbedingter Mehraufwand steht stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt. Es handelt sich um eine aus tatsächlichen Gründen bestehende zwangsläufige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen. Der Senat schließt sich insofern den Gründen der Entscheidung des BFH vom 24.02.2011 (a.a.O.) an.

bb. Hinsichtlich der weiteren Mehrkosten i.H.v. 205,45 € ist unstreitig, dass es sich um Kosten aufgrund des behinderungsbedingten Mehrbedarfs der Klägerin handelt, die auch vom Beklagten entsprechend anerkannt sind. Gleiches gilt für die behinderungsbedingten Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €. Diese werden von der Finanzverwaltung nach den Einkommensteuerrichtlinien H 33b „Fahrtkosten” i.V.m. H 33.1 bei geh- und stehbehinderten Menschen mit einem Aufwand für Fahrten bis zu 3.000 km im Jahr und einem Km-Satz von 0,30 €/km pauschal als angemessen anerkannt.

b) Damit sind im Rahmen des § 33 EStG insgesamt 14.300,74 € als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Die Einkommensteuer ist unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG ) entsprechend herabzusetzen.

2. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – FGO übertragen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO . Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung .

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin