Archiv der Kategorie: Steuerrecht

Einvernehmenserklärung zum Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen

Nachfolgend steht die Einvernehmenserklärung der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika zur Ansicht und zum Herunterladen bereit.

Einvernehmenserklärung zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland 

und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei
internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit
bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations-und
Meldebestimmungen
Anlässlich der heutigen Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit
bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit
bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und
Meldebestimmungen (im Folgenden als „Abkommen“ bezeichnet) möchten die Vertreter der
Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika ihr Einvernehmen
über Folgendes bestätigen:
Zu Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a Nummer 3 des Abkommens
Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland vorsieht, dass jedes
meldende deutsche Finanzinstitut eine vom IRS ausgestellte GIIN als die in Artikel 2
Absatz 2 Buchstabe a Nummer 3 des Abkommens genannte Identifikationsnummer
verwendet.
Zu Artikel 3 (Zeitraum und Form des Informationsaustauschs) Absatz 7 des
Abkommens
Es besteht Einvernehmen darüber, dass für alle aufgrund des Abkommens ausgetauschten
Informationen Artikel 26 Absatz 1 Sätze 3 bis 5 des am 29. August 1989 in Bonn
unterzeichneten Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und
einiger anderer Steuern in der durch das am 1.Juni 2006 in Berlin unterzeichnete Protokoll
geänderten Fassung gilt und dass bei Offenlegung der ausgetauschten Informationen in einem
öffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung Artikel 26 Absatz 1 Satz 4
für alle Personen und Behörden entsprechend gilt.
Zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c des Abkommens
Es besteht Einvernehmen darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland vorsieht, dass die
deutschen Finanzinstitute den Registrierungspflichten für Finanzinstitute in Partnerstaaten
durch Registrierung bei der Bundessteuerbehörde der Vereinigten Staaten (Internal Revenue
Service, IRS) und Beantragung einer Internationalen Identifikationsnummer für Intermediäre
(Global Intermediary Identification Number, GIIN) beim IRS nachkommen.Zu Artikel 10 (Geltungsdauer des Abkommens) Absatz 1 des Abkommens
Den Vereinigten Staaten ist bekannt, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
beabsichtigt, das Abkommen 2013 zusammen mit dem Entwurf eines Durchführungsgesetzes
dem Parlament zur Genehmigung vorzulegen, damit das Abkommen und das
Durchführungsgesetz vor dem 30. September 2015 in Kraft treten können. Aufgrund dieser
Kenntnis beabsichtigt das Finanzministerium der Vereinigten Staaten, alle deutschen
Finanzinstitute im Sinne des Abkommens ab dem Tag der Unterzeichnung des Abkommens
und so lange, wie die Bundesrepublik Deutschland die für das Inkrafttreten dieses
Abkommens erforderlichen innerstaatlichen Verfahren betreibt, so zu behandeln, als würden
sie § 1471 des Steuergesetzbuchs der Vereinigten Staaten einhalten und nicht der
entsprechenden Abzugsteuer unterliegen. Den Vereinigten Staaten ist außerdem bekannt, dass
das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland beabsichtigt, sich mit dem
Finanzministerium der Vereinigten Staaten in Verbindung zu setzen, sobald es erkennt, dass
sich das deutsche innerstaatliche Genehmigungsverfahren für das Inkrafttreten des
Abkommens derart verzögern könnte, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Notifikation
nach Artikel 10 Absatz 1 des Abkommens nicht vor dem 30. September 2015 übermitteln
kann. Wird dem Finanzministerium der Vereinigten Staaten in Konsultation mit der
Bundesrepublik Deutschland glaubhaft versichert, dass diese Verzögerung voraussichtlich
innerhalb einer angemessenen Frist behoben wird, kann das Finanzministerium der
Vereinigten Staaten beschließen, FATCA weiterhin wie vorstehend beschrieben auf deutsche
Finanzinstitute anzuwenden, solange es der Auffassung ist, dass die Bundesrepublik
Deutschland ihre Notifikation nach Artikel 10 Absatz 1 voraussichtlich bis zum
30. September 2016 übermitteln kann. Sollte das Abkommen nach dem 30. September 2015
in Kraft treten, besteht Einvernehmen darüber, dass alle Informationen, die nach diesem
Datum (und vor Inkrafttreten des Abkommens) aufgrund des Abkommens meldepflichtig
gewesen wären, wenn das Abkommen bis zum 30. September 2015 in Kraft getreten wäre, an
dem 30. September, der auf den Tag des Inkrafttretens folgt, fällig sind.
Unterzeichnet in zwei Exemplaren in deutscher und englischer Sprache.
Berlin, den 31. Mai 2013
Für die Für die
Bundesrepublik Deutschland Vereinigten Staaten von Amerika
Götz Schmidt-Bremme Philip D. Murphy
Martin Kreienbaum

Kabinett stimmt Abkommen mit den USA zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu

Das Bundeskabinett hat heute die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten beschlossen. Die Bundesregierung setzt damit ein weiteres deutliches Signal im Rahmen ihrer internationalen Initiativen hin zu mehr Transparenz und Steuerehrlichkeit.

Durch das Abkommen verpflichten sich die Vertragsparteien, für die Besteuerung im jeweils anderen Staat relevante Daten von Finanzinstituten zu erheben und regelmäßig auszutauschen. Durch das Abkommen soll ausgeschlossen werden, dass durch die Einschaltung ausländischer Finanzinstitute oder Finanzdienstleister Steuern hinterzogen werden können.

Das Abkommen hat seine Grundlage in dem Musterabkommen, das Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien zusammen mit den Vereinigten Staaten erarbeitet und am 26. Juli 2012 veröffentlicht haben. Beide Vertragsparteien sehen das Abkommen als wichtigen Schritt hin zur effektiven Bekämpfung der Steuerhinterziehung.

Das Abkommen fügt sich in die jüngste internationale Entwicklung. So haben sich die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G20-Staaten bei ihrem Treffen am 19. April 2013 in Washington klar für eine Weiterentwicklung des gegenwärtigen OECD-Standards, der Zugang zu Bankinformationen nur auf Ersuchen verlangt, hin zu einem automatischen Informationsaustausch ausgesprochen und die OECD gebeten, dementsprechende Vorschläge zu machen. In diesem Sinne hatten zuvor Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen am 12. April 2013 in Dublin, Irland anlässlich des informellen EU-Finanzministertreffen angekündigt, einen automatischen Informationsaustausch zwischen ihren Staaten vorzubereiten, wie er auch Gegenstand des zu unterzeichnenden Abkommens ist. Weitere EU-Mitgliedstaaten haben sich dieser Initiative angeschlossen.

Das Abkommen steht auch im Zusammenhang mit den von den Vereinigten Staaten eingeführten Vorschriften, die als „Foreign Account Tax Compliance Act“ (FATCA) bekannt geworden sind. Danach wird auf bestimmte Erträge, insbesondere Kapitalerträge, die ein ausländisches Finanzinstitut aus US-Quellen bezieht, eine 30 %ige Quellensteuer erhoben. Diese Quellensteuer kann nur vermieden werden, wenn sich das Finanzinstitut bereit erklärt, Informationen über Konten zur Verfügung zu stellen, die für US-Personen geführt werden. Die in dem zwischenstaatlich mit den USA vereinbarten Abkommen festgelegten Berichtspflichten der Finanzinstitute machen den Quellensteuereinbehalt nun entbehrlich.

Nach dem Abkommen sollen Informationen für Zeiträume ab 2014 ausgetauscht werden.

Die Unterzeichnung des Abkommens ist für den 31. Mai 2013 in Berlin vorgesehen.

Schwarzen Schafen droht Lizenzentzug – Initiative für Maßnahmen gegen Bankenbeihilfe zur Steuerhinterziehung

Nordrhein-Westfalen wird zusammen mit Baden-Württemberg und Niedersachsen im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Beihilfe von Banken zu Steuerstraftaten einbringen. Das nordrhein-westfälische Landeskabinett hat dem Entwurf zugestimmt. Mit dem Gesetz soll die Bankenaufsicht Geschäftspraktiken von Banken, die ihren Kunden gezielt Beihilfe zur Steuerhinterziehung leisten, wirksam entgegentreten.

„Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn Banken systematisch Kunden beraten, wie sie ihr Schwarzgeld verstecken und das sogar als Kerngeschäft betreiben“, sagte Finanzminister Norbert Walter-Borjans. „Es verstößt gegen das Prinzip der Steuergerechtigkeit, wenn die ehrlichen Steuerzahler für die Löcher aufkommen müssen, die die Steuerhinterzieher in die Staatskasse reißen – und wenn ehrliche Banken Wettbewerbsverzerrungen durch unlautere Geschäftspraktiken ihrer Konkurrenten hinnehmen müssen.“

Konkret soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) durch eine Ergänzung des Kreditwesengesetzes ermächtigt werden, unmittelbar gegen Banken vorzugehen, wenn deren verantwortlich Handelnde nachhaltig Steuerstraftaten begangen haben. Den Aufsehern soll ein Maßnahmenkatalog an die Hand gegeben werden, der in schwerwiegenden Fällen auch die Schließung einer Geschäftsstelle oder einen Entzug der Lizenz des Bankhauses vorsieht.

Walter-Borjans: „Mit dieser Initiative setzen die drei Landesregierungen ihren konsequenten Kurs zu mehr Steuergerechtigkeit fort. Wir werden weiterhin alles daransetzen, die Steuerschlupflöcher im In- und Ausland zu schließen. Ich bin zuversichtlich, dass die von CDU, CSU und FDP gebildeten Landesregierungen und die Bundestagsmehrheit nach der in letzter Zeit deutlichen Positionierung gegen Steuerbetrug unserer Initiative folgen werden.“

FinMin NRW, Pressemitteilung vom 28.05.2013

Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 EStG auf 1 %

BMF zur Anwendung des BFH-Urteils vom 11. Dezember 2012 auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 EStG auf 1 %

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 – S-2244 / 12 / 10001 vom 27.05.2013

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zur Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 11. Dezember 2012 (BStBl II 2013 S. ….) Folgendes:

Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 11. Dezember 2012 (a. a. O.) ist der Begriff der Beteiligung veranlagungszeitraumbezogen auszulegen, indem das Tatbestandsmerkmal „innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt“ in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen ist.

Die Urteilsgrundsätze sind auf alle vergleichbaren Fälle im Bereich der Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 EStG von mehr als 25 % auf mindestens 10 % anzuwenden. Eine analoge Anwendung auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (StSenkG) auf 1 % ist aus nachfolgenden Gründen nicht vorzunehmen:

Seit der Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % durch das StSenkG ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG Tatbestandsvoraussetzung, dass der Steuerpflichtige „innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war“. Anders als die Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ab dem Veranlagungszeitraum 1999 enthält § 17 Abs. 1 EStG i. d. F. des StSenkG den Begriff der Wesentlichkeit der Beteiligung nicht mehr.

Quelle: BMF

Unternehmereigenschaft – Millionenklage gegen Brandenburg ohne Erfolg

Das OLG Brandenburg hat im Rechtsstreit um die Aberkennung der umsatzsteuerrechtlichen Unternehmereigenschaft bei einem Unternehmen in der Aufbauphase die Millionenklage der DEUBA Glas Großräschen GmbH i. L. abgewiesen.

 Brandenburgisches Oberlandesgericht 28.05.2013 U 13/08

Die DEUBA Glas Großräschen GmbH i. L. (Klägerin) wurde im Jahr 1992 gegründet. Sie war Teil einer aus fünf GmbHs bestehenden Unternehmensgruppe, an der der bayerische Unternehmer Dr. Peter Niedner als Geschäftsführer und Gesellschafter beteiligt war. Die Unternehmensgruppe befasste sich mit der Herstellung von neuen Baustoffen, sog. KeraGlas und KeraBims, die auf einer Betriebsstätte in Großräschen hergestellt werden sollten. Eines der Betriebsgrundstücke war kontaminiert und sollte aufgrund eines im August 1992 geschlossenen Sanierungsvertrages mit der Treuhandanstalt von der Klägerin saniert werden. Es kam zum Streit zwischen den Vertragsparteien, der zur Kündigung des Vertrages durch die Treuhandanstalt im August 1993 führte. Den gegen die Treuhandanstalt geführten Rechtsstreit hat die Klägerin verloren.

Das Finanzamt leitete im März 1994 eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin ein. Diese endete mit einem Prüfbericht vom 01.12.1994, wonach im Hinblick auf Abriss- und Aufräumarbeiten auf fremden Boden die Unternehmereigenschaft anerkannt, aber im Hinblick auf die Errichtung eines KeraGlas-Werks versagt wurde. Auf dieser Grundlage ergingen ab Februar 1995 entsprechende Umsatzsteuerbescheide. Darin wurde die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin hinsichtlich der angemeldeten Umsätze zur Errichtung eines Glaswerks verneint. Die Klägerin stellte am 02.12.1996 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens (heute: Insolvenzverfahrens), der mangels Masse zurückgewiesen worden ist. Die Klägerin befindet sich seitdem in Liquidation.

Die Klägerin hat im Jahre 2005 Klage erhoben und vom Land Brandenburg Schadensersatz mit der Begründung begehrt, die Finanzbehörden hätten ihr in der Aufbauphase zu Unrecht die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft aberkannt. Ihre Schadensersatzforderung hat sie im Prozess zunächst mit rund 34 Mio. Euro, zuletzt mit 66 Mio. Euro beziffert. Zuzüglich Zinsen seit 1996 macht dies einen Betrag in Höhe von rund 100 Mio. Euro aus. Dabei handelt es sich um den behaupteten Unternehmenswert der Klägerin zum Stichtag 31.12.1994, der durch das Verhalten der Finanzbehörden vernichtet worden sein soll.

Das LG Cottbus hatte die Klage abgewiesen und die Klageforderung – damals noch 34 Mio. Euro zuzüglich Zinsen – als verjährt angesehen. Das OLG Brandenburg wies die Berufung der Klägerin mit derselben Begründung zurück. Der BGH hat auf die Revision der Klägerin dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Daraufhin wurden weitere Zeugen vernommen.

Das OLG Brandenburg hat nunmehr erneut die Berufung zurückgewiesen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kommt ein auf einem Verstoß gegen europäisches Recht beruhender Staatshaftungsanspruch gegen das Land Brandenburg auf der Grundlage des nunmehr im Wege der Beweiserhebung festgestellten Sachverhalts nicht in Betracht. Es müsse nicht entschieden werden, ob die Finanzbehörden gegen eine europäische Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts verstoßen und der Klägerin zu Unrecht die Unternehmereigenschaft und damit die Vorsteuerabzugsberechtigung aberkannt hätten.

Denn die behauptete Aberkennung der Unternehmereigenschaft ebenso wie die verzögerte bzw. unterbliebene Auszahlung von Vorsteuerbeträgen sei nach den Umständen des Falls jedenfalls nicht für den Verlust des Unternehmenswertes der Klägerin ursächlich geworden. Die Gesellschafter des Unternehmens hätten aufgrund des Streits mit der Treuhandanstalt im Zusammenhang mit der Sanierung des Betriebsgrundstücks bereits im Januar 1994 und damit schon vor dem Bekanntwerden von Zweifeln des Finanzamtes an der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin beschlossen, dass nicht die Klägerin, sondern eine ihrer Schwestergesellschaften das geplante Glaswerk errichten solle. So habe die DEUBA Glas GmbH, die später in Kera Glas GmbH umbenannt wurde und an der Herr Dr. Peter Niedner ebenfalls beteiligt war, am 10.2.1994 Fördermittel für die Errichtung einer Betriebsstätte zur Herstellung von KeraGlas bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg beantragt. Sämtliche Rechte und Pflichten aus bereits abgeschlossenen Verträgen betreffend die Glaswerkerrichtung habe die Klägerin mit einem wirksamen Vertrag am 30.06.1994 auf die Kera Glas GmbH übertragen.

Es sei auch nicht dargelegt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs für die betroffenen Umsatzsteueranmeldungen zur Insolvenz der Klägerin geführt habe. Denn sie habe ihre mangelnde Liquidität in ihrer Bilanz zum 31.12.1996 nicht mit drohenden Steuernachzahlungen begründet, sondern u. a. mit der Verurteilung zur Zahlung von 1,6 Mio. DM an die Treuhandanstalt.

Soweit die Klägerin nach Zurückverweisung der Sache durch den BGH mehr als 34 Mio. Euro nebst Zinsen beansprucht habe, sei die Klageforderung verjährt.

Das OLG Brandenburg hat die Revision zum BGH nicht zugelassen. Die Klägerin kann ein Rechtmittel zum BGH einlegen mit dem Ziel, die Zulassung der Revision zu erreichen. Die Rechtsmittelfrist beträgt einen Monat ab Zustellung des Urteils.

Vorinstanzen
LG Cottbus, Urt. v. 09.04.2008 – 5 O 72/05
OLG Brandenburg, Urt. v. 26.02.2010 – 2 U 13/08
BGH, Urt. v. 12.05.2011 – III ZR 59/10

Steuergerechtigkeit lebt davon, dass das Steuerrecht konsequent umgesetzt wird

„Steuergerechtigkeit lebt davon, dass das Steuerrecht konsequent umgesetzt wird“, sagte Finanzstaatssekretär Salvatore Barbaro heute auf dem 14. Steuerforum Rheinland-Pfalz, auf dem sich Steuerexperten aus der ganzen Republik in Andernach trafen. „Dieser Umsetzung diente auch der Ankauf einer Steuer-CD durch das Land vor wenigen Wochen. Im Sinne der Gerechtigkeit darf sich kein Steuerhinterzieher sicher vor Entdeckung sein“, sagte Barbaro.

„Wir müssen verstärkt den Kampf gegen eine überbordende Steuervermeidungskultur aufnehmen, die formales Recht bis an die Grenzen und allzu oft auch darüber hinaus ausnutzt. Da die Steuervermeidungsstrategien der großen Konzerne häufig in Gewinnverlagerungen über die Grenze bestehen, ist hier in erster Linie der Bund gefordert“, so Barbaro.

Der Staatssekretär forderte, vor allem auf OECD-Ebene müsse dafür gesorgt werden, „dass internationale Standards der Besteuerung ein Steuerdumping verhindern. Zur Not müssen nicht kooperative Länder auf graue oder schwarze Listen gesetzt und entsprechenden Sanktionen unterworfen werden.“

Referenten vom Bundesfinanzhof, von Universitäten, aus den steuerberatenden Berufen und der Finanzverwaltung geben auf dieser Fachtagung bis morgen einen praxisbezogenen Überblick über aktuelle Entwicklungen in der Steuerpolitik und diskutierten strittige Fragen.

 

Renten im Ausland

Österreich und Deutschland intensivieren Informationsaustausch

Die Finanzverwaltungen Österreichs und Deutschlands haben am 27. und 28. Mai 2013 in der Hansestadt Greifswald ihren intensiven Dialog zu steuerlichen Fragen im Zusammenhang mit grenzüberschreitend gezahlten deutschen Renten fortgesetzt. Die Besteuerung der Renten im Ausland wird seit 2009 zentral im Finanzamt Neubrandenburg und den Nebenstellen Rostock, Greifswald, Pasewalk, Schwerin und Malchin durchgeführt.

In den Gesprächen ging es insbesondere um weitere Vereinfachungen des Verfahrens durch eine bessere Einbindung der österreichischen Finanzverwaltung in den Besteuerungsprozess. Gemeinsames Ziel ist es, die Besteuerung für die Betroffenen so einfach und schonend wie möglich zu gestalten.

Die beiden Verwaltungen vereinbarten deshalb unter anderem eine Vernetzung der österreichischen „Auskunftsstelle deutsche Pension“ mit dem Finanzamt Neubrandenburg. Der Austausch von Informationen soll generell und in Einzelfällen wesentlich intensiviert werden. Im Ergebnis können dadurch die Fragen der Betroffenen bereits in Österreich kurzfristig und bürgerfreundlich geklärt werden.

Bund und Länder hatten sich 2008 darauf geeinigt, die Zuständigkeit für die Besteuerung der Renten im Ausland im Finanzamt Neubrandenburg zu bündeln. Mittlerweile kümmern sich insgesamt etwa 250 Mitarbeiter um diesen besonderen Bereich der Steuerverwaltung. In vier Jahren haben sie über 720.000 Steuerbescheide aus Mecklenburg-Vorpommern in mehr als 120 Länder der Welt verschickt.

Pressemeldung Nr. 13/13 – 28.05.2013 – FM – Finanzministerium

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Steuerhinterziehung durch Unterlassen

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 586/12
vom
9. April 2013
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
AO § 35, § 370 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 25 Abs. 2
1. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO)
kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist.
2. Das Merkmal „pflichtwidrig“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bezieht sich allein auf
das Verhalten des Täters, nicht auf dasjenige eines anderen Tatbeteiligten.
Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen auch dann nicht in
Betracht, wenn sonst nach allgemeinen Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen
würde.
3. Eine eigene Rechtspflicht zur Aufklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen trifft gemäß § 35 AO auch den Verfügungsberechtigten. Verfügungsbe– 2 –
rechtigter im Sinne dieser Vorschrift kann auch ein steuernder Hintermann sein,
der ihm gegenüber weisungsabhängige „Strohleute“ im Rechtsverkehr nach
außen im eigenen Namen auftreten lässt.
BGH, Urteil vom 9. April 2013 – 1 StR 586/12 – LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. April 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,- 3 –
Prof. Dr. Radtke,
Richter
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte – in der Verhandlung -,
Justizangestellte – bei der Verkündung –
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 11. Juni 2012
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in
den Fällen 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe jeweils
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt wird,
b) aufgehoben
aa) im Einzelstrafausspruch in den Fällen 19 sowie 23
bis 26 der Urteilsgründe und
bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.- 4 –
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in
29 Fällen und Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bensheim vom
22. November 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun
Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf eine nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge sowie die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
A.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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I.
Fälle 1 bis 29 der Urteilsgründe („Bandentaten“)
1. Der einschlägig vorbestrafte Angeklagte hatte erfahren, dass sich eine
bis dahin von Ba. , G. und B. angeführte Gruppe erfolgreich im Handel mit Altgold betätigt hatte. Dieser Handel war darauf
ausgerichtet, systematisch einen betrügerischen „Umsatzsteuergewinn“ zu erwirtschaften. Der „Gewinn“ wurde dadurch erzielt, dass die beim Verkauf von
Altgold an Scheideanstalten neben dem Nettokaufpreis erlangte Umsatzsteuer
einbehalten wurde, in den Umsatzsteuervoranmeldungen der einliefernden
Personen aber ein nicht gerechtfertigter Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen vorgenommen wurde. Das Hinterziehungssystem folgte bis zum Einstieg
des Angeklagten im Juni 2010 im Wesentlichen folgendem Ablauf:
Die Gruppe ließ Goldscheideanstalten mit von Ba. und G.
„schwarz“ – also ohne Umsatzsteuer – angekauftem Gold in normalen Handelsgeschäften beliefern. Bei den Scheideanstalten traten als liefernde Unternehmer (sog. Einlieferer) nur G. oder Personen auf, die von G. zu diesem Zwecke angeworben worden waren und entsprechende Gewerbe angemeldet hatten. Die Goldscheideanstalten rechneten beim Ankauf des Goldes
mit den Einlieferern über Gutschriften (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG) unter Ausweis
von Umsatzsteuer ab und überwiesen den Bruttokaufpreis auf deren Konten.
Die jeweiligen Einlieferer händigten den Brutto-Gutschriftsbetrag an Ba.
oder G. aus und erhielten dafür eine Provision in Höhe von drei bis vier
Prozent des Gutschriftsbetrages.
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Die Einlieferer – darunter auch G. , soweit er in eigenem Namen
Gold bei den Goldscheideanstalten einlieferte – meldeten in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen die Umsatzsteuer aus den Gutschriften für die Goldlieferungen an. Zur Minimierung der sich ergebenden Zahllast nahmen sie jedoch
gleichzeitig einen unberechtigten Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) aus Scheinrechnungen vor, die B. beschaffte. Es handelte sich dabei um sog. Abdeckrechnungen, in denen den Rechnungsadressaten unter Umsatzsteuerausweis tatsächlich nicht erbrachte Lieferungen von Gold in Rechnung gestellt wurden. Die
„Gewinne“ aus den Geschäften verwendeten G. und Ba. einerseits für
weitere Goldankäufe sowie zum Bezahlen der Abdeckrechnungen, andererseits
für einen aufwendigen Lebensstil.
Anlässlich eines Streits um eine offene Forderung B. s nahmen Ba.
und G. den Angeklagten in die Gruppe auf, um fortan mit ihm nach „bewährtem Geschäftsmodell“ den auf Steuerhinterziehung ausgerichteten Goldhandel fortzusetzen. Der Angeklagte übernahm – B. ersetzend – in führender
Funktion gemäß einer „internen Aufgabenverteilung“ folgende Aufgaben (UA
S. 20). Er sollte:
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– finanzielle Mittel für den weiteren Altgoldankauf zur Verfügung stellen,
– neue Einlieferer anwerben,
– die „Logistik“ für die Abdeckrechnungen, insbesondere neue Scheinfirmen und „Strohmänner“ sowie entsprechende Unterlagen, bereitstellen,
– teilweise Altgold von Ba. in Empfang nehmen und an die anzuwerbenden neuen Einlieferer verteilen,
– teilweise das Bargeld von den Einlieferern in Empfang nehmen,
– teilweise die Gutschriftsbelege der Scheideanstalten, die für die Erstellung von Abdeckrechnungen benötigt wurden, von den Einlieferern in Empfang nehmen und an G. weiterleiten und
– teilweise die Abdeckrechnungen von G. in Empfang nehmen
und den Einlieferern übergeben.
Ba. sollte, wie zuvor auch, in erster Linie für die Beschaffung und
teilweise Verteilung des Goldes zuständig sein, während G. die Abdeckrechnungen fertigen und daneben weiterhin Gold einliefern sollte.
Ende September 2010 nahm der Angeklagte den gesondert Verfolgten
Gl. in die Gruppe auf, der als „Rechnungsschreiber“ und Einlieferer unter Falschpersonalien auftretend fortan ebenfalls eine führende Funktion
in der Gruppe einnahm. Er ersetzte G. , als dieser im Oktober 2010 aus
der Gruppe ausschied.
Der Angeklagte erhielt bei jedem Goldgeschäft einen Gewinnanteil; im
Übrigen blieb die Gewinnverteilung in der Gruppe weitgehend ungeklärt. Die in
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diesen Fällen unter Beteiligung des Angeklagten insgesamt bewirkte Umsatzsteuerverkürzung betrug 1.382.391,24 Euro.
2. Die einzelnen Fälle wiesen folgende Besonderheiten auf:
a) Fälle 1 bis 18 der Urteilsgründe
aa) In den Fällen 1 bis 14 sowie 16 bis 18 der Urteilsgründe wurden die
Einlieferungen von G. sowie von vier weiteren Einlieferern vorgenommen.
Die für die Steuerhinterziehung erforderlichen Abdeckrechnungen auf dem
Briefkopf einer A. GmbH stellte G. her, der zu diesem Zweck vom
Angeklagten Geschäftsunterlagen und einen Firmenstempel der A. GmbH
erhalten hatte. Der Angeklagte veranlasste jeweils, dass die Rechnungen vom
formellen Geschäftsführer der A. GmbH, einem unter den Falschpersonalien „ T. “ auftretenden nicht näher identifizierten bulgarischen
Staatsangehörigen, unterzeichnet wurden.
bb) Im Fall 15 der Urteilsgründe wurden Vorsteuern aus Abdeckrechnungen geltend gemacht, die Gl. unter den Falschpersonalien „
F. “ gefertigt hatte. Der Angeklagte hatte Gl. zuvor einen auf diesen
Namen ausgestellten gefälschten Reisepass besorgt.
b) Fälle 23 bis 26 der Urteilsgründe
Gl. trat in den Monaten September bis Dezember 2010 unter den
Falschpersonalien „ F. “ selbst als Einlieferer auf. Da er einen falschen Namen verwendete, gab er abweichend von der sonst üblichen Vorgehensweise absprachegemäß keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Die Verwendung von Abdeckrechnungen erschien im Hinblick auf die Identitätstäuschung zu Verschleierungszwecken nicht erforderlich. Den für die Einlieferung
bei der Goldscheideanstalt erhaltenen Kaufpreis händigte er abzüglich einer
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Provision von einem Prozent des Gutschriftsbetrages an den Angeklagten oder
an Ba. aus.
c) Fälle 27 und 28 der Urteilsgründe
In den Fällen 27 und 28 der Urteilsgründe wurden zwei Einlieferer unter
Falschpersonalien tätig, denen der Angeklagte gefälschte Ausweisdokumente
verschafft hatte. Da auch sie unter diesen Falschpersonalien auftraten, wurden
Abdeckrechnungen für ihre Einlieferungen von vorneherein nicht erstellt.
d) Fälle 20 bis 22 sowie 29 der Urteilsgründe
aa) Die Einlieferin Y. hatte von Gl. unter dem Namen „
F. “ erstellte Abdeckrechnungen erhalten. Sie gab absprachewidrig keine
Umsatzsteuervoranmeldungen ab (Fälle 20 bis 22 der Urteilsgründe)
bb) Der Einlieferer D. gab, obwohl er Abdeckrechnungen erhalten
hatte, ebenfalls absprachewidrig keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab (Fall
29 der Urteilsgründe).
e) Fall 19 der Urteilsgründe
Das Gruppenmitglied G. , das im Fall 19 der Urteilsgründe als Einlieferer tätig wurde, gab abweichend von den Absprachen in der Gruppe gleichfalls keine Umsatzsteuervoranmeldung ab.
3. Das Landgericht hat die vom Angeklagten aus der Gruppe heraus begangenen Taten als 18 Fälle gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung durch
aktives Tun gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB (Fälle 1 bis 18 der
Urteilsgründe) und elf Fälle gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB (Fälle 19 bis 29 der
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Urteilsgründe) gewertet. Es hat in diesen Fällen jeweils eine bandenmäßige
Begehung i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO angenommen.
Das Landgericht hat den Angeklagten in diesen Fällen jeweils als Mittä-
ter eingestuft. Soweit Unterlassungsdelikte vorlägen (Fälle 19 bis 29 der Urteilsgründe), habe er gemeinschaftlich mit anderen die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen unterlassen.
Die über die Gewerbe der Einlieferer abgewickelten Goldlieferungen hat
das Landgericht den Mitgliedern der Gruppe, die sie als Bande qualifiziert hat,
und damit auch dem Angeklagten zugerechnet, weil die Einlieferer sich als
„Strohleute“ in einer arbeitnehmerähnlichen Stellung befunden hätten und
– somit nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG handelnd – den Tatplan
der Bandenmitglieder lediglich umgesetzt hätten. Daher habe für den Angeklagten als „Mitunternehmer“ gemäß § 18 UStG die Pflicht bestanden, diese Goldeinlieferungen in Umsatzsteuererklärungen als Umsätze anzumelden.
Soweit (in den Fällen 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe) G. und
Gl. als Einlieferer tätig geworden seien, sei der Angeklagte nicht als „Mitunternehmer“ einzustufen. Denn diese Gruppenmitglieder hätten nicht die Position von „Strohleuten“ eingenommen. Deshalb seien auch deren Goldeinlieferungen nicht dem Angeklagten unter dem Gesichtspunkt (mit)unternehmerischer Tätigkeit zurechenbar. Dennoch habe sich der Angeklagte auch insoweit der gemeinschaftlichen Umsatzsteuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1
Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Er müsse sich als Hintermann
– entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die
Pflichtverletzungen der Bandenmitglieder zurechnen lassen.
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28- 11 –
II.
Weitere Taten des Angeklagten (Fälle 30 bis 34 der Urteilsgründe)
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leistete der Angeklagte
außerhalb der Bande Unterstützungsbeiträge zu weiteren vergleichbaren Taten:
a) Fall 30 der Urteilsgründe (Unterstützung einer Gruppe um B. )
Der wegen den Streitigkeiten mit G. und Ba. aus der Bande
ausgeschiedene B. nahm in einer neuen Gruppe entsprechende Goldhandelsgeschäfte vor, die ebenfalls auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer abzielten. Die Geschäfte wurden über die vermögenslose S. GmbH abgewickelt. Nachdem viele Banken unter anderem wegen des von ihnen gesehenen Geldwäscheverdachts nicht mehr dazu bereit waren, Konten für Goldhändler zu errichten, unterstützte der Angeklagte die Gruppe, indem er über einen
unabhängigen Finanzvermittler die Eröffnung eines Geschäftskontos ermöglichte.
Die durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärungen für die über die
S. GmbH abgewickelten Goldhandelsgeschäfte eingetretene Umsatzsteuerverkürzung betrug insgesamt 824.000,04 Euro.
b) Fälle 31 bis 34 der Urteilsgründe (Unterstützung einer Gruppe um
Te. )
Für entsprechende Goldhandelsgeschäfte einer Gruppe um Te.
, bei denen ebenfalls systematisch Umsatzsteuern hinterzogen wurden,
stellte der Angeklagte Abdeckrechnungen zur Verfügung, die er von Gl.
fertigen ließ. Sie wurden zum unberechtigten Vorsteuerabzug verwendet. Hier-
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35- 12 –
durch wurde durch Yi. Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 89.965
Euro und durch Ü. von weiteren 57.633,42 Euro hinterzogen.
2. Die den Fällen 30 bis 34 der Urteilsgründe zu Grunde liegenden Taten
hat das Landgericht jeweils als Beihilfe zur Steuerhinterziehung gemäß § 370
Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO, § 27 StGB gewertet. Dabei ist es angesichts des einmaligen Tatbeitrages des Angeklagten im Falle der S. GmbH von einer
einheitlichen Beihilfetat ausgegangen.
B.
Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge – die nicht ausgeführte Verfahrensrüge ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) – zu einem
Teilerfolg. In den Fällen 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe ändert der Senat
den Schuldspruch von Mittäterschaft auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung ab.
Dies zieht in diesen Fällen die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen sowie
des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Im Übrigen enthält das Urteil keinen
den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.
I.
Die verfahrensgegenständlichen Taten können in zwei Fallkomplexe unterteilt werden. Fallkomplex I umfasst die von der Bande um den Angeklagten
und Ba. sowie G. bzw. Gl. begangenen Taten (Fälle 1 bis 29 der Urteilsgründe). Fallkomplex II erfasst die Unterstützungshandlungen des Angeklagten für andere Täter bzw. Tätergruppierungen
(Fälle 30 bis 34 der Urteilsgründe). Ausgehend von den sich stellenden Rechts-
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38- 13 –
fragen lassen sich im Fallkomplex I zwei Untergruppen bilden: Die Fallgruppe
I.1. umfasst diejenigen Fälle, bei denen von den Einlieferern unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben wurden (Fälle 1 bis 18 der Urteilsgründe), während der Fallgruppe I.2. diejenigen Fälle zuzuordnen sind, bei denen
von den Einlieferern (pflichtwidrig) keine Steueranmeldungen eingereicht wurden (Fälle 19 bis 29 der Urteilsgründe). Letztere Fallgruppe (Unterlassungstaten) lässt sich weiter unterteilen in die Gruppe der Fälle, in denen weisungsabhängige Strohleute als Einlieferer tätig wurden (Fallgruppe I.2.a: Fälle 20 bis 22
und 27 bis 29 der Urteilsgründe) und diejenige, in der die führenden Bandenmitglieder G. und Gl. gegenüber den Scheideanstalten als Einlieferer auftraten (Fallgruppe I.2.b: Fälle 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe).
II.
Mit Ausnahme hinsichtlich der Fallgruppe I.2.b (Fälle 19 sowie 23 bis 26
der Urteilsgründe) hält der Schuldspruch rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Fallgruppe I.1. (Fälle 1 bis 18 der Urteilsgründe)
Die Verurteilung des Angeklagten in der Fallgruppe I.1 wegen in Mittä-
terschaft begangener Steuerhinterziehung durch aktives Tun gemäß § 370
Abs. 1 Nr. 1 AO, § 25 Abs. 2 StGB begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
a) Täter einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
kann nicht nur der Steuerpflichtige sein. Vielmehr kommt als Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun grundsätzlich jedermann in Betracht („wer“),
sofern er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht. Mittäter kann daher auch
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eine Person sein, der das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sofern
nur die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise im Sinne
von § 25 Abs. 2 StGB gegeben sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1986 – 3 StR 405/86, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH, Urteil
vom 28. Mai 1986 – 3 StR 103/86, NStZ 1986, 463; BGH, Beschluss vom
6. Oktober 1989 – 3 StR 80/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Mittäter 3; BGH,
Urteil vom 22. Mai 2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4;
BGH, Beschluss vom 7. November 2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112).
Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen
Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als
Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur
Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte
können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein
(st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30. Juni 2005 – 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44;
BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291 mwN).
b) Die erkennbar auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der maß-
geblichen Umstände getroffene Wertung des Landgerichts, der Angeklagte sei
in diesen Fällen Mittäter und nicht nur Gehilfe der durch Einreichung unrichtiger
Umsatzsteuervoranmeldungen für die Einlieferer begangenen Steuerhinterziehungen gewesen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landgericht durfte dabei maßgeblich berücksichtigen, dass die Einlieferer mit der Einreichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich
den Tatplan der Gruppe (Bande) um den Angeklagten sowie Ba. und G.
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45- 15 –
bzw. Gl. umsetzten. In diesem Tatplan spielte die Verwendung der von
dem Angeklagten beschafften Abdeckrechnungen zur Verschleierung der
Steuerverkürzungen eine bedeutende Rolle. Der Angeklagte hatte zudem an
der Funktionsfähigkeit des verwendeten Systems der Hinterziehung von Umsatzsteuer erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse, denn er war an den Erträgen aus diesem System beteiligt. Die von ihm erbrachten Tatbeiträge, etwa
seine Mitwirkung bei der Beschaffung der Abdeckrechnungen und bei der
Übergabe des Goldes an die Einlieferer, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei
als für die Taten wesentlich angesehen.
Der Annahme von Mittäterschaft steht nicht entgegen, dass der Angeklagte seine jeweiligen Tatbeiträge lediglich im Vorfeld der unrichtigen Steueranmeldungen erbrachte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. September 2012
– 1 StR 407/12, wistra 2013, 67; Urteil vom 28. Mai 1986 – 3 StR 103/86, NStZ
1986, 463). Insoweit gelten die allgemeinen strafrechtlichen Grundsätze (vgl.
BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – 3 StR 63/12).
2. Fallkomplex II. (Fälle 30 bis 34 der Urteilsgründe)
Die Verurteilung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Fallkomplex II. ist ebenfalls rechtsfehlerfrei. Die Urteilsfeststellungen belegen in den
Fällen 30 bis 34 der Urteilsgründe sowohl die Haupttaten der Steuerhinterziehung als auch die von dem Angeklagten vorsätzlich erbrachten Tatbeiträge.
3. Fallgruppe I.2.a (Fälle 20 bis 22 sowie 27 bis 29 der Urteilsgründe)
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49- 16 –
Die Verurteilung des Angeklagten der Fallgruppe I.2.a wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hält jedenfalls im
Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Tatbestandlich i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt, wer eine Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen verletzt. Diese Voraussetzung muss auch bei einem Mittäter vorliegen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Täter
– auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige
sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders
verpflichtet ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1979 – 3 StR 488/78,
BGHSt 28, 371, 375 ff.; BGH, Urteil vom 12. November 1986 – 3 StR 405/86,
BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1; BGH, Beschluss vom 14. Februar 1990
– 3 StR 317/89, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Eingangsabgaben 1; BGH, Beschluss vom 20. November 1990 – 3 StR 259/90, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2
Mittäter 2; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52,
58; BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1
Täter 4 = wistra 2003, 344; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2004 – 5 StR 85/04,
wistra 2004, 393; BGH, Beschluss vom 7. November 2006 – 5 StR 164/06,
wistra 2007, 112; BGH, Beschluss vom 14. April 2010 – 1 StR 105/10). Dabei
können sich Offenbarungspflichten sowohl aus den gesetzlich besonders festgelegten steuerlichen Erklärungspflichten wie auch aus allgemeinen Garantenpflichten ergeben, die allerdings eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. Joecks
in Franzen/Gast/ Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 Rn. 161 ff.).
bb) Demgegenüber ist die Strafkammer – mit durchaus beachtlichen Argumenten – der Auffassung, dass die von der Rechtsprechung vorgenommene
Beschränkung des Täterkreises auf Personen, die eine eigene Offenbarungs-
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53- 17 –
pflicht verletzen, nicht zutreffend sei (UA S. 153 ff.). Vielmehr handele es sich
beim Unterlassungstatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein Allgemeindelikt, sodass die Pflichtverletzung eines „Vordermanns“ einem selbst nicht erklä-
rungspflichtigen „Hintermann“ zugerechnet werden könne. Aus diesem Grund
könnten Personen auch Mittäter sein, die keine sie persönlich treffende Pflicht
verletzen, sofern nur die allgemeinen Voraussetzungen für die Annahme von
Mittäterschaft gegeben seien.
Der Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sei mit einer Einstufung als Allgemeindelikt vereinbar. Das Gesetz grenze den Täterkreis nicht näher ein,
sondern verwende – ebenso wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO – die für Allgemeindelikte typische Umschreibung „wer“. Schließlich beschreibe auch das Merkmal
„pflichtwidrig“ keine persönliche Pflichtenstellung für einen bestimmten Personenkreis, sondern enthalte ein strafrechtliches „Jedermann-Gebot“. Es beschreibe nicht den Personenkreis näher, sondern konkretisiere, welche Art und
Weise des Handelns unter Strafe gestellt sei (vgl. Bender, wistra 2004, 368,
371; Kuhlen in: Festschrift für Heike Jung, 2007, S. 445, 457). Auch die Systematik des Gesetzes spreche für die vom Landgericht vertretene Auffassung,
denn § 370 AO enthalte die im Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 378
Abs. 1 AO enthaltene Beschränkung des Täterkreises gerade nicht.
Schließlich verweist das Landgericht darauf, dass die bisherige Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht zu sachgerechten Ergebnissen führe. So
sei es oft letztlich vom Zufall abhängig, ob eine Bestrafung als Täter oder – trotz
vergleichbaren Unrechtsgehalts der Tatbeteiligung – nur als Gehilfe in Betracht
komme, etwa weil ein unterstützter anderer Tatbeteiligter eine Steuererklärung
überhaupt nicht statt – wie geplant – mit falschem Inhalt abgebe. So sei es nach
der bisherigen Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO möglich, dass ein „Hin-
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termann“ trotz tatbeherrschender Stellung nur als Gehilfe bestraft werden könne.
cc) Der Senat teilt die Auffassung, dass es sich auch bei dem Unterlassungstatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO um ein Delikt handelt, das nicht
nur vom Steuerpflichtigen und Personen, denen sonst in den Steuergesetzen
steuerliche Erklärungspflichten auferlegt sind (vgl. §§ 34, 35 AO), verwirklicht
werden kann, sondern grundsätzlich von „Jedermann“.
(1) Durch die offene Formulierung des Gesetzes „wer“, die allen drei
Tatvarianten der Steuerhinterziehung vorangestellt ist, enthält § 370 Abs. 1 AO
die herkömmlich bei der Ausgestaltung von Allgemein-/Jedermannsdelikten
verwendete Formulierung (vgl. Kuhlen in: Festschrift für Heike Jung, 2007,
S. 445, 457). Nach dem Gesetzeswortlaut erfolgt damit keine Beschränkung
auf eine bestimmte Tätergruppe; einen Statusbegriff, wie er sonst häufig bei
der Beschreibung tauglicher Täter bei Sonderdelikten zu finden ist, enthält §
370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht.
(2) Der Umstand, dass der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hinsichtlich des Merkmals „pflichtwidrig“ weitere Besonderheiten aufweist, ergibt
sich darüber hinaus auch aus einem systematischen Vergleich zu anderen Tatbeständen, die ebenfalls das Merkmal „pflichtwidrig“ aufgreifen, jedoch anders
ausgestaltet sind:
So knüpfen zwar auch die Straftatbestände des § 266a Abs. 2 Nr. 2
StGB und des § 356 StGB an das Merkmal „pflichtwidrig“ an. Diese Tatbestände enthalten aber jeweils den Täterkreis beschreibende Statusbegriffe, so dass
bereits der jeweilige Wortlaut („als Arbeitgeber“ bzw. „ein Anwalt oder anderer
Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten …. pflichtwidrig dient“) die Eigenschaft des tauglichen Täters be-
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59- 19 –
schränkt. Beide Tatbestände knüpfen damit an ein besonderes Vertrauensverhältnis oder an besonders ausgestaltete Pflichtenstellungen an, die sich aus
der personalen Eigenschaft als „Arbeitgeber“ bzw. „als Anwalt“ ergeben. Demgegenüber erfordert die Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (pflichtwidriges
In-Unkenntnis-lassen bezogen auf steuerlich erhebliche Tatsachen) keine Anknüpfung an solche personenbezogenen Eigenschaften und Umstände. Die
Strafvorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwendet nicht die Formulierung
„wer als Steuerpflichtiger“ (vgl. § 33 Abs. 1 AO) und richtet sich deshalb auch
nicht allein an den Adressaten eines Steuergesetzes, also denjenigen, dem aus
einem Steuergesetz Rechte und Pflichten erwachsen (vgl. zum Begriff des
Steuerpflichtigen Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 33 Rn. 1).
(3) Auch aus der Struktur des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO insgesamt ergibt
sich keine Beschränkung des Täterkreises auf den Adressaten eines Steuergesetzes. Tatbestandsrelevant ist der Verstoß gegen die Handlungspflicht bei Taten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zwar nur, wenn die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden. Hieraus folgt aber
lediglich, dass die Pflicht zur Erfolgsabwendung, gegen die der Unterlassende
verstößt, nur dann eine Strafbarkeit begründen kann, wenn sie auf eine Beseitigung der Unkenntnis des Finanzamtes gerichtet ist. Dem lässt sich aber nur
entnehmen, wie die im Interesse des geschützten Rechtsguts (Steueraufkommen) bestehende Pflichtenstellung näher ausgestaltet sein muss, nicht aber,
wer Träger der Pflicht ist.
(4) Ein Vergleich mit dem Bußgeldtatbestand des § 378 Abs. 1 AO zeigt,
dass auch das Steuerstraf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht Beschränkungen
des Täterkreises kennt. Bei dieser Vorschrift ist der Täterkreis eingeschränkt
auf Steuerpflichtige sowie Personen, „die bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichnete Tat leicht-
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fertig“ begeht. Eine derartige Begrenzung des Täterkreises enthält § 370 Abs. 1
Nr. 2 AO nicht.
(5) Auch der Schutzzweck der Norm gebietet keine Beschränkung auf
die Verletzung eigener steuerlicher Pflichten. Denn geschütztes Rechtsgut ist
bei allen Tatbeständen des § 370 AO das öffentliche Interesse des Staates am
vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen Steuerart (vgl.
BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1 und Beschluss
vom 22. November 2012 – 1 StR 537/12 [zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen] mwN). Alle Tatbestandsvarianten des § 370 Abs. 1 AO enthalten daher
auch einheitlich als Taterfolg die Verkürzung von Steuern sowie die Erlangung
nicht gerechtfertigter Steuervorteile für sich oder einen anderen.
dd) Schließlich trifft auch der Hinweis des Landgerichts zu, dass es zuweilen allein von der Ausgestaltung der steuerlichen Normen abhängt, ob eine
Tatbegehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder eine solche durch
Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in Betracht kommt, was – etwa auch im
Bereich mittelbarer Täterschaft – erhebliche Auswirkungen auf die Strafbarkeit
von Tatbeteiligten haben kann.
ee) Der Senat erkennt ausdrücklich an, dass das Landgericht mit sorgfältiger Begründung gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Stellung bezogen und damit eine Änderung der Rechtsprechung angeregt hat.
Gleichwohl hält er an der Rechtsprechung fest, dass Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur derjenige sein
kann, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders
verpflichtet ist. Denn der Wortlaut dieser Strafnorm lässt eine andere Auslegung nicht zu (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG). Nach Auffassung des Senats bezieht
sich das Merkmal „pflichtwidrig“ allein auf das Verhalten des Täters (bei dem es
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sich indes nicht um den Steuerpflichtigen handeln muss), nicht allgemein auf
dasjenige irgendeines Tatbeteiligten. Damit kommt eine Zurechnung fremder
Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen
Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde.
Anders wäre dies etwa, wenn der Gesetzgeber die Formulierung „wer
bewirkt, dass die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden“, gewählt hätte. Es bleibt daher dem
Gesetzgeber vorbehalten, etwaige Ungereimtheiten im Anwendungsbereich der
Tatbestände des § 370 Abs. 1 AO zu beseitigen. Im Übrigen kann ein Tatgericht den Umstand, dass eine nur als Gehilfe strafbare Person Tatherrschaft
hatte, im Rahmen des nach erfolgter Strafrahmenverschiebung gemäß § 27
Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB eröffneten Strafrahmens erheblich strafschärfend werten.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts ergibt sich die für eine Unterlassungsstrafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO somit erforderliche Erklä-
rungspflicht des Angeklagten nicht daraus, dass er als „Mitunternehmer“ gemäß
§ 2 UStG verpflichtet gewesen wäre, gemäß § 18 UStG die von den Einlieferern getätigten Umsätze anzumelden.
Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass das Landgericht mit dem
Begriff des Mitunternehmers einen im Umsatzsteuerrecht nicht gebräuchlichen
(vgl. BFH, Urteil vom 18. März 1988 – V R 178/83, DStR 1988, 516, 517) Begriff
des Einkommensteuergesetzes (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) verwendet hat.
Dabei kann auch dahinstehen, ob die Bande, der sich der Angeklagte zur Begehung von Steuerstraftaten angeschlossen hatte, aufgrund geschlossenen
Auftretens nach außen hin als eigenständiges Unternehmen im Sinne des § 2
UStG anzusehen sein könnte. Denn entgegen der Ansicht des Landgerichts
65
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67- 22 –
waren jedenfalls bei den hier in Rede stehenden Goldverkäufen allein die
„Strohleute“ die Unternehmer, die in einer Leistungsbeziehung zu den Scheideanstalten standen, nicht die hinter den „Strohleuten“ stehende Bande. Die Einlieferer waren insoweit – obgleich „Strohleute“ – nicht als für die Leistungsbeziehungen bedeutungslose „Nichtunternehmer“ anzusehen. Damit scheidet die
vom Landgericht vorgenommene Zurechnung der von den Einlieferern getätigten Umsätze zur Bande als Leistungserbringerin aus.
aa) Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1
UStG). Vom Unternehmerbegriff des Umsatzsteuergesetzes werden zwar unabhängig von der Rechtsform Personen und Personenzusammenschlüsse aller
Art erfasst. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erbringt ein Zusammenschluss natürlicher Personen regelmäßig aber nur dann als selbständiger Unternehmer i.S.d. § 2 UStG Leistungen gegen Entgelt, wenn dem Leistungsempfänger diese Personenmehrheit als Schuldner der vereinbarten Leistung und Gläubiger des vereinbarten Entgelts gegenübersteht (vgl. BFH, Urteil
vom 16. August 2001 – V R 67/00, UR 2002, 213; BFH, Urteil vom 18. März
1988 – V R 178/83, DStR 1988, 516, 517). Maßgeblich ist somit, ob der Zusammenschluss natürlicher Personen als solcher nach außen durch die Erbringung von Umsätzen erkennbar am Wirtschaftsverkehr teilnimmt (vgl. Klenk in
Sölch/ Ringleb, UStG, 63. Lfg., § 2 Rn. 10 f.).
bb) Ob und inwieweit die Bande, der sich der Angeklagte angeschlossen
hatte, diese Voraussetzung erfüllte und sie damit als Unternehmerin im Sinne
des § 2 UStG tätig wurde, ist den Urteilsfeststellungen nicht eindeutig zu entnehmen.
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70- 23 –
Letztlich kann dies hier auch dahinstehen. Denn die sich aus der Unternehmerstellung ergebenden Erklärungspflichten eines Unternehmers im Sinne
des § 2 UStG beschränken sich auf diejenigen Umsätze, die seinem Unternehmen zuzuordnen sind. Dazu gehörten hier – für die Bande – die Goldlieferungen der Einlieferer an die Scheideanstalten nicht.
(1) Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich nach
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen (vgl. BFH, Urteil vom 16. August 2001 – V
R 67/00, UR 2002, 213; BFH, Urteil vom 26. Juni 2003 – V R 22/02, DStRE
2004, 153). Leistender ist damit in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst
ausführt oder durch einen Beauftragten ausführen lässt. Ob eine Leistung dem
Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb grundsätzlich
davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen
Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (st. Rspr.; vgl. nur BFH, Urteil vom 12. Mai
2011 – V R 25/10, DStRE 2011, 1326 mwN). Dabei kann auch ein „Strohmann“
Unternehmer und Leistender im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sein. Er ist
nicht deswegen unselbständig i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, weil er im Innenverhältnis den Weisungen des Auftraggebers verpflichtet ist (BFH, Urteil vom
26. Juni 2003 – V R 22/02, DStRE 2004, 153). Ohne Bedeutung für die Beurteilung der Leistungsbeziehungen im Verhältnis zu Dritten ist grundsätzlich, aus
welchen Gründen der „Hintermann“ gegenüber dem Vertragspartner des
„Strohmanns“ und Leistungsempfänger (einem Dritten), als Leistender nicht in
Erscheinung treten will (BFH aaO; zu den Leistungsbeziehungen zwischen
Stroh- und Hintermann vgl. auch BFH, Urteil vom 12. Mai 2011 – V R 25/10,
DStRE 2011, 1326).
71- 24 –
(2) Unbeachtlich ist ein „vorgeschobenes“ Strohmanngeschäft allerdings
dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen wird, d.h. wenn beide Vertragsparteien einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die
Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann“ eintreten sollen (vgl.
§ 41 Abs. 2 AO; BFH, Urteil vom 12. Mai 2011 – V R 25/10, DStRE 2011, 1326
unter II.1.c; BFH, Beschluss vom 31. Januar 2002 – V B 108/01, BFHE 198,
208 = BStBl II 2004, 622, unter II.4.c; BFH, Beschluss vom 17. Oktober 2003 V
B 111/02, BFH/NV 2004, 235; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 – 1 StR
520/02, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 4 = wistra 2003, 344). Letzteres ist
insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger weiß oder davon ausgehen muss, dass derjenige, mit dem (als „Strohmann“) oder in dessen
Namen das Rechtsgeschäft abgeschlossen wird, selbst keine eigene – ggf.
auch durch Subunternehmer auszuführende – Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft übernehmen will (vgl. BFH, Urteil vom 12. Mai 2011 – V R 25/10,
DStRE 2011, 1326 unter II.1.c; BFH, Beschluss vom 31. Januar 2002 – V B
108/01, BFHE 198, 208; BFH, Urteil vom 12. August 2009 – XI R 48/07,
BFH/NV 2010, 259).
(3) So verhielt es sich nach den Feststellungen hier nicht. Da nicht die
Bande um den Angeklagten, sondern die Einlieferer gegenüber den Scheideanstalten auftraten und für letztere keine Anhaltspunkte bestanden, dass diese
Personen für eine hinter ihnen stehende Person oder Personenmehrheit handelten und nur als „Rechnungsschreiber“ oder „Gutschriftsempfänger“ tätig
wurden (vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81
unter II.2.a.aa), waren die Einlieferer, auch soweit sie nur „Strohleute“ waren,
bei den Goldveräußerungen an die Scheideanstalten als die leistenden Unternehmer anzusehen.
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73- 25 –
Die Frage, ob die „Strohleute“ im Verhältnis zur Bande, von der sie das
Altgold erhielten, wegen ihres kollusiven Zusammenwirkens ohne handelstypisches Verhalten nicht als Unternehmer anzusehen waren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 StR 24/10, BGHR UStG § 15 Abs. 1 Unternehmer 1; BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 – 5 StR 520/02, BGHR AO § 370
Abs. 1 Nr. 1 Täter 4 = wistra 2003, 344), ist insoweit ohne Bedeutung.
cc) Der Umstand, dass sowohl die gegenüber den Scheideanstalten
nicht auftretenden Bandenmitglieder als auch die „Strohleute“ von Anfang an
beabsichtigten, auf der Grundlage der Altgoldgeschäfte Umsatzsteuern zu hinterziehen, steht der Annahme steuerbarer und steuerpflichtiger Ausgangsumsätze (Lieferungen) der Einlieferer nicht entgegen (vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81 unter II.2.a.bb mwN; zum Entstehen
einer anzumeldenden Steuerschuld gemäß § 14c Abs. 2 UStG, wenn der Einlieferer die Ausstellung einer unrichtigen Gutschrift veranlasst, vgl. BGH, Urteil
vom 27. Oktober 2011 – 5 StR 14/11, NStZ 2012, 267, 268; vgl. auch Korn in
Bunjes, UStG, 11. Aufl., § 14c Rn. 5; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, 68. Lfg.,
§ 14c Rn. 152 f.).
c) Leistende Unternehmer und damit als Steuerpflichtige zur Abgabe von
Umsatzsteuervoranmeldungen für die Altgoldlieferungen an die Scheideanstalten verpflichtet waren somit die „Strohleute“ als Unternehmer und nicht der Angeklagte. Jedoch bestand daneben für den Angeklagten als Verfügungsberechtigten im Sinne von § 35 AO eine eigenständige Rechtspflicht, dafür Sorge zu
tragen, dass die umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten für die als „Strohleute“
eingesetzten Einlieferer erfüllt werden.
aa) Nach § 35 AO hat derjenige, der als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters
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77- 26 –
(§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Wer daher in diesem Sinne als Verfügungsberechtigter auftritt, hat unter der Voraussetzung, dass er dazu tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, wie der gesetzliche Vertreter nach § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Rechtsträgers
zu erfüllen (vgl. BFH, Urteil vom 24. April 1991 – I R 56/89, BFH/NV 1992, 76).
Zu den von ihm zu erfüllenden Pflichten gehört insbesondere die Abgabe von
Steuererklärungen (etwa von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklärungen, vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010 – V R 13/09, BFH/NV
2011, 81 sowie Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 6. Juni 2008
– 11 K 573/06, EFG 2009, 1610; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. November 1989
– 3 StR 249/89, BGHR AO § 35 Verfügungsberechtigter 2 sowie BGH, Urteil
vom 12. November 1986 – 3 StR 405/86, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 2 Mittäter
1) und die Entrichtung der Steuern aus den vorhandenen Mitteln.
(1) Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist jeder, der nach dem
Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem
anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt
(vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010 – V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; BFH, Urteil vom 27. November 1990 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284; Krömker in Lippross, Basiskommentar Steuerrecht, 65. Lfg., § 35 AO Rn. 2; Gmach, DStZ
2001, 341, 342; Ransiek in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 40. Lfg., § 370 AO
Rn. 118 ff.).
Nicht ausreichend ist eine rein tatsächliche Verfügungsmacht, etwa die
Möglichkeit, über (allein) wirtschaftlichen Druck auf die Verfügungen des Steuerpflichtigen Einfluss zu nehmen (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 16. März 1995
– VII R 38/94, BStBl. II 1995, 859 betreffend eine Bank; Mösbauer, DB 2005,
1816, 1819); vielmehr muss die Verfügungsmöglichkeit rechtlich eingeräumt
worden sein, sodass der Verfügungsberechtigte aufgrund bürgerlich-rechtlicher
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79- 27 –
Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam handeln kann (vgl. BFH, Urteil
vom 21. Februar 1989 – VII R 165/85, BStBl. II 1989, 491 unter II.1.; Jatzke in
Beermann/Gosch, 62. Lfg., § 35 AO Rn. 7). Entscheidend für die Pflichtenstellung des § 35 AO ist, dass der Verfügungsberechtigte durch die Übertragung
der rechtlichen Verfügungsbefugnis (in der Regel durch Rechtsgeschäft, vgl.
Schwarz, AO, 122. Lfg., § 35 AO Rn. 7) in die Lage versetzt worden ist, am
Rechtsverkehr wirksam teilzunehmen (vgl. Jatzke aaO Rn. 7).
Eine mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis genügt. Verfügungsberechtigt im Sinne des § 35 AO ist daher auch, wer aufgrund seiner Stellung die
Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfüllen kann oder durch die Bestellung
entsprechender Organe erfüllen lassen kann (vgl. Boeker in Hübschmann/
Hepp/Spitaler (HHSp), AO, Lfg. 205, § 35 AO Rn. 8 mwN). Gleiches gilt für
denjenigen, der kraft eines Rechtsverhältnisses den Vertretenen steuern und
über seine Mittel verfügen kann (vgl. zu einem Treuhand- oder sonstigen Auftragsverhältnis: Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Juni 2008 –
12 K 407/04, Rn. 87 ff. [juris], EFG 2008, 1434). Auch wenn ein Geschäftsherr
einem Dritten für einen bestimmten Geschäftsbereich völlig freie Hand lässt, so
kann dieser Dritte nach den Umständen des Einzelfalls für den Geschäftsbereich, den er übernommen hat, als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35
AO anzusehen sein (vgl. Schwarz aaO Rn. 7).
(2) Nur wer als Verfügungsberechtigter nach außen auftritt, kann Verfü-
gungsberechtigter im Sinne des § 35 AO sein (vgl. BFH, Beschluss vom
26. April 2010 – VII B 194/09, BFH/NV 2010, 1610 unter II.3.; BFH, Urteil vom
24. April 1991 – I R 56/89, BFH/NV 1992, 76). Auftreten bedeutet Teilnahme am
Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum Rechtsinhaber
hinausgeht (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 1985 – VII R 186/82, BFH/NV
1986, 192 unter 1., noch zu § 108 RAO; Niedersächsisches Finanzgericht, Ur-
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81- 28 –
teil vom 9. Juli 1991 – XI 508/90, EFG 1992, 239; Boeker in HHSp, Lfg. 205,
§ 35 Rn. 10; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 35 Rn. 7).
Keine Voraussetzung ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten (vgl. BFH, Urteil vom 27. November 1990 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284; BFH, Urteil vom 21. Februar 1989
– VII R 165/85, BStBl. II 1989, 491 mwN; Niedersächsisches Finanzgericht aaO;
Gmach, DStZ 2001, 341, 342), vielmehr genügt, dass der Verfügungsberechtigte gegenüber irgendjemandem – nach außen – im Rechtsverkehr als solcher
aufgetreten ist (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 1985 – VII R 186/82, BFH/NV
1986, 192 unter 1.).
Das Auftreten muss auch nicht in einer Disposition über fremdes Vermö-
gen bestehen. Es reicht aus, wenn der Verfügungsberechtigte sich nach außen
so geriert, als könne er über fremdes Vermögen verfügen. Nimmt etwa ein faktischer Geschäftsführer oder „faktischer Leiter“ (vgl. BFH, Beschluss vom
10. Oktober 1994 – I B 228/93, BFH/NV 1995, 662) eines Unternehmens Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, so reicht es aus, wenn er lediglich
gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“, etwa im Rahmen von Gesellschafterversammlungen, zu erkennen gibt, dass er als solcher über das Vermögen
verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber
weisungsabhängigen Personen überlässt (vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010
– V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; BFH, Urteil vom 24. April 1991 – I R 56/89,
BFH/NV 1992, 76; vgl. auch BFH, Beschluss vom 9. Januar 2013
– VII B 67/12 sowie Merkt, AO-StB 2009, 81, 84). Hält sich der faktisch Leitende
selbst im Hintergrund und bedient er sich zur Ausübung seiner Verfügungsbefugnis der Unterstützung weisungsgebundener Personen, wird er nach § 35 AO
nur verpflichtet, wenn die Weisungsabhängigkeit auch nach außen – mithin
mindestens gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ – erkennbar wird (BFH,
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Beschluss vom 26. April 2010 – VII B 194/09, BFH/NV 2010, 1610 unter II.3
mwN; vgl. auch Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 35 Rn. 7). Diese Grundsätze
gelten für Einzelunternehmen entsprechend (vgl. BFH, Beschluss vom
11. Dezember 2007 – VII B 172/07, BFH/NV 2008, 748; zur faktischen Unternehmensbeherrschung bei Einzelunternehmen vgl. auch Köhler in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007,
Kap. 7, Rn. 274 sowie Bieneck in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., § 77 Rn. 20).
(3) Wer als Verfügungsberechtigter auftritt, hat die steuerlichen Pflichten
eines gesetzlichen Vertreters nur in dem Umfang zu erfüllen, wie er dies tatsächlich und rechtlich kann (§ 35 AO 2. Halbsatz). Mit Blick auf die ansonsten
weitgehende Bedeutungslosigkeit der Vorschrift des § 35 AO gegenüber dem
bereits über § 34 Abs. 1 AO unmittelbar erfassten Personenkreis ist aber nicht
erforderlich, dass der Verfügungsberechtigte unmittelbar rechtlich zur Pflichtenerfüllung in der Lage ist, mittelbares Können genügt daher (vgl. BFH, Urteil vom
16. März 1995 – VII R 38/94, BFHE 177, 209, BStBl. II 1995, 859 unter 3.a.;
BFH, Urteil vom 7. April 1992 – VII R 104/90, BFH/NV 1993, 213; BFH, Urteil
vom 27. November 1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl. II 1991, 284).
Steuerliche Pflichten sind daher auch dann rechtlich und tatsächlich erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht
(Koenig in Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 35 Rn. 14). Aber auch derjenige, der
kraft eines Vertragsverhältnisses den Steuerpflichtigen steuern und deshalb
über dessen Mittel verfügen kann, kann im Einzelfall tatsächlich und rechtlich in
der Lage sein, die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Juni 2008 – 12 K
407/04, Rn. 87 ff. [juris], EFG 2008, 1434).
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85- 30 –
bb) Gemessen an diesen Maßstäben war der Angeklagte Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Er kam seiner sich hieraus ergebenden Verpflichtung, für die als „Strohleute“ tätigen Einlieferer die Goldverkäufe umfassende Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, nicht nach, obwohl er hierzu
tatsächlich und rechtlich zumindest mittelbar in der Lage war.
(1) Die Einlieferer traten zwar gegenüber den Scheideanstalten selbst
nach außen auf. Im Verhältnis zu den führenden Bandenmitgliedern – also auch
zum Angeklagten – waren sie jedoch bei den Goldgeschäften als abhängige
und unselbständige „Strohleute“ eingebunden und hatten sämtliche Geschäftsabläufe wirtschaftlich aus der Hand gegeben (vgl. zur faktischen Führung von
Strohmannfirmen vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2012 – 5 StR 407/12,
NJW 2013, 624). Die Goldgeschäfte waren ihnen nicht nur hinsichtlich Zeit und
Umfang vorgegeben; auch mussten sie den ihnen überwiesenen Kaufpreis
nach fest vorgegebenen Abläufen abheben und gegen eine Provision, die
ebenfalls nach festen Kriterien bestimmt war, aushändigen. Ihr Verhalten gegenüber den Finanzbehörden wurde dirigiert, indem ihnen entweder entsprechende „Buchhaltung“ (Abdeckrechnungen) ausgehändigt wurde oder sie mit
gefälschten Papieren ausgestattet wurden, die ein Auftreten gegenüber dem
Finanzamt von vornherein entbehrlich machten. Die zu einer Begleichung der
Umsatzsteuerschuld (Belieferung der Goldscheideanstalten) notwendigen und
zunächst auch vorhandenen Mittel, die ihnen ein steuerehrliches Verhalten ermöglicht hätten, wurden ihnen nach den ihnen vorgegebenen Geschäftsabläufen entzogen. Damit ließen die Einlieferer dem Angeklagten sowie den weiteren
„führenden“ Mitgliedern der Bande insgesamt völlig freie Hand.
Die hieraus resultierende Leitungsmacht des Angeklagten wird besonders deutlich in den Fällen, in denen der Angeklagte selbst die Einlieferer zum
Zwecke des Goldhandels anwarb, ihnen gefälschte Papiere besorgte und ihnen
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Anweisungen zur Erledigung notwendiger Formalitäten erteilte. Aber auch soweit anstelle des Angeklagten die weiteren führenden Mitglieder der Bande bei
der Einflussnahme auf die „Strohleute“ mitwirkten, gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie handelten auf der Grundlage einer gemeinsamen Absprache, die basierend auf dem „bewährten Geschäftsmodell“ eine intern arbeitsteilige Vorgehensweise vorsah. Einschränkungen der Befugnisse des Angeklagten waren
damit aber nicht verbunden.
Jedenfalls gegenüber den Einlieferern und den weiteren führenden Bandenmitgliedern, also gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ trat der Angeklagte als einer der faktischen „Leiter“ der Unternehmen der Einlieferer auf.
Soweit der Angeklagte den Einlieferern gefälschte Papiere verschafft hatte und
sie bei der Erledigung der erforderlichen Formalitäten begleitete, trat er zudem
gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ auf. Als der Angeklagte etwa in Begleitung von Einlieferern bei einer Steuerberaterin, der Zeugin L. , erschien,
trat der Angeklagte, so deren Wahrnehmung, als derjenige auf, der „die Geschäfte gemacht“ hat (UA S. 115). Demgegenüber beschränkte sich das Handeln der Einlieferer auf die Einlieferung des Goldes bei den Scheideanstalten
sowie auf Treffen mit dem Angeklagten oder anderen führenden Bandenmitgliedern, um dabei Geld und Gutschriften auszuhändigen oder Abdeckrechnungen sowie Gold entgegenzunehmen.
Der Angeklagte war auch in der Lage, zumindest mittelbar über die jeweiligen Einlieferer und die weiteren führenden Bandenmitglieder, der Verpflichtung zur Einreichung von Umsatzsteuervoranmeldungen nachzukommen.
Denn er hatte Zugriff auf die Gutschriften der Goldscheideanstalten, anhand
deren die Umsatzsteuervoranmeldungen hätten erstellt werden können. Zudem
war er nach der getroffenen Bandenabrede auch für die „Logistik“ und damit für
die Erstellung der Abdeckrechnungen anhand der Gutschriften verantwortlich.
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90- 32 –
Damit trafen ihn als Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO die Pflichten
eines gesetzlichen Vertreters.
(2) Für die Fälle 20 bis 22 und 29 der Urteilsgründe gilt nichts Abweichendes. Zwar haben die Einlieferer Y. und D. in diesen Fällen aus
Nachlässigkeit oder sonstigen Gründen abredewidrig statt unrichtiger Voranmeldungen überhaupt keine Erklärungen abgegeben. Dies beseitigte aber nicht
die auch in diesen Fällen bestehende, sich aus der „arbeitnehmerähnlichen
Stellung“ dieser „Strohleute“ ergebende Verfügungsbefugnis des Angeklagten
i.S.v. § 35 AO.
(3) Damit traf den Angeklagten in den Fällen 20 bis 22 sowie 27 bis 29
der Urteilsgründe neben den anderen führenden Bandenmitgliedern Ba.
und Gl. eine sich aus § 35 AO ergebende Pflicht, für die Unternehmen der
als „Strohleute“ tätigen Einlieferer Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben.
Dieser Pflicht sind sie gemeinschaftlich (vgl. hierzu allgemein Weigend in LKStGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 82 mwN) nicht nachgekommen und haben sich daher
– wie vom Landgericht ausgeurteilt – wegen in Mittäterschaft begangener Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2
StGB strafbar gemacht.
4. Fallgruppe I.2.b (Fälle 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe)
Im Gegensatz zur Fallgruppe I.2.a hält der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen in den Fällen der Fallgruppe I.2.b (Fälle 19
sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe) rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn in
diesen Fällen traf den Angeklagten keine Offenbarungspflicht für die von den
als Einlieferern tätigen Bandenmitgliedern G. und Gl. mit den
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94- 33 –
Scheideanstalten getätigten Umsätze. Der Senat stellt jedoch den Schuldspruch auf Beihilfe (§ 27 StGB) um.
a) Gegenüber den Scheideanstalten wurden hier allein die führenden
Bandenmitglieder G. und Gl. , die insoweit als Einlieferer auftraten,
als Unternehmer i.S.v. § 2 UStG tätig, nicht die hinter diesen stehende Bande.
Der Angeklagte war daher auch nicht als Bandenmitglied zur Offenbarung dieser Umsätze gegenüber den Finanzbehörden verpflichtet.
b) Auch aus § 35 AO traf den Angeklagten nicht die Pflicht, für die als
Einzelunternehmer tätigen G. und Gl. die steuerlichen Pflichten
wahrzunehmen. Denn anders als die übrigen Einlieferer („Strohleute“) waren
die Bandenmitglieder G. und Gl. nicht lediglich völlig weisungsabhängige „Strohleute“, sondern nahmen ebenfalls Führungspositionen innerhalb
der Bande ein. Dementsprechend ermöglichten es die internen Absprachen
dem Angeklagten weder, in den Geschäftsablauf von G. oder Gl. als
Einlieferer aktiv einzugreifen noch deren Geschäfte „treuhänderisch“ zu führen.
Der Angeklagte hatte daher gegenüber diesen Personen keine Stellung inne,
die ihn hinsichtlich deren Einzelunternehmen als Verfügungsberechtigten i.S.v.
§ 35 AO qualifizieren würde.
c) Sonstige Offenbarungspflichten gegenüber den Finanzbehörden sind
nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Angeklagte hier jedenfalls wegen der
Besonderheiten des Besteuerungsverfahrens im Umsatzsteuerrecht (§ 18
UStG, § 168 AO) auch keine Offenbarungspflichten aus einer sich etwa aus
dem von der Bande betriebenen Hinterziehungssystem ergebenden Garantenstellung (Ingerenz) verletzt.
d) Der Senat kann den Schuldspruch jedoch auf Beihilfe (§ 27 StGB), die
von den Feststellungen getragen wird, abändern. Er schließt aus, dass sich der
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98- 34 –
Angeklagte gegen diesen Vorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können.
III.
Die Schuldspruchänderung von Steuerhinterziehung auf Beihilfe zur
Steuerhinterziehung in Fallgruppe I.2.b (Fälle 19 sowie 23 bis 26 der Urteilsgründe) zieht die Aufhebung der Einzelstrafen in diesen Fällen sowie des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Im Übrigen ist die Strafzumessung rechtsfehlerfrei.
IV.
Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier allein vorliegenden Subsumtionsfehler nicht. Das neue Tatgericht darf allerdings weitere
Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
Nack Rothfuß Graf
Jäger Radtke
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Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden

 Leitsatz

Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind.

 

 Instanzenzug

Niedersächsisches FG vom 16. September 2010 16 K 295/09 (EFG 2011, 25 )BFH V R 27/11

 Gründe

I.

[1 ] Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig.

[2 ] Auf Antrag der Klägerin erteilte die Bezirksregierung am 30. September 2004 der Klägerin eine Bescheinigung „gemäß § 4 Nr. 21 a bb des Umsatzsteuergesetzes (UStG ) vom 24. März 1999”, wonach die Ballettschule —je nach Studio mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995— als Privatschule ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Auf weiteren Antrag erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur am 24. Januar 2008 zudem eine Bescheinigung „nach § 4 Nr. 20 a UStG ” (gemeint ist § 4 Nr. 20 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes —UStG—) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1973, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten „öffentlichen Einrichtungen” erfüllen. Die Klägerin beantragte daraufhin am 14. September 2006 und am 18. Februar 2008 die Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

[3 ] Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte die Anträge der Klägerin, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992 entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab.

[4 ] Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 25 ). Die Umsätze seien nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei, weil die Klägerin die Schüler auf den Beruf des Tänzers vorbereite, unabhängig davon, zu welchem Anteil die Schüler tatsächlich später diesen Beruf ergreifen würden. Entsprechendes gelte für die Umsätze mit Theater- und Schulaufführungen, für die die Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG erteilt worden sei. Bei den Bescheinigungen handele es sich um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) , die gemäß § 175 AO auch rückwirkend für einen Zeitraum vor dem Ausstellungsdatum erteilt werden könnten. Der Grundsatz von Treu und Glauben führe nicht zu einer zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung, denn die langjährige Untätigkeit der Klägerin bei der Beantragung der außersteuerlichen Grundlagenbescheide allein reiche für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nicht aus, vielmehr müsse neben dem Zeitablauf ein Umstandsmoment hinzutreten, aus dem das FA schließen könne, dass die Klägerin auf die Steuerbefreiung durch die Beantragung der Bescheinigungen verzichten wolle. Daran fehle es.

[5 ] Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts durch fehlerhafte Auslegung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben sowie wegen Nichtbeachtung der Verjährungsvorschriften. Die Geltendmachung der Steuerbefreiung in einem Zeitraum von 12 bis 30 Jahren nach vorangegangener Erklärung steuerpflichtiger Umsätze verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Verwirkung eines Anspruchs als Anwendungsfall des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlichen Tuns setze voraus, dass ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen habe, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden müsse.

[6 ] Zwar reiche nach der Rechtsprechung in der Regel ein bloßes Untätigbleiben in der Regel nicht aus und werde zusätzlich zu dem Zeitmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten gefordert, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) und der Berechtigte tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet habe (Vertrauensfolge). Ausnahmen seien jedoch möglich. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) in Entscheidungen zur Verwirkung der Rechtsbehelfsbefugnis (BFH-Urteil vom 14. Juni 1972 II 149/65 , BFHE 106, 134 ) und zur Klagebefugnis (BFH-Beschluss vom 19. August 1987 IV B 70/86 , BFH/NV 1988, 244 ) allein den Zeitablauf ausreichen lassen und im BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74 (BFHE 126, 130 , BStBl II 1979, 121) ausgeführt, die Voraussetzungen der Verwirkung könnten nicht für alle Fälle von vornherein festgelegt werden.

[7 ] Danach habe das FA spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr mit der Geltendmachung der Steuerbefreiung rechnen müssen. Die Vorschrift über die Verjährung der Steuerhinterziehung müsse analog angewendet werden. Zudem habe der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz vom 8. Dezember 2010 —JStG 2010 — (BGBl I 2010, 1768  ff.) eine Verjährungsregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG n.F. mit Wirkung vom 1. Januar 2011 geschaffen, wonach die Festsetzungsfrist für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide der vierjährigen Festsetzungsfrist für Feststellungsbescheide angepasst werde. Die neu geschaffene Verjährungsregelung für § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG  n.F. müsse analog für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG für die Jahre 1972 bis 1992 angewendet werden.

[8 ] Für die Veranlagungszeiträume 1972 bis 1976 habe das FG jedenfalls übersehen, dass die Festsetzungsverjährung nach der Reichsabgabenordnung (RAO) bereits eingetreten sei.

[9 ] Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil des FG Niedersachsen vom 16. September 2010 16 K 295/09 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

[10 ] Die Klägerin beantragt,

die Revision des FA zurückzuweisen.

[11 ] Das FG-Urteil sei zutreffend. Nach dem Anwendungserlass zur AO vom 12. Januar 2004 (BStBl I 2004, 31) zu § 175 Nr. 1.4 stehe der Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid nicht entgegen, dass sie, die Klägerin, den für eine Steuerbegünstigung erforderlichen, aber nicht fristgebundenen Antrag erst nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides gestellt habe. Ob bei einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG die Rückwirkung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausgeschlossen sei, spiele im Streitfall keine Rolle, weil die Regelung erst für Bescheinigungen gelte, die ab dem 28. Oktober 2004 vorgelegt worden seien (Art. 32 Abs. 5 JStG 2010, BGBl I 2010, 1768 ).

[12 ] Im Streitfall sei eine Bescheinigung bereits am 30. September 2004 vorgelegt worden. Der BFH habe weiter ausgeführt, dass entgegen den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) die Rückwirkung nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Die gegenteilige Rechtsansicht des XI. Senats des BFH (Urteil vom 15. September 1994 XI R 101/92 , BFHE 176, 146 , BStBl II 1995, 912), wonach einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG 1980 keine Rückwirkung vor ihrem Ausstellungsdatum zukomme, sei von der Verwaltung mit einem Nichtanwendungserlass belegt worden (Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. November 1995 IV C 4 -S 7177- 22/95, BStBl I 1995, 827). Eine analoge Anwendung der Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG  n.F., wonach die Festsetzungsverjährungsfrist auch für außersteuerrechtliche Grundlagenbescheide entsprechend gelten solle, komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht, da der Gesetzgeber die Geltung dieser Neuregelung erst ab dem 1. Januar 2011 angeordnet habe. Zudem habe der Gesetzgeber bewusst von einer Änderung des § 4 Nr. 21 UStG abgesehen, weil die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens beabsichtigt worden sei. Durch das Rechtsinstitut von Treu und Glauben in Form einer Verwirkung durch Zeitablauf dürfe nicht die gesetzgeberische Grundwertung unterlaufen werden, wonach die in § 4 Nr. 20 UStG enthaltene Begrenzung auf vier Jahre erst ab dem 1. Januar 2011 anzuwenden sei. Zudem dürfe eine in Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG ) angelegte Steuerbefreiung nicht durch nationales Recht beschränkt werden.

II.

[13 ] Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO— ).

[14 ] Zu Recht geht das FG davon aus, dass die Bescheinigungen nach § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG und § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der in den Streitjahren 1972 bis 1992 geltenden Fassung Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AO ) sind, deren Erlass grundsätzlich zu einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigen kann. Entgegen der Auffassung des FG ist die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1992 jedoch rechtswidrig, weil die Bescheinigungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Streitjahre 1972 bis 1992 erteilt worden sind. Denn auch Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur dann, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betreffende Steuer erlassen worden sind.

[15 ] 1. Von der Umsatzsteuer befreit sind nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre 1972 bis 1992 u.a. die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG in der Fassung der Streitjahre sind befreit die Veranstaltung von Theatervorführungen und Konzerten durch andere Unternehmer, wenn die Darbietungen von den unter Buchst. a der Vorschrift bezeichneten Theatern, Orchestern, Kammermusikensembles oder Chören erbracht werden.

[16 ] 2. Das FG geht zu Recht davon aus, dass es sich bei den für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 und Nr. 21 UStG erforderlichen Bescheinigungen der zuständigen Behörden um Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 AO handelt, die grundsätzlich Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein können (zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479 , BStBl II 2010, 15, Rz 27 f.; ebenso BFH-Urteil vom 19. Oktober 2011 XI R 40/09 , BFH/NV 2012, 798 ).

[17 ] a) Die Wirkung der Bescheinigung bezieht sich grundsätzlich auf den in ihr bezeichneten Gegenstand und Zeitraum, auch wenn letzterer vor der Bekanntgabe der Bescheinigung liegt (BFH-Urteile vom 18. Februar 2010 V R 28/08 , BFHE 228, 474 , BStBl II 2010, 876; in BFHE 226, 479 , BStBl II 2010, 15; vom 24. September 1998 V R 3/98, BFHE 187, 334 , BStBl II 1999, 147).

[18 ] b) Der Klägerin wurde am 24. Januar 2008 bescheinigt, dass die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule der Klägerin ab 1. Januar 1973 die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen, wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG genannten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und am 30. September 2004, dass die Ballettkurse in den vier Studios jeweils mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG ordnungsgemäß auf verschiedene Berufe vorbereiteten.

[19 ] 3. Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für Umsatzsteuer 1972 bis 1976 steht jedoch entgegen, dass die Bescheinigungen erst am 24. Januar 2008 bzw. am 30. September 2004 und damit nach Ablauf der nach der RAO zu bestimmenden Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer diesen Streitjahren erteilt worden sind.

[20 ] Nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 1993 X R 113/91 , BFH/NV 1994, 221 ; vom 8. April 1992 X R 164/88, BFH/NV 1992, 717 ; vom 23. Juni 1993 X R 214/87, BFH/NV 1994, 295 ; vom 22. Februar 1991 III R 35/87, BFHE 164, 198 , BStBl II 1991, 717; vom 18. Mai 1990 VI R 17/88, BFHE 160, 425 , BStBl II 1990, 770) richtet sich zwar die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden ab dem 1. Januar 1977 grundsätzlich nach der AO (Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung —EGAO 1977 —, BGBl I 1976, 3341 , 3382); dagegen bestimmt sich die Verjährung u.a. für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Art. 97 § 10 EGAO 1977 ) nach der RAO. Für eine Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelten keine Besonderheiten (BFH-Urteil in BFHE 164, 198 , BStBl II 1991, 717).

[21 ] Für die Umsatzsteuer betrug die Verjährungsfrist nach § 144 RAO fünf Jahre. Sie begann nach § 144 RAO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der Steuer folgt und ist für die Streitjahre 1972 bis 1976 offensichtlich bereits seit langem abgelaufen.

[22 ] 4. Für die Streitjahre unter Geltung der AO  (1977) —1977 bis einschließlich 1992— ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31. Dezember 1981: § 175 Satz 1 Nr. 1 AO ) ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO ), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO sind Grundlagenbescheide die Bescheide, die für die Festsetzung einer Steuer als Feststellungsbescheid, als Steuermessbescheid oder als anderer Verwaltungsakt bindend sind.

[23 ] a) Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Dies gilt auch für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO . Ob die Festsetzungsverjährung einer Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO entgegensteht, ist unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO zu bestimmen. Nach der in den Streitjahren geltenden Fassung dieser Vorschrift endete die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des für die Steuerfestsetzung bindenden Grundlagenbescheides.

[24 ] b) Entgegen der Auffassung des FG stand der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der Bescheinigungen vom 30. September 2004 und vom 24. Januar 2008 nach § 175 Abs. 1 AO entgegen, dass die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bei Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Behörde bereits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid —i.S. der §§ 179 ff. AO einem Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 AO )— oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt.

[25 ] aa) Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grundsätzlich unselbständiger Teil des Steuerbescheides; eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einheit des Steuerfestsetzungsverfahrens (vgl. §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 2 AO ) findet nur statt, wenn und soweit dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399 , BStBl II 2005, 679, unter C.4.). Insoweit bezwecken die Vorschriften der §§ 179 ff. AO in verfahrens-rechtlich gestufter und abschichtender Weise, die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen zu können (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 209, 399 , BStBl II 2005, 679, unter C.3.b). Steuerrecht-liche Grundlagenbescheide —wie z.B. Feststellungsbescheide— unterliegen den Regelungen der AO , die im Gegensatz zur RAO für den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigenständige Feststellungsfrist eingeführt hat. So gelten für die gesonder-te Feststellung gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch die Vor-schriften über die Festsetzungsverjährung sinngemäß.

[26 ] Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist im Übrigen nur insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Festsetzungsfrist und Feststellungsfrist bei steuerrechtlichen Grundlagenbescheiden auseinanderfallen können, weil auch für die Feststellungsfrist die Ablaufhemmungstatbestände maßgeblich sind.

[27 ] Der AO liegt danach ein Regelungssystem zugrunde, wonach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden sind.

[28 ] bb) Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung —wie in den Fällen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO — voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.

[29 ] (1) Eine Regelungslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist („rechtspolitische Fehler”), reicht nicht aus. Ob eine Regelungslücke oder lediglich ein sog. rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zurückzugreifen ist. Die Unvollständigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz immanenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbständigen kritischen Würdigung des Gesetzes. Auch bei einem eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslücke vorliegen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2010 V R 38/08 , BFHE 229, 385 , BStBl II 2010, 873, unter II.5.a, m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).

[30 ] Liegt eine sog. Gesetzeslücke vor, ist diese in einer dem Gesetzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessystematik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lückenfüllung kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder Reduktion in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 229, 385 , BStBl II 2010, 873, unter II.5.a). Dies ist Aufgabe der Fachgerichte (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 1990 1 BvR 1186/89 , BVerfGE 82, 6, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1990, 1593 , unter C.I.1.).

[31 ] (2) Danach enthält § 171 Abs. 10 AO eine Regelungslücke. Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können (vgl. BFH-Urteile vom 31. Januar 1989 VII R 77/86 , BFHE 156, 30 , BStBl II 1989, 442, unter II.3.b; vom 26. Februar 2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229 , BStBl II 2008, 659, unter II.3.a bb; vom 24. Januar 2008 VII R 3/07, BFHE 220, 214 , BStBl II 2008, 462, unter II.2.b; vom 12. Mai 2009 VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602 , unter 3.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung , Finanzgerichtsordnung , vor §§ 169 ff. AO Rz 5).

[32 ] Dieser auch für die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu beachtende Normzweck wird für den Fall ressortfremder Grundlagenbescheide nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungsbescheide der Finanzbehörden i.S. von §§ 179 ff. AO auch bei einer Bekanntgabe nach Ablauf der regulären Festsetzungsfristen des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 10 AO führen würden, ohne dass für den Erlass derartiger Grundlagenbescheide —wie nach § 181 AO — zeitliche Grenzen bestehen. Eine für ressortfremde Grundlagenbescheide zeitlich unbegrenzte Änderungsmöglichkeit ist nicht lediglich ein rechtspolitischer Fehler. Die Verselbständigung der Feststellung einzelner für die Besteuerung vorgreiflicher Umstände und Beurteilungen rechtlicher Art (Besteuerungsgrundlagen, vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 2000 VIII R 40/99 , BFH/NV 2001, 17 ) aus verfahrensökonomischen Gründen —z.B. mit Rücksicht auf Sachnähe (z.B. BFH-Beschluss vom 15. September 2011 I R 53/10 , BFH/NV 2012, 23 zu § 51a des Einkommensteuergesetzes )— hat unabhängig davon, ob die abgeschichtete Feststellung den Finanzbehörden oder einer ressortfremden Behörde obliegt, lediglich dienende Funktion gegenüber der Steuerfestsetzung (Begründung zu § 162 EGAO 1974 , BTDrucks VI/1982, 157; z.B. BFH-Urteile vom 12. Juni 2002 XI R 26/01 , BFHE 198, 395 , BStBl II 2002, 681; vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392 , BStBl II 2001, 156).

[33 ] (3) Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass derartige Grundlagenbescheide ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 und 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte nur dann eine Ablaufhemmung begründen, wenn die Bekanntgabe dieser Grundlagenbescheide noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, erfolgt. Damit trägt der Senat den vom BVerwG (BVerwG-Urteil vom 11. Oktober 2006 10 C 4/06, NJW 2007, 714 ) und im Schrifttum (vgl. z.B. Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 93; a.A. Bannitza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 206) geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden Rechnung.

[34 ] (4) Der teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO bei der Bekanntgabe ressortfremder Grundlagenbescheide steht die mit Wirkung ab 1. Januar 2011 in Kraft getretene Neuregelung in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 3 UStG nicht entgegen. Zwar gilt für die Erteilung der in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG genannten Bescheinigung § 181 Abs. 1 und 5 AO entsprechend. Die erst nach den Streitjahren in Kraft getretene Neuregelung ist jedoch für die Beurteilung, ob nach der in den Streitjahren bis 1992 bestehenden Rechtslage eine Regelungslücke vorlag und ob der Gesetzgeber eine in den Streitjahren bestehende Regelungslücke für spätere Besteuerungszeiträume geschlossen hat, nicht von Bedeutung.

[35 ] c) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt diese Auslegung nicht zu einer Beschränkung der unionsrechtlich vorgegebenen Steuerbefreiung. Unionsrechtliche Grundlage der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 20 (kulturelle Dienstleistungen) und § 4 Nr. 21 UStG (Privatschulen) ist Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG . Unionsrechtliche Ansprüche werden aber nur im Rahmen der jeweils geltenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gewährleistet (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 46/09 , juris). Auch der Hinweis der Klägerin auf die sog. „Emmotschen Fristenhemmung” nach dem Urteil des Ge-richtshofs der Europäischen Union vom 25. Juli 1991 C-208/90, Emmot (Slg. 1991, I-4269, Höchstrichterliche Finanzrecht-sprechung 1993, 137) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn diese setzt voraus, dass die entsprechende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden und die Geltendmachung des Anspruchs unzumutbar erschwert oder versperrt war (BFH-Urteil vom 21. März 1996 XI R 36/95 , BFHE 179, 563 , BStBl II 1996, 399). Im Streitfall ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin von der Beantragung der Grund-lagenbescheide in nicht verjährter Zeit abgehalten worden ist.

[36 ] Der Senat weicht entgegen der Auffassung der Klägerin in dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 25. Februar 2013 nicht i.S. des § 11 FGO von den BFH-Urteilen vom 13. Dezember 1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245) und vom 9. August 1983 VIII R 55/82 (BFHE 139, 341 , BStBl II 1984, 86) ab. Eine Anrufung des Großen Senats des BFH ist daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich.

[37 ] d) Eine Abweichung liegt nur bei einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage vor (z.B. BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147 , BStBl II 1986, 207; BFH-Urteile vom 15. Februar 2012 XI R 24/09 , BFHE 236, 267 , unter II.4.; vom 17. September 2002 IX R 68/98, BFHE 199, 493 , BStBl II 2003, 2, unter II.1.b) und setzt daher einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt voraus (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140 , BStBl II 1979, 570; BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85 , BFHE 158, 31 , BStBl II 1989, 990, unter II.3.c (4)). Liegen den Entscheidungen unterschiedliche Sachverhalte zugrunde, ergeben sich daraus andere rechtliche Wertungen und die Beurteilung anderer Rechtsfragen. Bei Ausführungen, die verallgemeinernd über den entschiedenen Fall hinausgehen, handelt es sich mithin allenfalls um ein obiter dictum, das regelmäßig die Annahme einer Abweichung i.S. des § 11 FGO nicht indiziert (vgl. dazu BFH-Urteile vom 2. September 2008 VIII R 2/07 , BFHE 223, 15 , BStBl II 2010, 25, unter II.2.e; in BFHE 236, 267 , unter II.4.; vom 26. Mai 1993 X R 72/90, BFHE 171, 455 , BStBl II 1993, 855; BFH-Beschluss vom 22. Juli 1977 III B 34/74 , BFHE 123, 112 , BStBl II 1977, 838; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung , 7. Aufl., § 11 Rz 11, m.w.N.). Eine Anrufung des Großen Senats ist in diesem Falle nicht erforderlich (z.B. BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 VII R 60/89 , BFHE 162, 1 , BStBl II 1990, 1071, und in BFHE 158, 31 , BStBl II 1989, 990).

[38 ] e) Weder der III. Senat noch der VIII. Senat des BFH haben über die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage der Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides entschieden.

[39 ] aa) In dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil in BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245 hat der III. Senat vielmehr entschieden, dass sich eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aus den Vorschriften der Festsetzungsverjährung ergibt (in BFHE 145, 545 , BStBl II 1986, 245, unter II.1.b). Zudem betrifft diese Entscheidung einen bereits vor Erlass des streitigen Steuerbescheides erlassenen Grundlagenbescheid. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber über die Wirkungen eines nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassenen Grundlagenbescheides zu entscheiden. Das ist ein anderer Sachverhalt. Soweit der III. Senat ausführt, solange der Folgebescheid einen „—gleichgültig zu welchem Zeitpunkt erlassenen—” Grundlagenbescheid nicht berücksichtige, sei die diesem zugedachte Aufgabe noch nicht erfüllt, handelt es sich nur um ein obiter dictum.

[40 ] bb) Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 139, 341 , BStBl II 1984, 86 liegt nicht vor. Das Urteil betrifft die Frage, ob ein Steuerbescheid auch dann noch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden kann, wenn der (innerhalb der Festsetzungsfrist des Folgebescheides erlassene) Grundlagenbescheid bereits bei Erlass eines früheren Steuerbescheides hätte berücksichtigt werden können und damit einen anders gelagerten Sachverhalt und eine andere Rechtsfrage betrifft.

[41 ] f) Aus denselben Gründen liegt auch keine Abweichung vom BFH-Urteil vom 14. April 1988 IV R 219/85 (BFHE 153, 285 , BStBl II 1988, 711) vor, weil dieses Urteil eine Fallgestaltung betrifft, in der die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten war. Soweit der IV. Senat darüber hinaus ausgeführt hat, eine zeitliche Beschränkung für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergebe sich lediglich aus den Vorschriften über die Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO ) und über die Feststellungsverjährung (§ 181 AO ) und im „übrigen ist eine Änderung des Folgebescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nur ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen”, war dies nicht entscheidungserheblich.

[42 ] g) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, der Senat setze sich in Widerspruch zu „Regelungen im Anwendungserlass” zu § 175 Abs. 1 Satz 1 AO und den Umsatzsteuer-Richtlinien zu § 4 Nr. 21 UStG bzw. dem nachfolgenden Umsatzsteueranwendungserlass . Denn hierbei handelt es sich um sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen keine Rechtsnormqualität zukommt und die die Gerichte nicht binden (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 XI B 250/07 , BFH/NV 2009, 394 ; vom 19. Januar 2010 VIII R 40/06, BFHE 228, 216 , BStBl II 2011, 254; vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4 , BStBl II 1995, 754).

Günstigere Berechnung der Klagefrist bei verzögerten Brieflaufzeiten in sog. „Weiterleitungsfällen“ bei Einschaltung privater Zustelldienste

Seit Aufhebung des Briefmonopols können sich die Finanzämter zur Bekanntgabe ihrer Steuerbescheide auch anderer Briefzustelldienste als der Deutschen Post AG bedienen. Diese sind jedoch häufig nur regional tätig und übergeben Sendungen an Empfänger außerhalb ihres eigentlichen Zustellbezirks zur Weiterbeförderung an die Deutsche Post AG (sog. Weiterleitung). Der 2. Senat hat mit Zwischenurteil vom 27. Februar 2013 (Az. 2 K 3274/11) entschieden, dass in solchen Weiterleitungsfällen Zweifel an der gesetzlichen Vermutung angebracht sind, wonach der Steuerbescheid dem Empfänger als am dritten Tag nach seiner Aufgabe zur Post bekanntgegeben gilt (sog. Drei-Tages-Fiktion, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die einmonatige Klagefrist beginnt dann erst mit dem vom Empfänger behaupteten späteren Zugangszeitpunkt zu laufen, sofern es der Finanzbehörde nicht gelingt, ihrerseits den Zugang des Bescheids innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums nachzuweisen.

Im Streitfall hatte die Klägerin vorgetragen, dass ihr der Bescheid erst am 16. August 2011 und damit erst am vierten Tag nach Aufgabe der Sendung an den privaten Briefzustelldienst zugegangen sei. Zugleich hatte sie geltend gemacht, dass durch die Weiterleitung der Sendung an die Deutsche Post AG die üblichen Zustellzeiten nicht eingehalten worden seien. Das Finanzgericht hat der Klägerin Recht gegeben und die Zulässigkeit der erst am 16. September 2011 eingegangenen Klage bejaht. Da der private Zustelldienst die Weiterleitung erst am Folgetag nach Aufgabe der Sendung vorgenommen habe, sei bereits ein Drittel des Drei-Tages-Zeitraums verstrichen, ohne dass die Sendung überhaupt befördert worden wäre. Die Drei-Tages-Fiktion sei dadurch so schwer erschüttert, dass sie zur Berechnung der Klagefrist nicht mehr angewendet werden könne.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: FG Baden-Württemberg

FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 16.05.2013 zum Urteil 2 K 3274/11 vom 27.02.2013