Archiv der Kategorie: Privatbereich

Werbungskostenabzug bei Abgeltungsteuer

FG Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungsteuer

Das Finanzgericht Köln hat am 17.04.2013 entschieden, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit Kapitalerträgen, die dem Steuerpflichtigen vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind, weiterhin unbeschränkt als (nachträgliche) Werbungskosten abgezogen werden können. Das im Jahr 2009 mit der Abgeltungsteuer bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eingeführte Abzugsverbot für Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) findet auf diese Ausgaben keine Anwendung.

Der Kläger hat Kapitaleinkünfte für das Streitjahr 2010 in Höhe von 11.000 Euro erklärt. Daneben machte er Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 Euro als Werbungskosten geltend, die im Rahmen einer Selbstanzeige von Kapitalerträgen der Jahre 2002 bis 2008 entstanden sind. Das Finanzamt gewährte lediglich den Sparer-Pauschbetrag. Die Anerkennung der tatsächlich entstandenen Werbungskosten lehnte es unter Hinweis auf ein einschlägiges Schreiben des Bundesfinanzministeriums ab. Danach sei das mit der Abgeltungsteuer eingeführte Werbungskostenabzugsverbot im Hinblick auf das geltende Abflussprinzip auch anzuwenden, wenn die ab 2009 entstandenen Kosten früher zugeflossene Kapitalerträge betreffen.

Der 7. Senat des Finanzgerichts Köln gab der Klage statt (Az. 7 K 244/12). Es begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung (§ 52a Abs. 10 Satz 10 EStG). Diese sehe ausdrücklich vor, dass die entsprechenden Vorschriften der Abgeltungsteuer erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden seien. Neben den tatsächlichen Werbungskosten in Bezug auf die Einkünfte vor 2009 gewährte der Senat dem Kläger für die Kapitalerträge aus 2010 zusätzlich den Sparer-Pauschbetrag. Denn hier kämen im Grunde zwei Besteuerungssysteme nebeneinander zur Anwendung. Für den nach Abzug des Pauschbetrages und der (nachträglichen) Werbungskosten entstehenden Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen greife auch die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG nicht ein. Auch diese komme nur für Kapitalerträge zur Anwendung, die nach 2008 zugeflossen seien.

Der 7. Senat hat gegen das Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen.

Unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11 ist beim Finanzgericht Köln ein weiteres Verfahren zu derselben Problematik anhängig.

FG Köln, Pressemitteilung vom 17.04.2013 zum Urteil 7 K 244/12 vom 17.04.2013

Banken Haftung: Rückvergütung für die Vermittlung einer Kapitalanlage (Filmfonds)

Verjährung wegen verschwiegener Rückvergütung

Leitsatz:
Weiß ein Anleger, dass die ihn beratende Bank für den Vertrieb der empfohlenen Kapitalanlage eine Rückvergütung erhält, deren Höhe ihm die Bank vor seiner Anlageentscheidung nicht mitgeteilt hat, so hängt der Beginn der Verjährungsfrist seines Schadensersatzanspruches wegen verschwiegener Rückvergütung nicht von der Kenntnis der genauen Höhe der Rückvergütung ab.
Gesetze
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug
LG Frankfurt am Main v. 02.06.20102-12 O 311/08
OLG Frankfurt am Main v. 08.11.20119 U 54/10
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Schadensersatz wegen Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an dem Filmfonds V. 3 in Anspruch.
2 Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten am 15. September 2003 eine Beteiligung an dem Filmfonds (im Folgenden: V 3) im Nennwert von 100.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 5.000 €. Davon erbrachte er 65.000 € aus eigenen Mitteln und weitere 40.000 € durch ein Darlehen der Beklagten. Nach dem Inhalt des Verkaufsprospekts sollten 8,9% der Zeichnungssumme sowie das Agio zur Eigenkapitalvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte laut Prospekt ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt eine Vertriebsprovision in Höhe von 8,25% der Zeichnungssumme. Dies wurde dem Kläger im Beratungsgespräch nicht offengelegt.
3 Der Kläger begehrt unter Berufung auf mehrere Beratungsfehler, darunter auch die unterbliebene Aufklärung über die von der Beklagten bezogene Vertriebsprovision, die Erstattung des eingesetzten Kapitals, der aufgewendeten Kreditzinsen und von Steuernachzahlungen in Höhe von insgesamt 79.852 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung. Außerdem begehrt er die Feststellung, dass der Beklagten aus dem Darlehen keine Ansprüche zustehen, sowie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Übertragung der Beteiligung.
4 Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist weitgehend erfolglos geblieben. Mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
5 Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
7 Zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG eine Rückvergütung in Höhe von 8,25% der Zeichnungssumme erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt und sich insoweit auch nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden.
8 Die unterbliebene Aufklärung über die vereinnahmte Rückvergütung sei kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen. Zwar greife die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht ein, wenn sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Die Beklagte habe die Kausalitätsvermutung jedoch nicht widerlegt. Das Landgericht habe auf der Grundlage der Vernehmung eines Angestellten des Klägers und des Anlageberaters der Beklagten sowie der Anhörung des Klägers rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die fehlerhafte Beratung der Beklagten kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen sei. Selbst wenn der Kläger von einem hohen Anteil weicher Kosten im Strukturvertrieb Kenntnis gehabt habe, spreche dies nicht dagegen, dass er davon ausgegangen sei, dass die Beklagte nicht mehr als einen Anteil am Agio erhalte. Ohne die genaue Höhe der Zuwendungen an die Beklagte zu kennen, habe er deren Interessenkollision jedoch nicht einschätzen können. Der Kläger habe die Problematik der Rückvergütungen erkannt, da er sich im Falle einer Aufklärung gefragt hätte, inwieweit die Beklagte im eigenen Interesse handelt, was für ihn „alles sehr in Frage gestellt” hätte. Dies habe das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise ausreichen lassen, um die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens als nicht widerlegt anzusehen.
9 Die Beklagte könne sich nicht auf Verjährung berufen, denn sie habe nicht dargelegt, dass der Kläger bereits im Jahre 2003 erkannt gehabt habe, dass die Beklagte Provisionen in einer Höhe erhalten habe, die für den Kläger Zweifel an einer seinen Interessen entsprechenden Beratung begründet hätten. Selbst wenn der Kläger angenommen habe, dass die Beklagte einen Teil des Agios erhalte, sei er davon ausgegangen, dass die Beklagte jedenfalls nicht mehr erhalte. Der Kläger habe die Pflichtverletzung der Beklagten, nicht auf das Maß ihres Eigeninteresses hinzuweisen, deshalb nicht erkannt gehabt. Er habe nicht sicher gewusst, dass die Beklagte eine ihm nicht offen gelegte Provision erhalten habe, sondern nur gedacht, dass die Beklagte vielleicht 2 bis 3% des Agios bekomme.
II.
10 Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
11 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte ihre aus dem – nicht mehr im Streit stehenden – Beratungsvertrag nach den Grundsätzen des Bond-Urteils (Senatsurteil vom 6. Juli 1993 XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 , 128 ) folgende Pflicht, den Kläger über die ihr zufließende Provision in Höhe von 8,25% des Zeichnungskapitals aufzuklären, schuldhaft verletzt hat.
12 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Bank aus dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rückvergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen in diesem Sinne sind – regelmäßig umsatzabhängige – Provisionen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 17).
13 b) Bei den von der Beklagten empfangenen Provisionen handelte es sich, wie der Senat für die Parallelfonds V 3 und V 4 bereits mehrfach entschieden hat, um aufklärungspflichtige Rückvergütungen im Sinne der Senatsrechtsprechung (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 26 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 18). Wie der Senat in diesem Zusammenhang ebenfalls schon mehrfach entschieden hat, konnte eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen durch die Übergabe des streitgegenständlichen Fondsprospekts nicht erfolgen, weil die Beklagte in diesem nicht als Empfängerin der dort ausgewiesenen Provisionen genannt ist (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 22 mwN).
14 2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütung durch die Beklagte nicht im Beratungsgespräch erfolgt ist.
15 Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich der Kläger zwar „gedacht”, dass die Beklagte einen Teil des Agios erhält; die Höhe der Provision der Beklagten war ihm jedoch nicht bekannt. Darüber ist bei der Anlageberatung nicht gesprochen worden. Nach der Senatsrechtsprechung muss von der anlageberatenden Bank aber auch die Höhe der Rückvergütung ungefragt offen gelegt werden (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteile vom 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05 , BGHZ 170, 226 Rn. 24 und vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 22).
16 3. Schließlich hat das Berufungsgericht rechts- und verfahrensfehlerfrei ein Verschulden der Beklagten angenommen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, 1694 Rn. 5 ff. und vom 19. Juli 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 10 ff. sowie Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 25, jeweils mwN).
17 4. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung auch insofern stand, als das Berufungsgericht die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den Erwerb der Fondsbeteiligung durch den Kläger bejaht hat.
18 a) Zutreffend hat das Berufungsgericht dabei angenommen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben.
19 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese sogenannte „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens” gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 28 ff. mwN).
20 bb) Soweit die Revision entgegen der Annahme des Berufungsgerichts geltend macht, beim Kläger habe auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung ein Entscheidungskonflikt bestanden, weswegen die Beweislastumkehr nicht eingreife, kann sie damit keinen Erfolg haben. Der Senat hat seine frühere Rechtsprechung, nach der die Beweislastumkehr zulasten der beratenden Bank davon abhing, dass für den Anleger vernünftigerweise nur eine Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens bestand, die gehörige Aufklärung beim Anleger also keinen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte, mit Urteil vom 8. Mai 2012 (XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 33 ff.) aufgegeben. Die Beweislastumkehr greift daher bereits bei – wie hier – feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein.
21 b) Rechts- und verfahrensfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiterhin den der Beklagten obliegenden Nachweis, dass der Kläger die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben hätte, im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme als nicht geführt angesehen.
22 aa) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Die dabei vorzunehmende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Im Revisionsverfahren ist somit lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also alle Umstände vollständig berücksichtigt hat, rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (Senatsurteile vom 29. Juni 2010 – XI ZR 104/08 , BGHZ 186, 96 Rn. 38 und vom 18. Dezember 2007 – XI ZR 76/06, WM 2008, 292 Rn. 20).
23 bb) Hier hat der Kläger angegeben, er habe erkannt gehabt, dass sich im Hinblick auf die Vereinnahmung von Rückvergütungen die Frage stelle, inwieweit eine Bank bei der Anlageberatung im eigenen Interesse handele, weshalb er bei einer Aufklärung über die von der Beklagten vereinnahmte Provision seinen Anlageentschluss grundsätzlich in Frage gestellt hätte. Angesichts dessen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht geschlussfolgert hat, der Kläger hätte bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung die Fondsbeteiligung nicht gezeichnet.
24 5. Das Berufungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Verjährung des Klageanspruchs nach §§ 195 , 199 Abs. 1 BGB verneint hat. Wie die Revision zu Recht geltend macht, war der Schadensersatzanspruch des Klägers, soweit er auf die Verletzung von Beratungspflichten der Beklagten über Rückvergütungen gestützt wird, entgegen der Ansicht des Revisionsgerichts bei Klageerhebung Mitte 2008 bereits verjährt.
25 a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers bereits mit Zeichnung der Fondsbeteiligung am 15. September 2003 im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anleger, der aufgrund einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder einer fehlerhaften Beratung eine für ihn nachteilige Kapitalanlage erworben hat, bei der gebotenen wertenden Betrachtung bereits durch den Erwerb der Kapitalanlage geschädigt, weil der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Anlageentschluss von den Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist (Senatsurteile vom 8. März 2005 XI ZR 170/04 , BGHZ 162, 306 , 309 f. und vom 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 Rn. 22; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09 , BGHZ 186, 152 Rn. 24 mwN). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob und wann die Kapitalanlage gegebenenfalls später im Wert gefallen ist (BGH, Urteile vom 19. Juli 2004 – II ZR 354/02, WM 2004, 1823 und vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 24; Senatsurteil vom 12. Mai 2009 XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 Rn. 22).
26 b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber angenommen, der Kläger habe nicht bereits bei Zeichnung der Beteiligung an V 3 im Jahr 2003 ausreichende Kenntnis sämtlicher anspruchsbegründender Umstände im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt, weil er die genaue Höhe der an die Beklagte geflossenen Rückvergütung nicht gekannt habe.
27 aa) Die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (st. Rspr., BGH, Urteile vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 28 und vom 19. März 2008 – III ZR 22/07, WM 2008, 1077 Rn. 7; Senatsurteil vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, WM 2008, 1346 Rn. 27). Es kommt auch nicht darauf an, dass der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt (BGH, Urteile vom 25. Februar 1999 IX ZR 30/98, WM 1999, 974, 975 und vom 3. März 2005 – III ZR 353/04, WM 2005, 1328, 1331).
28 In Fällen des Schadensersatzes wegen unzureichender Aufklärung muss der Geschädigte insbesondere nicht die Rechtspflicht des Schädigers zur Aufklärung kennen. Auch insoweit genügt vielmehr die Kenntnis derjenigen tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Aufklärungspflicht ergibt (Senatsurteile vom 29. Januar 2002 – XI ZR 86/01 , WM 2002, 557, 558, vom 28. Mai 2002 XI ZR 150/01, WM 2002, 1445, 1447 und vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, W M 2008, 1346 Rn. 27; BGH, Urteile vom 2. April 1998 – III ZR 309/96, BGHZ 138, 247 , 252 , vom 14. März 2002 III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 , 186 und vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 28).
29 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfordert der Verjährungsbeginn des Schadensersatzanspruches wegen verschwiegener Rückvergütung auch nicht die Kenntnis des Anlegers von deren konkreter Höhe. Die beratende Bank muss den Anleger zwar über Grund und Höhe einer Rückvergütung ungefragt aufklären, so dass die unterlassene Mitteilung über die Höhe der Rückvergütung ein anspruchsbegründender Umstand ist. Von diesem Umstand hat ein Anleger aber denknotwendig bereits dann positive Kenntnis, wenn er weiß, dass die ihn beratende Bank Provisionen für das von ihm getätigte Anlagegeschäft erhält, deren Höhe ihm die Bank nicht mitteilt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 6 U 30/10 , […] Rn. 34 f., rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 26. Januar 2012 – III ZR 8/11 ; vgl. auch OLG Karlsruhe, WM 2012, 2245, 2247, rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom 3. April 2012 – XI ZR 383/11 und OLG Karlsruhe, BeckRS 2012, 24831, rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom 19. Juni 2012 – XI ZR 300/11; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, § 21 Rn. 60 aE).
30 Die fehlende Kenntnis des Anlegers von der Höhe der Rückvergütung steht allenfalls in solchen Fällen dem Verjährungsbeginn entgegen, in denen die beratende Bank konkrete, jedoch fehlerhafte Angaben zur Höhe der Rückvergütung macht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 6 U 30/10 , […] Rn. 36; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, § 21 Rn. 60 aE). Denn in diesen Fällen meint der Anleger, über die Höhe der Rückvergütung pflichtgemäß aufgeklärt worden zu sein, weshalb es an der Kenntnis der tatsächlichen Umstände fehlt, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die beratende Bank ergibt.
31 bb) Nach diesen Grundsätzen waren hier nicht nur die objektiven, sondern -was das Berufungsgericht verkannt hat und die Revision zu Recht rügt -auch die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits bei Zeichnung der Beteiligung an V 3 am 15. September 2003 erfüllt. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger bereits bei Zeichnung der Fondsbeteiligung wusste, dass die Beklagte für deren Vermittlung eine Rückvergütung in Form eines Anteils am Agio erhielt.
32 (1) Die Feststellung, ob und wann der Gläubiger Kenntnis von bestimmten Umständen hatte oder ob seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung zwar nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (Senatsurteile vom 15. Juni 2010 – XI ZR 309/09 , WM 2010, 1399 Rn. 13 und vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07, WM 2008, 2155 Rn. 17, jeweils mwN). Ein solcher Fehler liegt hier jedoch vor.
33 (2) Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht die protokollierten Angaben des Klägers im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung zu der Frage, ob er bei Zeichnung der Fondsbeteiligung bereits davon wusste, dass die Beklagte für deren Vermittlung eine Rückvergütung in Form eines Anteils am Agio erhielt, nicht ausreichend gewürdigt. Anders als das Berufungsgericht ausführt, hat der Kläger nicht nur „angenommen” oder sich nur „gedacht” – also nicht gewusst – dass die Beklagte einen Teil des Agios erhält. Er hat vielmehr ausdrücklich erklärt: „Dass da ein Agio von 5 % berechnet wurde, das war mir damals bekannt gewesen. Dass die Commerzbank an diesem Agio beteiligt würde, das war mir damals auch bekannt.” Aus diesen – vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten – Einlassungen ergibt sich, dass der Kläger im Zeitpunkt der Zeichnung seiner Beteiligung positive Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte an dem von ihm zu entrichtenden Agio beteiligt wird. Seine durch die spätere Einschränkung („Ich dachte damals, dass die Bank … vielleicht 2 bis 3 % von den 5 % Agio bekommt”) zum Ausdruck gebrachte Vermutung bezog sich demgegenüber nur auf die Höhe dieser Rückvergütung.
34 c) Da der Anspruch des Klägers somit bereits im Jahre 2003 entstanden ist und der Kläger zu diesem Zeitpunkt auch Kenntnis von den seinen Anspruch begründenden Umständen hatte, ist die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB ab dem 1. Januar 2004 zu berechnen (§ 199 Abs. 1 BGB ); sie lief mithin zum Schluss des Jahres 2006 ab. Die am 30. Juni 2008 eingereichte Klage konnte die Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen.
III.
35 Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Dabei wird sich das Berufungsgericht mit den vom Kläger behaupteten weiteren Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über den durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellten 100%igen Geldrückfluss auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; vgl. auch Henning, WM 2012, 153 ff.).

Steuerfahndung | Rheinland-Pfalz kauft Steuer-CD

Land kauft Steuer-CD – Kühl „konsequent gegen Steuerbetrug“

Finanzminister Carsten Kühl hat heute Meldungen bestätigt, wonach das Land Rheinland-Pfalz eine sogenannte „Steuerdaten-CD“ angekauft hat. Bisher hatte das Finanzministerium entsprechende Meldungen weder bestätigt noch dementiert, aus ermittlungstechnischen Gründen, wie Kühl heute mitteilte.

Nach Angaben aus dem Finanzministerium handelt es sich um ca. 40.000 Datensätze, die nach intensiven Vorermittlungen zum Preis von vier Millionen Euro von den rheinland-pfälzischen Behörden erworben wurden. „Sie sind authentisch und von einer ausgezeichneten Qualität“, sagte der Minister. „Wir erwarten aus den vorliegenden Informationen ein steuerliches Aufkommen in Höhe von rund 500 Millionen Euro bundesweit. Diese Summe ist auch ein Beleg für die hohe kriminelle Energie, mit der hier Kapitalerträge hinterzogen wurden“ betonte Kühl.

„Steuergerechtigkeit ist in einem modernen Rechts- und Sozialstaat unverzichtbar. Deswegen müssen wir konsequent gegen Steuerbetrug vorgehen. Bei ihren Ermittlungen müssen die Behörden jeden Weg gehen, der nach sorgfältiger Abwägung rechtsstaatlich gangbar ist. Dazu gehört auch der Ankauf von Steuer-CDs. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt.“ Kühl bestätigte, dass seit dem 16. April zahlreiche Durchsuchungen bundesweit stattfinden, die durch eine von Rheinland-Pfalz angekaufte Steuer-CD angestoßen wurden.

Quelle: FinMin Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung v. 16.4.2013

 

Ankauf „Steuer-CD“ – Ministerium widerspricht Bund der Steuerzahler

Ein Sprecher des Finanzministeriums ist einer Erklärung des Bundes der Steuerzahler Rheinland-Pfalz entgegengetreten, der den Ankauf einer „Steuer-CD“ kritisierte.

„Zwei Dinge sollten wir gelernt haben. Die Daten der angekauften ‚Steuer-CD‘ zeigen erneut, dass die Abgeltungssätze, die in der Debatte um ein Steuerabkommen mit der Schweiz für die Besteuerung der Vorgänge aus der Vergangenheit vorgesehen waren, viel zu gering angesetzt waren.

Außerdem haben gerade die Diskussionen in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass sich Österreich, Luxemburg und die Schweiz darauf einstellen, den automatischen Informationsaustausch nun doch zuzulassen. Genau das war die zentrale Forderung der  rot-grün regierten Länder, und genau dies hätte das von der Bundesregierung verhandelte Abkommen verhindert.“

Anträge auf Aufhebung der Vollziehung

Die besondere Zugangsvoraussetzung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung
Beschluss vom 12.3.2013, XI B 14/13

Die Regelung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach ein beim FG gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde zuvor einen bei ihr gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat, gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung.

 

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.3.2013, XI B 14/13

Die besondere Zugangsvoraussetzung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung

Leitsätze

Die Regelung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach ein beim FG gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde zuvor einen bei ihr gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat, gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung.

Tatbestand

1
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) führt beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren, das die Aufhebung eines geänderten Umsatzsteuerbescheides für das Streitjahr 2000 vom 23. Oktober 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt –FA–) zum Gegenstand hat. Der Antragsteller hat die aus der angefochtenen Änderung resultierende Umsatzsteuernachforderung entrichtet.
2
Am Tag der Klageerhebung beantragte der Antragsteller beim FG die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides für 2000 ohne Sicherheitsleistung. Das FG verwarf den Antrag mit Beschluss vom 20. November 2012  4 V 184/11 als unzulässig mit der Begründung, dass die besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt sei. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung beim FG habe das FA einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides weder ganz noch teilweise zuvor abgelehnt. Auch die in § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO vorgesehene Ausnahmeregelung greife nicht ein.
3
Das FG hat nach § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Beschwerde gegen seinen Beschluss zugelassen unter Hinweis darauf, dass § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO insofern eine Gesetzeslücke enthalte, als die darin geregelte besondere Zugangsvoraussetzung nach dem Gesetzeswortlaut nur für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, nicht hingegen für den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gelte. Die Frage der entsprechenden Anwendung dieser besonderen Zugangsvoraussetzung auf das Instrument der Aufhebung der Vollziehung scheine höchstrichterlich noch ungeklärt zu sein. Das FG half der Beschwerde des Antragstellers nicht ab (Beschluss vom 23. Januar 2013  4 V 184/11).
4
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das FG habe den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen. Denn das FG nehme in unzutreffender Weise an, dass besondere Zugangsvoraussetzungen für seine unmittelbare Anrufung bestünden. Die Einschränkung des § 69 Abs. 4 FGO sei nach Wortlaut, Systematik und Zweck allein auf das Aussetzungsverfahren, nicht auf das Aufhebungsverfahren zugeschnitten. Auch für verfahrensrechtliche Prinzipien gelte das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit und Vorhersehbarkeit: Belastende Eingriffe in die Rechtsstellung der Steuerbürger seien nur dort gerechtfertigt, wo sie sich mit der gebotenen Eindeutigkeit dem Gesetz entnehmen ließen.
5
Das FA hat sich nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

6
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
7
1. Die Beschwerde ist zulässig.
8
Insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb der insoweit geltenden Zweiwochenfrist des § 129 Abs. 1 FGO eingelegt worden. Dem Antragsteller wurde der Beschluss des FG am 27. November 2012 zugestellt. Er hat die Beschwerde am 6. Dezember 2012 –und damit rechtzeitig– beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben, was nach § 129 Abs. 2 FGO gleichfalls zulässig ist.
9
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weil entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ein beim FG gestellter Antrag auf Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn das FA zuvor einen bei ihm gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt hat (vgl. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO).
10
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wobei der Antrag schon vor Erhebung der Klage gestellt werden kann (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO ist gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt nicht, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO) oder eine Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO).
11
b) Der Wortlaut der Bestimmung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO verbietet entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht die Anwendung dieser Regelung auch auf Anträge zur Aufhebung der Vollziehung.
12
Denn durch die Bezugnahme in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auf § 69 Abs. 3 FGO –und somit auch auf den in § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO genannten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung– wird dem Rechtsanwender hinreichend deutlich, dass gesetzestechnisch mit dem lediglich so bezeichneten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung umfasst sein soll.
13
Diese gesetzessystematische Auslegung entspricht auch der Auslegung der Vorschrift nach deren Sinn und Zweck. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO hat das Ziel, die Gerichte dadurch zu entlasten, dass die Finanzbehörde mit den für die Gewährung bzw. Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung wesentlichen Gründen befasst worden ist und eine Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. Dezember 1999 III B 15/99, BFH/NV 2000, 827, unter II.1., sowie Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 70, m.w.N.). Dieser Entlastungszweck gilt nicht nur für Anträge auf Aussetzung der Vollziehung, sondern auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung. Daher erfasst die besondere Zugangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nach ständiger Rechtsprechung gleichermaßen auch Anträge auf Aufhebung der Vollziehung (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Dezember 2003 I B 182/02, BFH/NV 2004, 815, unter II.1.; vom 14. März 2001 VI B 279/99, BFH/NV 2001, 1237, sowie vom 23. Februar 1989 V B 60/88, BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396, unter 2.b zur Vorgängerregelung in Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).
14
Auch in der Literatur wird –soweit ersichtlich– einhellig die Auffassung vertreten, dass die besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung gilt (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 70; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1071, 1073; Dumke in Schwarz, FGO § 69 Rz 11; Gosch in Beermann/ Gosch, FGO § 69 Rz 272, und Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 70).

Begriff der „Vermietung von Grundstücken“

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Überlassung von Grundstücken im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG – Begriff der „Vermietung von Grundstücken“
Urteil vom 8.11.2012, V R 15/12

1. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG betrifft nur solche Nutzungsrechte, die auch von dem Begriff „Vermietung und Verpachtung“ umfasst werden.

2. Die entgeltliche Bestellung eines unwiderruflich eingeräumten dinglichen Nutzungsrechts zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG ist keine „Vermietung oder Verpachtung“ i.S. des § 4 Nr. 12 UStG.

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 8.11.2012, V R 15/12

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Überlassung von Grundstücken im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG – Begriff der „Vermietung von Grundstücken“

Leitsätze

1. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG betrifft nur solche Nutzungsrechte, die auch von dem Begriff „Vermietung und Verpachtung“ umfasst werden.

 

2. Die entgeltliche Bestellung eines unwiderruflich eingeräumten dinglichen Nutzungsrechts zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG ist keine „Vermietung oder Verpachtung“ i.S. des § 4 Nr. 12 UStG.

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob die entgeltliche Zurverfügungstellung eines Grundstücks für Ausgleichsmaßnahmen nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) der Umsatzsteuer unterliegt.
2
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der im Hauptberuf als Angestellter tätig ist, bewirtschaftet im Nebenerwerb einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb. Der Betrieb umfasst u.a. eine Pferdezucht; außerdem bietet der Kläger Reitunterricht an.
3
Der Kläger erzielte in den Streitjahren darüber hinaus Einnahmen aufgrund eines Vertrages, mit dem er der Gemeinde M ein Grundstück zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG zur Verfügung stellte. Der Vertrag mit der Bezeichnung „Vereinbarung über Nutzungsbeschränkung nebst Bestellung einer Dienstbarkeit und Ankaufsverpflichtung“ wurde am 27. September 2002 unter notarieller Beurkundung abgeschlossen. In diesem Vertrag war u.a. Folgendes vereinbart:
„§ 1
(…)
4
(2) Der Erschienene zu 1) bewilligt, dass die Gemeinde M diese Grundbesitzungen für das Anlegen von Ausgleichsmaßnahmen in Besitz nimmt und für das Anlegen einer mit der Unteren Landschaftsbehörde abgestimmten Ausgleichsmaßnahme verwendet.
§ 2
5
(1) Der Erschienene zu 1) stimmt der durch die Gemeinde M anzulegenden Ausgleichsmaßnahme unwiderruflich und auf Dauer zu.
6
(2) Die in der Vorbemerkung genannten Grundstücke werden der derzeitigen Nutzung als Acker für immer entzogen.
7
(3) Die erstellte Ausgleichsmaßnahme (extensiv genutztes Grünland und Anlage eines Teiches) ist durch den Eigentümer auf Dauer zu belassen.
§ 3
8
(1) Der Erschienene zu 1) ist damit einverstanden, dass die Gemeinde M die Grundbesitzungen nach formloser Ankündigung zu jeder Zeit, frühestens jedoch am 01.01.2003, für die Anlage der Ausgleichsmaßnahme in Besitz und die Nachbesserung bei evtl. Ausfällen und die Kulturpflege nach der Anlage der Maßnahme vornimmt.
9
(2) Die Ausgleichsmaßnahme soll durchgeführt werden gemäß der Vereinbarung mit der Unteren Landschaftsbehörde.“
10
Gemäß § 4 des Vertrages erhielt der Kläger eine einmalige Entschädigung in Höhe von insgesamt 76.306,20 EUR. Die Entschädigung war in zwei Raten zu zahlen, wobei die erste Rate in Höhe von 48.000 EUR im Dezember 2002, die zweite Rate in Höhe von 28.306,20 EUR im Juni 2003 fällig war. Gemäß § 7 des Vertrages bedurften Nebenabreden der Schriftform. Gemäß § 8 Abs. 3 des Vertrages bewilligte der Kläger der Gemeinde die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zur Sicherung des Rechts zur Durchführung der Ausgleichsmaßnahme.
„§ 8
(…)
11
Auf diesen Grundbesitzungen in der Gesamtgröße von 37.405 qm hat die Gemeinde M das Recht, eine mit der Unteren Landschaftsbehörde abgestimmte Ausgleichsmaßnahme durchzuführen. Die Ausgleichsmaßnahme wird in der Anlage eines extensiv genutzten Grünlandes und Anlage eines Teiches bestehen. Die Gemeinde M ist berechtigt, diese Ausgleichsmaßnahme zu betreiben und die Grundstücke zum Zweck des Betriebs und der Unterhaltung der durchgeführten Ausgleichsmaßnahme zu benutzen und zu betreten. Die Kosten des Unterhaltens gehen zu Lasten der Gemeinde M.
12
Demgemäß bewilligen der Erschienene zu 1) und beantragt die Gemeinde M die Eintragung vorstehender beschränkt persönlicher Dienstbarkeit zu Gunsten der Gemeinde M auf den Grundstücken …
(…)“
13
Nach Anlegung der Ausgleichsmaßnahme nutzte der Kläger das Grundstück, indem er die Wiesenflächen düngte und regelmäßig mähte.
14
Im Anschluss an eine Außenprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) u.a. auch die Einnahmen des Klägers aus der Grundstücksüberlassung der Umsatzsteuer.
15
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung seines in „Entscheidungen der Finanzgerichte“ 2012, 1500 veröffentlichten Urteils führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, bei der Zahlung der Gemeinde habe es sich um ein Entgelt für eine steuerbare Leistung des Klägers gehandelt und nicht um eine Entschädigung für eine Wertminderung des Grundstückes. Diese Leistung werde auch weder von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) umfasst noch unterliege sie der Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 UStG.
16
Eine nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreie Grundstücksvermietung liege nicht vor, weil die Gemeinde das Grundstück nicht so in Besitz genommen habe, als ob sie dessen Eigentümer wäre und auch nicht jede andere Person von der Nutzung des Grundstücks habe ausschließen können. Vielmehr habe die Gemeinde das Grundstück nur zeitweise für das Anlegen der Ausgleichsmaßnahmen und eventuelle Nachbesserungen in Besitz genommen. Das Nutzungs- und Betretungsrecht an dem Grundstück sei im Übrigen beim Kläger als dessen Eigentümer verblieben.
17
Dass der Kläger und die Gemeinde keine vollständige Überlassung des Grundstücks, sondern lediglich eine Nutzungsbeschränkung hätten vereinbaren wollen, zeige sich auch an der im Vertrag verwendeten Formulierung „Vereinbarung über Nutzungsbeschränkung nebst Bestellung einer Dienstbarkeit und Ankaufsverpflichtung“.
18
Gegen die Annahme einer Grundstücksvermietung spreche ferner die Verpflichtung des Klägers, die Durchführung der Ausgleichsmaßnahme unwiderruflich und auf Dauer zu dulden. Der damit verbundene endgültige Verlust der teilweisen wirtschaftlichen Herrschaftsmacht über das Grundstück sei mit dem Wesen der Vermietung und Verpachtung als zeitlich beschränkte Gebrauchsüberlassung nicht vereinbar.
19
Eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG komme ebenfalls nicht in Betracht, weil der zugunsten der Gemeinde bestellten Grunddienstbarkeit keine eigenständige umsatzsteuerliche Bedeutung zukomme; sie diene nur der Absicherung der für die Anlage und Erhaltung der Ausgleichsmaßnahmen notwendigen Rechte an dem Grundstück.
20
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Zu deren Begründung trägt er vor, die Zahlungen der Gemeinde seien Entschädigungen für eine dauerhafte Wertminderung der betreffenden Grundstücke, auf denen Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden. Damit fehle es an der für die Steuerbarkeit erforderlichen Kausalität zwischen Leistung und Gegenleistung.
21
Selbst wenn ganz oder teilweise eine steuerbare Leistung anzunehmen sei, werde diese von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG umfasst, weil der tatsächliche, wirtschaftliche Gehalt des Vertrages darin bestehe, der Gemeinde die Flächen zur Nutzung und Durchführung der ihr auferlegten Ausgleichsmaßnahmen zu gestatten. Seine, des Klägers, Entscheidungsfreiheiten seien derart eingeschränkt, dass sie denen eines Verpächters gleichständen.
22
Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 18. September 2009 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2002 vom 2. Oktober 2007 und 2003 vom 21. September 2007 mit der Maßgabe zu ändern, dass die mit dem Regelsteuersatz be-steuerten Umsätze 2002 um 48.000 EUR und 2003 um 28.306,20 EUR herabgesetzt werden sowie festzustellen, dass die Hinzuzieh-ung des Bevollmächtigten notwendig war.

23
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

24
Es trägt vor, die Revisionsbegründung setze sich nicht mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinander, sondern wiederhole lediglich das Vorbringen aus der Klagebegründung. Das FG habe im Übrigen zutreffend entschieden, dass bei der Durchführung nutzungseinschränkender Ausgleichsmaßnahmen nicht das Recht der Grundstücksnutzung wirtschaftlicher Inhalt des abgeschlossenen Vertrages sei, sondern die Durchführung der Ausgleichsmaßnahme.

Entscheidungsgründe

25
II. Die Revision ist entgegen der Auffassung des FA zulässig. Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) einzureichen; dies ist geschehen. Die Revisionsbegründung erfüllt auch die Anforderungen des § 120 Abs. 3 FGO. Die Begründung bezeichnet die Norm, auf die der Kläger die von ihm begehrte Steuerbefreiung stützt, nämlich § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG und die Umstände, aus denen der Kläger die Verwirklichung der Befreiungsvoraussetzungen herleiten zu können meint. Das reicht aus, um für den BFH erkennbar zu machen, aus welchen Gründen und mit welchen rechtlichen Erwägungen die steuerlichen Auswirkungen des angefochtenen FG-Urteils angegriffen werden. Die Revisionsbegründung nimmt ausdrücklich auf das FG-Urteil Bezug und setzt sich mit ihm auseinander. Das genügt, um die Zulässigkeitsanforderungen zu erfüllen.
26
Die Revision ist aber unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
27
Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Überlassung der Grundstücke an die Gemeinde M zwecks Verwendung für eine Ausgleichsmaßnahme der Regelbesteuerung unterliegt und weder von der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG noch von der gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. b UStG erfasst wird.
28
1. Die Grundstücksüberlassung ist nicht als Vermietung und Verpachtung von Grundstücken nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerfrei.
29
a) Ob eine Vermietungs- oder Verpachtungstätigkeit vorliegt, richtet sich umsatzsteuerrechtlich nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts (BFH-Urteil vom 7. Juli 2011 V R 41/09, BFHE 234, 513 Rdnr. 19). Das grundlegende Merkmal des Begriffs der „Vermietung von Grundstücken“ i.S. von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) –(seit 1. Januar 2007 Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das ge-meinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG)– besteht darin, dass dem Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen eine Ver-gütung das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (vgl. in diesem Sinne u.a. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 16. Dezember 2010 C-270/09, MacDonald Resorts Ltd., Slg. 2010, I-13179 Rdnr. 46; vom 6. Dezember 2007 C-451/06, Walderdorff, Slg. 2007, I-10637 Rdnr. 17; vom 12. Juni 2003 C-275/01, Sinclair Collis, Slg. 2003, I-5965 Rdnr. 25; vom 4. Oktober 2001 C-326/99, „Goed Wonen“, Slg. 2001, I-6831 Rdnr. 55; vom 9. Oktober 2001 C-108/99, Cantor Fitzgerald International, Slg. 2001, I-7257 Rdnr. 21; vom 9. Oktober 2001 C-409/98, Mirror Group, Slg. 2001, I-7175 Rdnr. 31). Für die Beurteilung, ob eine bestimmte Vereinbarung dieser Definition entspricht, sind alle Merkmale des Vorgangs sowie die Umstände zu berücksichtigen, unter denen er erfolgt. Maßgebend ist insoweit der objektive Inhalt des Vorgangs, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien ihm gegeben haben (EuGH-Urteil MacDonalds Ressort Ltd. in Slg. 2010, I-13179 Rdnr. 46).
30
b) Danach liegt keine Vermietung vor. Zwar hat der Kläger der Gemeinde das Recht zur Inbesitznahme eingeräumt, um die Ausgleichsmaßnahme auf dem Grundstück vornehmen zu können. Dabei ist es den Vertragsparteien aber nicht um eine Inbesitznahme der Grundstücke durch die Gemeinde gegangen, um ihr die Möglichkeit zu verschaffen, Dritte wie ein Eigentümer von der Nutzung ausschließen zu können. Entscheidend war für die Gemeinde, die Grundstücke durch Umgestaltung in einen bestimmten Zustand („extensiv genutztes Grünland und Anlage eines Teiches“) zu versetzen, um damit ihren naturschutzrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Das wird durch die tatsächliche spätere Nutzung bestätigt, in deren Rahmen der Kläger die Grünflächen gemäht und gedüngt hat.
31
c) Eine Vermietung scheidet darüber hinaus auch deshalb aus, weil der Kläger der Gemeinde das Nutzungsrecht nicht für eine bestimmte Zeit überlassen hat. Das würde einen in irgendeiner Form, entweder durch konkrete Bezeichnung oder durch ein Kündigungsrecht, begrenzten Zeitraum voraussetzen. Der Kläger hat der Gemeinde das Nutzungsrecht aber „unwiderruflich und auf Dauer“ eingeräumt und sich damit einverstanden erklärt, dass das Grundstück der „derzeitigen Nutzung als Acker für immer entzogen“ wird. Das Urteil des Senats vom 11. November 2004 V R 30/04 (BFHE 207, 560, BStBl II 2005, 802) steht dem nicht entgegen. Der Senat hat darin entschieden, dass die Einräumung der Berechtigung zur Überspannung eines Grundstücks jedenfalls dann eine als Vermietung und Verpachtung zu beurteilende Nutzungsüberlassung auf Zeit ist, wenn damit nicht der endgültige und vollständige Verlust der wirtschaftlichen Herrschaftsmacht verbunden ist. Bei Grundstücken führe weder die Überlassung einer verhältnismäßig geringfügigen Grundfläche für die Aufstellung von Strommasten noch die Überspannung zu einem endgültigen und vollständigen Verlust der Herrschaftsmacht an den Grundstücken. Im vorliegenden Fall kommt es aber durch die unwiderruflich und dauerhafte Überlassung des Nutzungsrechts, die Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen und den umfassenden Entzug von Nutzung als Ackerland zu einem endgültigen und dauerhaften Verlust der wirtschaftlichen Herrschaftsmacht des Klägers über das Grundstück.
32
2. Die Grundstücksüberlassung an die Gemeinde M wird auch nicht von der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG umfasst. Danach ist u.a. die Bestellung von dinglichen Nutzungsrechten, zu denen auch die entgeltliche Einräumung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) gehört, steuerfrei. Aus der Entstehungsgeschichte des durch Art. 17 Nr. 3 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) in das Gesetz aufgenommenen § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG ergibt sich, dass hierdurch „eine gleiche Behandlung aller Grundstücksüberlassungen zur Nutzung erreicht“ werden sollte (so die Gesetzesbegründung in BRDrucks 140/84 zu Art. 19 Nr. 2 des Gesetzentwurfs); die Befreiung sonstiger bislang steuerpflichtiger Umsätze war nicht beabsichtigt.
33
Die Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil B Buchst. b Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG, nach der die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken steuerfrei ist. Aus der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung folgt, dass nur die Bestellung solcher dinglicher Nutzungsrechte unter § 4 Nr. 12 Buchst. c UStG fällt, die auch von dem Begriff „Vermietung und Verpachtung“ in Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG umfasst werden. Mit der Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit sollte aber vorliegend das Recht zur Durchführung einer Ausgleichsmaßnahme gesichert werden, das aus den unter II.1.b) und c) genannten Gründen gerade nicht das Merk-mal „Vermietung und Verpachtung“ erfüllt.
34
3. Das FG hat die Leistungen des Klägers auch zu Recht zum Teil im Streitjahr 2002 und zum Teil im Streitjahr 2003 der Besteuerung unterworfen.
35
Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Da der Kläger der Gemeinde das Recht zur Inbesitznahme und Durchführung der Ausgleichsmaßnahme ab 1. März 2003 eingeräumt hat, hat er seine im Vertrag vom 27. September 2002 vereinbarte Leistung auch zu diesem Zeitpunkt erbracht. Das gesamte Entgelt von insgesamt 76.306,20 EUR wäre danach im Streitjahr 2003 der Besteuerung zu unterwerfen gewesen.
36
Aufgrund von § 4 des Vertrages hat der Kläger aber die erste Rate in Höhe von 48.000 EUR bereits im Dezember 2002 erhalten. Wird –wie hier– ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung ausgeführt worden ist, so entsteht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
37
4. Für die Entscheidung darüber, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren notwendig war (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist das FG zuständig (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Februar 2011 V B 61/10, BFH/NV 2011, 832, m.w.N.).

Haftungsbescheid wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung

Bei Bestehen eines ausreichend hohen vortragsfähigen Verlustabzugs führt die Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen mangels Schadens nicht zu einer Haftung als Steuerhinterzieher.

Niedersächsisches Finanzgericht 11. Senat, Urteil vom 11.06.2012, 11 K 257/10
§ 370 Abs 1 AO, § 370 Abs 4 S 3 AO, § 71 AO
Tatbestand
1
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, mit dem der Beklagte die Klägerin wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO in Anspruch genommen hat.
2
Die Klägerin war im Streitjahr 1999 verheiratet und erfüllte mit ihrem Ehemann (EM) die Voraussetzung für eine Ehegattenveranlagung zur Einkommensteuer.
3
Die Ehegatten gaben im Jahr 2000 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 ab und beantragten zunächst die Zusammenveranlagung. Für die Klägerin erklärten die Ehegatten keinerlei Einkünfte, insbesondere keine Einkünfte aus Kapitalvermögen.
4
Der Beklagte folgte der Einkommensteuererklärung und erließ den entsprechenden Einkommensteuerbescheid vom 25. Mai 2001. Es ergab sich eine Einkommensteuer von 0 DM, weil aus dem für EM zum 31. Dezember des Vorjahrs 1998 festgestellten vortragsfähigen Verlustabzug in Höhe von XXX DM ein Teilbetrag in Höhe von XXX DM zum Abzug gebracht wurde. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Er wurde bestandskräftig.
5
Durch den Verbrauch im Einkommensteuerbescheid 1999 ergab sich für EM zum 31. Dezember 1999 ein vortragsfähiger Verlustabzug in Höhe von XXX DM, der in dieser Höhe gesondert festgestellt wurde. Für die Klägerin ergab sich sowohl zum 31. Dezember 1998 als auch zum 31. Dezember 1999 jeweils ein vortragsfähiger Verlustabzug in Höhe von XXX DM.
6
Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 erklärten die Ehegatten für die Jahre 1995-2000 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt XXX DM nach. Auf das Streitjahr 1999 entfielen dabei Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von XXX DM. Diese Nacherklärung betraf ein gemeinsames Bankkonto der Ehegatten bei einer Schweizer Bank, auf das in den Jahren 1988-1996 die Firma A, eine geschäftlich mit EM verbundene Gesellschaft, mehrere Millionen DM eingezahlt hatte.
7
Das Schreiben vom 19. Juni 2002 sah die Finanzverwaltung als Selbstanzeige an und entschied, diese im Rahmen einer bereits im Jahr 2001 begonnenen Außenprüfung auszuwerten.
8
Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 beantragte EM für das Streitjahr 1999 die steuermindernde Berücksichtigung eines Sanierungsgewinns in Höhe von XXX DM betreffend eine Beteiligung des EM. Er war der Auffassung, der Sanierungsgewinn sei aus Billigkeitsgründen von einer Besteuerung freizustellen.
9
Im Anschluss an die Außenprüfung erließ der Beklagte den Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr 1999 vom 9. Juni 2005. Darin setzte er, dem Prüfer folgend, bisher nicht berücksichtigte Einnahmen der Ehegatten aus Kapitalvermögen für das Streitjahr 1999 mit XXX DM an. Dadurch ergaben sich Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Klägerin in Höhe von XXX DM und für EM von XXX DM. Darüber hinaus erhöhte der Beklagte die Einkünfte von EM aus Gewerbebetrieb um Beteiligungseinkünfte in Höhe von XXX DM. Den Antrag auf steuermindernde Berücksichtigung eines Sanierungsgewinns im Billigkeitswege lehnte der Beklagte ab.
10
Die festgesetzte Einkommensteuer erhöhte sich durch den Änderungsbescheid von bisher 0 DM auf XXX DM. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
11
Die Ehegatten legten gegen den Einkommensteueränderungsbescheid Einspruch ein. Mit Einspruchsbescheid vom 21. Juni 2006 setzte der Beklagte die Einkommensteuer wegen von der bisherigen Berücksichtigung abweichendem Ansatz des Sanierungsgewinns in geringerer Höhe fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
12
Noch vor Eintritt der Bestandskraft des Einspruchsbescheids beantragten die Ehegatten die getrennte Veranlagung. Diesem Antrag entsprechend erließ der Beklagte die Einkommensteuerbescheide vom 10. Dezember 2007. Es ergab sich für EM eine festgesetzte Einkommensteuer von XXX DM und Nachzahlungen in Millionenhöhe.
13
Da die Nachzahlungsbeträge bei EM nicht zu realisieren waren, prüfte der Beklagte die Inhaftungnahme der Klägerin wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO.
14
Durch Haftungsbescheid vom 11. November 2008 nahm der Beklagte die Klägerin nach § 71 AO wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM in Haftung. Die Haftungssumme betrug XXX €. Diese Haftungssumme ermittelte der Beklagte wie folgt:
15
Gesamtbetrag der Einkünfte des EM in 1999 XXX DM
16
Davon Kapitaleinkünfte XXX DM
17
Dies entspricht einem Anteil von 2,1 %
18
Zur Begründung gab der Beklagte an, die Klägerin habe Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM geleistet, indem sie in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 die Zinseinnahmen aus dem gemeinsamen Konto beider Ehegatten bei der Schweizer Bank verschwiegen habe. Erst durch Schreiben vom 19. Juni 2002, also nach Ergehen des Einkommensteuerbescheids aufgrund der unrichtigen Einkommensteuererklärung, habe sie diese Zinseinnahmen (teilweise) nacherklärt. Durch die verspätete Festsetzung der auf die Kapitaleinkünfte entfallenden Einkommensteuer erst mit dem Einkommensteueränderungs-bescheid vom 9. Juni 2005 hätten sich für EM insoweit ungerechtfertigte Steuervorteile in Höhe von XXX €, also in Höhe der Haftungssumme, ergeben. Für diese sei die Klägerin mitverantwortlich und dementsprechend in Haftung zu nehmen.
19
Die Klägerin legte Einspruch ein. Sie machte geltend, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Sie habe keine Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung geleistet.
20
Mit Einspruchsbescheid vom 20. Mai 2010 erhöhte der Beklagte, nachdem er der Klägerin zuvor einen Verböserungshinweis gegeben hatte, die Haftungssumme von XXX € um XXX € auf XXX €. Im Übrigen wies er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er hielt an seiner Begründung fest, die Klägerin habe zu einer Steuerhinterziehung des EM Beihilfe geleistet, indem sie die Kapitaleinkünfte aus dem gemeinsamen Konto beider Ehegatten in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr verschwiegen habe.
21
Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Der Vorwurf einer Steuerhinterziehung des EM und der Beihilfe der Klägerin hierzu sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, da die zutreffende Erklärung der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung zu keiner positiven Steuerfestsetzung geführt hätte, das Verschweigen der Kapitaleinkünfte mithin zu keiner Steuerverkürzung geführt habe. Beiden Ehegatten sei im Zeitpunkt der Abgabe der gemeinsamen Einkommensteuererklärung bekannt und bewusst gewesen, dass ein ausreichend hoher vortragsfähiger Verlustabzug zur Verfügung gestanden habe, um selbst bei Ansatz der Kapitaleinkünfte in zutreffender Höhe im Streitjahr 1999 an einer Steuerfestsetzung von 0 DM festhalten zu können. Der vollständige Verbrauch des Verlustabzugs sei dann erst durch den Einkommensteueränderungsbescheid aufgrund der Außenprüfung eingetreten. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei nämlich wegen der gesamten geschäftlichen Aktivitäten des EM eine Einigung erzielt worden, die insbesondere wegen der Höhe der gewerblichen Einkünfte des EM zu einer positiven Einkommensteuerfestsetzung in erheblicher Höhe geführt habe. Diese Erhöhung beruhe hauptsächlich auf der Verlagerung eines Sanierungsgewinns aus dem Jahr 1997 in das Streitjahr 1999 unter Wegfall der ursprünglich nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. gewährten Steuerfreiheit. Der Betriebsprüfer sei dabei selbst schon nicht von einer Steuerhinterziehung des EM ausgegangen, da ein strafrechtlicher Vorbehalt im Rahmen der Betriebsprüfung nicht ausgesprochen worden sei. Weiterhin habe die Klägerin, die mit den geschäftlichen Aktivitäten des EM nichts zu tun gehabt und über keine näheren Kenntnisse dazu verfügt habe, insoweit keine Beihilfe zu einer etwaigen Steuerhinterziehung des EM geleistet.
22
Die Klägerin beantragt,
23
den Haftungsbescheid vom 11. November 2008 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 20. Mai 2010 aufzuheben.
24
Der Beklagte beantragt,
25
die Klage abzuweisen.
26
Er hält an seiner Auffassung fest, die Klägerin sei wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO in Haftung zu nehmen. Der Beklagte teilt nicht die Auffassung der Klägerin, eine Steuerverkürzung sei durch das Verschweigen der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung nicht eingetreten, weil in ausreichender Höhe ein vortragsfähiger Verlustabzug zur Verfügung gestanden habe. Durch das Verschweigen der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung habe sich nämlich der zum 31. Dezember 1998 festgestellte vortragsfähige Verlustabzug in geringerer Höhe verbraucht als er dies getan hätte, wenn die Ehegatten die Kapitaleinkünfte gleich zutreffend erklärt hätten. Da zum 31. Dezember des Streitjahrs 1999 also ein entsprechend zu hoher vortragsfähiger Verlustabzug festgestellt worden sei, habe EM schon dadurch einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt, auch wenn sich dieser noch nicht direkt in einer (zu niedrigen) Steuerfestsetzung niedergeschlagen habe. Zur Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung reiche nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO schon die Gefährdung des Steueranspruchs aus. Eine solche sei bereits durch die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs eingetreten. So habe der Bundesgerichtshof (BGH) auch in Fällen unrichtiger Feststellungsbescheide als Grundlagenbescheide eine Steuerhinterziehung in der Form der Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile angenommen, obwohl auch Feststellungsbescheide keine Steuer festsetzten, sondern sich nur über die Steuerfestsetzung in den Einkommensteuerbescheiden als Folgebescheiden auswirkten.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist begründet.
28
1.Die Sache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2012, 13.15 Uhr entschieden werden, obwohl die Klägerin zu diesem Termin nicht erschienen und auch nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war.
29
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Anwesenheit des (ordnungsgemäß) geladenen Beteiligten kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn einem vor dem Termin gestellten Antrag auf Verlegung zu Unrecht nicht stattgegeben worden ist (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22. Dezember 1997, X B 23/96, BFH/NV 1998, 726; vom 14. Mai 1996, VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902, m.w.N.). Der Beteiligte ist allerdings gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt deshalb nur vor, wenn dem Beteiligten trotz zumutbaren eigenen Bemühens die Möglichkeit zur Äußerung verweigert oder abgeschnitten wurde (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 726; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 13 und 15, m.w.N.).
30
Gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) „kann“ das Gericht „aus erheblichen Gründen“ einen Termin aufheben oder verlegen. Der Beteiligte muss ihm aber im Einzelfall darlegen, dass es sich um erhebliche Gründe handelt. Zwar sind die erheblichen Gründe nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO erst auf Verlangen glaubhaft zu machen. Das berührt aber nicht die Pflicht des Beteiligten, selbst die Gründe so genau anzugeben, dass sich das Gericht aufgrund seiner Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann. Deshalb rechtfertigen formelhafte, nicht im Einzelnen nachprüfbare Begründungen eine Terminsverlegung nicht (BFH-Beschluss vom 31. August 1995, VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228, BFH-Beschluss vom 17. Mai 2001, X B 12/01, nv, juris).
31
Nach der Rechtsprechung des BFH ist das FG nicht verpflichtet, dem Antrag eines Beteiligten auf Terminsverlegung, der sozusagen „in letzter Minute“ gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet wird, stattzugeben, wenn dieser Antrag den Anforderungen an eine aussagefähige Begründung nicht genügt und die Gründe für die beantragte Terminsverlegung nicht zugleich mit der Antragstellung glaubhaft gemacht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 1997, VIII B 94/96, BFH/NV 1998, 66, und in BFH/NV 1996, 228, m.w.N.). Notwendig ist hiernach in solchen eiligen Fällen (anders, wenn zwischen dem Antrag und dem Termin zur mündlichen Verhandlung noch einige Tage liegen: BFH-Urteil vom 4. Mai 1994, XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46) entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung durch den Beteiligten, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann. Zwar sind nach § 227 Abs. 2 ZPO die Gründe erst auf Verlangen glaubhaft zu machen; das kann aber nur gelten, wenn zwischen der Antragstellung und dem Termin ausreichend Zeit besteht, um dies zu verlangen. Ist diese Zeit –wie im Streitfall– nicht mehr vorhanden, so muss der Beteiligte seine Gründe mit der Antragstellung glaubhaft machen, weil andernfalls keine Möglichkeit bestünde, dessen Angaben zu überprüfen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 228, m.w.N.). Würden diese Anforderungen an die Begründung des Antrags im Falle einer aus Krankheitsgründen kurzfristig begehrten Terminsverlegung nicht gestellt, bestände die Gefahr, dass die Entscheidung über die Terminsverlegung allein vom Beteiligten abhängen würde. Dies wäre mit dem Ziel einer möglichst zügigen Durchführung des Verfahrens nicht vereinbar.
32
Der Termin zur mündlichen Verhandlung war nicht auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufzuheben. Der Prozessbevollmächtigte hatte nämlich Gründe, die eine Vertagung rechtfertigten, weder substantiiert dargelegt noch seine Verhandlungsunfähigkeit nachgewiesen. Seine Begründung, er könne den Termin wegen „kardiologischer Beschwerden“ nicht wahrnehmen, lässt keinen sicheren Schluss auf die Schwere der Krankheit zu. Wenn ein Prozessbevollmächtigter, der zudem selbst die Anforderungen an einen substantiierten Vertagungsantrag kennen muss, seinen Antrag nicht weiter substantiiert und nicht zum Termin erscheint, so ist das rechtliche Gehör nicht verletzt. Die Klägerin muss sich ein etwaiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten am Nichterscheinen zurechnen lassen.
33
2. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO für die Haftungsbeträge in Anspruch genommen.
34
a. Bei der Frage, ob jemand den Tatbestand einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO verwirklicht hat, ist zunächst zu unterscheiden nach den beiden im Gesetz genannten Varianten „Steuerverkürzung“ und „Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile“. Zwar weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass auch in der Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils und damit eine Steuerhinterziehung liegen kann. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Feststellung eines zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs einerseits und einer verkürzten Einkommensteuer andererseits für dasselbe Streitjahr um zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhaltsvarianten handelt, bei denen jedoch gleichermaßen ein Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1 AO eingetreten wäre (vgl. BGH-Urteil vom 2. November 2010 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294, juris).
35
Danach konnte EM durch die Feststellung des zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht und die Klägerin dazu Beihilfe geleistet haben, selbst wenn es nicht zu einer Verkürzung gekommen ist.
36
b. Dies reicht aber allein für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 71 AO nicht aus. Für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners als Täter oder Teilnehmer einer solchen Steuerhinterziehung nach § 71 AO kommt es darüber hinaus noch darauf an, inwieweit durch diese Beteiligung an der Tat dem Steuergläubiger ein Schaden entstanden ist. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung. Ein Steuerhinterzieher haftet also trotz seiner Tat dann nicht, wenn überhaupt kein Schaden entstanden ist.
37
c. Weiterhin muss der eingetretene Schaden gerade durch das Verhalten bewirkt worden sein, das der Steuergläubiger dem Haftenden im Rahmen der Inanspruchnahme vorwirft, also Gegenstand des Haftungstatbestands ist. Dies ergibt sich aus der Sachverhaltsbezogenheit der Haftung.
38
Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Haftungsbescheid zu beanstanden. Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, durch das Verschweigen der Zinseinnahmen auf dem gemeinsamen Konto der Ehegatten bei der Schweizer Bank habe die Klägerin mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr an einer Steuerhinterziehung des EM teilgenommen und dem Steuergläubiger einen Schaden zugefügt. Zwar mag die Klägerin Teilnehmerin einer Steuerhinterziehung des EM dergestalt gewesen sein, dass sie die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 bewirkt und dadurch EM einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt hat. Dieser nicht gerechtfertigte Steuervorteil hat aber bis zum Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids aufgrund der Betriebsprüfung, also dem Bescheid vom 9. Juni 2005, weder zu einer Steuerverkürzung noch zu einem Schaden geführt. Im Gegenteil ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Angabe der Zinseinnahmen in zutreffender Höhe schon in der Einkommensteuererklärung nichts an der erklärungsgemäßen Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 1999 geändert hätte. Sie wäre nämlich wegen des bestehenden vortragsfähigen Verlustabzugs weiterhin bei 0 DM verblieben. Lediglich der nicht gerechtfertigte Steuervorteil durch die zu hohe Feststellung des vortragsfähigen Verlustabzugs wäre entfallen.
39
Die Klägerin hatte zudem bereits im Jahr 2002 darauf hingewiesen, dass die in der Einkommensteuererklärung gemachten Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen unzutreffend seien. Der Beklagte wartete aber bis zum Abschluss der Betriebsprüfung und der Klärung der Frage der Zurechnung eines Sanierungsgewinns und dessen Steuerfreiheit, bis er dann im Jahr 2005 einen Einkommensteueränderungsbescheid erließ und u.a. die nacherklärten und um Schätzungsbeträge erhöhten Zinseinnahmen ansetzte. Hätte der Beklagte schon im Jahr 2002 einen Zwischenänderungsbescheid erlassen und darin bereits die dann erst später angesetzten Zinseinkünfte erfasst, wäre es immer noch bei einer Einkommensteuerfestsetzung von 0 DM geblieben. Es ist sogar davon auszugehen, dass der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte aus diesem Grund bewusst auf eine solche Zwischenänderung verzichtet hat. Dies ist aber der Klägerin nicht anzulasten.
40
Der Beklagte beachtet nicht, dass es im gesetzlichen Tatbestand der Steuerhinterziehung mehrere Varianten gibt und sieht die Erlangung eines steuerlichen Vorteils für die Haftung als ausreichend an. Er meint, eine Gefährdung des Steueranspruchs reiche aus. Dies ist aber im Bereich der Haftung nach § 71 AO unzutreffend. Hier muss vielmehr ein konkreter Schaden eintreten. Ein solcher tritt aber in der Regel nur bei einer Steuerverkürzung ein. Für den Fall des zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs wäre also erforderlich, dass dieser sich letztlich in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ausgewirkt hat. Nur in Höhe dieser konkreten Auswirkung kann ein Schaden eintreten. Hätte also im Streitfall z.B. der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustvortrag sich im Folgejahr 2000 ausgewirkt und zu einer ungerechtfertigten Steuererstattung von Einkommensteuer 2000 geführt, so könnte die Klägerin für diese Steuer haften, wenn die Rückforderung dieser Erstattung nicht mehr zu realisieren wäre.
41
Im Streitfall jedoch hat sich der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustabzug nicht ausgewirkt. Dem Steuergläubiger ist dadurch weder eine Steuerfestsetzung entgangen noch eine Steuer zu Unrecht erstattet worden. Ihm ist somit kein Schaden entstanden.
42
Die vom Beklagten für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des BGH besagt nichts anderes. Auch der BGH unterscheidet, wie oben dargestellt, die beiden Varianten bei der Tatbestandsverwirklichung, wenn er die Voraussetzungen der Vorschrift des § 370 AO prüft.
43
So führt der BGH aus, dass der Umstand, dass Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden erreichen, der Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils nicht entgegenstehe (BGH-Urteil vom 10. Dezember 2008 1 StR 322/08, BGHSt 53,99, a.A. Sorgenfrei, wistra 2006, 370, 374). Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stelle lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (vgl. BGH wistra 1984, 142). Die Tatvollendung durch Erlangung eines bereits in der bindenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils werde dadurch jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. Joecks aaO § 376 Rdn. 21a; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 521). Die mehrfache Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs steht im Einklang mit der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung im Feststellungs- und Festsetzungsverfahren als Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks aaO § 370 Rdn. 15; Hardtke/Leip, NStZ 1996, 217, 220).
44
Unrichtige Feststellungsbescheide können also bereits zur Vollendung des Tatbestands der Steuerhinterziehung führen. Aber erst mit der Umsetzung der Feststellungen des Feststellungsbescheides in den Einkommensteuerbescheiden würden jeweils die gegen die Feststellungsbeteiligten gerichteten Steueransprüche verkürzt (vgl. § 370 Abs. 4 AO).
45
d. Dem Einwand der Klägerin, eine Steuer sei nicht verkürzt, weil bei zutreffender Erklärung der Kapitaleinkünfte schon in der Einkommensteuererklärung wegen des zum 31. Dezember 1998 festgestellten Verlustvortrags dennoch keine Einkommensteuer festzusetzen gewesen wäre, lässt sich auch nicht durch Verweis auf das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO begegnen. Für den von Amts wegen zu berücksichtigenden vortragsfähigen Verlustvortrag gilt nämlich das Kompensationsverbot nicht. Denn mit „anderen Gründen“ i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO sind nur solche Tatsachen gemeint, auf die sich der Täter nicht bereits im Besteuerungsverfahren berufen hat (BGH-Urteile vom 28. Januar 1987 – 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273 und vom 2. November 2010 1 StR 544/09 NStZ 2011, 294; H/H/Sp-Hellmann § 370 AO Rz. 193, Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 370 Rn. 137, noch a. A. BGH-Urteil vom 26. Juni 1984 5 StR 322/84, wistra 1984, 183, HFR 1985, 40, juris). Steuervorteile, die dem Täter schon aufgrund seiner Angaben zustanden, dürfen ihm im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden (BGH, Urteil vom 31. Januar 1978 – 5 StR 458/77; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 177. Aufl., EL 153 § 370 AO Rn. 46). Eine Steuerverkürzung wäre also in diesem Fall nicht gegeben.
46
Nach alledem waren Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung aufzuheben.
47
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
48
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Einschränkung des Sonderausgabenabzugs für beschränkt Steuerpflichtige

Es stellt eine nicht europarechtskonforme Benachteiligung von gebietsfremden Steuerpflichtigen dar, wenn ihnen der Sonderausgabenabzug dauernder Lasten verweigert wird (Folgeentscheidung zu EuGH vom 31. März 2011 C 450/09).

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 13.06.2012, 3 K 267/12
Art 63 AEUV, § 50 Abs 1 S 4 EStG, § 21 EStG, § 10 Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG
Tatbestand
1
Streitig ist die Frage, ob § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG europarechtskonform ist.
2
Der Kläger ist deutscher Staatsbürger. Er lebt in Belgien, wo er als Arbeitnehmer berufstätig ist. Einen Wohnsitz in Deutschland unterhält der Kläger nicht; vielmehr ist der Kläger in Deutschland lediglich mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beschränkt steu-erpflichtig.
3
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 2. Dezember 2002 übertrug die verwitwete Mutter des Klägers im Wege der vorweggenommenen Erbfolge dem Bruder des Klägers, H S, das Grundstück H, P Straße 28. Gemäß Ziffer II. des Vertrages übertrug H S zum Ausgleich dafür, dass er das Grundstück P Straße 28 zu Alleineigentum erhält, die ideelle Hälfte dreier Grundstücke in H O-P auf den Kläger. Bereits mit Vertrag vom 27. April 1992 hatte der Kläger von seinen Eltern das Grundstück H, W.Platz 7 erworben. Das Grundstück war mit einem Nießbrauchsrecht zugunsten der Eltern belastet.
4
Gemäß III. § 1 des Vertrages vom 2. Dezember 2002 vereinbarten die Mutter des Klägers, der Kläger sowie sein Bruder, die in verschiedenen Grundbüchern zugunsten der Mutter eingetragenen Nießbrauchsrechte in eine lebenslängliche Geldrente umzuwandeln. Dabei verpflichteten sich der Kläger und sein Bruder, an ihre Mutter zu deren Versorgung eine lebenslängliche Geldrente von monatlich jeweils 1.000,- € zu zahlen. Die Rentenzahlung ist erstmals mit Wirkung auf den 1. Dezember 2002 zu leisten. Weiterhin wird geregelt, dass der monatlich zu leistende Geldbetrag der Versorgung der Mutter des Klägers dienen solle und deshalb eine Wertsicherungsklausel vereinbart. Darüber hinaus kann derjenige, dessen den derzeitigen Lebensverhältnissen entsprechende Versorgung infolge Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr gewährleistet ist, eine Abänderung des vereinbarten Betrages in entsprechender Anwendung des § 323 ZPO verlangen.
5
Der Kläger erzielt mit dem Grundstück W.Platz 7 Vermietungseinkünfte. Gleiches gilt für die Grundstücksgemeinschaft H und U S hinsichtlich der Grundstücke H O-P. Die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung 2002 betragen insgesamt 3.534,- €. In den nachfolgenden beiden Veranlagungszeiträumen erzielte der Kläger ausweislich der entsprechenden Einkommensteuerbescheide Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 27.254,- € (2003) und 26.595,- € (2004).
6
In seiner Einkommensteuererklärung 2002 für die in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung machte der Kläger die an die Mutter geleisteten Rentenzahlungen als Sonderausgaben geltend, wobei der Kläger versehentlich an Stelle der tatsächlich in 2002 gezahlten 1.000,- € einen Betrag in Höhe von 2.000,- € in Ansatz brachte.
7
Der Beklagte berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 2002 vom 30. September 2004 die Sonderausgaben unter Hinweis auf § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht. Der Bescheid wurde am 4. August 2005 nochmals aus für dieses Verfahren nicht erheblichen Gründen geändert.
8
Der gegen die Nichtberücksichtigung der Sonderausgaben gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
9
Im anschließenden Klageverfahren vertrat der Kläger die Rechtsauffassung, dass § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG gegen Art. 43 EG-Vertrag verstoße, weil eine gebietsansässigen Steuerpflichtigen gewährte Steuervergünstigung gebietsfremden Steuerpflichtigen verwehrt werde.
10
Das Niedersächsische Finanzgericht hat mit Datum vom 14. Oktober 2009 ein Vorabent-scheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hinsichtlich der Frage, ob es Art. 56 EG-Vertrag bzw. Art. 12 EG-Vertrag widerspreche, wenn ein im Inland beschränkt steuerpflichtiger Angehöriger anders als ein unbeschränkt Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung stehende Renten nicht als Sonderausgaben geltend machen könne und das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH gem. § 74 FGO ausgesetzt.
11
Mit Urteil vom 31. März 2011 hat der EuGH entschieden, dass Art. 63 AEUV dahingehend auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichten erlaubt, die einem Elternteil, der ihm in diesem Staat belegene Immobilien übertragen hat, gezahlten Renten von Einkünften aus der Vermietung dieser Immobilien abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewährt, entgegensteht, soweit die Verpflichtung zur Zahlung dieser Renten auf der Übertragung der Immobilien beruht. Hinsichtlich der Begründung der Entscheidung wird auf das Urteil des EuGH verwiesen.
12
Da der Beklagte nicht bereit war, aufgrund der Entscheidung des EuGH der Klage abzuhelfen, hat das Niedersächsische Finanzgericht die Sache zur mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2011 geladen. Die Ladung erfolgte durch den Berichterstatter im Sinne des § 79a Abs. 4 FGO. Eine Übertragung des Rechtsstreits durch den Senat auf den Einzelrichter im Sinne des § 6 FGO ist niemals erfolgt. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2011 haben die Verfahrensbeteiligten eingangs der mündlichen Verhandlung die Zustimmung zur Entscheidung durch den Berichterstatter gem. §§ 79a Abs. 3 und 4 FGO erteilt. Eine entsprechende Zustimmung hatten die Verfahrensbeteiligten auch schon vor dem Vorabentscheidungsersuchen erteilt (Bl. 32, 38 FG-Akte).
13
Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Gründe wird auf das Urteil vom 30. Mai 2011 verwiesen.
14
Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde ein. In diesem Verfahren rügte der Beklagte die fehlerhafte Besetzung des Gerichts, indem er wahrheitswidrig behauptete, das Gericht habe durch den Einzelrichter im Sinne des § 6 FGO über die Sache entschieden. Nach einer mündlichen Verhandlung des Senats sei nach § 6 Abs. 2 FGO eine Übertragung auf den Einzelrichter ausgeschlossen.
15
Der BFH machte sich den unrichtigen Sachvortrag des Beklagten in dem Beschluss I B 109/11 vom 26. März zu Eigen und führte aus, dass eine Übertragung auf den Einzelrichter – die tatsächlich niemals stattgefunden hat – nach § 6 Abs. 2 FGO ausgeschlossen gewesen sei. Wegen fehlerhafter Besetzung des Gerichts sei das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
16
Im zweiten Rechtsgang macht sich der Kläger die Argumentation des EuGH zu Eigen und begehrt weiterhin den Abzug der Rentenzahlung als Sonderausgabe. Dem Vortrag des Beklagten, bei Nichtanwendung des § 50 d Abs. 1 Satz 4 EStG würde dieser jegliche Bedeutung verlieren, hält er entgegen, dass § 50 d Abs. 1 Satz 4 EStG weiterhin in allen Fällen anzuwenden sei, in denen der Steuerpflichtige in einem auswärtigen Staat lebe, der nicht Mitglied der EU sei.
17
Der Kläger beantragt,
18
den Einkommensteuerbescheid vom 30. September 2004 in Form des Ände-rungsbescheides vom 4. August 2005 und des Einspruchsbescheides vom 13. September 2010 dahingehend zu ändern, dass sich die Einkommensteuer 2002 dadurch ermäßigt, dass Sonderausgaben in Höhe von 1.000,- € zum Abzug zugelassen werden.
19
Der Beklagte beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Der Beklagte meint, dass das Urteil des EuGH für die Entscheidung des Falles unerheblich sei. Der EuGH habe nicht entschieden, dass eine Regelung, die den Sonderausgabenabzug des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG beschränkt, grundsätzlich gegen das Unionsrecht verstoße. Das sei nur dann der Fall, wenn die Rente als Aufwendung anzusehen sein sollte, die unmittelbar mit der Vermietungstätigkeit zusammenhänge.
22
Im Streitfall diene die Zahlung der Rente dem Versorgungsbedürfnis des Vermögens-übergebers und stehe nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften. Es bestehe kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer zwangsläufigen Verknüpfung von Einnahmen und Ausgaben. Wenn die Übertragung von Grundbesitz nach dem Willen der Beteiligten dazu diene, echte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen, werde ein anderer Vertragstypus gewählt, bei dem sich Leistung und Gegenleistung entsprächen. Im Streitfall entspreche der Übertragungsvertrag nicht diesen Kriterien. Leistung und Gegenleistung würden nicht gegeneinander ab-gewogen, was sich u.a. an der Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel und an der ver-einbarten Abänderungsbefugnis zeige. Dies zeige den familiären Hintergrund der ge-troffenen Vereinbarung. Unter fremden Dritten sei ein entsprechender Vertragsabschluss nicht denkbar. Wenn der EuGH behaupte, dass die Regelung eines Mitgliedstaates, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen erlaube, die einem Elternteil gezahlten Renten von den Einkünften aus der Vermietung und Verpachtung dieser Immobilie abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewähre, unzulässig sei, dann verkenne er, dass auch gebietsansässigen Steuerpflichtigen nicht der Abzug der Rentenaufwendungen von den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gewährt werde. Vielmehr werde der Abzug gerade aus der Einkünfteermittlung herausgenommen.
23
Der EuGH habe in seiner Entscheidung auf einen Zusammenhang zwischen Grundstücksübertragungen und Rentenzahlungen abgestellt. Im Streitfall beruhe die Rentenzahlungsverpflichtung des Klägers auf dem Verzicht seiner Mutter auf ein Nießbrauchsrecht. Es sei fraglich, ob die Grundsätze der Entscheidung des EuGH auch auf Fallkonstellationen anwendbar seien, die nicht auf der Übertragung von Grundstücken, sondern auf der Ablösung von Nießbrauchsrechten beruhten.
24
Zu beachten sei, dass bei Versorgungsverträgen unter Gebietsansässigen die verein-nahmten Rentenzahlungen von dem Vermögensübergeber nach § 22 Nr. 1b EStG ver-steuert werden müssten. Bei Gebietsfremden entfalle demgegenüber die Rentenversteue-rung beim Vermögensübergeber, so dass die vom EuGH angenommene Ungleichbe-handlung gebietsfremder Steuerpflichtiger beim Abzug der Rentenzahlungen durch die korrespondierende Regelung hinsichtlich der Rentenversteuerung ausgeglichen werde.
25
Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden, dass er im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes eine weitergehende Sachverhaltsermittlung als nicht erforderlich erachtet.
26
Der Beklagte regt die Zulassung der Revision an.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist begründet.
28
Der Senat ist an die Aufhebung des Urteils vom 30. Mai 2011 durch Beschluss des BFH I B 109/11 vom 26. März 2012 gebunden. Zwar steht diese Entscheidung im klaren Widerspruch zum Inhalt der Akten, weil der BFH unterstellt, der Senat habe den Rechtsstreit nach § 6 FGO auf den Einzelrichter übertragen und dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2011 als Einzelrichter entschieden, obwohl tatsächlich der Rechtsstreit gar nicht auf den Einzelrichter übertragen wurde und der Berichterstatter aufgrund entsprechender Einverständniserklärungen der Verfahrensbeteiligten nach § 79a Abs. 3, 4 FGO (sog. konsentierter Einzelrichter) über die Sache entschieden hat. Die Beschränkungen des § 6 FGO gelten bei der Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter nicht (Gräber-Koch, Kommentar zur FGO, § 79a Rn. 29). Dieser Fehler des BFH bewirkt jedoch nicht, dass seine Entscheidung nichtig ist.
29
Der Kläger kann die im Streitjahr 2002 an seine Mutter erbrachte Rentenzahlung in Höhe von 1.000,- € als Leibrente abziehen. Sonderausgaben sind u.a. gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Eine Verpflichtung zur Rentenzahlung ist hier durch Abschnitt III § 1 des Vermögensübergabevertrages vom 2. Dezember 2002 begründet worden. Bei Vermietungsüberschüssen in Höhe von 23.063,- € (2003), 21.734,- € (2004) und 5.049,- € (2005) für das Grundstück H, W.Platz sowie anteilig 4.191,- € (2003), 4.859,- € (2004) und 4.396,- € (2005) für die Grundstücksgemeinschaft H O-P bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht in der Lage ist, die Rentenzahlungen aus den nachhaltig erzielten Nettoerträgen des übertragenen Vermögens aufzubringen. Die übertragenen Grundstücke stellen von daher eine ertragsfähige Einheit dar im Sinne der Rechtsprechung des BFH (Beschluss des Großen Senats vom 12. Mai 2000 GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95) dar. Der Kläger könnte deshalb die Rentenzahlungen als Sonderausgabe in Abzug bringen könnte, wenn er in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig wäre. Dies hat auch der Beklagte auf ausdrückliche Rückfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung zugestanden.
30
Dem Sonderausgabenabzug steht auch nicht § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG entgegen. Gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG dürfen beschränkt Steuerpflichtige Betriebsausgaben oder Werbungskosten nur insoweit abziehen, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG bestimmt, dass verschiedene Vorschriften, u.a. § 10 EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht anzuwenden sind. Nach dieser Vorschrift wäre im Streitfall der Sonderausgabenabzug in der Tat ausgeschlossen.
31
§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG kommt jedoch nicht zur Anwendung, weil die Vorschrift gegen Art. 63 AEUV verstößt, wie der EuGH mit Urteil vom 31. März 2011 C-450/09 entschieden hat. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist die Entscheidung des EuGH im Streitfall einschlägig. Der EuGH gibt im konkreten Fall dem Gericht auch nicht auf, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Dies lässt sich dem Gang der Argumentation in dem Urteil des EuGH eindeutig entnehmen:
32
Unter Textziffer 40 und 41 legt der EuGH dar, dass Regelungen, die Gebietsfremden den Abzug von Aufwendungen, die unmittelbar mit einer Tätigkeit zusammenhängen, verweigern, Gebietsansässigen den Abzug aber gewährt, eine mittelbare Diskriminierung beinhalten. Eine Regelung wie im Streitfall verstoße gegen Art. 63 AEUV, wenn die Rente, die der Kläger zahle, unmittelbar mit seiner Tätigkeit zusammenhänge.
33
Unter Textziffer 42 stellt der EuGH die vom Beklagte sowohl im Verfahren des Vorabentscheidungsersuchens, als auch im Folgeverfahren vorgetragene These dar, dass nämlich die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht gegen Art. 63 AEUV verstoße, weil es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erzielung von Vermietungseinkünften und der Rentenzahlung, die sich ihrer Art nach von Betriebsausgaben oder Werbungskosten unterscheide, fehle. Die Höhe der Rentenzahlung werde durch das Versorgungsbedürfnis des Übertragenden bestimmt.
34
Dieser Argumentation, an der der Beklagte auch jetzt noch festhält, tritt der EuGH unter Textziffer 43 ausdrücklich entgegen. Selbst wenn die Rentenhöhe durch den Versorgungsbedarf des Übertragenden bestimmt werde, ändere dies nichts an dem Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Einnahmeerzielung und der Zahlung. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einnahmeerzielung und Rentenzahlung bestehe, wenn die Aufwendung mit der Tätigkeit zur Erzielung dieser Einkünfte untrennbar verbunden sei. Im Vorlagefall bestehe eine solche untrennbare Verbindung, weil die Abrede über die Rentenzahlung auf der Übertragung des Grundstücks beruhe und Voraussetzung dafür sei, dass der Kläger über die Grundstücke verfügen und die in Deutschland zu versteuernden Mieteinkünfte erzielen könne (Tz. 45). Daraus folgert der EuGH unter Textziffer 46: „Soweit die Verpflichtung von Herrn S [dem Kläger], seiner Mutter diese Rente zu zahlen, demnach auf der Übertragung der in Deutschland belegenen Grundstücke auf ihn beruht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, stellt diese Rente eine unmittelbar mit der Nutzung dieser Immobilien zusammenhänge Aufwendung dar, so dass sich Herr S insoweit in einer Lage befindet, die mit derjenigen eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar ist.“ Deshalb verstoße eine nationale Regelung, die auf dem Gebiet der Einkommensteuer den Abzug einer solchen Aufwendung Gebietsfremden verweigert, Gebietsansässigen aber gewähre, gegen Art. 63 AEUV (Tz. 47).
35
Soweit der Beklagte aus dem Passus in Tz. 46 des EuGH-Urteils „was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist“ ableitet, dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen Einnahmeerzielung und Rentenzahlung noch festgestellt werden müsse, verkennt er den Sinnzusammenhang, in dem diese Urteilspassage steht. Der EuGH gibt dem Ausgangsgericht nicht etwa konkret auf, die untrennbare Verbindung zwischen Mieteinkünften und Rentenzahlung noch festzustellen, sondern verweist abstrakt darauf, dass das vorlegende Gericht – und nicht der EuGH – diese Verbindung festzustellen hat. Im konkreten Streitfall hat das vorlegende Gericht jedoch bereits die untrennbare Verbindung dargelegt, wie der EuGH unter Tz. 45 unmissverständlich ausführt. Denn es wäre nicht schlüssig, warum das Ausgangsgericht noch einmal den Zusammenhang zwischen der Erzielung der Mieteinkünfte und der Rentenzahlung untersuchen sollte, wenn der EuGH zuvor klarstellt, dass die Abrede über die Rentenzahlung auf der Übertragung der Grundstücke beruht. Wenn der Beklagte diesen Zusammenhang in Abrede stellt, vertritt er der Sache nach weiterhin jene Rechtsauffassung, der der EuGH in Tz. 42,43 ausdrücklich entgegengetreten ist.
36
Liest man den Entscheidungsausspruch, wonach Art. 63 AEUV einer Regelung eines Mitgliedsstaates entgegenstehe, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen erlaube, gezahlte Renten von Einkünften aus der Vermietung von Immobilien abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewährt, „soweit die Verpflichtung zur Zahlung dieser Renten auf der Übertragung der Immobilien beruht“ im Zusammenhang mit den vorangehenden Textpassagen des Urteils, ist eindeutig, dass im Streitfall Art. 63 AEUV der Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG entgegensteht, weil der Kläger ohne den Vertrag vom 2. Dezember 2002 nicht verpflichtet wäre, die Rente, deren Abzug er begehrt, an seine Mutter zu zahlen.
37
Unzutreffend ist die Behauptung, die Entscheidung des EuGH vom 31. März 2011 C-450/09 beschäftige sich lediglich mit der Übertragung von Grundstücken gegen Rentenzahlung, nicht aber mit dem Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht gegen Rentenzahlung. Zum einen ist dies schon in tatbestandlicher Hinsicht unzutreffend, weil dem Kläger im Zusammenhang mit dem mit seiner Mutter und seinem Bruder geschlossenen Versorgungsvertrag der hälftige Miteigentumsanteil an drei Grundstücken in O-P übertragen wurde. Zum anderen war dem EuGH bekannt, dass dem Kläger das Grundstück H, W.Platz 7 bereits früher übertragen worden war und nunmehr das zuvor bestehende Nießbrauchsrecht in eine Geldrente umgewandelt wurde, wie sich aus dem im Abschnitt „Ausgangsverfahren und Vorlagefrage“ mitgeteilten Sachverhalt ergibt. Zudem zitiert der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 11. Juni 2012 die Ausführungen des EuGH zu Tz. 45 irreführend, wenn er den ersten Satz weglässt, in dem es heißt, dass „die auf Herrn S übertragenen Grundstücke zumindest zum Teil mit Nießbrauchsrechten belastet waren, die in eine seiner Mutter zu zahlende monatliche Rente umgewandelt wurden“ und damit verschweigt, dass sich der mit einem „somit“ eingeleitete zweite Satz der Tz. 45 ausdrücklich auf die Umwandlung der Nießbrauchsvereinbarung in eine Rentenzahlungsverpflichtung bezieht.
38
Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass im Gegensatz zu gebietsansässigen Steuerpflichtigen die Rentenzahlungen beim Vermögensübergeber nicht zu versteuern sind, verkennt er den Grundsatz der Individualbesteuerung. Die steuerliche Benachteiligung des Klägers gegenüber in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen wird nicht dadurch aufgehoben, dass seine Mutter die Rentenbezüge nicht zu versteuern hat. Im Übrigen ist die Argumentation des Beklagten auch in wirtschaftlicher Hinsicht unzutreffend, weil die Rentenbezieher mehrheitlich niedriger besteuert werden als diejenigen, auf die das Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen wird, so dass der nationale Gesetzgeber den darin liegenden steuerlichen Vorteil dann verweigert, wenn an der Vermögensübergabe ein beschränkt Steuerpflichtiger beteiligt ist.
39
Der Senat sieht keinen Grund, die Revision zuzulassen. Zwar hatte der Rechtsstreit bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen grundsätzliche Bedeutung. Seit der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden hat, geht es in dem Verfahren nur noch um die Umsetzung des EuGH-Urteils im Einzelfall. Soweit der Beklagte ausführt, die Stattgabe führe faktisch zu einer Verwerfung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG, verkennt er, dass sich dies für im EU-Ausland lebende Steuerpflichtige bereits aus der Entscheidung des EuGH ergibt. An dessen Entscheidung ist das erkennende Gericht ebenso gebunden, wie der BFH an die Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen gebunden wäre. Der Hinweis des Beklagten auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts liegt in diesem Zusammenhang gänzlich neben der Sache.
40
Die Berechnung der Steuern wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen weil die Ermittlung der festzusetzenden Steuern einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
42
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Keine Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge aus Darlehensverträgen zwischen einander nahe stehende Personen

Keine Anwendung des Abgeltungssteuersatzes auf Kapitalerträge aus Darlehensverträgen zwischen einander nahe stehende Personen – § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a EStG 2009 verfassungsgemäßNiedersächsisches Finanzgericht 15. Senat, Urteil vom 18.06.2012, 15 K 417/10

§ 32a EStG 2009, § 32d Abs 1 EStG 2009, § 32d Abs 2 Nr 1 Buchst a EStG 2009, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, § 1 Abs 2 AStG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die aufgrund von Angehörigendarlehen im Jahre 2009 (Streitjahr) vereinnahmten Zinserträge dem tariflichen Steuersatz (§ 32a des Einkommensteuergesetzes – EStG -) oder dem sog. Abgeltungssteuersatz (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) unterliegen.

2
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielten sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und darüber hinaus sonstige Einkünfte (Renten).

3
Die Kläger schlossen als Darlehensgeber in den Jahren 2007 und 2008 mit ihrem Sohn (S) sowie ihren volljährigen Enkeln (E 1 und E 2) jeweils einen schriftlichen Darlehensvertrag ab. Die Darlehensnehmer waren auch bei Abschluss der Verträge von den Klägern wirtschaftlich unabhängig. (…) Die Darlehensbeträge beliefen sich auf 650.000,00 € (S), 110.000,00 € (E 1) und 100.000,00 € (E 2). Es wurde jeweils ein fester Zinssatz vereinbart. Eine Vereinbarung über eine Besicherung der Darlehen trafen die Vertragspartner nicht. Den beiden Enkeln räumten die Kläger ausdrücklich das Recht zu vorzeitigen unregelmäßigen Tilgungen ein, ohne dass Vorfälligkeitsentschädigungen vereinbart wurden. Die Verträge dienten dazu, den Darlehensnehmern die Anschaffung fremdvermieteter Immobilien zu ermöglichen. Aufgrund der Darlehensverträge erzielten die Kläger im Streitjahr Zinseinnahmen in Höhe von insgesamt rd. 29.000,00 € (…) Die Darlehensnehmer können die Beträge, die den Klägern tatsächlich zuflossen, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten geltend machen.

4
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte das FA die Zinseinnahmen aus den Darlehensverträgen bei den der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. (…) Sie machten geltend, auch diese Zinseinnahmen gehörten zu denjenigen Kapitaleinkünften, auf die der Abgeltungssteuersatz von 25 v. H. (§ 32d Abs. 1 EStG) anzuwenden sei. Die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, wonach der Abgeltungssteuersatz nicht auf Darlehen zwischen einander nahe stehenden Personen anzuwenden sei, sei verfassungswidrig. Denn sie verstoße gegen den in Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verankerten allgemeinen Gleichheitssatz und gegen den durch Art. 6 GG angeordneten Schutz von Ehe und Familie.

5
(…) Im Übrigen wies das FA den eingelegten Rechtsbehelf (…) als unbegründet zurück. Die von den Klägern erzielten Zinseinnahmen unterlägen nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht dem Abgeltungssteuersatz, sondern mit den übrigen Einkünften dem progressiven Steuertarif nach § 32a EStG.

6
Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben. Sie räumen ein, dass die betroffenen Zinseinnahmen vom Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung erfasst werden und damit nach der gesetzlichen Anordnung nicht dem Abgeltungssteuersatz unterliegen. Auch vertreten sie ausdrücklich die Auffassung, dass die Besteuerung von Einkünften mit dem tariflichen Steuersatz dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entspreche.

7
Bei wortgetreuer Auslegung halten die Kläger den Ausnahmetatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG jedoch für verfassungswidrig. Es handele sich um eine Missbrauchsbekämpfungsnorm, die vor allem solche Darlehenskonzeptionen verhindern solle, bei denen auf Seiten des Darlehensnehmers voll abzugsfähige Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten für den Zinsaufwand und auf Seiten des Darlehensgebers nur mit dem Abgeltungssteuersatz besteuerte Zinserträge generiert würden. Grundsätzlich sei es verfassungsrechtlich zwar nicht zu beanstanden, eine Missbrauchsbekämpfungsnorm zu schaffen. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung bekämpfe jedoch keinen Missbrauch, sondern unterstelle bei nahen Angehörigen unter Verletzung von Grundrechten pauschal eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung.

8
Zum einen sei nicht einsehbar, dass in den Fällen, in denen Privatkredite nicht nahen Angehörigen, sondern Dritten gewährt werden, die Zinserträge dem Abgeltungssteuersatz unterlägen, im Streitfall auf die Zinserträge jedoch der tarifliche Steuersatz zur Anwendung kommen solle. Die Auswirkungen dieser sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung seien erheblich: Während der persönliche Einkommensteuersatz der Kläger 42 v. H. betrage, sei der Abgeltungssteuersatz 17 Prozentpunkte niedriger. Damit werde auch das Gebot der Folgerichtigkeit verletzt. Denn die durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) eingeführte Norm des § 32d EStG gelte nicht einheitlich für alle Steuerpflichtigen.

9
Zum anderen stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Für das Einkommensteuerrecht habe der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 29. August 2007 IX R 17/07 (BFHE 219, 32, BStBl II 2008, 502) entschieden, dass es auch Angehörigen frei stehe, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Mit diesen Grundsätzen sei es nicht vereinbar, die Zinserträge aufgrund von Darlehensgewährungen an Familienangehörige höher zu besteuern als in den Fällen, in denen fremde Dritte Darlehensnehmer sind.

10
Da der Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG gegen Grundrechte verstoße, sei die Vorschrift so auszulegen, dass sie mit der Verfassung vereinbar sei. Dies könne dadurch erfolgen, dass die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG verfassungskonform auf „tatsächliche Missbrauchsfälle“ eingeschränkt werde. Im Streitfall liege kein Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Die Gestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse hielten einem Fremdvergleich stand. Den vertraglichen Gestaltungen lägen nachvollziehbare und rationale Erwägungen zugrunde. Der Erwerb einer Immobilie sei regelmäßig nur mit zusätzlichem Fremdkapital möglich. Im Übrigen seien die von den Darlehensnehmern geschuldeten Zinsen – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – tatsächlich an die Kläger geflossen.

11
Auch die Grundsätze, die das BVerfG im Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07 (BVerfGE 127, 224) zum pauschalierten Abzugsverbot für Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) aufgestellt habe, sprächen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.

12
Das FA ist der Klage entgegen getreten. Ein Verstoß gegen Grundrechte liege nicht vor. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung überschreite den dem Gesetzgeber zustehenden Regelungsspielraum nicht.

13
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass die in Rede stehenden Darlehensverträge steuerrechtlich zu berücksichtigen seien. (…)

 

Entscheidungsgründe

14
Die Klage ist unbegründet.

15
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in deren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Das FA hat die Zinseinnahmen aus den Angehörigendarlehen zu Recht den der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen zugeordnet. Der Abgeltungssteuersatz findet hierauf nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung keine Anwendung. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht kein Grund, den Anwendungsbereich dieser Regelung im Wege verfassungskonformer Auslegung auf – wie auch immer ausgestaltete – „tatsächliche Missbrauchsfälle“ zu begrenzen und im Ergebnis so zu fassen, dass die von ihnen vereinnahmten Kreditzinsen nicht mehr unter den Ausnahmetatbestand fallen.

16
1. Die in Rede stehenden Zinserträge sind – worüber zwischen den Beteiligten Einvernehmen besteht – steuerlich zu berücksichtigen.

17
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist bei Aufwendungen aufgrund eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen von einer Veranlassung durch die Einkunftserzielung grundsätzlich nur auszugehen, wenn die Vereinbarung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zustande gekommen ist und sowohl die inhaltliche Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen. Wegen des fehlenden Interessengegensatzes bei nahen Angehörigen kann nur diese, auf äußerlich erkennbare Beweisanzeichen gestützte Beurteilung sicherstellen, dass die Vertragsbeziehungen tatsächlich im Bereich der Einkunftserzielung und nicht im privaten Bereich (§ 12 EStG) wurzeln (vgl. BFH-Beschluss vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, 162 f., unter C. II. 1. und III. 1.; BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 290/82, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391, 394; vom 9. Mai 1996 IV R 64/93, BFHE 180, 380, BStBl II 1996, 642, 644; vom 9. Oktober 2001 VIII R 5/01, BFH/NV 2002, 334). Ob im Einzelfall ein Vertrag zwischen Angehörigen dem Fremdvergleich standhält, richtet sich nach der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten (vgl. BFH-Urteile vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196; vom 25. Januar 2000 VIII R 50/97, BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393, und in BFH/NV 2002/334). Dabei kann einzelnen Beweisanzeichen ein unterschiedliches Gewicht beigemessen werden; seit den Kammerbeschlüssen des BVerfG zum sog. Oder-Konto von Ehegatten (vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34; vom 15. August 1996 2 BvR 3027/95, DB 1996, 2470) ist in der Rechtsprechung des BFH wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht jede geringfügige Abweichung vom Üblichen ohne weiteres die steuerliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses ausschließt (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386, und in BFH/NV 2002, 334). Vielmehr sind die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbildbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine nicht ernstliche Vereinbarung zulassen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 17. Februar 1998 IX R 30/96, BFHE 185, 397, BStBl II 1998, 349, und in BFH/NV 2002, 334).

18
Bei einem verzinslichen Darlehen ist die Fremdüblichkeit insbesondere anhand der Vereinbarung über die Laufzeit und Rückzahlbarkeit, der regelmäßigen Entrichtung der geschuldeten Zinsen sowie der Darlehensbesicherung zu überprüfen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393 und in BFH/NV 2002, 334). Bei Anschaffungsdarlehen, die nach ihrem Anlass wie von einem Fremden gewährt werden, steht die fehlende Besicherung der Anerkennung der vertragsgemäß geleisteten Zinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten dann nicht entgegen, wenn das Rechtsgeschäft von volljährigen und voneinander wirtschaftlich unabhängigen Angehörigen geschlossen wurde (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 334, m. w. N; BFH-Beschluss vom 30. November 2007, IV B 162/06, juris, Rz. 10).

19
Werden diese Grundsätze auf den Streitfall übertragen, sind die von den Klägern vereinnahmten Zinsen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die inhaltliche Gestaltung nicht in allen Punkten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht. Dies gilt z. B. für die fehlende Besicherung und für die fehlende Vereinbarung über Vorfälligkeitsentschädigungen. Die gebotene Gesamtbildbetrachtung führt jedoch dazu, dass die Zinserträge nicht dem privaten Bereich, sondern den steuerlich relevanten Einkünften zuzuordnen sind. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die schriftlich fixierten Vereinbarungen tatsächlich gewollt waren und auch abredegemäß durchgeführt worden sind. Die an den Verträgen beteiligten Parteien waren bei Vertragsschluss volljährig und wirtschaftlich voneinander unabhängig, sie verfügten über Kenntnisse des Immobilienmarktes (…) Die Darlehensnehmer verfolgten mit der Kreditaufnahme den Zweck, (weitere) Immobilien zur Erzielung von Vermietungseinkünften anzuschaffen, und die Kläger als Darlehensgeber wollten S bzw. E 1 und E 2 dabei behilflich sein. Es handelte sich dagegen nicht um verschleierte Schenkungen oder um einen Missbrauch von steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 X R 139/05, BFH/NV 1999, 780; BFH-Beschluss vom 30. November 2007 IV B 162/06, juris, Rz. 10). Nach dem ohne weiteres nachvollziehbaren Vorbringen der Kläger diente die Darlehensaufnahme dazu, Zinszahlungen an Dritte (z. B. Banken) zu vermeiden. Im Lichte der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten können die – fraglos vorhandenen – Abweichungen vom Üblichen im Streitfall nicht dazu führen, die Zinserträge der Kläger als nichtsteuerbare Bezüge zu behandeln. Vielmehr sind die Erträge in Übereinstimmung mit der von den Beteiligten vertretenen Auffassung bei den Zinseinkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen.

20
2. Zu Recht hat das FA die Zinserträge nicht mit dem Abgeltungssteuersatz, sondern mit dem tariflichen Einkommensteuersatz besteuert. Der Abgeltungssteuersatz findet nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung auf Zinseinnahmen aus Angehörigenverträgen keine Anwendung, und entgegen der Ansicht der Kläger ist diese Ausnahmeregelung verfassungsgemäß und damit auf die in Rede stehenden Zinserträge anwendbar.

21
a) Der Gesetzgeber hat durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 u. a. die Besteuerung der Kapitalerträge reformiert, indem er die sog. Abgeltungssteuer eingeführt hat. Diese wird ab 1. Januar 2009 pauschal in Höhe von 25 v. H. der Kapitalerträge zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mit abgeltender Wirkung erhoben (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Steuer soll – soweit möglich – bereits an der Quelle durch den Schuldner der Erträge oder die inländische auszahlende Stelle (in der Regel ein Kreditinstitut) einbehalten und anonym abgeführt werden. Die Änderungen betreffen Kapitalerträge sowohl im Privat- als auch im Betriebsvermögen von Personenunternehmen. Das sog. Halbeinkünfteverfahren entfällt. Dem Steuerpflichtigen bleibt aber die Möglichkeit, auch Kapitalerträge, die der Kapitalertragsteuer unterworfen waren, in der Einkommensteuererklärung anzugeben, um eine über den Kapitalertragsteuerabzug erfolgte zu hohe Besteuerung zu berichtigen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ausgleichbare Verluste oder anrechenbare ausländische Steuern nicht hinreichend berücksichtigt wurden (§ 32d Abs. 1 Satz 2 EStG). Steuerpflichtige, deren individueller Steuersatz unter 25 v. H. liegt, haben die Möglichkeit, im Rahmen der Einkommensteuererklärung den für sie günstigeren individuellen Einkommensteuersatz zur Anwendung kommen zu lassen (§ 32d Abs. 6 EStG). Auch in diesen Fällen bleibt es bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, wie sie im Rahmen der Abgeltungssteuer vorgesehen ist, so dass insbesondere auch hier ein Werbungskostenabzug nicht möglich ist (vgl. etwa Harenberg / Zöller, Abgeltungssteuer 2011, 3. Aufl., S. 29 ff.).

22
b) § 32d Abs. 2 EStG ordnet an, dass der Abgeltungssteuersatz auf einige Konstellationen keine Anwendung findet. Hierzu gehören nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung Kapitalerträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 EStG, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahe stehende Personen sind.

23
Der Begriff der nahe stehenden Person ist gesetzlich nicht definiert. Nach der Begründung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD am 27. März 2007 vorgelegten Entwurfs eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 soll ein Näheverhältnis i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG(-E) vorliegen, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahe stehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (BT-Drucks 16/4841, S. 61). Die Finanzverwaltung hat diese – an die Begriffsbildung des § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) angelehnte – Definition im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Dezember 2009 IV C 1 – S 2252/08/10004 2009/0860687 (BStBl I 2010, 94, Rz. 136, Satz 1) übernommen. Ergänzend heißt es dort, dass ein Näheverhältnis in diesem Sinne vorliegt, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i. S. des § 15 der Abgabenordnung (AO) sind oder wenn – außerhalb von Angehörigenverhältnissen – die Vertragsbeziehungen einem Fremdvergleich nicht standhalten (BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 136, Satz 2 und 3). In der Literatur wird demgegenüber die Auffassung vertreten, dass der Angehörigenbegriff des § 15 AO, der z. B. auch Verlobte, Neffen und Nichten umfasse, nicht zwangsläufig mit dem Begriff der nahe stehenden Personen i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG deckungsgleich sei. Nicht in jedem Fall sei ein Angehöriger eine nahe stehende Person. Da § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG den aus dem Bereich des AStG stammenden Begriff „nahe stehende Personen“ benutze, sei zur Begriffsbestimmung auf § 1 Abs. 2 AStG, nicht aber ab § 15 AO abzustellen (vgl. Harenberg / Zöller, Abgeltungssteuer 2011, 3. Aufl., S. 123 f., m. w. N.).

24
Die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG wird durch das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 weiter eingeschränkt. Hiernach finden die Bestimmungen des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur Anwendung, wenn der Darlehensnehmer eine natürliche Person ist, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG und § 22 Nr. 3 EStG erzielt und sie die Darlehenszinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend machen kann oder der Darlehensnehmer eine Personengesellschaft ist, bei der hinsichtlich der Erträge aus der Darlehensgewährung § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG keine Anwendung findet.

25
Die tatbestandlichen Merkmale des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung werden im Streitfall erfüllt. Hierüber besteht auch zwischen den Beteiligten Einigkeit. Die Zinseinnahmen, die den Klägern aufgrund der in den Jahren 2007 und 2008 geschlossenen Darlehensverträge im Streitjahr zugeflossen sind, gehören zu den Kapitalerträgen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Kläger als Darlehensgeber und Gläubiger auf der einen Seite sowie deren Sohn und die beiden Enkel als Darlehensnehmer und Schuldner auf der anderen Seite sind einander nahe stehende Personen i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG, und zwar auch dann, wenn man nicht auf den Angehörigenbegriff des § 15 AO abhebt, sondern der von Teilen der Literatur vertretenen einengenden Auffassung folgt. Aus den Vereinbarungen, die in den Darlehensverträgen getroffen worden sind, geht hervor, dass es an dem bei Verträgen zwischen fremden Dritten üblichen Interessengegensatz fehlt. Der Verzicht auf Kreditsicherheiten und auf Vorfälligkeitsentschädigungen zeigen, dass es den Klägern bei der Darlehensgewährung nicht nur darum geht, die Rückzahlung der Darlehensbeträge zu sichern und Zinsen mindestens zum festgeschriebenen Zinssatz zu vereinnahmen. Vielmehr wollen sie ihren Sohn und ihre beiden Enkel erkennbar unter Hintanstellung eigener wirtschaftlicher In-teressen und Risiken auch dabei unterstützen, Mietwohngrundstücke anzuschaffen und hieraus eigene Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erwirtschaften (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). Auch die einschränkenden Voraussetzungen, die die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 aufgestellt hat, werden erfüllt. Denn die Darlehensnehmer sind vorliegend natürliche Personen, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen. Die Darlehenszinsen können sie als Werbungskosten geltend machen.

26
c) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG (unten aa) oder Art. 3 Abs. 1 GG (unten bb) verfassungswidrig. Selbst wenn man – wie die Kläger – die Auffassung verträte, dass der bei wortgetreuer Auslegung weit gefasste Ausnahmetatbestand mit diesen Grundrechten unvereinbar ist, ist es möglich, in Übereinstimmung mit der von der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 vertretenen Ansicht die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen und im Wege der verfassungskonformen Auslegung so zu zweifelsfrei verfassungsmäßigen Ergebnissen zu gelangen (unten cc). Es besteht demnach kein Anlass, nach Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.

27
aa) Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot; ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 2005 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03, BVerfGE 114, 316, BFH/NV 2006, Beilage 1, 77, m. w. N.). Der Familienbegriff knüpft wie der Ehebegriff an das bürgerlich-rechtliche Institut der Familie an. Familie ist die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (BVerfG-Beschluss vom 18. April 1989 2 BvR 1169/84, BVerfGE 80, 81, 90), wobei es auf Minder- oder Volljährigkeit nicht ankommt (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 1981 2 BvR 646/80, BVerfGE 57, 170, 178; Kammerbeschluss des BVerfG vom 21. Juli 2005 1 BvR 817/05, NVwZ-RR 2005, 826). Es besteht kein verfassungsrechtlicher Grund, die Familie auf die Kleinfamilie im Gegensatz zur Großfamilie zu beschränken (vgl. Kammerbeschluss des BVerfG vom 18. Dezember 2008 1 BvR 2604/06, BVerfGK 14, 539; Pieroth in Jarass / Pieroth, GG, 11. Aufl., Art. 6, Rz. 6). Das BVerfG misst Art. 6 Abs. 1 GG abgestufte Schutzwirkungen zu, je nachdem ob es sich um eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, Hausgemeinschaft oder bloße Begegnungsgemeinschaft handelt (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 80, 81, 90 f. und in NVwZ-RR 2005, 826).

28
Art. 6 Abs. 1 GG untersagt insbesondere eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann zwar zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden. Insbesondere darf der Gesetzgeber Verheiratete steuerlich anders behandeln als Ledige. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses oder aus den finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben für eine bestimmte Steuerart einleuchtende Sachgründe ergeben. Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf gerade bei der konkreten Maßnahme die Ehe nicht diskriminieren (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 316, BFH/NV 2006, Beilage 1, 77, m. w. N.).

29
Das BVerfG hat mehrfach entschieden, dass die ständige Rechtsprechung des BFH, nach der Dienst- oder sonstige Vertragsverhältnisse zwischen Ehegatten steuerrechtlich nur anzuerkennen sind, wenn sie eindeutig und ernstlich vereinbart sind und entsprechend dieser Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Nach Ansicht des BVerfG trägt die BFH-Rechtsprechung den innerhalb eines Familienverbundes typischerweise fehlenden Interessengegensätzen und der daraus resultierenden Gefahr des steuerrechtlichen Missbrauchs zivilrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch Ehegatten Rechnung. Dem Gesetzgeber ist es gestattet, einem Missbrauch der Vertragsgestaltung zwischen Ehegatten entgegenzuwirken; der Gesetzgeber hat daher z. B. die Möglichkeit, an den Beweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit der Verträge zwischen Ehegatten strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt nicht nur für vom Gesetzgeber zu normierende Tatbestände, sondern auch für ihre Auslegung und Anwendung durch die Rechtsprechung (Kammerbeschluss des BVerfG vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34 m. w. N.; BVerfG-Urteil vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318).

30
Nach diesen Grundsätzen, die nicht nur auf Vertragsbeziehungen zwischen Ehegatten, sondern auch auf Verträge zwischen Familienangehörigen anzuwenden sind, ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht zu beanstanden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Kläger zusammen mit ihren volljährigen Abkömmlingen eine Begegnungsgemeinschaft bilden und deshalb im persönlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG betroffen sind. Denn die Darlehenszinsen, die sie im Streitjahr aufgrund der mit ihrem Sohn und ihren Enkeln geschlossenen Darlehensverträge vereinnahmt haben, werden mit einem höheren Steuersatz besteuert, als es bei Darlehensgewährungen an Dritte der Fall wäre.

31
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung diskriminiert nicht gezielt Eheleute oder Familienangehörige, sondern nimmt alle Zinserträge von der Anwendbarkeit des Abgeltungssteuersatzes aus, die aus Verträgen herrühren, an denen als Gläubiger und Schuldner nahe stehende Personen beteiligt sind. Der Steuergesetzgeber verfolgt mit der Unternehmensteuerreform 2008 die Hauptziele, die Standortattraktivität zu erhöhen und das deutsche Steuersubstrat langfristig zu sichern (BT-Drucks 16/4841, S. 1). Zur Erreichung dieser Ziele hat der Gesetzgeber für Kapitalerträge den abgeltenden Steuertarif geschaffen (§ 32d Abs. 1 EStG). Der Abgeltungssteuersatz soll dazu beitragen, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu verbessern, um den Kapitalabfluss ins Ausland zu bremsen (BT-Drucks 16/4841, S. 1, 60). Umgekehrt haben die damaligen Mehrheitsfraktionen als Entwurfsverfasser auch klar gestellt, was durch den Abgeltungssteuersatz nicht bezweckt werden soll. Es sollten keine Anreize dafür geschaffen werden, Eigenkapital in die privilegiert besteuerte private Anlageebene zu verlagern und durch Fremdkapital zu ersetzen. Gestaltungen seien zu verhindern, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne z. B. in Form von Darlehenszinsen abgesaugt würden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert werde. Unternehmerische Entscheidungen über die Finanzierungsstruktur des Unternehmens sollten steuerlich unverzerrt bleiben (BT-Drucks 16/4841, S. 60). Deshalb seien die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG (-E) vorgesehenen Ausnahmen geboten. Bei den von dieser Vorschrift erfassten Fallgestaltungen bestehe grundsätzlich die Gefahr, die Steuerspreizung auszunutzen, ohne dem Sinn und Zweck der Einführung des abgeltenden Steuersatzes zu entsprechen (BT-Drucks 16/4841, S. 61).

32
Hierbei handelt es sich um einleuchtende Sachgründe, die es rechtfertigen, Kapitalerträge aus Angehörigendarlehen von der Anwendbarkeit des abgeltenden Steuersatzes auszunehmen, auch wenn es dadurch – wie im Streitfall – zu einer Schlechterstellung von Familienangehörigen als Darlehensgläubiger kommen kann. Das BVerfG geht bei Verträgen zwischen Ehegatten oder Familienangehörigen von typischerweise fehlenden Interessengegensätzen und damit von der Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen aus, die vom Gesetzgeber durch entsprechende Vorschriften unterbunden werden können. Um eine solche Vorschrift handelt es sich bei § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung getroffen, dass die Einführung der abgeltenden Steuer auf Finanzierungsgestaltungen möglichst keinen Einfluss haben soll. Umgekehrt ausgedrückt, sieht der Gesetzgeber einen Missbrauch der der Standortattraktivität und Sicherung des Steueraufkommens dienenden Vorschrift des § 32d Abs. 1 EStG darin, dass Zinsen als Aufwendungen voll abzugsfähig sind, als Einnahmen jedoch nur dem Abgeltungssteuersatz unterliegen. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn ein Gewerbetreibender, auf dessen Einkünfte ein höherer Steuersatz nach § 32a EStG als 25 v. H. anzuwenden ist, bei seiner Ehefrau einen Kredit aufnimmt und die Kreditzinsen als Betriebsausgaben absetzt (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 32d Rz. 8). Weder die gesetzgeberische Einschätzung, dass solche Gestaltungen mangels Interessengegensatzes vor allem von einander nahe stehenden Personen gewählt werden, noch der Ausnahmetatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, der den vom Gesetzgeber befürchteten Missbrauch verhindern soll, begründet eine verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Schlechterstellung von Ehe und Familie.

33
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägern zitierten BFH-Urteil in BFHE 219, 32, BStBl II 2008, 502. Zwar ist es auch Angehörigen unbenommen, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Mit § 32d Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG will der Gesetzgeber jedoch in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bestimmte steuerpolitisch unerwünschte Gestaltungen von vornherein ausschließen.

34
bb) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, Rz. 50; vom 12. Mai 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, BFH/NV 2009, 1382; vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481; vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33).

35
Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, Rz. 51; in BVerfGE 123, 111, BFH/NV 2009, 1382, Rz. 26; in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 70, jeweils m. w. N.).

36
Bei der Einkommensteuer liegt die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, soweit auch im oberen Bereich den Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Wählt der Gesetzgeber für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren (sog. Schedulenbesteuerung), muss diese Ungleichbehandlung besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten reicht dafür nicht. Vielmehr gelten für Sondertarife keine geringeren Rechtfertigungsanforderungen als für Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips, die durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt werden müssen. Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit macht es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einfließen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden (vgl. z. B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 71, m. w. N.).

37
Ob die herangezogenen Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, lässt sich nicht unabhängig von den konkret bewirkten Ungleichbehandlungen beurteilen. Führt eine Norm zur Ungleichbehandlung mehrerer Vergleichsgruppen, muss die Ungleichbehandlung bezogen auf die jeweilige Vergleichsgruppe durch einen hinreichenden sachlichen Grund gerechtfertigt werden. Lassen sich die einzelnen Ungleichbehandlungen nur durch unterschiedliche Gründe rechtfertigen, dürfen diese Gründe zueinander nicht in Widerspruch stehen, sondern müssen innerhalb eines vertretbaren gesetzgeberischen Konzepts aufeinander abgestimmt sein (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 72).

38
Im Übrigen ist der Steuergesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen. Dann aber muss der Förderungs- und Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Dabei ist dem Gesetzgeber hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Diagnose und Prognose sowie bei der Wahl sachgerechter Mittel, insbesondere auch bei der Antwort auf die Frage, wie der Kreis der Begünstigten sachgerecht abzugrenzen ist, ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum einzuräumen; das gilt für direkte und auch für indirekte (steuerliche) Subventionen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 74).

39
Unabhängig davon, ob mit einer Steuernorm allein Fiskalzwecke oder auch Förderungs- und Lenkungsziele verfolgt werden, ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Er darf jedoch für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zu Grunde legen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 75).

40
Von diesen Maßstäben ausgehend, ist ein Verstoß der Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht festzustellen. Anhaltspunkte für verfassungswidrige Ungleichbehandlungen liegen nicht vor. Der Gesetzgeber hat willkürfrei innerhalb des ihm zustehenden Regelungsspielraums entschieden, dass Zinserträge aus Darlehensverträgen, die zwischen einander nahe stehenden Personen abgeschlossen werden, nicht dem Abgeltungssteuersatz, sondern der tariflichen Einkommensteuer unterliegen.

41
Die mit der Unternehmensteuerreform 2008 verfolgten Ziele sind verfassungsrechtlich nicht zu missbilligen. Während der Sicherung des Steueraufkommens fiskalische Erwägungen zugrunde liegen, handelt es sich bei der Erhöhung der Standortattraktivität vor allem um ein dem Gemeinwohl dienendes Lenkungsziel. Nicht zu beanstanden ist auch der gesetzgeberische Wille, Finanzierungsentscheidungen durch den Abgeltungssteuersatz steuerlich nicht zu „verzerren“. Zur Erreichung seiner Ziele durfte der Gesetzgeber den Kreis der Begünstigen nach sachgerechten Kriterien bestimmen und dabei die Prognose aufstellen, in welchen Fällen seine Ziele nicht erreicht würden. Zur Sicherung des Steuersubstrats und zur Verhinderung des Kapitalabflusses tragen u. a. solche vertraglichen Gestaltungen nicht bei, die dazu führen würden, dass auf Seiten des Gläubigers Kapitalerträge nur zu 25 v. H. besteuert werden und die entsprechenden Aufwendungen auf Seiten des Schuldners als in vollem Umfang abziehbare Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass typischerweise einander nahe stehende Personen vor allem auf Steuerersparnis ausgerichtete Gestaltungen vereinbaren. Andere Erwägungen spielen in diesen Fällen bei der Vertragsgestaltung regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle, weil es an gegenläufigen wirtschaftlichen Interessen fehlt. Zu solchen Gestaltungen, die nur auf der Grundlage eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich sind, zählen etwa – wie im Streitfall – Darlehensgewährungen ohne Vereinbarungen über Vorfälligkeitsentschädigungen oder Kreditsicherheiten.

42
Dass der Gesetzgeber die Verfehlung des Normzwecks bei vertraglichen Gestaltungen zwischen einander nahe stehenden Personen befürchtet, ist daher nachvollziehbar und stellt einen besonderen sachlichen Grund dar, der die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG normierte Ausnahme vom Ausgangstatbestand rechtfertigt. Dem stehen auch nicht die Grundsätze entgegen, die das BVerfG in seinem von den Klägern in Bezug genommenen Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des § 8b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 KStG aufgestellt hat (BVerfGE 127, 224). Diese Grundsätze knüpfen an die in ständiger Rechtsprechung aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen für Ungleichbehandlungen im (Einkommen-) Steuerrecht an und verbieten es dem Gesetzgeber nicht, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von pauschalen Steuersätzen zu machen.

43
cc) Selbst wenn man – anders als der Senat aus den oben 2. c) aa) und bb) dargestellten Erwägungen – die Auffassung vertritt, der Gesetzgeber habe seine Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung dadurch überschritten, dass er durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ohne weitere Einschränkung alle Kapitalerträge aus Angehörigenverträgen von der Anwendung des Abgeltungssteuersatzes ausnimmt, hat dies nicht die Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG zur Folge. Denn § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann jedenfalls verfassungskonform so ausgelegt werden, dass die Anwendbarkeit dieses Ausnahmetatbestandes im Sinne des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 eingeschränkt wird. Wenn überhaupt – was der Senat verneint – eine verfassungskonforme Auslegung geboten ist, macht diese es zweifelsohne nicht erforderlich, die Anwendbarkeit der Norm von weiteren Kriterien, die über die im BMF-Schreiben genannten Anwendungsvoraussetzungen hinausgehen, abhängig zu machen.

44
Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Durch den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck werden der verfassungskonformen Auslegung Grenzen gezogen. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 122, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 und vom 14. Oktober 2008 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39; so auch BFH-Urteil vom 31. August 2010 VIII R 11/08, BFHE 230, 486, BStBl II 2011, 72) .

45
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung bietet Raum für eine Auslegung, durch die der Anwendungsbereich von den weiteren, im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 genannten Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Damit wird der Anwendungsbereich im Wesentlichen auf diejenigen Fälle beschränkt, die auch durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) vom Abgeltungssteuersatz ausgenommen sind.

46
Dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung lassen sich gegen eine beschränkende Auslegung keine durchgreifenden Bedenken entnehmen. Der Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestandes wird lediglich eingeengt, nicht aber etwa verschoben. Es werden dadurch keine weiteren Kapitalerträge von der Anwendung des Abgeltungssteuersatzes ausgenommen.

47
Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in Anlehnung an das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen, steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte sowie mit dem Sinne und Zweck der Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/4841, S. 60) sollen durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG(-E) solche Fälle vom abgeltenden Steuersatz ausgenommen werden, in denen eine Steuersatzspreizung (Abzug als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten mit Wirkung des individuellen Steuersatzes, Besteuerung der Zinseinnahmen mit dem Abgeltungssteuersatz) gestaltet werden könnte. Dass nur insoweit ein Regelungsbedürfnis besteht, hat der Gesetzgeber in den Entwürfen und Beratungen des JStG 2010 deutlich gemacht. Der von der Bundesregierung am 23. Juni 2010 in den Bundestag eingebrachte Entwurf sah zwar noch keine Änderung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG vor (BT-Drucks 17/2249). Jedoch hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 9. Juli 2010 vorgeschlagen, die Ausnahmeregelung auf Fälle zu beschränken, in denen die Darlehenszinsen Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften i. S. des § 20 Abs. 8 EStG sind (BR-Drucks 318/10, S. 44). Auf diesen Änderungsantrag des Bundesrates ist es zurückzuführen, dass § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG durch das JStG 2010 schließlich geändert worden ist. Nach der heutigen, seit dem Jahr 2011 anwendbaren Fassung dieser Regelung gilt der abgeltende Steuersatz für Kapitalerträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahe stehende Personen sind, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen und § 20 Abs. 9 Satz 1 zweiter Halbsatz EStG keine Anwendung findet. Im Kern ist die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestandes damit so beschränkt worden, wie es das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 auch für die Veranlagungszeiträume 2009 und 2010 vorgesehen hat.

48
Die zusätzlichen, von der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen führen dazu, dass Kapitalerträge nur und genau in denjenigen Fällen, die der Gesetzgeber vom abgeltenden Steuersatz ausnehmen wollte, dem Steuersatz nach § 32a EStG unterliegen. Die Umsetzung dieses Willens ist – wie oben 2. c) aa) und bb) ausgeführt – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

49
Auch die von der Finanzverwaltung ohnehin vorgenommene einengende Auslegung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG führt, wie bereits oben 2. b) gezeigt, im Ergebnis dazu, dass auf die von den Klägern im Streitjahr vereinnahmten Zinsen der Steuersatz nach § 32d Abs. 1 EStG keine Anwendung findet. Ungeachtet dessen, dass der Senat eine verfassungskonforme Auslegung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht für erforderlich hält, ist jedenfalls eine weitere Beschränkung des Anwendungsbereichs, wie von den Klägern gefordert, ist unter keinem (verfassungs-) rechtlichen Gesichtspunkt geboten.

50
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen. Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 115 Abs. 2 FGO).

Einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen: Fall von geringer Bedeutung, wenn Höhe und Aufteilung des festzustellenden Betrages feststehen

Finanzgericht Köln, 1 K 1585/10

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 1585/10
Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen der Einkommensbesteuerung für das Jahr 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand2Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit 1984 Gemeinschaftskonten bei der A Bank AG (in B, Lichtenstein) und erzielten erhebliche Zinseinkünfte, die sie nicht erklärten. Am 30.10.2008 erstatteten sie hierüber eine Selbstanzeige. In der nachfolgenden Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Zinseinnahmen für 1996 i.H.v. 140.000 DM sowie der Werbungskosten i.H.v. 7.000 DM. Dies wurde im Bericht der Steuerprüfung vom 18.8.2009 festgehalten.

3Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 für das Streitjahr die Einkommensteuer entsprechend der einvernehmlichen Schätzung der Zinseinkünfte. Auch für die Folgejahre erfolgten entsprechende Änderungen. Auf den Einspruch der Kläger wurde der Bescheid für das Streitjahr 1996 aufgehoben. Am 30.10.2009 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Zinseinkünfte der Kläger entsprechend der einvernehmlichen Schätzung im Steuerfahndungsprüfungsverfahren und eine hälftige Aufteilung. Auf dieser Grundlage ergingen erneute Einkommensteuerbescheide.

4Gegen den Feststellungsbescheid erhoben die Kläger am 23.12.2009 Einspruch, über den der Beklagte am 23.4.2010 abschlägig entschied: Für die Feststellung sei Verjährung noch nicht eingetreten, da die Kläger für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben hätten und die Verjährungsfrist deshalb erst mit Ablauf des dritten Jahres nach Ablauf des Jahres begonnen habe, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte, also mit Ablauf des Jahres 2000. Die Feststellung sei unstrittig erforderlich, nur aus technischen Gründen sei sie erst am 30.10.2009 zustande gekommen. Die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 sei nur zur Behebung des Verfahrensmangels erfolgt.

5Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.5.2010. Die Kläger tragen vor, ein Feststellungsbescheid sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO handele. Zudem hätten die Kläger aufgrund der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 darauf vertraut, dass der Beklagte auf eine Feststellung verzichte und der Steueranspruch deshalb verjährt sei. Dies Vertrauen verdiene Schutz.

6Die Kläger beantragen,

7den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.4.2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8Der Beklagte beantragt,

9die Klage abzuweisen,

10hilfsweise die Zulassung der Revision.

11Er macht geltend, es liege kein Fall geringer Bedeutung vor. Maßgeblich sei nicht der einzelne Veranlagungszeitraum, sondern der “Steuerfall“ insgesamt, der sich vorliegend über etliche Jahre erstrecke, von denen mehrere noch im Streit stünden. Zudem dürfe auch für das Streitjahr nicht auf den Zeitpunkt nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung abgestellt werden. Maßgeblich sei vielmehr der Beginn und der Verlauf der Prüfung, worin große Unklarheit geherrscht habe, bis es schließlich zu der einvernehmlichen Schätzung gekommen sei. Der Verzicht auf eine Feststellung in derartigen Fällen wäre auch unpraktikabel, insbesondere wenn, anders als bei Eheleuten, verschiedene Veranlagungsbezirke im Finanzamt zuständig seien. Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Der Erlass der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide habe auf einem technischen Versehen beruht. Die Feststellung sei als Grundlage für die Besteuerung von vornherein beabsichtigt gewesen.

12Entscheidungsgründe

13Die Klage ist begründet.

14Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

15I.              Die Feststellung hätte nicht ergehen dürfen. Gegenstand sind zwar Einkünfte, an denen mehrere Personen, nämlich die Kläger, beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), jedoch gilt die letztere Vorschrift nicht, wenn es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO handelt. Dies ist vorliegend der Fall. § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO nennt selbst den entscheidenden Gesichtspunkt zur Beurteilung eines Falles als von „geringer Bedeutung“: Er liegt insbesondere dann vor, wenn Höhe und Aufteilung des festgestellten Betrags feststehen. Dies war vorliegend zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids der Fall, da eine zwischen den Beteiligten einvernehmliche Schätzung der Einkünfte stattgefunden hatte und die hälftige Aufteilung problemlos und unstreitig war. Auslegungsleitend für die Frage der „geringen Bedeutung“ ist nicht die Höhe der Einkünfte, sondern die Frage ob die Gefahr abweichender Entscheidungen besteht, die einheitliche Feststellung also überflüssig und verfahrensunökonomisch wäre.

16Siehe hierzu und zu den folgenden Grundsätzen Tipke-Kruse AO (Loseblattkommentar) Rn. 50 zu § 180 AO sowie die Bundestagsdrucksache 10/1636, 46 (zitiert in Tipke-Kruse a.a.O. Rn. 49 zu § 180 AO).

17Indizien hierfür sind, dass die Besteuerungsgrundlagen bereits ermittelt sind und sich voraussichtlich nicht mehr verändern werden, dass die Verhältnisse leicht überschaubar sind und keine Zurechnungsprobleme bestehen, ferner die Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts auch für die einheitliche Feststellung sowie Kurzfristigkeit. Gegenindizien sind insbesondere streitige Sach- und Rechtsfragen sowie die Zuständigkeit verschiedener Finanzämter.

18Siehe dazu Tipke-Kruse a.a.O. mit den Nachweisen der Rechtsprechung des BFH.

19Vorliegend sind die genannten Gegenindizien nicht gegeben, da durch die einvernehmliche Schätzung die vorher streitigen Sachfragen ausgeräumt wurden und der Beklagte sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung beider Kläger zuständig ist. Die Indizien für „geringe Bedeutung“ sind hingegen überwiegend und im maßgeblichen Umfang erfüllt. Im Zeitpunkt des Ergehens des Feststellungsbescheids waren die Besteuerungsgrundlagen durch die einvernehmliche Schätzung ermittelt und werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ändern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhältnisse dementsprechend auch überschaubar. Zurechnungsprobleme haben nie bestanden. Das Element der Kurzfristigkeit, dass im BFH-Urteil vom 26.10.1971 VIIIR 137/70, BStBl II 1972,215 aufgeführt wird, mag vorliegend insofern fraglich sein, als es sich nicht um einen einzelnen Fall der Einkommensteuererzielung handelte, sondern die Einkünftegemeinschaft sich über mehrere Jahre erstreckte. Dem kommt nach Auffassung des Senats jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da die hier betroffenen und festgestellten Zinseinkünfte im überschaubaren Zeitraum des Streitjahres erzielt wurden. Hinzu kommt, dass die zitierte BFH-Entscheidung vor 1987 erging, also bevor der Gesetzgeber durch die Neufassung der Abgabenordnung die Gewichtung der Auslegung des Begriffs „geringe Bedeutung“ neu geregelt und klargestellt hatte.

20Der Senat folgt der Auffassung des Beklagten, es sei nicht auf das einzelne Steuerjahr, sondern auf den gesamten Steuerfall abzustellen, nicht. Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Dementsprechend erließ der Beklagte auch für jedes einzelne Steuerjahr je gesonderte Feststellungsbescheide. Deren Rechtmäßigkeit ist dementsprechend auch je gesondert unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO zu prüfen.

21Ebenso wenig folgt der Senat der Auffassung des Beklagten, für die Bewertung nach § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO komme es auf einen Zeitpunkt vor der Steuerfahndungsprüfung an, zu dem der Fall noch unübersichtlich gewesen sei. Für die Beurteilung, ob ein Feststellungsbescheid erforderlich ist und deshalb ergehen darf und muss, sind wie für alle Verwaltungsakte die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Erlasses (oder der Entscheidung, vom Erlass abzusehen) erkennbar sind. Im Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Feststellungsbescheids war aber nach Auffassung des Senats erkennbar, dass er nicht erforderlich und deshalb auch nicht rechtmäßig war.

22Die vom Beklagten aufgeführten Praktikabilitätserwägungen überzeugen den Senat nicht. Wenn, wie vorliegend, ein und dasselbe Finanzamt sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung zuständig ist, kann eine allfällige Abstimmung unter den Veranlagungsbezirken problemlos erfolgen.

23II.              Die Kläger sind durch den rechtswidrigen Feststellungsbescheid auch in ihren Rechten verletzt. Zwar sind die hierauf beruhenden Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr bestandskräftig, jedoch sind sie bei Aufhebung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend anzupassen. Vorliegend hat ausschließlich der Grundlagenbescheid die Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte verhindert. Wird er nun aufgehoben, sind die Einkommensteuerbescheide in der Weise anzupassen, dass nunmehr der Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte Rechnung zu tragen ist.

24III.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung – Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Absatz 3 EStG

Einkommensteuer: Wesentlichkeitsgrenze; Berücksichtigung von niederländischem Arbeitslosengeld und negativen Einkünften aus selbstgenutztem Wohnraum

Finanzgericht Köln, 1 K 3219/11

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 3219/11

Tenor: Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet für das Jahr 2009 eine Zusammenveranlagung durchzuführen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

1
Tatbestand
2
Die in den Niederlanden wohnhafte Klägerin erzielte im Streitjahr 2009 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 15.032 € (Bruttoarbeitslohn 15.952 € abzgl. 920 € Arbeitnehmer-Pauschbetrag). In den Niederlanden erzielte sie nicht der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 9.482 € und Arbeitslosengeld in Höhe von 3.768 €. Beides wurde in den Niederlanden besteuert. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Klägerin zunächst die getrennte Veranlagung von ihrem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Ehemann, welcher in Deutschland eine Kfz-Werkstatt betreibt und daraus im Jahr 2009 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von – 13.457 € erzielt hatte. In den Niederlanden erhielt der Ehemann der Klägerin im Streitjahr nicht der deutschen Besteuerung unterliegendes – in den Niederlanden steuerpflichtiges – Krankengeld in Höhe von 13.425 €. Entsprechende Bescheinigungen der niederländischen Steuerbehörden nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG befinden sich in den Steuerakten des Beklagten.
3
Mit Bescheid vom 18.08.2010 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr antragsgemäß auf 2.127,00 € festgesetzt. In die Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2009 wurde aufgenommen, dass eine Einzelveranlagung nach den Vorschriften der beschränkten Steuerpflicht durchgeführt wurde.
4
Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine von ihr und ihrem Ehemann unterschriebene Einkommensteuererklärung ein und beantragte die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin und ihr Ehemann seien nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 i. V. m. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG seien damit nicht gegeben. Zu Recht sei daher eine Einzelveranlagung durchgeführt worden.
5
Im Rahmen des hiergegen geführten Klageverfahrens trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des Beklagten seien die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt da das in den Niederlanden ihrem Ehemann zugeflossene Krankengeld bei der Ermittlung der Einkünftegrenze im Sinne des §§ 1 Abs. 3 EStG ausscheide. Die Ermittlung der Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG erfolge nach deutschem Recht. Die Einkünfte müssten hiernach in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sein. Das ausländische Krankengeld sei – im Gegensatz zu dem in den Niederlanden gezahlte Arbeitslosengeld, welches nicht nach § 3 EStG steuerbefreit sei – gemäß § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei und bleibe somit bei der Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt. Einzubeziehen seien alle bei unterstellter Inlandsbesteuerung nach den EStG im Kalenderjahr anzusetzenden inländischen und ausländischen Einkünfte, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nach deutschem Recht ohne DBA steuerbar und steuerpflichtig seien, unabhängig davon, welchem Staat das Besteuerungsrecht zustehe. Die Aufteilung nach inländischen bzw. ausländischen Einkünften erfolge erst in einem zweiten Schritt. Da das Krankengeld erst gar nicht in die Einkünfteermittlung eingehe, erübrige sich eine Zuordnung. Dementsprechend seien die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte niedriger als 15.668,- €.
6
Die Klägerin beantragt,
7
den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 aufzuheben und für das Streitjahr erklärungsgemäß eine Zusammenveranlagung durchzuführen.
8
Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Bezugnehmend auf die Einspruchsentscheidung führt er aus, nach § 1 Abs. 3 EStG würden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielten. Dies gelte allerdings nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlägen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte 7.834 €, bei Ehegatten 15.668,- €, nicht überstiegen. Bei der Ermittlung der Einkünfte blieben nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert würden, unberücksichtigt, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei seien. Da sowohl das in den Niederlanden bezogene Arbeitslosengeld wie auch das Krankengeld in den Niederlanden besteuert würden, seien beide Leistungen in die Ermittlung der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einzubeziehen.
11
Entscheidungsgründe
12
Die Klage ist begründet.
13
Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt im Streitjahr 2009 die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem Ehemann durchzuführen.
14
Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG u.a. zusammenveranlagt werden, wenn sie die die Voraussetzungen der sog. fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Insbesondere – nur dies ist hier streitig – sind hierbei die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu beachten. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln.
15
Eine Zusammenveranlagung ist danach möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sogenannte relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 15.668,- € nicht übersteigen (sogenannte absolute Wesentlichkeitsgrenze).
16
Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.
17
Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland erzielt wurden, nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG enthält keine spezielle Regelung, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist (BFH-Urteil vom 20.8.2008 I R 78/07, BStBl II 2009,708 m. w. N). Nicht zu berücksichtigen sind daher insbesondere Zuflüsse, die nicht unter die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG fallen, nach § 3 EStG steuerfrei sind oder nach DBA von der Besteuerung freigestellt sind (vgl. Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG, Tz. 265). Hieraus folgt, dass zu den für die absolute Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu ermittelnden, nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünften nur solche zählen, die bei unterstellter deutscher Besteuerung auch im Inland steuerbar wären. Ob diese Einkünfte im Ausland steuerbar und steuerpflichtig sind ist hierbei unbeachtlich. Darüberhinaus bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG auch solche nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unberücksichtigt, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG).
18
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die absolute Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten, da die nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigenden nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte weniger als 15.668,- € betragen.
19
Unstreitig ist bei der Ermittlung der Welteinkünfte der Kläger (erste Stufe) neben den in Deutschland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb auch das niederländische Arbeitslosengeld in die Berechnung mit einzubeziehen, da es, weil nicht aufgrund der in § 3 Nr. 2 EStG aufgeführten Vorschriften gewährt, bei unterstellter inländischer Besteuerung nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerbefreit wäre. Nicht zu den Welteinkünften der Kläger zählt allerdings das dem Ehemann der Klägerin in den Niederlanden zugeflossene Krankengeld in Höhe von 13.425,- €, da dieses, deutsches Einkommensteuerrecht zugrunde gelegt, nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfrei wäre. Hiernach ist die Leistung aus einer Krankenversicherung – und um eine solche handelt es sich bei dem Krankengeld – uneingeschränkt steuerfrei.
20
Entgegen der Auffassung des Beklagten führt auch § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG nicht dazu, dass das Krankengeld bei der Berechnung des Welteinkommens zu berücksichtigen ist und zwar – so der Beklagte – im Umkehrschluss, weil es sich bei dem Krankengeld um Einkünfte handelt, die in den Niederlanden besteuert werden. Diese Vorschrift, die in Umsetzung des EuGH-Urteils Meindl (EuGHE I 2007, 1107) eingeführt wurde und die Ausübung des Wahlrechtes nach § 1 Abs. 3 EStG einem erweiterten Personenkreis ermöglichen sollte, betrifft Einkünfte, die im Ausland steuerfrei sind und deren deutsche Entsprechungen auch nach deutschem Einkommensteuerrecht steuerfrei wären. Der Grund für die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte ist, dass der ausländische Staat an solche Einkünfte, weil steuerfrei, keine steuerlichen Vergünstigungen knüpfen kann und dies auch nach deutscher steuerrechtlicher Auffassung nicht können würde. Der europäische Gedanke gebietet es daher solche Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte – entgegen der Vorgabe das Welteinkommen nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln – nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind. Eine solche Auslegung wird zum einen vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und steht zum anderen der oben geschilderten Systematik der zweistufigen Prüfung entgegen. Das Urteil des EuGH in der Sache Meindl (a.a.O.) hat keine Auswirkung auf den Grundsatz, dass die Beurteilung der Frage ob die im Ausland erzielten Einkünfte einer Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig entgegenstehen, nach deutschem Steuerrecht und nicht nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu beurteilen ist (vgl. hierzu FG Köln v. 20.4.2012, 4 K 1943/09, EFG 2012, 1677).
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).