Eine nach Altersstufen gestaffelte Sozialplan-Abfindung ist EU-Rechts konform

Eine nach Altersstufen gestaffelte Sozialplan-Abfindung ist EU-Rechts konform

Rechtslage

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und europarechtliche Richtlinien verbieten eine diskriminierende Behandlung von Arbeitnehmern unter anderen wegen des Alters und insbesondere im Arbeitsrecht. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist es aus Diskriminierungsgesichtspunkten zulässig, bei Kündigungen sogenannte Altersgruppen zu bilden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte nunmehr darüber zu befinden, ob eine nach Altersstufen gestaffelte Sozialplan-Abfindung eine diskriminierende Maßnahme darstellt oder nicht.

Sachverhalt

Im Rahmen einer Umstrukturierung wurde zwischen dem beklagten Arbeitgeber und dem bei ihm gebildeten Betriebsrat eine Sozialplanabfindung ausgehandelt, deren Höhe sich nach Altersstufen staffelte (erst ab dem 40. Lebensjahr wurde eine 100 % Abfindung gezahlt). Hiergegen klagte eine – bei ihrer Kündigung 38-jährige – Arbeitnehmerin, die nur 90 % des aus ihrer Betriebszugehörigkeit und ihres Bruttomonatsverdienstes errechneten Abfindungsbetrags erhalten sollte. Sie unterlag schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht.

Entscheidung

Das Gericht sah die dem Grunde nach diskriminierende, alleine altersabhängige, Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer aus sachlichem Grund als gerechtfertigt an. Die Bildung von Altersstufen sei gerechtfertigt, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt tendenziell schlechtere Erfolgsaussichten hätten. Die konkrete Ausgestaltung der Altersstufen müsse dabei lediglich verhältnismäßig sein und die berechtigten Belange der benachteiligten Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigen. Dies sei im konkreten Fall deshalb berücksichtigt, weil die prozentualen Abschläge in den benachteiligten Altersgruppen mit jeweils 10 % gering ausgefallen seien.

Konsequenz

Die Entscheidung überrascht nicht; sie folgt der Rechtsprechung zur Altersgruppenbildung bei Kündigungen. Besonderes Augenmerk ist allerdings auf die Bildung der Altersgruppen zu richten.

Hierarchieabbau rechtfertigt keine betriebsbedingte Kündigung

Hierarchieabbau rechtfertigt keine betriebsbedingte Kündigung

Rechtslage

Grundsätzlich sind unternehmerische Entscheidungen, die zum Wegfall eines Arbeitsplatzes und damit zu einer betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers führen, im arbeitsgerichtlichen Verfahren nur begrenzt überprüfbar. Insbesondere darf die unternehmerische Entscheidung nicht unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sein. Soweit dies nicht der Fall ist, ist die betriebsbedingte Kündigung wirksam; eine weitergehende Prüfung erfolgt nicht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer jüngeren Entscheidung die Prüfungskriterien für den Fall angehoben, dass die unternehmerische Entscheidung in der Rationalisierung einer Hierarchieebene im Unternehmen besteht.

Sachverhalt

Der Kläger war beim beklagten Arbeitgeber in leitender Position beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingte mit der Begründung, dass die Stelle des Klägers unter anderem wegen schlechter wirtschaftlicher Ergebnisse ersatzlos gestrichen werde. Die bisher dem Kläger zugewiesenen Aufgaben würden zukünftig auf die hierarchisch nachfolgende Ebene verteilt. Mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegte der Kläger.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass unternehmerische Entscheidungen des Arbeitsgebers, die zur Kündigung führen, im Rahmen einer Kündigungsschutzklage zwar nur daraufhin überprüfbar seien, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Etwas anderes gelte aber dann, wenn unternehmerische Entscheidung und Kündigungsentschluss quasi deckungsgleich seien. Sei dies der Fall, müsse der Arbeitgeber darlegen, ob für den Arbeitnehmer nicht andere Einsatzmöglichkeiten bestünden, oder ob der Beschäftigungsbedarf tatsächlich entfallen sei. Im konkreten Fall war dies deshalb zweifelhaft, weil die Arbeitnehmer der nachgelagerten Hierarchieebene voll ausgelastet waren.

Konsequenz

Das Bundesarbeitsgericht verschärft jedenfalls für eine bestimmte unternehmerische Entscheidung die Kriterien für die Zulässigkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Läuft die unternehmerische Entscheidung letztlich auf den Abbau einer Hierarchieebene, verbunden mit einer Umverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben hinaus, gelten erhöhte Begründungsmaßstäbe.

Verpflichtung zur Einrichtung einer Sammelkennung für Betriebsrats-PC

Verpflichtung zur Einrichtung einer Sammelkennung für Betriebsrats-PC

Rechtslage

Das „Hineinregieren“ des Arbeitgebers in die Selbstbestimmung des Betriebsrates ist regelmäßiger Streitpunkt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte nunmehr aus Anlass der Frage, ob sich Betriebsratsmitglieder individualisiert in einen Betriebsrats-PC einwählen müssen oder nicht, über das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung des Betriebsrates und Datenschutz zu entscheiden.

Sachverhalt

Arbeitgeber und Betriebsrat stritten darüber, ob die im Unternehmen geltenden Datenschutz-Bestimmungen auch für die Arbeit mit und am Computer des Betriebsrats gelten. Konkret verlangte der Betriebsrat für die Anmeldung zum Betriebsrats-PC eine Sammelkennung. Dies begründete er mit der Befürchtung, dass bei einer individuellen Kennung das Nutzungsverhalten der einzelnen Betriebsratsmitglieder vom Arbeitgeber überwacht würde. Der Arbeitgeber verwies auf eine Betriebsvereinbarung, die eine individuelle Anmeldung vorschreibe. Der Betriebsrat verarbeite zudem auf seinem Personalcomputer personenbezogene Daten; ein Gruppenaccount sei deshalb datenschutzrechtlich unzulässig. Mit seinem Antrag verlangte der Betriebsrat eine Sammelkennung und obsiegte (zunächst) im Beschwerdeverfahren.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht entschied, der Betriebsrat bestimme allein, wie sein Personalcomputer konfiguriert werde und in welcher Weise sich Benutzer anzumelden haben. Auch die Betriebsvereinbarung zum Datenschutz stehe diesem Grundsatz nicht entgegen. Denn die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Betriebs gelten aufgrund des Eigenorganisationsrechts des Betriebsrates für die Arbeit am Betriebsrats-PC nur, soweit der Betriebsrat diese für sachgerecht erachte. Auch datenschutzrechtlich gelte nichts anderes, weil das Betriebsverfassungsrecht (als spezielleres Recht vor dem Datenschutzgesetz) Vorschriften über den Umgang mit personenbezogenen Daten enthalte.

Konsequenz

Die Entscheidung überzeugt angesichts der datenschutzrechtlichen Implikationen nicht. Angesichts dessen hat das Landesarbeitsgericht den Gang zum Bundesarbeitsgericht auch ausdrücklich zugelassen. Hier wird eine Abwägung zwischen Eigenorganisationsrecht des Betriebsrates und Datenschutz erfolgen müssen.

Bindung an Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen

Bindung an Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen

Rechtslage

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können grundsätzlich den Verzicht auf Kündigungen vereinbaren. Ein Kündigungsverzicht wird seitens des Arbeitgebers regelmäßig dann erklärt, wenn die Arbeitnehmer im Gegenzug auf Leistungen des Arbeitgebers (z. B. Weihnachts- oder Urlaubsgeld) verzichten. Das Arbeitsgericht Duisburg hatte nunmehr über die Wirkung eines vereinbarten Kündigungsverzichts zu entscheiden, wobei die ausgesprochenen Kündigungen unter anderem zur Abwendung einer Insolvenz des Unternehmens und unter erheblichem Druck der kreditgewährenden Banken erfolgten.

Sachverhalt

Der beklagte Arbeitgeber hatte eine Vereinbarung geschlossen, wonach ordentliche betriebsbedingte Kündigungen als Gegenleistung für einen Verzicht auf Weihnachtsgeld bis zum 31.12.2011 ausgeschlossen sind. Dennoch kündigte er im Januar 2011 mehr als 100 Arbeitnehmern außerordentlich. Zur Begründung machte er geltend, dass die Kündigungen erforderlich gewesen seien, um eine drohende Insolvenz abzuwenden. Die von 3 gekündigten Arbeitnehmern erhobenen Kündigungsschutzklagen hatten Erfolg.

Entscheidung

Nach Ansicht der Richter steht der Wirksamkeit der Kündigungen der vereinbarte Kündigungsverzicht entgegen. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Kündigungen zur Insolvenz-Abwendung erforderlich gewesen seien; insbesondere sei es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen, den Schutzzeitraum abzuwarten. Zudem sei der Verzicht in Kenntnis der schwierigen finanziellen Situation vereinbart worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht dadurch, dass ein Dritter – hier die Hausbank – Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt habe. Die Zulässigkeit der Kündigung bemesse sich nicht nach externen Faktoren, auch wenn diese eine Sanierung des Unternehmens ermöglichen sollen.

Konsequenz

Auch wenn die Entscheidung insbesondere angesichts der Insolvenzgefahr hart anmutet, ist sie dem Grunde nach zutreffend, denn der vereinbarte Kündigungsverzicht hat vertragliche Wirkung. Alternativ hätte dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, mit einzelnen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge zu schließen.

Vereinfachungsregeln für Umsätze von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben

Vereinfachungsregeln für Umsätze von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben

Alte Rechtslage

Abschnitt 24.6 Abs. 1 UStAE enthält Vereinfachungsregelungen für bestimmte Umsätze von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und lautet: „Werden im Rahmen eines pauschalierten land- und forstwirtschaftlichen Betriebes auch der Regelbesteuerung unterliegende Umsätze ausgeführt (z. B. Lieferungen zugekaufter Erzeugnisse, Erbringung sonstiger Leistungen, die nicht landwirtschaftlichen Zwecken dienen), können diese unter den Voraussetzungen des Abs. 2 aus Vereinfachungsgründen in die Durchschnittssatzbesteuerung einbezogen werden. Unter den gleichen Voraussetzungen kann aus Vereinfachungsgründen von der Erhebung der Steuer auf die Umsätze mit Getränken und alkoholischen Flüssigkeiten verzichtet werden.“ Voraussetzung war insbesondere, dass die genannten Umsätze im Kalenderjahr nicht mehr als 4.000 EUR betrugen (Abschnitt 24.6 Abs. 2 Nr. 1 UStAE). Ob diese Umsatzgrenze eingehalten wurde, ist endgültig erst mit Ablauf des Kalenderjahres erkennbar. Bereits im Laufe des Jahres ist aber bei der Versteuerung der entsprechenden Umsätze und der Rechnungserteilung über die Anwendbarkeit der Durchschnittssatzbesteuerung zu entscheiden.

Neue Rechtslage

Mit Schreiben vom 8.4.2011 hat das Bundesfinanzministerium den Umsatzsteueranwendungserlass geändert; zukünftig ist die Umsatzgrenze (Abschnitt 24.6 Abs. 2 Nr. 1 UStAE) im Interesse der Rechtssicherheit und zur Vermeidung rückwirkender Rechnungskorrekturen im Wege einer Vorausschau zu Beginn des Kalenderjahres zu prüfen. Abschnitt 24.6 Abs. 2 Nr. 1 UStAE lautet daher nun wie folgt: „1. Die in Abs. 1 genannten Umsätze betragen voraussichtlich insgesamt nicht mehr als 4.000 EUR im laufenden Kalenderjahr.“ Das Schreiben des Bundesfinanzministeriums ist auf nach dem 31.12.2010 ausgeführte Umsätze anzuwenden.

Volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus 8 neuen EU-Mitgliedsstaaten ab Mai

Volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus 8 neuen EU-Mitgliedsstaaten ab Mai

Hintergrund

Zum 1.5.2004 traten insgesamt 8 osteuropäische Staaten (insbesondere Polen, die Slowakei sowie die Baltischen Republiken) der Europäischen Union bei. Um damals den europäischen Arbeitsmarkt vor „Lohndumping“ aus Osteuropa zu schützen, wurde in den Beitrittsverträgen allerdings vereinbart, dass die europarechtliche (Arbeitnehmer-)Freizügigkeit frühestens nach Ablauf von 3 Jahren mit 2-maliger jeweils 2-jähriger Verlängerungsoption in Kraft treten sollte. Deutschland hat von dieser Maximalbefristung Gebrauch gemacht; zum 1.5.2011 kann das Wirksamwerden der uneingeschränkten (Arbeitnehmer-)Freizügigkeit aber nicht mehr verhindert werden.

Rechtslage ab dem 1.5.2011

Arbeitnehmer aus den Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Tschechischen Republik und Ungarn genießen ab dem 1.5.2011 volle Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Sie können dann bei einem inländischen Arbeitgeber in Deutschland ohne Arbeitserlaubnis arbeiten. Möglich ist aber, dass in einzelnen Branchen (z. B. Landwirtschaft) und besonderen arbeitsrechtlichen Strukturen (z. B. kurzfristige Arbeitsverhältnisse) besondere sozialversicherungsrechtliche Regelungen einzuhalten sind. Darüber hinaus gelten für osteuropäische Arbeitnehmer die gleichen gesetzlichen Rahmenbedingungen (einschließlich z. B. Mindestlöhne) wie für deutsche Arbeitnehmer.

Konsequenz

Ab dem 1.5.2011 gelten für viele osteuropäische Arbeitnehmer dieselben Regelungen, wie sie bereits für alle anderen EU-Bürger bei der Arbeit in Deutschland bestanden. Für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien, die 2007 der Europäischen Union beigetreten sind, gelten weiterhin Zugangsbeschränkungen.

Ersatz von Aufwendungen vor Auseinandersetzung einer GbR

Ersatz von Aufwendungen vor Auseinandersetzung einer GbR

Kernaussage

Während des Bestehens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) kann ein Gesellschafter, der Gesellschaftsverbindlichkeiten erfüllt, seine Mitgesellschafter – beschränkt auf deren Verlustanteil – auf Aufwendungsersatz in Anspruch nehmen, wenn er die Aufwendungen für erforderlich halten durfte und der Gesellschaft selbst keine freien Mittel zur Verfügung stehen.

Sachverhalt

Die Parteien des Rechtsstreits und eine weitere Verfahrensbeteiligte schlossen eine Vereinbarung, deren Gegenstand die Bebauung und Verwertung eines zuvor von der Klägerin erworbenen Baugrundstücks war. Der aus dem Geschäft erzielte Überschuss oder Verlust sollte zu 50 % auf die Klägerin, zu 40 % auf die Beklagte und zu 10 % auf die weitere Verfahrensbeteiligte aufgeteilt werden. Die Durchführung und Überwachung des Vorhabens oblag den Vertragsbeteiligten gemeinsam. Nachdem die letzte Wohneinheit im Jahr 2006 veräußert wurde, rechnete das finanzierende Kreditinstitut das Baukonto mit einer Verbindlichkeit von rd. 40.000 EUR ab. Diesen Saldo beglich die Klägerin aus ihren eigenen Mitteln, nachdem sie die Beklagte zuvor fruchtlos aufgefordert hatte, einen anteiligen Kontoausgleich vorzunehmen. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage einen anteiligen Ausgleich und bekam vor dem Landgericht Recht. Auf die Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht (OLG) die Klage ab, da der erhobene Zahlungsanspruch mangels Auseinandersetzungsreife der GbR nicht fällig sei.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtstreit an das OLG zurück. Jeder Gesellschafter der GbR kann bereits während des Bestehens der Gesellschaft die von ihm gemachten Aufwendungen, die er für erforderlich halten durfte, von der Gesellschaft ersetzt verlangen. Zwar richtet sich der Ersatzanspruch (§§ 713, 670 BGB) primär gegen die Gesellschaft als solche und ist aus ihrem Vermögen zu begleichen. Kann der Gesellschafter aus der Gesellschaftskasse keinen Ausgleich erlangen, kann er gegen seine Mitgesellschafter, beschränkt auf deren Verlustanteil, Rückgriff nehmen. Dabei genügt, dass der Gesellschaft freie Mittel nicht zur Verfügung stehen.

Konsequenz

Mit dem vorliegenden Urteil hat sich der BGH erneut zur Frage des Ausgleichsanspruchs eines GbR-Gesellschafters geäußert, wenn dieser auf eine Verbindlichkeit der Gesellschaft leistet. Entgegen der bisherigen Auffassung kann der Gesellschafter einen Aufwendungsersatzanspruch gegen seine Mitgesellschafter nunmehr unmittelbar aus dem Gesetz herleiten. Nach bisheriger Rechtsprechung richtete sich der Anspruch nur gegen das Gesellschaftsvermögen. Ein anteiliger Ausgleichsanspruch wurde bislang aus der gesamtschuldnerischen Haftung (§ 426 BGB) hergeleitet.

Kein Anspruch des ausgeschlossenen Minderheitsaktionärs auf Ausgleichszahlung

Kein Anspruch des ausgeschlossenen Minderheitsaktionärs auf Ausgleichszahlung

Kernaussage

Sind alle Aktien der Minderheitsgesellschafter im Zeitpunkt der ordentlichen Hauptversammlung infolge des zwangsweisen Ausschlusses (Squeeze-Out) und Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister auf den Hauptaktionär übergegangen, kann eine den Minderheitsaktionären aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zugesagte Ausgleichszahlung für das zurückliegende Geschäftsjahr nicht mehr verlangt werden.

Sachverhalt

Die Kläger waren Aktionäre der Wella AG. Zwischen der AG und der Beklagten (Procter & Gamble) als herrschendem Unternehmen wurde im Jahr 2004 ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen, wonach die AG zur Abführung der Gewinne an die Beklagte verpflichtet war. Hierfür schuldete die Beklagte eine Ausgleichszahlung in Höhe von 3,83 EUR je Vorzugsaktie. Der Ausgleich sollte jeweils einen Tag nach der ordentlichen Hauptversammlung der AG für das abgelaufene abweichende Geschäftsjahr fällig werden. Im Herbst 2005 hielt die Beklagte 95 % des Grundkapitals. Im Dezember 2005 beschloss die Hauptversammlung der AG auf Verlangen der Beklagten ein Squeeze-Out gegen Gewährung einer Barabfindung von 80,37 EUR je Stückaktie (§ 327a AktG). Der Übertragungsbeschluss wurde nach Verzögerungen im November 207 ins Handelsregister eingetragen. Im Januar 2008 fand die ordentliche Hauptversammlung der AG für das Geschäftsjahr 2006/2007 statt. Die Kläger verlangen die Zahlung eines Ausgleichs für dieses Geschäftsjahr.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass die Kläger keinen Anspruch auf die geltend gemachten Ausgleichszahlungen haben. Sowohl Entstehung als auch Fälligkeit des sich periodisch aus der Ausgleichsberechtigung ergebenden Zahlungsanspruchs können im Gewinnabführungsvertrag geregelt sein. Mangels besonderer Regelung entsteht der Ausgleichsanspruch für das abgelaufene Geschäftsjahr jedes Jahr neu mit der ordentlichen Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft, da er an die Stelle des Dividendenanspruchs tritt und diesen ersetzt. Der Ausgleichsanspruch steht den zum Zeitpunkt des Entstehens vorhandenen außenstehenden Aktionären zu. Am Tag der Hauptversammlung der AG waren die Kläger infolge des Squeeze-Out nicht mehr außenstehende Aktionäre, denn mit der Eintragung des Übertragungsbeschlusses gingen die Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär über.

Konsequenz

Mit dem vorliegenden Rechtsstreit dürfte der BGH eine Grundsatzentscheidung zu Ausgleichszahlungen bei einem Zwangsausschluss von Minderheitsgesellschaftern getroffen haben. Wenn der Gewinnabführungsvertrag keine Regelungen über die Entstehung und Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs enthält, bestand hinsichtlich dieser Zeitpunkte bisher ein Meinungsstreit. Dieser dürfte nunmehr entschärft sein.

Anerkennung von grenzüberschreitenden Organschaften

Anerkennung von grenzüberschreitenden Organschaften

Kernproblem

Verpflichtet sich eine inländische Kapitalgesellschaft, ihren gesamten Gewinn als Organgesellschaft an ein anderes gewerbliches Unternehmen als Organträger abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Organträger zuzurechnen. Die Organschaft eignet sich somit insbesondere zur Verrechnung von Gewinnen und Verlusten innerhalb von Konzernen. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung der Organschaft ist dabei u. a., dass der Organträger die Stimmrechtsmehrheit bei der Organgesellschaft innehat und seine Geschäftsleitung (früher zusätzlich auch Sitz) im Inland hat. Dies gilt für die Körperschaftsteuer ebenso wie für die Gewerbesteuer. Fraglich ist allerdings, ob der strikte Inlandsbezug der Organschaft den Anforderungen des Europa- und des Abkommensrechts standhält.

Sachverhalt

Klägerin war eine inländische GmbH, deren alleinige Gesellschafterin eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts (public privat company) war. Letztere gewährte der inländischen GmbH im Streitjahr 1999 hohe Darlehensbeträge, für die in 1999 Darlehenszinsen anfielen. Die klagende GmbH begehrte als Organgesellschaft behandelt zu werden, so dass eine Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen für Zwecke der Gewerbesteuer unterbleiben würde. Das Finanzamt sowie das Finanzgericht Hessen folgten dieser Auffassung nicht. Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klägerin im Ergebnis jedoch nunmehr recht.

Entscheidung

Der BFH erkennt vorliegend die gewerbesteuerliche Organschaft zwischen der britischen Muttergesellschaft und der deutschen Tochter-GmbH an. Zwar könne die Obergesellschaft mangels inländischer Geschäftsleitung nach dem Gesetzeswortlaut nicht Organträger sein. Allerdings sei der strikte Inlandsbezug ein Verstoß gegen das im DBA-Großbritannien vereinbarte Diskriminierungsverbot. Danach dürfen Inlandsunternehmen, die von im Ausland ansässigen Gesellschaftern beherrscht werden, steuerlich nicht schlechter behandelt werden als von Inländern beherrschte Inlandsunternehmen. Da die Organschaft schon nach abkommensrechtlichen Grundsätzen anzuerkennen war, konnte der BFH die interessante Frage nach der Europarechtskonformität der Organschaftsregelungen offen lassen.

Konsequenzen

Das Urteil kann zwar nicht unmittelbar auf das geltende Recht übertragen werden, da nach aktuellem Recht (neben der körperschaftsteuerlichen) nunmehr auch die gewerbesteuerliche Organschaft den Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags verlangt. Es ist jedoch fraglich, ob das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags europarechtlichen Anforderungen entspricht. Sofern diese Voraussetzung zukünftig aus europarechtlichen Gründen aufgehoben wird, käme dem Urteil zukünftig in grenzüberschreitenden Sachverhalten erhebliche Bedeutung zu. In diesen Fällen wären grenzüberschreitende Organschaften dann anzuerkennen, wenn die sonstigen Organschaftsvoraussetzungen erfüllt wären und das maßgebliche DBA ein Diskriminierungsverbot i. S. d. Art. 24 Abs. 5 OECD-Musterabkommen beinhaltet.

Testkauf durch das Finanzamt in „Gyros-Bude“

Testkauf durch das Finanzamt in „Gyros-Bude“

Kernproblem

„Dem Betriebsprüfer muss das Wasser im Munde zusammengelaufen sein“. So oder ähnlich denkt man beim Lesen einer Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Münster. Es fallen im Zusammenhang mit Pommes Frites, Pita, Gyros und Tzaziki Ausdrücke wie Bratverlust, innerer und äußerer Betriebsvergleich, wohlwollende Portionierung, neuer Gyros-Zuschneider, verbranntes oder gebrochenes Pita-Brot, aber auch gerichtseigener Prüfer und Ausbeutekalkulation sowie Sturzfähigkeit der Kasse. All das findet sich in der Entscheidung wieder. Wenn nicht auch der Schwund durch Gammelfleisch vorkäme, der die Annahme zu Beginn revidiert. Aber was war geschehen?

Sachverhalt

Ein Betriebsprüfer des Finanzamts hatte eine Gyros-Bude auseinandergenommen. Es war nicht schwer, die Buchführung zu widerlegen, um Hinzuschätzungen vorzunehmen, denn die Verwechslung von Euro- mit DM-Beträgen (zugegebenermaßen im Jahr der Euro-Einführung) war nur eine der Beanstandungen. Es wurde aber auch mehr Pita-Brot eingekauft, als veräußert. Dem neben anderen Argumenten gelieferten Hinweis der Griechen, das Brot sei eingefroren gewesen und anschließend gebrochen, entgegneten die Finanzrichter später, dass sich so etwas durch Auftauen des Brotes vermeiden ließe und dies auch den Betreibern bewusst gewesen sein dürfte. Beim Finanzgericht ging es dann überwiegend um die Schätzungsparameter. Das Finanzamt prüfte die Jahre 2001 und 2002 und hatte offensichtlich in 2005 und 2007 Testkäufe durchgeführt. Hier ermittelte man durchschnittlich 226 g Fleischeinlage. Die Griechen gingen von 280 g aus und begründeten dies mit Umbau, Angebotserweiterung, neuem Gyros-Zuschneider und wohlwollender Portionierung des Ehemannes einer Mitinhaberin. Welche Lösung hatte jetzt das Finanzgericht (FG) Münster parat?

Entscheidung

Jetzt kam der gerichtseigene Prüfer ins Spiel. Auch dieser hatte eine Ausbeutekalkulation vorgenommen und kam auf 255 g je Portion. Nicht nur, dass die Richter darauf hinwiesen, dass der eigene Prüfer seine Berechnungen differenzierter als das Finanzamt vorgenommen hatte. Dem Finanzamt wurde vorgeworfen, offensichtlich selbst Zweifel an der Überzeugungskraft der auf den Testkauf gestützten Kalkulation zu haben, denn es habe die Zuschätzung durch Sicherheitsabschlag um mehr als die Hälfte nach unten korrigiert. So kam man zum Ergebnis, dass die Testkäufe des Finanzamts für die Bestimmung der Schätzungsparameter nicht repräsentativ und damit unverwertbar seien. Vielmehr sei eine zeitliche Nähe zwischen Verprobungszeitraum und Testkauf erforderlich, denn nur hierdurch könne sichergestellt werden, dass zum Zeitpunkt des Testkaufs dieselben betrieblichen Verhältnisse vorherrschten, wie im Verprobungsjahr. Zudem müsse eine Ausbeutekalkulation auf eine repräsentative Anzahl von Testkäufen gestützt werden können, um Zufälligkeiten zu vermeiden.

Konsequenz

Wen es noch interessiert: Letztendlich hat das FG die Hinzuschätzung auf Basis eines äußeren Betriebsvergleichs mit Rohgewinnaufschlagsatz durchgeführt.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin