Archiv der Kategorie: Einkommen- und Lohnsteuer

Einkommensteuererklärung: Wer online einreicht, kann doppelt gewinnen

Ab 1. März starten die Finanzämter in NRW mit der Veranlagung der Steuerklärungen 2012. Die Finanzverwaltung wirbt dafür, dass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Vorteile einer elektronischen Abgabe nutzen. Arbeitnehmer können die Formulare aber nach wie vor auch in Papierform ausfüllen und einreichen. Das Bundesfinanzministerium bietet die Formulare auf seiner Internetseite zum Ausdrucken an ( www.bundesfinanzministerium.de ). Nach Wegfall des Vordruckversandes ab 2013 versenden die Finanzämter in begründeten Einzelfällen die Vordrucke auch per Post. Zudem liegen die Vordrucke auch bei Städten und Gemeinden  aus.

Wer sich für die elektronische Lohnsteuererklärung mit der kostenlosen Finanzverwaltungs-Software Elster oder mit anderen Steuerprogrammen entscheidet, kann Zeit und Geld sparen sowie Fehler über eine Plausibilitätsprüfung vermeiden. Ein weiterer Pluspunkt: Das Finanzministerium verlost drei Notebooks und 50 stylische Trinkbecher unter den Einsendern, die ihre Steuererklärung für das Veranlagungsjahr 2012 bis zum 31. Mai 2013 elektronisch einreichen. Nähere Informationen und Teilnahmebedingungen des Gewinnspiels finden Sie in den Anlagen.

Freiberufler oder Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, einem Gewerbebetrieb oder einer anderen selbständigen Arbeit sind verpflichtet, ihre Einkommensteuererklärung für 2012 elektronisch einzureichen. Sie können dazu die kostenlose Software der Finanzverwaltung oder andere zur Verfügung stehende Programme nutzen. Das gilt für Berufstätige wie für Rentnerinnen und Rentner mit zusätzlichen Gewinneinkünften. Ausführliche Informationen, wer die Steuererklärung elektronisch abgeben muss, stehen auf der ersten Seite der Anleitung zur Einkommensteuererklärung 2012.

 

http://www.ofd-rheinland.de/ Düsseldorf, den 01.03.13

Anlage

Zu den Teilnahmebedingungen [PDF]

FG Düsseldorf zur Absetzbarkeit von Kosten eines Prozesses zur Erlangung eines Studienplatzes

Aufwendungen für Kosten aus verwaltungsgerichtlichen Prozessen als außergewöhnliche Belastung.

 Leitsatz

  1. 1.           Auch Aufwendungen für Kosten aus verwaltungsgerichtlichen Prozessen können aufgrund der neuen Rechtsgrundsätze des BFH in seinem Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015, eine außergewöhnliche Belastung darstellen.
  2. 2.           Erstreiten Eltern ihrer Tochter im Rechtswege die Zulassung zum Studium, sind die hierfür aufgewendeten Gerichts- und Anwaltskosten als typische Aufwendungen für die Berufsausbildung im Sinne von § 33 EStG zu qualifizieren, so dass nach § 33 a Abs. 4 EStG eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG nicht in Betracht kommt.
  3. 3.           Infolge der typisierenden Pauschalregelung zur Berücksichtigung von Ausbildungskosten gilt die „Sperrwirkung” des § 33 a Abs. 4 EStG unabhängig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 33 a Abs. 1 EStG im konkreten Fall vorliegen (vgl. BFH-Rspr.).

 Gesetze

EStG § 33 Abs. 1
EStG § 33 Abs. 2 Satz 1
EStG § 33 a Abs. 1
EStG § 33 a Abs. 4

 Tatbestand

Streitig bei der Einkommensteuerfestsetzung 2010 ist die Höhe der zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Belastung.

In ihrer Steuererklärung machten die Kläger unteranderem einen Betrag i.H.v.

6383,00 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Bei diesem Betrag handelt es sich laut Vortrag der Kläger um Prozess– und Anwaltskosten, die den Klägern dadurch entstanden sind, dass sie für ihre Tochter „A”, geboren im Juni 1990, einen Studienplatz im Fach Psychologie für das Wintersemester 2010/2011 erkämpfen mussten. Aufgrund der durchgeführten Maßnahmen konnte erreicht werden, dass die Tochter „A” an der Universität „B” einen Studienplatz im Fach Psychologie erhalten hat.

Im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.11.2011 erkannte das Finanzamt diese Kosten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 09.11.1984, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 1985 Seite 135 , nicht als außergewöhnliche Belastung an.

Der rechtzeitig gegen die Steuerfestsetzung eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 04.04.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zwar habe der Bundesfinanzhof unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 12.05.2011 VI R 42/10 entschieden, dass Kosten eines Zivilprozesses – unabhängig von dessen Gegenstand – bei den außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 Einkommensteuergesetz –EStG- berücksichtigungsfähig sind. Nach dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen – BMF – vom 20.12.2011 IV C 4– S 2284/07/0031:002 sei das Urteil des Bundesfinanzhofs jedoch über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.

Mit ihrer am 25.04.2012 eingegangenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Das BFH-Urteil aus dem Jahr 1984 sei durch die vielen Gesetzesänderungen in der Zwischenzeit nicht mehr anzuwenden. Die rechtliche Situation habe sich erheblich verändert. Es gebe keinen Ausbildungsfreibetrag mehr. Lediglich dann, wenn die Kinder zur Berufsausbildung auswärtig untergebracht seien, gewähre der Gesetzgeber noch einen geringfügigen steuerlichen Freibetrag von 924,00 €.

Der BFH habe mit seinem Urteil vom 12.05.2011 entschieden, dass Kosten eines Prozesses unabhängig von dessen Gegenstand bei der Einkommensteuer als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können. Er habe ausgeführt, dass außergewöhnliche Belastungen dann vorliegen, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes entstehen. Die Kosten eines Prozesses zur Erlangung eines Studienplatzes entstünden der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen jedoch nicht. Deshalb seien diese Kosten als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die Kläger zur Erreichung des Studienplatzes gerichtlich vorgehen mussten. Das staatliche Gewaltmonopol lasse keinen anderen Weg zu.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.11.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.04.2012 dahingehend abzuändern, dass weitere Aufwendungen i.H.v. 6383,00 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

Klageabweisung.

Nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (siehe BFH-Urteil vom 09.11.1984, VI R 40/83 , BStBl. II 1985, Seite 135) seien Prozesskosten, die Eltern aufwenden, um für ihre Kinder einen Studienplatz in einem Numerus–Clausus–Fach zu erstreiten, Aufwendungen für die Berufsausbildung und deshalb keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz EStG .

Aufwendungen für die Berufsausbildung der Kinder seien grundsätzlich mit dem Freibetrag für den Betreuungs–, Erziehungs– oder Ausbildungsbedarf des Kindes nach § 32 Abs. 6 EStG bzw. mit dem Kindergeld abgegolten. Zur Abdeckung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindlichen auswärtig untergebrachten Kindes bestehe zusätzlich ein Anspruch auf den Freibetrag nach § 33 a Abs. 2 EStG .

Aufgrund der in den letzten Jahren vorgenommenen Gesetzesänderungen sei beim Familienleistungsausgleich der „alte” Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 EStG nunmehr im (doppelten) Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG (Freibetrag für das sächliche Existenzminimum und Freibetrag für Betreuungs–, Erziehungs– oder Ausbildungsbedarf) und dem erhöhten Kindergeld berücksichtigt. Insoweit bestünden keine Bedenken, das BFH-Urteil vom 09.11.1984 in seinen Grundsätzen weiterhin anzuwenden, denn der Gesetzgeber gewähre nunmehr in § 32 Abs. 6 EStG einen Freibetrag für Ausbildungsbedarf, welcher den „alten” Ausbildungsfreibetrag nach § 33 a Abs. 2 Nr. 2 S. 1 EStG ersetze.

Eine Berücksichtigung der Prozesskosten zur Erlangung eines Studienplatzes der Tochter als außergewöhnliche Belastung komme somit zum einen nicht in Betracht, weil es sich um Berufsausbildungskosten eines Kindes handele und zum anderen werde von der Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom 12.05.2011 zu Prozesskosten nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus angewendet.

In Bezug auf die Angemessenheit der Anwaltsvergütungen ist der Klägervertreter mit Schreiben des Berichterstatters vom 20.12.2012 um Übersendung der zu Grunde liegenden Honorarvereinbarung/Vergütungsvereinbarung und um Mitteilung der Höhe der gesetzlichen Anwaltsgebühren gebeten worden. Auf das Antwortschreiben vom 09.01.2013 und die damit überreichten Unterlagen wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2013 Bezug genommen.

 Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO ). Die geltend gemachten Kosten können nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden.

a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG ). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG ).

Zwar steht aufgrund des anwaltlichen Schreibens vom 09.01.2013 zur Überzeugung des Senates fest, dass die geltend gemachten Anwaltskosten nicht unangemessen im Sinne von § 33 Abs. 2 S. 1 EStG sind. Aufgrund der Vielzahl der eingeleiteten verwaltungsgerichtlichen Verfahren und der schlüssig dargelegten Gebühren in Höhe von knapp 490 € pro Eilverfahren geht der Senat davon aus, dass die gesetzlichen Gebühren höher gewesen wären als die Gebühren, die von Seiten des Anwalts kraft Honorarvereinbarung für die Verfahren der Tochter in Rechnung gestellt wurden.

Auch der Umstand, dass die getätigten Aufwendungen Kosten aus Verwaltungsprozessen sind, welche nach der bisherigen Rechtsprechung regelmäßig keine außergewöhnliche Belastung darstellen (vergleiche BFH–Beschluss vom 17.09.1999 III B 38/99 , in Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2000, 315), würde aufgrund der neuen Rechtsgrundsätze des BFH in seinem Urteil vom 12.05.2011, VI R 42/10, BStBl. II 2011, 1015, von der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus mit einem Nichtanwendungserlass belegt (BMF-Schreiben vom 20.12.2011 , BStBl. I 2011, 1286) einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung grundsätzlich nicht entgegenstehen. Das vom BFH in seiner Entscheidung vom 12.05.2011 betonte staatliche Gewaltmonopol, nach dem strittige Ansprüche nur mit Hilfe der Gerichte durchzusetzen oder abzuwehren sind, gilt auch bei der Durchsetzung von Ansprüchen im öffentlich-rechtlichen Bereich (für eine Gleichbehandlung der Kosten für Zivilprozesse und verwaltungsgerichtliche Prozesse nach der neuen BFH-Rechtsprechung ebenfalls Schmieszek in Bordewin- Brandt, § 33 EStG Rz. 370; vgl. ferner auch Trossen, Anmerkung zum Urteil des FG Hamburg 24.09.2012 – 1 K 195/11 , Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2013, 41 ).

b) Die Anwendung des § 33 EStG ist aber durch § 33 a Abs. 4 EStG ausgeschlossen, weil es sich um Aufwendungen für die Berufsausbildung der Tochter im Sinne des § 33 a Abs. 1 EStG handelt. Nach § 33 a Abs. 4 EStG kann in den Fällen der Absätze 1 und 2 wegen der in diesen Vorschriften bezeichneten Aufwendungen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 nicht in Anspruch nehmen. Der Begriff der Berufsausbildung i.S. des § 33 a Abs.1 und 2 EStG ist weit, was sich schon daraus ergibt, dass er z.B. die gesamte Schulbildung mit umfasst (Urteil des BFH vom 10. Februar 1961 VI 182/60 U , BStBl III 1961, 160). Berufsausbildung in diesem Sinne liegt auch vor, wenn das Kind des Steuerpflichtigen nach Schulabschluss und der dadurch erlangten Hochschulreife ein Erststudium absolviert. Zu den Aufwendungen für die Berufsausbildung gehören ferner vorab entstandene Aufwendungen, die vom Steuerpflichtigen zu dem Zweck getätigt werden, dem Kind die von ihm gewünschte Art der Berufsausbildung zu ermöglichen. Als Kosten dieser Art sind die hier streitigen Gerichts- und Anwaltskosten zu qualifizieren, weil die Kläger sie aufgewendet haben, um ihrer Tochter im Rechtswege die Zulassung zum Studium zu erstreiten (BFH–Urteil vom 09.11.1984 VI R 40/83 , BStBl. II 1985, 135).

Unerheblich ist, ob die sonstigen Voraussetzungen von § 33 a Abs. 1 EStG in Bezug auf den dort für abziehbar erklärten Aufwand für eine etwaige Berufsausbildung vorliegen, was im Streitfall aufgrund der Regelung von § 33 a Absatz 1 S. 4 EStG zu verneinen ist, da die Kläger Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG haben. Infolge der typisierenden Pauschalregelung zur Berücksichtigung von Ausbildungskosten gilt die „Sperrwirkung” des § 33 a Abs. 4 EStG unabhängig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 33 a Abs. 1 EStG im konkreten Fall vorliegen (BFH – Beschluss vom 17.04.1997 III B 216/96 , BStBl. II 1997, 752 – damals zu § 33 a Abs. 5 Einkommensteuergesetz ).

c) Die Anwendbarkeit des § 33 EStG neben § 33 a Abs. 1 EStG ist auch nicht mit dem Argument zu bejahen, bei den Prozesskosten handele es sich nicht um typische Kosten der Ausbildung. Zwar hat die Rechtsprechung außergewöhnliche Unterhaltskosten

als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG angesehen (BFH–Urteil vom 09.11.1984, BStBl. II 1985, 135 mit weiterem Nachweis; vgl. zur Nichtanwendbarkeit von § 33 EStG auf typische Berufsausbildungskosten als typischer Unterhaltsaufwand BFH-Urteil vom 17.12.2009 VI R 63/08 , BStBl. II 2010, 341 mit weiteren Nachweisen). Der Senat schließt sich jedoch der bisherigen Rechtsprechung an, nach der die hier entstandenen Kosten ihrer Art nach nicht so ungewöhnlich sind, dass sie aus dem Rahmen der durch die Pauschalregelung des § 33 a Abs. 1 EStG abgegoltenen Ausbildungskosten fallen würden (BFH-Urteil vom 09.11.1984, BStBl. II 1985, 135).

d) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Zum einen wird die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum erleichterten Abzug von (Zivil) Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung kritisch gesehen (vergleiche Schmitz–Herscheidt, Neue Wirtschafts-Briefe – NWB – 3/2013, 112; FG Hamburg, Urteil vom 24.09.2012 – 1 K 195/11 , EFG 2013, 41 mit Anmerkung Trossen, Revision eingelegt (Az. des BFH: X R 34/12)].

Zum anderen halten Teile des Schrifttums und der FG–Rechtsprechung entgegen der BFH Entscheidung vom 09.11.1984 verwaltungsgerichtliche Verfahrenskosten wegen Zulassung zum Studium nicht für typische laufende Unterhaltsaufwendungen, die von § 33 a Abs. 1 und 2 EStG erfasst werden; die Kosten lebenswichtiger Prozesse seien unterhaltsrechtlicher Sonderbedarf und einkommenssteuerrechtlich entsprechend ungewöhnliche Aufwendungen, die nicht durch § 33 a Abs. 4 (früher Abs. 5) EStG vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen sind (vergleiche Kanzler in Herrmann Heuer Raupach, EStG Kommentar, Lieferung 173 Juni 1993, § 33 EStG , Rn. 127 mit weiteren Nachweise).

Einkommensteuer – An Arbeitgeber ausbezahle Eingliederungszuschüsse

Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Sozialgesetzbuch, die dem Arbeitgeber gewährt werden, sind nicht nach § 3 Nr. 2 b EStG steuerfrei, sondern als zusätzliche Betriebseinnahmen zu erfassen. Nachträgliche Erkenntnisse im Rahmen einer Betriebsprüfung sind grundsätzlich verwertbar, wenn kein sog. Verwertungsverbot vorliegt. Das hat das Hessische Finanzgericht entschieden (Az.: 4 K 1346/11).

Geklagt hatte ein Bilanzbuchhalter, der ein Buchhaltungsbüro betreibt und daraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielte. Bei einer Betriebsprüfung hatte das Finanzamt festgestellt, dass dem Kläger auf einem privaten Konto Eingliederungszuschüsse für zwei Arbeitnehmerinnen gutgeschrieben worden waren, die dieser nicht als Betriebseinnahmen erfasst hatte. Deshalb erhöhte das Finanzamt den Gewinn um die erhaltenen Eingliederungszuschüsse. Außerdem hatte das Finanzamt festgestellt, dass auf Ausgangsrechnungen des Klägers an einen Kunden eine Bankverbindung angegeben war, die nicht in den Unterlagen  des Buchhaltungsbüros erfasst worden war. Zudem waren von einem weiteren Bankkonto hohe Privateinlagen getätigt worden. Dies führte zur Einleitung eines Strafverfahrens und zur Anforderung von Kontoauszügen bei den Kreditinstituten durch die Buß- und Strafsachenstelle des Finanzamtes.

Das Hessische Finanzgericht wies die Klage ab. Bei den Eingliederungszuschüssen handele es sich um Betriebseinnahmen des Arbeitgebers. Die Eingliederungszuschüsse seien auch nicht nach § 3 Nr. 2 b EStG steuerfrei, weil sie dem Kläger als Arbeitgeber gezahlt worden seien. Der Gesetzgeber mache im Gesetzestext durch den Verweis auf die Leistungen nach dem SGB II dagegen deutlich, dass er die Steuerfreistellung nur für Leistungen an Arbeitnehmer vorsehen wolle. Mit § 3 Nr. 2 b EStG solle ausschließlich die mit dem SGB II bezweckte Grundsicherung für Arbeitssuchende steuerlich unterstützt werden.

Selbst wenn man von der Steuerfreiheit der gewährten Eingliederungszuschüsse nach § 3 Nr. 2 b EStG ausgehe, verbleibe es in jedem Falle bei der Erfassung als weitere Betriebseinnahmen. Denn die den beiden Arbeitnehmerinnen gezahlten Löhne, die betragsmäßig höher seien als die Eingliederungszuschüsse und die als solche Betriebsausgaben darstellten, könnten dann in Höhe der entsprechenden Beträge gemäß § 3 c Abs. 1 Satz 1 EStG nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden, weil insoweit ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen bestehe. Ferner führe die Anforderung der Kontoauszüge durch die Bußgeld- und Strafsachenstelle nicht zu einem Verwertungsverbot zusätzlicher Betriebseinnahmen im Besteuerungsverfahren. Diese Ermittlungsmaßnahme im strafrechtlichen Verfahren sei weder zeitnah durch die dafür  trafprozessual vorgesehenen Rechtsbehelfe angefochtenen worden noch sei die Rechtswidrigkeit im Laufe des weiteren Verfahrens festgestellt worden. Vielmehr habe Kläger erst nach Auswertung der bereits mehr als 8 Monate zuvor übersandten Kontoauszüge und nach Ergehen der geänderten Einkommensteuerbescheide einen dafür gesetzlich nicht vorgesehenen Einspruch bei der Bußgeldund Strafsachenstelle eingelegt.

Letztlich würde aber auch die strafprozessuale Rechtswidrigkeit der Anforderung der Kontoauszüge nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren führen, weil nach der Rechtsprechung des BFH allein ein Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensnormen nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren führten. Schließlich habe die Anforderung der Kontounterlagen bei den Banken, nachdem diese von dem Kläger nicht vorgelegt worden seien, auch nicht zu massiven Grundrechtverletzungen geführt, die ein qualifiziertes Besteuerungsverbot im Besteuerungsverfahren nach sich zögen.

Das Hessische Finanzgericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung gegen sein Urteil vom 13.02.2013 die Revision zugelassen. Aktenzeichen des BFH: VIII R 17/13.

 

HESSISCHES FINANZGERICHT
Geschäftsnummer: 34117 Kas s e l
Königs tor 35
4 K 1346/11 34017 Kas s e l
Pos t f a ch 10 17 40
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
1.
-Kläger-
Prozessbev. zu 1. und 2.:
g e g e n
Finanzamt
-Beklagterw
e g e n
Einkommensteuer 2006-2008
hat der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 13. Februar 2013
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht
des Richters am Hessischen Finanzgericht
des Richters
– 2 –
sowie des
und des
als ehrenamtliche Richter
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob Leistungen zur Eingliederung in Arbeit
nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) auch dann gemäß § 3 Nr. 2b des Einkommensteuergesetzes
in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) steuerfrei
sind, wenn sie Arbeitgebern gewährt werden bzw. ob die von dem Finanzamt
erlangte Kenntnis über solche Leistungen und andere Zahlungen im vorliegenden
Falle einem Verwertungsverbot unterliegen.
Der Kläger ist Bilanzbuchhalter und betreibt ein Buchhaltungsbüro, die daraus
erzielten Einkünfte werden von den Beteiligten als Einkünfte aus selbstständiger
Arbeit behandelt. Er ermittelt seinen Gewinn durch Überschussrechnung
gem. § 4 Abs. 3 EStG. Die Kläger wurden für die Veranlagungszeiträume 2006
bis 2008 zunächst erklärungsgemäß zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 erging unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung.
Aufgrund eines Prüfungsvorschlags des Innendienstes des Finanzamts wurde
bei dem Kläger am 10.02.2010 um 8.30 Uhr mit einer die Jahre 2006 bis 2008
– 3 –
betreffenden Außenprüfung für sein Buchhaltungsbüro begonnen. Mit Prüfungsanfrage
vom selben Tag bat der Prüfer u.a. um die Vorlage der Kontoauszüge
eines Kontos bei der Bank 1 mit der Nummer xx1 für den Zeitraum vom
01.01.2006 bis 31.12.2008. Grund für die Anforderung war, dass diese Bankverbindung
insbesondere auf Ausgangsrechnungen an die Firma A-AG angegeben,
aber nicht in den Unterlagen des Buchhaltungsbüros erfasst war. Anschließend
setzte er die Außenprüfung in der Zeit vom 11.02.2010 bis
15.02.2010 fort. Am 12.02.2010 und 15.02.2010 richtete er weitere, nicht die
im gerichtlichen Verfahren streitigen Prüfungsfeststellungen betreffende,
schriftliche Prüfungsanfragen an den Kläger.
Im Verlauf der weiteren Prüfung stellte der Prüfer dann fest, dass von dem
Konto mit der Nummer xx2 bei der Bank2. im kompletten Prüfungszeitraum,
insbesondere aber in den Jahren 2007 und 2008, hohe Privateinlagen getätigt
worden waren. Daraufhin, und weil ihm die erbetnen Kontoauszüge des Kontos
bei der Bank 1 nicht ausgehändigt worden waren, besprach der Prüfer seine
weitere Vorgehensweise am 17.02.2010 mit dem zuständigen Sachgebietsleiter.
Das Ergebnis der Unterredung sei nach Angabe des Prüfers gewesen, dass im
Hinblick auf die Weigerung der Vorlage der Kontoauszüge und der ungeklärten
Einlagen davon habe ausgegangen werden müssen, dass weitere steuerrelevante
Zahlungsvorgänge vorlägen, die nicht in den Unterlagen des Klägers erfasst
worden seien. Er übersandte am 19.02.2010 einen „Aktenvermerk über den
Verdacht einer Steuerstraftat“ an die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts
Stadt A, in dem die bisher festgestellten Sachverhalte geschildert
worden waren.
Daraufhin leitete die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt A
mit Schreiben vom 22.02.2010 ein Strafverfahren ein, wogegen der Kläger mit
Schreiben vom 08.03.2010 eine „Gegenvorstellung“ erhob. In dem Schreiben
vom 22.02.2010 forderte die Bußgeld- und Strafsachenstelle den Kläger auf,
die Kontoauszüge für die Jahre 2006 bis 2008 hinsichtlich der bei der Bank2.
und bei der Bank 1 unterhaltenen Konten vorzulegen. Da der Kläger dem nicht
– 4 –
nachkam, richtete die Bußgeld- und Strafsachenstelle am 12.04.2010 u.a. an
die Bank 1 und an die Bank 2. Auskunftsersuchen gemäß § 161a der Strafprozessordnung
(StPO), in denen sie auch diese Kontoauszüge anforderte. Die ersuchten
Banken legten im April des Jahres 2010 die angeforderten Kontoauszüge
vor. Gegen die Anforderung der Kontoauszüge bei den Kreditinstituten
legte der Kläger bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt
A mit Schreiben vom 06.12.2010 Einspruch ein.
Zwischenzeitlich war der Prüfer unter Einbeziehung der von den Kreditinstituten
vorgelegten Kontounterlagen zu folgenden nunmehr noch streitigen Prüfungsfeststellungen
gelangt: Es waren in den Jahren 2006 bis 2008 einzelne
Zahlungen auf Ausgangrechnungen an die A-AG nicht im Rahmen der Gewinnermittlung
berücksichtigt worden (2006: 7120,–EUR, 2007: 1472,62 EUR
und 2008: 133,88 EUR; Tz. 12, 22 und 24 des Prüfungsberichts vom
29.09.2010). Diese rechnete er dem Gewinn des Klägers ebenso hinzu, wie einzelne
dem Kläger in den Jahren 2007 und 2008 im Zusammenhang mit seiner
selbstständigen Tätigkeit bezahlte, aber bisher nicht als Betriebeinnahmen berücksichtigte,
Versicherungsprovisionen (2007: 2.3841,48 und 2008:
388,97 EUR; Tz. 22 und 26 des Prüfungsberichts vom 29.09.2010).
Darüber hinaus stellte der Prüfer fest, dass in den Jahren 2007 und 2008 dem
Kläger Eingliederungszuschüsse für zwei Arbeitnehmerinnen gezahlt worden
waren, die nicht als Betriebseinnahmen berücksichtigt bzw. einem privaten
Konto des Klägers gutgeschrieben worden waren. Für die Arbeitnehmerin AN1
betrugen die Eingliederungszuschüsse in 2007: 2.880,00 € und in 2008: 360 €.
Der Kläger seinerseits hatte Frau AN1 Bruttolöhne in Höhe von 6.241,50 Euro
(in 2007) und 6.018,75 Euro (in 2008) gezahlt. Die Eingliederungszuschüsse
für die Arbeitnehmerin AN2 beliefen sich in 2007 auf 9.072 € und in 2008 auf
16.848 €. Frau AN2 waren von dem Kläger Bruttolöhne in Höhe von 11.986,45
Euro (in 2007) und 21.470,55 Euro (in 2008) gezahlt worden. Der Prüfer vertrat
die Ansicht, dass der Gewinn um sämtliche in den Jahren 2007 und 2008
erhaltenen Eingliederungszuschüsse zu erhöhen sei, weil diese Zuschüsse bei
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Gewährung an den Arbeitgeber nicht nach § 3 Nr. 2b EStG steuerfrei seien (Tz.
22 und 23 des Prüfungsberichts vom 29.09.2010). Im Anschluss an die
Schlussbesprechung und den Prüfungsbericht vom 29.09.2010 machte der Kläger
durch Schreiben vom 11.10.2010 diverse Einwendungen gegen die Prüfungsfeststellungen
geltend. Er vertrat insbesondere die Ansicht, der Kläger sei
nicht verpflichtet gewesen Kontenunterlagen aufzubewahren. Auch seien Eingliederungszuschüsse
gemäß § 3 Nr. 2b EStG steuerfrei.
Das Finanzamt schloss sich der Ansicht des Prüfers an und erließ am
26.10.2010 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume
2006 bis 2008, in denen es die Prüfungsfeststellungen berücksichtigte.
Die Änderung der Einkommensteuerbescheide stützte es für die Jahre 2006 und
2007 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und für das Jahr 2008
auf § 164 Abs. 2 AO. Den dagegen erhobenen Einspruch wies das Finanzamt
durch Einspruchsentscheidung vom 13.05.2011 als unbegründet zurück
(Bl. 7 ff. der Finanzgerichtsakte).
Zur Begründung ihrer Klage bringen die Kläger vor, die Betriebsprüfung habe
ergeben, dass keine weiteren Einnahmen von der Firma A-AG erzielt worden
seien, als die, die zu Beginn der Betriebsprüfung am 10.02.2010 in den vorgelegten
Ausgangsrechnungen an die Firma A-AG ersichtlich gewesen seien.
Drei Rechnungen an diese Firma über insgesamt 6.130 € seien im Jahre 2006
versehentlich nicht gebucht worden, weil wegen Zahlungsschwierigkeiten der
Firma A-AG diese Rechnungen erst weit nach Erteilung der Ausgangsrechnungen
bezahlt worden seien und die angestellte Buchhalterin, Frau AN2, davon
ausgegangen sei, dass sie schon früher gebucht worden waren. Die Rechnung
mit der Nummer 2007/06/05 über netto 1.237,50 € sei in 2007 nicht gebucht
worden, obwohl sie den handschriftlichen Vermerk mit dem „Buchungssatz“
und dem Zusatz „geb“ mit Namenszeichen der Buchhalterin enthalten habe.
Eine Erklärung für diesen Fehler könne selbst die Buchhalterin nicht geben.
– 6 –
Die auf dem Bankkonto bei der Bank 1 eingegangenen Provisionseinnahmen
seien regelmäßig auf das betriebliche Bankkonto überwiesen und als Betriebseinnahmen
gebucht worden. Dabei seien Beträge von 2.381,47 € in 2007
und von 388,97 € in 2008 übersehen worden. Diese Fehler seien aber ebenso
entschuldbar wie der Fehler des Betriebsprüfers, der in Textziffer 3 seiner Prüfungsfeststellungen
zu Unrecht die Rechnung Nr. 2007/06/04 in Höhe von
737,56 € netto zweimal als Betriebseinnahmen erfasst habe.
Die von dem Prüfer entdeckten Einlagen hätten leicht erklärt werden können,
wenn der Prüfer dem Kläger gegenüber diese überhaupt erwähnt hätte. Denn
diese Einnahmen hätten nur Versicherungsprämien von der Firma B-GmbH, die
auf das betriebliche Bankkonto umgebucht worden seien, betroffen. Eine Bestätigung
über sämtliche Provisionsansprüche im Prüfungszeitraum wäre leicht
und vor allem kostenfrei durch eine Anfrage bei der Firma B-GmbH zu beschaffen
gewesen. Es träfe auch nicht zu, dass der Kläger auf die Aufforderung
zur Vorlage der Bankkontoauszüge hinsichtlich des Kontos bei der
Bank 1 nicht reagiert habe. Der Kläger habe dem Prüfer vielmehr bedeutet,
dass er die Bankkontenauszüge wegen fehlender Aufbewahrungspflicht nicht
mehr vorliegen habe.
Die Eingliederungszuschüsse für die Arbeitnehmerin AN1 seien gebucht und
wegen Steuerfreiheit durch außerbilanzielle Abrechnung erfolgsneutral behandelt
worden. Der Eingliederungszuschuss für die Buchhalterin Frau AN2 sei
gleich privat auf dem Konto Nr. xx2 der Bank 2 vereinnahmt worden, weil die
Buchhalterin nicht die Höhe des Zuschusses im Rahmen der Buchführung habe
erfahren sollen.
Hinsichtlich der Kontoauszüge sei darauf hinzuweisen, dass es bei der Gewinnermittlung
nach § 4 Abs. 3 EStG keine Bestandkonten gäbe. Die Bankbewegungen
müssten nicht verbucht werden. Somit handele es sich um Privatkonten,
für die keine Aufbewahrungspflicht bestehe. Darüber hinaus dürfe eine
Mitwirkung auch nur verlangt werden, wenn sie zur Feststellung des steuer-
7 –
erheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig und zumutbar sei. Das
Finanzamt habe in seiner Ermessensentscheidung den Besonderheiten des vorliegenden
Falles nicht ausreichend Rechnung getragen. So hätten die Ausgangsrechnungen
der Firma A-AG vollständig vorgelegen. Darüber hinaus sollten
andere Personen (z.B. Banken) als die Beteiligten erst dann zur Auskunft
angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten
nicht zum Ziel führe oder keinen Erfolg verspreche (unter Hinweis auf § 93
Abs. 1 Satz 3 AO).
Der Betriebsprüfer habe dem Kläger nicht mitgeteilt, warum er die Kontoauszüge
der Bank 1 hätte vorgelegt haben wollen. Eine in einem solch verdeckten
Verfahren durchgeführte Betriebsprüfung verletzte § 199 Abs. 2 AO. Letztlich
sei auch zu berücksichtigen, dass Auskunftsverlangen im Rahmen von Rasterfahndungen
und ähnlichen Ermittlungen unzulässig seien. Ins Blaue hinein dürfe
die Finanzbehörde Auskunftsverlangen nicht stellen. Die an beide Banken
im April 2010 gerichteten Auskunftsersuchen des Finanzamts Stadt A seien
deshalb nicht zulässig. Deshalb sei auch gegen diese Maßnahme mit Schreiben
vom 06.12.2010 bei dem Finanzamt Stadt A Einspruch eingelegt worden.
Die Kläger sind darüber hinaus der Ansicht, es bestünde ein Verwertungsverbot
wegen einer Prüfung im verdeckten Strafverfahren. Im Streitfall liege ein
schwerwiegender Verstoß gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen
vor, weil ohne Belehrung über die Mitwirkungspflicht die Mitwirkung der
Steuerpflichtigen trotz des Verdachts des Betriebsprüfers auf Steuerhinterziehung
mehrfach gefordert worden sei und eine Mitwirkung deshalb auch erfolgt
sei. Den Verdacht auf Steuerhinterziehung habe der Betriebsprüfer wohl bereits
am ersten Prüfungstag wegen der nicht vollständigen Verbuchung der Ausgangsrechnungen
an die Firma A-AG und den erheblichen Einlagen von dem
Konto Nr. xx2 bei der Bank 2 gehabt. In der Anforderung der Kontoauszüge
durch die Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt A liege eine
Instrumentalisierung des Steuerpflichtigen. Dies habe ein Verwertungsverbot
zur Folge, weil zuerst der Betriebsprüfer durch gezielte Nichtbenennung des
– 8 –
Verdachts auf Steuerhinterziehung und daran anschließend auch die Strafsachenstelle
den Grund für das Verlangen auf Vorlage der Bankkontoauszüge
nicht benannt hätten. Der Vorwand der Strafsachenstelle, vom Prüfer hätten
nicht alle Rechnungs- und Erlösbuchungen nachvollzogen werden können, stelle
angesichts des geschilderten Geschehensablaufs bei der Betriebsprüfung eine
untaugliche Schutzbehauptung dar. Schwerwiegende Verstöße wie z.B. grundgesetzwidrige
Aufklärungsmethoden i.S.d. § 199 Abs. 2 AO würden zu einem
endgültigen materiell-rechtlichen Verwertungsverbot hinsichtlich der Ermittlungsergebnisse
führen. Eine geeignete Rechtsgrundlage für ein Verwertungsverbot
stelle auch der § 136a StPO dar. Trotz des seit Prüfungsbeginn bestehenden
Verdachts auf Steuerhinterziehung habe der Prüfer weder die Bankkontoauszüge
betreffend das Konto Nr. xx2 bei der Bank 2 verlangt noch eine Belehrung
nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO im Besteuerungsverfahren ausgesprochen,
obwohl er die Kontoauszüge der Bank 1 wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung
verlangt habe.
§ 10 Abs. 1 der Betriebsprüfungsanordnung (BpO) verpflichte den Prüfer im
Falle tatsächlicher Anhaltspunkt für eine Straftat (sog. strafrechtlicher Anfangsverdacht)
die Prüfung abzubrechen und die zuständige Straf- und Bußgeldstelle
unverzüglich zu unterrichten. Darüber hinaus sei der Steuerpflichtige
gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 BpO über sein Mitwirkungsverweigerungsrecht zu
belehren. Diese Verpflichtung bestehe nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BpO auch dann,
wenn lediglich die Möglichkeit bestehe, dass ein Steuerstrafverfahren durchgeführt
werden müsse. § 10 Abs. 1 Satz 2 BpO gebe damit den Zeitpunkt des Prüfungsabbruchs
auf die vor dem Stadium des strafrechtlichen Anfangsverdachts
im Sinne des § 152 StPO liegende Phase der bloßen Möglichkeit der Durchführung
eines Strafverfahrens an. Somit komme im vorliegenden Falle ein materielles
Verwertungsverbot in Betracht, da der Prüfer bewusst die zum Schutz
des Steuerpflichtigen explizierenden Normen umgangen und quasi „mit geschlossenem
Visier“ agiert habe. Die unter dem Deckmantel des Besteuerungsverfahrens
bei bewusster Täuschung des Steuerpflichtigen gewonnenen Er-
9 –
kenntnisse unterlägen analog § 136a StPO einem steuerlichen Verwertungsverbot.
Darüber hinaus seien die dem Kläger gezahlten Eingliederungszuschüsse steuerfrei,
denn seit dem 01.01.2005 seien gemäß § 3 Nr. 2b EStG Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II steuerfrei. Bis zum Jahre 2004 sei
die Steuerbefreiung für Eingliederungszuschüsse in § 3 Nr. 2a EStG in der
Weise geregelt gewesen, dass nur Zuschüsse steuerfrei gewesen seien, soweit
sie Arbeitnehmern gewährt worden seien. Nachdem diese einschränkende Regelung
in der Literatur stark kritisiert worden sei, sei diese Einschränkung
durch die Einführung des neuen § 3 Nr. 2b EStG bewusst beseitigt worden. Der
Beschluss des BFH vom 25.09.2002 IV B 139/00 sei noch zur Rechtslage des
§ 2a EStG bis 2004 ergangen.
Die Kläger beantragen,
1. die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2008 vom
26.10.2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13.05.2011
dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer für die einzelnen
Veranlagungszeiträume wie folgt festgesetzt wird:
für 2006: 5.530 €,
für 2007: 2.159 € und
für 2008: 3.211 €;
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für erforderlich
zu erklären;
3. die Revision zuzulassen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Finanzamt vertritt die Ansicht, die Änderung der Einkommensteuerbescheide
für die Jahre 2006 bis 2008 sei zu Recht erfolgt. Sowohl die Erhöhung
der Einnahmen des Klägers für die Jahre 2006 bis 2008 um nicht gebuchte
– 10 –
Zahlungen auf Rechnungen als auch die Berücksichtigung von Eingliederungszuschüssen
für die Jahre 2007 und 2008 als steuerpflichtige Einnahmen seien
rechtmäßig gewesen. Entgegen der Ansicht der Kläger läge auch kein steuerrechtliches
Verwertungsverbot vor. Die im Rahmen der Betriebsprüfung durch
das Finanzamt Stadt B erlangten Erkenntnisse seien verwertbar, da sich das
Finanzamt rechtsstaatlich unbedenklicher Ermittlungsmethoden bedient habe.
Dass kein Verwertungsverbot hinsichtlich der Auswertung der Kontenunterlagen
eingreifen könne, ergebe sich bereits daraus, dass der Kläger weder auf die
Anfrage des Prüfers vom 10.02.2010 noch auf die Anforderung der Bußgeldund
Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt A vom 22.02.2010 die angeforderten
Unterlagen eingereicht habe. Der Kläger sei auch rechtzeitig belehrt worden
im Sinne des § 393 Abs. 1 Satz 4 AO. Für den Prüfer hätten sich Anhaltspunkte
für eine Straftat erst im Laufe der Betriebsprüfung ergeben, weshalb der
Betriebsprüfer am 19.02.2010 einen Aktenvermerk über den Verdacht einer
Steuerstraftat angefertigt und diesen an die Bußgeld- und Strafsachenstelle
Stadt A übersandt habe.
Nach der Rechtsprechung des BFH (unter Hinweis auf Urteil vom 23.01.2002
XI R 10-11/10) bestünden Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren
grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Die Frage nach einem Verwertungsverbot
sei folglich im Steuerstrafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren
nach abgabenrechtlichen Vorschriften zu beantworten. Der
Steuerpflichtige bleibe auch nach Einleitung des Strafverfahrens weiter zur uneingeschränkten
wahrheitsgemäßen Mitwirkung im Besteuerungsverfahren verpflichtet.
Diese Mitwirkung könne allerdings nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO
nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Da nicht versucht worden sei,
die Mitwirkung des Klägers mit Zwangsmitteln durchzusetzen, komme im vorliegenden
Fall auch kein Verwertungsverbot in Betracht.
Eine Situation im Sinne des § 136a StPO sei zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen.
Es liege auch keine Instrumentalisierung des Steuerpflichtigen vor. Der
– 11 –
Prüfer habe im vorliegenden Fall die Prüfung unterbrochen, als tatsächliche
Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat bestanden hätten. Wie oben dargestellt,
habe der Prüfer einen Aktenvermerk an die Bußgeld- und Strafsachenstelle
übersandt, welche dann das Steuerstrafverfahren eingeleitet und den Kläger
auch auf seine Rechte hingewiesen habe. Eine Verletzung der Artikel 1 und 2
des Grundgesetzes (GG) liege daher nicht vor.
Darüber hinaus sei festzuhalten, dass die Kontoauszüge für die Kalenderjahre
2006 bis 2008 durch die Bank 1 und die Bank 2 im April 2010 aufgrund eines
Auskunftsersuchen der Bußgeld- und Strafsachenstelle im Rahmen des eröffneten
Strafverfahren übersandt worden seien. Der Prüfer selbst sei nicht nach
§ 93 Abs. 1 Satz 1 AO vorgegangen und habe die Kreditinstitute nicht um Vorlage
der Kontoauszüge gebeten. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle habe aber
ihrerseits die Kreditinstitute im Rahmen des Steuerstrafverfahrens um Vorlage
der Kontoauszüge bitten dürfen, sie habe im Steuerstrafverfahren das Recht
gemäß § 161a, 51 StPO i.V.m. §§ 386 Abs. 2, 399 AO Zeugen zu befragen.
Die in den Jahren 2007 und 2008 für die Arbeitnehmerinnen AN1 und AN2
dem Kläger gutgeschriebene Eingliederungszuschüsse seien nicht steuerfrei
gemäß § 3 Nr. 2b EStG. Nach diesen Vorschriften seien Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts sowie zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II
steuerfrei. Soweit durch die Verweisung in § 16 Abs. 1 SGB II auf Vorschriften
im SGB III aber auch Leistungen erfasst würden, die Arbeitgebern gewährt
würden, komme eine Steuerfreiheit nicht in Betracht. Dies würde dem Sinn und
Zweck der Regelung widersprechen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zahlreichen im
Klageverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts hatte den Rechtsstreit durch Beschluss
vom 16.05.2012 zunächst dem Einzelrichter zur Entscheidung übertra-
12 –
gen. Dieser hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 17.10.2012 auf den Senat
zurück übertragen.
Dem Gericht haben vier Bände Steuerakten, die den Kläger betreffende Strafakte
der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt A und zwei Fallhefte
des Prüfers über die bei dem Kläger durchgeführte Außenprüfung im Jahre
2010 vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Klage ist unbegründet, weil das Finanzamt in den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden
für die Jahre 2006 bis 2008 vom 26.10.2010 zutreffend
sowohl die bisher im Rahmen der Gewinnermittlung nicht berücksichtigten
Zahlungen auf Rechnungen der A-AG und Versicherungsprovisionen als
auch die für die Arbeitnehmerinnen AN1 und AN2 gewährten Eingliederungszuschüsse
als zusätzliche Betriebseinnahmen erfasst hat und weil das Finanzamt
auch nicht durch ein Verwertungsverbot an der Berücksichtigung dieser
Prüfungsfeststellungen gehindert war.
Der Kläger erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1
Nr. 3 EStG. Er ermittelt seinen Gewinn, auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz
1 EStG durch Überschussrechnung, da er nicht aufgrund gesetzlicher Vorgaben
verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßige Abschlüsse zu machen und
dies auch nicht freiwillig tut
a) Insoweit hat das Finanzamt zu Recht in den Jahren 2006 bis 2008 einzelne
Zahlungen auf Rechnungen der A-AG ( ) in 2006 in Höhe von 7.120,08 €, in
2007 in Höhe von 1.472,62 € und in 2008 in Höhe von 133,88 € über den bisher
erklärten Gewinn hinaus als Betriebseinnahmen erfasst, weil diese Zahlungen
bisher nicht in der Gewinnermittlung des Klägers für die entsprechenden
Veranlagungszeiträume berücksichtig worden waren. Diese unstreitig der be-
13 –
trieblichen Tätigkeit des Klägers zuzuordnenden Einnahmen waren auf dem als
privates Girokonto behandelten Konto mit der Nummer xx3 bei der Bank 1
gutgeschrieben worden. Aus dem gleichen Grund hat das Finanzamt in den Jahren
2007 und 2008 zutreffend einzelne Zahlungen auf an die B-GmbH gerichtete
Rechnungen, es handelte sich um Provisionserlöse aus Versicherungen, entsprechend
den Prüfungsfeststellungen in Tz. 22 und 26 des Betriebsprüfungsberichts
vom 29.09.2010 als weitere Betriebseinnahmen erfasst. In seinem
Klageschriftsatz vom 24.05.2011 hat der Kläger eingeräumt, dass sowohl die
Zahlungen der A-AG als auch die bezeichneten Versicherungsprovisionen versehentlich
nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt worden seien.
b) Darüber hinaus hat das Finanzamt zur Recht die für die Arbeitnehmerinnen
AN1 und AN2 in den Jahren 2007 und 2008 an den Kläger als Arbeitgeber gezahlten
Eingliederungszuschüsse entsprechend Tz. 22 und 23 des Prüfungsberichts
vom 29.09.2010 (für Frau AN1 in 2007 2.880 € und in 2008 360 € und
für Frau AN2 in 2007 9.072 € und in 2008 16.848 €) als Betriebseinnahmen
dem erklärten Gewinn des Klägers hinzugerechnet, weil diese Zahlungen dem
Kläger als Arbeitgeber im Rahmen seiner gewerblichen Betätigung im Bereich
der Lohnsteuerhilfe und Buchführungsarbeiten zugeflossen sind. Diese Zahlungen
waren in den von dem Kläger eingereichten Gewinnermittlungen im
Ergebnis unstreitig für die beiden Veranlagungszeiträume nicht als Betriebseinnahmen
berücksichtigt worden. Entgegen der Ansicht des Klägers waren
die Eingliederungszuschüsse im vorliegenden Falle auch nicht gemäß § 3
Nr. 2b EStG steuerfrei, weil sie dem Kläger als Arbeitgeber gezahlt wurden.
Nach § 3 Nr. 2b EStG sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und
zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II steuerfrei. Die Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit waren in den Veranlagungszeiträumen in den §§ 14
bis 18a SGB II in unterschiedlichen Fassungen geregelt. Die Vorschriften umfassen
neben Geldleistungen nach dem SGB II und der Zahlung von Einstiegs-
14 –
geld bei Annahme einer Erwerbstätigkeit auch Sachleistungen in Gestalt von
Beratungen, Betreuung von Angehörigen, Schaffung von Arbeitsgelegenheiten.
Der Wortlaut des §§ 3 Nr. 2b EStG unterscheidet hinsichtlich der Steuerfreiheit von
Eingliederungshilfen zwar nicht ausdrücklich danach, ob sie an Arbeitnehmer oder
Arbeitgeber gezahlt werden. Gleichwohl macht der Gesetzgeber in dem Gesetzestext
durch den Verweis auf die Leistungen nach dem SGB II hinreichend deutlich, dass er
die Steuerfreistellung nur für Leistungen an Arbeitnehmer vorsehen wollte. Denn bei
den Reformen des Arbeitsmarktes und der Zusammenführung der Leistungssysteme
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat der Gesetzgeber das Sozialgesetzbuch neu geordnet
und im SGB II die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengefasst
(§§ 1,4 SGB II, vgl. Eichler/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, vor
§ 1 Rn. 1 SGB II).
Des weiteren ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus dem ursprünglich bei Einführung
des § 3 Nr. 2b EStG verfolgten Zweck, als Folgeänderung zu § 3 Nr. 2 EStG
sowie dem systematischen Zusammenhang mit dieser Regelung, die nach dem Gesetzestext
ausdrücklich nur Leistungen an Arbeitnehmer steuerfrei stellt, dass auch die
ergänzende Regelung des § 3 Nr. 2b EStG nur Leistungen an Arbeitnehmer steuerfrei
stellen soll. Mit Nr. 2b soll ausschließlich die mit dem SGB II bezweckte Grundsicherung
für Arbeitssuchende steuerlich unterstützt werden. Das Gericht folgt insoweit der
einhelligen Meinung im steuerrechtlichen Schrifttum (vgl. nur, statt vieler, v. Beckenrath
in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Rn. B 2b/41 zu § 3 Nr. 2b EStG mit
ausführlicher Begründung und Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und
KStG – Kommentar, 31. Aufl. 2012, § 3 Nr. 2b EStG Anm. 2).
Darüber hinaus wären Beträge in Höhe der in den Jahren 2007 und 2008 gewährten
und zwischen den Beteiligten streitigen Eingliederungszuschüsse im
Ergebnis auch dann korrigierend als weitere Betriebseinnahmen zu berücksichtigen,
wenn die gewährten Eingliederungszuschüsse als solche gem. § 3 Nr. 2b
EStG steuerfrei wären, weil dann die den beiden Arbeitnehmerinnen gezahlten
Löhne, die betragsmäßig höher sind als die Eingliederungszuschüsse und die
– 15 –
als solche Betriebsaugaben darstellen, in Höhe entsprechender Beträge gem.
§ 3c Abs. 1 S. 1 EStG nicht als Betriebausgaben abgezogen werden könnten.
Nach § 3c Abs. 1 EStG dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen
in unmittelbarem wirtschaftliche Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben
oder Werbungskosten abgezogen werden. Ein unmittelbarer
wirtschaftlicher Zusammenhang in diesem Sinne ist immer dann gegeben,
wenn Einnahmen und Aufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind.
Dies ist erfordert eine klar abgrenzbare Beziehung zwischen diesen Tatbestandsmerkmalen
im Sinne einer unlösbaren wirtschaftlichen Verbindung (vgl.
nur BFH-Urteil vom 20.10.2004 I R 11/03, BStBl II 2005, 581). Im vorliegenden
Falle besteht bereits deswegen zwischen den gewährten Eingliederungszuschüssen
und den an die beiden Arbeitnehmerinnen gezahlten Löhnen ein unmittelbarer
wirtschaftlicher Zusammenhang, weil beide Vorgänge durch die
Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen für den Kläger veranlasst sind. Darüber hinaus
werden die gewährten Eingliederungszuschüsse gerade auch dem Grunde
und der Höhe nach von der Zahlung eines entsprechenden Arbeitentgelts abhängig
gemacht. Insoweit kann auch auf den in dem Fallheft des Prüfers abgehefteten
Bewilligungsbescheid betreffend die Arbeitnehmerin AN2 verwiesen
werden.
c) Das Finanzamt ist an der Berücksichtigung der noch streitigen zusätzlichen
Betriebseinnahmen (Zahlungen auf Rechnungen an die A-AG, Versicherungsprovisionen
und Eingliederungszuschüsse) auch nicht durch ein Verwertungsverbot
gehindert. Ein solches kann entgegen der Ansicht der Kläger weder aus
einer von ihnen behaupteten verspäteten Einleitung des Strafverfahrens noch
aus der Auswertung der von den Kreditinstituten zur Verfügung gestellten und
von der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts Stadt A übermittelten
Kontenunterlagen abgeleitet werde,
Nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO sind im Besteuerungs- und im Strafverfahren die
für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften anzuwenden. Besteuerungs-
16 –
und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig
nebeneinander. Nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO sind im Besteuerungsverfahren
jedoch Zwangsmittel mit Sinne der § 328 AO gegen den Steuerpflichtigen unzulässig,
wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm
begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten. Dies gilt
stets, soweit gegen ihn wegen einer solchen Tat das Strafverfahren eingeleitet
worden ist. Nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO ist der Steuerpflichtige hierüber zu
belehren, soweit dazu Anlass besteht.
Nach § 10 BpO ist dann, wenn sich während einer Außenprüfung zureichende
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO), deren Ermittlung
der Finanzbehörde obliegt, ergeben, so ist die für die Bearbeitung dieser
Straftat zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten. Dies gilt auch dann,
wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt
werden muss. Richtet sich der Verdacht gegen den Steuerpflichtigen, dürfen
hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, die Ermittlungen
(§ 194 AO) bei ihm erst fortgesetzt werden, wenn ihm die Einleitung
des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist. Der Steuerpflichtige ist dabei, soweit
die Feststellungen auch für Zwecke des Strafverfahrens verwendet werden
können, darüber zu belehren, dass eine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren
nicht mehr erzwungen werden kann. Dementsprechend bestimmt § 201 Abs. 2
AO im Anschluss an § 201 Abs. 1 AO im Zusammenhang mit einer Schlussbesprechung,
dass dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass aufgrund der Prüfungsfeststellungen
ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden
muss, der Steuerpflichtige darauf hingewiesen werden soll, dass die straf- oder
bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorenthalten bleibt.
aa) Der mit der Außenprüfung befasste Prüfer selbst hat keine Verfahrenshandlungen
vorgenommen oder Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet, die zu einem
Verwertungsverbot führen könnten
– 17 –
Insoweit kann entgegen der Ansicht der Kläger dahinstehen, ob sich dem Prüfer
bereits am 10.02.2010 der Verdacht hätte aufdrängen müssen, dass eine
Steuerstraftat vorliegt, mit der weiteren Folge, dass er der Handlungsanweisung
des § 10 BpO verspätet nachgekommen wäre. Dies deswegen, weil nicht
feststellbar ist, dass der Prüfer bis zur Eröffnung des Strafverfahrens weitere
Prüfungsmaßnahmen hinsichtlich der zusätzlich berücksichtigten und nunmehr
in Klageverfahren noch streitigen Betriebseinnahmen vorgenommen hätte. Die
Prüfungsanfragen vom 12.02.2010 und 15.02.2010 betreffen vielmehr andere
Prüfungsgebiete. Die Prüfungsanfrage vom 10.02.2010 hinsichtlich der Vorlage
von Kontoauszügen hat der Prüfer selbst nicht weiterverfolgt. Auch hat diese
letztlich nicht zur Vorlage der streitrelevanten Kontounterlagen geführt. Insofern
ist auch nicht feststellbar, dass der Prüfer die Unterrichtungspflichten
i.S.d. § 199 Abs. 2 AO, die im Übrigen auch keine zeitlichen Vorgaben enthalten,
verletzt hätte. Vielmehr hat er nach dem vorliegenden Fallheft und dem
gewechselten Schriftverkehr den Kläger bzw. seinen Bevollmächtigten über die
jeweiligen Prüfungsfeststellungen informiert. Eine Verletzung des § 199 Abs. 2
AO wäre auch spätestens durch die Durchführung der Schlussbesprechung am
19.08.2010 geheilt worden (vgl. § 126 Abs. Nr. 3 AO).
Darüber hinaus sind die gegen den Prüfer erhobenen Vorwürfe auch deswegen
nicht nachvollziehbar, weil das Vorbringen der Kläger selbst insoweit widersprüchlich
ist. Sie wenden sich zum einen in ihrer Gegenvorstellung gegen die
Einleitung des Strafverfahrens dagegen, dass ein solches eingeleitet worden ist,
zum anderen erheben sie aber im Besteuerungsverfahren den Vorwurf, der Prüfer
hätte bereits am ersten Prüfungstag, dem 10.02.2010, ein Strafverfahren
einleiten müssen.
Bei der Aufforderung des Prüfers an den Kläger, die Kontoauszüge des Kontos
bei der Bank 1 vorzulegen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der auch
im Falle einer Rechtswidrigkeit (wofür es keine Anhaltspunkte gibt) bereits
deswegen nicht zu einem Verwertungsverbot führen würde,
– 18 –
weil er weder durch einen Rechtsbehelf angefochten wurde noch seine Rechtswidrigkeit
festgestellt wurde. Denn für die Frage, ob ggf. rechtswidrig ermittelte
Tatsachen einem Verwertungsverbot unterliegen, ist nach der Rechtsprechung
zwischen einem materiell-rechtlichen und einem formellen Verwertungsverbot
zu unterscheiden. Insoweit führen einfache verfahrensrechtliche
Mängel grundsätzlich nicht zu einem endgültigen Verwertungsverbot, während
qualifizierte materiell-rechtliche Verwertungsverbote ggf. endgültig sein können.
Insofern gibt es im Steuerrecht kein generelles Verwertungsverbot. Ein
qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot liegt nur vor, wenn die
Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des
Steuerpflichtigen verletzt. Die so ermittelten Tatsachen sind schlechthin und
ohne Ausnahme unverwertbar. Der Verstoß kann auch nicht durch zulässige,
erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden. Handelt es sich hingegen nur
um formelle Verstöße gegen Verfahrensvorschriften – wie sich dies im Regelfall
im Steuerrecht darstellen wird – so kann es lediglich zu einem „einfachen“
Verwertungsverbot kommen, sofern die jeweiligen Prüfungsmaßnahmen erfolgreich
angefochten oder nach Beendigung der Prüfung zumindest ihre Rechtswidrigkeit
gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festgestellt worden ist. Fehlt es an
einer Prüfungsanordnung oder stellen die beanstandeten Prüfungsmaßnahmen
keine Verwaltungsakte dar, so ist die Rechtmäßigkeit indizent im Rahmen der
Anfechtung der Steuerbescheide mit zu prüfen. Dabei ist ein Mitwirkungsverlangen
im Rahmen von Außenprüfungen in aller Regel als selbständig anfechtbare
Verwaltungsakte zu qualifizieren (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom
04.10.2006 VIII R 53/04, BStBl II 2007, 227 m.w.N.).
Maßnahmen des Prüfers oder auch später der Bußgeld und Strafsachenstelle,
die zu einem qualifizierten materiell-rechtliche Verwertungsverbot führen
könnten, werden weder von Kläger substantiiert vorgetragen noch ergeben sie
sich aus den Akten. Insbesondere sind auch entgegen der Ansicht der Kläger
keine die Freiheit der Willensentschließung oder Willenbetätigungen beeinträchtigenden
Maßnahmen des Prüfers i.S.d. § 136a Abs. 1 StPO erkennbar.
– 19 –
Der Prüfer hat auch nicht unter Missachtung des § 393 Abs. 1 Satz 2 AO versucht
Ermittlungsmaßnahmen mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Vielmehr hat
er, nachdem die erbetenen Kontounterlagen auch nach mehreren Tagen nicht
vorgelegt worden waren, die Bußgeld- und Strafsachenstelle eingeschaltet.
Soweit die Kläger im Übrigen die Verletzung des § 393 Abs. 1 Satz 4 AO oder
des § 10 BpO rügen, verkennen sie, dass die Verletzung dieser Vorschriften
bereits deswegen nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren
führen kann, weil es sich bei diesen Normen um Schutznormen zugunsten
Steuerpflichtigen für das Strafverfahren handelt.
Insoweit hat der BFH, dem sich das erkennende Gericht anschließt, mehrfach
entschieden, dass auch eine Verletzung der Belehrungspflicht des § 393 Abs. 1
Satz 4 AO im Besteuerungsverfahren grundsätzlich zu keinem Verwertungsverbot
führt. Die Frage, ob das Unterlassen einer Belehrung nach § 393 Abs. 1
Satz 4 AO im Strafverfahren zu einem Verwertungsverbot führt, ist gemäß
§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO für das Besteuerungsverfahren unerheblich. Auch insoweit
ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass Besteuerungs- und Strafverfahren
sich nach unterschiedlichen Verfahrensnormen richten (vgl. dazu nur
BFH-Urteil vom 23.01.2002 XI R 10,11/01, BStBl II 2002, 328 und zuletzt
BFH-Urteil vom 19.12.2011 V B 37/11, BFH/NV 2012, 956).
bb) Letztlich kann auch die spätere Anforderung der Kontoauszüge durch die
Bußgeld- und Strafsachenstelle nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren
führen. Insofern liegen bereits keine Anhaltspunkte oder Feststellungen
dafür vor, dass diese Anforderung rechtswidrig war. Denn diese im
Rahmen des strafrechtliche Ermittlungsverfahrens durchgeführte Ermittlungsmaßnahme
ist nach ihrer Durchführung (am 12.04.2010) weder zeitnah durch
die dafür strafprozessual vorgesehenen Rechtsbehelfe angefochten worden
noch ist die Rechtswidrigkeit im Laufe des weiteren Verfahrens festgestellt
worden. Vielmehr hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger erst nach
Auswertung der bereits im April 2010 übersandten Kontoauszüge, nach Durchführung
der Schlussbesprechung am 19.08.2010 und nach Ergehen der geänder-
20 –
ten Einkommensteuerbescheide am 26.10.2010 im Dezember 2010 einen dafür
gesetzlich nicht vorgesehenen „Einspruch“ bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle
des Finanzamts Stadt A eingelegt. Letztlich würde aber auch die strafprozessuale
Rechtwidrigkeit der Anforderungen unabhängig von der Zulässigkeit
des acht Monate nach Übermittlung der Bankunterlage durch die Kreditinstitute
eingelegt Einspruchs nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren
führen, weil nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der
erkennende Senat anschließt, allein ein Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensnormen
nicht zu einem Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren führt
(vgl. dazu nur BFH-Urteil vom 23.01.2002 XI R 10,11/01, BStBl II 2002, 328
und zuletzt BFH-Urteil vom 19.12.2011 V B 37/11, BFH/NV 2012, 956). Entgegen
der Ansicht der Kläger führte die Anforderung der Kontenunterlagen bei
den Banken, nach dem diese von dem Kläger nicht vorgelegt worden waren
auch nicht zu massiven Grundrechtsverletzungen, die ein qualifiziertes Verwertungsverbot
im Besteuerungsverfahren nach sich ziehen würden.
d) Dass die Änderungen der Einkommensteuerbescheide durch die angegebenen
Änderungsvorschriften (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und § 164 Abs. 2 AO) gerechtfertigt
waren, ist offensichtlich und wird auch durch die Kläger nicht angezweifelt.
Die Tatsachen, die in den Veranlagungszeiträumen 2006 und 2007
zur Zurechnung weiterer Betriebseinnahmen bei dem Kläger geführt haben,
waren dem zuständigen Veranlagungsbezirk nicht bekannt. Der ursprüngliche
Einkommensteuerbescheid für 2008 enthielt einen Vorbehalt der Nachprüfung,
so dass die Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 AO gegeben waren.
e) Soweit das Finanzamt in dem Termin zur mündliche Verhandlung die Steuerfreiheit
eines dem Kläger im Jahre 2006 gewährten Überbrückungsgeldes angezweifelt
hat, kann dies unabhängig von der Frage der Steuerfreiheit im gerichtlichen
Verfahren bereits verfahrensrechtlich nicht zu einer verbösernden
Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für 2006 führen.
Das Gericht ist insoweit an einer Verschlechterung des vor Klageerhebung be-
21 –
stehenden Zustandes durch das aus der Rechtsschutzfunktion des gerichtlichen
Verfahrens folgenden Verböserungsverbot gehindert.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision war auf der Grundlage des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da bisher keine höchstrichterliche
Rechtsprechung zu der Frage existiert, ob Eingliederungszuschüsse i.S.d. § 3
Nr. 2b EStG auch dann steuerfrei sind, wenn sie Arbeitgebern gewährt werden.

FG Berlin-Brandenburg: Wahlprüfungskosten eines Abgeordneten als Werbungskosten abzugsfähig

“Ein Abgeordneter, dem Aufwendungen für ein Wahlprüfungsverfahren entstehen, kann diese als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus der Tätigkeit als Abgeordneter in voller Höhe steuerlich geltend machen. Das geht aus einem Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Juni 2012 (Aktenzeichen 12 K 12096/09) hervor. Das zuständige Finanzamt hatte die Kosten nur teilweise anerkennen wollen, weil Abgeordnete einerseits steuerpflichtige Bezüge und andererseits eine steuerfreie Kostenpauschale für Fahrt-, Telefon-, Portokosten und ähnliche Aufwendungen erhalten. Aufwendungen, die im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, können nicht als Werbungskosten geltend gemacht werden; deshalb meinte das Finanzamt, die Aufwendungen für das Wahlprüfungsverfahren seien im Verhältnis der steuerpflichtigen Bezüge zu der steuerfreien Kostenpauschale aufzuteilen.Dem schlossen sich die Richter des Finanzgerichts nicht an, sondern stellten darauf ab, dass die Kostenpauschale nur für ganz bestimmte Aufwendungen – nämlich insbesondere Fahrt-, Telefon- und Portokosten – gezahlt wird. Derartige Kosten kann ein Abgeordneter steuerlich nur geltend machen, wenn sie die Pauschale nachweislich übersteigen. Völlig anders geartete Aufwendungen, und dazu gehören nach Auffassung des Finanzgerichts auch die Kosten eines Wahlprüfungsverfahrens, sind hingegen in voller Höhe steuerlich zu berücksichtigen.

Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision beim Bundesfinanzhof in München eingelegt, die dort unter dem Aktenzeichen IX R 33/12 anhängig ist.”

FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 13.06.2012 – 12 K 12096/09

Presseerklärung des Gerichts: Finanzgerichts Berlin-Brandenburg

 

Abzugsfähigkeit der Kosten für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens (= Kosten der Erlangung des Abgeordnetenmandats) nach § 3c Abs. 1 EStG

 Leitsatz

1. Der vollständigen Abzugsfähigkeit der Aufwendungen eines sonstige Einkünfte erzielenden Abgeordneten für ein Wahlprüfungsverfahren als Werbungskosten steht nicht gem. § 3c Abs. 1 EStG die Vereinnahmung einer für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten gezahlten steuerfreien Kostenpauschale entgegen.

2. Auch wenn die Aufwendungen für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten nur exemplarisch benannt werden und die Aufwandspauschale für die typischerweiser mit der Wahrnehmung des Mandates im Abgeordnetenhaus verbundenen Kosten gezahlt wird, sind die mit der Erlangung des Mandats zusammenhängenden Kosten für ein Wahlprüfungsverfahren davon abzugrenzen.

3. Die Gewährung pauschaler Einnahmen, die bestimmte Aufwendungen abgelten sollen, kann nicht den Werbungskostenabzug hinsichtlich anderer, von der gewährten Pauschale nicht erfasster Aufwendungen, begrenzen.

 Gesetze

EStG § 3c Abs. 1
EStG § 9 Abs. 1 S. 1
EStG § 22 Nr. 4

 Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob Werbungskosten des Klägers teilweise einem Abzugsverbot unterfallen, weil sie mit steuerfreien Einkünften im Zusammenhang stehen.

Der Kläger erzielte im Streitjahr und dem folgenden Jahr sonstige Einkünfte als Abgeordneter. Er erhielt im Jahre 2007 eine steuerpflichtige Entschädigung in Höhe von EUR … und eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von EUR …. Der Anteil steuerfreier Einnahmen an den Gesamteinnahmen des Klägers in Höhe von EUR … betrug somit 22,77 %. Die Kostenpauschale wird nach § 7 Abs. 2 des Gesetzes …für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrkosten gezahlt.

Im Streitjahr wendete der Kläger EUR … für eine Schadensersatzklage mit dem Ziel der Erlangung eines Mandats für die … Wahlperiode des … und EUR … für die Anstrengung eines Wahlprüfungsverfahrens zwecks Erhalts eines Mandats für die … Wahlperiode auf. Der Beklagte berücksichtigte die Kosten des Schadensersatzprozesses nur teilweise und die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens zunächst überhaupt nicht als Werbungskosten. Gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid vom …. November 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom … Dezember 2007 legte der Kläger Einspruch ein, mit dem er die vollständige Anerkennung der Kosten des Schadensersatzanspruchs nicht mehr weiterverfolgte, aber die Auffassung vertrat, dass die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens als Werbungskosten anzuerkennen seien. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom … März 2009 änderte der Beklagte den angefochtenen Bescheid dahingehend, dass er die Kosten des Wahlprüfungsverfahrens in Höhe von EUR … (77,23 % von EUR …) berücksichtigte. Im Übrigen hatte der Einspruch keinen Erfolg, weil der Beklagte meinte, die Aufwendungen des Klägers stünden anteilig, nämlich zu 22,77 %, im Zusammenhang mit der ihm steuerfrei gewährten Kostenpauschale und seien daher nach § 3c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) insoweit nicht abzugsfähig.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es an einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Kosten des Wahlprüfungsverfahrens und der steuerfreien Kostenpauschale fehle.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2006 vom … November 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom … Dezember 2007 und der Einspruchsentscheidung vom … März 2009 dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von EUR … berücksichtigt werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ). Der Beklagte hat die Werbungskosten des Klägers zu Unrecht um EUR … gekürzt.

a) Bei den Aufwendungen des Klägers für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens handelt es sich, was auch der Beklagte nicht bezweifelt, um Werbungskosten des Klägers bei seinen sonstigen Einkünften.

b) Die Aufwendungen stellen sich nicht deshalb als teilweise nicht abzugsfähig dar, weil sie in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Einnahmen des Klägers stehen.

aa) Gemäß § 3c Abs. 1 EStG dürfen Ausgaben nicht als Werbungskosten abgezogen werden, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Von dem Abzugsverbot umfasst sind bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen auch vorweggenommene Werbungskosten (Erhard in Blümich, EStG , KStG , GewStG , § 3c Rn. 42; Heinicke in L. Schmidt, EStG , Kommentar, 31. Auflage 2012, § 3c Rn. 10). Das Abzugsverbot hat den Zweck, eine Doppelbegünstigung des Steuerpflichtigen dadurch, dass er steuerfreie Einnahmen erhält, aber die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben steuermindernd geltend machen kann, zu verhindern (Urteile des Bundesfinanzhofes [BFH] vom 26. März 2002 – VI R 26/00, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2002, 823, unter II.3.e)aa) der Gründe; vom 11. Februar 1993 – VI R 66/91, BStBl II 1993 , 450 ; Heinicke aaO. Rn. 1). Ein finaler Zusammenhang zwischen steuerfreier Einnahme und den Ausgaben wird nach allgemeiner Ansicht nicht gefordert, wohl aber eine eindeutig feststellbare, klar abgrenzbare Beziehung zwischen beiden (BFH in BStBl II 2002, 823, aaO.; Heinicke aaO. Rn. 2). Demzufolge muss die Ausgabe nicht getätigt werden, um die steuerfreien Einnahmen zu erlangen. Es sollen vielmehr solche Ausgaben vom Abzug ausgeschlossen werden, die nach ihrer Entstehung oder Zweckbestimmung mit den steuerfreien Einnahmen in einem unlösbaren Zusammenhang stehen, d.h. ohne diese nicht angefallen wären (BFH in BStBl II 2002, 823, aaO.).

Daraus folgt, dass pauschal gewährte steuerfreie Einnahmen jedenfalls den Abzug von Aufwendungen ausschließen, zu deren Ausgleich sie bestimmt sind (Heinicke aaO. Rn. 3). Nach Auffassung des Senats gilt aber auch umgekehrt, dass bei Gewährung pauschaler Einnahmen, die bestimmte Aufwendungen abgelten sollen, der Werbungskostenabzug hinsichtlich anderer, von der gewährten Pauschale nicht erfasster Aufwendungen, nicht begrenzt sein kann (ebenso Desens in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG , KStG , § 3c EStG Anm. 39). Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH. Danach kann einerseits ein hauptamtlicher Bürgermeister, dem eine Dienstaufwandsentschädigung zum Ausgleich bestimmter amtstypischer Aufwendungen gewährt wird, die normalen, also nicht amtstypischen Werbungskosten in voller Höhe geltend machen (BFH-Urteil vom 09. September 1989 – VI R 154/86 , BStBl II 1990, 121, unter 2. der Gründe). Andererseits sind Werbungskosten im Verhältnis der steuerfreien zu den steuerpflichtigen Einnahmen aufzuteilen, wenn der Steuerpflichtige neben seinen Dienstbezügen als Beamter eine Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit im Beitrittsgebiet erhält, die als allgemeine Stellenzulage zu werten ist und demzufolge nicht der Abdeckung bestimmter Kosten dient (BFH in BStBl II 2002, 823). Maßgeblich ist also, ob und inwieweit durch die Erstattung Werbungskosten ausgeglichen werden sollen (BFH-Urteile vom 27. April 2006 – IV R 41/04 , BStBl II 2006, 755, unter II.2.a)aa) der Gründe; vom 27. April 1993 – IX R 26/92, BStBl II 1993, 784, unter 1.a) der Gründe).

bb) Hier wurde die steuerfreie Kostenpauschale nach dem eindeutigen Wortlaut des LAbgG zur Abgeltung von Kosten für Schreibarbeiten, Porto, Telefon und Fahrtkosten geleistet. Kosten für die Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens fallen demzufolge nicht darunter. Dabei verkennt der Senat nicht, dass man das Gesetz durchaus so verstehen kann, dass eine abschließende Regelung nicht getroffen werden sollte, sondern exemplarisch die typischerweise mit der Wahrnehmung eines Mandates im Abgeordnetenhaus verbundenen Kosten gemeint sind. Demzufolge wird man die Ansicht vertreten können, dass auch Kosten für elektronische Einrichtungen, die ein Abgeordneter typischerweise nutzt, wie z.B. einen Internetanschluss, mobile internetfähige Geräte etc. bei verständiger Auslegung von der Abgeltungswirkung der steuerfrei gewährten Pauschale erfasst werden und nicht mehr gesondert – auch nicht teilweise – als Werbungskosten geltend gemacht werden können. Auch bei extensiver Auslegung kann man dem Gesetz aber nicht den Sinn entnehmen, dass Kosten abgegolten werden sollen, die nicht mit der Wahrnehmung, sondern mit der Erlangung des Mandats zusammenhängen.

2. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO . Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO) .

 

Steuerpflicht von Zinsen aus einer Lebensversicherung

Gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus einer Lebensversicherung nach § 9 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO (PDF, 44 KB)

Mit BMF-Schreiben vom 16. Juli 2012 – IV A 3 – S 0361/12/10001 – werden die Anweisungen zur gesonderten Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus einer Lebensversicherung aktualisiert.

Gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus einer Lebensversicherung nach § 9 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO (PDF, 44 KB)

BMF-Schreiben vom 16. Juli 2012 – IV A 3 – S 0361/12/10001 – Bundesfinanzministerium (BMF)

 

Gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus einer Lebensversicherung
nach § 9 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO
BEZUG TOP 11 der Sitzung AO II/2012
GZ IV A 3 – S 0361/12/10001
DOK 2012/0653652
(bei Antwort bitte GZ und DOK angeben)
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der
Länder gilt für gesonderte Feststellungen nach § 9 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO Folgendes:
I. Allgemeines
Setzt ein Steuerpflichtiger nach dem 31. Dezember 2004 Ansprüche aus einer vor dem
1. Januar 2005 abgeschlossenen Lebensversicherung i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchstaben bb, cc und dd EStG (in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung) während der Dauer der Versicherung im Erlebensfall zur Tilgung oder Sicherung von Darlehen
ein, deren Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind, gehören die
Zinsen aus den in den Beiträgen enthaltenen Sparanteilen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung i. V. m. § 52
Abs. 36 Satz 5 EStG). In diesen Fällen muss das Versicherungsunternehmen bei Verrechnung
oder Auszahlung von Zinsen (z. B. bei Fälligkeit der Versicherung) Kapitalertragsteuer einbehalten (§ 43 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG). Nach § 29 EStDV haben der Sicherungsnehmer,
das Versicherungsunternehmen und der Versicherungsnehmer dem zuständigen Finanzamt
unverzüglich die Fälle anzuzeigen, in denen Ansprüche aus Versicherungsverträgen zur Tilgung oder Sicherung von Darlehen eingesetzt werden. Seite 2
II. Gesonderte Feststellung der Steuerpflicht der Zinsen
Nach § 9 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach
§ 180 Abs. 2 der Abgabenordnung (V zu § 180 Abs. 2 AO) ist die Steuerpflicht der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Versicherungsbeiträgen
enthaltenen Sparanteilen gesondert festzustellen. Der Feststellungsbescheid ergeht gegenüber
dem Versicherungsnehmer als Steuerschuldner. Außerdem ergeht an das Versicherungsunternehmen eine Mitteilung über die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer. Mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Feststellungsbescheids ist die Entscheidung
über die künftige Steuerpflicht der Zinserträge für den Steuerpflichtigen, das Versicherungsunternehmen und die Finanzbehörden verbindlich. Dies gilt nicht nur für die Einbehaltung
und Abführung der Kapitalertragsteuer, sondern auch für die spätere Festsetzung der Einkommensteuer. Eine Korrektur des Feststellungsbescheides ist nur nach Maßgabe der §§ 129, 164,
165, 172 – 175 AO zulässig.
III. Regelungsinhalt des Feststellungsbescheids
Gegenstand der gesonderten Feststellung nach § 9 der V zu § 180 Abs. 2 AO ist die verbindliche Entscheidung über die aus einer bestimmten Verwendung der Ansprüche aus der Lebensversicherung sich ergebenden steuerlichen Folgen hinsichtlich der rechnungsmäßigen und
außerrechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Versicherungsbeiträgen enthaltenen Sparanteilen.
Die Steuerpflicht umfasst grundsätzlich sämtliche Zinsen für die gesamte Vertragslaufzeit. In
diesem Fall ergeht nur ein Feststellungsbescheid, der die uneingeschränkte Steuerpflicht aller
Zinsen feststellt.
In den Fällen des § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c EStG (in der bis 31. Dezember 2004 geltenden
Fassung) sind nur die anteiligen Zinsen für bestimmte Kalenderjahre steuerpflichtig. Insoweit
ist die Regelung des Feststellungsbescheids auf die Feststellung der Steuerpflicht der anteiligen Zinsen für das betroffene Kalenderjahr beschränkt. Deshalb können bei „partieller“ Steuerpflicht mehrere Feststellungsbescheide, jeweils bezogen auf die anteiligen Zinsen für die im
Einzelnen benannten Kalenderjahre, ergehen.
IV. Gesonderte Feststellung bei steuerunschädlicher Verwendung
Soweit die Zinsen aufgrund einer bestimmten Verwendung der Ansprüche aus der Lebensversicherung nicht steuerpflichtig sind, liegen die Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung nach § 9 der V zu § 180 Abs. 2 AO nicht vor. In diesen Fällen ist auf Antrag ein negativer Feststellungsbescheid zu erteilen. Das Finanzamt ist bei der späteren Einkommensteuer-Seite 3
veranlagung an die Entscheidung im negativen Feststellungsbescheid gebunden. Seine Bindungswirkung wird nur eingeschränkt, wenn er nach §§ 129, 164, 165 oder 172 ff. AO berichtigt, aufgehoben oder geändert wird und ein Feststellungsbescheid über die steuerschädliche Verwendung ergeht oder wenn aufgrund einer anderen, steuerschädlichen Verwendung
ein Feststellungsbescheid ergeht. Hat der Steuerpflichtige einen Feststellungsbescheid erfolgreich angefochten oder wurde er aus anderen Gründen aufgehoben, steht der Aufhebungsbescheid einem negativen Feststellungsbescheid gleich.
V. Änderung der Verwendung nach zunächst steuerunschädlicher Verwendung
Bei zunächst steuerunschädlicher Verwendung kann sich aus einer späteren anderweitigen
Verfügung (z. B. erneute Beleihung oder Umwidmung des begünstigt angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgutes) eine erstmalige partielle oder umfassende Steuerpflicht der Zinsen ergeben. In diesem Fall ist der negative Feststellungsbescheid bzw. der entsprechende
Aufhebungsbescheid im Hinblick auf die Rückwirkung der materiellrechtlichen Folgen des
neu hinzugetretenen Sachverhaltes nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben und
zugleich ein (neuer) Feststellungsbescheid zu erlassen.
VI. Überschreitung des Drei-Jahres-Zeitraums
Überschreitet die Verwendung der Ansprüche aus der Lebensversicherung den Drei-JahresZeitraum nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Buchst. c EStG (in der bis 31. Dezember 2004 geltenden
Fassung), führt dies zur umfassenden Steuerpflicht aller Zinsen für die gesamte Laufzeit des
Versicherungsvertrages. In diesem Fall sind die bisher ergangenen Feststellungsbescheide
über die partielle Steuerpflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben und ein Feststellungsbescheid über die umfassende Steuerpflicht zu erteilen.
VII. Unterschreitung des Drei-Jahres-Zeitraums
Ist ein Feststellungsbescheid über die umfassende Steuerpflicht der Zinsen ergangen, weil der
Einsatz der Ansprüche aus der Lebensversicherung zur Sicherung eines Betriebsmittelkredits
zunächst für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren (z. B. unbefristet) vereinbart war, kann
die vorzeitige Beendigung dieses Einsatzes (z. B. bei Kündigung des Darlehensvertrages oder
bei Sicherheitentausch innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums) zu einer rückwirkenden Änderung des Umfangs der Steuerpflicht der Zinsen führen. In diesem Fall sind der Feststellungsbescheid über die umfassende Steuerpflicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufzuheben
und zugleich neue Feststellungsbescheide über die partielle Steuerpflicht zu erlassen.Seite 4
VIII. Örtliche Zuständigkeit
Die gesonderte Feststellung nach § 9 der V zu § 180 Abs. 2 AO obliegt dem für die Einkommensbesteuerung des Versicherungsnehmers örtlich zuständigen Finanzamt. Dies gilt auch für
den Erlass eines negativen Feststellungsbescheides.
IX. Schlussbestimmungen
Dieses Schreiben tritt mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 2005 an die Stelle des BMFSchreibens vom 27. Juli 1995 – IV A 4 – S 0361 – 10/95 -.

BFH: Kosten für Regatta-Begleitfahrt mit Geschäftspartnern anlässlich der Kieler Woche nicht abziehbar

“Lädt ein Unternehmer Geschäftspartner zu einer Schiffsreise ein, sind die Aufwendungen für die Reise und hiermit zusammenhängende Bewirtungen in der Regel nicht abziehbar. Dies entschied der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 2. August 2012 IV R 25/09.

Geklagt hatte ein mittelständisches Unternehmen, das anlässlich der Kieler Woche mit Geschäftspartnern und eigenen Mitarbeitern aus dem Vertriebs- und Servicebereich eine sog. Regatta-Begleitfahrt unternommen hatte. Dazu war ein historisches Segelschiff gechartert worden, auf dem die Mitreisenden auch bewirtet wurden. Das Unternehmen war der Meinung, es müsse die Kosten der Reise und der Bewirtung in gleicher Weise als Betriebsausgabe abziehen können, wie es die Finanzverwaltung bei der Nutzung von sog. VIP-Logen an stationären Sportstätten zulasse. Schließlich lasse sich Segelsport nicht stationär, sondern nur vom Schiff aus beobachten.

Der BFH folgte dieser Argumentation nicht. Das Einkommensteuergesetz schließe Kosten für Schiffsreisen und damit zusammenhängende Bewirtungen bewusst vom Abzug aus, weil es darin Kosten einer unangemessenen Repräsentation sehe, die nicht „auf die Allgemeinheit abgewälzt“ werden sollten. Nur wenn ein Zusammenhang mit der Unterhaltung der Geschäftspartner oder der Repräsentation des Unternehmens ausgeschlossen werden könne, sei ein Abzug der Kosten möglich. Auf Verwaltungsanweisungen zur Behandlung von Kosten für VIP-Logen könne sich das Unternehmen nicht berufen. Diese seien einerseits für die Gerichte nicht unmittelbar bindend und beträfen andererseits auch nur den hier nicht gegebenen Fall, dass ein Leistungsbündel von dem Sportveranstalter selbst bezogen werde.”

BFH-Urteil vom Urteil 02.08.2012 – IV R 25/09

Pressemeldung Nr. 65 des Bundesfinanzhofs (BFH)

 

Kosten für Schiffsreise mit Geschäftspartnern grundsätzlich nicht abziehbar

 Leitsatz

Lädt der Unternehmer Geschäftspartner zu einer Schiffsreise ein, sind die Aufwendungen für die Reise und hiermit zusammenhängende Bewirtungen ungeachtet ihrer betrieblichen Veranlassung nicht abziehbar, wenn ein Zusammenhang mit der Unterhaltung der Teilnehmer oder der Repräsentation des Unternehmens nicht ausgeschlossen werden kann.

 Gesetze

EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4

 Instanzenzug

Schleswig-Holsteinisches FG vom 27. Mai 2009 2 K 40112/08 (EFG 2009, 1368 )BFH IV R 25/09

 Gründe

I.

1  Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die im Streitjahr 2006 einen Umsatz von ca. 28,5 Mio. € erzielt hat. Für Geschäftspartner und eigene Mitarbeiter aus dem Vertriebs- und Servicebereich charterte die Klägerin ein historisches Segelschiff für eine sog. Regatta-Begleitfahrt anlässlich der Kieler Woche 2006. Dafür sowie für die Bewirtung der ca. 50 Teilnehmer (davon 13 Mitarbeiter der Klägerin) wendete die Klägerin 10.959,88 € zuzüglich 1.753,58 € Umsatzsteuer auf. Als abziehbare Betriebsausgabe behandelte sie davon nur 7.317,28 €, weil sie davon ausging, die Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. August 2005 IV B 2 -S 2144- 41/05 (BStBl I 2005, 845) und vom 11. Juli 2006 IV B 2 -S 2144- 53/06 (BStBl I 2006, 447) zur ertragsteuerlichen Behandlung von Aufwendungen für VIP-Logen in Sportstätten seien auf die Kosten der Regatta-Begleitfahrt entsprechend anzuwenden.

2  Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) unter Hinweis auf eine Verfügung der Oberfinanzdirektion Kiel vom 20. September 2000 S 2145 A – St 231 (Finanz-Rundschau 2000, 1296 ) die Auffassung, die Kosten seien insgesamt als nicht abziehbare Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu behandeln. Die gegen den entsprechend geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 2006 vom 30. Mai 2008 gerichtete Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1368 abgedruckt.

3  Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Kosten seien nicht für von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG genannte „ähnliche Zwecke” entstanden, weil es sich nicht um Freizeitgestaltung oder sportliche Betätigung, sondern um eine Kundenveranstaltung anlässlich eines Sportereignisses gehandelt habe. Da die Regatta nur von einem Begleitschiff aus angemessen verfolgt werden könne, sei die Schiffsanmietung der Anmietung einer Loge in einer festen Sportstätte vergleichbar und müsse deshalb ebenso behandelt werden.

4  Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung der Vorentscheidung den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid vom 30. Mai 2008 mit der Maßgabe zu ändern, dass weitere Betriebsausgaben von 7.317,28 € abgezogen werden.

5  Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

6  Die Revision ist nicht begründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ). Die Kosten der Regatta-Begleitfahrt sind insgesamt nicht abziehbare Betriebsausgaben.

7  1. a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG dürfen Aufwendungen für Jagd und Fischerei, für Segeljachten oder Motorjachten sowie für ähnliche Zwecke und für die hiermit zusammenhängenden Bewirtungen den Gewinn nicht mindern, soweit die damit verfolgten Zwecke nicht selbst Gegenstand einer mit Gewinnabsicht ausgeübten Betätigung des Steuerpflichtigen sind (§ 4 Abs. 5 Satz 2 EStG ). Die Regelung betrifft nach dem Einleitungssatz des § 4 Abs. 5 EStG Betriebsausgaben, also Ausgaben, die durch den Betrieb veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG ).

8  b) Das Abzugsverbot wurde geschaffen, weil der Gesetzgeber die genannten Ausgaben „ihrer Art nach als überflüssige und unangemessene Repräsentation” ansah und „im Interesse der Steuergerechtigkeit und des sozialen Friedens” den Aufwand „nicht länger durch den Abzug…vom steuerpflichtigen Gewinn auf die Allgemeinheit abgewälzt” wissen wollte (Begründung zum Regierungsentwurf des Steueränderungsgesetzes 1960 , BTDrucks III/1811, S. 8; in Bezug auf den damaligen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 (heute Nr. 4) EStG bestätigt durch die Stellungnahme des Finanzausschusses, zu BTDrucks III/1941, S. 3). Ungeachtet ihrer betrieblichen Veranlassung dürfen die Ausgaben danach bei der Ermittlung des Gewinns nicht abgezogen werden. Eines konkret feststellbaren Zusammenhangs mit der Lebensführung des Steuerpflichtigen bedarf es dafür nicht. Vielmehr stellt das Gesetz auf den Zusammenhang der Aufwendungen mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung der Geschäftsfreunde des Steuerpflichtigen ab und unterstellt diesen typisiert bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG . Deshalb gilt das Abzugsverbot auch für Körperschaftsteuersubjekte, die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine außerbetriebliche Sphäre haben können (vgl. etwa BFH-Urteile vom 3. Februar 1993 I R 18/92 , BFHE 170, 537 , BStBl II 1993, 367, und vom 7. Februar 2007 I R 27-29/05, BFHE 216, 536 , jeweils betreffend GmbH). Soweit in der Versagung des Abzugs der Ausgaben ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip liegt, ist dieser jedenfalls durch den typisiert angenommenen Zusammenhang mit der Lebensführung des Steuerpflichtigen oder seiner Geschäftsfreunde gerechtfertigt.

9  c) Vor diesem Hintergrund hat der BFH § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG einschränkend dahingehend ausgelegt, dass das Abzugsverbot nur für solche Aufwendungen gelten soll, die eine Berührung zur Lebensführung und zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung der durch sie begünstigten Geschäftsfreunde des Steuerpflichtigen haben (BFH-Urteil in BFHE 170, 537 , BStBl II 1993, 367, unter II.2.). Scheidet danach etwa die Verwendung eines Schiffs zu Unterhaltungs- oder sportlichen Zwecken oder zur unangemessenen Repräsentation aus tatsächlichen Gründen aus, weil das Schiff als „schwimmender Besprechungsraum” oder reines Transportmittel genutzt wird, erstreckt sich das Abzugsverbot auf die betreffenden Aufwendungen nicht (BFH-Urteil in BFHE 170, 537 , BStBl II 1993, 367). Auch Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte mit einem Schiff sind nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG insgesamt vom Abzug ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 10. Mai 2001 IV R 6/00 , BFHE 195, 323 , BStBl II 2001, 575).

10  Lässt sich ein Zusammenhang mit der Lebensführung der begünstigten Geschäftsfreunde indessen nicht ausschließen, weil die Aufwendungen für ein Segel- oder Motorschiff für Zwecke der Unterhaltung oder der Repräsentation geleistet werden, handelt es sich um Ausgaben für „ähnliche Zwecke” i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG , so dass die Aufwendungen dem Abzugsverbot unterliegen. Welche Größe oder welches Alter das Schiff hat, ist dafür ohne Bedeutung. Dem Begriff „Jacht” lassen sich diesbezügliche Abgrenzungskriterien nicht entnehmen. Er bringt vielmehr den Unterhaltungs- oder Repräsentationszweck des Schiffs zum Ausdruck. Dementsprechend hat der BFH nicht auf die Art des Wasserfahrzeugs, sondern dessen bestimmungsgemäße Verwendung abgestellt (BFH-Urteil in BFHE 195, 323 , BStBl II 2001, 575, unter 1.b).

11  d) Die der Klägerin entstandenen Kosten für die Regatta-Begleitfahrt unterliegen danach dem Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG . Der Einsatz des Schiffs für Zwecke der Unterhaltung und Repräsentation ist hier nicht nur nicht auszuschließen, sondern steht nach den Feststellungen des FG und dem eigenen Vorbringen der Klägerin fest. Angemessenheitserwägungen im konkreten Einzelfall sind nicht anzustellen. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es vielmehr gerade, die zum Ausschluss vom Abzug führende Unangemessenheit von Aufwendungen typisiert zu bestimmen.

12  2. Die Klägerin kann sich nicht zu ihren Gunsten auf die BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 845 und in BStBl I 2006, 447 berufen. Einerseits handelt es sich um sog. norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, an die die Rechtsprechung schon dem Grunde nach nicht gebunden ist. Andererseits werden auch die Voraussetzungen für die von der Verwaltung zugelassene pauschale Aufteilung von Kosten nicht erfüllt. Zwar ist die Aufteilung nicht auf die Kosten für die Anmietung von sog. VIP-Logen in Sportstätten beschränkt (BMF-Schreiben in BStBl I 2006, 447, Tz. 6). Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass der Steuerpflichtige von einem Veranstalter ein Leistungspaket erhält, das neben dem eigentlichen Besuch der Unterhaltungs- oder Sportveranstaltung zusätzliche Bestandteile wie Werbung und Bewirtung enthält. Um ein derartiges Paket eines auf Sponsoring zielenden Veranstalters geht es im Streitfall aber nicht. Deshalb kommt auch der von der Klägerin geltend gemachte Gesichtspunkt einer auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ) gründenden Selbstbindung der Verwaltung im Hinblick auf die Behandlung von sog. VIP-Logen nicht zum Tragen.

 

BFH zur steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung bei einem Steuerberater

“Veräußert ein Steuerberater ein Beratungsbüro (bestehend aus dem zu diesem Büro gehörenden Mandantenstamm, der sachlichen und personellen Ausstattung), kann eine steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung vorliegen, auch wenn der Steuerberater seine Tätigkeit in einem anderen Büro fortsetzt. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 26. Juni 2012 VIII R 22/09 entschieden.

Geklagt hatte ein Steuerberater, der zeitweilig an drei verschiedenen Orten Beratungsbüros betrieb. Zwei Büros lagen nur 22 km voneinander entfernt. Diese beiden Büros hatte der Steuerberater von verschiedenen Steuerberatern erworben und nach seinem Vortrag im Wesentlichen unverändert fortgeführt. Das dritte und weiter entfernt liegende Büro hatte er selbst gegründet.Von den beiden näher beieinander liegenden Büros hatte der Steuerberater eines veräußert und daraus einen Gewinn erzielt, für dessen Besteuerung er die Tarifermäßigung beanspruchte. Finanzamt und Finanzgericht hatten die Voraussetzungen hierfür unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH verneint.

Der BFH hatte in der Vergangenheit geurteilt, bei einem Freiberufler komme eine steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung nur in zwei Fallgruppen in Betracht. Entweder müsse eine von zwei verschiedenartigen Tätigkeiten vollständig aufgegeben werden oder es müsse – bei gleichartigen Tätigkeiten – die Tätigkeit in einem von mehreren räumlich abgegrenzten Wirkungskreisen zumindest vorübergehend vollständig eingestellt werden. Im Streitfall überschnitten sich die räumlichen Wirkungskreise der beiden nah beieinander liegenden Steuerberatungsbüros. Hiervon ausgehend, hat der BFH nun die erforderliche Selbständigkeit des veräußerten Vermögensteils (Teilbetriebs) über die bisherige Rechtsprechung hinaus auch dann für möglich gehalten, wenn der veräußerte Teilbetrieb in seinem ursprünglich beim Erwerb vorhandenen Zuschnitt bis zu seiner Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt worden ist. Die fehlende vollständige räumliche Trennung zwischen den beiden Teilbetrieben ist dann unbeachtlich. Das Finanzgericht muss nun noch prüfen, ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen.”

 

BFH-Urteil vom 26.06.2012 – VIII R 22/09

 

Presseerklärung des Bundesfinanzhofs (BFH) Nr. 66

 

 „Selbständiger Teil des Vermögens” i.S. des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG eines Steuerberaters

 Leitsatz

Eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung kann vorliegen, wenn ein Steuerberater eine Beratungspraxis veräußert, die er (neben anderen Praxen) als völlig selbständigen Betrieb erworben und bis zu ihrer Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat.

 Gesetze

EStG § 18 Abs. 3
EStG § 34 Abs. 1

 Instanzenzug

FG Rheinland-Pfalz vom 29. April 2008 5 K 2457/05 (EFG 2009, 1113 )BFH VIII R 22/09

 Gründe

I.

1  Streitig ist, ob der Gewinn aus der Veräußerung einer Steuerberatungspraxis als Veräußerung eines Teilbetriebs steuerlich begünstigt ist. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Einkünfte aus selbständiger Arbeit; Klägerin und Revisionsklägerin ist seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau.

2  Der Kläger betrieb Büros in A und B. Beide Orte sind etwa 22 km voneinander entfernt. Die Praxis in A hatte der Kläger 1983 von einem Steuerberater erworben. Die Praxis in B erwarb er von einem anderen Steuerberater jeweils zur Hälfte in den Jahren 1988 (Gründung einer Sozietät) und 1991 (vollständige Übernahme). Der Kläger setzte die Tätigkeit seiner Vorgänger fort. 1991 gründete der Kläger außerdem eine weitere Praxis in C. Alle drei Praxen führte der Kläger unter seinem Namen allein.

3  Mit Vertrag vom 19. Dezember 1997 veräußerte der Kläger die Praxis in B mit Wirkung zum 2. Januar 1998 an vier Erwerber (Steuerberater und Wirtschaftsprüfer). Zugleich verpflichtete sich der Kläger, noch bis zum 30. Juni 1998 für die Erwerber tätig zu sein, um den Übergang der bestehenden und mitveräußerten Steuerberatungsmandate zu gewährleisten. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 900.000 DM für den ideellen Wert (Mandantenstamm) und 30.000 DM für die Einrichtung. Dem Kaufvertrag war eine Liste der veräußerten Mandate beigefügt. Nach dem Vortrag des Klägers handelte es sich dabei im Wesentlichen um den historisch gewachsenen Mandantenstamm der Praxis in B, den er bereits von seinem Vorgänger erworben hatte. Im Oktober 1998 setzten die Vertragsparteien den Kaufpreis einvernehmlich auf 720.000 DM für den ideellen Praxiswert und 30.000 DM für das Inventar herab. Nicht alle Mandate hatten sich für die Erwerber als werthaltig erwiesen. Für diesen Fall u.a. hatten die Vertragspartner eine Anpassung des Kaufpreises vorgesehen.

4  Im Praxisübertragungsvertrag verpflichtete sich der Kläger außerdem, innerhalb von vier Jahren nach dem Übertragungsstichtag weder in B noch in einem Umkreis von 20 km um B als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer tätig zu werden. Von dem Konkurrenzverbot ausgenommen waren die Orte X, Y, A und Z. Das Konkurrenzverbot sollte ferner nicht gelten für Mandanten, die dem Übergang des Mandats nicht zustimmen würden und für die deshalb der Kaufpreis zu mindern sei. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Konkurrenzverbot hatte der Kläger eine Vertragsstrafe von 150 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes des betreffenden Mandanten zu zahlen. Der Kläger hat unwidersprochen behauptet, er sei von den Erwerbern zu keiner Zeit wegen Verletzung des Konkurrenzverbots in Anspruch genommen worden.

5  Vor Veräußerung der Praxis in B hatte der Kläger seine Wirtschaftsprüfungsmandate gebündelt und auf eine GmbH unter seiner Leitung übertragen. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob davon auch Mandate betroffen waren, die räumlich der Praxis in B zuzurechnen waren. Gegenstand der Praxisveräußerung war jedenfalls der Mandantenstamm der Praxis in B ohne Wirtschaftsprüfungsmandate.

6  Unstreitig hatte der Kläger in der Praxis B auch Mandate durch das dortige Personal bearbeiten lassen, die örtlich nicht B zuzurechnen waren. Dies betraf sowohl Mandate aus dem Raum A als auch Mandate aus C. Für diese in B „im Auftrag” erledigten Arbeiten nahm der Kläger jährliche Ergebnisabgrenzungen zwischen den einzelnen Büros vor. Diese sog. Auftragsmandate wurden nicht zusammen mit der Praxis in B veräußert. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob diese Auftragsmandate aufgrund der in B erledigten Zuarbeiten der dortigen Praxis „zugehörten” mit der Folge, dass der Kläger durch das „Zurückbehalten” dieser Mandate auch nach Veräußerung der Praxis B in deren räumlichem Wirkungskreis tätig geworden ist.

7  Die Umstrukturierung seiner Tätigkeit und den Verkauf der Praxis in B teilte der Kläger seinen Mandanten im Januar 1998 in einem Informationsschreiben mit. Darin erläuterte er auch, dass er seine Tätigkeit aufgrund von Änderungen im Standesrecht nicht wie bisher fortsetzen könne. Jede Zweigstelle müsse in Zukunft mit einem Berufsträger besetzt sein. Deshalb sei er gezwungen, die Praxis in B zu veräußern. Im März 1998 teilte der Kläger dem Finanzamt F mit, dass mit Wirkung zum 2. Januar 1998 der Teilbetrieb in B veräußert worden sei; für den Veräußerungsgewinn beantragte er die Tarifermäßigung gemäß § 18 Abs. 3, § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr (1998) maßgeblichen Fassung (EStG ).

8  In der Vergangenheit waren die Einkünfte aus der Praxis in B vom Finanzamt F gesondert festgestellt worden. Dementsprechend stellte zunächst das Finanzamt F die Tarifbegünstigung des Veräußerungsgewinns unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.

9  Nach einer bei dem Kläger durchgeführten Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Einschätzung, dass eine steuerbegünstigte Teilbetriebsveräußerung nicht anzunehmen sei. In seinem abschließenden Bericht über die Außenprüfung stellte der Prüfer ergänzend fest, die Praxen in B und A hätten sich überschneidende örtliche Wirkungskreise. Außerdem hätten Mandanten aus C und A Rechnungen aus B erhalten, Mandanten aus B und C hätten aber auch Rechnungen aus A erhalten. Daraus zog der Prüfer den Schluss, die Praxen in A, B und C seien auch organisatorisch nicht ausreichend voneinander getrennt gewesen. Mandate seien aus Kapazitätsgründen dort bearbeitet worden, wo Personal zur Verfügung gestanden habe. Die bei ihrer Anschaffung noch zu bejahende Selbständigkeit der jeweiligen Praxen sei durch die Eingliederung in das einheitliche Unternehmen des Klägers aufgehoben worden. Außerdem habe der Kläger seine Tätigkeit im bisherigen Wirkungskreis fortgesetzt und nicht wie erforderlich vollständig eingestellt.

10  Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) schloss sich dieser Würdigung an und versagte nach Aufhebung des Feststellungsbescheids im Einkommensteuerbescheid für 1998 die Anwendung der Tarifbegünstigung für den Veräußerungsgewinn.

11  Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

12  In der Einspruchsentscheidung wurde u.a. festgestellt, der Kläger habe diverse Mandate, die in B bearbeitet wurden, bei der Veräußerung „zurückbehalten”; dadurch sei die von der Rechtsprechung aufgestellte Bagatellgrenze von 10 % bei Weitem überschritten. Die veräußerten und die zurückbehaltenen Mandate seien zudem nicht streng nach örtlichen Kriterien bestimmt worden. Der Kläger habe auch durch die Art der Außendarstellung (zeitweilige Bezeichnung der Praxis in A als weitere Postanschrift des Büros B) zum Ausdruck gebracht, dass er einen einheitlichen Betrieb ohne organisatorische Trennung führe. Die vom Kläger vorgenommene Aufteilung seines einheitlichen Mandantenstamms genüge nicht für die Annahme eines Teilbetriebs.

13  Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, er habe die Praxis B mit ihrem historisch gewachsenen Mandantenstamm veräußert. Ebenso habe er die Praxis A in ihrem historisch gewachsenen Zuschnitt belassen und behalten. Die Mandanten seien den jeweiligen Büros über unterschiedliche DATEV-Zugangsnummern eindeutig zuzuordnen. An dieser Zuordnung habe er nichts geändert. Deshalb sei er nach der Veräußerung des Büros B mit jenen Mandanten seines Büros in A im Einzugsbereich des Büros B auch weiterhin tätig geworden, die bereits zuvor zum Steuerbüro A gehörten. Er habe davon abgesehen, die Mandate den Praxen in A und B nach örtlichen Kriterien neu zuzuordnen, weil er stets beabsichtigt habe, die Praxis in B —wie historisch gewachsen— wieder zu verkaufen. Nur für die Zukunft (Konkurrenzverbot) habe er mit den Erwerbern eine regionale Trennung der jeweiligen Wirkungskreise vereinbart.

14  Zu den für andere Büros in B erledigten Arbeiten hat der Kläger vorgetragen, es habe sich nur um büromäßige Hintergrundtätigkeiten gehandelt; zur Beratung seien die Mandanten stets in das für sie zuständige Büro gekommen. Der Erlös habe dem jeweiligen Stammbüro zugestanden; das Auftragsbüro habe lediglich seine Kosten und einen Teil des Gewinns beanspruchen dürfen. So habe er auch die Personalstruktur der von ihm erworbenen Praxen unverändert lassen können.

15  Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1113 ). Die Kläger haben erfolglos die Berichtigung des Tatbestands und des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt.

16  Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 18 Abs. 3 , § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG) und erheben Verfahrensrügen.

17  Die Kläger beantragen,

das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29. April 2008 5 K 2457/05 aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 17. September 2007 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Veräußerungserlös aus der Beratungsstelle B in Höhe von 720.000 DM nicht als laufender Gewinn, sondern als steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn berücksichtigt wird.

18  Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

19  Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO —). Das FG hat zu Unrecht den Vortrag des Klägers unberücksichtigt gelassen, dass er zwei historisch gewachsene Betriebe übernommen und bis zur Veräußerung des einen unverändert fortgeführt habe. Der Senat kann mangels tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden, ob die diesbezüglichen Behauptungen des Klägers zutreffen.

20  1. Das FG hat angenommen, eine tarifbegünstigte Teilpraxisveräußerung komme nur in Betracht, wenn entweder eine von mehreren verschiedenartigen Berufstätigkeiten aufgegeben werde oder —bei gleichartiger Tätigkeit— wenn die bisherige Tätigkeit in einer von mehreren räumlich und organisatorisch voneinander getrennten Tätigkeitsstätten vollständig eingestellt werde. Beides sei nicht der Fall.

21  a) Zu der ersten Fallgruppe hat das FG u.a. ausgeführt, der Kläger habe keine verschiedenartigen Tätigkeiten ausgeübt. Die Tätigkeiten als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer seien als Einheit zu behandeln, denn (auch) Wirtschaftsprüfer seien zur Steuerberatung befugt. Vielmehr habe der Kläger versucht, einen einheitlichen Mandantenstamm in Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsmandate aufzuteilen. Das sei vor dem Hintergrund unbeachtlich, dass er die bisherige Berufstätigkeit in einem räumlichen Bereich vollständig einstellen müsse.

22  b) Aber auch die Voraussetzungen der zweiten Fallgruppe lägen nicht vor. Ob das Büro in B organisatorisch hinreichend selbständig gewesen sei, könne dahinstehen, denn der Kläger habe seine Tätigkeit im bisherigen Wirkungskreis (von B) in nennenswertem Umfang fortgesetzt und nicht —wie erforderlich— zumindest vorübergehend vollständig eingestellt.

23  c) Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf die von der Rechtsprechung geschaffene Bagatellgrenze für das unschädliche Zurückbehalten einzelner Mandate berufen. Die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit durch den Kläger sei (wie dargelegt) jedenfalls nicht mehr geringfügig.

24  2. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

25  a) Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gehört nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG auch der Gewinn, der bei der Veräußerung eines selbständigen Teils des Vermögens erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. In diesem Fall gilt u.a. § 16 Abs. 2 bis 4 EStG entsprechend (§ 18 Abs. 3 Satz 2 EStG ); der Veräußerungsgewinn wird, soweit er hiernach nicht steuerfrei bleibt, mit den ermäßigten Sätzen des § 34 Abs. 1 EStG besteuert (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG ).

26  b) Der Ausdruck „selbständiger Teil des Vermögens” in § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG ist im Gesetz nicht näher definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist er unter entsprechender Heranziehung der Voraussetzungen des Teilbetriebs i.S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu bestimmen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465 , BStBl II 2000, 123). Ein Teilbetrieb ist danach ein organisatorisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs, der —für sich betrachtet— alle Merkmale eines Betriebs im Sinne des EStG aufweist und als solcher lebensfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 13. Februar 1996 VIII R 39/92 , BFHE 180, 278 , BStBl II 1996, 409, m.w.N.). Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit besitzt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Zeitpunkt der Veräußerung beim Veräußerer zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 5. Juni 2003 IV R 18/02 , BFHE 203, 47 , BStBl II 2003, 838, m.w.N.).

27  c) Dabei kann im Hinblick auf die Eigenart der selbständigen Arbeit, insbesondere die Bedeutung der persönlichen Betätigung, nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung die erforderliche Selbständigkeit nur dann angenommen werden, wenn sich die freiberufliche Arbeit entweder auf wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten mit zugehörigen unterschiedlichen Kunden- oder Patientenkreisen erstreckt (1. Fallgruppe) oder bei gleichartiger Tätigkeit in örtlich wie organisatorisch voneinander getrennten Bereichen ausgeübt wird (2. Fallgruppe).

28  Handelt es sich hingegen um eine einheitliche gleichartige freiberufliche Tätigkeit, so kann regelmäßig ausgeschlossen werden, dass ein Teil der Praxis eine so weitgehende organisatorische Selbständigkeit erreicht hat, dass er einem Teilbetrieb im gewerblichen Bereich gleichgestellt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S , BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120; vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249 , BStBl II 1978, 562; vom 29. Oktober 1992 IV R 16/91, BFHE 169, 352 , BStBl II 1993, 182, mit umfangreicher Zusammenstellung der Rechtsprechung, und zuletzt in BFHE 203, 47 , BStBl II 2003, 838). Danach führt insbesondere die Aufteilung eines einheitlichen Mandantenstamms nicht zur Annahme einer Teilpraxis.

29  d) Diese Rechtsprechung schließt es —entgegen der Auffassung des FG— nicht aus, bei der gebotenen Gesamtwürdigung auch den Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger im Streitfall zwei für sich genommen völlig selbständige und lebensfähige Steuerbüros von zwei verschiedenen Steuerberatern erworben und (nach seinem Vortrag) als solche fortgeführt hat. Die vom BFH in der Vergangenheit gebildeten alternativen Fallgruppen beschreiben nur indiziell (nicht tatbestandlich) die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit, und zwar für die besonders häufig auftretenden Sachverhalte. Dies schließt die Berücksichtigung weiterer Umstände bei weniger typischen Sachverhalten nicht aus (vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1995 2 BvR 802/90 , BStBl II 1996, 34 „Oderkonto”). Dementsprechend hat der BFH den Fall, dass eine dem Teilbetrieb ähnliche Verselbständigung zu verneinen ist, stets positiv umschrieben (einheitliche, gleichartige freiberufliche Tätigkeit). Und selbst für diesen Fall hat der BFH die Annahme der erforderlichen Selbständigkeit nur „regelmäßig” ausgeschlossen.

30  e) Eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung kann auch dann vorliegen, wenn ein Steuerberater eine Beratungspraxis veräußert, die er (neben anderen Praxen) als selbständigen Betrieb erworben und bis zu ihrer Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat. Es kommt dann nicht entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit in voneinander getrennten örtlich abgegrenzten Bereichen ausgeübt worden ist, vorausgesetzt die beim Erwerb zu bejahende Selbständigkeit der Büros ist beibehalten und nicht durch organisatorische (eingliedernde) Maßnahmen aufgegeben worden. Maßgeblich ist insoweit ebenfalls eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände.

31  3. Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann das Urteil der Vorinstanz keinen Bestand haben. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Kläger das bei seinem Erwerb völlig selbständige Steuerbüro in B nach seinem Vortrag bis zu dessen Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat.

32  4. Die Sache ist nicht spruchreif. Da das FG —von seinem Standpunkt aus zu Recht— bisher keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, dass er das Steuerbüro in B bis zu dessen Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat, kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Das FG wird die hierzu erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen und den Sachverhalt erneut umfassend würdigen. Dabei wird es in rechtlicher Hinsicht von Folgendem auszugehen haben.

33  a) Es ist nicht erforderlich, dass der Betrieb in B vom Erwerb bis zur Veräußerung völlig unverändert geblieben ist. Es genügt, wenn der Kläger die Praxis im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat.

34  aa) Das setzt insbesondere voraus, dass er die erworbenen Mandate keinem anderen Büro zugeordnet und auch keine in anderem Zusammenhang erworbenen Mandate dem Büro in B zugeordnet hat, denn der Mandantenstamm ist die wesentliche Betriebsgrundlage eines Steuerberatungsbüros. Dass zu den erworbenen Mandaten im Laufe der Jahre eventuell weitere vom Kläger akquirierte Mandate hinzugekommen sind, steht der Annahme der unveränderten Fortführung nicht entgegen, solange es sich um Mandanten handelt, die aus räumlichen Gründen das Büro in B (und kein anderes Büro des Klägers) aufgesucht haben. Ein Mandantenstamm ist keine statische, sondern eine sich stets verändernde Gesamtheit, was Zu- und Abgänge mit einschließt.

35  bb) Auch im Übrigen kommt es nur darauf an, ob der Kläger die Praxis personell und organisatorisch im Wesentlichen in dem Zustand belassen hat, in welchem er sie erworben hatte. Keine entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, wie der Kläger die Büros im Außenverhältnis bezeichnet hat. Zum einen hat der Kläger dadurch nach seinem unwidersprochenen Vortrag lediglich die vorübergehende Nichtbeachtung der standesrechtlichen Voraussetzungen für den Betrieb eigenständiger Beratungsbüros kaschieren und keine beschreibende Aussage über die wahre Struktur der Praxen machen wollen. Zum anderen kommt der bloßen Bezeichnung schon deshalb keine entscheidende Bedeutung zu, weil es auf die tatsächlichen Umstände ankommt. Ob ein Praxisteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche Selbständigkeit aufweist, ist nach objektiven Umständen zu beurteilen und unterliegt keinem Wahlrecht.

36  b) Eine (schädliche) Zuordnung von Mandaten anderer Büros zu B ist nicht anzunehmen, soweit der Kläger in B auch Arbeiten hat erledigen lassen für Mandanten aus anderen Büros. Hierdurch wird eine Neuzuordnung der Mandate nicht bewirkt. Die Nutzung freier Kapazitäten in einzelnen Büros durch Verlagerung von Tätigkeiten bewirkt für sich genommen auch keine organisatorische Integration bei ansonsten streng voneinander getrennt geführten Betriebsteilen. Durch die Erledigung solcher zusätzlicher Aufgaben wird insbesondere die im Ausgangspunkt anzunehmende Selbständigkeit des Büros in B nicht in Frage gestellt.

37  c) Soweit streitig ist, ob der Kläger den Mandantenstamm des Büros in B vollständig veräußert hat, kommt es neben der historischen auf die räumliche Zuordnung der (vom Kläger hinzuerworbenen) Mandate an. Entscheidend ist, ob der jeweilige Mandant aufgrund seiner räumlichen Nähe zur Beratung in das Büro in B gekommen ist oder ob er in einem anderen Büro beraten werden wollte. Denn der räumliche Wirkungskreis eines Steuerberaters wird im Wesentlichen bestimmt durch die Lage seines Büros, in das sich die Mandanten zu ihrer Beratung begeben (vgl. BFH-Urteile vom 24. August 1989 IV R 120/88 , BFHE 158, 257 , BStBl II 1990, 55, und in BFHE 203, 47 , BStBl II 2003, 838, jeweils zur Maßgeblichkeit der Lage des Schulungsraums für den örtlichen Wirkungsbereich einer Fahrschule). Welche Bedeutung der räumlichen Entfernung zwischen den einzelnen Beratungsbüros bei einem Steuerberater zukommt (offengelassen im BFH-Urteil vom 8. Mai 2000 IV R 63/99 , BFH/NV 2000, 1341 ), bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Unter den gegebenen Umständen (historisch gewachsener Betrieb) ist es jedenfalls unerheblich, wenn hinsichtlich nachträglich vom Kläger hinzugewonnener Mandate im Einzelfall eine eindeutige räumliche Zuordnung zu der Praxis in B nicht möglich sein sollte. Dies gilt zumindest, solange die Unbestimmtheit nur einen unwesentlichen Teil der veräußerten Mandate betrifft.

38  d) Hinsichtlich der weiteren Streitfrage, ob der Kläger seine bisherige Tätigkeit im örtlichen Wirkungskreis des Büros in B vollständig eingestellt hat, kommt es in erster Linie darauf an, ob er die nach den vorstehenden Grundsätzen zu dem Büro in B gehörenden Mandanten (oben unter II.4.c) nach der Veräußerung des Büros (und nach Ablauf der Übergangszeit) weiter beraten hat. Hiervon ist im Streitfall indiziell schon deshalb nicht auszugehen, weil der Kläger nach seinem unwidersprochenen Vortrag von den Erwerbern des Büros in B nicht wegen Verletzung des Konkurrenzverbots in Anspruch genommen worden ist.

39  Ob eine tarifbegünstigte Teilpraxisveräußerung bei einem Steuerberater daneben auch voraussetzt, dass der Berater im bisherigen örtlichen Wirkungskreis des veräußerten Teilbetriebs keine neuen Mandate wirbt oder ihm angetragene neue Mandate aus diesem Bereich ablehnt, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Klärung. Das zwischen den Vertragsbeteiligten vereinbarte und offenbar auch durchgeführte Konkurrenzverbot gewährleistet insofern für die Zukunft eine hinreichend eindeutige räumliche Trennung der (sich in der Vergangenheit überschneidenden) örtlichen Wirkungsbereiche beider Praxen mit der Folge, dass der Kläger berechtigt war, neue Mandate aus den nicht dem Konkurrenzverbot unterliegenden Orten anzunehmen, ohne eine (schädliche) Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit im örtlichen Wirkungsbereich der veräußerten Praxis in B befürchten zu müssen. Das gilt auch für Mandanten aus den vom Konkurrenzverbot ausgenommenen Orten.

40  e) Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger durch die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer im örtlichen Wirkungskreis von B auch nach der Veräußerung der Praxis tätig geworden ist, bedarf indes noch der Aufklärung. Zwar tritt der Senat der Ansicht des FG nicht bei, dass die Tätigkeiten als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer generell als gleichartig anzusehen sind. Der Umstand, dass auch Wirtschaftsprüfer zur Beratung in Steuersachen befugt sind, rechtfertigt diesen Schluss nicht. Diese Übereinstimmung verdeckt nicht, dass Wirtschaftsprüfer und Steuerberater unterschiedliche Aufgaben haben (vgl. § 2 der Wirtschaftsprüferordnung einerseits und §§ 1 , 3 des Steuerberatungsgesetzes andererseits) und deshalb im Regelfall auch unterschiedliche Tätigkeiten ausüben. Die Verschiedenartigkeit der Tätigkeiten reicht jedoch nicht hin, um insofern auch stets von selbständigen Teilpraxen ausgehen zu können. Hinzukommen muss eine hinreichende organisatorische Trennung der beiden Tätigkeiten. Daran fehlt es, wenn die Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer ohne organisatorische Trennung im Rahmen einer einheitlichen Praxis als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ausgeübt wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger bei Anschaffung der Praxis in B vom Veräußerer keine Wirtschaftsprüfungsmandate erworben und sich die Tätigkeit als Wirtschaftsprüfer außerhalb der zunächst bestehenden Sozietät vorbehalten hatte. Nachdem der Kläger die Praxis in B vollständig übernommen hatte, ist es denkbar, dass er die Wirtschaftsprüfungsmandate, soweit sie räumlich dieser Praxis zugeordnet werden müssen, nicht getrennt von der Steuerberatung, sondern in einem einheitlich organisierten Betrieb ausgeübt hat. In diesem Fall wäre die vom Kläger vor der Veräußerung der Praxis in B vorgenommene Ausgliederung der Wirtschaftsprüfungsmandate als Zurückbehaltung einzelner Mandate aus einem einheitlichen Mandantenstamm zu bewerten. Für die Schädlichkeit käme es dann auf die in der Rechtsprechung entwickelte Bagatellgrenze an (vgl. nur BFH-Beschluss vom 20. Januar 2009 VIII B 58/08 , BFH/NV 2009, 756 , m.w.N.).

BFH zum Abzug von Kinderbetreuungskosten bei Schwangerschaft der Mutter

“Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 5. Juli 2012 III R 80/09 entschieden, dass die Kosten einer Tagesmutter nicht steuerlich geltend gemacht werden können, wenn ein Elternteil erwerbstätig und der andere Elternteil schwanger ist. Denn eine Schwangerschaft als solche stellt keine Krankheit im Sinne des Gesetzes dar.

Der Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt berufstätig. Die Klägerin befand sich zunächst in der Berufsausbildung, die sie allerdings nach der Geburt ihres ersten Kindes im Jahre 2004 unterbrach und die sie auch im Laufe des Streitjahres 2006 nicht wieder aufnahm. Im August dieses Jahres wurden die Kläger erneut Eltern. Das ältere Kind wurde u.a. in der Zeit der Schwangerschaft von einer Tagesmutter betreut. Die Kosten hierfür machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung geltend.

Im Streitjahr 2006 konnten derartige Kinderbetreuungskosten gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 Einkommensteuergesetz (EStG) nur bei Vorliegen besonderer persönlicher Abzugsvoraussetzungen steuerlich berücksichtigt werden. Lebten beide Elternteile zusammen, dann musste, wenn einer der Elternteile, wie der Kläger, erwerbstätig war, der andere Teil entweder ebenfalls erwerbstätig sein oder sich in Ausbildung befinden. Auch bei einer mindestens drei Monate andauernden Erkrankung oder einer Behinderung dieses Elternteils war der Abzug der Betreuungskosten zulässig. Lagen solche Gründe nicht vor, etwa weil sich ein Elternteil allein der Erziehung der Kinder widmete (sog. Alleinverdienerehe), dann waren Betreuungskosten – von einer Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG abgesehen – nicht abziehbar.

Der BFH sah die persönlichen Abzugsvoraussetzungen in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Finanzgerichts nicht als erfüllt an. Seines Erachtens befand sich die Klägerin weder in Ausbildung, da sie diese bereits nach der Geburt des ersten Kindes unterbrochen hatte, noch war sie längerfristig erkrankt. Die Schwangerschaft konnte nicht als Krankheit gewertet werden, weil es sich hierbei nicht um einen regelwidrigen körperlichen Zustand handelt. Krank ist eine Frau nicht, wenn sie schwanger wird, sondern nur dann, wenn sie nicht schwanger werden kann (Empfängnisunfähigkeit). Treten während der Schwangerschaft gesundheitliche Komplikationen auf, dann ist der Krankheitsbegriff jedoch regelmäßig erfüllt. Davon konnte im Streitfall nach den Feststellungen des FG indes nicht ausgegangen werden. Da die Klägerin somit weder aus gesundheitlichen noch aus sonstigen (Erwerbstätigkeit u.ä.) Gründen an der persönlichen Betreuung ihres ältesten Kindes gehindert war, konnten die Kosten der Tagesmutter nach der gesetzlichen Konzeption nicht abgezogen werden.

Die von den Klägern geäußerten Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Abzugsvoraussetzungen teilte der BFH nicht. Er erachtete sowohl die persönlichen Abzugsvoraussetzungen als auch die Abzugshöchstgrenzen als zulässige Typisierungen des Gesetzgebers. Auch in der Regelung des § 3 Nr. 33 EStG, wonach finanzielle Leistungen des Arbeitgebers zur Betreuung von Kindern seiner Arbeitnehmer steuerfrei sind, vermochte er keine ungerechtfertigte Privilegierung von Arbeitnehmern gegenüber Selbständigen zu erblicken.

In seinem Urteil ging der BFH schließlich kurz auf die aktuelle Rechtslage ein. Seit 2012 können Kinderbetreuungskosten abgezogen werden, ohne dass persönliche Abzugsvoraussetzungen bei den Eltern vorliegen müssen.”

Presseerklärung Nr. 68 des Bundesfinanzhofs (BFH) SEO Titel generieren

BFH-Urteil vom 05.07.2012 – III R 80/09

 

Verfassungsmäßigkeit des Abzugs von Kinderbetreuungskosten

Leitsatz

1. Es ist verfassungsgemäß, den Abzug von Kinderbetreuungskosten vom Vorliegen bestimmter persönlicher Anspruchsvoraussetzungen (Erwerbstätigkeit, Ausbildung, längerfristige Erkrankung u.ä.) abhängig zu machen. Bei der Auswahl der maßgeblichen Gründe kommt dem Gesetzgeber ein Typisierungsspielraum zu, den er mit §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 (BGBl I 2006, 1091 ) noch nicht überschritten hat.

2. Die in diesen Vorschriften enthaltene Beschränkung des Abzugs erwerbsbedingter und privater Kinderbetreuungskosten auf zwei Drittel der Aufwendungen und einen Höchstbetrag von 4.000 € je Kind verstößt nicht gegen das Grundgesetz .

3. Eine Schwangerschaft stellt als solche keine Krankheit dar und berechtigt daher nicht zum Abzug privater Kinderbetreuungskosten.

4. Die Beschränkung der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 33 EStG auf Arbeitnehmer verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG .

 Gesetze

EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 § 3 Nr. 33
EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 § 4f
EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 § 9 Abs. 5 Satz 1
EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 § 10 Abs. 1 Nr. 8
EStG i.d.F. des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 § 32 Abs. 6

 Instanzenzug

FG Hamburg vom 23. Oktober 2009 6 K 123/09 BFH III R 80/09

BVerfG 20.02.2013 – 2 BvR 2454/12

 Gründe

I.

1  Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatten im Streitjahr 2006 zwei leibliche Kinder, nämlich die 2004 geborene T und die im August des Streitjahres (2006) geborene F.

2  Der Kläger ist als selbständiger Rechtsanwalt berufstätig. Die Klägerin befand sich bis zur Geburt von T in der Ausbildung zur Erzieherin. Die sodann unterbrochene Ausbildung konnte von ihr auch im Laufe des Streitjahres nicht wieder aufgenommen werden. Für die Betreuung ihrer Tochter T bei einer Tagesmutter hatten die Kläger 2.063,79 € zu zahlen.

3  Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) versagte die steuerliche Berücksichtigung dieser Aufwendungen. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

4  In ihrer Revision legen die Kläger zunächst ausführlich ihre persönliche und berufliche Lebenssituation im Streit- und in den Folgejahren dar. Sie rügen die Verletzung von Bundesrecht, weil das Finanzgericht (FG) eine verfassungskonforme Interpretation der gesetzlichen Regelungen zur Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten (§§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nrn. 5 und 8, 35a des Einkommensteuergesetzes —EStG —) unterlassen habe. Die im Streitfall anzuwendenden Vorschriften bzw. deren Umsetzung liefen auf eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund hinaus und diskriminierten bestimmte Lebensmodelle heutiger Familien. Sie würden schon deshalb in ihren Grundrechten verletzt, weil ein Arbeitnehmer über die Vorschrift des § 3 Nr. 33 EStG unabhängig von sozialer Situation, Leistungsfähigkeit und Berufstätigkeit des Partners Kinderbetreuungskosten im Vorschulalter der Kinder jedenfalls dann unbegrenzt steuerlich freigestellt erhielte, wenn er lediglich den Zahlungsweg über den Arbeitgeber wähle. Ein sachlicher Grund, warum ein Arbeitnehmer die Kinderbetreuung unbegrenzt steuerfrei erhalten könne, ein Selbständiger jedoch nicht, sei nicht erkennbar. Darin liege zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 12 des Grundgesetzes (GG) . Darüber hinaus würden die gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten in Teilbereichen, aber auch in ihrer Gesamtheit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellt habe, nicht gerecht werden. Die Gesamtregelung sei schlicht willkürlich. Das zeige schon die wahllose Verteilung der Abzugsmöglichkeiten auf eine Vielzahl verschiedener Tatbestände. Dass die Abziehbarkeit auf zwei Drittel der Aufwendungen und eine Höchstgrenze beschränkt werden könne, sei den Ausführungen des BVerfG an keiner Stelle zu entnehmen. Dieses habe vielmehr schon die Berücksichtigung einer zumutbaren Eigenbelastung als verfassungswidrig angesehen (BVerfG-Beschluss vom 16. März 2005 2 BvL 7/00 , BVerfGE 112, 268 , BGBl I 2005, 1622 ). Die danach gebotene volle Abziehbarkeit der Kosten könne auch nicht durch das Vorhandensein anderer Freibeträge (§ 32 EStG ) gerechtfertigt werden. Soweit der Gesetzgeber für sich in Anspruch nehme, die Kinderbetreuung pauschal und nicht nach den tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen, dürfe dies nicht willkürlich erfolgen. Es müssten dann die üblichen Kosten angesetzt werden, die jedenfalls an ihrem Wohnort Hamburg nicht unter 4.560 € im Jahr anzusetzen seien. Auch in der Festlegung der einzelnen Abzugsvoraussetzungen handele der Gesetzgeber willkürlich und halte sich nicht an die Vorgaben des BVerfG. So komme es z.B. in § 4f EStG auf die Frage der Erwerbstätigkeit an, obgleich es hierauf nicht ankommen dürfe. Es sei nicht erkennbar, warum nach den Verwaltungserlassen jede Erwerbstätigkeit, selbst eine geringfügige, ausreiche, auf der anderen Seite aber selbst eine vollzeitige Ausbildung nicht genüge. Der numerus clausus von sozialen Gründen, die nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG den Sonderausgabenabzug ermöglichten, sei sachlich nicht begründet. Kinderbetreuungskosten seien danach zwar abziehbar, wenn sie, die Klägerin, sich in Ausbildung befinde, nicht aber, wenn der Kinderbetreuungsplatz schlicht gehalten werden müsse, um die Ausbildung künftig überhaupt fortsetzen zu können. Betreuungskosten seien abziehbar, wenn sie (Klägerin) krank sei, sie seien nicht abziehbar, wenn sie schon Kinder habe, sich nach Schwangerschaft, Geburt und in der Stillzeit schonen müsse und deswegen auf eine Fremdbetreuung angewiesen sei. Der Hinweis des FG, Schwangerschaft sei keine Krankheit, sei zynisch. Auslegungsspielräume beim Merkmal der Krankheit würden von Rechtsprechung und Finanzverwaltung nicht genutzt. So seien die lebensbedrohlichen Umstände bei der Geburt von F nicht berücksichtigt worden. Andere Differenzierungsmöglichkeiten für den Sonderausgabenabzug würden dagegen vom Gesetzgeber nicht gewählt. So spiele z.B. die Anzahl der bereits vorhandenen Kinder und der damit einhergehende Betreuungsaufwand ebenso wenig eine Rolle wie die gesundheitliche und physische Leistungsfähigkeit der Mutter. Nach der Wertung des Art. 6 GG müsse es auch anerkannt werden, wenn Eltern die Fremdbetreuung „lediglich” aus pädagogischen Gründen für sinnvoll hielten. Maßstab für die Abzugsfähigkeit sei die freie Entscheidung der Eltern. Allein der Familie obliege die Bestimmung des Kindeswohls und die Entscheidung über die Kinderbetreuung. Eine Familie würde Kinderbetreuungskosten grundsätzlich nur dann veranlassen, wenn sie es für notwendig erachte. Die Tatsache des Geldeinsatzes indiziere unwiderleglich die Notwendigkeit der Kosten zur Sicherung der familiären Existenz. Dies alles zeige, dass Kinderbetreuungskosten in voller Höhe und unabhängig von bestimmten Gründen steuerlich anerkannt werden müssten, wie es bei Arbeitnehmern über § 3 Nr. 33 EStG geschehe. Bezogen auf ihre konkrete Lebenssituation sei festzustellen, dass das von ihnen gewählte Lebensmodell steuerlich und auch in anderen Rechtsbereichen, z.B. beim Elterngeld, diskriminiert werde.

5  Die Kläger beantragen, den Gerichtsbescheid des FG Hamburg vom 23. Oktober 2009 6 K 123/09 sowie die Einspruchsentscheidung des FA vom 8. Mai 2009 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 so zu ändern, dass die Kinderbetreuungskosten vollständig zum Abzug zugelassen werden.

6  Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

7  Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung lässt den Abzug der bei den Klägern angefallenen Kinderbetreuungskosten nicht zu. Das Verfassungsrecht gebietet einen solchen Abzug nicht. Deshalb kommt weder eine Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage der Sache an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht noch besteht Anlass für eine verfassungskonforme Auslegung.

8  1. Im Streitfall ist kein im Veranlagungszeitraum 2006 geltender Tatbestand des EStG , der den Abzug von Kinderbetreuungskosten ermöglicht, erfüllt.

9  a) § 4f EStG , der den Abzug erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten im Bereich der Gewinneinkunftsarten regelt, ist unanwendbar, weil die zusammenlebenden Kläger nicht beiderseits erwerbstätig waren (§ 4f Satz 2 EStG ).

10  b) § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist nicht einschlägig, weil die Kinder der Kläger im Streitjahr nicht zwischen drei und sechs Jahre alt waren.

11  c) Auch der Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG scheidet aus, weil die auf den Steuerpflichtigen bezogenen Abzugsvoraussetzungen nicht vorliegen.

12  aa) Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines haushaltszugehörigen Kindes, das das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, können dann abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige sich in Ausbildung befindet, körperlich, geistig oder seelisch behindert oder krank ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 EStG ). Erwachsen die Aufwendungen wegen Krankheit des Steuerpflichtigen, muss die Krankheit innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von mindestens drei Monaten bestanden haben, es sei denn, der Krankheitsfall tritt unmittelbar im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit oder eine Ausbildung ein (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 EStG ). Bei zusammenlebenden Eltern ist der Abzug nur zulässig, wenn bei beiden Elternteilen die Voraussetzungen nach Satz 1 vorliegen oder ein Elternteil erwerbstätig ist und der andere Elternteil sich in Ausbildung befindet, körperlich, geistig oder seelisch behindert oder krank ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 EStG ).

13  bb) Die persönlichen Abzugsvoraussetzungen lagen nur beim erwerbstätigen Kläger, nicht aber bei der Klägerin vor.

14  (1) Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Klägerin sich nicht —mehr— in Ausbildung befand, als sie diese nach der Geburt der ältesten Tochter unterbrach. Schon der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 EStG stellt mit der Formulierung „sich in Ausbildung befindet” nicht auf ein formales Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden. Es tritt grundsätzlich dann eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung des angestrebten Berufs zu dienen. Nach der zum Berufsausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ergangenen Senatsrechtsprechung befindet sich daher eine Person nicht in einer Ausbildung, wenn sie diese unterbricht, um ein eigenes Kind zu betreuen (Urteile des Bundesfinanzhofs —BFH—vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106 , BStBl II 2003, 848; vom 24. September 2009 III R 79/06, BFH/NV 2010, 614 ). Gesichtspunkte für eine abweichende Beurteilung im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr entspricht es dem Zweck dieser Vorschrift, den Abzug der Kinderbetreuungskosten nur in solchen Fällen zuzulassen, in denen die Eltern wegen Erwerbstätigkeit, tatsächlich durchgeführter Ausbildung, längerer Erkrankung oder Behinderung an der persönlichen Betreuung ihres Kindes gehindert sind.

15  (2) Der Senat pflichtet dem FG auch darin bei, dass eine Schwangerschaft als solche keine Krankheit darstellt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Februar 1975 3 RK 68/73 , BSGE 39, 167; Schütze in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 24b Rz 16, zur Rechtslage im Sozialversicherungsrecht; a.A. Steiner in Lademann, EStG , § 9c Rz 38). Denn der Begriff der Krankheit setzt einen anormalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand voraus, der den Betroffenen „in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen” derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf (BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 III R 47/05 , BFHE 218, 141 , BStBl II 2007, 871). Anormal ist der körperliche Zustand einer Frau nicht, wenn sie schwanger wird, sondern dann, wenn sie nicht schwanger werden kann (zur Empfängnisunfähigkeit als Krankheit vgl. BFH-Urteil in BFHE 218, 141 , BStBl II 2007, 871). Krank i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG ist eine Schwangere demnach nur in solchen Fällen, in denen während der Schwangerschaft länger als drei Monate andauernde gesundheitliche Komplikationen auftreten (schwangerschaftsbedingte Erkrankung, z.B. wochenlanger Krankenhausaufenthalt oder medizinisch indizierte Schonung zur Vermeidung einer Frühgeburt).

16  Dass die Klägerin, abgesehen von der Schwangerschaft, im Sinne des Gesetzestatbestands mehrmonatig krank gewesen ist, hat das FG als Tatsacheninstanz nicht festgestellt. Verfahrensrügen, etwa einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO oder gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO , haben die Kläger nicht erhoben. Ihr Revisionsvorbringen, wonach sich an die unter lebensbedrohlichen Umständen erfolgte Geburt von F eine mehrwöchige Erkrankung der Klägerin anschloss, kann daher nicht berücksichtigt werden.

17  d) Eine Steuerermäßigung gemäß § 35a EStG scheidet aus, weil die Dienstleistungen der Tagesmutter nicht im Haushalt der Kläger erbracht wurden (Schmidt/Krüger, EStG , 31. Aufl., § 35a Rz 4 f.).

18  2. Die im EStG vorgesehenen Einschränkungen für den Abzug von Kinderbetreuungskosten verstoßen nicht gegen Grundrechte der Kläger.

19  a) Das GG gebietet die einkommensteuerliche Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs eines Kindes nach folgenden Maßstäben:

20  aa) Nach der Rechtsprechung des BVerfG besteht der Betreuungsbedarf eines Kindes als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums unabhängig von Krankheit, Behinderung oder Erwerbstätigkeit der Eltern. Die auf diesem Bedarf beruhende Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muss deswegen bei allen Eltern berücksichtigt werden, ohne dass danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird (BVerfG-Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 23. November 1999 2 BvR 1455/98 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2000, 219 ).

21  Im Hinblick auf erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten hat das BVerfG nach Auffassung des Senats seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass das Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG es zumindest gebieten, die durch solche Kosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Denn Kinderlose mit gleichem Einkommen haben eine solche Einbuße an finanzieller Leistungsfähigkeit nicht. Bei der Umsetzung dieser Mindestanforderung steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er solche Aufwendungen wegen ihrer Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Werbungskosten und Betriebsausgaben zuordnet oder durch eine spezielle Norm, wie z.B. § 33c EStG 1997 , als außergewöhnliche Belastungen fingiert und damit die private (Mit-)Veranlassung —die elterliche Entscheidung für Kinder, die eine Betreuung erst erforderlich macht— systematisch in den Vordergrund stellt.

22  Der Gesetzgeber hat in jedem Fall aber zu beachten, dass Art. 6 Abs. 1 GG die elterliche Entscheidung für Kinder unter besonderen Schutz stellt und verbietet, erwerbstätigen Eltern bei der Einkommensbesteuerung die „Vermeidbarkeit” ihrer Kinder entgegenzuhalten. Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten müssen daher zumindest als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein. Der Gesetzgeber ist allerdings berechtigt, mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festzulegen und damit zu bestimmen, wieweit die dem Grunde nach zwangsläufigen Kinderbetreuungskosten im typischen Fall auch der Höhe nach zwangsläufig sind (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 268 , BGBl I 2005, 1622 ).

23  Bei der steuerlichen Behandlung von Unterhaltskosten, zu denen auch Aufwendungen für die Kinderbetreuung rechnen, ist schließlich die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten. Diese Befugnis erlaubt es ihm, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 268 , BGBl I 2005, 1622 , m.w.N.).

24  bb) Ergänzend zur Rechtsprechung des BVerfG zur Berücksichtigung erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten ist es verfassungsrechtlich nach Auffassung des Senats auch geboten, Kinderbetreuungskosten, die aus anderen Gründen als der Erwerbstätigkeit eines alleinstehenden Elternteils oder der beiderseitigen Erwerbstätigkeit der zusammenlebenden Eltern notwendig sind, als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe zum Abzug zuzulassen. Denn auch alleinstehenden kranken oder behinderten Eltern oder zusammenlebenden Eltern, die wegen Erwerbstätigkeit des einen Elternteils und Behinderung, längerer Erkrankung oder Ausbildung des anderen Elternteils den Betreuungsbedarf ihrer Kinder nicht selbst abdecken können, erwachsen beim Fehlen kostenfreier Betreuungsmöglichkeiten (z.B. bei den Großeltern) zwangsläufige Aufwendungen für die Betreuung, die ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Vergleich zu kinderlosen Steuerpflichtigen mindern. Daher sind neben erwerbsbedingten Betreuungskosten unter bestimmten Voraussetzungen auch zwangsläufige „private” Betreuungskosten in realitätsgerechter Höhe zum Abzug zuzulassen (gleicher Auffassung z.B. Schön, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1999, 1677; Tiedchen, Betriebs-Berater 1999, 1681; Krömker in Herrmann/ Heuer/Raupach —HHR—, Stand September 2010, § 9c EStG Rz 3; vgl. auch BVerfG-Urteil vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u.a., BVerfGE 61, 319 ).

25  b) Die gesetzlichen Vorschriften zur Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs genügten im Streitjahr 2006 den dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen.

26  aa) Dem Betreuungsbedarf von F und T wurde durch den Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung —BEA-Freibetrag— gemäß § 32 Abs. 6 EStG Rechnung getragen. Mit dem BEA-Freibetrag werden auch Fremdbetreuungskosten abgegolten (BFH-Urteile vom 29. Mai 2008 III R 108/07 , BFH/NV 2008, 1822 ; vom 23. April 2009 VI R 60/06, BFHE 225, 28 , BStBl II 2010, 267; BVerfG-Beschluss vom 20. Oktober 2010 2 BvR 2064/08 , HFR 2011, 208 ). Die von den Klägern im Streitjahr aufgewandten Beträge für die Tagesmutter blieben steuerlich demnach nicht unberücksichtigt.

27  bb) Soweit die mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 (BGBl I 2006, 1091 ) eingeführten Tatbestände der §§ 4f , 9 Abs. 5 Satz 1 EStG (erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten) und § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG („private” Kinderbetreuungskosten) den Abzug auf zwei Drittel der Aufwendungen und einen Höchstbetrag beschränken, werden dadurch —entgegen der Meinung der Revision— Grundrechte von Steuerpflichtigen mit unterhaltsberechtigten Kindern nicht verletzt. Ein Abzug der Kosten in der tatsächlich angefallenen Höhe ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Zur näheren Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 9. Februar 2012 III R 67/09 (zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, DStR 2012, 1220).

28  cc) Auch die in §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG enthaltenen Beschränkungen des Abzugs dem Grunde nach —und damit der Ausschluss der Kläger von den über den BEA-Freibetrag hinausgehenden Entlastungen— sind verfassungsrechtlich noch hinnehmbar. Der Gesetzgeber war ausgehend von seiner Vereinfachungsbefugnis grundsätzlich berechtigt, den Abzug auf die typischen Fälle zu beschränken, in denen Kinderbetreuungskosten zwangsläufig anfallen. Die mit der Beschränkung verbundene Härte, dass im Einzelfall vom Gesetz nicht erfasste Umstände eintreten können, die eine Fremdbetreuung und die Entstehung entsprechender Aufwendungen ebenso unabweisbar machen, haben die davon betroffenen Steuerpflichtigen hinzunehmen.

29  (1) Bezogen auf die im Streitfall zur Beurteilung anstehende Personengruppe der zusammenlebenden Eltern mit Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ermöglichen die Tatbestände der §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG den Abzug von Kinderbetreuungskosten bei Vorliegen der Zwangsläufigkeitsgründe Erwerbstätigkeit, Ausbildung, längere Erkrankung und Behinderung. In Person eines jeden Elternteils muss mindestens einer der Gründe verwirklicht sein. Liegt in der Person eines Elternteils ein solcher Grund nicht vor, dann geht der Gesetzgeber typisierend davon aus, dass dieser Elternteil die Eigenbetreuung des Kindes übernehmen kann und Aufwendungen für die Kinderbetreuung nicht oder jedenfalls nicht zwangsläufig entstehen (vgl. HHR/Krömker, Stand September 2010, § 9c EStG Rz 3).

30  (2) Der Senat ist der Auffassung, dass sich der Gesetzgeber mit der Auswahl der rechtlich relevanten Zwangsläufigkeitsgründe noch innerhalb der Grenzen seiner Typisierungsbefugnis gehalten hat. Bei sämtlichen im Gesetz genannten Gründen handelt es sich zweifelsohne um Lebenssituationen, in denen eine Fremdbetreuung notwendig werden kann. Der Gesetzgeber knüpfte insoweit an eine längere Gesetzgebungstradition an. So enthielt bereits § 33c EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26. Juni 1985 (BGBl I 1985, 1153 ) dieselben „Zwangsläufigkeitsgründe”. Bereits in dieser Fassung war die Berücksichtigung des Krankheitsfalles an die zusätzliche Voraussetzung geknüpft, dass diese innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Monaten bestanden haben muss. Der damit verbundene Ausschluss kürzerer Erkrankungen kann im Einzelfall zwar zu Härten führen, diese sind aber von den Steuerpflichtigen als unvermeidliche Folge jeder Typisierung hinzunehmen. Keine Willkür stellt es —entgegen der Auffassung der Revision— dar, dass der Gesetzgeber Schwangerschaft nicht erfasst hat. Denn die Erwägung, dass gesundheitliche Gründe der Eigenbetreuung bereits vorhandener Kinder durch die schwangere Mutter typischerweise nicht entgegenstehen, ist sachlich noch nachvollziehbar. Denn Schwangere sind, wie oben dargestellt, eben nicht per se krank. Der Gesetzgeber konnte zudem davon ausgehen, dass beim Auftreten von besonderen Erschwernissen und Beschwerden während der Schwangerschaft häufig der Krankheitsbegriff erfüllt sein wird. Allerdings erscheint es dem Senat durchaus zweifelhaft, ob nicht weitere Zwangsläufigkeitsgründe hätten einbezogen werden müssen. Ein Bedarf an Fremdbetreuung kann nämlich insbesondere auch dann unabweisbar entstehen, wenn bei Erwerbstätigkeit des einen Elternteils eine größere Zahl minderjähriger Kinder zu betreuen ist (vgl. Seiler, DStR 2006, 1631). Auch bei dem gesellschaftlich festzustellenden Trend zur Ein- oder Zwei-Kind-Familie dürfte es sich immer noch um einen typischen Lebenssachverhalt handeln. Eine „Hinwegtypisierung” dieser Fälle dürfte zudem mit Art. 6 GG schwerlich zu vereinbaren sein. Im Streitfall war eine solche Situation allerdings nicht gegeben. Vorliegend kumulierten nach dem Revisionsvorbringen der Kläger vielmehr Belastungen verschiedenster Art (Zöliakieerkrankung der älteren Tochter, unzureichende staatliche Betreuungsangebote, Schwangerschaft, Risikogeburt, nicht unbegrenzt zulässige Unterbrechung der Berufsausbildung der Klägerin, hohe berufliche Beanspruchung des Klägers u.ä.) zu einer Gesamtsituation, die die Kläger ohne Inanspruchnahme einer Tagesmutter nicht meistern zu können glaubten. Nach Auffassung des Senats handelte es sich hierbei allerdings um eine Härte des Einzelfalles, die die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht zu begründen vermag.

31  (3) Der vom Vorliegen bestimmter Zwangsläufigkeitsgründe unabhängige Abzug von Kinderbetreuungskosten, den die Kläger fordern und der mit Inkrafttreten des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131 , BStBl I 2011, 986; vgl. BTDrucks 17/5125, S. 37) Wirklichkeit geworden ist, ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Zwar werden Eltern Aufwendungen für die Kinderbetreuung typischerweise nur dann in nennenswertem Umfang tätigen, wenn dies aus beruflichen, gesundheitlichen, pädagogischen, familiären oder sonstigen Gründen notwendig ist, so dass die ab 2012 geltende Regelung rechtspolitisch begrüßenswert erscheint. Verfassungsrechtlich war der Gesetzgeber jedoch nur gehalten, zwangsläufige Aufwendungen für Kinderbetreuung zum Abzug zuzulassen, und ferner dazu berechtigt, die Zwangsläufigkeitsgründe typisierend und abschließend tatbestandlich zu erfassen.

32  3. Der Senat ist ferner nicht davon überzeugt, dass die Beschränkung der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 33 EStG auf Arbeitnehmer gegen Verfassungsrecht verstößt.

33  a) Nach § 3 Nr. 33 EStG sind steuerfrei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen.

34  b) Die Kläger erfüllen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm nicht. Sie sind keine Arbeitnehmer und bezogen im Streitjahr weder Arbeitslohn noch zusätzliche Leistungen für die Betreuung ihrer Kinder von einem Arbeitgeber. Die von ihnen begehrte Steuerbefreiung eines entsprechenden Teils der Einnahmen des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit kann ihnen auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht gewährt werden. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Grenzen werden der verfassungskonformen Auslegung durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen. Ein Normverständnis, das mit dem Wortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes treten würde (z.B. BVerfG-Beschluss vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44/92 , 1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64, BGBl I 1997, 549 , m.w.N.). Vorliegend setzt der mögliche Wortsinn der —steuerrechtlich geklärten— Begriffe Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitslohn der Auslegung klare Grenzen. Der Anwendungsbereich der Norm kann im Auslegungswege nicht auf die Kläger erstreckt werden.

35  c) Der Gesetzgeber war auch nicht von Verfassungs wegen aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG ) verpflichtet, die für die Betreuung der Kinder eingesetzten Teile des vom Kläger erzielten Gewinns aus freiberuflicher Tätigkeit steuerfrei zu belassen.

36  aa) Da mit dem BEA-Freibetrag und den Abzügen gemäß §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur steuerlichen Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs von Kindern bei allen Steuerpflichtigen —einschließlich derjenigen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen— bereits erfüllt werden, kommt der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 33 EStG lediglich eine ergänzende Funktion zu. Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber erreichen, dass insbesondere Zuschüsse des Arbeitgebers für die Betreuung von Kindern in betriebsfremden Kindergärten —nach damaliger Rechtsprechung steuerpflichtiger Arbeitslohn (BFH-Urteil vom 25. Juli 1986 VI R 203/83 , BFHE 147, 357 , BStBl II 1986, 868)— und der Vorteil aus der kostenlosen Betreuung in Betriebskindergärten —nach früherer Rechtsprechung kein Arbeitslohn (so BFH-Urteil vom 24. Januar 1975 VI R 242/71 , BFHE 114, 496 , BStBl II 1975, 340)— aus Gründen der Gleichbehandlung steuerlich nicht erfasst werden. Er erkannte zwar, dass sich die Gleichbehandlung auch durch Besteuerung erreichen lässt. Doch hielt er die Nichtbesteuerung beider Fallgruppen für eine sachgerechte soziale Maßnahme (BTDrucks 12/1466, S. 1). Demnach verfolgte der Gesetzgeber mit § 3 Nr. 33 EStG keine Fiskalzwecke, sondern Förderungs- und Lenkungszwecke (vgl. Seiler, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2006, 1717; v. Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG , § 3 Nr. 33 Rz B 33/14).

37  bb) Derartige Normen, mit denen der Gesetzgeber ein ihm aus wirtschafts-, sozial-, umwelt- oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünschtes Verhalten der Bürger fördern will, müssen gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Der Förderungs- und Lenkungszweck muss zudem von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein. Allerdings kommt dem Gesetzgeber insbesondere hinsichtlich der sachgerechten Abgrenzung des Kreises der Begünstigten ein weiter Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfG-Urteil vom 20. April 2004 1 BvR 1748/99 , 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 ; BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99 , BVerfGE 116, 164 , BGBl I 2006, 1857 ). Nach der Rechtsprechung des BVerfG erwächst aus Art. 3 Abs. 1 GG aus einer Steuervergünstigung für eine Gruppe grundsätzlich kein Anspruch einer anderen Gruppe auf eine andere Steuervergünstigung, die wirtschaftlich zu einer vergleichbaren Entlastung führt (BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 274 ; BVerfG-Beschluss vom 20. April 2004 1 BvR 610/00 , HFR 2004, 696 ; vgl. auch BFH-Urteil vom 15. September 2011 VI R 6/09 , BFHE 235, 252 , BStBl II 2012, 144).

38  cc) Der Gesetzgeber hat seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Die Kläger haben aus Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf eine § 3 Nr. 33 EStG vergleichbare Entlastung. Es ist sachlich vertretbar, diese Steuervergünstigung auf Arbeitnehmer zu beschränken. Arbeitnehmer sind typischerweise in der Festlegung ihrer Arbeitszeiten fremdbestimmt und von daher besonders auf die arbeitsbegleitende Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Nach der konkreten Ausgestaltung der Norm werden außerdem nur zusätzliche Arbeitgeberleistungen begünstigt. Mit dieser Regelung soll die Umwandlung von ohnehin geschuldetem Arbeitslohn in steuerfreie Kinderbetreuungszuschüsse ausgeschlossen werden (vgl. BTDrucks 12/5016, S. 85; vgl. auch Urteil des Niedersächsischen FG vom 16. Juni 2011 11 K 192/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 556 , nicht rechtskräftig, Revision VI R 54/11 anhängig). Mit dem Angebot der Steuerfreiheit will der Gesetzgeber also einen Anreiz schaffen, dass der Arbeitgeber derartige arbeitsvertraglich nicht geschuldete Zusatzleistungen —Zuschüsse oder Zurverfügungstellung betrieblicher Betreuungsmöglichkeiten— überhaupt erst gewährt. Die damit beabsichtigte Verhaltenslenkung beim Arbeitgeber, die die Bereitstellung erheblicher Mittel zugunsten der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe „qualifizierte Kinderbetreuung” auslösen soll, ist bei der Gruppe der Selbständigen so nicht erreichbar. Gleichzeitig greift das vom Gesetzgeber gewählte Instrument bei dem sehr großen Personenkreis der abhängig Beschäftigten und lässt die Erwartung nachvollziehbar erscheinen, dass der gewünschte sozial- und bildungspolitische Effekt (Förderung des Kindergartenbesuchs, Einrichtung von Betriebskindergärten durch den Arbeitgeber und Inanspruchnahme dieser Leistung durch den Arbeitnehmer) in der Breite erreicht werden kann. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihre konkrete tatbestandliche Ausgestaltung, so wird deutlich, dass die Verfolgung dieses sozialen Förderzwecks auf einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung beruht. Unberechtigte Doppelbegünstigungen der Arbeitnehmer, die gegen die Norm ins Feld geführt werden könnten, sind ausgeschlossen. Denn soweit Arbeitnehmer gemäß § 3 Nr. 33 EStG steuerfreien Ersatz ihrer Aufwendungen erhalten, sind sie vom Abzug nach §§ 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG ausgeschlossen (Schmidt/Heinicke, EStG , 31. Aufl., § 9c Rz 4; Geserich, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 4f Rz A 33).

Einkommensteuer | Grundstückshandel auch bei angedrohter Versteigerung durch Finanzamt (BFH)

Gewerblicher Grundstückshandel bei Veräußerungen zur Vermeidung einer Zwangsversteigerung

 Leitsatz

1. Die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die Veräußerung von Immobilien sind für die Zuordnung zum gewerblichen Grundstückshandel oder zur Vermögensverwaltung unerheblich. Dies gilt auch für wirtschaftliche Zwänge wie z.B. die Ankündigung von Zwangsmaßnahmen durch einen Grundpfandgläubiger.

2. Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt. Ihre Geltungskraft kann im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden. Dafür kommen indes grundsätzlich weder die Gründe der Veräußerung noch Absichtserklärungen in Betracht, sondern vornehmlich Gestaltungen des Steuerpflichtigen in zeitlicher Nähe zum Erwerb, die eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen.

 Gesetze

EStG § 15 Abs. 2
GewStG § 2 Abs. 1

 Instanzenzug

FG Münster vom 11. März 2011 14 K 991/05 G (EFG 2011, 1254)

 Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1996 bis 1998 Allein- und Miteigentümer zahlreicher Grundstücke. Darüber hinaus war er an einer u.a. auf dem Gebiet des Handels mit Industriegütern und Kraftfahrzeugen tätigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligt.

2  Aufgrund von Steuerschulden in Millionenhöhe infolge einer die Vorjahre betreffenden kombinierten Steuerfahndungs- und Betriebsprüfung hatte das Finanzamt L (FA L) 1997 im Arrestwege die im Alleineigentum des Klägers stehenden Grundstücke O, erworben im Jahr 1988, M, erworben im Jahr 1995, unbebaut, B, erworben im Jahr 1995, K, erworben im Jahr 1997 und H, erworben im Jahr 1997 sowie weitere im Miteigentum des Klägers und seiner Ehefrau stehende Grundstücke mit Sicherungshypotheken belastet.

3  Nachdem für die den Arrestanordnungen zugrunde liegenden Abgabenansprüche Steuerbescheide ergangen waren, beschied das FA L den Kläger und dessen Ehefrau am 30. Januar 1998, dass es in einer Woche die Verwertung der Sicherheiten einleiten werde. Zu einer Zwangsversteigerung der Objekte kam es aber nicht, weil das FA L dem Kläger und seiner Ehefrau einen freihändigen Verkauf dieser Grundstücke gestattete.

4  Im weiteren Verlauf des Streitjahres 1998 veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau daraufhin die genannten Grundstücke. Dabei wurden folgende Verkaufspreise erzielt:

5

 

  Grundstück   Ursprünglicher Kaufpreis (DM)   Erzielter Kaufpreis (DM)
  O

  350.000

  798.000

  M

  52.000

  100.000

  B

  275.000

  350.000

  K

  300.000

  650.000

  H

  600.000

  1.300.000

 

6  Daneben veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 1998 auch noch weitere Grundstücke.

7  In den Jahren 2000 und 2001 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung eine Außenprüfung bei dem Kläger und dessen Ehefrau sowie einer aus beiden bestehenden Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts durch.

8  Aufgrund seiner während der Prüfungen getroffenen Feststellungen gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Kläger und seine Ehefrau zum einen jeweils persönlich, zum anderen aber auch gemeinsam einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hätten. Zu dem Betriebsvermögen des von dem Kläger persönlich betriebenen gewerblichen Grundstückshandels hätten die Grundstücke M, O, B, K und H gehört. Darüber hinaus gelangte der Prüfer zur Annahme nicht erklärter Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen sowie ungeklärter Vermögenszuwächse.

9  Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) übernahm die Ansätze des Prüfers und setzte u.a. für die Streitjahre 1996, 1997 und 1998 Gewerbesteuermessbeträge gegen den Kläger fest.

10  Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre mit seiner Einspruchsentscheidung herauf, nachdem es den Kläger zuvor auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen hatte, und zwar für 1996 auf 5.192,57 € (= 10.155 DM), für 1997 auf 4.069,88 € (= 7.960 DM) und für 1998 auf 31.316,63 € (= 61.250 DM). Dabei ging es weiterhin davon aus, dass der Kläger 1995 einen gewerblichen Grundstückshandel aufgenommen habe und dass zu dem Betriebsvermögen dieses Grundstückshandels die Grundstücke M, B, K und H jeweils bereits ab dem Zeitpunkt ihres Erwerbs gehört hätten, während das Grundstück O erst mit dem Beginn des Grundstückshandels dem Betriebsvermögen zum Teilwert zugeführt worden sei, der mit dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich der in Anspruch genommenen AfA-Beträge geschätzt wurde.

11  Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1254 ). Es entschied, der Kläger habe die Grenze der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten und daher keinen gewerblichen Grundstückshandel betrieben. Anhaltspunkte für eine bereits bei Erwerb der später veräußerten Grundstücke bzw. Miteigentumsanteile vorhandene unbedingte Veräußerungsabsicht des Klägers seien nicht vorhanden. Daher sei maßgeblich, ob er innerhalb von fünf Jahren mehr als drei Objekte angeschafft und veräußert habe. Einbezogen werden könnten nur das vom Kläger 1995 erworbene und 1998 veräußerte unbebaute Grundstück M sowie die versuchte Veräußerung des 1991 vom Kläger und seiner Ehefrau zu hälftigem Miteigentum erworbenen Grundstücks S. Die vier Grundstücke O, B, K und H seien dagegen   nicht mitzuzählen, da der Kläger sich der Veräußerung dieser Grundstücke aufgrund der zwangsweise eingetragenen Sicherungshypotheken und deren angedrohter Verwertung ohne Inkaufnahme wirtschaftlicher Nachteile nicht habe entziehen können.

12  Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

13  Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14  Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

15  Die Revision ist begründet, sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.

16  1. Das FG hat die Verkäufe der Grundstücke B, K und H durch den Kläger zu Unrecht als private Vermögensverwaltung angesehen und daher das Vorliegen der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels verneint.

17  a) Nach § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes , § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes ist eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes oder einer anderen selbständigen Tätigkeit anzusehen ist. Außerdem müssen durch die Tätigkeit die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten werden. Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und der nicht steuerbaren Sphäre ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86 , BStBl II 1995, 617; vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240 , BStBl II 2002, 291; Senatsbeschluss vom 15. März 2012 III R 30/10, BStBl II 2012, 661).

18  Eine private Vermögensverwaltung wird ausgeübt, solange sich die zu beurteilende Tätigkeit noch als Nutzung von Grundbesitz durch Fruchtziehung aus zu erhaltender Substanz darstellt und die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtungen nicht entscheidend in den Vordergrund tritt. Von einem gewerblichen Grundstückshandel kann dagegen im Regelfall ausgegangen werden, wenn innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Anschaffung bzw. Errichtung und Verkauf, d.h. von etwa fünf Jahren, mindestens vier Objekte veräußert werden, weil die äußeren Umstände dann den Schluss zulassen, dass es dem Steuerpflichtigen auf die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung ankommt (Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 III R 101/06, BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541).

19  Der Kläger hat im Verlauf des Streitjahres 1998 u.a. die beiden im Jahr 1995 erworbenen Grundstücke M und B sowie die beiden 1997 erworbenen Grundstücke K und H veräußert und bereits damit die objektiven Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels erfüllt. Ob das FA darüber hinaus auch das Grundstück O zu Recht in den einzelunternehmerischen Grundstückshandel einbezogen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

20  b) Die durch die Verkäufe indizierte Annahme, dass der Kläger bereits beim Erwerb der Grundstücke mit bedingter Veräußerungsabsicht handelte, ist entgegen der Ansicht des FG nicht widerlegt.

21  aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht der Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht grundsätzlich nicht entgegen, dass die ursprüngliche Vermietungsabsicht aufgegeben und das Objekt aufgrund wichtiger und ungewollter Gründe verkauft wird. Denn die konkreten Anlässe und Beweggründe für den Verkauf —z.B. Ehescheidung, Finanzierungsschwierigkeiten, Krankheit, Gefälligkeit gegenüber Mandanten, ein unerwartet hohes Kaufangebot— sagen im Allgemeinen nichts darüber aus, ob der Steuerpflichtige nicht auch aus anderen Gründen zum Verkauf bereit gewesen wäre und insofern von Anfang an eine zumindest bedingte Veräußerungsabsicht gehabt hatte (vgl. die Nachweise im Senatsurteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541). Nichts anderes gilt für den sich im Streitfall aus der Ankündigung der Zwangsversteigerung durch das FA L ergebenden Druck.

22  bb) Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs (bzw. der Bebauung oder Erschließung) des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt, und nicht einer unwiderleglichen Vermutung, die eine Rechtfertigungsgrundlage im materiellen Recht erfordern würde. Ihre Geltungskraft kann daher im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden.

23  Dafür kommen indes die persönlichen oder finanziellen Beweggründe der Veräußerung nicht in Betracht, da es sich hierbei regelmäßig um nachträgliche Ereignisse handelt, die keinen Hinweis darauf geben können, ob ohne bedingte Veräußerungsabsicht gekauft (bzw. gebaut oder erschlossen) worden ist. Ungeeignet sind grundsätzlich auch Bekundungen des Steuerpflichtigen; dessen Behauptung, er wolle seine Immobilie lange halten, widerlegen die bedingte Veräußerungsabsicht ebenso wenig, wie ein gewerblicher Grundstückshandel durch eine bloße Absichtserklärung begründet werden kann. Die durch das Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze indizierte innere Tatsache der bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs bzw. des Beginns der Bebauung oder der Erschließung kann danach —wie der Senat bereits mit Urteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541 entschieden hat (zustimmend BFH-Beschluss vom 17. August 2011 X B 225/10 , BFH/NV 2011, 2083 )— vornehmlich durch Gestaltungen des Steuerpflichtigen widerlegt werden, die in zeitlicher Nähe zum Erwerb (bzw. zur Bebauung oder Erschließung) stehen und eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen. Dies kann z.B. eine langfristige Finanzierung oder eine langfristige Vermietung bzw. Verpachtung sein, wenn diese sich im Falle einer Veräußerung voraussichtlich ungünstig auswirken oder zusätzliche finanzielle Belastungen auslösen würde (z.B. durch eine Vorfälligkeitsentschädigung bei Darlehensablösung, vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. Januar 2009 X R 35/07 , BFH/NV 2009, 1249 , oder die Inkaufnahme einer durch die Vermietung bedingten Wertminderung), oder die Einräumung von Nießbrauchsrechten, wodurch eine Verfügung über das Grundstück erschwert würde (BFH-Urteil vom 7. November 1990 X R 170/87 , nicht veröffentlicht). Derartige Indizien hat das FG indessen nicht festgestellt.

24  cc) Die Auffassung des FG, die Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs könne durch den Anlass der Veräußerung —hier die Vermeidung der Zwangsversteigerung— widerlegt werden, widerspricht somit der Rechtsprechung des BFH. Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger —was das FG in Betracht gezogen hat— das wirtschaftliche Eigentum an den Grundstücken durch die Sicherungshypotheken verloren hat.

25  2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da die Feststellungen des FG nicht ausreichen, um über die Höhe der Gewerbesteuermessbeträge entscheiden zu können.

Welche Daten speichert die Finanzverwaltung und wie prüfe ich das ?

Bei Anruf Durchblick – die Hotline der rheinland-pfälzischen Finanzämter

Unter dem Namen „ELStAM“ (Elektronische LohnSteuerAbzugsMerkmale) werden alle Daten für die Berechnung der Lohnsteuer, die bislang auf der Lohnsteuerkarte aus Papier zu finden waren, also Steuerklasse, Anzahl der Kinder, Freibeträge etc., elektronisch gespeichert. Für 2013 können diese Daten, die die Arbeitgeber für den monatlichen Lohnsteuerabzug benötigen, nun von dem Arbeitgeber sowie dem Finanzamt, aber auch von den betroffenen Arbeitnehmern elektronisch abgerufen werden.

Wie erfahre ich, welche Angaben über mich gespeichert und ob sie richtig erfasst sind? Was ist bei fehlerhaften Daten oder Änderungen zu tun?
Dies und viele weitere Fragen beantwortet die Info-Hotline der rheinland-pfälzischen Finanzämter am Donnerstag, 6. Dezember 2012 in der Zeit von 8 bis 17 Uhr unter der Rufnummer 0261- 20 179 279.

Wer sicher gehen möchte, dass alle Angaben zur Berechnung der eigenen Lohnsteuer korrekt erfasst sind, kann seine eigenen Daten im Elster-Online-Portal unter www.elsteronline.de/eportal überprüfen.

Aus Sicherheitsgründen ist hierzu eine einmalige, kostenfreie Registrierung mit der steuerlichen Identifikationsnummer erforderlich. Diese Registrierung bietet zudem den Vorteil, dass damit künftig die Abgabe der elektronischen Steuererklärung in vielen Fällen komplett papierlos möglich ist. Weitere Informationen finden Sie unter www.fin-rlp.de/elster.
Aus Datenschutzgründen ist es nicht möglich, die Daten telefonisch abzufragen.