Anpassung streitanfälliger Gewinnabführungsverträge mit GmbHs bis spätestens Ende 2014

Mitteilung des DStV:

Durch die Zustimmung des Bundesrats zur Reform der Organschaft am 1.2.2013 wird der akribischen Suche der Finanzverwaltung nach Fehlern in Verlustübernahme-Klauseln insbesondere mit GmbHs zwar der Boden entzogen. Die Neuerungen sehen insoweit jedoch nicht nur Rechtssicherheit schaffende Vorgaben für zukünftige Abschlüsse oder Änderungen von Gewinnabführungsverträgen (GAV) vor. Sie machen auch die Prüfung sowie Anpassung von bestehenden Verträgen erforderlich.

Dynamischer Verweis erforderlich

Die Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG sieht vor, dass in Vereinbarungen mit anderen Kapitalgesellschaften als Aktiengesellschaften über die Verlustübernahme ein ausdrücklicher Verweis auf § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vorgesehen sein muss. Mit dieser gesetzlichen Klarstellung bleibt der Praxis zwar künftig kein Spielraum mehr für Formulierungsvarianten. Aber den bisherigen Turbulenzen, die in den Entscheidungen des BFH (vgl. Beschluss v. 28.7.2010, I B 27/10, geändert durch Korrekturbeschluss vom 15.9.2010, I B 27/10) sowie im Schreiben des BMF v. 19.10.2010 mündeten, dürfte nunmehr ebenfalls ein Ende bereitet sein.

Auch Verwaltungsaufwand für Altverträge

In folgenden Fällen ist die neue Vorgabe uneingeschränkt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu beachten und die Verlustübernahmeklausel eventuell anzupassen:

  • Abschlüsse neuer GAV sowie
  • Änderungen bestehender GAV.

Unter Umständen besteht darüber hinaus auch Handlungsbedarf bei Altverträgen, die nicht geändert werden. Der Gesetzgeber hat für in der Vergangenheit abgeschlossene GAV, die den bisherigen Anforderungen nicht entsprechende Regelungen zur Verlustübernahme enthalten, eine Übergangsregelung bis zum 31.12.2014 geschaffen. Selbst wenn die Verträge keine Bezugnahme auf § 302 AktG in seiner Gesamtheit enthalten, wird die Organschaft danach bis Ende 2014 unter folgenden Voraussetzungen anerkannt:

  • Eine Verlustübernahme erfolgt tatsächlich entsprechend § 302 AktG und
  • die bisherige Vereinbarung zur Verlustübernahme wird bis zum 31.12.2014 durch den dynamischen Verweis ersetzt.

Die Änderung der Alt-GAV aufgrund der Anpassung an die neue Vorschrift gilt zufolge des Gesetzes nicht alsNeuabschluss“, so dass die steuerliche Anerkennung der Organschaft insoweit nicht gefährdet ist.

DStV rät zur Prüfung

Angesichts der Rechtsprechung des BFH, der Auffassung des BMF und der sich in den letzten Jahren daraus ergebenden Beratungspraxis dürfte nur noch in wenigen Fällen Handlungsbedarf bestehen. Dennoch sollten Altverträge geprüft werden, da bei zweifelhaften Formulierungen aufgrund der Neuerung ab Anfang 2015 kein Spielraum mehr existiert und somit die Organschaft zerstört wird.

DStV, Mitteilung v. 7.2.2013

Ab Mitte März 2013 werden Einkommensteuerbescheide für 2012 versandt

Die Finanzämter im Freistaat Thüringen werden die ersten Einkommensteuerbescheide für 2012 voraussichtlich ab Mitte März 2013 versenden. Die Finanzverwaltung bittet deshalb, derzeit von Rückfragen bei den Finanzämtern abzusehen

Hintergrund ist, dass den Finanzämtern gegenwärtig noch keine vollständigen Arbeitnehmerdaten vorliegen. Diese sind von den Arbeitgebern, den Renten- und Krankenversicherungen und anderen Institutionen bis zum 28. Februar elektronisch an die Finanzverwaltung zu übermitteln. Hierbei handelt es sich unter anderem um Daten zur Lohnsteuer, zum Rentenbezug sowie Beitragsdaten zur Altersvorsorge und zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die bundesweit an eine zentrale Stelle übermittelten Daten werden aufbereitet und anschließend den Finanzämtern in den einzelnen Bundesländern zugeordnet.

Durch die elektronische Übermittlung und den Abgleich der Arbeitnehmerdaten wird das Veranlagungsverfahren insgesamt beschleunigt. Fehlerhafte Eintragungen in der Einkommensteuererklärung können schneller gefunden und korrigiert werden. So minimiert sich für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber die Anzahl der Rückfragen durch die Finanzämter.

Die Einkommensteuererklärung kann jedoch bereits im Finanzamt abgegeben werden. Die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung erfolgt grundsätzlich nach der Reihenfolge des Eingangs. Für Diejenigen, die zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind, ist auch in diesem Jahr grundsätzlich der 31.05. der letzte Termin für die Abgabe der Einkommensteuererklärung. Die Einkommensteuererklärung kann auch auf elektronischem Weg (ELSTER) eingereicht werden. Aktuelle ELSTER-CD’s sind bei allen Finanzämter erhältlich.

Quelle: FinMin Thüringen, Medieninformation v. 8.2.2013

Unternehmensbesteuerung: OECD dringt auf stärkere internationale Zusammenarbeit

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) tritt für eine stärkere internationale Zusammenarbeit bei der Unternehmensbesteuerung ein. Sie verweist auf eine von ihr im Auftrag der G20 erstellte Studie mit dem Titel «Addressing Base Erosion and Profit Shifting». Diese analysiere, wie multinationale Konzerne Steuerbemessungsgrundlagen aushöhlen und Gewinne verlagern. Ergebnis sei, dass nur globale Ansätze dauerhaft verhindern können, dass Steuersysteme multinationale Unternehmen bevorzugen und kleine Betriebe sowie die Bürger das Nachsehen haben. Viele Steuersysteme ermöglichten es international agierenden Unternehmen, durch geschickte Kunstgriffe nur fünf Prozent Steuern zu zahlen, wo weniger große Firmen auf 30 Prozent kommen.

OECD-Untersuchungen zu ausländischen Direktinvestitionen (FDI) zeigten zudem, dass es Kleinstaaten und Territorien gibt, die als Durchlaufstationen für diese Investitionen dienen. Im Verhältnis zu großen Industrienationen erhielten sie überproportional viel FDI und investierten auch überproportional viel in Industrie- und Schwellenländer.

«Diese Taktiken sind zwar streng genommen legal, beeinträchtigen aber die Steuergrundlage vieler Länder und gefährden die Stabilität des weltweiten Steuersystems», warnt OECD-Generalsekretär Angel Gurría. In einer Zeit, in der Regierungen und Bürger zum Sparen gezwungen seien, müssten alle Steuerzahler, ob Privatleute oder Unternehmen, ihren Anteil zahlen und darauf vertrauen können, dass das internationale Steuersystem transparent sei.

Viele der heute geltenden Regeln seien eigentlich dafür gedacht, multinationale Unternehmen vor einer Doppelbesteuerung zu bewahren, erläutert die OECD. Allzu oft zahlten diese Unternehmen dann aber gar keine Steuern. Die Gesetze blendeten viele Faktoren des modernen Wirtschaftsgeschehens aus, so zum Beispiel die Verflechtungen über Grenzen hinweg, den Wert geistigen Eigentums oder neue Kommunikationstechnologien. Durch die Schlupflöcher, die es multinationalen Unternehmen ermöglichten, Steuern zu minimieren oder ganz zu vermeiden, erhielten große Firmen einen unfairen Vorteil. Darüber hinaus behinderten diese Kniffe Investitionen, Wachstum und Beschäftigung und führten dazu, dass der Durchschnittsbürger die Hauptsteuerlast zu tragen habe.

Die Methoden der multinationalen Unternehmen zur Steueroptimierung seien in den vergangenen zehn Jahren immer aggressiver geworden. So gibt es laut OECD zum Beispiel Firmen, die ihren Sitz in Hochsteuerländern haben und Tochtergesellschaften oder Briefkastenfirmen in Territorien mit niedrigen Steuern gründen, um so von deren vorteilhafter Steuergesetzgebung zu profitieren. Ausgaben oder Verluste meldeten diese Unternehmen im Gegenzug in den Hochsteuerländern.

Die jetzt vorgelegte Studie mache keine Vorschläge für optimale Steuersätze. Die OECD werde aber in den kommenden Monaten weiter verfolgen, wie viele Steuern den Staaten durch die Manöver großer Unternehmen entgehen. Außerdem wolle sie zusammen mit Regierungen und der Wirtschaft einen Maßnahmenkatalog entwerfen, der dabei helfen soll, das globale Steuersystem in einem festgelegten Zeitrahmen zu stärken.

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, PM vom 12.02.2013

Stellplatz- und Garagenkosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung

Aufwendungen für einen separat angemieteten Pkw-Stellplatz im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung können als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.


Zum Sachverhalt

Nach § 9 I 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 I 3 Nr. 5 S. 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

Im Streitfall machte der Kläger, ein Arbeitnehmer, vergeblich in seiner Einkommensteuererklärung im Rahmen der doppelten Haushaltsführung Kosten für eine Unterkunft sowie für einen gesondert angemieteten Pkw-Stellplatz am Arbeitsort geltend. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Entscheidung des BFH

Auf die Revision des Klägers hat der BFH nun die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FGzurückverwiesen. Denn im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung seien nicht nur Aufwendungen für wöchentliche Familienheimfahrten, (zeitlich befristete) Verpflegungsmehraufwendungen und (begrenzt auf die durchschnittliche Miete einer 60-m2-Wohnung) die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort, sondern auch sonstige notwendige Mehraufwendungen zu berücksichtigen. Hierzu könnten auch Kosten für einen Stellplatz oder eine Garage zählen, wenn die Anmietung, beispielsweise zum Schutz des Fahrzeugs oder auf Grund der angespannten Parkplatzsituation am Beschäftigungsort, notwendig ist. Das hat das FG nun im zweiten Rechtsgang zu prüfen.

BFH, Urt. v. 13. 11. 2012 – VI R 50/11

Pressemitteilung des BFH Nr. 9 v. 13. 2. 2013

Stellplatz- und Garagenkosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung

Leitsatz

1. Aufwendungen für einen separat angemieteten PKW-Stellplatz können im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.

2. Die Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG und der (allgemeinen) in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale stehen dem Werbungskostenabzug insoweit nicht entgegen.

Gesetze

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Nr. 5
EStG § 12 Nr. 1
Instanzenzug

Hessisches FG vom 6. Juni 2011 1 K 2222/10 (EFG 2012, 243 )BFH VI R 50/11

Gründe

1  I. Streitig ist, ob Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

2  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 2008 u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In seiner Einkommensteuererklärung machte er im Rahmen der doppelten Haushaltsführung Kosten für seine Unterkunft sowie für einen PKW-Stellplatz am Arbeitsort geltend. Für die Wohnung und den PKW-Stellplatz lagen zwei Mietverträge vor. In § 2 Abs. 5 des Mietvertrages über den Garagenstellplatz hieß es: „Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass weder ein wirtschaftlicher noch ein rechtlicher Zusammenhang zwischen diesem Stellplatzmietvertrag und einem Wohnraummietverhältnis besteht.” Weiterhin machte der Kläger in seiner Steuererklärung Fahrtkosten für Heimfahrten geltend. Er gab an, die Heimfahrten teilweise mit dem eigenen PKW und teilweise mit der Bahn durchgeführt zu haben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte zwar die Miet- und Mietnebenkosten für die gemietete Wohnung sowie die Fahrtkosten für Familienheimfahrten, nicht jedoch die Kosten für den PKW-Stellplatz in Höhe von 720 € (12 x 60 €).

3  Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 243 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die Aufwendungen für den Stellplatz stellten keine notwendigen Kosten im Rahmen der doppelten Haushaltführung dar. Sie seien insbesondere nicht zu den Wohnkosten zu zählen, sondern vielmehr —wie alle Unterhaltskosten für den PKW— mit der Entfernungspauschale für Familienheimfahrten abgegolten.

4  Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

5  Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Hessischen FG vom 6. Juni 2011 1 K 2222/10 und die Einspruchsentscheidung vom 13. August 2010 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 13. August 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 720 € berücksichtigt werden.

6  Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7  II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO —). Im Streitfall tragen die vom FG bisher getroffenen Feststellungen dessen Entscheidung nicht, dass die vom Kläger im Rahmen der doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Aufwendungen für einen Stellplatz vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind.

8  1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Senatsurteil vom 26. Juli 2012 VI R 10/12, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 112 ).

9  a) Zu den notwendigen Mehraufwendungen, die nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen sind, zählen insbesondere Aufwendungen für wöchentliche Familienheimfahrten, (zeitlich befristete) Verpflegungsmehraufwendungen und (begrenzt auf den durchschnittlichen Mietzins einer 60-qm-Wohnung) die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort. Aber auch sonstige notwendige Mehraufwendungen, beispielsweise die —soweit nicht überhöht— Anschaffungskosten für die erforderliche Wohnungseinrichtung sind als Werbungskosten abziehbar (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 491, m.w.N.; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 413, m.w.N.; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 1982 VI R 228/80 , BFHE 137, 564 , BStBl II 1983, 467; FG München, Urteil vom 29. Dezember 2003 8 K 4428/00 , EFG 2005, 1677 ; Sächsisches FG, Urteil vom 18. September 2008 2 K 863/08 , EFG 2010, 131 ; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Juni 2011 9 K 9079/08 , EFG 2012, 35 ).

10  b) Liegt wie im Streitfall nach den bindenden Feststellungen des FG eine doppelte Haushaltsführung vor, können auch Kosten für einen Stellplatz oder eine Garage zu den notwendigen Mehraufwendungen im Sinne der Vorschrift zählen.

11  2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Feststellungen zur Notwendigkeit der Anmietung eines Stellplatzes durch den Kläger zu treffen haben.

12  Dabei hat es zu berücksichtigen, dass sich die Notwendigkeit von Stellplatzkosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung nicht danach bestimmt, ob das Vorhalten eines Kraftfahrzeugs am Beschäftigungsort beruflich erforderlich ist. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG lässt Mehraufwendungen für einen aus beruflichen Gründen geführten zweiten Haushalt und damit ggf. allgemeine Lebenshaltungskosten, die üblicherweise nach § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht abzugsfähig sind, zum Werbungskostenabzug zu. Aufwendungen, die der Steuerpflichtige für seinen Zweithaushalt tätigt, sind nur und insoweit abzugsfähig, als dieser beruflich veranlasst ist und die Aufwendungen hierfür notwendig sind. Dies gilt auch, soweit Aufwendungen für einen (separat angemieteten) PKW-Stellplatz beispielsweise zum Schutz des Fahrzeugs oder aufgrund der angespannten Parkplatzsituation am Beschäftigungsort in Rede stehen. Aus welchen Gründen der Steuerpflichtige dort einen PKW vorhält, ist ohne Bedeutung. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG erfasst gerade auch solche Kosten, die —ohne den aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushalt— den Lebensführungskosten zuzurechnen wären.

13  Sollte das FG im zweiten Rechtsgang die Erkenntnis gewinnen, dass die Kosten des Stellplatzes notwendig waren, werden diese Aufwendungen von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG oder der (allgemeinen) in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale nicht erfasst. Denn es handelt sich insoweit nicht um beschränkt abzugsfähige berufliche Mobilitätskosten, sondern um sonstige Kosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.

Rückforderung von an die Insolvenzmasse erstatteten Beträgen durch das Finanzamt

Im Streitfall hatte das Finanzamt Lohnsteuerbeträge im Wege der Lastschrift eingezogen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte der Insolvenzverwalter die Zahlungen jedoch angefochten, so dass das Finanzamt sie an die Insolvenzmasse erstattete. Nach erneuter Prüfung forderte das Finanzamt die Beträge nach den Vorschriften der Abgabenordnung mittels Rückforderungsbescheid vom Insolvenzverwalter zurück.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben und das Finanzamt auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Da die Erstattung aufgrund einer (vermeintlichen) bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung erfolgt sei, müsse auch die Rückforderung vor den Zivilgerichten verfolgt werden.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

 

Finanzgericht Düsseldorf, 12 K 3560/12 AO

Datum: 22.01.2013
Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper: 12. Senat
Entscheidungsart: Gerichtsbescheid
Aktenzeichen: 12 K 3560/12 AO
Tenor:

Der Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen

1Gründe :2I.

3Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der B GmbH (GmbH). Die von der GmbH für März 2009 und April 2009 angemeldeten Lohnsteuerbeträge hatte der Beklagte aufgrund einer erteilten Lastschrift zu den Fälligkeitsterminen eingezogen. Auf Antrag der GmbH vom 9.6.2009 wurde am 1.9.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger focht als Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen an. Der Beklagte erstattete deswegen die vereinnahmten Beträge zur Insolvenzmasse. Nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes gelangte der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen hätten und deswegen die Insolvenzmasse keinen Erstattungsanspruch gem. § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) gehabt habe. Mit auf § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestütztem Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 forderte er den Kläger zur Rückzahlung der an die Insolvenzmasse erstatteten Beträge auf. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 23.8.2012) trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage unter anderem vor:

4Der Beklagte habe den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt festsetzen dürfen, weil es sich nicht um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handele. So wie der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aus § 143 InsO auf Erstattung anfechtbarer Zahlungen vor den ordentlichen Gerichten verfolgen müsse, müsse der Beklagte die Rückgewähr des zur Erfüllung eines solchen Anspruches Geleisteten im Wege des Zivilrechts geltend machen. Für den Rechtsweg könne es keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aktiv verfolge oder ob er sich gegen die (unberechtigte) Rückforderung des Finanzamtes wehre.

5Der Kläger beantragt,

6den Rückforderungsbescheid vom 15. 4 2011 aufzuheben.

7Der Beklagte beantragt,

8die Klage abzuweisen.

9Zur Begründung trägt er unter anderem vor:

10Die Rückforderung sei zu Recht auf § 37 Abs. 2 AO gestützt worden. Es seien (Lohn-) Steuern ohne rechtlichen Grund zurück gezahlt worden, denn eine Verpflichtung aus § 143 Abs. 1 InsO habe nie bestanden.

11II.

12Die Klage ist begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- ).

13Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch von § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt.

14Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, besteht gegenüber dem Leistungsempfänger gem. § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch. Gleiches gilt, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.

15Erstattung im Sinne von § 37 AO bedeutet die Rückzahlung von ohne rechtlichen Grund zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gezahlter/zurückgezahlter Geldbeträge durch den Leistungsempfänger an denjenigen, auf dessen Rechnung die Leistung bewirkt worden war (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 37 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung § 37 AO, Rz. 22). Der Erstattungsanspruch bezweckt den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16). Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruches ist die vorherige Erfüllung eines Zahlungs – oder Rückzahlungsanspruches aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund oder nach späterem Wegfall des rechtlichen Grunds. (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16).

16Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht nicht schon allein deshalb, weil eine Vermögensverschiebung zwischen einem Finanzamt und einer Privatperson erfolgt ist und dafür ein rechtlicher Grund nicht bestanden hat oder später fortgefallen ist. Die Vorschrift dient nicht dazu, Erstattungsansprüche ungeachtet des konkreten Lebenssachverhaltes in das öffentliche Recht zu transformieren (Krumm, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP – 2012, 959). § 37 Abs. 2 AO ist vielmehr eine für das Steuerrecht spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruches und setzt demgemäß voraus, dass es sich um die Korrektur einer Vermögensverschiebung handelt, die gerade aufgrund der öffentlich rechtlichen Beziehung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde erfolgt ist (Krumm, ZIP 2012, 959). Dementsprechend ist die Behörde berechtigt, die Zahlung an einen nicht Empfangsberechtigten, die zur Begleichung einer steuerlichen Verbindlichkeit geleistet wurde, nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern, weil sie zur Erfüllung eines vermeintlichen Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnisses geleistet wurde (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Der Erstattungsanspruch ist deswegen dem öffentlichen Recht zuzuordnen Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses kann hingegen nicht unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 AO verlangt werden, sondern ist im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen und nach § 812 BGB zu korrigieren (Schmieszek in Beermann Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze § 37 AO, Rz. 41.1 und 62; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24).

17Der Beklagte hat den mit dem angefochtenen Bescheid geforderten Betrag nicht zuvor an den Kläger zur Erfüllung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis zurückgezahlt. Die Erstattung erfolgte in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich – sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden, bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung. Dies schließt die Rückforderung der solchermaßen erstatteten Beträge durch Verwaltungsakt aus (s.o). Der Beklagte ist verpflichtet, etwaige Ansprüche vor den Zivilgerichten durchzusetzen (s.o).

18Der Beklagte hat dem Kläger das Geld nicht zur Korrektur ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen, zurück gezahlt. Nach materiellem Steuerrecht war er nämlich berechtigt, das von C gezahlte Geld zu behalten. C hatte die vom Beklagten erstatteten Beträge aufgrund von Steuerfestsetzungen bezahlt. Der steuerrechtliche Grund für das Behaltendürfen dieser Zahlungen war weder im Zeitpunkt der Erstattung seitens des Beklagten noch ist er später entfallen, denn die diesen Zahlungen zugrunde liegenden Steuerbescheide sind nicht aufgehoben oder geändert worden (vgl. § 124 AO). Die Steuerbescheide sind insbesondere nicht wegen der seitens des Klägers erklärten Insolvenzanfechtung unwirksam, weil lediglich die gläubigerbenachteiligende Zahlung angefochten wird, wodurch die Bestandskraft der der Leistung zugrunde liegenden Verwaltungsakte nicht berührt wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH- vom 5. September 2012, VII B 95/12, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 854; Krumm ZIP 2012, 959). Rechtsgrund der Zahlung war allein die Befolgung der sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden Verpflichtung. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des VII. Senates des BFH, der der Senat folgt, um einen originär gesetzlichen, zivilrechtlichen Anspruch und nicht um einen Erstattungsanspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im BFH- Beschluss vom 5. September 2012 (VII B 95/12, BStBl II 2012, 854) Bezug genommen. Da mit der Zahlung an den Insolvenzverwalters kein Anspruch auf eine Steuererstattung, sondern eine zivilrechtliche Forderung beglichen wurde, kann das zum Ausgleich Geleistete vom Beklagten später nicht nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden, weil es am Tatbestand einer vorhergehenden, durch § 37 Abs. 2 AO zu korrigierenden Vermögensverschiebung im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses fehlt (Krumm, ZIP 2012, 959; ernstlich zweifelhaft, ob eine Rückforderung des Finanzamtes auf § 37 Abs. 2 AO gestützt werden kann: BFH- Beschluss vom 27. September 2012, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV 2012, 106).

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

20Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen.

Steuerschuldnerschaft von Personen, die geschmuggelte Zigaretten erwerben

Der BFH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der inländische Hehler, der nach Beendigung des vorschriftswidrigen Verbringens die Zigaretten im Inland übernimmt, Steuerschuldner i. S. des § 19 TabStG ist (Az. VII R 44/11).

 Leitsatz

Steht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat?

Gesetze

TabStG § 12 Abs. 1
TabStG § 19
Richtlinie 92/12/E
WG Art. 6 Abs. 1
Richtlinie 92/12/E
WG Art. 7 Abs. 1, 2 und 3,Art. 9 Abs. 1
Instanzenzug

FG Hamburg vom 24. Mai 2011 4 K 30/11

Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde mit rechtskräftigem Urteil wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Strafgericht aus, der Kläger habe von einer Organisation, die sich mit dem Schmuggel unverzollter und unversteuerter Zigaretten beschäftigt habe, mehrfach unverzollte und unversteuerte Zigaretten abgenommen, um diese weiterzuverkaufen. Mit Bescheid vom 28. Juli 2010 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt) den Kläger gesamtschuldnerisch mit drei weiteren Schuldnern wegen Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Steueranspruch ergebe sich aus § 19 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG ) in der zur Tatzeit (Oktober 2008) geltenden Fassung. Im Streitfall seien Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens zu gewerblichen Zwecken aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Nach den im Strafurteil getroffenen Feststellungen, die sich das Gericht zu eigen mache, habe der Kläger wiederholt unverzollte und unversteuerte Zigaretten von einer Gruppe von Schmugglern in der Absicht bezogen, diese weiterzuverkaufen und davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nachdem die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht worden seien, habe der Kläger sie als Empfänger in Besitz genommen, so dass er nach § 19 Satz 2 TabStG Steuerschuldner geworden sei.

2  Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG (Richtlinie 92/12/EWG) des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) seien als Steuerschuldner beim Verbringen oder Versenden einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische Steuergebiet alle Personen anzusehen, die Herrschaft über die Ware erlangten. Somit komme auch ein weiterer Empfänger im Steuergebiet, z.B. ein Zwischenhändler oder ein Abnehmer, als Steuerschuldner in Betracht. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Festlegung der Zollschuldner in Art. 202 und 203 des Zollkodex. Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG könne somit auch eine Person sein, die den Besitz an den Tabakwaren erst nach der Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange.

3  Der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der Empfänger nicht mehr sein könne, wer den Besitz an den Tabakwaren erst nach Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange (BGH-Urteil vom 2. Februar 2010 1 StR 635/09 , Neue Zeitschrift für Strafrecht —NStZ— 2010, 644), könne nicht gefolgt werden.

4  Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Revision eingelegt.

II.

5  Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung ) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die nachfolgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

6  Steht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat?

III.

7  Nach Auffassung des Senats sind für die Lösung des Streitfalls die folgenden unionsrechtlichen und nationalen Bestimmungen von Bedeutung:

    Unionsrecht

9  Richtlinie 92/12/EWG

Art. 6 Abs. 1:

Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder mit der Feststellung von Fehlmengen gemäß Artikel 14 Absatz 3.

Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3:

(1) Befinden sich verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat, so werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden.

(2) Werden Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr gemäß Artikel 6 übergeführt worden sind, innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert, zur Lieferung bestimmt oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung bereitgestellt, so entsteht der Verbrauchsteueranspruch unbeschadet des Artikels 6 in diesem anderen Mitgliedstaat.

(3) Die Verbrauchsteuer wird je nach Fallgestaltung von der Person geschuldet, die die Lieferung vornimmt, oder die die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt, oder von der Person, dem gewerblichen Wirtschaftsbeteiligten oder der öffentlich-rechtlichen Einrichtung, bei der die Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem sie bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, bereitgestellt werden.

Art. 9 Abs. 1:

Unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 entsteht die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden.

In diesem Fall wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und von der Person, in deren Besitz sie sich befinden.

10  TabStG

§ 12 Abs. 1:

Für Tabakwaren ist die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen zu entrichten. Die Verwendung umfasst das Entwerten und das Anbringen der Steuerzeichen an den Kleinverkaufspackungen. Die Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuer entsteht.

§ 19:

Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt, entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Steuerschuldner hat über Tabakwaren, für die die Steuer entstanden ist, unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben. Die Steuer ist sofort zu entrichten. Die Tabakwaren sind nach § 215 der Abgabenordnung sicherzustellen.

IV.

11  Die rechtliche Würdigung des Streitfalls ist unionsrechtlich zweifelhaft. Die Entscheidung über die Revision hängt von der Frage ab, ob Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG dahingehend auszulegen ist, dass die Steuer von jeder Person geschuldet wird, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz hält, oder ob diese Vorschrift dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass die Steuer nur von derjenigen Person geschuldet wird, die die Waren erstmals zu gewerblichen Zwecken in dem anderen Mitgliedstaat in Besitz hält. Die letztgenannte Deutung führte dazu, dass in Fällen, in denen die verbrauchsteuerpflichtigen Waren innerhalb des anderen Mitgliedstaats in einer Reihe von Transaktionen nacheinander an verschiedene Personen übergeben werden, nur der Erstbesitzer in der Kette als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden könnte.

12  1. Nach den nationalen Vorschriften entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG , d.h. ohne deutsche Steuerzeichen, aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht werden, mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet (§ 19 Satz 1 TabStG ). Steuergebiet ist nach § 1 Satz 2 TabStG das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland. Die vom Kläger bezogenen Zigaretten sind außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht worden. Zudem waren im Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze an den Kleinverkaufspackungen keine deutschen Steuerzeichen angebracht, wie dies nach § 12 Abs. 1 TabStG erforderlich gewesen wäre. Außer Frage steht, dass die Zigaretten nicht dem ausschließlich privaten Konsum der an ihrem Verbringen Beteiligten dienen sollten. Vielmehr waren sie für den Weiterverkauf im Steuergebiet bestimmt. Für die zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten ist somit gemäß § 19 Satz 1 TabStG im Zeitpunkt des Grenzübertritts die Tabaksteuer entstanden. Steuerschuldner ist nach den nationalen Bestimmungen (§ 19 Satz 2 TabStG ) sowohl derjenige, der die Tabakwaren verbringt oder versendet, als auch der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

13  2. Der vorlegende Senat hat Zweifel, ob Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG die steuerrechtliche Inanspruchnahme lediglich des Erstbesitzers zulässt, oder ob nach den unionsrechtlichen Vorgaben jede Person, die in einem Mitgliedstaat mit unversteuerten Waren angetroffen wird, die aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats stammen, als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann oder in Anspruch zu nehmen ist. Diese Zweifel ergeben sich aus dem in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG aufgenommenen Hinweis, nach dem die Verbrauchsteuer unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 Richtlinie 92/12/EWG entsteht.

14  Für den Fall, dass bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, bereitgestellt werden, wird die Verbrauchsteuer gemäß Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG je nach Fallgestaltung von der Person geschuldet, die die Lieferung vornimmt oder die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt, oder von der Person bzw. von dem gewerblichen Wirtschaftsbeteiligten, bei denen die Waren bereitgestellt werden. In Bezug auf die Person des Steuerschuldners stellt Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG lediglich auf die Vornahme einer Lieferung, den Besitz zur Lieferung bestimmter Waren und die Bereitstellung von Waren ab. Der Wortlaut der Vorschrift könnte ein Normverständnis nahelegen, nach dem nur die erstmalige Lieferung oder die erstmalige Inbesitznahme einer Ware eine Steuerschuldnerschaft begründen.

15  Nach Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG entsteht hingegen die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift setzt die Steuerentstehung weder einen Liefervorgang noch eine Bereitstellung von Waren voraus. Ausreichend ist vielmehr ein bestimmter Zustand bzw. ein Rechtsverhältnis, nämlich die Ausübung der Sachherrschaft über eine Ware, die andere Personen von ihrer Verwendung ausschließt. In diesen Fällen wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und zwar von der Person, in deren Besitz sie sich befinden. Zur Begründung der Steuerschuldnerschaft reicht es somit aus, wenn eine Person angetroffen wird, die die unmittelbare Sachherrschaft über verbrauchsteuerpflichtige Waren ausübt, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht versteuert worden sind. Im Gegensatz dazu enthält Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG keine Regelungen hinsichtlich der Steuerschuldnerschaft. Eine solche ist in Art. 7 Abs. 2 und 3 Richtlinie 92/12/EWG nur für die Fälle der Lieferung und Bereitstellung von Waren vorgesehen. Sofern festgestellt wird, dass sich Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befinden als dem, in dem sie versteuert worden sind, ist das Verhältnis der Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG nicht klar.

16  3. Für den Fall, dass unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung vorgefunden werden, hat der EuGH Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG dahingehend ausgelegt, dass der Besitz der betreffenden Ware eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne dieser Vorschrift darstellt (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 C-325/99, Slg. 2001, I-2729). Zudem hat er darauf hingewiesen, sowohl der Systematik der Richtlinie als auch ihrer neunten Begründungserwägung sei zu entnehmen, dass die nationalen Behörden jedenfalls dafür sorgen müssen, dass die geschuldete Steuer tatsächlich eingezogen wird. Die im Hinblick auf die Auslegung des Art. 6 Richtlinie 92/12/EWG gezogenen Schlussfolgerungen lassen sich nach Auffassung des vorlegenden Senats auch für die Deutung des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG nutzbar machen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass eine in ihrem Steuergebiet vorgefundene und aus einem anderen Mitgliedstaat stammende verbrauchsteuerpflichtige Ware, für die die Steuer zwar entstanden, jedoch noch nicht entrichtet worden ist, nicht unversteuert bleibt. Es geht dem Unionsrecht bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners offenbar darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut sich eine Ware befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06 , BFHE 218, 469 , Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2008, 85). Die Systematik der unionsrechtlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des EuGH scheinen den steuerrechtlichen Zugriff auf Personen zu verlangen, denen unversteuerte Waren eindeutig zugeordnet werden können. Dabei scheint es nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG ohne Belang zu sein, ob die Ware in einer Lieferkette an mehrere Personen weitergegeben worden ist. Jeder, der mit der unversteuerten Ware angetroffen wird, müsste daher Steuerschuldner sein.

17  4. Ergänzend weist der Senat auf die Rechtsprechung des BGH hin. Nach dessen Auffassung (BGH-Urteil in NStZ 2010, 644) ist die streitentscheidende nationale Vorschrift (§ 19 TabStG ) dahingehend zu deuten, dass Empfänger nur derjenige sein kann, der den Besitz an den Tabakwaren vor Beendigung des Verbringungs- oder Versendungsvorgangs erlangt hat. Nach dieser Auffassung ist eine Beendigung dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und „zur Ruhe gekommen” sind, d.h. wenn die Tabakwaren die „gefährliche” Phase des Grenzübertritts passiert haben, und der Verbringer oder Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat. Diese Auslegung des Begriffs „Empfänger” hat zur Folge, dass nur der Erstbesitzer der eingeschmuggelten Waren Steuerschuldner sein kann. Wer eingeschmuggelte Zigaretten von anderen Personen übernimmt, um sie sodann weiterzuverkaufen und hiervon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kommt als Steuerschuldner nicht mehr in Betracht.

18  Da § 19 TabStG der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Richtlinie 92/12/EWG in nationales Recht dient, ist bei der Auslegung der Vorschrift der Sinn und Zweck der einschlägigen Richtlinienbestimmungen und die Rechtsprechung des EuGH zu beachten. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könnte Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG der vom BGH getroffenen Auslegung entgegenstehen.

19  Wegen der bestehenden Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG im Lichte der in Art. 6 und 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG getroffenen Regelungen hält es der Senat für erforderlich, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu der unter II. gestellten Frage zu ersuchen.

Kindergeld: Fahrtaufwendungen als Werbungskosten

Kindergeld: Fahrtaufwendungen als Werbungskosten – Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

Urteil vom 16.1.2013, VI R 14/12

Der BFH hat dazu Stellung genommen, ob im Rahmen eines Studiums durchgeführte Fahrten zur Praktikumsstätte und zur Fachhochschule nach Dienstreisegrundsätzen oder als Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte bei der Ermittlung der Einkünfte eines Kindes zu berücksichtigen sind (Az. VI R 14/12).

 

 Leitsatz

Leistet ein Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung in einem Betrieb außerhalb der Hochschule ab, ist der Betrieb nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte. Die Kosten für die Wege dorthin sind uneingeschränkt als Werbungskosten abziehbar.

Gesetze

EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 5
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG § 9 Abs. 6
EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG § 52 Abs. 23d Satz 5
Instanzenzug

FG Nürnberg vom 11. November 2010 7 K 1081/2009 BFH VI R 14/12

Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog für seinen 1984 geborenen Sohn (J) Kindergeld im Streitjahr 2007. J studierte seit dem Wintersemester 2004/2005 an der Fachhochschule C-Stadt den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, den er im März 2009 mit der erfolgreich abgelegten Diplomprüfung abschloss.

2  Das von J durchgeführte Fachstudium umfasst zwei praktische Studiensemester. Diese sind Bestandteil des Studiums und erstrecken sich einschließlich der praxisbegleitenden Lehrveranstaltungen über einen regelmäßig zusammenhängenden Zeitraum von 20 Wochen. Sie werden unter der Betreuung der Hochschule in Betrieben außerhalb der Hochschule abgeleistet und integrieren Studium und Berufspraxis. Während der praktischen Studiensemester bleibt der Student Mitglied der Hochschule.

3  Zur Durchführung der praktischen Studiensemester schloss J am 16. März 2005 mit der Firma Z (GmbH) in A einen „Ausbildungsvertrag für das Studium mit vertiefter Praxis” ab. In § 1 des Vertrags ist u.a. bestimmt, dass die betriebliche Zusatzpraxis Bestandteil des Studiums ist und ausschließlich der Vertiefung der Ausbildungsinhalte der praktischen Studiensemester dient. Nach § 2 des Vertrags umfasste die betriebliche Ausbildung während der praktischen Studiensemester und der Zusatzpraxis den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008. Die GmbH verpflichtete sich u.a., den „Studenten” in der Ausbildungszeit auszubilden, fachlich zu betreuen und ihm die Teilnahme an Lehrveranstaltungen und Prüfungen zu ermöglichen. J verpflichtete sich, die gebotenen Ausbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen und dabei die tägliche Ausbildungszeit, die der üblichen Arbeitszeit der Ausbildungsstelle entsprach, einzuhalten. Er verpflichtete sich auch zu einem ordnungsgemäßen Studium mit dem Ziel, das Studium möglichst in der Regelstudienzeit abzuschließen (s. zu den Pflichten der Vertragspartner im Einzelnen § 3 des Vertrags). In § 4 des Vertrags wurde zudem eine monatliche Ausbildungsvergütung vereinbart (1. Ausbildungsjahr: 716 € brutto; 2. Ausbildungsjahr: 766 € brutto; 3. Ausbildungsjahr: 801 € brutto). Die Fachhochschule C-Stadt stimmte der Ableistung der beiden praktischen Studiensemester durch J bei der GmbH am 4. April 2005 zu.

4  J bezog im Streitjahr von der GmbH Vergütungen in Höhe von 12.845 € abzüglich Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 2.621,67 €. Er suchte die GmbH an 173 und die Fachhochschule an 47 Tagen auf. Die Entfernung von seiner Wohnung zur GmbH betrug 20 km und zur Fachhochschule 10 km. J musste im Streitjahr Studiengebühren in Höhe von 577 € aufbringen.

5  Mit Bescheid vom 10. Februar 2009 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für das Streitjahr auf und forderte das für diesen Zeitraum bereits gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.848 € zurück. Die Familienkasse war der Ansicht, dass die Einkünfte und Bezüge des J den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG ) überschritten hätten.

6  Im Klageverfahren machte der Kläger u.a. geltend, die Einkünfte des J hätten sich im Streitjahr auf lediglich 7.429 € belaufen und damit den Jahresgrenzbetrag unterschritten. Die Kosten für die Wege zur GmbH seien gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt abziehbar. Die GmbH sei nicht die regelmäßige Arbeitsstätte seines Sohnes gewesen.

7

 

  Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermittelte die gemäß § 32 Abs. 4 EStG maßgeblichen Einkünfte wie folgt:
  Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit

  12.845,00 €

  abzüglich Sozialversicherungsbeträge

  2.621,67 €

  abzüglich Werbungskosten:
  Wege zur GmbH (173 x 20 km x 0,30 €/km)

  1.038,00 €

  besondere Ausbildungskosten:
  Fahrten zur Fachhochschule (47 x 10 km x 0,30 €/km x 2)

    282,00 €

  Studiengebühren

  577,00 €

  Einkünfte

  8.326,33 €

 

8  Die Einkünfte des J hätten damit den Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten. Dem Kläger stehe für das Streitjahr kein Kindergeld zu.

9  Die Ausbildungsstätte der GmbH sei eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte des J gewesen. Zwar führe allein der dreijährige Zeitraum, über den sich die Praktika erstreckt hätten, noch nicht zu der Annahme, dass die Arbeitsstätte auf Dauer angelegt gewesen sei. Im Streitfall bestehe jedoch die Besonderheit, dass die theoretische Ausbildung an der Fachhochschule und das Praktikum über einen Zeitraum von drei Jahren nicht nur parallel gelaufen wären, sondern eng miteinander verzahnt gewesen seien. Es habe sich ausdrücklich um einen Ausbildungsvertrag für das Studium mit vertiefter Praxis und nicht um eine Aneinanderkettung mehrerer zu absolvierender Praktika —zufällig— beim selben Betrieb gehandelt. Damit habe bereits ab Vertragsschluss für J festgestanden, dass dieser mit Ausnahme der Zeiten für die theoretische Ausbildung und Prüfungen im Ausbildungsbetrieb hätte tätig sein müssen. Gerade die Zahl der Tage, an denen J in den Jahren 2006 (117 Tage) und 2007 (173 Tage) die GmbH aufgesucht habe, zeige deutlich, dass der Betrieb in diesen Jahren nicht mehr gelegentlich, sondern nachhaltig und gegenüber der Fachhochschule (47 Tage im Jahr 2007) sogar zeitlich überwiegend aufgesucht worden sei.

10  J hätte ohne Weiteres mit anderen Arbeitnehmern oder Auszubildenden der GmbH eine Fahrgemeinschaft bilden können, da er an den Tagen, an denen er den Betrieb aufgesucht habe, die dortigen Arbeitszeiten habe einhalten müssen und nach seinen Angaben an den einzelnen Tagen immer nur entweder die GmbH oder die Fachhochschule aufgesucht habe, nicht aber im Dreieck zwischen diesen gependelt sei.

11  Vor dem Hintergrund, dass ein Ausbildungsvertrag, der eine Vergütung für den gesamten Zeitraum, also auch für Zeiten der theoretischen Ausbildung, vorsehe und die Verpflichtung zu einem ordnungsgemäßen Studium möglichst in der Regelstudienzeit (vgl. § 3 des Ausbildungsvertrags) enthalte, deutlich auch vom Interesse des Ausbildungsbetriebes an der Nachwuchsgewinnung und der Chance für den Studierenden, dort im Anschluss an das Studium eine Anstellung zu erhalten, geprägt sei, werde die Praktikantenstelle bei der GmbH als regelmäßige Ausbildungs- bzw. Arbeitsstätte angesehen.

12  Die Fahrtkosten seien daher nicht nach Dienstreisegrundsätzen, sondern lediglich mit der Entfernungspauschale, also mit 173 Tagen x 20 km x 0,30 €/km in Höhe von 1.038 € zu berücksichtigen.

13  Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

14  Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Bescheid vom 10. Februar 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2009 aufzuheben.

15  Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

16  Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ).

17  1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das —wie J im Streitjahr 2007— das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nicht übersteigen.

18  a) Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—, z.B. Urteil vom 17. Juni 2010 III R 59/09, BFHE 230, 142 , BStBl II 2011, 121).

19  b) Darüber hinaus sind nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164 ) im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen (BFH-Urteile vom 9. Februar 2012 III R 73/09 , BFHE 236, 407 , BStBl II 2012, 463; vom 5. Juli 2012 VI R 99/10, BFHE 238, 93 ).

20  c) Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 € Bezüge außer Ansatz, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bzw. Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG ) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und Bezüge abzuziehen. Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe nach zu beachten (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Urteile vom 22. September 2011 III R 38/08 , BFHE 235, 331 , BStBl II 2012, 338; vom 15. Juli 2010 III R 70/08, BFH/NV 2010, 2253 ; vom 27. Oktober 2011 III R 92/10, BFH/NV 2012, 412 ).

21  2. Die Vorentscheidung beruht teilweise auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher ebenso wie die Einspruchsentscheidung und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

22  a) Nach den Feststellungen des FG erzielte J im Streitjahr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 12.845 €. Von denen sind, wie zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist, Beiträge zur Sozialversicherung (2.621,67 €) und —als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen— Studiengebühren (577 €) abzuziehen. Darüber hinaus sind die Kosten für die Wege zur GmbH als Werbungskosten bei den Einkünften des J aus nichtselbständiger Arbeit in tatsächlicher Höhe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kommt nicht zur Anwendung.

23  b) Nach der Rechtsprechung des Senats sind als Werbungskosten sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Bildungsmaßnahme stehen, abziehbar. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Die Begrenzung der Steuererheblichkeit von Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu beachten. Denn eine Bildungsmaßnahme ist regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeiten, sich auf die immer gleichen Wege einzustellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinzuwirken (s. im Einzelnen Senatsentscheidungen vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431 ; VI R 42/11, BFHE 236, 439 ; vom 19. September 2012 VI R 78/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 123 ; vom 18. September 2012 VI R 65/11, nicht veröffentlicht).

24  c) Nach diesen Grundsätzen sind die Kosten für die Wege zur GmbH in tatsächlicher Höhe abzugsmindernd zu berücksichtigen. Die Tätigkeit des J in der GmbH als eine Art Praktikant war nämlich Teil einer Bildungsmaßnahme und im Übrigen nicht auf Dauer angelegt. Wie sich aus der im Ausbildungsvertrag erwähnten „Verordnung über die praktischen Studiensemester an Fachhochschulen” (Praxissemesterverordnung —PrSV—) des Bayrischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 16. Oktober 2002 (GVBl 2002, 589) ergibt, ist das praktische Studiensemester einschließlich etwaiger Zusatzpraktika (s. dazu § 7 PrSV) ein in das Studium integriertes, von der Fachhochschule geregeltes, inhaltlich bestimmtes, betreutes und mit Lehrveranstaltungen begleitetes Studiensemester, das i.d.R. in einem Betrieb oder in einer anderen Einrichtung der Berufspraxis außerhalb der Hochschule abgeleistet wird (§ 1 Abs. 1 PrSV). Während der praktischen Studiensemester bleiben die Studenten Mitglieder der Hochschule mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten (§ 1 Abs. 4 PrSV). Damit ist die Universität trotz der praktischen Ausbildung Mittelpunkt der Tätigkeit. Insoweit unterscheidet sich das hier streitgegenständliche Hochschulstudium von einem herkömmlichen Ausbildungsverhältnis, in dessen Rahmen der Steuerpflichtige bereits Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt.

25  aa) Da danach die erwähnte praktische Tätigkeit Teil der Hochschulausbildung ist, kommt —wie regelmäßig in den Fällen der Hochschulausbildung— § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht zur Anwendung. Der Betrieb, in dem der Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung ableistet, ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG .

26  bb) Dem Abzug der Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG steht § 9 Abs. 6 i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (BeitrRLUmsG ) vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592 ) nicht entgegen.

27  § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG bestimmt, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.

28  Gemäß § 52 Abs. 23d Satz 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ist § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden. § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG schließt jedoch den Werbungskostenabzug nicht aus, weil sich J während seiner Tätigkeit in der GmbH „im Rahmen eines Dienstverhältnisses” befand. Bei dem Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG handelt es sich um ein Dienstverhältnis besonderer Art, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist (sog. Ausbildungsdienstverhältnis; BFH-Urteile vom 7. August 1987 VI R 60/84 , BFHE 150, 435 , BStBl II 1987, 780; vom 19. April 1985 VI R 131/81, BFHE 143, 572 , BStBl II 1985, 465). „Im Rahmen” eines Dienstverhältnisses findet die Erstausbildung bzw. das Erststudium statt, wenn, wie hier, die Teilnahme an der Ausbildung oder am Studium verpflichtender Gegenstand des Arbeitsvertrags ist (Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach, § 12 EStG Rz 177).

29  d) Ob und in welchem Umfang die Kosten für die Wege zur Fachhochschule als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu berücksichtigen sind, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Zwar sind diese Kosten als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu qualifizieren. Allerdings orientiert sich, wie dargestellt, nach der bisherigen Rechtsprechung der ausbildungsbedingte Mehrbedarf sowohl dem Grund als auch der Höhe nach an den entsprechend anwendbaren Vorschriften über den Werbungskostenabzug (BFH-Urteil in BFHE 235, 331 , BStBl II 2012, 338, m.w.N., zu § 9 Abs. 2 EStG ). Ob dies auch für § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG gilt, ist zwar nach Auffassung des Senats im Hinblick auf die Bedeutung des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG fraglich, muss jedoch hier nicht entschieden werden. Denn auch ohne Berücksichtigung der Kosten für die Wege zur Fachhochschule wird der Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 € nicht überschritten:

30

 

  Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit

  12.845,00 €

  abzüglich Sozialversicherungsbeträge

  2.621,67 €

  abzüglich Werbungskosten:  
  Wege zur GmbH (173 x 20 km x 0,30 €/km x 2)

  2.076,00 €

  besondere Ausbildungskosten:  

Honorareinnahmen eines Rechtsanwalts eines mehrjährigen Mandats

Abgrenzung zwischen den berufsüblichen und den außerordentlichen Einkünften eines Rechtsanwalts

Urteil vom 30.01.13   III R 84/11

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 30. Januar 2013 III R 84/11 seine langjährige Rechtsprechung bestätigt, wonach die Vereinnahmung eines berufsüblichen Honorars für die mehrere Jahre andauernde Betreuung eines Mandats bei einem Rechtsanwalt nicht zu außerordentlichen Einkünften führt.

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, bearbeitete über mehrere Jahre hinweg ein größeres Erbrechtsmandat. Nach – erfolgreichem – Abschluss des Auftrags erhielt er von seinen Mandanten eine hohe Honorarzahlung. Er sah in dieser Zahlung eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit und beantragte daher die Anwendung der Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes. Der BFH folgte dem nicht. Er bekräftigte vielmehr seine jahrzehntealte Rechtsprechung, wonach die Anwendung der Tarifermäßigung auf besondere, außergewöhnliche Tätigkeiten beschränkt ist, die von der üblichen Tätigkeit eines Freiberuflers abgrenzbar sein müssen. Zum Zweck der Abgrenzung hat der BFH verschiedene Fallgruppen entwickelt, die im Streitfall jedoch nicht einschlägig waren. Er wies außerdem darauf hin, dass mehrjährige Tätigkeiten bei Rechtsanwälten, Ingenieuren und anderen Freiberuflern nicht unüblich sind und eine Tarifglättung schon durch die Häufigkeit und Regelmäßigkeit, mit der mehrjährige Aufträge angenommen, abgewickelt und abgerechnet werden, bewirkt wird.

Bundesfinanzhof

 

Abgrenzung zwischen den berufsüblichen und den außerordentlichen Einkünften eines Rechtsanwalts

Leitsatz

Die Vereinnahmung eines berufsüblichen Honorars für die Bearbeitung eines mehrjährigen Mandats führt bei einem Rechtsanwalt nicht zu außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG .

Gesetze

EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4
Instanzenzug

FG Hamburg vom 28. September 2009 5 K 201/08 BFH III R 84/11

Gründe

I.

1  Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2006) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er übt diese Tätigkeit in einer Einzelpraxis aus.

2  Im März 2003 wurde der Kläger von einem Geschwisterpaar in einer Erbschaftsangelegenheit mandatiert. Die Mandanten waren die gesetzlichen Erben, und zwar die Nichte und der Neffe der Erblasserin, die ein Vermögen von ca. 10 Mio. € hinterlassen hatte. Da sich aufgrund eines notariellen Erbvertrages eine weitere Person namens E. berühmte, Erbe zu sein, kam es zu einem Rechtsstreit. Der Kläger vertrat die Nichte der Erblasserin in einer Erbfeststellungsklage vor dem Landgericht (LG) und beide Mandanten im Erbscheinverfahren vor dem Nachlassgericht sowie als Geschädigte in einem Strafverfahren gegen E., den Notar R. sowie einen weiteren Hintermann S. Das LG kam im Strafverfahren aufgrund eines Sachverständigengutachtens zu dem Schluss, dass die vorgelegten Urkunden, insbesondere der Erbvertrag, sämtlich gefälscht waren. S. wurde die Herausgabe der von ihm verschobenen Vermögenswerte auferlegt, was im Herbst 2006 auch geschah. E. und R. wurden strafrechtlich verurteilt. Das LG gab der Erbfeststellungsklage mit Versäumnisurteil im Herbst des Jahres 2006 statt, nachdem es zuvor mit Beschluss vom 23. Dezember 2003 Prozesskostenhilfe (PKH) gewährt hatte. Der Kläger verzichtete allerdings darauf, Vorschüsse gegenüber der Staatskasse geltend zu machen. Die Vorschüsse hätten sich wegen der im PKH-Recht vorgesehenen Begrenzung des Gegenstandswerts auf maximal 1.018 € belaufen. Vorschussansprüche gegenüber seinen Mandanten machte der Kläger schon deswegen nicht geltend, weil diese nicht zahlungsfähig waren.

3  S. überwies schließlich an die Mandanten des Klägers auf dessen Anwaltskonto den Betrag von 100.173,09 €. Nachdem die beiden Mandate betreffend die Erbrechtsklage und die Vertretung als Geschädigte im Strafverfahren Ende 2006 beendet waren, trafen der Kläger und die beiden Mandanten Ende Dezember 2006 zwei Honorarvereinbarungen, die die Zahlung von 40.000 € für die Erbrechtsklage und von 14.500 € für die Vertretung im Strafverfahren vorsahen. Die Beträge wurden mit der von S. auf das Anwaltskonto überwiesenen Summe verrechnet.

4  Der Jahresgewinn des Klägers aus seiner anwaltlichen Tätigkeit belief sich im Jahr 2003 auf 18.768,51 €, im Jahr 2004 auf ./. 768,60 €, im Jahr 2005 auf 20.392,33 €, im Jahr 2006 auf 61.931,06 €, im Jahr 2007 auf 67.517,67 € und im Jahr 2008 auf 45.984,03 €.

5  Ohne die Honorare aus der Erbrechtsangelegenheit hätte sich der Jahresgewinn des Klägers in 2006 aus seiner anwaltlichen Tätigkeit somit auf 7.431,06 € (61.931,06 € ./. 54.500 €) belaufen.

6  Dem Begehren der Kläger, die aufgrund der Honorarvereinbarungen vom Dezember 2006 erzielten Einnahmen gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG ) dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, entsprachen weder der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) noch das Finanzgericht (FG).

7  Mit ihrer Revision rügen die Kläger die unzutreffende Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG durch das FG. Dessen Auffassung, freiberuflich tätige Rechtsanwälte könnten wegen ihres typischerweise schwankenden Einkommens keine außerordentlichen Einkünfte im Sinne der genannten Vorschrift haben, verstoße bereits gegen den Gesetzeswortlaut. Denn der Kläger habe zweifellos für die Vertretung seiner Mandanten eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit erhalten. Außerdem verletze die vom FG vertretene Auslegung den Grundsatz der Gleichbehandlung der Einkunftsarten. Die Tarifermäßigung werde ihm allein wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der Freiberufler versagt. Das Argument des typischerweise schwankenden Einkommens stelle keinen sachlichen Grund dar, sondern diskriminiere willkürlich seine Berufsgruppe gegenüber Steuerpflichtigen mit gleichmäßigem Jahreseinkommen. Die „naturgegebene” Benachteiligung der unternehmerisch tätigen Steuerpflichtigen durch den progressiven Tarif werde durch die Versagung der Tarifbegünstigung noch verstärkt. Die Behauptung vom typischerweise schwankenden Einkommen sei überdies empirisch nicht belegt; bei Ärzten mit einem bestimmten Patientenstamm dürfte das Einkommen keinen nennenswerten Schwankungen unterliegen. Letztlich würden nur Staatsbedienstete in den Genuss der Steuerermäßigung kommen können. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Fallgruppen der ausnahmsweisen Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auf Freiberufler habe keine Grundlage im Gesetzwortlaut und konterkariere den Zweck des § 34 EStG . Entsprechende Einschränkungen gebe es bei abhängig beschäftigten Steuerpflichtigen nicht. Mit dem Urteil vom 14. Dezember 2006 IV R 57/05 (BFHE 216, 247 , BStBl II 2007, 180) habe der Bundesfinanzhof (BFH) einen zögerlichen Kurswechsel eingeleitet und im Ergebnis die Fallgruppenbildung aufgegeben. Nach diesem Urteil sei für die Tarifermäßigung lediglich Voraussetzung, dass die geballte Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine Progressionswirkung typischerweise erwarten lasse. Dass die Vergütung erst nach einem vorangegangenen Rechtsstreit gezahlt worden sei, stelle nur ein konkretes Beispiel für das „typischerweise Erwartenlassen” einer abzumildernden Progressionswirkung dar. Selbst bei Beibehaltung der Fallgruppenbildung müsse im Streitfall in Fortentwicklung des genannten BFH-Urteils eine neue Fallgruppe gebildet werden. Ein Freiberufler habe jedenfalls dann außerordentliche Einkünfte, wenn er ohne ihm zuzurechnende Gründe die Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen nicht erhalte und ihm die Vergütung erst später in einem Veranlagungszeitraum nach Wegfall der Hinderungsgründe zusammengeballt zufließen würde. Im Streitfall habe er keine Möglichkeit gehabt, die Zusammenballung zu verhindern. Auf die von § 9 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) beziehungsweise vom vormals geltenden § 17 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO ) eingeräumte Möglichkeit, Vorschüsse zu verlangen, könne er nicht verwiesen werden, weil seine Mandanten finanziell nicht in der Lage gewesen seien, Vorschusszahlungen zu leisten und das Beharren auf einer Zahlung eine Mandatskündigung hätte provozieren können. Eine Einnahmenglättung durch Vorschusszahlungen, wie im BFH-Urteil vom 10. Februar 1972 IV R 8/68 (BFHE 105, 255 , BStBl II 1972, 529) angesprochen, sei im Streitfall demnach nicht möglich gewesen.

8  Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des angegriffenen Urteils den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 3. Januar 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2008 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer auf 5.618 € und der Solidaritätszuschlag auf 207,35 € herabgesetzt wird.

9  Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10  Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II.

11  Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO— ). Das FG hat zu Recht den ermäßigten Steuersatz nicht auf die streitgegenständlichen Einnahmen angewandt. Berufsübliche Honorareinnahmen eines Rechtsanwalts führen zu laufenden Gewinnen, die dem Regelsteuersatz zu unterwerfen sind.

12  1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach besonderen Regeln zu berechnen. Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht.

13  Für die Anwendung der bei außerordentlichen Einkünften vorgesehenen Tarifermäßigung reicht es nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nicht aus, dass ein freiberuflich tätiger Steuerpflichtiger für eine mehrjährige Tätigkeit ein berufsübliches Honorar erhält. Zum Zwecke der Abgrenzung der dem gewöhnlichen Tarif unterliegenden laufenden Einkünfte aus selbständiger Arbeit von den ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünften sind auch solche Einkünfte, die Ertrag einer mehrjährigen Tätigkeit darstellen, nur dann den außerordentlichen Einkünften zuzuordnen, wenn der Steuerpflichtige sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet und die Vergütung dafür in einem einzigen Veranlagungszeitraum erhalten hat oder wenn eine sich über mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit, die von der übrigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausreichend abgrenzbar ist und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb gehört, in einem einzigen Veranlagungszeitraum entlohnt wird (BFH-Urteil in BFHE 216, 247 , BStBl II 2007, 180, m.w.N.). Auch wenn eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung geleistet wird, kommt § 34 EStG zur Anwendung (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 44/03 , BFHE 208, 110 , BStBl II 2005, 276). Daneben hat der IV. Senat des BFH außerordentliche Einkünfte auch für den Fall bejaht, dass dem Steuerpflichtigen eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballt zufließt (BFH-Urteil in BFHE 216, 247 , BStBl II 2007, 180).

14  2. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den Vergütungen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Erbrechtsangelegenheit erhalten hat, nicht um außerordentliche Einkünfte. Der Kläger war, was von ihm selbst nicht angezweifelt wird, weder in einer arbeitnehmerähnlichen Stellung, noch hat er eine abgrenzbare Sondertätigkeit entfaltet. Er hat sich auch nicht während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet. Vielmehr hat er einen für den Beruf des Rechtsanwalts typischen Auftrag ausgeführt und nach Mandatsende abgerechnet (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 I R 119/91 , BFH/NV 1993, 593 ). Die erhaltene Vergütung hat er nicht als Nachzahlung aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung erhalten, so dass, ungeachtet der Frage, ob der Senat der Rechtsauffassung des IV. Senats in dessen Urteil in BFHE 216, 247 , BStBl II 2007, 180 beitreten könnte, auch unter diesem Gesichtspunkt die Anwendung des § 34 EStG ausgeschlossen ist.

15  3. Der BFH hat in den vergangenen Jahrzehnten seine auf Entscheidungen des Reichsfinanzhofs —RFH— (z.B. RFH-Urteile vom 19. Juni 1923 VIe A 10/13, RFHE 12, 228 betreffend Rechtsanwalt; vom 16. Dezember 1931 VI A 1277/31, RStBl 1932, 169 betreffend Ingenieur; vom 19. Februar 1936 VI A 71/36, RStBl 1936, 651 betreffend Testamentsvollstreckertätigkeit eines Rechtsanwalts; vom 21. September 1944 IV 139/43, RStBl 1944, 748 betreffend Rechtsanwalt) zurückgehende Rechtsprechung zur Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG —bzw. der Vorgängervorschriften— im Bereich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit wiederholt im Hinblick auf verschiedentlich erhobene Einwendungen überprüft und stets daran festgehalten, dass die Anwendung der Tarifermäßigung auf besondere Tätigkeiten beschränkt ist, die von der üblichen Tätigkeit eines Freiberuflers abgrenzbar sein müssen (z.B. BFH-Urteile vom 10. Mai 1961 IV 275/59 U , BFHE 73, 730, BStBl III 1961, 532; vom 22. Mai 1975 IV R 33/72, BFHE 116, 136 , BStBl II 1975, 765; in BFH/NV 1993, 593 ). Auch der erkennende Senat sieht keine Veranlassung zu einer Änderung oder Fortentwicklung dieser Rechtsprechung. Die Einwendungen der Revision sind nicht stichhaltig.

16  a) Grundlage der ständigen Rechtsprechung ist der Befund, dass mehrjährige Tätigkeiten und die hierfür erhaltenen Vergütungen bei freiberuflich tätigen Steuerpflichtigen nicht unüblich sind, häufig sogar die Regel sein dürften. Zu denken ist etwa an einen forensisch tätigen Rechtsanwalt, der angesichts der Dauer der vorgerichtlichen Auseinandersetzung und der in Deutschland üblichen gerichtlichen Verfahrenslaufzeiten nicht selten mehrjährig i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG —dafür genügt bereits ein 13 Monate dauerndes Mandat— in Anspruch genommen wird. Dass, von den streitigen Einnahmen abgesehen, noch weitere Honorareinnahmen aus einer mehrjährigen Tätigkeit des Klägers herrühren, erscheint auch im Streitfall nicht fernliegend. Die Bearbeitung der an Architekten oder Ingenieure erteilten Aufträge wird ebenfalls vielfach mehr als ein Jahr benötigen. Ohne Einschränkung des Gesetzeswortlauts wären damit erhebliche Teile der von Freiberuflern erzielten Einkünfte keine laufenden Gewinne, sondern bei Bezahlung zum Zeitpunkt der Auftragsbeendigung (vgl. z.B. § 15 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure und §§ 8, 10 RVG) außerordentliche Einkünfte. Dies würde nicht nur zu ganz erheblichen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Veranlagungsarbeiten führen (zu diesem Praktikabilitätsargument bereits RFH-Urteil in RStBl 1932, 169; BFH-Urteil in BFHE 116, 136 , BStBl II 1975, 765). Was sachlich deutlich schwerer wiegt, ist der Umstand, dass die berufsüblichen Einkünfte von Freiberuflern in beträchtlichem Umfang nicht dem Regelsteuersatz unterliegen würden, was diese Personengruppe gegenüber anderen Steuerpflichtigen privilegieren würde, die, wie z.B. Arbeitnehmer, ihre berufsüblichen Einkünfte „normal” versteuern müssen. Daher geht das Revisionsvorbringen zur angeblichen Diskriminierung einer ganzen Berufsgruppe schon im Ansatzpunkt fehl.

17  In Folge der Häufigkeit und Regelmäßigkeit, mit der mehrjährige Aufträge von Freiberuflern typischerweise angenommen, abgewickelt und abgerechnet werden, gehen Vergütungen —auch ohne Vorschusszahlungen— für mehrjährige Tätigkeiten kontinuierlich in die Gewinnermittlung der jeweiligen Veranlagungszeiträume ein und sorgen schon hierdurch, jedenfalls bei halbwegs stabiler Auftragslage, für die von § 34 EStG bezweckte Tarifglättung (so zutreffend bereits Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925 , II. Band, S. 956). Bei instabiler Auftragslage oder überhaupt bei wechselhaftem unternehmerischen Erfolg in einzelnen Jahren sind die daraus resultierenden Steuersatzunterschiede von den betroffenen Steuerpflichtigen hinzunehmen. Denn § 34 EStG dient nicht dazu, die nachteiligen Folgen temporal schwankender Einkünfte generell auszugleichen (vgl. RFH-Urteil in RStBl 1936, 651). Dass im Streitfall die mit dem Erbrechtsmandat verbundenen Honorareinnahmen im Vergleich zu den übrigen Einnahmen des Klägers betragsmäßig weit herausragten und zur „schwankenden” Einnahmesituation geführt haben, ist im Wesentlichen Folge des in der Akquisition und Bearbeitung eines Großmandats zu erblickenden unternehmerischen Erfolgs. Die sich aus dem Vergleich zu anderen Mandaten ergebende relative „Größe” eines Einzelmandats kann für sich genommen nicht zur Annahme „außerordentlicher” Einkünfte und zur Anwendung der Tarifermäßigung führen.

18  b) Für die hiernach gebotene Abgrenzung zwischen berufsüblichen Honoraren und außerordentlichen Einkünften hat die Rechtsprechung die oben erwähnten Fallgruppen gebildet. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, eine neue Fallgruppe zu entwickeln bzw. eine bestehende zu erweitern.

19  aa) Die Tatsache, dass der Kläger im Streitfall von seinen Mandanten keine Vorschusszahlungen erlangen konnte, ändert an der Berufsüblichkeit des Honorars nichts. Honorareinnahmen sind nicht deshalb „außerordentlich” oder atypisch, weil der Auftraggeber finanziell nicht oder kaum in der Lage ist, Vorschusszahlungen zu leisten. Wenn es rechtlich auf den Umstand ankäme, ob eine Vorschusszahlung realisierbar ist oder nicht, wäre die Abgrenzbarkeit laufender von außerordentlichen Einkünften zudem in der Praxis kaum zu leisten. Denn bei einer Vielzahl von Mandaten müssten die wahren Gründe für die Nichtleistung eines Vorschusses (Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung, Rücksichtnahme auf eine langjährige Kundenbeziehung, Gefahr der Mandatskündigung bei als unangemessen empfundenem Vorschussverlangen, Bewilligung von PKH, Zahlungsunfähigkeit des Auftraggebers u.ä.) ermittelt werden, um die von Amts wegen vorzunehmende Entscheidung über den anzuwendenden Tarif treffen zu können. Schließlich lässt die Möglichkeit der Bewilligung von PKH und der hieraus resultierende, gegen die Staatskasse gerichtete Vorschussanspruch des Anwalts gemäß §§ 45, 47 RVG (entspricht §§ 121 , 127 BRAGO) eine Zusammenballung von Einkünften mit entsprechender Progressionswirkung nicht typischerweise erwarten. Der Einwand der Kläger, dass die Vergütung nach PKH-Grundsätzen im Streitfall im Vergleich zum Gegenstandswert wegen einer gesetzlichen Gebührendeckelung recht niedrig gewesen wäre (vgl. § 49 RVG, § 123 BRAGO ), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die Höhe der im Einzelfall gezahlten Vergütung ist für die Anwendung des § 34 EStG nicht rechtserheblich. Auch bei einem „kleinen” mehrjährigen Mandat müsste, wollte man der Revision folgen, die Tarifermäßigung grundsätzlich gewährt werden. Bei einem solchen Mandat hätten Vorschusszahlungen auf der Grundlage der §§ 47 RVG, 127 BRAGO aber durchaus Gewicht, da bei niedrigen Gegenstandswerten der beigeordnete Rechtsanwalt dieselben Gebühren erhält wie ein Wahlanwalt (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 20. Aufl. 2012, § 49 Rz 4).

20  bb) Die vom Kläger auf der Basis des BFH-Urteils in BFHE 216, 247 , BStBl II 2007, 180 begehrte Fortentwicklung der dort angesprochenen Fallgruppe kommt nicht in Betracht. Der Entscheidung des IV. Senats lag nicht der Normalfall der üblichen Honorierung einer typischen freiberuflichen Leistung zugrunde, sondern ein außerordentliches, nicht dem normalen Ablauf entsprechendes Ereignis. Erst dieses ungewöhnliche, also gerade nicht berufstypische Geschehen führte zu einem zusammengeballten Einnahmenzufluss, der eine entsprechende Progressionswirkung erwarten ließ. Dieses atypische Ereignis war ein mit der kassenärztlichen Vereinigung geführter Prozess über die —erst durch ein Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts (BSG) geklärte— Punktbewertung psychotherapeutischer Leistungen (vgl. BSG-Urteil vom 25. August 1999 B 6 KA 14/98 R , BSGE 84, 235), die nach dem Obsiegen des Steuerpflichtigen zu einer einmaligen Nachzahlung für die Vielzahl der in mehreren zurückliegenden Jahren erbrachten ärztlichen Leistungen führte. Damit ist der vorliegende Fall einer gewöhnlichen Honorierung eines Rechtsanwalts nicht vergleichbar. An der Vergleichbarkeit würde es entgegen der Auffassung des Klägers auch dann fehlen, wenn ein Rechtsanwalt sein berufsübliches Honorar für eine mehrjährige Tätigkeit nicht durch freiwillige Zahlung des Mandanten, sondern erst aufgrund einer Honorarklage erhielte.

Kinderbetreuungskosten für unter dreijährige Kinder

Die Beteiligten stritten um die Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten. In ihrer Steuererklärung für das Jahr 2008 machten die Kläger für ihre 2004, 2006 und 2007 geborenen Kinder Betreuungskosten in Höhe von insgesamt 6.828,52 Euro (Beiträge für den Kindergarten und Au-pair-Kosten) geltend. Das beklagte Finanzamt erkannte nur die Kindergartenbeiträge für das erstgeborene und das zweitgeborene Kind sowie 1/3 der Au-pair-Kosten (insgesamt 4.267,17 Euro) dem Grunde nach als Kinderbetreuungskosten an und gewährte einen Sonderausgabenabzug in Höhe von 2.845 Euro.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Ein Abzug als erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten des Klägers scheide aus, da die Klägerin im Streitjahr nicht erwerbstätig gewesen sei. Ebenso wenig komme ein weiterer Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Betracht. Zwar sei der Kläger im Streitjahr erwerbstätig gewesen, die Klägerin habe sich aber weder in Ausbildung befunden noch sei sie behindert oder krank gewesen. Bei der Schwangerschaft und Stillzeit handele es sich nicht um eine Krankheit. Schließlich erlaube § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG einen Abzug nur für drei- bis fünfjährige Kinder.

Der beschränkte Abzug von Kinderbetreuungskosten verstoße auch nicht gegen verfassungsrechtliche Anforderungen. Eine „größere Zahl von Kindern“, die die steuerliche Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten bei Erwerbstätigkeit des einen Elternteils nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geboten erscheinen lassen könnte, sei bei drei Kindern noch nicht gegeben.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat auch hier die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Düsseldorf, Pressemitteilung vom 03.04.2013 zum Urteil 14 K 1455/11 vom 20.12.2012

Einheitliche Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung

Einkommensteuerbescheid des Kindes kein Grundlagenbescheid für die Kindergeldfestsetzung – Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts

Urteil vom 20.12.2012, III R 33/12

1. Erzielt ein Kind gewerbliche Einkünfte und steht ihm hinsichtlich der Gewinnermittlungsart ein Wahlrecht zwischen dem Betriebsvermögensvergleich und der Einnahme-Überschussrechnung zu, so kann dieses Wahlrecht auch bei der für die Kindergeldfestsetzung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 notwendigen Ermittlung der Einkünfte des Kindes nur vom Kind und nicht vom Kindergeldberechtigten ausgeübt werden.

2. Hat das Kind das Gewinnermittlungswahlrecht wirksam ausgeübt, so ist die gewählte Gewinnermittlungsart sowohl im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kind als auch im Rahmen der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kindergeldberechtigten der Ermittlung der Einkünfte des Kindes zugrunde zu legen.

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.12.2012, III R 33/12

Einheitliche Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts bei der Einkommensteuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung –  Einkommensteuerbescheid des Kindes kein Grundlagenbescheid für die Kindergeldfestsetzung – Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts

Leitsätze

1. Erzielt ein Kind gewerbliche Einkünfte und steht ihm hinsichtlich der Gewinnermittlungsart ein Wahlrecht zwischen dem Betriebsvermögensvergleich und der Einnahme-Überschussrechnung zu, so kann dieses Wahlrecht auch bei der für die Kindergeldfestsetzung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 notwendigen Ermittlung der Einkünfte des Kindes nur vom Kind und nicht vom Kindergeldberechtigten ausgeübt werden.

 

2. Hat das Kind das Gewinnermittlungswahlrecht wirksam ausgeübt, so ist die gewählte Gewinnermittlungsart sowohl im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem Kind als auch im Rahmen der Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kindergeldberechtigten der Ermittlung der Einkünfte des Kindes zugrunde zu legen.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog für ihren am … November 1984 geborenen Sohn (S) Kindergeld. Bis 21. Juli 2006 befand sich S in einem Berufsausbildungsverhältnis. Vom 31. August 2006 bis 1. Juli 2007 absolvierte er eine einjährige Fachschulausbildung.
2
S erzielte im Streitzeitraum 2006 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit. Für Zwecke der Besteuerung ermittelte S seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit einem unter dem 10. April 2008 erstellten Jahresabschluss gemäß § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG), den er beim zuständigen Finanzamt (FA) einreichte. Danach ergab sich ein Verlust in Höhe von 8.964,15 EUR.
3
In ihrer im April 2008 bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) eingereichten Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des S gab die Klägerin hingegen einen gewerblichen Verlust in Höhe von 12.437 EUR an, der mittels einer Einnahme-Überschussrechnung vom 11. April 2008 ermittelt wurde. Danach hätten sich nach Berechnung der Klägerin Einkünfte und Bezüge in Höhe von 5.158,79 EUR ergeben.
4
Die Familienkasse setzte jedoch nur einen gewerblichen Verlust in Höhe von 8.964,15 EUR an und ermittelte danach Einkünfte und Bezüge in Höhe von 8.861,36 EUR. Mit Bescheid vom 30. September 2008 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar 2006 bis Dezember 2006 gemäß § 70 Abs. 4 EStG auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 1.848 EUR von der Klägerin zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass S sein Gewinnermittlungswahlrecht durch die Aufstellung des Jahresabschlusses ausgeübt habe und daher auch im Kindergeldfestsetzungsverfahren an die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG gebunden sei.
6
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
7
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG, den Aufhebungsbescheid vom 30. September 2008 sowie die Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2011 aufzuheben.

8
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin kein Kindergeldanspruch zusteht, weil die Einkünfte und Bezüge des S im Streitzeitraum 2006 den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten haben.
10
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Satz 2 EStG in der im Streitzeitraum 2006 geltenden Fassung ist ein Kind, das noch nicht das 27. Lebens-jahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird, nur zu berücksichtigen, wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR nicht übersteigen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist unter dem Begriff der Einkünfte i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entsprechend der Definition in § 2 Abs. 2 EStG bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn (§§ 4 bis 7k EStG) und bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 bis 9a EStG) zu verstehen (vgl. Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 69/09, BFHE 236, 298, BStBl II 2012, 888, m.w.N.). Ebenso ist für die zeitliche Zuordnung der Einkünfte auf den Einkünftebegriff des § 2 Abs. 2 EStG abzustellen. Daher ist –entgegen der Auffassung der Klägerin– das Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG nur im Rahmen der Überschusseinkunftsarten des § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzuwenden, lässt nach § 11 Abs. 1 Satz 5 EStG dagegen die für die Gewinneinkunftsarten des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG geltenden Sondervorschriften (§ 4 Abs. 1, § 5 EStG) unberührt (Senatsurteil in BFHE 236, 298, BStBl II 2012, 888).
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b) aa) Die Familienkasse hat die Höhe der Einkünfte und Bezüge eines Kindes selbständig und ohne Bindung an den Inhalt eines für das Kind ergangenen Einkommensteuerbescheids zu ermitteln. Dem für das Kind ergangenen Einkommensteuerbescheid kommt für die Festsetzung des Kindergelds keine Bindungswirkung zu, es handelt sich dabei nicht um einen Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296; Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2008 III B 109/08, BFH/NV 2009, 160). Unerheblich ist daher auch, dass die Klägerin mangels Beschwer nicht gegen die Einkommensteuerfestsetzung gegenüber dem S vorgehen kann. Da sie durch eine fehlerhafte Einkünfteberechnung der Familienkasse beschwert wäre, stünden ihr insoweit ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung.
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bb) Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass das steuerpflichtige Kind steuerliche Wahlrechte für Zwecke der Steuerfestsetzung und der Kindergeldfestsetzung unterschiedlich ausüben könnte. Da der Einkünftebegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dem des § 2 Abs. 2 EStG entspricht, sind auch die für die einzelnen Einkunftsarten geltenden Einkunftsermittlungsvorschriften zu beachten (vgl. etwa Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/ Raupach –HHR–, § 32 EStG Rz 136). Insoweit bestimmen die für die einzelnen Einkunftsarten geltenden Vorschriften des materiellen und formellen Steuerrechts, ob und gegebenenfalls in welcher Art und Weise ein steuerliches Wahlrecht ausgeübt wird. Hat der Steuerpflichtige für Zwecke der Einkommensteuerfestsetzung ein steuerrechtliches Wahlrecht wirksam in bestimmter Weise ausgeübt, ist dies deshalb auch für die Einkünfteberechnung im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG maßgebend.
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2. a) aa) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG müssen Gewerbetreibende, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, für den Schluss des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 EStG), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Trifft sie eine solche Verpflichtung nicht und führen sie keine Bücher und machen sie keine Abschlüsse, können sie nach § 4 Abs. 3 EStG als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen. Nicht buchführungspflichtige Gewerbetreibende, die auch freiwillig keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, haben danach das Recht, zwischen der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG und nach § 4 Abs. 3 EStG zu wählen (BFH-Urteile vom 19. März 2009 IV R 57/07, BFHE 224, 513, BStBl II 2009, 659, und vom 21. Juli 2009 X R 46/08, BFH/NV 2010, 186).
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bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin steht das Wahlrecht nur dem Steuerpflichtigen, d.h. im vorliegenden Fall dem Kind S, zu. Dass die Einkünfte des Kindes über § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den Kindergeldanspruch der Klägerin beeinflussen, bedeutet nicht, dass einkommensteuerrechtliche Wahlrechte des Kindes im Kindergeldfestsetzungsverfahren vom Kindergeldberechtigten ausgeübt werden können. Die Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enthält nur eine Anknüpfung an die Definition des Einkünftebegriffs des § 2 Abs. 2 EStG, sie führt indessen nicht dazu, dass hinsichtlich der Person des Steuerpflichtigen das Kind durch den Kindergeldberechtigten ersetzt würde. Folglich kann es auch nicht zu dem von der Klägerin angegriffenen Übergang einer von S freiwillig übernommenen Buchführungspflicht auf die Klägerin kommen.
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Diese Auslegung widerspricht nicht dem von der Klägerin zitierten BFH-Urteil vom 30. September 1980 VIII R 201/78 (BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301). In diesem Fall ging es um die Frage, ob der Steuerpflichtige eine Wahl zwischen den Gewinnermittlungsarten getroffen haben kann, wenn er bestreitet, gewerblich tätig geworden zu sein. Diese Frage stellt sich im Streitfall nicht.
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b) Das Wahlrecht zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG entfällt erst mit der Erstellung des Abschlusses, nicht hingegen bereits mit der Einrichtung der Buchführung. Da der Steuerpflichtige den Abschluss erst nach Ablauf des Gewinnermittlungszeitraums erstellt, wird die Wahl zwischen den Gewinnermittlungsarten auch erst durch den Abschluss und folglich nicht bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahres ausgeübt (BFH-Urteil in BFHE 224, 513, BStBl II 2009, 659, m.w.N.).
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Hat der Steuerpflichtige wirksam die Einnahme-Überschussrechnung als Gewinnermittlungsmethode gewählt, kann er nicht später für das betreffende Wirtschaftsjahr diese Wahl rückgängig machen und die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich wählen (BFH-Urteil vom 8. Oktober 2008 VIII R 74/05, BFHE 223, 261, BStBl II 2009, 238; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, §§ 4, 5 Rz 1504).
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Ebenso scheidet die Wahl der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich aus, wenn der Steuerpflichtige nicht zeitnah zu Beginn des Gewinnermittlungszeitraums eine Eröffnungsbilanz aufgestellt und eine den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechende (zur Geltung bei freiwillig Buchführenden s. HHR/Stobbe, § 5 EStG Rz 35) Buchführung eingerichtet hat (BFH-Urteil in BFHE 224, 513, BStBl II 2009, 659).
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c) Ein Einzelunternehmer hat seine Einnahme-Überschussrechnung bzw. seinen Bestandsvergleich in dem Zeitpunkt erstellt, in dem er sie bzw. ihn fertiggestellt hat und objektiv erkennbar als endgültig ansieht (vgl. hierzu Blümich/Ehmcke, § 6 EStG Rz 44). Als Beweisanzeichen dafür, dass der Einzelunternehmer die fertiggestellte Gewinnermittlung als endgültig ansieht, kann u.a. die Tatsache gewertet werden, dass er sie in den Rechtsverkehr begibt (z.B. Übersendung an das FA).
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3. Das FG ist von den vorgenannten Grundsätzen ausgegangen.
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Es hat festgestellt, dass S nicht gesetzlich verpflichtet gewesen ist, Bücher zu führen, jedoch freiwillig Bücher geführt und für 2006 einen Abschluss durch Betriebsvermögensvergleich erstellt hat. Nach den Feststellungen des FG wurde der Bestandsvergleich auch zeitlich vor der Einnahme-Überschussrechnung erstellt. Denn S hat bereits am 10. April 2008 den Bestandsvergleich fertiggestellt. Er hat diesen auch objektiv erkennbar als endgültig angesehen, was sich daraus ergibt, dass er ihn nach den Feststellungen des FG beim FA eingereicht hat. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Einnahme-Überschussrechnung (11. April 2008) war das Wahlrecht bereits wegen des zeitlich früher erfolgten Bestandsvergleichs verbraucht.
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Dahingestellt lassen kann der Senat, ob sich etwas anderes ergäbe, wenn –wie von der Klägerin vorgetragen– zunächst die Einnahme-Überschussrechnung erstellt, diese dann aber erst später als der Bestandsvergleich ausgedruckt worden wäre. Denn insoweit handelt es sich um ein im Revisionsverfahren unbeachtliches neues Vorbringen (§ 118 Abs. 2 FGO). Weder hat die Klägerin ausweislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils diesen Sachverhalt im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen noch hat sie insoweit einen –befristeten– Antrag auf Tatbestandsberichtigung gemäß § 108 Abs. 1 FGO gestellt. Ebenso wenig hat sie eine Verfahrensrüge wegen einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht seitens des FG erhoben.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin