Vermögensanlage in „gebrauchte“ Lebensversicherungen ist kein Gewerbebetrieb

Erwirbt eine Anlagegesellschaft auf dem US-amerikanischen Zweitmarkt „gebrauchte“ Lebensversicherungen, um die Versicherungssummen bei Fälligkeit einzuziehen, unterhält sie damit auch bei hohem Anlagevolumen und der Einschaltung eines Vermittlers beim Erwerb der Versicherung keinen Gewerbebetrieb. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 11. Oktober 2012 IV R 32/10 entschieden.

 

Die Klägerin, eine deutsche Personengesellschaft, hatte auf Vermittlung einer US-amerikanischen Gesellschaft sog. „gebrauchte“ Lebensversicherungen auf dem US-amerikanischen Zweitmarkt erworben. Dort bieten Versicherungsnehmer ihre Lebensversicherungen zum Kauf an, wenn sie diese weder fortführen noch kündigen wollen. Die Klägerin bezahlte für die erworbenen Lebensversicherungen während der Restvertragslaufzeit die Versicherungsprämien und zog bei Fälligkeit die Versicherungssummen ein. Ein Weiterverkauf der aus Eigenmitteln erworbenen Lebensversicherungen erfolgte nicht. Das Finanzamt sah die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich an, was ertragsteuerlich u.a. zur Folge gehabt hätte, dass die eingezogenen Versicherungssummen ungeachtet einer Spekulationsfrist bei der Klägerin zu Betriebseinnahmen geführt hätten.

 

Wie das Finanzgericht folgte auch der BFH der Auffassung des Finanzamts nicht. Unter den im Streitfall vorliegenden Umständen sei nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit der Klägerin über eine private Vermögensverwaltung hinausgegangen sei. Das Finanzamt könne sich zur Begründung seiner Auffassung weder allein auf das Anlagevolumen oder den Umfang der getätigten Rechtsgeschäfte noch auf die Einschaltung eines Vermittlers stützen. Vielmehr sei im Streitfall entscheidend, dass sich die Klägerin weder wie ein gewerblicher Händler, dessen Tätigkeit die planmäßige Umschichtung von Vermögenswerten kennzeichne, noch wie ein gewerblicher Dienstleister verhalte. (-> Besteuerung von Erträgen aus Lebensversicherungen)

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.10.2012, IV R 32/10

Abgrenzung von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung bei Vermögensanlage in auf dem Zweitmarkt erworbene Lebensversicherungen – Abgrenzung zum echten Factoring bzw. unechten Factoring

Leitsätze

Erwirbt eine Anlagegesellschaft auf dem US-amerikanischen Zweitmarkt „gebrauchte“ Lebensversicherungen, um die Versicherungssummen bei Fälligkeit einzuziehen, ergibt sich ein ausreichendes Indiz für die Qualifikation der Tätigkeit als Gewerbebetrieb weder allein aus dem Anlagevolumen oder dem Umfang der getätigten Rechtsgeschäfte noch aus der Einschaltung eines Vermittlers.

Tatbestand

1
A. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im Streitjahr (2004) in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG gegründete Anlagegesellschaft. Sie wird als geschlossener Fonds geführt. Persönlich haftende Gesellschafterin ist die von der Geschäftsführung ausgeschlossene „X-GmbH“. Geschäftsführende Kommanditistin ist die „Y-GmbH“, die ihrerseits die Geschäftsführung und Verwaltung der Klägerin durch Vertrag auf eine weitere Gesellschaft –die Z-GmbH– übertragen hat. Gegenstand des Unternehmens ist der Erwerb, das Halten, die Verwaltung und die Verwertung von Lebensversicherungspolicen.
2
An der Klägerin beteiligten sich bis Mitte 2005 ca. 7 500 Kapitalanleger entweder als unmittelbare Kommanditisten oder als mittelbare Treuhandkommanditisten. Das gezeichnete Kommanditkapital belief sich auf rund … Mio. EUR. Mit diesen Mitteln erwarb die Klägerin auf dem Zweitverwertungsmarkt für US-amerikanische Lebensversicherungen das wirtschaftliche Eigentum an insgesamt 208 Lebensversicherungsverträgen, wobei nur drei dieser Verträge mit der deutschen Risikolebensversicherung, die übrigen mit der deutschen gemischten (Kapital-)Lebensversicherung vergleichbar sind. Die (Rest-)Vertragslaufzeiten der erworbenen Lebensversicherungen beliefen sich zum Erwerbszeitpunkt auf drei bis 13 Jahre. Die Versicherungssumme eines einzelnen Versicherungsvertrags betrug mindestens 100.000 USD und durfte grundsätzlich 5 Mio. USD nicht übersteigen.
3
Der Erwerb der Lebensversicherungen erfolgte über die US-amerikanische „A Corporation“ (Settlement-Gesellschaft), die der Klägerin den Zugang zum Zweitverwertungsmarkt für sog. „gebrauchte“ Lebensversicherungen in den USA vermittelte. Auf diesem Markt können Versicherungsnehmer ihre Lebensversicherungen zum Kauf anbieten, wenn sie diese weder fortführen noch kündigen wollen. Vor dem Erwerb der Lebensversicherungen prüfte die Settlement-Gesellschaft die Verträge entsprechend den Anlagekriterien der Klägerin.
4
Nach dem Erwerb veräußerte und übertrug die Settlement-Gesellschaft die erworbenen Lebensversicherungen an den US-amerikanischen „B Trust“ (Trust), der die Lebensversicherungen nach Zahlung des Kaufpreises durch die Klägerin für diese in einem treuhandähnlichen Verhältnis hielt und sie von seinem Vermögen separierte. Die Verwaltung (u.a. Abwicklung der laufenden Prämienzahlungen, Geltendmachung der Ansprüche gegen die jeweiligen Versicherungsgesellschaften auf Auszahlung der Versicherungssummen sowie deren Einziehung) der dem Trust zugeordneten („gebrauchten“) Lebensversicherungen übernahm die Settlement-Gesellschaft. Die Klägerin leistet die Versicherungsprämien und erhält bei Eintritt des Versicherungsfalls die Versicherungssumme ausgezahlt. Ein Weiterverkauf der von ihr (wirtschaftlich) erworbenen Versicherungsverträge ist grundsätzlich nicht vorgesehen und käme allenfalls bei Liquidation der Klägerin vor Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls in Betracht. Fremdkapital wurde nur in sehr geringem Umfang eingesetzt. Der Erwerb weiterer Lebensversicherungen aus den vereinnahmten Versicherungssummen ist nicht vorgesehen.
5
Für das Streitjahr erklärte die Klägerin negative Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) sah hingegen die Betätigung der Klägerin als gewerblich an und erließ für das Streitjahr am 3. März 2006 entsprechende Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, den Gewerbesteuermessbetrag sowie die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes. Mit ihren dagegen gerichteten Einsprüchen machte die Klägerin geltend, sie sei vermögensverwaltend tätig geworden.
6
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht (FG) der Klage aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1883 veröffentlichten Gründen statt. Es folgte der Auffassung der Klägerin, dass deren geschäftliche Aktivitäten nicht als gewerblich anzusehen seien.
7
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes –GewStG–, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG–).
8
Es vertritt unter sinngemäßem Hinweis auf die inhaltsgleichen Rundverfügungen der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt am Main vom 24. Februar 2006 S 2240 A – 32 – St II 2.02 (Deutsches Steuerrecht –DStR– 2006, 1458) und der OFD Hannover vom 9. Juni 2004 S 2240-346-StH 241, S 2240-176-StO 221 (juris) die Auffassung, dass die Klägerin durch ihre Tätigkeit gewerbliche Einkünfte erziele. Die Gewerblichkeit werde durch die Übernahme eines unternehmerischen Risikos, die Einschaltung einer Settlement-Gesellschaft, die Höhe des Fondskapitals sowie den Umfang der von dem Fonds getätigten Geschäfte indiziert. Das unternehmerische Risiko der Klägerin folge aus dem Umstand, dass diese im Fall des Vertragsablaufs vor Tod eines Versicherungsnehmers erhebliche Verluste zu tragen hätte. Die Settlement-Gesellschaft erbringe Dienstleistungen (z.B. professionelle Bewertung der Versicherungsverträge) für Rechnung und auf das Risiko der Klägerin. Diese sei auf die Kenntnisse, Erfahrungen und Serviceleistungen der Settlement-Gesellschaft angewiesen, weshalb sie sich deren geschäftsmäßige Organisation zurechnen lassen müsse. Auch sei der Handel mit „gebrauchten“ Lebensversicherungen im Jahr der Tätigkeitsaufnahme ein neues Marktsegment gewesen, weshalb die Klägerin in weit höherem Maße von externem Sachverstand abhängig gewesen sei als der gewöhnliche vermögensverwaltende Privatinvestor. Die Höhe des Investitionsvolumens sei Indiz für eine gewerbliche Tätigkeit, weil erst durch die Höhe des eingesetzten Kapitals eine Risikostreuung erfolgen könne. Auch sei das Anlagemodell der Klägerin ohne einen hohen Mitteleinsatz nicht denkbar. Die Tätigkeit der Klägerin sei zudem mit der Tätigkeit eines Factors vergleichbar, dessen Tätigkeit unstreitig als gewerblich zu qualifizieren sei. In beiden Fällen würden liquide Mittel zum Forderungserwerb unter dem Nennwert eingesetzt, die erworbene Forderung verwaltet und deren Einzug „betrieben“. Auch bediene sich die Klägerin eines Marktes (Zweitverwertungsmarkt in den USA), den sie genau beobachten müsse, um erfolgreich zu sein.
9
Das FA beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt,die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
11
Die Revisionsbegründung entspreche schon nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an die Darlegung einer Rechtsverletzung und verstoße deshalb gegen § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zudem sei die Revision unbegründet. Weder der Vergleich mit dem Factoring noch die Einschaltung der Settlement-Gesellschaft begründe die Gewerblichkeit der Klägerin. Insbesondere sei nicht ersichtlich, weshalb sich die Klägerin möglicherweise gewerbliche Leistungen der Settlement-Gesellschaft zurechnen lassen müsse. Für eine Zurechnung fehle es bereits an einer Rechtsgrundlage.

Entscheidungsgründe

12
B. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
13
I. Die Revision ist zulässig. Zwar genügt –worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat– eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen des Revisionsklägers regelmäßig nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 FGO (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 25. August 2009 I R 88, 89/07, BFHE 226, 296, m.w.N.). Die Revisionsbegründung lässt indes hinreichend deutlich erkennen, dass das FA das angefochtene Urteil als mit materiellem Bundesrecht nicht vereinbar ansieht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
14
Das FA betrachtet die vom FG getroffene Abgrenzung der Einkunftsarten als rechtsfehlerhaft, weil die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich anzusehen sei. Dabei stützt es seine Rechtsansicht auf einen Vergleich der Tätigkeit der Klägerin mit dem (unechten) Factoring sowie auf Ausführungen zur Settlement-Gesellschaft und zum Kapitalanlagevolumen. Damit hat sich das FA mit den tragenden Gründen der finanzgerichtlichen Entscheidung auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb es diese für unrichtig hält. Für das Revisionsgericht ist auch ohne Zitieren einer gesetzlichen Bestimmung ersichtlich, an welchen Maßstäben das angefochtene Urteil gemessen werden soll (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 2007 X R 24/06, BFH/NV 2008, 774).
15
II. Die Revision ist jedoch unbegründet.
16
1. Soweit das Verfahren den Gewinnfeststellungsbescheid 2004 vom 3. März 2006 betrifft, ist lediglich darüber zu entscheiden, ob das FA die streitbefangenen Einkünfte zu Recht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb qualifiziert hat. Hingegen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, ob das FA unter der Annahme, dass die Tätigkeit der Klägerin mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommen worden sei, die Einkünfte der Höhe nach (hier negative Einkünfte in Höhe von … EUR) zutreffend festgestellt hat.
17
a) Ein Gewinnfeststellungsbescheid kann eine Vielzahl selbständiger und damit auch selbständig anfechtbarer Feststellungen enthalten, die eigenständig in Bestandskraft erwachsen können. Solche selbständige Regelungen (Feststellungen) sind u.a. die Qualifikation der Einkünfte sowie die Höhe des Gesamtgewinns oder Verlustes und dessen Verteilung auf die Mitunternehmer (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 2011 IV R 42/10, BFHE 234, 226, BStBl II 2011, 878, unter B.II.1.a der Gründe, m.w.N.; zur Qualifikation der Einkünfte auch BFH-Urteil vom 1. Juli 2010 IV R 34/07, BFH/NV 2010, 2246, m.w.N.).
18
b) Die Klägerin, die für das Streitjahr negative Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärt hat, hat sich mit ihrer Klage ausschließlich gegen die Qualifikation ihrer Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gewandt. Gegenstand der Klage, soweit sie den angegriffenen Gewinnfeststellungsbescheid betrifft, ist somit allein die diesbezügliche Feststellung. Die übrigen Feststellungen des angefochtenen Feststellungsbescheids sind in Bestandskraft erwachsen; daran ändert nichts, dass dieser Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–) ergangen ist. Der Senat hat deshalb im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden, ob die Einkünfte der vermeintlichen Mitunternehmerschaft der Höhe nach zutreffend festgestellt worden sind und ob das FA anlässlich dieser Feststellung zu Recht von einer Einkünfteerzielungsabsicht ausgegangen ist. Dies schließt indes nicht aus, dass andere für das Streitjahr getroffene Feststellungen –außerhalb des vorliegenden Klageverfahrens– unter den Voraussetzungen der §§ 164 Abs. 2, 176, 181 Abs. 1 Satz 1 AO oder einer sonstigen Änderungsnorm innerhalb der Festsetzungsfrist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht überprüft werden könnten (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2010, 2246, und vom 9. Februar 2011 IV R 15/08, BFHE 233, 290, BStBl II 2011, 764).
19
2. Das FA hat die Einkünfte der Klägerin zu Unrecht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb qualifiziert. Die Klägerin unterliegt demnach auch nicht der Gewerbesteuer.
20
a) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Eine Personengesellschaft erzielt –insoweit als Steuerrechtssubjekt bei der Ermittlung der Einkünfte (z.B. BFH-Urteil vom 14. April 2011 IV R 8/10, BFHE 233, 226, BStBl II 2011, 709, m.w.N.)– gewerbliche Einkünfte, wenn die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Personengesellschaft ein gewerbliches Unternehmen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 EStG) betreiben (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2246, m.w.N.). Des Weiteren gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft, die keine gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt und bei der ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung befugt sind (gewerblich geprägte Personengesellschaft, § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG).
21
b) Die Klägerin ist keine gewerblich geprägte Personengesellschaft. Die Komplementärin der Klägerin ist von der Geschäftsführung gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen. Diese wird stattdessen von einer als Kommanditistin beteiligten GmbH wahrgenommen. Eine gewerbliche Prägung der Klägerin i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG scheidet daher aus. Für die Qualifikation der wirtschaftlichen Aktivität der Klägerin als Gewerbebetrieb sowie für eine Gewerbesteuerpflicht kommt es somit ausschließlich darauf an, ob die Klägerin originär gewerblich tätig war (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG).
22
c) Auch ein gewerbliches Unternehmen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG liegt im Streitfall nicht vor.
23
aa) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ist Gewerbebetrieb eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs ist nach der Rechtsprechung des BFH im Übrigen, dass die Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C.III.3.b aa (1) der Gründe; seitdem ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 31. Mai 2007 IV R 17/05, BFHE 218, 183, BStBl II 2007, 768, unter II.2. der Gründe).
24
bb) Hinsichtlich der Abgrenzung des Gewerbebetriebs von privater Vermögensverwaltung werden für den Erwerb „gebrauchter“ Lebensversicherungen auf dem US-amerikanischen Sekundärmarkt durch Anlagegesellschaften von der Finanzverwaltung und jedenfalls in Teilen der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach der Verwaltungsauffassung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. September 2005 IV B 2 -S 2240- 55/05, nicht veröffentlicht; Verfügungen der OFD Frankfurt am Main vom 28. Mai 2004 S 2240 A – 32 – St II 2.02, DStR 2004, 1386, geändert durch Verfügung in DStR 2006, 1458; Verfügung der OFD Hannover vom 9. Juni 2004 S 2240-346-StH 241, S 2240-176-StO 221, juris) ist ein derartiger Erwerb ertragsteuerlich als gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren, während im Schrifttum weitgehend von einer vermögensverwaltenden Tätigkeit ausgegangen wird (vgl. Biagosch/ Greiner, DStR 2004, 1365 ff.; Fleischer/Karten, Betriebs-Berater 2004, 1143; Lohr, Der Betrieb 2004, 2334, 2335; Bader/ Weidinger, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 3, 12947 ff. –Heft 30/2004–; Meyer-Scharenberg, DStR 2006, 1437; Hensell/ Reibis, DStR 2008, 87, 90; Hartrott, Finanz-Rundschau 2008, 1095, 1101 ff.; Böhm, Besteuerung von auf dem Zweitmarkt erworbenen deutschen Lebensversicherungen, 87, 105 ff.; offengelassen: Blümich/Bode, § 15 EStG Rz 154; Buge in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 15 EStG Rz 1170; Schmidt/Wacker, EStG, 31. Aufl., § 15 Rz 92).
25
cc) Nach Maßgabe der den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG und unter Berücksichtigung der in höchstrichterlicher Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze zur Abgrenzung einer gewerblichen von einer vermögensverwaltenden Tätigkeit ist im Streitfall die Würdigung des FG, dass die Betätigung der Klägerin den Rahmen der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten habe, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
26
(1) Zur Abgrenzung von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung hat der BFH u.a. die nachfolgend ausgeführten Rechtsgrundsätze entwickelt, die für am Zweitmarkt erworbene Lebensversicherungen um wirtschaftsgutspezifische Gesichtspunkte zu ergänzen sind.
27
(a) Die Grenze der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb wird überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung der Vermögenswerte im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.III.1. der Gründe, m.w.N.). Der Kernbereich der Vermögensverwaltung wird in § 14 Satz 3 AO durch Bezugnahme auf Regelbeispiele (verzinsliche Anlage von Kapitalvermögen und die Vermietung oder Verpachtung von unbeweglichem Vermögen) abgegrenzt. Dadurch wird „die Vermögensverwaltung“ gleichwohl nicht abschließend definiert. Sie wird in der Rechtsprechung des BFH letztlich negativ danach bestimmt, „ob die Tätigkeit dem Bild entspricht, das nach der Verkehrsauffassung einen Gewerbebetrieb ausmacht“ (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 X R 55/97, BFHE 195, 402, BStBl II 2001, 809, unter II.2.d der Gründe, m.w.N.).
28
(b) Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und Vermögensverwaltung ist somit auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen. In Zweifelsfällen ist die gerichtsbekannte und nicht beweisbedürftige Auffassung darüber maßgebend, ob die Tätigkeit, soll sie in den gewerblichen Bereich fallen, dem Bild entspricht, das nach der Verkehrsanschauung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.II. der Gründe, m.w.N.). Es entspricht langjähriger und gefestigter Rechtsprechungstradition, das „Bild des Gewerbebetriebs“ durch Orientierung an unmittelbar der Lebenswirklichkeit entlehnten Berufsbildern zu konturieren. Zu diesen gehören die –selbständig und nachhaltig ausgeübten– Tätigkeiten der Produzenten, der Dienstleister und der Händler (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. März 2005 X R 39/03, BFHE 209, 320, BStBl II 2005, 817, unter B.II.1.b der Gründe).
29
Das „Bild des Handels“ ist durch die Ausnutzung substantieller Werte durch Umschichtung von Vermögenswerten gekennzeichnet; es unterscheidet sich von der „Vermögensumschichtung im Rahmen privater Vermögensverwaltung“ durch den marktmäßigen Umschlag von Sachwerten (z.B. BFH-Urteil in BFHE 218, 183, BStBl II 2007, 768, unter II.2.b der Gründe, m.w.N.). Ob Veräußerungen noch der Vermögensverwaltung zuzuordnen sind, lässt sich nicht für alle Wirtschaftsgüter nach einheitlichen Maßstäben beurteilen. Vielmehr sind die jeweiligen artspezifischen Besonderheiten zu beachten (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 218, 183, BStBl II 2007, 768, unter II.2.a der Gründe).
30
Das „Bild des gewerblichen Dienstleisters“ ist durch ein Tätigwerden für Andere, vor allem ein Tätigwerden für fremde Rechnung geprägt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1998 XI R 80/97, BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448, unter II.2.b der Gründe; vom 20. Dezember 2000 X R 1/97, BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706, unter II.3.f der Gründe). Umgekehrt deutet ein Tätigwerden ausschließlich für eigene Rechnung im Regelfall darauf hin, dass der Rahmen der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten wird (BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 774, unter II.2.e bb der Gründe, m.w.N.). Im Zusammenhang mit der gewerblichen Dienstleistung hat das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverwaltung in Gestalt einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten (vgl. § 14 Satz 3 AO) keine rechtliche Bedeutung. Gewerblicher Dienstleister kann auch sein, wer keinerlei „Früchte aus Substanzwerten zieht“ (BFH-Urteil in BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706, unter II.2.e aa der Gründe).
31
(c) Nach den vorgenannten Maßstäben gehen der Erwerb und das Halten „gebrauchter“ Lebensversicherungen sowie der Einzug der Versicherungssumme im Regelfall nicht über den Rahmen der privaten Vermögensverwaltung hinaus, wenn diese Vorgänge den Beginn und das Ende einer in erster Linie auf Fruchtziehung gerichteten Tätigkeit darstellen. Insoweit verhält es sich nicht anders als bei Erwerb und Veräußerung beweglicher Sachen im Rahmen der Vermietung einzelner beweglicher Gegenstände; stellen diese Vorgänge den Beginn und das Ende einer in erster Linie auf Fruchtziehung gerichteten Tätigkeit dar, so kann eine gewerbliche Vermietungstätigkeit –ausnahmsweise– erst in Betracht gezogen werden, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die der Vermietungsleistung insgesamt das Gepräge einer selbständigen, nachhaltigen, von Gewinnstreben getragenen Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr geben, hinter der die eigentliche Gebrauchsüberlassung des Gegenstandes in den Hintergrund tritt (BFH-Urteil in BFHE 218, 183, BStBl II 2007, 768, unter II.2.c der Gründe). Zwischen Erwerb und Verwertung einer „gebrauchten“ Lebensversicherung ist die Tätigkeit des Erwerbers regelmäßig in gleicher Weise auf Fruchtziehung ausgelegt wie die des ursprünglichen Versicherungsnehmers. Eine gewerbliche Tätigkeit des Erwerbers kommt daher auch hier nur in Betracht, wenn sich dieser „wie ein Händler“ oder „Dienstleister“ verhält; auch hier ist das Gesamtbild der Verhältnisse entscheidend.
32
(d) Die gesetzlichen Regelungen über die Besteuerung der Leistungen aus Lebensversicherungen und der Gewinne aus ihrer Veräußerung sprechen gleichfalls dafür, dass der Zweiterwerb einer Lebensversicherung und die zeitlich spätere (möglicherweise gewinnbringende) Einziehung der Versicherungsleistung allein noch keine gewerbliche Tätigkeit begründen. Denn bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2008 waren derartige Veräußerungsvorgänge allenfalls als privates Veräußerungsgeschäft i.S. des § 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar. Dies verdeutlicht die Grundentscheidung des Gesetzgebers, derartige Vorgänge grundsätzlich dem privaten Bereich zuzuordnen. Die gleiche Grundentscheidung kommt in § 20 Abs. 2 Nr. 6 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) zum Ausdruck. Denn diese Norm qualifiziert Gewinne aus der Veräußerung von Ansprüchen auf eine Versicherungsleistung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen.
33
(2) Dies vorausgesetzt, hat das FG im Streitfall rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Tätigkeit der Klägerin den Rahmen der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten hat. Das FG hat seine Beurteilung –unter gleichzeitiger Ablehnung der nach Ansicht des FA vermeintlich für die Gewerblichkeit sprechenden Kriterien– maßgeblich darauf gestützt, dass die Klägerin keinen Handel mit erworbenen Versicherungsansprüchen betreibt. Diese Würdigung des FG lässt keine Rechtsfehler, insbesondere keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennen.
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Der Erwerb, das Halten sowie der Einzug der Versicherungsleistungen „gebrauchter“ Lebensversicherungen gehen (auch) im Streitfall nicht über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinaus. Bei der gebotenen wirtschaftsgutspezifischen Betrachtung entspricht die Tätigkeit der Klägerin nicht dem Bild, das nach der Verkehrsauffassung einen Gewerbebetrieb ausmacht und einer privaten Vermögensverwaltung fremd ist. Insbesondere ist die Tätigkeit der Klägerin nicht mit den vorgenannten Berufsbildern, die dem Bild des Gewerbebetriebs entsprechen, vergleichbar. Auf der Grundlage der mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) sind keine Umstände erkennbar, nach denen die Klägerin einen gewerblichen Handel mit den erworbenen Lebensversicherungen betrieben oder gewerbliche Dienstleistungen erbracht hätte.
35
(a) Handelbare Lebensversicherungen können zwar grundsätzlich Gegenstand händlertypischen Umschlags sein. Ein händlertypischer marktmäßiger Umschlag der im Streitfall erworbenen Lebensversicherungen findet jedoch –zumindest planmäßig– nicht statt. Denn die Klägerin erwirbt die („gebrauchten“) Versicherungsansprüche, um diese im Zeitpunkt des Versicherungsfalls einzuziehen. Dies entspricht nicht dem Bild des „Handels“, weil es bereits an einer für den Handel typischen „Veräußerung“ der erworbenen Ware fehlt.
36
Dem steht nicht entgegen, dass nach dem Urteil des BFH vom 13. Dezember 1961 VI 133/60 U (BFHE 74, 331, BStBl III 1962, 127) die Einziehung einer Forderung zum Nennwert den Veräußerungstatbestand i.S. des § 23 Abs. 1 EStG erfüllt. Ob daran festzuhalten ist (ausdrücklich offengelassen im BFH-Urteil vom 18. Oktober 2006 IX R 7/04, BFHE 215, 193, BStBl II 2007, 258, unter II.2.b der Gründe, mit Nachweisen zum Diskussionsstand), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn der Veräußerungstatbestand des § 23 EStG orientiert sich nicht an dem Bild, das nach der Verkehrsauffassung einen Gewerbebetrieb ausmacht, insbesondere nicht an unmittelbar der Lebenswirklichkeit entlehnten Berufsbildern. Folglich kann jene Rechtsprechung auch nicht zur Begründung eines händlertypischen Verhaltens der Klägerin herangezogen werden.
37
Zu keiner anderen Beurteilung führt auch, dass die Klägerin nach dem Gesellschaftsvertrag befugt ist, erworbene Lebensversicherungen weiter zu veräußern. Im Streitjahr fanden solche Veräußerungen nicht statt. Nach den Feststellungen des FG ist die Geschäftstätigkeit der Klägerin auch nicht auf Veräußerungen ausgerichtet. Die gesellschaftsvertragliche Befugnis zur Weiterveräußerung ist vielmehr als Ausnahmeregelung für den Fall zu verstehen, dass die Klägerin vor Eintritt des Versicherungsfalls aufgelöst und liquidiert wird. Damit fehlt es aber an der Planmäßigkeit eines marktmäßigen Umschlags. Insgesamt ist die Teilnahme der Klägerin am Marktgeschehen demnach auf die Abnahme gehandelter Ware in Form von Lebensversicherungen beschränkt. Nicht festgestellt oder sonst ersichtlich ist dagegen, dass die Klägerin als Anbieterin am Markt auftritt.
38
(b) Der Tätigkeit der Klägerin liegt auch keine gewerbliche Dienstleistung zu Grunde. Für eine Dienstleistungstätigkeit fehlt es bereits an einem Tätigwerden für Andere, denn hierzu zählen nicht die an der Klägerin beteiligten Kommanditisten bzw. Treuhandkommanditisten. Zudem erfolgen die Weiterzahlung der Versicherungsbeiträge sowie das Einziehen der Versicherungssummen im Zeitpunkt des Versicherungsfalls ausschließlich für eigene Rechnung. Schließlich wird das Fehlen eines Tätigwerdens für fremde Rechnung auch durch den Gesellschaftszweck unterstrichen. Danach sind Tätigkeiten nach § 34c der Gewerbeordnung, Bankgeschäfte sowie Finanzdienstleistungen im Sinne des deutschen Kreditwesengesetzes ausdrücklich ausgeschlossen.
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(c) Schließlich führt auch der Vergleich mit dem Berufsbild eines Factors im Streitfall nicht zu einer gewerblichen Tätigkeit der Klägerin.
40
Beim Factoring-Geschäft wird regelmäßig ein Rahmenvertrag zwischen dem Factor und dem sog. Anschlusskunden als längerfristiges Schuldverhältnis geschlossen. Dabei verpflichtet sich der Anschlusskunde, Forderungen eines bestimmten Geschäfts dem Factor anzudienen, während sich der Factor verpflichtet, die vom Factoringvertrag erfassten Forderungen zu erwerben, was sodann durch die jeweils konkreten Andienungsverträge geschieht. Zivilrechtlich wird zwischen echtem und unechtem Factoring unterschieden. Beide Ausgestaltungen haben den Finanzierungsaspekt als gemeinsamen Nenner, also die Liquidierung der Außenstände des Anschlusskunden (von Westphalen in Röhricht/von Westphalen, Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., Besondere Handelsverträge, Factoring Rz 2).
41
(aa) Beim echten Factoring erwirbt der Factor die Forderungen seines Anschlusskunden endgültig (Forderungskauf i.S. der §§ 433, 453 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) und trägt demzufolge das Risiko des Forderungsausfalls, während der Anschlusskunde den Kaufpreis, den der Factor für die Forderung bezahlt, endgültig behalten darf (endgültige Finanzierung der Forderung). Wegen der Übernahme der Delkredere-Funktion durch den Factor treten beim echten Factoring etwaige Dienstleistungsfunktionen gegenüber dem Anschlusskunden regelmäßig in den Hintergrund. Der Forderungseinzug geschieht auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse des Factors. Beim echten Factoring betreibt der Factor folglich keinen Handel mit Forderungen, und auch Dienstleistungen gegenüber Dritten werden grundsätzlich nicht erbracht. Ob seine Tätigkeit zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führt, ist daher nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zu beurteilen. Hieraus lassen sich jedoch keine allgemeinen Vergleichsmaßstäbe entwickeln, die auch im Streitfall zur Anwendung kommen könnten.
42
(bb) Auch beim unechten Factoring übernimmt der Factor die Forderung seines Anschlusskunden gegen Vergütung und wird zum Einzug im eigenen Namen ermächtigt. Wird die Forderung uneinbringlich, muss jedoch der Anschlusskunde die vorschussweise erhaltene Vergütung zurückbezahlen. Das Risiko des Forderungsausfalls verbleibt demnach beim Anschlusskunden, weshalb es sich wirtschaftlich um eine vorläufige Finanzierung der erworbenen Forderung handelt (von Westphalen in Röhricht/ von Westphalen, a.a.O., Besondere Handelsverträge, Factoring Rz 13). Da der Factor keine Delkredere-Funktion übernimmt, treten regelmäßig Dienstleistungspflichten der Factors (z.B. Buchhaltung, Inkasso und Mahnwesen) in den Vordergrund. Der Forderungseinzug geschieht wirtschaftlich für fremde Rechnung.
43
Danach ist die Tätigkeit der Klägerin mit der eines unechten Factors nicht vergleichbar. Denn das Ausfallrisiko geht mit dem Versicherungsanspruch endgültig auf die Klägerin über. Die beim unechten Factoring typischerweise in den Vordergrund tretenden Dienstleistungspflichten sind mit der Tätigkeit der Klägerin nicht verbunden.
44
(d) Der Würdigung der Tätigkeit der Klägerin als Vermögensverwaltung steht schließlich nicht entgegen, dass sich die Fruchtziehung nicht in einem laufenden (wiederkehrenden) Ertrag (Zinsen oder Dividenden) charakterisiert, sondern in der Differenz zwischen der vereinnahmten Versicherungssumme und dem geleisteten Kaufpreis. Denn die Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Ertragserwartung in der Anspruchsrealisierung liegt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 198, BStBl II 2001, 706, unter II.2.b der Gründe; vom 30. Juli 2003 X R 7/99, BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408, unter II.2.c der Gründe).
45
(aa) Das im Streitfall entwickelte Anlagevolumen (Fondskapital) ist kein ausschlaggebendes Indiz für eine gewerbliche Betätigung der Klägerin. Der Einsatz umfangreicher finanzieller Mittel kommt bei Kapitalanlagen sowohl in der betrieblichen als auch in der privaten Sphäre vor. Dabei ist kein Rechts- oder Erfahrungssatz ersichtlich, dass mit steigendem Kapitaleinsatz (zwingend) ein Übergang zur gewerblichen Betätigung einhergeht. Die „Höhe des Anlagevolumens“ ist schon wegen ihrer Unbestimmtheit kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Ohne Bedeutung für den Streitfall ist daher auch der Umfang der von der Klägerin getätigten Rechtsgeschäfte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408, unter II.3.a cc der Gründe). Etwas anderes lässt sich auch nicht dem BFH-Beschluss vom 4. Juli 2002 IV B 44/02 (BFH/NV 2002, 1559, unter 1.b cc der Gründe) und dem BFH-Urteil in BFHE 218, 183, BStBl II 2007, 768 (unter II.2.f der Gründe) entnehmen. Soweit der erkennende Senat in jenen Entscheidungen auf eine quantitative Größe („große Anzahl“) abgestellt hat, bezog sich dies auf die Würdigung des Umfangs von Verkäufen zur Erzielung eines Totalgewinns. Verkäufe der von ihr erworbenen Wirtschaftsgüter, deren Zahl den händlertypischen marktmäßigen Umschlag von Sachwerten indizieren könnte, hat die Klägerin indes nicht getätigt.
46
(bb) Das FG hat dem Umstand, dass die Klägerin eine Settlement-Gesellschaft eingeschaltet hat, zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Denn allein die Nutzung fremder (Markt-)Kenntnisse, Erfahrungen und Expertise sowie die Inanspruchnahme fremder Dienste (z.B. Bewertung der auf dem Markt angebotenen Lebensversicherungsverträge, Vermittlung der Verträge, Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls, Einziehung der Versicherungssumme für die Klägerin) begründen noch kein hinreichendes Indiz für einen Gewerbebetrieb (vgl. auch BFH-Beschluss vom 10. April 2006 X B 209/05, BFH/NV 2006, 1461, unter 3. der Gründe); dies gilt selbst dann, wenn Dienstleistungen in erheblichem Umfang in Anspruch genommen werden. In Ermangelung einer Rechtsgrundlage ist die Tätigkeit der Settlement-Gesellschaft auch nicht der Klägerin mit der Folge zuzurechnen, dass eine möglicherweise gewerbliche Tätigkeit oder geschäftsmäßige Organisation jener Gesellschaft auf die Tätigkeit der Klägerin abfärbt.
47
(cc) Auch der Hinweis darauf, dass sich eine Anlagegesellschaft wie die Klägerin eines Marktes bediene (Zweitverwertungsmarkt in den USA), den sie für ihren wirtschaftlichen Erfolg genau beobachten müsse, zeigt keinen Umstand auf, der die Gewerblichkeit der Tätigkeit der Klägerin begründen könnte. Unabhängig davon, ob eine genaue Marktbeobachtung beim Zweiterwerb von Lebensversicherungen für einen wirtschaftlichen Erfolg überhaupt erforderlich ist, wenn diese –wie im Streitfall– nicht weiterveräußert werden (vgl. Meyer-Scharenberg, DStR 2006, 1437, 1443), ist die Marktbeobachtung sowohl im betrieblichen als auch im privaten Bereich dazu bestimmt, wirtschaftliche Tendenzen zu erkennen und ggf. darauf zu reagieren. Deshalb bildet auch eine etwa erforderliche Marktbeobachtung allein kein hinreichendes Indiz für das Vorliegen einer gewerblichen Tätigkeit. Zudem wurde nach dem Vortrag des FA die Marktbeobachtung im Streitfall weitestgehend durch die Settlement-Gesellschaft und nicht durch die Klägerin durchgeführt.
48
(dd) Schließlich ist dem FG darin beizupflichten, dass die Übernahme eines „unternehmerischen Risikos“, verstanden als wirtschaftliche Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg einer Investition, ebenfalls kein für die Abgrenzung von Gewerbebetrieb und privater Vermögensverwaltung geeignetes Kriterium bildet. Es kann offenbleiben, ob die Klägerin durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit, insbesondere aufgrund ihrer Anlagestrategie, einen wirtschaftlichen Totalverlust erleiden könnte. Jedenfalls kann ein derartiges Risiko sowohl in der betrieblichen als auch in der privaten Sphäre auftreten (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408 – Verluste aus dem Handel mit Wertpapieren waren dort der privaten Vermögenssphäre zuzuordnen). Es beeinflusst daher nicht die hier zu beurteilende Qualifikation der Einkünfte der Klägerin als Personengesellschaft. Ob den Kommanditisten der Klägerin eine gesellschaftsrechtliche oder eine dieser wirtschaftlich vergleichbare Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens, also ein Mitunternehmerrisiko (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31. Mai 2012 IV R 40/09, BFH/NV 2012, 1440), vermittelt wird, ist vorliegend nicht von Bedeutung; im Übrigen setzte dies eine gewerblich tätige Personengesellschaft voraus.
49
d) Überschreitet im Streitfall die Tätigkeit der Klägerin schon nicht die Grenze der privaten Vermögensverwaltung, braucht nicht entschieden zu werden, ob bzw. welche der in § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG genannten Merkmale durch die Betätigung der Klägerin erfüllt werden.

 

 

 

Rentenversicherungen mit fondsgebundener Kapitalanlage, Auszahlungsphase

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) hat angefragt, wie lebenslange Leistungen aus Rentenversicherungen mit fondsgebundener Kapitalanlage in der Auszahlungsphase steuerlich zu behandeln sind (siehe hierzu auch die Besteuerung von Versicherungsleistungen).

Das Bundesministerium der Finanzen hat hierzu mit Schreiben vom 17.4.2008, IV C 8 – S 2255/08/10005, DOK: 2008/0202313 folgende Auffassung vertreten:

Auszahlungen aus einer Rentenversicherung mit fondsgebundener Kapitalanlage (s. Anlage), bei der

·    die Gewährung einer lebenslangen Rente in Höhe eines bestimmten Geldbetrages vereinbart wird und

·    ein Sinken des Rentenzahlbetrages ausgeschlossen ist,

werden gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG mit dem Ertragsanteil besteuert.

Dies ist auch der Fall, wenn anstelle des sofortigen Rentenbeginns zunächst eine Aufschubzeit vereinbart wird und die Rentenzahlung (wie oben beschrieben) erst nach deren Ablauf einsetzt.

Im Falle des Rückkaufs des Vertrages unterliegt der Unterschiedsbetrag zwischen dem Rückkaufswert und dem darauf entrichteten Einmalbeitrag der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG.

aus FMS vom 22.4.2008, 32 – S 2255 – 126 – 15 798/08

 

Anlage Januar 2008

Sofortrente mit fondsgebundener Kapitalanlage des Versicherers

Konzept

Es wird eine Rentenversicherung mit sofort beginnender Zahlung einer garantierten lebenslangen Leibrente gegen Einmalbeitrag abgeschlossen. Das Vorsorgekapital der Rentenversicherung legt der Versicherer überwiegend in Fonds an.

Versicherte garantierte Leibrente und Erhöhung der Garantierente

Die versicherte sofort beginnende Rente wird abhängig von der Lebensdauer der versicherten Person lebenslang gezahlt (Leibrente). Die Rente wird in gleichbleibenden Leistungen gezahlt.

Die Rente wird in Höhe eines konkret bezeichneten %-Satzes des Einmalbeitrags vereinbart. Der Einmalbeitrag wird als EUR-Betrag (oder ggf. einer anderen Währung) nominal festgesetzt, so dass auch die Rente in Höhe eines konstanten EUR-Betrages oder ggf. einer anderen Währung) gezahlt wird.

Das Versicherungsunternehmen garantiert sowohl die lebenslange Rentenzahlung als auch die Höhe der Rente.

Der vereinbarte %-Satz und damit die Höhe der Rente hängt vom Geschlecht, dem Alter und der Lebenserwartung ab. Zudem wird der Prozentsatz von den Verhältnissen am Kapitalmarkt beeinflusst. Unter den derzeitigen Konditionen am Kapitalmarkt wird die ab Beginn garantierte Rente voraussichtlich knapp geringer als die garantierte Rente aus einer konventionellen Rentenversicherung des Versicherungsunternehmens sein.

Eine Erhöhung der garantierten Rente ist abhängig von der Performance der Fonds möglich, in die das Versicherungsunternehmen das Vorsorgekapital der Rentenversicherung anlegt. Wenn die Wertentwicklung der Fondsanteile die Kosten übersteigt, führt dies zu einer proportionalen Erhöhung der garantierten Rente an bestimmten Stichtagen. Die erhöhte Rente wird in der neuen Höhe lebenslang garantiert. Ein Sinken der Rente bei negativer Fondsperformance ist dagegen nicht möglich.

 

Anlage des Vorsorgekapitals durch das Versicherungsunternehmen

Das Vorsorgekapital der Rentenversicherung legt das Versicherungsunternehmen überwiegend in Fonds an. Eine gute Fondsperformance kann zur Erhöhung der garantierten Rente führen (s.o.). Ein Sinken der garantierten Rente ist hingegen – auch bei einer ungünstigen Entwicklung des Kapitalmarkts – nicht möglich.

Leistung bei Tod der versicherten Person

Es ist eine Todesfallleistung in Form einer Kapitalauszahlung eingeschlossen. Die Höhe der Todesfallleistung ergibt sich aus dem Wert der verbliebenen Fondsanteile. Sie hängt von der Wertentwicklung der Fondsanteile ab und sind demnach nicht prognostizierbar. Die Höhe der Todesfallleistung ist nicht garantiert. Bei ungünstiger Wertentwicklung kann eine Todesfallleistung bereits nach kurzer Laufzeit der Versicherung entfallen, bei extrem günstiger Wertentwicklung der Fondsanteile kann trotz der vorgenommenen Erhöhung(en) der Leibrente eine Todesfallleistung ggf. auch nach der mittleren Lebenserwartung zu erbringen sein.

Prämienzahlung

Einmalbeitrag

Rückkauf

Das Versicherungsunternehmen räumt dem Versicherungsnehmer ein Kündigungsrecht ein. Der Kunde hat die Möglichkeit eines Rückkaufs, solange die Todesfallleistung größer Null ist. Der Rückkaufswert ergibt sich aus der Todesfallleistung abzüglich Stornoabzug. Ein anteiliger Rückkauf ist möglich. Dies führt zu einer Reduktion der Garantierente, der Todesfallleistung sowie der Bezugsgröße für die Prüfung einer möglichen Rentenerhöhung.

Flexible Gestaltungsmöglichkeiten

Der Versicherungsnehmer kann bei Abschluss aus verschiedenen Fonds mit unterschiedlichem Risikoprofil wählen.

Die Fondsanteile können nach Wunsch des Versicherungsnehmers in eine andere Strategie umgeschichtet werden. Auf die bis dahin erreichte garantierte Rente hat dies keine Auswirkungen.

 

Normenkette

EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb

 

BMF, 17.4.2008, IV C 8 – S 2255/08/10005


Steuerfreie Umsätze aus der Kryokonservierung weiblicher Eizellen.

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 14.03.2013 ( 5 K 9/11 ) der Klage einer Arztpraxis (Gesellschaft bürgerlichen Rechts – GbR -) für Reproduktionsmedizin stattgegeben und entschieden, dass die Kryokonservierung (kühle Lagerung) von Eizellen auch dann als umsatzsteuersteuerfreie Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 UStG anzuerkennen ist, wenn die Eizellen nach erfolgreicher erster Schwangerschaft zur Herbeiführung von weiteren Schwangerschaften vorgehalten werden.

Hintergrund:

Die Klägerin führt künstliche Befruchtungen durch. Dazu werden der Patientin Eizellen entnommen, befruchtet, kryokonserviert und in einem späteren Zyklus wieder eingesetzt. Überschüssige Eizellen werden für die Herbeiführung von weiteren Schwangerschaften vorgehalten. Die Klägerin behandelte sämtliche Umsätze aus der Kryokonservierung als steuerfrei. Demgegenüber unterschied das beklagte Finanzamt danach, ob die Eizellen für eine erstmalige oder weitere Schwangerschaft verwendet würden. Nur soweit die Konservierung im Zusammenhang mit einer konkreten Fruchtbarkeitsbehandlung dazu diene, überzählige Eizellen aufzubewahren und in einem späteren Zyklus einzusetzen, könne sie Teil einer steuerfreien Heilbehandlung sein. Die Konservierungsleistungen nach einer (ersten) Schwangerschaft stünden aber in keinem Zusammenhang mit der Verhinderung einer Krankheit bzw. einer therapeutischen Maßnahme.

Das NFG ist der Auffassung des beklagten Finanzamts nicht gefolgt. Als Begründung führte es an, dass die Lagerung der Eizellen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft insgesamt therapeutischen Zwecken diene. Dies gelte unabhängig davon, ob die verwahrten Eizellen für eine erstmalige oder für weitere Schwangerschaften verwendet würden. Die Kryokonservierung diene der Linderung einer Krankheit, da die Lagerung im Vergleich zu einer erneuten „Gewinnung“ von Eizellen das mildere und damit verhältnismäßige Mittel sei.

Das NFG hat die Revision zugelassen, weil die aufgeworfene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Ein Az. des BFH liegt derzeit noch nicht vor.

Niedersächsisches FG Urteil vom 14.03.2013 – 5 K 9/11

 

Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG für ärztliche Leistungen bei Schönheitsoperationen, Schwangerschaftsabbrüchen und Empfängnisverhütungen

 Bezug: Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 12.01.2012 – 6 K 1917/07, Revisionsverfahren V R 16/12

1. Tätigkeit eines ästhetisch-plastischen Chirurgen und bei Schönheitsoperationen

Die Frage, ob die Tätigkeit eines ästhetisch-plastischen Chirurgen bei sog. Schönheitsoperationen als ärztliche Heilbehandlung anzusehen ist und damit zur Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG führt, war Gegenstand einer Erörterung zwischen dem Bund und den obersten Finanzbehörden der Länder.

Dabei wurde Folgendes beschlossen:

 1.1 Allgemeines

Eine generelle Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG für ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen (Schönheitsoperationen) kommt  nicht  in Betracht.

Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, ob diese Leistung der medizinischen Betreuung eines Menschen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dient und somit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht (z. B. bei Eingriff wegen psychischer Belastung, nicht jedoch bei rein kosmetischen Eingriffen).

 1.2 Vergleichbare Leistungen anderer Einrichtungen

Wenn Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerpflichtig sind, ist eine Umsatzsteuerpflicht vergleichbarer Leistungen auch bei Krankenhäusern, Diagnosekliniken usw. anzunehmen, da nach § 4 Nr. 14 Buchstabe b UStG n. F. (früher: § 4 Nr. 16 UStG ) ebenfalls nur Heilbehandlungen begünstigt werden sollen.

 1.3 Beispiele für steuerpflichtige Umsätze

Steuerpflichtig sind z. B. folgende Leistungen, sofern sie kosmetischer Natur sind und kein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht (vgl. Tz. 1.1):

Fettabsaugung, Faltenbehandlung, Brustvergrößerung, Brustverkleinerung, Lifting, Nasenkorrekturen, Hautverjüngung (Lasertherapie), Lippenaufspritzung, Botox-Behandlung (Verminderung von Falten durch Einspritzen eines stark verdünnten Nervengiftes Botulinum-Toxin), Permanent Make-up, Anti-Aging Behandlung, Bleaching (Bleichen der Zähne) und Dentalkosmetik.

 1.4 Bestätigung der genannten Grundsätze durch die Rechtsprechung

Der BFH hat die vorgenannten Grundsätze in dem Revisionsverfahren V R 27/03 mit Urteil vom 15.07.2004 , BStBl 2004, II 862 (Vorinstanz: FG Berlin, Urteil vom 12.11.2002 – 7 K 7264/02 ; EFG 2003, 418 ) bestätigt. Die gegen dieses Urteil am 04.10.2004 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 04.07.2006 – 1 BvR 2241/04 nicht zur Entscheidung angenommen.

 1.5 Nachweis der medizinischen Indikation durch den Unternehmer

Der Unternehmer trägt die objektive Beweislast dafür, dass das Hauptziel der Leistung der Schutz oder die Wiederherstellung der Gesundheit ist (vgl. BFH-Beschluss vom 18.02.2008 – V B 35/06 , BFH/NV 2008, 1001 –1003).

Indiz hierfür kann die regelmäßige Übernahme der Kosten durch Krankenversicherungen sein.

Es führt jedoch nicht zwingend zur Steuerpflicht, wenn die Krankenversicherung nicht zur Kostenübernahme verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteil vom 30.01.2008 – XI R 53/06 , BStBl 2008 II, 647 ).

Mit Urteil vom 12.01.2012 – 6 K 1917/07 hat das FG Rheinland-Pfalz entschieden, dass ästhetischplastische Operationen nur dann steuerbefreit sind, wenn die medizinische Indikation im jeweiligen Einzelfall – ggf. durch Einzelgutachten mit Einverständnis des Patienten – nachgewiesen wird.

Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Az. V R 16/12 anhängig.

 2. Ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen und der Empfängnisverhütung

Die umsatzsteuerliche Behandlung ärztlicher Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen und der Empfängnisverhütung war Thema einer Besprechung der Umsatzsteuerreferatsleiter. Danach sind sowohl die Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen als auch alle ärztlichen Leistungen zur Empfängnisverhütung unabhängig von der jeweiligen Verhütungsmethode unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei.

Einrichtungen i. S. d. § 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen zählen zu den in § 4 Nr. 14 Buchstabe b Doppelbuchst. bb UStG genannten Zentren. Zwar erfolgt bei diesen Einrichtungen die für die Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift notwendige Teilnahme an der vertragsärzlichen Versorgung nicht durch ein Zulassungs- oder Ermächtigungsverfahren (wie in § 95 SGB V gefordert), sondern durch eine vertragliche Regelung (Vergütungsvereinbarung) nach § 75 Abs. 9 SGB V ; eine solche Vereinbarung stellt als Sonderfall der vertragsärztlichen Versorgung jedoch gleichwohl die erforder-liche Teilnahme an dieser her.

Die bisherige Rdvfg. vom 11.03.2010 – S 7170 A – 69 – St 112 ist überholt.

BFH-Urteile vom 17.04.2013

Folgende weitere Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Datum von heute (17.04.2013) veröffentlicht:

– BFH-Beschluss vom 12.03.2013 – XI B 14/13 (Die besondere Zugangsvoraussetzung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung);

– BFH-Urteil vom 24.01.2013 – V R 34/11 (Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG – Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen ist keine “landwirtschaftliche Dienstleistung” – Keine Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei Erstbescheiden – Verfassungsmäßigkeit der gesetzmäßigen Besteuerung – Prüfung einer Schätzung durch den BFH);

– BFH-Urteil vom 08.11.2012 – V R 15/12 (Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Überlassung von Grundstücken im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen nach dem BNatSchG – Begriff der “Vermietung von Grundstücken”);

– BFH-Urteil vom 13.12.2012 – IV R 51/10 (Durchschnittssatzgewinnermittlung nach § 13a EStG nicht für reinen Weinbaubetrieb);

– BFH-Urteil vom 19.12.2012 – IV R 29/09 (Ende der Nutzung eines fremden Wirtschaftsguts zur Einkunftserzielung, auf das eigene Aufwendungen geleistet worden waren – Typisierte Verteilung von Aufwendungen – Ausgliederung wesentlicher Betriebsgrundlagen – Anwendung des § 20 UmwStG 1977);

– BFH-Beschluss vom 21.02.2013 – X B 53/11 (Überraschungsentscheidung – Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten – Unterhalt als Sonderausgaben);

– BFH-Beschluss vom 08.03.2013 – III S 2/12 (Erneuter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in derselben Sache vor dem BFH);

– BFH-Beschluss vom 08.03.2013 – III B 24/12 (Divergenz bei mehreren tragenden Urteilsgründen);

– BFH-Beschluss vom 19.09.2012 – X B 40/11 (NZB: Sachaufklärungsmängel);

– BFH-Beschluss vom 05.03.2013 – X B 98/11 (Liebhaberei);

– BFH- Beschluss vom 06.03.2013 – X B 14/13 (Aussetzung eines gegen einen Folgebescheid gerichteten Klageverfahrens – Anspruch auf Akteneinsicht – Voraussetzungen für In-camera-Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO – Prüfung der etwaigen Unwirksamkeit von Grundlagenbescheiden im Verfahren gegen die Folgebescheide – Keine Nichtigkeit des Feststellungsbescheids bei Nichtexistenz der GbR);

– BFH-Beschluss vom 06.03.2013 – III B 113/12 (Keine Anwendung der Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrens über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten auf die Kindergeldfestsetzung nach dem EStG – Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Übermittlung von Unterlagen nur an den Prozessbevollmächtigten – Zureichender Grund für das Hinausschieben einer Einspruchsentscheidung im Rahmen des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO);

– BFH-Beschluss vom 14.02.2013 – III B 133/12 (Anforderungen an einen Anspruch des Jugendhilfeträgers auf Erstattung des Kindergelds durch die Familienkasse);

– BFH-Beschluss vom 01.03.2013 – IX B 144/12 (Prozessurteil statt Sachurteil als Verfahrensmangel);

– BFH-Beschluss vom 25.01.2013 – V B 95/12 (Teiloption bei Grundstücksvermietung).

Bundesfinanzhof (BFH)

Voranmeldungszeitraum bei Wegfall der Voraussetzungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft

Voranmeldungszeitraum bei Wegfall der Voraussetzungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft:

Das BMF-Schreiben regelt den Voranmeldungszeitraum für eine Organgesellschaft nach deren Ausscheiden aus dem Organkreis und Bestehen als selbständiges Unternehmen.

“Nach Beendigung der Organschaft wird die bisherige Organgesellschaft selbst Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG. Zur Bestimmung des Voranmeldungszeitraums der bisherigen Organgesellschaft nach Wegfall der Voraussetzungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft bzw. nach dem Ausscheiden der Organgesellschaft aus einer Organschaft wird es aus Vereinfachungsgründen nicht beanstandet, wenn grundsätzlich auf die Steuer des vorangegangenen Kalenderjahrs des bisherigen Organkreises abgestellt wird. Soweit die bisherige Organgesellschaft einen davon abweichenden Voranmeldungszeitraum begehrt, ist eine fiktive anteilige Steuer für das vorangegangene Kalenderjahr durch die bisherige Organgesellschaft zu ermitteln. […]“

Voranmeldungszeitraum bei Wegfall der Voraussetzungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft (PDF, 38,4 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

Divergenz bei mehreren tragenden Urteilsgründen

Gericht: BFH 3. Senat
Entscheidungsdatum: 08.03.2013
Streitjahr: 2008
Aktenzeichen: III B 24/12
Dokumenttyp: Beschluss
Normen: § 105 Abs 5 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 31 S 4 EStG 2002, § 65 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2002, § 70 Abs 2 EStG 2002, Art 10 EWGV 574/72
Divergenz bei mehreren tragenden Urteilsgründen

Leitsatz

NV: Stützt das FG seine Entscheidung kumulativ auf mehrere tragende Gründe, kann die Revision wegen Divergenz nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Gründe eine Divergenz gegeben ist. Der weitere tragende Grund kann sich auch aus einer vom FG nach § 105 Abs. 5 FGO zu eigen gemachten Begründung der Einspruchsentscheidung ergeben (Rn.11)(Rn.12).

Fundstellen

NV (nicht amtlich veröffentlicht)
Verfahrensgang

vorgehend FG München, 2. Januar 2012, Az: 5 K 2629/10, Urteil
Diese Entscheidung zitiert

Rechtsprechung
im Text BFH, 19. April 2012, Az: III R 87/09
im Text BFH, 12. Oktober 2011, Az: III B 56/11
im Text FG München, 4. Mai 2011, Az: 9 K 2928/10
im Text BFH, 3. März 2011, Az: III R 11/08
Vergleiche BFH, 11. Juli 2008, Az: IV B 121/07
im Text BFH, 17. April 2008, Az: III R 36/05
im Text BFH, 28. Juni 2006, Az: III R 13/06
im Text BFH, 25. März 2003, Az: VIII R 95/02
Vergleiche BFH, 30. August 2000, Az: III B 62/98

Gründe

1
Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

 

2
1. Eine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist anzunehmen, wenn das Finanzgericht (FG) mit einem das angegriffene Urteil tragenden und entscheidungserheblichen Rechtssatz von einem eben solchen Rechtssatz einer anderen Gerichtsentscheidung abgewichen ist. Das angefochtene Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung müssen dabei dieselbe Rechtsfrage betreffen und zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sein (z.B. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2011 III B 56/11, BFH/NV 2012, 178).

 

3
a) Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) –der Kindsvater– vorträgt, die Vorentscheidung weiche von dem Urteil des FG München vom 4. Mai 2011 9 K 2928/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 2173) ab, liegt keine Divergenz vor.

 

4
In der vorgeblichen Divergenzentscheidung wird zwar ausgeführt, dass die Entscheidung der ausländischen Behörde, soweit sie die Anwendung deren innerstaatlicher Rechtsvorschriften betreffe, Tatbestandswirkung für die deutschen Behörden habe. Das FG hat aber keinen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, insbesondere nicht entschieden, dass eine derartige Bindungswirkung nicht bestehe. Es hat vielmehr ausgeführt, die Entscheidung der österreichischen Behörde, der Kindsmutter nach dem überstaatlichen Gemeinschaftsrecht österreichische Familienleistungen zu gewähren, binde weder die deutschen Behörden noch Gerichte. Damit fehlt es an voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätzen.

 

5
b) Soweit der Kläger behauptet, das FG sei von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. März 2003 VIII R 95/02 (BFH/NV 2003, 1306) abgewichen, ist ebenfalls keine Divergenz gegeben.

 

6
Der Kläger führt zwar in seiner Beschwerdebegründung aus, der BFH habe in dem zitierten Urteil zu einem vergleichbaren Sachverhalt entschieden, der dem Steuerpflichtigen nach den §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zustehende Kindergeldanspruch sei aufgrund der im Ausland dem anderen Elternteil gezahlten Familienleistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen gewesen. Das FG-Urteil und die vorgebliche Divergenzentscheidung betreffen jedoch unterschiedliche Rechtsfragen.

 

7
Der BFH hat in dem zitierten Urteil entschieden, dass ein in Deutschland lebender und Unterhalt zahlender Vater bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1998 keinen Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG 1997 abziehen kann, wenn die in Österreich lebende Mutter dort für das gemeinsame Kind Kindergeld erhält, das nicht niedriger ist als die Steuerersparnis des Vaters bei Abzug eines Kinderfreibetrages (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1306). Die vorgebliche Divergenzentscheidung betraf daher nicht die Rechtsfrage, ob dem Steuerpflichtigen ein Kindergeldanspruch zustand, sondern ob er einen Kinderfreibetrag abziehen konnte. Für diese Zwecke war im Rahmen der sog. Günstigerrechnung nach § 31 Satz 4 EStG 1997 zu prüfen, ob für den Steuerpflichtigen das Kindergeld oder die durch den Kinderfreibetrag bedingte Steuerentlastung vorteilhafter waren. Zur Ermittlung dieser Vorteilhaftigkeit wurde jedoch nach der bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2003 geltenden Rechtslage nicht ein bestehender Kindergeldanspruch einbezogen, sondern das tatsächlich gezahlte Kindergeld, und zwar unabhängig davon, wer Empfänger dieser Zahlungen war (BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1306; s. dazu auch Blümich/Selder, § 31 EStG Rz 54). Das FG-Urteil und die vermeintliche Divergenzentscheidung betreffen daher unterschiedliche Rechtsfragen.

 

8
Abgesehen davon ist nicht erkennbar, dass die Rechtsausführungen des BFH zur Frage des Kindergeldanspruchs des Steuerpflichtigen entscheidungserheblich gewesen sind, wenn –wie dargelegt– nach damaliger Rechtslage auf das tatsächlich gezahlte Kindergeld abzustellen war.

 

9
c) Soweit der Kläger vorträgt, die angegriffene Entscheidung stehe im Widerspruch zu den Senatsurteilen vom 28. Juni 2006 III R 13/06 (BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714) und vom 3. März 2011 III R 11/08 (BFHE 233, 41, BStBl II 2011, 722), kommt eine Zulassung wegen Divergenz ebenfalls nicht in Betracht.

 

10
aa) Der beschließende Senat hat in dem zitierten Urteil in BFHE 233, 41, BStBl II 2011, 722 zwar entschieden, § 70 Abs. 2 EStG betreffe den Fall, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Kindergeldanspruch erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Verhältnisse nachträglich unrichtig werde. Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass sich in der Vorentscheidung die Aussage findet, für die Anwendung des § 70 Abs. 2 EStG komme es nicht darauf an, ob der zu ändernde Bescheid rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sei. Bei isolierter Betrachtung dieser Urteilspassage könnte daher eine entscheidungserhebliche Abweichung von der zitierten Senatsrechtsprechung vorliegen.

 

11
bb) Im Ergebnis hat das FG die Entscheidung aber auf einen weiteren selbständig tragenden Grund (sog. kumulative Begründung) gestützt, so dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der genannten Abweichung und dem Ergebnis der Entscheidung ausschließen lässt. In einem solchen Fall kann die Revision wegen Divergenz nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Gründe eine Divergenz zu einer Entscheidung eines anderen Gerichts gegeben ist (Senatsbeschluss vom 30. August 2000 III B 62/98, BFH/NV 2001, 455). Hieran fehlt es.

 

12
(1) Der weitere selbständig tragende Grund ergibt sich aus der durch das FG erfolgten Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung. Es hat nach § 105 Abs. 5 FGO auf die (nach seiner Ansicht) zutreffenden Ausführungen der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) „in der Einspruchsentscheidung bezüglich der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsvorschriften, insbesondere zu Art. 76 bis 79 der Verordnung (EWG) 1408/71 und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) 574/72“ verwiesen (s. II. Buchst. d der Gründe). Damit hat sich das FG die diesbezüglichen Gründe der Einspruchsentscheidung zu eigen gemacht (s. BFH-Beschluss vom 11. Juli 2008 IV B 121/07, BFH/NV 2008, 2002). Hiernach war jedoch die zu ändernde Kindergeldfestsetzung rechtmäßig und nicht rechtswidrig.

 

13
Nach der dort vertretenen Rechtsauffassung sei die im Streitfall bestehende Konkurrenz zwischen dem Kindergeldanspruch des Klägers nach dem EStG und dem Anspruch der Kindsmutter auf österreichische Familienleistungen nach dem dem § 65 EStG vorgehenden Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72) aufzulösen. Dies bedeute: Bestehe, wie im Streitfall für die Kindsmutter, ein Anspruch auf Familienleistungen im Wohnland der Kinder, der nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhänge, und ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland –hier: Deutschland–, wie für den Kläger, so sei das deutsche Kindergeld erst dann bis zur Höhe der im Wohnland geschuldeten Familienleistungen auszusetzen, wenn der Anspruchsberechtigte im Wohnland der Kinder eine Berufstätigkeit ausübe. Diese Situation sei im Streitfall erst im Laufe des Monats November 2008 eingetreten, nachdem die Kindsmutter am 10. November 2008 in Österreich eine Beschäftigung aufgenommen habe.

 

14
Nach dieser Rechtsauffassung schließt daher ein im Wohnland der Kinder bestehender Anspruch auf Familienleistungen, der betragsmäßig über dem deutschen Kindergeld liegt, einen deutschen Kindergeldanspruch erst dann aus, wenn der andere Elternteil im Wohnland der Kinder eine Beschäftigung ausübt. Dem Umstand, ob im Wohnland der Kinder Familienleistungen bezogen werden, kommt keine Bedeutung zu.

 

15
Somit ist nach dieser rechtlichen Beurteilung, die sich das FG zu eigen gemacht hat, die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung zu Recht erfolgt; sie war –entgegen der Ansicht des Klägers– nicht wegen eines Verstoßes gegen § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG rechtswidrig.

 

16
(2) Dass das FG mit dieser Beurteilung von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, ist nicht geltend gemacht worden. Abgesehen davon wären die Rechtsausführungen zu Art. 10 der VO Nr. 574/72 revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (s. dazu Senatsurteile vom 17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921; vom 19. April 2012 III R 87/09, BFHE 237, 150).

 

17
2. Mit dem Vortrag, im Streitfall bestünde Klärungsbedarf hinsichtlich der Rechtsfragen, ob erstens eine Bindung der Familienkasse an eine zeitlich frühere positive Entscheidung der ausländischen (österreichischen) Behörde bestehe, aufgrund derer das deutsche Kindergeld übersteigende Familienleistungen gezahlt würden, ob zweitens eine Kindergeldfestsetzung, die in positiver Kenntnis von im Ausland gezahlten Familienleistungen erfolge, wegen eines Verstoßes gegen § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG rechtswidrig sei, und ob drittens die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 2 EStG von der Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der zu ändernden Festsetzung abhänge, kann die begehrte Revisionszulassung, gleich welcher Zulassungsgrund damit gemeint sein soll, nicht erreicht werden.

 

18
3. Ob die Entscheidung des FG möglicherweise insoweit rechtsfehlerhaft ist, als es auch die Aufhebung der Festsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG für den Monat November 2008 als rechtmäßig beurteilt hat, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnisse erst im Laufe des Monats November 2008 (Beschäftigungsaufnahme durch die Kindsmutter am 10. November 2008) zuungunsten des Klägers geändert haben (s. § 66 Abs. 2 EStG), kann dahinstehen, weil es insoweit bereits an der Darlegung eines Zulassungsgrundes fehlt.

 

19
4. Von einer Darstellung des Sachverhalts und weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

 

Aussetzung eines gegen einen Folgebescheid gerichteten Klageverfahrens

Gericht: BFH 10. Senat
Entscheidungsdatum: 06.03.2013
Streitjahre: 2000, 2004
Aktenzeichen: X B 14/13
Dokumenttyp: Beschluss
Normen: § 74 FGO, § 78 FGO, § 86 Abs 3 FGO, § 175 Abs 1 Nr 1 AO, § 351 Abs 2 AO, § 124 AO, § 125 Abs 1 AO
(Aussetzung eines gegen einen Folgebescheid gerichteten Klageverfahrens – Anspruch auf Akteneinsicht – Voraussetzungen für In-camera-Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO – Prüfung der etwaigen Unwirksamkeit von Grundlagenbescheiden im Verfahren gegen die Folgebescheide – Keine Nichtigkeit des Feststellungsbescheids bei Nichtexistenz der GbR)

Leitsatz

1. NV: Ist ein Grundlagenbescheid bereits ergangen, aber angefochten worden, ist die Aussetzung eines Klageverfahrens gegen einen Folgebescheid zwar nicht zwingend, stellt im Rahmen der erforderlichen Ermessungsentscheidung aber den Regelfall dar. Dies gilt auch dann, wenn das Verfahren gegen den Grundlagenbescheid bereits seit längerer Zeit anhängig ist, das dortige Gericht aber mitteilt, dass in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung zu rechnen sei.

 

2. NV: Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht nur in Bezug auf solche Akten, die dem Gericht vorliegen.

 

3. NV: Die Einleitung eines In-camera-Verfahrens nach § 86 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass das FG die Vorlage bestimmter Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften angefordert hat und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Anordnung nachzukommen.

Orientierungssatz

1. NV: Eine etwaige Unwirksamkeit von Grundlagenbescheiden könnte auch im Verfahren gegen die Folgebescheide geprüft werden (vgl. BFH-Beschluss vom 25.03.1986 III B 6/85).

 

2. NV: Die Nichtexistenz einer GbR führt nur zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des entsprechenden Feststellungsbescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 27.03.1986 I S 16/85).

Fundstellen

NV (nicht amtlich veröffentlicht)
Verfahrensgang

vorgehend FG Köln, 4. Januar 2013, Az: 5 K 5076/06, Beschluss
Diese Entscheidung zitiert

Rechtsprechung
im Text BFH, 12. April 2012, Az: X B 190/11
Vergleiche BFH, 14. Januar 2011, Az: VIII B 56/10
Vergleiche BFH, 18. September 2007, Az: III S 31/07
Vergleiche BFH, 18. Juli 2006, Az: X B 65/06
Vergleiche BFH, 29. Januar 1998, Az: IX B 118/97
Vergleiche BFH, 17. Mai 1995, Az: X R 64/92
Vergleiche BFH, 27. März 1986, Az: I S 16/85
Vergleiche BFH, 25. März 1986, Az: III B 6/85

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Schuldners (Schuldner), der gemeinsam mit einem Mitgesellschafter (M) einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hatte.

 

2
In dem Klageverfahren, das Ausgangspunkt der vorliegenden Beschwerde ist, geht es um die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–) gegen den Schuldner erlassenen Einkommensteuerbescheide 2000 und 2004. Die in diesen Bescheiden angesetzten Einkünfte aus Gewerbebetrieb hat das FA aus (Grundlagen-)Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinns einer GbR übernommen. Das für die Gewinnfeststellung zuständige Betriebs-FA hat angenommen, zwischen dem Schuldner und M habe eine einheitliche GbR bestanden, die drei Mietshäuser erworben, saniert, deren Aufteilung in Wohnungs- bzw. Teileigentum betrieben und die künftigen Miteigentumsanteile noch vor Durchführung der Aufteilung an verschiedene Erwerber veräußert habe. Nach Auffassung des Schuldners –die der Kläger übernommen hat– sollen hingegen drei getrennte Objekt-GbR bestanden haben. Der Schuldner und M sind zwischenzeitlich zerstritten.

 

3
Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ das Betriebs-FA für die nach seiner Auffassung existierende einheitliche GbR am 23. Juni 2005 einen Gewinnfeststellungsbescheid für 2004 und am 29. September 2005 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 2000. In den vorliegenden Akten befindet sich nur der Feststellungsbescheid für 2000; dieser ist an den Schuldner adressiert und trägt den Hinweis, dass M einen Bescheid gleichen Inhalts erhalten habe.

 

4
Der Schuldner erhob gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 2000 vor dem damaligen Finanzgericht (FG) Berlin (heute FG Berlin-Brandenburg) sowohl eine Anfechtungsklage als auch eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit. Über diese Klagen hat das FG Berlin-Brandenburg bisher nicht entschieden. Der Kläger hat darüber hinaus vorgetragen, das FG Berlin-Brandenburg habe auch über die zur Feststellungsklage gehörenden Eilverfahren –einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung– nicht entschieden.

 

5
Gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 2004 legte der Schuldner beim Betriebs-FA Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruht bis zur Entscheidung über die gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 2000 anhängigen Klageverfahren.

 

6
Unter dem 24. November 2005 erließ das FA gegen den Schuldner Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2004. Der Schuldner legte auch hiergegen Einspruch ein, begründete diesen zwar nicht, bat in seinem Einspruchsschreiben aber um Übersendung der Gewinnfeststellungsbescheide. Im März 2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem der Kläger den vom FA zur Insolvenztabelle angemeldeten Einkommensteuerforderungen widersprochen hatte, nahm das FA das Einspruchsverfahren wieder auf. Mit der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2006 stellte es die Einkommensteuerforderungen –in geringfügig niedrigerer Höhe als in den Einkommensteuerbescheiden, was nicht näher begründet wurde– gemäß § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung als Insolvenzforderungen fest. Die Einspruchsentscheidung weist als Einspruchsführer den Schuldner aus; der Kläger wird als „Bevollmächtigter“ bezeichnet.

 

7
Mit der hiergegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, Einkommensteuer sei nicht festzusetzen, weil die Gewinnfeststellungsbescheide nichtig, zumindest aber rechtswidrig seien. Die vom Betriebs-FA angenommene GbR habe niemals bestanden. Die Feststellungsbescheide seien an die GbR bekanntgegeben worden, was wegen der Nichtexistenz der GbR unwirksam sei. M habe sich die GbR gemeinsam mit dem Betriebs-FA „ausgedacht“. Die Bescheide seien „dem Kläger“ nicht bekanntgegeben worden.

 

8
Im Klageverfahren lässt sich der Kläger von einer Steuerberatungs-GmbH (S-GmbH) vertreten, die zuvor bereits den Schuldner vertreten hatte. Mehrere unter dem Briefkopf der S-GmbH erstellte und beim FG eingereichte Schriftsätze sind nicht von den Vertretern dieser Gesellschaft, sondern vom –nicht postulationsfähigen– Schuldner persönlich unterschrieben worden. Die S-GmbH hat lediglich für ein vorgelagertes Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH), nicht aber für das Klage- oder Beschwerdeverfahren eine vom Kläger unterschriebene Prozessvollmacht vorgelegt.

 

9
Mit Beschluss vom 22. Januar 2010 setzte das FG das Klageverfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die beim FG Berlin-Brandenburg bzw. beim Betriebs-FA anhängigen Klage- bzw. Einspruchsverfahren gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 2000 und 2004 aus. Zur Begründung führte es aus, der Kläger erhebe ausschließlich Einwendungen gegen die Grundlagenbescheide. Der Aussetzung stehe nicht entgegen, dass der Kläger auch die Existenz der GbR in Frage stelle, weil auch diese Frage im anhängigen Klageverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids für 2000 geklärt werden könne. Dieser Beschluss wurde nicht angefochten.

 

10
Am 17. Oktober 2012 hat der Kläger beantragt, das ausgesetzte Klageverfahren fortzuführen. Er behauptet, ein Abschluss der Klageverfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2000 und der entsprechenden Eilverfahren sei nicht absehbar. Alle Versuche, das FG Berlin-Brandenburg zur Bearbeitung dieser Verfahren zu bewegen, seien ohne Erfolg geblieben. Zudem seien die Gewinnfeststellungsbescheide offenkundig nichtig. So habe das Kammergericht in einem von M geführten Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung von PKH ausgeführt, zwischen M und dem Schuldner habe zu keinem Zeitpunkt eine „Grundstückshandelsgesellschaft“ bestanden, sondern allein eine „Modernisierungsgesellschaft“ für eines der drei Mietshäuser (Beschluss vom … September 2011 …). Auch habe das zuständige Amtsgericht den Schuldner in einem Steuerstrafverfahren mit Urteil vom … Januar 2012 freigesprochen, weil nicht habe geklärt werden können, ob in den Jahren 2000 und 2001 überhaupt Gewinne „in steuerlich verwertbarer Weise“ hätten realisiert werden können.

 

11
Auf Anfrage des FG hat das FG Berlin-Brandenburg am 23. November 2012 mitgeteilt, dass in den Klageverfahren gegen die Gewinnfeststellungsbescheide „leider erst“ mit einer Entscheidung im ersten Halbjahr 2013 zu rechnen sei.

 

12
Mit dem im vorliegenden Beschwerdeverfahren angefochtenen Beschluss vom 4. Januar 2013 hat das FG den Antrag des Klägers auf Fortführung des Verfahrens abgelehnt. Die Gründe für die Aussetzung des Verfahrens bestünden fort. Der Umstand, dass die Dauer der Verfahren gegen die Grundlagenbescheide sehr lange sei, zwinge nicht zur Fortführung des ausgesetzten Klageverfahrens gegen die Folgebescheide, zumal das FG Berlin-Brandenburg mitgeteilt habe, dass im ersten Halbjahr 2013 eine Entscheidung ergehen werde.

 

13
Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, vertritt der Kläger die Auffassung, ein Fortdauern der Aussetzung sei mit der Prozessförderungspflicht des FG nicht vereinbar. Vor allem werde die Aufnahme des Verfahrens aber begehrt, um Einsicht in drei sog. „Hinweisakten“ des Betriebs-FA zu erlangen. Das Betriebs-FA habe diese Akten dem FG Berlin-Brandenburg bisher nicht vorgelegt. Dies sowie die fortwährende Untätigkeit des FG Berlin-Brandenburg begründe den Verdacht, dass sich in diesen „Hinweisakten“ Unterlagen befinden, die dem Fortgang des Verfahrens dienen könnten. Außerdem habe „der Antragsteller“ ein Rehabilitationsinteresse, nachdem er im Strafverfahren freigesprochen worden sei.

 

14
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des FG Köln vom 4. Januar 2013 5 K 5076/06 anzuordnen, dass das dortige Klageverfahren fortzuführen sei,
Akteneinsicht in die drei „Hinweisakten“ des Betriebs-FA zu gewähren,
hilfsweise, diese Akten im Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO dem Bundesfinanzhof (BFH) vorzulegen.

 

Entscheidungsgründe

15
II. 1. Die Beschwerde ist unbegründet.

 

16
Der angefochtene Beschluss des FG, den Antrag des Klägers auf Fortführung des ausgesetzten Verfahrens abzulehnen, weist keinen Rechtsfehler auf.

 

17
a) Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.

 

18
Ist ein Grundlagenbescheid noch nicht ergangen, ist ein Klageverfahren gegen den Folgebescheid zwingend auszusetzen (Senatsurteil vom 17. Mai 1995 X R 64/92, BFHE 177, 478, BStBl II 1995, 640, unter II.4.); das Ergehen eines Endurteils würde in einem solchen Fall einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens darstellen. Ist –wie hier– der Grundlagenbescheid bereits ergangen, aber gleichfalls angefochten, ist eine Aussetzung des Verfahrens gegen den Folgebescheid zwar nicht zwingend, stellt im Rahmen der erforderlichen Ermessensentscheidung aber den Regelfall dar (BFH-Beschluss vom 29. Januar 1998 IX B 118/97, BFH/NV 1998, 869).

 

19
b) Vorliegend hat das FG zwar in seinen schriftlichen Hinweisen, die dem angefochtenen Beschluss vorangegangen sind, –insoweit rechtlich unzutreffend– formuliert, eine Fortführung würde einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens darstellen. Diese Formulierung hat es im angefochtenen Beschluss aber nicht wiederholt, sondern deutlich gemacht, dass ihm bei der Entscheidung Ermessen zukommt.

 

20
c) Die Ermessenserwägungen des FG zur Fortdauer der Aussetzung lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

 

21
Es hat zutreffend erkannt, dass die Gründe für eine Aussetzung des Verfahrens –das Fehlen rechtskräftiger Entscheidungen über die Grundlagenbescheide, die für den Ausgang des Klageverfahrens maßgebend sind– fortbestehen, zumal auch dann, wenn ein Grundlagenbescheid bereits ergangen ist, die Aussetzung eines Klageverfahrens gegen den Folgebescheid den Regelfall darstellt und eine Fortsetzung des Verfahrens besonders zu begründen wäre (siehe oben a).

 

22
Die Erwägung des FG, trotz der bereits sehr langen Dauer der vor dem FG Berlin-Brandenburg geführten Verfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2000 sei die Fortdauer der Aussetzung im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass das FG Berlin-Brandenburg eine Entscheidung für das erste Halbjahr 2013 angekündigt habe, ist jedenfalls vertretbar. Der Kläger muss seine –angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer nachvollziehbaren– Bemühungen um eine Beschleunigung der Verfahren in erster Linie gegenüber dem FG Berlin-Brandenburg entfalten. Dass er in jenen Verfahren bereits von den Rechtsbehelfen der §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes Gebrauch gemacht hätte, die ihm zur Erreichung einer Verfahrensbeschleunigung zur Verfügung stehen, hat er nicht vorgetragen.

 

23
Die Entscheidung des FG erweist sich zudem auch deshalb als ermessensgerecht, weil es dem Kläger auch im vorliegenden Verfahren gegen die Folgebescheide offenbar in erster Linie darum geht, Einsicht in Akten des Betriebs-FA zu nehmen. Dieses Begehren muss er aber vorrangig in den Verfahren des FG Berlin-Brandenburg verfolgen, an denen das Betriebs-FA –anders als im vorliegenden Klageverfahren– selbst beteiligt ist.

 

24
d) Zwar weist der Kläger im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass eine etwaige Unwirksamkeit der Grundlagenbescheide auch im Verfahren gegen die Folgebescheide geprüft werden könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 25. März 1986 III B 6/85, BFHE 146, 225, BStBl II 1986, 477, unter 2.). Sein bisheriges Vorbringen zur Unwirksamkeit der Grundlagenbescheide ist aber –auch unter Berücksichtigung des jetzigen Verfahrensstands– so unsubstantiiert, dass das FG es bei seiner Entscheidung über die Fortdauer der Aussetzung außer Betracht lassen durfte.

 

25
aa) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, die Gewinnfeststellungsbescheide seien deshalb nichtig, weil die GbR, deren Gewinne in diesen Bescheiden festgestellt würden, niemals existiert habe, hat er dem FG bisher keine nachvollziehbare Sachverhaltsdarstellung unterbreitet, aus der sich im Klageverfahren gegen die Folgebescheide ausnahmsweise die Notwendigkeit einer eigenständigen Prüfung der Wirksamkeit der Grundlagenbescheide ergeben könnte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtexistenz der GbR nur zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit des entsprechenden Feststellungsbescheids führt (BFH-Beschluss vom 27. März 1986 I S 16/85, BFH/NV 1986, 632, unter 1.b).

 

26
bb) Auch zu den vermeintlichen Bekanntgabemängeln fehlt es an einem substantiierten Vortrag des Klägers.

 

27
(1) Soweit der Kläger behauptet, die Bekanntgabe sei unwirksam, weil die Bescheide an die GbR gerichtet gewesen seien, hat er diese Behauptung nicht belegt. Jedenfalls der dem erkennenden Senat vorliegende Gewinnfeststellungsbescheid für 2000 weist als Bekanntgabeadressaten –in rechtlich zutreffender Weise– den Schuldner aus. Dass es sich bei dem –nicht in den vorgelegten Akten enthaltenen– Gewinnfeststellungsbescheid für 2004 anders verhalten könnte, hat der Kläger nicht dargelegt.

 

28
(2) Soweit der Kläger rügt, die Bescheide seien ihm selbst nicht bekanntgegeben worden, übersieht er, dass im Zeitpunkt der Bekanntgabe das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet war. Für eine Bekanntgabe an den Kläger gab es daher seinerzeit keine Veranlassung.

 

29
(3) Soweit der Kläger bestreitet, dass der Schuldner die Gewinnfeststellungsbescheide erhalten habe, ist auch dies unsubstantiiert.

 

30
Der Schuldner persönlich hat gegen beide Gewinnfeststellungsbescheide Einspruch eingelegt. Dafür hätte es keinen Grund gegeben, wenn er die Bescheide nicht erhalten hätte.

 

31
Jedenfalls der Gewinnfeststellungsbescheid für 2000 –der Bescheid für 2004 liegt dem erkennenden Senat nicht vor– war an den Schuldner adressiert; der Kläger selbst hat diesen Bescheid dem FG vorgelegt. Da der Kläger sich nicht dazu geäußert hat, wie er in den Besitz dieses Bescheids gelangt sein könnte, ist davon auszugehen, dass dieser sich in den Unterlagen des Schuldners befunden hat, die der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter in Besitz genommen hat.

 

32
2. Der Antrag auf Einsicht in die drei „Hinweisakten“ des FG Berlin-Brandenburg wird abgelehnt.

 

33
Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht nur in Bezug auf solche Akten, die dem Gericht vorliegen (BFH-Beschluss vom 14. Januar 2011 VIII B 56/10, BFH/NV 2011, 630). Die drei „Hinweisakten“ liegen dem erkennenden Senat aber nicht vor.

 

34
3. Die Voraussetzungen für das vom Kläger hilfsweise begehrte Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO liegen nicht vor.

 

35
a) Zu den Grundvoraussetzungen für ein solches „In-camera-Verfahren“ gehört, dass das FG die Vorlage bestimmter Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften angeordnet hat und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Anordnung nachzukommen (BFH-Beschlüsse vom 18. Juli 2006 X B 65/06, BFH/NV 2006, 1699, unter II.2.b, und vom 18. September 2007 III S 31/07, BFH/NV 2008, 83, unter II.2.a).

 

36
Daran fehlt es. Weder hat das FG im vorliegenden Klageverfahren die drei „Hinweisakten“ des Betriebs-FA angefordert noch hat das Betriebs-FA sich einer solchen Anordnung des FG widersetzt.

 

37
b) Im Übrigen wäre der Antrag auf Durchführung eines Verfahrens nach § 86 Abs. 3 FGO nicht beim Rechtsmittelgericht, sondern beim FG als dem „Gericht der Hauptsache“ zu stellen (§ 86 Abs. 3 Satz 2 FGO). Solange das dortige Klageverfahren indes ausgesetzt ist, wäre die Prozesshandlung, die in einem Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO zu sehen ist, „ohne rechtliche Wirkung“ (§ 249 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

 

38
4. Es wird darauf hingewiesen, dass im Falle einer künftigen Fortführung des Klageverfahrens Anlass bestehen könnte, ausnahmsweise eine Prozessvollmacht anzufordern (zu den hierfür geltenden Maßstäben vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2012 X B 190-196/11, BFH/NV 2012, 1164, m.w.N.).

 

39
Für das Klageverfahren hat die als Prozessbevollmächtigte auftretende S-GmbH ausschließlich eine vom Schuldner –nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen– unterzeichnete Prozessvollmacht vorgelegt. Diese ist im vorliegenden Verfahren indes unbeachtlich, da der Schuldner nicht am Verfahren beteiligt ist. Eine Vollmacht des Klägers ist nur im vorgelagerten Verfahren über die Gewährung von PKH vorgelegt worden, war aber ausdrücklich auf jenes Verfahren beschränkt.

 

40
Tatsächlich scheint der Schuldner das Verfahren in erheblichen Umfang selbst zu führen. Er hat zahlreiche an das FG gerichtete Schriftsätze unter Verwendung des Briefbogens der als Prozessbevollmächtigte auftretenden S-GmbH persönlich unterschrieben. Auch soweit die auf den Briefbogen der S-GmbH gefertigten Schriftsätze nicht vom Schuldner, sondern von für die S-GmbH vertretungsbefugten Personen unterschrieben worden sind, sind sie inhaltlich teilweise so gefasst, dass zu vermuten ist, dass ihr Inhalt nicht von einer der in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Personen stammt, sondern vom –nicht postulationsfähigen– Schuldner persönlich. Hierfür spricht auch, dass in diesen Schriftsätzen die Bezeichnung „Kläger“ oder „Antragsteller“ häufig nicht für den tatsächlichen Kläger dieses Verfahrens –den Insolvenzverwalter–, sondern für den nicht am Verfahren beteiligten Schuldner verwendet wird.

 

41
Hinzu kommt, dass der IV. Senat des BFH im –parallel gelagerten– Verfahren IV S 1/13 erfolglos eine vom Kläger unterzeichnete Vollmacht angefordert hat und daraufhin die Kosten des dortigen Verfahrens der als vollmachtloser Vertreterin aufgetretenen S-GmbH auferlegen musste.

 

Überraschungsentscheidung – Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten – Unterhalt als Sonderausgaben

Gericht: BFH 10. Senat
Entscheidungsdatum: 21.02.2013
Streitjahr: 2004
Aktenzeichen: X B 53/11
Dokumenttyp: Beschluss
Quelle:
Normen: § 10 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 76 Abs 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO
Überraschungsentscheidung – Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten – Unterhalt als Sonderausgaben

Leitsatz
1. NV: Eine Überraschungsentscheidung kann nur vorliegen, wenn der Beteiligte die Umstände, auf die er meint, nicht hingewiesen worden zu sein, nicht bereits anderweit hat kennen können und müssen.

2. NV: Es stellt einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten dar, wenn das FG sich entweder auf vermeintliche Äußerungen stützt, die tatsächlich nicht existieren, oder auf vermeintlich fehlende Äußerungen stützt, die aber tatsächlich existieren.

3. NV: Der Abzug von Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG setzt die tatsächlichen vorhandene Zustimmung des Unterhaltsempfängers voraus. Ein etwaiger Anspruch auf eine Zustimmung genügt nicht und ist daher im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zu prüfen (Anschluss an ständige Rechtsprechung).

Fundstellen
NV (nicht amtlich veröffentlicht)
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 17. März 2011, Az: 10 K 345/10, Urteil
Diese Entscheidung zitiert
Rechtsprechung
im Text BFH, 23. Februar 2012, Az: X B 91/11
Vergleiche BFH, 19. Januar 2012, Az: X B 4/10
Vergleiche OLG Oldenburg (Oldenburg), 28. Oktober 2010, Az: 14 UF 141/10
Vergleiche BFH, 17. März 2010, Az: X B 95/09
Vergleiche BFH, 12. Dezember 2007, Az: XI R 36/05
Vergleiche BFH, 14. April 2005, Az: XI R 33/03
Vergleiche BFH, 2. Juli 2003, Az: XI R 8/03
im Text BFH, 31. August 2000, Az: VIII R 33/00
Vergleiche BFH, 25. Juli 1990, Az: X R 137/88

Tatbestand
1
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war mit der Beigeladenen verheiratet. Seit wann die Eheleute nicht mehr zusammenlebten, war streitig. Sie waren im Streitjahr 2004 zunächst zusammen veranlagt worden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) führte, nachdem er neue Erkenntnisse erlangt hatte, eine Einzelveranlagung durch.

2
Einspruch und Klage des Klägers richteten sich zunächst nur gegen die Einzelveranlagung und auf Aufhebung des Bescheides. Im Laufe des Klageverfahrens beantragte er, Unterhaltsleistungen für seine getrennt lebende Ehefrau (Beigeladene) in Höhe von insgesamt … € (= 12 x … €) als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Hierfür legte er eine Anlage U mit der Unterschrift der Beigeladenen vor. Im Kopf dieser Anlage sind als Jahreszahlen 2003 und 2004 genannt. In der für den Betrag vorgesehenen Zeile ist handschriftlich zunächst „monatlich“, anschließend der Betrag von … € eingetragen. Es ist streitig, ob die Jahreszahl 2004 und der Zusatz „monatlich“ vor oder nach dem Zeitpunkt, zu dem die Beigeladene die Unterschrift geleistet hat, eingefügt worden sind.

3
In der mündlichen Verhandlung begehrte der Kläger im Hauptantrag wieder die Zusammenveranlagung, im Hilfsantrag die Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben.

4
Das Finanzgericht (FG) hielt den Hauptantrag für möglicherweise unzulässig, da es sich um eine Klageänderung handeln könnte, mangels Nachweises der Voraussetzungen der §§ 26, 26b EStG für jedenfalls unbegründet. Dem Hilfsantrag gab es hinsichtlich eines Teilbetrages von … € für das gesamte Jahr statt. Die Zustimmung der Beigeladenen reiche nur gerade so weit. Die Daten seien nach den glaubhaften Angaben der Beigeladenen nachträglich eingefügt worden. Die Jahreszahl sei ihr zuzurechnen, da sie insoweit blanko unterschrieben habe. Der Zusatz „monatlich“ sei ihr hingegen nicht zuzurechnen, da sie insoweit ihre Zustimmung auf einen Jahresbetrag beschränkt habe.

5
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel und Divergenz.

6
Das FG habe in der Verhandlung einen Einigungsvorschlag unterbreitet, der im Wesentlichen seinem Hilfsantrag entsprochen habe. Diesen Vorschlag habe er als sachgerecht empfunden. Weder die Beigeladene noch das FA hätten dem Erledigungsvorschlag widersprochen, so dass er sich sicher gewähnt habe, das FG werde dem Hilfsantrag entsprechen. Daher habe er auf den Hinweis, der Hauptantrag sei wohl unzulässig, aus prozessökonomischen Gründen nicht mehr näher vorgetragen, insbesondere keine Beweisanträge oder Anträge auf Protokollierung gestellt.

7
Das FG habe in keiner Weise erkennen lassen, dass es beabsichtige, die als Urkundsbeweis präsente Anlage U gegen ihren ausdrücklichen Wortlaut sowie die zu Protokoll erklärten Aussagen der Beigeladenen als betragsmäßige Begrenzung auf … € pro Jahr auszulegen. Stattdessen widerspreche das Urteil dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Das FG habe den Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt, und es liege mangelnde Sachaufklärung vor (§ 76 FGO).

8
Wollte das FG dem Hilfsantrag nicht stattgeben, hätte es den Sachverhalt hinsichtlich des Hauptantrags von Amts wegen umfassend ermitteln müssen, zumal er vorgetragen habe, dass die Beigeladene in einer Einkommensteuererklärung noch im Jahre 2004 erklärt habe, nicht dauernd getrennt zu leben. Zumindest aber hätte es auf die Änderung seiner Rechtsauffassung hinweisen müssen. In diesem Falle hätte er, der Kläger, Zeugenbeweis für die tatsächlichen Voraussetzungen der Zusammenveranlagung angetreten.

9
Hinsichtlich des Hilfsantrags gehe das FG von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, habe auf dieser Grundlage seinen Ermittlungspflichten nicht genügt und hätte im Übrigen auf sein Verständnis hinweisen müssen, um ihn, den Kläger, instand zu setzen, sachgerechte Anträge zu stellen.

10
Das FG stütze sein Urteil darauf, die Beigeladene habe nur der Berücksichtigung eines Betrages von … € als Jahresbetrag zugestimmt. Dies ergebe sich aus der Aussage der Beigeladenen, dass zum Zeitpunkt ihrer Unterschriftsleistung zwar die betragsmäßige Begrenzung von … €, nicht jedoch die Jahreszahl eingetragen gewesen sei.

11
Tatsächlich habe die Beigeladene aber zu keinem Zeitpunkt erklärt, dass sie den Betrag von … € als Beschränkung auf einen Jahresbetrag verstanden wissen wollte. Sie habe nämlich gerade nicht erklärt, dass auch die Angabe „monatlich“ nicht eingetragen gewesen sei. Die Reduzierung des Abzugsbetrages auf einen Jahresbetrag wäre nur in Betracht gekommen, wenn der Eintrag „monatlich“ zum Zeitpunkt der Unterzeichnung tatsächlich gefehlt hätte und/oder die Beigeladene den Abzug der Unterhaltsleistungen tatsächlich habe begrenzen wollen. Dazu habe das FG aber keinerlei Beweise erhoben. Es gehe von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Für seine Schlussfolgerung gebe es keine Sachverhaltsgrundlage.

12
Das FG habe die aus seiner Sicht unklaren Umstände des Zusatzes „monatlich“ –ob vorab oder nachträglich eingetragen– im Sinne einer Begrenzung auf einen Jahresbetrag ausgelegt, ohne den wahren Willen der Beigeladenen und den tatsächlichen Sachverhalt zu ermitteln. Dazu habe jedoch dringend Anlass bestanden.

13
Er, der Kläger, habe vorgetragen, dass die fraglichen Einträge von einer Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten stammten und die Anlage U ihm zur weiteren Vereinbarung mit der Beigeladenen ausgehändigt worden sei. Er habe ferner vorgetragen, dass die Beigeladene zwei Anlagen U unterzeichnet habe, neben der hier streitigen Anlage U für 2003 und 2004 auch die Anlage U für 2005. Beide Anlagen enthielten den Betrag von … €. Obwohl in der Anlage U für 2005 der Zusatz „monatlich“ sogar fehle, hätten Kläger und Beigeladene für dieses Jahr den Eintrag einvernehmlich als Monatsbetrag verstanden und in den jeweiligen Veranlagungen die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen. Kein Verfahrensbeteiligter habe während des Verfahrensverlaufes geäußert, dass er dieser Regelung nicht auch für das Jahr 2004 zustimmen würde.

14
Dieses Vorbringen habe das FG deutlich erkennbar nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung nicht erwogen, obwohl es entscheidungserheblich sei. Ferner hätte das FG erwägen müssen, ob zur Ermittlung des wahren Willens der Beigeladenen der Anlage U für 2005 indizielle Wirkung auch für das Streitjahr 2004 zukomme.

15
Stattdessen habe das FG die Schilderungen der Beigeladenen als nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei behandelt, an ihrer Glaubwürdigkeit keinerlei Zweifel geäußert, obwohl sich aus der Verhandlungsniederschrift ergebe, dass sich die Beigeladene mehrfach sprunghaft und widersprüchlich geäußert habe. So habe sie zunächst erklärt, sie habe nur einmal eine Anlage U unterzeichnet, und dies erst im Verlauf der Verhandlung korrigiert.

16
In einer späteren Verhandlung vor dem Strafrichter gegen den wegen Urkundenfälschung (im Zusammenhang mit einer Unterschrift unter der Steuererklärung, nicht der Anlage U) angeklagten Kläger habe die Beigeladene denn auch unmissverständlich ausgesagt, der Betrag auf der Anlage U für 2003 und 2004 sei als Monatsbetrag verstanden.

17
Das FG hätte auch in Bezug auf den Hilfsantrag darauf hinweisen müssen, dass es beabsichtige, die Klage abzuweisen. In diesem Falle hätte er, der Kläger, beantragt,

die anwesende Beigeladene zu befragen, ob sie den Eintrag von … € auf der Anlage U für 2003 und 2004 als Monats- oder als Jahresbetrag gemeint habe,

in letzterem Falle die anwesende Beigeladene zu befragen, warum sie für das Jahr 2004 im Gegensatz zu 2005 lediglich einem Abzug von … € pro Jahr zustimme,

die Kanzleimitarbeiterin als Zeugin zum Zeitpunkt der Einträge auf der Anlage U zu vernehmen,

das Verfahren auszusetzen, damit er den Anspruch auf Zustimmung auf dem Zivilrechtswege durchsetzen könne,

hilfsweise, Unterhaltsleistungen gemäß § 33a Abs. 1 EStG anzuerkennen,
sofern das FG dies nicht schon von Amts wegen hätte tun müssen.

18
Das FG weiche ferner von anderen Gerichtsurteilen ab.

19
Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in dem Urteil vom 12. Dezember 2007 XI R 36/05 (BFH/NV 2008, 792, unter II.1.a) den Rechtssatz aufgestellt, dass die Zustimmung des Unterhaltsempfängers auch nachträglich als Genehmigung erteilt werden könne, während das FG meine, dass die Anlage U lediglich mit dem vorgegebenen Inhalt auszulegen sei, obwohl die Beigeladene die Anlage U auch für das Streitjahr in der mündlichen Verhandlung explizit genehmigt habe.

20
In dem Urteil vom 14. April 2005 XI R 33/03 (BFHE 210, 235, BStBl II 2005, 825) gehe der BFH davon aus, dass die Zustimmung nicht durch behördliche oder gerichtliche Wertungen ersetzt werden könne, während das FG davon ausgehe, dass die Zustimmung in Form der Anlage U durch Auslegung und Wertungen des Gerichtes zu ermitteln sei.

21
Schließlich gehe das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 14 UF 141/10 (Forum Familienrecht –FF– 2011, 123, dort Rz 24) davon aus, dass die Zustimmungserklärung nicht zwingend durch Unterzeichnung der Anlage U, sondern auf jedwede Weise erfolgen könne, die die Anerkennung als Sonderausgabe ermögliche. Gegebenenfalls sei allerdings die Zustimmung durch gerichtliche Entscheidung zu ersetzen. Das FG meine hingegen, die Zustimmung liege im freien Ermessen der Unterhaltsempfängerin, so dass es auf die Frage, ob die Beschränkung rechtsmissbräuchlich sei, nicht mehr ankomme.

22
Das FA tritt der Beschwerde entgegen und trägt insbesondere vor, die von dem FG vorgeschlagene Einigung sei deswegen gescheitert, weil der Kläger nicht bereit gewesen sei, die aus der Versteuerung der Unterhaltsleistungen folgende Steuerbelastung der Unterhaltsempfängerin zu übernehmen. Darauf habe die Beigeladene den Vorschlag des FG mit der Begründung abgelehnt, sie könne diese Steuernachzahlung nicht aufbringen. Sie habe in der mündlichen Verhandlung die Anlage U gerade nicht genehmigt. Es sei nicht nachvollziehbar, wie vor diesem Hintergrund der Kläger den Eindruck gewonnen habe, das FG werde im Sinne des Hilfsantrags entscheiden.

Entscheidungsgründe
23
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten vor. Da das FG erneut –nunmehr auf zutreffender Tatsachengrundlage– eine Beweiswürdigung wird vornehmen müssen, verweist der Senat gemäß § 116 Abs. 6 FGO bereits im Beschwerdeverfahren den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.

24
1. Allerdings stellt es keinen Verfahrensfehler dar, dass das FG in Bezug auf den Hauptantrag keine weitere Aufklärung betrieben hat.

25
Eine Verpflichtung zur (weiteren) Sachaufklärung von Amts wegen ohne Antrag gemäß § 76 Abs. 1 FGO setzt unter anderem voraus, dass sich diese dem FG aufdrängen musste (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Februar 2012 X B 91/11, BFH/NV 2012, 1150). Das war nicht der Fall. Die Beigeladene hatte in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie habe mit dem Kläger schon im Streitjahr nicht mehr zusammen gelebt. Wie diese Angabe zu bewerten war, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist und auch dann, wenn sie fehlerhaft wäre, keinen Verfahrensfehler darstellt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 76). Ob es weitere Beweismöglichkeiten in Gestalt weiterer Zeugen gab, konnte nur der Kläger, nicht das FG wissen.

26
2. Ebenso liegt ein Verfahrensfehler nicht bereits in einem fehlenden Hinweis des FG darauf, dass es dem Hilfsantrag trotz seines Verständigungsvorschlags nicht ohne weiteres stattzugeben beabsichtige.

27
Eine Verletzung der Hinweispflicht aus § 76 Abs. 2 FGO, die wenn sie vorläge, als Überraschungsentscheidung eine Verletzung rechtlichen Gehörs i.S. von § 119 Nr. 3 FGO (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2012 X B 4/10, BFH/NV 2012, 958) sein könnte, liegt nicht vor. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, inwieweit das Vorbringen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren zu dem Inhalt der Gespräche in der mündlichen Verhandlung überhaupt berücksichtigt werden kann, obwohl ein derartiger Vorschlag –entgegen § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)– nicht in das Protokoll aufgenommen ist. In der Sache vermag der Senat auch unter Berücksichtigung dieses Vortrags insoweit keine Verletzung der Hinweispflicht festzustellen. Denn sie setzt denknotwendig voraus, dass der Beteiligte die Umstände, auf die er meint nicht hingewiesen worden zu sein, nicht bereits anderweit hat sehen können und müssen. An einer solchen Überraschung fehlt es.

28
Eine entsprechende Hinweispflicht kommt nur in Betracht, wenn der Verfahrensverlauf dem Kläger die Gewissheit vermitteln konnte, der Hilfsantrag werde nicht abgewiesen. Entsprechende Tatsachen vermag der Senat nicht festzustellen. Insbesondere konnte der Kläger eine derartige Gewissheit nicht aus dem Umstand folgern, dass das FG einen Erledigungsvorschlag unterbreitet hat, der im Kern dem Hilfsantrag des Klägers entsprochen hätte. Der Senat geht davon aus, dass die Darstellung des FA zu Inhalt und Schicksal dieses Erledigungsvorschlags zutrifft, dass es nämlich die fehlende Bereitschaft des Klägers zur Übernahme einer etwaigen steuerlichen Mehrbelastung seitens der Beigeladenen war, an der die Erledigung gescheitert ist. Der Gang des Verfahrens lässt auch und insbesondere nach den Angaben des Klägers selbst keine andere Annahme zu.

29
a) Tatsächlich ist es zu der vorgeschlagenen Erledigung nicht gekommen. Das bedeutet, dass entweder das FA oder der Kläger dem Vorschlag nicht gefolgt sind. Die prozessuale Zustimmung der Beigeladenen zu einer Änderung des Bescheides und einer beidseitigen Hauptsacheerledigungserklärung nach § 138 FGO (zu unterscheiden von der materiell-rechtlichen Zustimmung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG) wäre nicht erforderlich gewesen, da der Beigeladene über den Streitgegenstand nicht verfügen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 31. August 2000 VIII R 33/00, BFH/NV 2001, 320). Abgesehen davon hat der Kläger sogar vorgetragen, die Beigeladene sei mit dem Vorschlag einverstanden gewesen. Der Kläger hat aber außerdem erklärt, das FA sei mit der vorgeschlagenen Erledigung einverstanden gewesen. Die Erledigung kann also nur an der fehlenden Zustimmung des Klägers selbst gescheitert sein.

30
b) Hätte das FG den Beteiligten mitgeteilt, ein Anspruch auf Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG bestehe bereits, weil die Beigeladene mit der Anlage U eine wirksame Zustimmung zum Sonderausgabenabzug in Höhe von … € erklärt habe, wäre es aus Sicht des Klägers gänzlich unsinnig gewesen, dem Vorschlag nicht zuzustimmen. Das gilt jedenfalls dann, wenn er –wie er vorträgt– eine Entscheidung im Sinne des Hilfsantrags für sachdienlich erachtete.

31
Die einzig plausible Erklärung für die fehlende Zustimmung entspricht der Darstellung des FA, dass nämlich der Kläger nicht bereit war, eine Erklärung über die Übernahme der steuerlichen Belastung der Beigeladenen abzugeben. Das bedeutet aber, dass Gegenstand der Gespräche über eine etwaige Erledigung in der mündlichen Verhandlung nicht etwa die Abhilfe auf Grund eines durch die Anlage U bereits begründeten Anspruchs auf den begehrten Sonderausgabenabzug gewesen sein konnte. Vielmehr muss Gegenstand dieser Gespräche die Frage gewesen sein, ob durch entsprechende Erklärungen des Klägers und der Beigeladenen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Anspruchs erstmals begründet werden könnten.

32
c) Der Kläger musste also davon ausgehen, dass das FG ohne derartige zusätzliche Erklärungen in der mündlichen Verhandlung den Sonderausgabenabzug verwehren würde. Er konnte gerade nicht mehr wie selbstverständlich auf ein –hinsichtlich des Hilfsantrags– stattgebendes Urteil hoffen.

33
3. Bei der Behandlung des Hilfsantrags hat das FG jedoch entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.

34
Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 17. März 2010 X B 95/09, BFH/NV 2010, 1827).

35
So verhält es sich hier. Ob hierin gleichzeitig eine Verletzung rechtlichen Gehörs lag, ist nicht maßgebend.

36
a) Das FG hat seine Entscheidung wesentlich auf eine Äußerung der Beigeladenen gestützt, die ausweislich des Protokolls so nicht gefallen ist, ferner auf vermeintlich fehlenden Vortrag der Klägerseite, der tatsächlich aber existiert.

37
Es heißt in dem Urteil (S. 5, zweiter Absatz), der Senat folge auch insoweit [dies bezieht sich auf die nachträgliche Einfügung der Jahreszahl] der Darstellung der Beigeladenen, dass dieser Zusatz [dies bezieht sich auf den Zusatz „monatlich“] nachträglich, das heißt nachdem die Beigeladene unterschrieben hatte, eingefügt worden ist. Weder der Kläger noch der Prozessbevollmächtigte hätte einen anderen Sachverhalt substantiiert geschildert.

38
aa) Den Akten ist Folgendes zu entnehmen:

39
Das FA hat in seiner Klageerwiderung geäußert, es sei möglich, dass das Wort „monatlich“ erst nach Unterschrift der Beigeladenen ergänzt worden sei. In der Replik hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen, die Anlage U für die Jahre 2003 und 2004 habe seine Mitarbeiterin hinsichtlich der Angaben „Steuernummer“, „monatlich“ und „Jahreszahlen“ vorbereitet und dem Kläger ausgehändigt.

40
In der mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene ausweislich des Protokolls verschiedene Angaben zu der Frage gemacht, welche Anlage U sie unterschrieben habe, schließlich nach Unterbrechung der Sitzung erklärt, sie habe beide Anlagen U (für 2003/2004 sowie für 2005) unterschrieben. Allerdings seien zum Zeitpunkt der Unterschrift die Jahreszahlen noch nicht eingetragen gewesen. Äußerungen zu der Frage, ob der Zusatz „monatlich“ bereits zum Zeitpunkt ihrer Unterschrift vorhanden gewesen sei, hat sie nach dem Protokoll nicht abgegeben.

41
bb) Nach alledem ist das FG zum Beleg seiner Annahme, der Zusatz „monatlich“ sei nachträglich eingefügt worden, in zweierlei Hinsicht von einem unzutreffenden Akteninhalt ausgegangen.

42
aaa) Dies betrifft bereits die Aussage, es gebe keine abweichende substantiierte Schilderung des Klägers oder des Prozessbevollmächtigten.

43
Zwar ist es eine Wertungsfrage, von welcher Darstellungsgenauigkeit an eine Schilderung als substantiiert zu bezeichnen ist. Indes ist dem Senat nicht klar, inwiefern die Schilderung des Prozessbevollmächtigten zu der Vorbereitung der Anlage U durch die Mitarbeiterin nicht substantiiert gewesen sein soll. Der Vortrag war klar. Der Senat nimmt an, dass das FG dieser Schilderung nicht folgen wollte, da es –den Darstellungen der Beigeladenen folgend– von einem nachträglichen Einfügen der Jahreszahl ausging. Da ausweislich des klägerischen Vortrags sowohl die Jahreszahl als auch der Zusatz „monatlich“ vorbereitet gewesen sein soll, war es möglicherweise für das FG naheliegend, auch hinsichtlich des Zusatzes „monatlich“ von einem nachträglichen Einfügen auszugehen. Das betrifft aber nicht die Substantiierung, sondern die Glaubhaftigkeit des Vortrags.

44
bbb) Es betrifft weiter und insbesondere die Aussage, nach Darstellung der Beigeladenen sei der Zusatz „monatlich“ nachträglich eingefügt worden. Eine solche Darstellung hat es nach dem Protokoll nicht gegeben.

45
Selbst das FA hat dies nicht ausdrücklich behauptet, sondern nur als möglich angesehen.

46
Sollte die Beigeladene eine derartige Aussage gemacht, das FG sie lediglich nicht protokolliert haben, berührt dies nach den o.g. Maßstäben den Verstoß gegen den klaren Akteninhalt nicht, zumal es nicht verizifierbar wäre.

47
b) Des Weiteren hat das FG übersehen, dass in Gestalt der Anlage U für 2005 ein Beweismittel vorhanden war, das für die Frage hätte herangezogen werden können, wie der Kläger und die Beigeladene ihre Erklärungen in der Anlage U für 2003 und 2004 gemeint haben.

48
Das FG hat lediglich die Existenz der Anlage U für 2005, nicht aber deren grundsätzliche Beweiseignung für die Interpretation der Anlage U für 2003 und 2004 gesehen. Zwar verbieten sich zwingende Schlüsse von einem Veranlagungszeitraum auf den anderen. Zum einen beweist allein der Umstand, dass die Beteiligten die Anlage U für 2005 in bestimmter Weise verstanden haben und das zuständige Finanzamt dem gefolgt ist, nicht, dass diese Sachbehandlung richtig war. Zum anderen war gerade der Zusatz „monatlich“ nur in der einen Anlage U vorhanden, wenn er auch ausgerechnet dort fehlte, wo alle Beteiligten die Angabe in diesem Sinne verstanden haben. Jedenfalls aber hätte das FG die Anlage U für 2005 in seine Erwägungen einbeziehen müssen.

49
c) Bei der Auslegung der Zustimmungserklärung der Beigeladenen wird das FG schließlich auch zu prüfen haben, ob bereits die Formulierung unter Teil B der Anlage U, der Empfänger stimme dem Antrag „dem Grunde nach“ zu, eine Begrenzung der Zustimmung auf eine bestimmte Höhe ausschließt.

50
4. Obwohl es im Verfahren betreffend die Nichtzulassung der Revision nicht darauf ankommt, weist der Senat mit Blick auf das Beschwerdevorbringen in rechtlicher Hinsicht auf Folgendes hin:

51
a) Die Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33a EStG setzt nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift einen Antrag voraus.

52
b) Von den Rechtsgrundsätzen des Urteils in BFH/NV 2008, 792 ist das FG nicht abgewichen. Es ist gerade nicht festzustellen, dass die Beigeladene die Anlage U auch für das Streitjahr nachträglich genehmigt habe.

53
c) Auch eine Abweichung von dem Urteil in BFHE 210, 235, BStBl II 2005, 825 ist nicht erkennbar. Das FG ist gerade von dem dort genannten Rechtssatz ausgegangen, dass der Sonderausgabenabzug von der tatsächlich erteilten Zustimmung des Unterhaltsempfängers abhängt. Da allerdings die Zustimmung –wie sich ebenfalls aus dieser Entscheidung ergibt– eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist, war das FG befugt und verpflichtet, den Inhalt der Erklärung der Beigeladenen zu ermitteln und auszulegen. Das ist nicht die Ersetzung einer fehlenden Willenserklärung.

54
d) Ebenso wenig divergiert das FG von den Grundsätzen, die das OLG Oldenburg in seinem Beschluss in FF 2011, 123 aufgestellt hat.

55
Das OLG ist davon ausgegangen, dass nicht unbedingt die Unterzeichnung der Anlage U zu fordern sei, sondern auch eine formfreie, wenn auch nachprüfbare, Zustimmung des Unterhaltsempfängers ausreiche. Davon ist das FG gerade nicht abgewichen. Andernfalls hätte es nicht den Vorschlag unterbreiten können, den Rechtsstreit durch entsprechende Zustimmung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung und darauf folgende Anerkennung des Sonderausgabenabzugs zu beenden.

56
Soweit das OLG im Übrigen ausgeführt hat, unter welchen Umständen ein ggf. gerichtlich durchzusetzender Anspruch auf Erteilung der Zustimmung besteht, ist das FG hiervon ebenfalls nicht abgewichen. Insbesondere meinte das FG nicht, die Beigeladene als Unterhaltsempfängerin dürfe nach Belieben –ggf. auch rechtsmissbräuchlich– über die Zustimmung entscheiden. Das FG hat sich hierzu zutreffend nicht geäußert, denn auf die Frage, ob die Beigeladene die Zustimmung erteilen musste oder verweigern durfte, kommt es im finanzgerichtlichen Verfahren nicht an. Hier ist lediglich zu beurteilen, ob eine Zustimmung vorliegt, nicht aber die vorgeschaltete Frage, ob ein Anspruch auf Zustimmung besteht. Letzterer Streit gehört nach § 33 FGO nicht vor die Finanzgerichte. Davon geht übrigens der Kläger auch selbst aus, wenn er im Rahmen seiner Verfahrensrügen beanstandet, das FG hätte ihm durch Aussetzung des Verfahrens Gelegenheit geben müssen, die Zustimmung der Beigeladenen zivilgerichtlich durchzusetzen. Dieser Zuständigkeitsspaltung entspricht es, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem OLG gerade der Antrag des Unterhaltsleistenden war, den Unterhaltsberechtigten zur Zustimmung zu verurteilen. Die in Rz 29 genannte Ersetzung der Zustimmung durch gerichtliche Entscheidung folgt erst aus § 894 Satz 1 ZPO mit Rechtskraft der Entscheidung im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens.

57
e) Der Vollständigkeit halber weist der Senat auf sein Urteil vom 25. Juli 1990 X R 137/88 (BFHE 161, 517, BStBl II 1990, 1022) hin, wonach im finanzgerichtlichen Verfahren selbst eine etwaige missbräuchliche Verweigerung der Zustimmung nicht zu prüfen und daher nicht entscheidungserheblich ist (Bestätigung durch Urteil des BFH vom 2. Juli 2003 XI R 8/03, BFHE 202, 544, BStBl II 2003, 803). Dem FG fällt daher kein Versäumnis zur Last, wenn es diese Frage nicht näher geprüft hat.

Für das Kindergeld gelten die Vorschriften der Abgabenordnung und und nicht §§ 44 ff. SGB X analog

Gericht: BFH 3. Senat
Entscheidungsdatum: 06.03.2013
Streitjahre: 2007, 2008, 2010
Aktenzeichen: III B 113/12
Dokumenttyp: Beschluss
Normen: § 62 EStG 2002, § 62 EStG 2009, §§ 62ff EStG 2002, §§ 62ff EStG 2009, § 31 S 3 EStG 2002, § 31 S 3 EStG 2009, § 44 SGB 10, §§ 44ff SGB 10, § 46 Abs 1 S 1 FGO, § 155 Abs 4 AO, § 1 Abs 1 S 1 AO, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71, Art 1 Buchst u EWGV 1408/71, § 172 AO, §§ 172ff AO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, EStG VZ 2010
(Keine Anwendung der Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrens über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten auf die Kindergeldfestsetzung nach dem EStG – Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Übermittlung von Unterlagen nur an den Prozessbevollmächtigten – Zureichender Grund für das Hinausschieben einer Einspruchsentscheidung im Rahmen des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO)

Leitsatz

1. NV: Es ist bereits geklärt, dass auf das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld die Vorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind und die diesen gegenüber günstigeren Bestimmungen der §§ 44 ff. SGB X auch nicht analog herangezogen werden können.

 

2. NV: Das FG genügt der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es entscheidungserhebliche Unterlagen dem Prozessbevollmächtigten des Beteiligten übermittelt. Eine zusätzliche Übermittlung an den Beteiligten persönlich ist in diesem Fall nicht erforderlich.

Orientierungssatz

1. NV: Zu Leitsatz 1: Nichts anderes ergibt sich insoweit daraus, dass das Kindergeld dem sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt. Welche nationalen Verfahrensvorschriften auf die vom jeweiligen Mitgliedstaat gewährten Familienleistungen Anwendung zu finden haben, bestimmt sich nach den nationalen Vorschriften (hier: nach § 31 Satz 3 EStG, §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 155 Abs. 4 AO).

 

2. NV: Das FG darf es i.S.d. § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO als zureichenden Grund für das Hinausschieben einer Einspruchsentscheidung ansehen, dass die Familienkasse zunächst die Entscheidung des FG zu einem bereits anhängigen Zeitraum abwarten wollte, wenn sich insoweit für beide Zeiträume im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen stellen.

Fundstellen

NV (nicht amtlich veröffentlicht)
Verfahrensgang

vorgehend FG Hamburg, 5. Juli 2012, Az: 5 K 77/10, Urteil
Diese Entscheidung zitiert

Rechtsprechung
im Text BFH, 6. Juli 2012, Az: III B 240/11
im Text BFH, 28. Februar 2012, Az: III B 55/10
im Text Landessozialgericht Hamburg, 2. Februar 2012, Az: L 2 EG 6/10 B PKH
im Text BFH, 22. Dezember 2011, Az: III R 41/07
im Text BFH, 20. April 2011, Az: III B 124/10
Vergleiche BVerfG, 6. April 2011, Az: 1 BvR 1765/09
im Text BFH, 16. Juni 2010, Az: X B 91/09
im Text BFH, 30. März 2010, Az: VII B 170/09
Vergleiche BFH, 19. November 2008, Az: III R 108/06
im Text BFH, 30. Mai 2008, Az: IX B 216/07
Vergleiche BFH, 3. April 2008, Az: I B 77/07
im Text EuGH, 12. Februar 2008, Az: C-2/06
im Text BFH, 29. November 2007, Az: III S 30/06 (PKH)
im Text BFH, 20. April 2006, Az: III R 64/04
Vergleiche BFH, 24. Februar 2005, Az: IX B 179/03
im Text EuGH, 13. Januar 2004, Az: C-453/00
im Text BFH, 7. Juli 1999, Az: VI R 203/98

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist bulgarische Staatsangehörige. Sie ist die Mutter eines im September 2006 geborenen Sohnes. Im Zeitraum vom 11. Mai 2006 bis 29. Mai 2009 war die Klägerin mit dem Vater des Kindes, einem deutschen Staatsangehörigen, verheiratet. Mit Datum vom 3. Mai 2007 meldete die Klägerin den Sohn und sich in Deutschland ab, da sie mit diesem nach Bulgarien zog.

 

2
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) setzte zunächst mit Bescheid vom 8. November 2006 Kindergeld zugunsten der Klägerin fest. Nachdem die Klägerin die Familienkasse über den Wohnsitzwechsel mit E-Mail vom 23. September 2007 informiert und die Weiterzahlung des Kindergelds an sich begehrt hatte, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 5. Oktober 2007 rückwirkend ab Juni 2007 auf und forderte das für Juni bis September 2007 bereits ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 616 € von der Klägerin zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2007 zurück. Eine Klage erhob die Klägerin hiergegen nicht.

 

3
Mit Schreiben vom 27. April 2009 begehrte die Klägerin erneut Kindergeld ab Juni 2007. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 18. Mai 2009 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 23. März 2010 als unbegründet zurück.

 

4
Mit der am 26. April 2010 beim Finanzgericht (FG) eingegangenen Klage wandte sich die Klägerin gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 23. März 2010.

 

5
Im Laufe des Klageverfahrens lehnte die Familienkasse einen erneuten Kindergeldantrag der Klägerin vom 23. September 2010 mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 ab Mai 2010 ab. Für das hiergegen gerichtete Einspruchsverfahren ordnete die Familienkasse das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens an.

 

6
Das FG gab der Klage für den Zeitraum April 2008 bis einschließlich März 2010 statt und wies sie im Übrigen ab. Zur Begründung der teilweisen Klageabweisung verwies das FG im Wesentlichen darauf, dass es der Klägerin hinsichtlich des Zeitraums ab April 2010 an der Klagebefugnis mangele, weil die Familienkasse in den angegriffenen Bescheiden insoweit noch keine ablehnende Regelung des Kindergeldanspruchs getroffen habe. Für den Zeitraum von Juni 2007 bis einschließlich Januar 2008 sei die Klage unbegründet, da über diesen Zeitraum bereits durch Bescheid vom 5. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2007 bestandskräftig entschieden worden sei. Für die Monate Februar und März 2008 scheide ein Kindergeldanspruch der Klägerin aus, da der Kindsvater kein Arbeitnehmer i.S. des Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung gewesen sei und er daher der Klägerin keinen Kindergeldanspruch nach dieser Vorschrift vermitteln könne.

 

7
Mit ihrer gegen die teilweise Klageabweisung gerichteten Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) und wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

 

Entscheidungsgründe

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II. Der Senat konnte ohne weitere Entscheidung über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Beiordnung eines anderen Prozessbevollmächtigten über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheiden. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters ist nach § 142 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) nur im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich. Diese hat die Klägerin nicht beantragt.

 

9
Da in dem Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) Vertretungszwang besteht (§ 62 Abs. 4 FGO), würde ein etwaiger Widerruf der Vollmacht des bisherigen Prozessbevollmächtigten nach § 87 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO erst durch die Bestellung eines anderen Vertreters i.S. des § 62 Abs. 4 FGO Wirksamkeit erlangen (BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 VI R 203/98, BFH/NV 2000, 59).

 

III.

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Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.

 

11
1. Die Revision ist nicht zuzulassen, soweit sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Kindergeldanspruchs für die Monate Juni 2007 bis einschließlich Januar 2008 wendet.

 

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a) aa) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob auf nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) ergangene Kindergeldbescheide die Regelung des § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) anzuwenden ist, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auf Grund dessen eine Sozialleistung zu Unrecht nicht erbracht wurde, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

 

13
Diese setzt u.a. voraus, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig ist und in einem Revisionsverfahren auch geklärt werden kann. An der Klärungsfähigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen (z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 2008 I B 77/07, BFH/NV 2008, 1445).

 

14
bb) Danach kommt eine Zulassung hier nicht in Betracht. Denn diese Rechtsfrage ist bereits geklärt. So geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auf das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld die Vorschriften der Abgabenordnung (AO) anzuwenden sind und die diesen gegenüber günstigeren Bestimmungen der §§ 44 ff. SGB X auch nicht analog herangezogen werden können (z.B. Senatsurteil vom 19. November 2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357, m.w.N.). Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 6. April 2011 1 BvR 1765/09, zu § 44 SGB X, BFH/NV 2011, 1277) verstößt die verfahrensrechtliche Schlechterstellung bei der Gewährung von Kindergeld nach dem EStG gegenüber einer Kindergeldleistung nach dem Bundeskindergeldgesetz nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da sie durch Praktikabilitätserwägungen sachlich gerechtfertigt ist. Diese sprechen dafür, für das nach dem EStG festzusetzende Kindergeld die Anwendung des steuerlichen Verfahrensrechts der AO vorzuschreiben, denn die für die Streitigkeiten aus dem EStG zuständigen FG sind mit der Anwendung dieses Verfahrensrechts besonders vertraut.

 

15
Nichts anderes ergibt sich insoweit daraus, dass das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich unterfällt. Denn die VO Nr. 1408/71 enthält keine Bestimmungen darüber, welche nationalen Verfahrensvorschriften auf die vom jeweiligen Mitgliedstaat gewährten Familienleistungen Anwendung zu finden haben. Dies bestimmt sich nach den nationalen Vorschriften, mithin hier nach § 31 Satz 3 EStG, §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 155 Abs. 4 AO.

 

16
b) aa) Soweit die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob ein bestandskräftiger Kindergeldaufhebungsbescheid im Hinblick auf seinen gegen EU-Recht verstoßenden Inhalt aufzuheben ist, genügt der Vortrag der Klägerin bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Zu einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gehört u.a. eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen Normen und mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 16. Juni 2010 X B 91/09, BFH/NV 2010, 1844).

 

17
bb) Insoweit setzt sich die Klägerin aber insbesondere nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) auseinander, wonach ein Verstoß gegen Unionsrecht nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Aufhebung oder Abänderung einer bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung zwingt (EuGH-Urteile vom 13. Januar 2004 C-453/00, Kühne & Heitz, Slg. 2004, I-837; vom 12. Februar 2008 C-2/06, Willy Kempter, Slg. 2008, I-411). Zu diesen Voraussetzungen zählt u.a., dass die Behörde nach nationalem Recht zur Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts befugt ist, was im Hinblick auf Steuerbescheide nur unter bestimmten Umständen der Fall ist (§ 172 Abs. 1 AO).

 

18
2. Eine Revisionszulassung scheidet ebenso aus, soweit sich die Klägerin gegen die Ablehnung des Kindergeldanspruchs für die Monate Februar und März 2008 wendet.

 

19
a) Soweit die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam hält, ob das FG den Kindsvater im betreffenden Zeitraum zu Unrecht nicht als in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stehend angesehen hat, wurden die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht hinreichend dargelegt.

 

20
aa) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausgestellt wird, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist und deshalb eine höchstrichterliche Klärung über die materiell-rechtliche Beurteilung des Streitfalles hinaus für die Allgemeinheit Bedeutung hat.

 

21
bb) Die Klägerin hat diesbezüglich weder eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausgestellt noch hat sie ausgeführt, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen diese Rechtsfrage umstritten ist und deshalb einer höchstrichterlichen Klärung bedarf. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang eine fehlerhafte Subsumtion des FG angreift, rügt sie im Grunde nur eine falsche Rechtsanwendung. Hierdurch lässt sich aber die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. BFH-Beschluss vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, BFH/NV 2008, 1510).

 

22
b) Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) sind nicht gegeben, soweit die Klägerin geltend macht, das FG weiche in der angegriffenen Entscheidung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Februar 2012 (Az. L 2 EG 6/10 B PKH) ab.

 

23
aa) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung setzt u.a. voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist (z.B. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2012 III B 240/11, BFH/NV 2012, 1601, m.w.N.).

 

24
bb) Im vorliegenden Fall weicht die angegriffene Entscheidung nicht von der von der Klägerin genannten Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg ab. Das Landessozialgericht hat in den von der Klägerin genannten Teilen der Entscheidungsgründe (S. 12 oben und S. 14) die Frage, ob der Kindsvater in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stand, nicht beantwortet, sondern im Hinblick auf eine weitere Prüfung im Hauptsacheverfahren offen gelassen.

 

25
c) Die Revision ist ebenso nicht wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

 

26
aa) Die Klägerin macht geltend, das FG habe ihr Unterlagen der Rentenversicherung R und der Krankenkasse K, auf die es seine Entscheidung gestützt habe, nicht zur Kenntnis gegeben.

 

27
Insoweit erfordert es die Pflicht des Gerichts zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) zwar u.a. auch, den Beteiligten entscheidungserhebliche Fakten und Unterlagen zur Kenntnis zu übermitteln (BFH-Beschluss vom 24. Februar 2005 IX B 179/03, BFH/NV 2005, 1128). Dieser Pflicht hat das FG jedoch genügt, da es die betreffenden Unterlagen gemäß den richterlichen Verfügungen vom 11. und 12. Januar 2012 dem Klägervertreter übersandt hat. Da sich die Beteiligten gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO in jeder Lage des finanzgerichtlichen Verfahrens durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen können –was die Klägerin durch Bevollmächtigung ihres anwaltlichen Vertreters getan hat–, genügt es, dass diesem durch Übersendung von Schriftsätzen rechtliches Gehör gewährt wird (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 278). Das FG musste daher die betreffenden Unterlagen nicht zusätzlich an die Klägerin persönlich übermitteln.

 

28
bb) Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel, das FG habe Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, weil es kein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union an den EuGH gerichtet habe, liegt schon deshalb nicht vor, weil das FG als Instanzgericht hierzu nicht verpflichtet war (Senatsbeschluss vom 29. November 2007 III S 30/06 (PKH), BFH/NV 2008, 777, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 30. März 2010 VII B 170/09, BFH/NV 2010, 1669, m.w.N.).

 

29
3. Die Revision ist auch insoweit nicht zuzulassen, als sich die Klägerin gegen die Ablehnung ihres Kindergeldanspruchs für den Zeitraum ab April 2010 wendet.

 

30
a) aa) Der Frage, wie weit der Regelungsgegenstand eines Kindergeldaufhebungs- oder -ablehnungsbescheides reicht und inwieweit eine Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) bei dem Adressaten eines solchen Bescheides ausgelöst wird, kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH zu dieser Frage. Denn die Frage ist bereits in dem Sinne, wie sie das FG unter Punkt II.1. Buchst. a der Entscheidungsgründe zutreffend dargelegt hat, durch die Rechtsprechung des BFH geklärt (z.B. Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, m.w.N.). Zureichende Gründe, weshalb diese Frage einer erneuten Klärung durch den BFH bedürfte, hat die Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt.

 

31
bb) Ebenso wenig hat die Klägerin dargelegt, weshalb die unmittelbar aus § 44 Abs. 1 FGO zu beantwortende Frage, wonach ein Bescheid –wie hier der erst im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangene Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2010– erst nach Durchführung des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens mit der Klage angegriffen werden kann, einer weiteren Klärung bedürfte.

 

32
b) Die von der Klägerin sinngemäß erhobene Rüge, das FG habe die Klage für den Zeitraum ab April 2010 zu Unrecht durch ein Prozessurteil als unzulässig abgewiesen, kann zwar einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 20. April 2011 III B 124/10, BFH/NV 2011, 1110). Ein solcher Verstoß liegt im Streitfall aber nicht vor.

 

33
Das FG hat die Klage insoweit zu Recht als unzulässig verworfen. Denn im Zeitpunkt der Klageerhebung lag für einen Teil des betreffenden Zeitraums noch keine ablehnende Entscheidung der Familienkasse vor (Kindergeld für April 2010). Zudem lagen für den weiteren Teil dieses Zeitraums (ab Mai 2010) weder eine Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 44 Abs. 1 FGO) noch die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 FGO vor. Insbesondere durfte es das FG i.S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO als zureichenden Grund für das Hinausschieben der Einspruchsentscheidung ansehen, dass die Familienkasse zunächst die Entscheidung des FG zu dem bereits anhängigen Zeitraum abwarten wollte, da sich insoweit für beide Zeiträume im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen stellten.

 

34
4. Auch aus den weiteren Ausführungen der Klägerin ergeben sich keine Revisionszulassungsgründe.

 

35
a) Soweit die Klägerin Fragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des Finanzrechtswegs formuliert, fehlt es an der hinreichenden Auseinandersetzung mit der Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Soweit sie die Frage aufgreift, welche Behörde richtige Beklagte des Rechtsstreits sein müsste, mangelt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Regelung des § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO.

 

36
b) Soweit die Klägerin die Frage einer Verzinsung des Kindergeldanspruchs für grundsätzlich bedeutsam hält, setzt sie sich nicht mit der Senatsrechtsprechung auseinander, wonach der Anspruch auf Verzinsung eines Steuervergütungsanspruchs auch nicht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gestützt werden kann (Senatsurteil vom 20. April 2006 III R 64/04, BFHE 212, 416, BStBl II 2007, 240).

 

37
c) Soweit die Klägerin Revisionszulassungsgründe im Zusammenhang mit einer ihrer Ansicht nach unrichtigen Kostenentscheidung des FG geltend macht, übersieht sie, dass nach § 145 FGO die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig ist, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Aus dieser Vorschrift folgt, dass die Revision wegen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO, der allein die Kostenentscheidung betrifft, nicht zuzulassen ist, wenn der Nichtzulassungsbeschwerde –wie im vorliegenden Fall– in der Hauptsache der Erfolg zu versagen ist (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2012 III B 55/10, BFH/NV 2012, 972, m.w.N.).

 

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin