Gewerbesteuermessbetrag: Abgrenzung freiberufliche und gewerbliche Tätigkeit, kein Änderungshindernis nach Treu und Glauben bei Mitwirkungspflichtverletzung

Entscheidungsgründe

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Der Senat ist nicht daran gehindert, in der Sache zu entscheiden. Insbesondere war die Verhandlung nicht im Hinblick auf das noch anhängige Verfahren über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO auszusetzen.

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Gemäß § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Eine Aussetzung der Verhandlung ist in aller Regel geboten, wenn in einem Rechtsstreit über einen Folgebescheid Besteuerungsgrundlagen strittig sind, deren abschließende Prüfung dem Verfahren über einen noch ausstehenden oder noch nicht bestandskräftigen Grundlagenbescheid vorbehalten ist (Gräber/Koch FGO, 5. Aufl., § 74 Rz. 12 m.w.N.). Die Entscheidung über die Aussetzung der Verhandlung gemäß § 74 FGO ist eine vom Finanzgericht zu treffende Ermessensentscheidung, im Rahmen derer prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind (Koch in Gräber, FGO, § 74 Rz 7; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz 16, jeweils m.w.N.). Eine Pflicht zur Aussetzung der Verhandlung besteht nur in Ausnahmefällen (BFH-Urteil vom 08.05.1991 I B 132, 134/90, BStBl II 1991, 641).

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Diesen Grundsätzen folgend war die Verhandlung im Streitfall nicht gemäß § 74 FGO auszusetzen. Die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass ihnen an einer zeitnahen Klärung sowohl der Verfahrensrechtlichen Problematik hinsichtlich der Änderungsbefugnis des Beklagten nach § 173 Abs. 1 Satz 1 FGO als auch hinsichtlich der Einordnung der von der Klägerin erzielten Einkünfte unter die zutreffende Einkunftsart gelegen ist. Ein Antrag auf Aussetzung der Verhandlung hat folgerichtig keiner der Beteiligten gestellt. Vor diesem Hintergrund wäre eine Aussetzung der Verhandlung nur dann geboten, wenn mit einer Entscheidung über den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen alsbald zu rechnen wäre. Gerade das ist nach der im Streitfall gegebenen Tatsachenlage nicht der Fall.

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Der Beklagte hat sich für diesen Antrag nicht zuständig gesehen und ihn an das für die Klägerin nunmehr örtlich zuständige Finanzamt D weitergeleitet. Der Senat hat vor dem Hintergrund, dass § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO i.V.m. 180 Abs.1 Nr. 2 b) AO hinsichtlich der Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung auf die Verhältnisse am Schluss des Gewinnermittlungszeitraums abstellt, Bedenken, dass sich eine Zuständigkeit des Finanzamtes D herleiten lässt. Je nach Entscheidung dieser Finanzbehörde müsste in dem Billigkeitsverfahren u.U. zunächst ein Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg und ggf. ein weiteres Verwaltungsverfahren vor dem Beklagten mit einem sich ggf. anschließendem Klageverfahren vor dem Finanzgericht Köln geführt werden. Es ist nicht ermessensgerecht, den Beteiligten die Klärung der Rechtsfragen des vorliegenden Verfahrens, an der ihnen gelegen ist, über einen unabwägbar langen Zeitraum vorzuenthalten.

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Die Klage ist zulässig.

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Der Klägerin fehlt es insbesondere nicht an der nach § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Klagebefugnis. Soweit sich die Klägerin gegen die Erhöhung des festgestellten Gewinns wendet, liegt das auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

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Aber auch soweit sich die Klägerin gegen die Feststellung gewerblicher Einkünfte statt solcher aus selbständiger Arbeit wendet, ist sie klagebefugt. Denn auch die gesonderte Feststellung einer unzutreffenden Einkommensart stellt eine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs.2 FGO dar (BFH-Urteil vom 24. Januar 1985 IV R 249/82, BFHE 143, 75, BStBl II 1985, 676).

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Die Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Änderungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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Der Beklagte war befugt, den bestandskräftigen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 2005 vom 12. September 2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

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Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen, z.B. Einnahmen, Ausgaben, Forderungen oder Verbindlichkeiten (Tipke/Kruse, AO, § 173 Rz. 2, mit zahlreichen Nachweisen aus der Finanzrechtsprechung). Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie die zuständige Veranlagungsstelle des Finanzamtes im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416; vom 18. Mai 2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225). In der heutigen Zeit der elektronischen Veranlagung entspricht dies der Freigabe des Steuerfalles zur Übersendung an das für die elektronische Steuerberechnung zuständige Rechenzentrum. Bekannt ist der zuständigen Dienststelle dabei der Inhalt der bei ihr geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Mai 2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Neue Tatsache ist im Streitfall nicht die Kenntnis über die Existenz der spanischen Betriebsstätte und auch nicht die Kenntnis, dass die dort erzielten Einkünfte nicht in der Gewinnermittlung erklärt wurden. Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass das für den Beklagten keine neuen Tatsachen darstellen. Denn dieser Lebenssachverhalt war dem Beklagten zumindest aus den jährlichen Bescheinigungen der Steuerberaterin in der Gewinn- und Verlustrechnung des Beklagten bekannt, selbst wenn diese nicht zur Kenntnis genommen worden sein sollten.

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Als neue Tatsache ist jedoch die Kenntnis über die konkrete Höhe der in beiden Betriebsstätten erzielten Einnahmen und über das Fehlen von Aufzeichnungen bzw. Unterlagen aus denen sich eine direkte Zuordnung der insgesamt angefallenen Einnahmen und Ausgaben auf die beiden Betriebsstätten ergibt, anzusehen. Sowohl die genaue Höhe der insgesamt erzielten Einnahmen und Ausgaben als auch die Zuordnung auf die einzelnen Betriebsstätten sind für die Ermittlung der in Deutschland steuerpflichtigen Gewinne und die Berechnung des Progressionsvorbehalts von Bedeutung. Diese steuererhöhenden Tatsachen sind dem Beklagten erst im Verlauf der Betriebsprüfung und damit nach der Freigabe des Feststellungsbescheides vom 12. September 2007 bekannt geworden.

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Damit liegen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

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Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist es dem Beklagten nicht verwehrt, sich auf das Vorliegen dieser nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu berufen. Insbesondere steht der damit eröffneten Änderungsbefugnis des Beklagten nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.

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§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sieht selbst keinerlei diesbezüglichen Einschränkungen vor. Gleichwohl ist es in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs anerkannt, dass eine Änderung der Steuerfestsetzung bzw. gesonderten Feststellung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausscheidet, wenn sie auf Tatsachen beruht, die der Finanzbehörde infolge der Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 88 AO) trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerpflichtigen zunächst unbekannt geblieben sind (BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692 m.w.N.). Trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung bedeutet, dass diese Änderungsschranke nur eingreift, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH- Urteil vom 6. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1200; vom 13.November 1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241). Liegt sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs in der Regel die Verantwortung den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BstBl II 1995, 293). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamtes gegen dessen Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen dessen Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (vgl. FG des Saarlandes vom 3. Dezember 2008 1 K 2374/04, EFG 2009, 731 m.w.N. auf die Rechtsprechung des BFH).

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Der erkennende Senat folgt dieser ganz vorherrschenden Auffassung in der (höchstrichterlichen) Finanzrechtsprechung und kann sich der insbesondere in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stelle bei kumulativen Pflichtverstößen nicht auf ein Überwiegen der Ermittlungspflichtverletzung des Finanzamtes ab, nicht anschließen.

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Die vorgenannten Voraussetzungen, unter denen es dem Finanzamt nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die nachträgliche Kenntnis einer steuererhöhenden Tatsache zu berufen, liegen im Streitfall nicht vor.

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Zwar hat der Beklagte seine Ermittlungspflichten dadurch verletzt, dass er nach Einreichung der Feststellungserklärung keine Ermittlungen über etwaige in Spanien bezogene Einnahmen angestellt hat. Ausreichenden Anlass hierzu hätten die der Gewinn- und Verlustrechnung – nicht zum ersten Mal vorgelegten – Bescheinigungen der Steuerberaterin gegeben. Dieser Pflichtverstoß wird vom Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.

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Er überwiegt jedoch nicht in deutlichem Maße die der Klägerin anzulastenden Mitwirkungspflichtverletzungen.

90

Die Klägerin war verpflichtet, die in Spanien und in Deutschland erzielten Einkünfte zutreffend auf die jeweiligen Betriebsstätten aufzuteilen. Ferner war sie verpflichtet, die hiernach im Inland steuerpflichtigen Einnahmen und Ausgaben zutreffend in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung zu erklären. Hinsichtlich der in Deutschland nicht steuerpflichtigen Einkünfte aus der spanischen Betriebsstätte war die Klägerin verpflichtet, diese in den Zeilen 38 bis 43 Anlage AUS zu erklären, um ihren Mitwirkungspflichten zu genügen. Hierüber werden die Steuerpflichtigen durch folgenden Hinweis in der Anleitung zur Anlage AUS ausdrücklich belehrt:

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„Wenn Einkünfte auf Grund eines DBA im Inland steuerfrei sind, dürfen diese nicht in den Anlagen zur Einkommensteuererklärung enthalten sein (ausgenommen Anlage N). Die Einkünfte unterliegen jedoch regelmäßig dem Progressionsvorbehalt, d.h. die Einkünfte werden in die Bemessung des Steuersatzes einbezogen, der auf das zu versteuernde Einkommen anzuwenden ist. Geben Sie – getrennt nach Staaten – die Höhe dieser Einkünfte, die Einkommensquelle und die Einkunftsart an. (…)“.

92

Aufgrund ihrer Mitwirkungspflichtverletzungen hat die Klägerin bei der Abgabe der Feststellungserklärung für das Streitjahr 2005 dem Beklagten den steuerlich relevanten Sachverhalt nicht in Übereinstimmung mit den von dem Erklärungsvordruck geforderten Angaben (§ 150 Abs. 1 Satz 1 AO) vollständig und deutlich zur rechtlichen Prüfung unterbreitet. Dieser Erklärungsverstoß wieg insoweit schwer, als die Feststellungserklärung selbst – und nicht die der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügte Bescheinigung der Steuerberaterin – die Grundlage für die Veranlagung der Klägerin bildete. Insoweit ist bereits seit langer Zeit in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt, dass die Finanzbehörde einer ihrem Wortlaut nach eindeutigen Steuererklärung nicht mit Misstrauen begegnen muss, sondern regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit einer solchen Erklärung vertrauen darf (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569, 572; vom 5. Dezember 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; so auch Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 65, m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn die Erklärung – anders als im Streitfall – ohne Mitwirkung einer fachkundigen Person erstellt worden ist und wenn sie u.a. die Beurteilung von Rechtsfragen zum Gegenstand hat (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BFHE 206, 303, BStBl II 2004, 911). Auch in einem solchen Fall muss die Behörde deshalb im Allgemeinen nur dann in weitere Ermittlungen eintreten, wenn sich aus der Erklärung Unklarheiten oder Zweifel ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März .2007 I B 16/06, nv. Juris-Dokument).

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Im Streitfall ergaben sich aus der Erklärung selbst keine Zweifel hinsichtlich weiterer in Spanien erzielter Einkünfte. Dass sich solche – wie in den Vorjahren – aus dem der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügten Hinweis der Steuerberaterin ergeben haben, reicht insoweit nicht aus. Denn ohne die Abgabe einer Anlage AUS kann ein solcher, lediglich der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügter Hinweis bei der laufenden Steuerveranlagung schnell übersehen oder aber seinem rechtlichen Gehalt nach falsch gedeutet werden. Die im Steuererklärungsvordruck selbst abgefragten Angaben könnte das Finanzamt demgegenüber nur durch bewusstes Wegschauen übersehen. Insoweit entspricht es gerade dem Zweck der amtlichen Erklärungsvordrucke, die Finanzverwaltung explizit auf die dort anzugebenden Besteuerungsgrundlagen hinzuweisen. Wenn das Finanzamt es unterlässt, den Mangel einer vollständig ausgefüllten Steuererklärung dadurch zu beheben, dass es sich die steuerlich relevanten Tatsachen aus den mit der Steuererklärung eingereichten Anlagen selbst heraussucht, wiegt dieser Ermittlungsfehler jedenfalls nicht schwerer als die unvollständig ausgefüllte Steuererklärung, an sich.

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Der Beklagte hat die der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen Einkünfte auch zutreffend als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert.

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Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist; ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs ist nach der Rechtsprechung des BFH ferner, dass die Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465, m.w.N.). Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehört nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.

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Ergänzend hierzu bestimmt § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, dass die mit Einkünfteerzielungs-absicht unternommene Tätigkeit einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Personengesellschaft in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bezieht.

97

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat die Klägerin in den Streitjahren einen Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG, § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG unterhalten.

98

Zwar übte die Klägerin vom Grundsatz her die Tätigkeit eines sog. freien Berufes i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus, denn sowohl der Beruf des Dolmetschers als auch der Beruf des Ingenieurs wird ausdrücklich im Katalog dieser Vorschrift erwähnt. Insoweit bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Geprägerechtsprechung des Bundesfinanzhofs, auf die sich die Klägerin in Abgrenzung zu der in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG normierten Abfärbewirkung stützt.

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Diese Geprägerechtsprechung besagt, dass die Umqualifizierung freiberuflicher Einkünfte in gewerbliche Gewinne nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG („Abfärbetheorie“) nur dann in Betracht kommt, wenn die Tätigkeit nicht als einheitlich zu betrachtende Gesamtbetätigung anzusehen ist. Übt ein Steuerpflichtiger sowohl eine freiberufliche als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so sind diese getrennt zu betrachten, sofern dies nach der Verkehrsauffassung möglich ist. Das gilt auch dann, wenn sachliche und wirtschaftliche Bezugspunkte zwischen den verschiedenen Tätigkeiten bestehen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 102/90, BStBl II 1992, 413, m.w.N.). Sind allerdings bei einer Tätigkeit beide Tätigkeitsarten derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingen, so liegt eine einheitliche Tätigkeit vor, die steuerlich danach zu qualifizieren ist, ob das freiberufliche oder das gewerbliche Element vorherrscht (BFH, a.a.O.). Infolge dessen muss eine gemischte Tätigkeit, unabhängig von der „Abfärbetheorie“, danach qualifiziert werden, welche Tätigkeit der Gesamtbetätigung das Gepräge gibt (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1997 IV R 60/95, BStBl II 1997, 567; vom 1. Februar 1979 IV R 113/76, BStBl II 1979, 574).

100

Diese Rechtsprechung ist von Bedeutung, wenn ein Steuerpflichtiger sowohl eine – originär – freiberufliche als auch eine – originär – gewerbliche Tätigkeit ausübt (im BFH-Verfahren IV R 60/95 war dies die Tätigkeit als beratender Ingenieur (freiberuflich) unter gleichzeitigem Verkauf von Computerhardware (gewerblich)). In einem solchen Fall ist (zunächst) zu ermitteln, ob und ggf. welche der ausgeübten Tätigkeiten dem Betrieb das Gepräge gibt.

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Ein solcher Sachverhalt ist im Streitfall nicht verwirklicht. Die Klägerin hat keine gemischten Tätigkeiten im Sinne der Geprägerechtsprechung ausgeübt. Denn die von ihr gefertigten Übersetzungen unterfallen allesamt dem Katalogberuf des Dolmetschers. Das wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt.

102

Gleichwohl liegen im Streitfall Einkünfte aus Gewerbebetrieb vor. Denn allein die Ausübung eines Katalogberufes reicht zur Bejahung freiberuflicher Einkünfte nicht aus. Auch bei der Ausübung eines Katalogberufs erfordert der Charakter der selbständigen Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG, dass die Tätigkeit durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen geprägt ist (ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 85/93, BStBl. II 1995, 732, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Fehlt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen der „Stempel seiner Persönlichkeit“, so ist sie – auch im Bereich der Katalogberufe – keine freiberufliche (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 XI R 8/00, DStRE 2001, 577, 578). Eine aufgrund eigener Fachkenntnisse eigenverantwortlich ausgeübte Tätigkeit liegt nur vor, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, nach außen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des einzelnen Auftrags zu tragen. Die Ausführung jedes einzelnen Auftrags muss vielmehr dem Steuerpflichtigen selbst und nicht dem qualifizierten Mitarbeiter zuzurechnen sein. Es genügt daher nicht eine gelegentliche fachliche Überprüfung der Mitarbeiter (vgl. z.B.: BFH-Urteil vom 1. Februar 1990 IV R 140/88, BStBl. II 1990, 507 ff., 508, 509 m.w.N.).

103

Bei dieser Prüfung stehen die Tatbestandsmerkmale „leitend“ und „eigenverantwortlich“ selbständig nebeneinander. Auch eine besonders intensive leitende Tätigkeit, zu der u.a. die Organisation des Sach- und Personalbereichs, Arbeitsplanung, Arbeitsverteilung, Aufsicht über Mitarbeiter und deren Anleitung und die stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse gehören, vermag daher die eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zu ersetzen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 XI R 8/00 a.a.O. m.w.N.). Das ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Danach ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann noch freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient: Voraussetzung ist jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist.

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Im Bezug auf Übersetzungsbüros hat der Bundesfinanzhof die vorstehenden Grundsätze dahingehend konkretisiert, dass der individuelle, über die Leitungsfunktion hinausgehende Einsatz eines Steuerpflichtigen, der die wichtigste Sprache seines Übersetzungsbüros beherrscht, den gesamten Bereich der betrieblichen Tätigkeit umfassen muss, wenn die Voraussetzungen für ein freiberufliches Unternehmen gegeben sein sollen (BFH-Beschluss vom 10. August 1993 IV B 1/92, BFH/NV 1994, 168; Urteil vom 5. Dezember 1968 IV R 125/66, BStBl. II 1969, 165; Urteil vom 2. Dezember 1980 VIII R 32/75, BStBl. II 1981, 170 ff.; Urteil vom 11. September 1968 I R 173/66, BStBl. II 1968, 820 ff.; ebenso: BFH-Beschluss vom 12.6.1996 IV B 121/95, BFH/NV 1997, 25).

105

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Es ist der Klägerin nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Ausführung jedes einzelnen Übersetzungsauftrags durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung ihrer Gesellschafter und deren Fachkenntnissen geprägt war. Die Klägerin hat in nicht unerheblichen Umfang in den Streitjahren Übersetzungen in Türkisch, Arabisch, Schwedisch, Slowenisch, Polnisch, Italienisch, Dänisch, Niederländisch, Russisch, Portugiesisch, Bulgarisch und etliche weitere Sprachen gefertigt. Dies konnte sie nur unter Zuhilfenahme von Fremdübersetzern, wobei ihr eine inhaltliche Kontrolle der übersetzten Texte wegen der insoweit fehlenden Sprachkenntnisse nicht möglich war. In Bezug auf diese Fremdübersetzungen konnten die Gesellschafter der Klägerin nicht – wie es das Gesetz fordert – auf Grund eigener Fachkenntnisse, sondern nur im Vertrauen auf die Richtigkeit der von den Übersetzern geleisteten Vorarbeiten leitend und eigenverantwortlich tätig werden. Hierin unterscheidet sich der Sachverhalt von dem Beispielsfall des Zahnarztes, auf den sich die Klägerin beruft. Anders als der Zahnarzt, der einen einzusetzenden Zahnersatz zwar nicht selbst herstellt, wohl aber auf dessen Verwendungsfähigkeit hin prüfen kann, mussten die Gesellschafter der Klägerin auf die Fehlerfreiheit der Übersetzungsleistungen vertrauen.

106

Daran ändert auch der Umstand, dass die Klägerin für die Erstellung der Handbücher, etc., ein Translation-Memory-System einsetzte, nichts. Denn mit Hilfe dieses TMS hätte ein neuer Übersetzungsauftrag in einer nicht beherrschten Sprach allenfalls dann ohne Beauftragung eines weiteren Fremdübersetzers ausgeführt werden können, wenn eine hundertprozentige Übereinstimmung zwischen dem Ausgangstext und den im TMS gespeicherten Segmenten bestanden hätte. Ausweislich der Ausgangsrechnungen der Klägerin war das nur äußerst selten der Fall. In den Ausgangsrechnungen lassen sich nur sehr vereinzelt sog. 100%-Matches finden. Der weit überwiegende Teil besteht aus Matches unter 75%, die nach den Angaben der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung von Fremdübersetzern bearbeitet werden mussten. Aber selbst wenn ein komplettes Handbuch in einer nicht von den Gesellschaftern der Klägerin beherrschten Sprache aus dem TMS heraus hätte erstellt werden können, wäre ein solches nicht durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung der Klägerin geprägt gewesen, weil es bereits den im TMS gespeicherten Texten an dieser Eigenschaft mangelte.

107

Damit waren die Übersetzungsleistungen in Sprachen, die die Gesellschafter der Klägerin nicht beherrschten, nicht durch die persönliche, auf eigener Fachkenntnis beruhende individuelle Arbeitsleistung der Gesellschafter der Klägerin geprägt, auch wenn das für den Rest der Arbeiten, die erst zu dem fertigen Übersetzungsprodukt (Handbuch) führten, zu bejahen ist.

108

Auch der Umstand, dass die Klägerin die Texte ihrer Kunden nicht lediglich in ihrer Urform übersetzte, sondern auf Verständlichkeit und technische Richtigkeit hin überprüfte und ordnete, ggf. die Übersetzungsreife erst herstellte und das in Auftrag gegebene Handbuch layoutete und so ein Gesamtprodukt herstellte, das über eine reine Übersetzung hinausging, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts.

109

Denn auch wenn diese Leistungen für die Kunden der Klägerin von großer Bedeutung waren, bestand ein ganz wesentlicher Teil ihrer Aufgaben in der Übersetzung der von den Kunden gelieferten Texte. Insofern konnte die Klägerin den Senat nicht davon überzeugen, dass ihre Tätigkeit eigentlich der eines technischen Redakteurs entsprach. Sicherlich spielten die technisch redaktionellen Leistungen der Klägerin für den Kunden eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass dieser Teil den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin ausmachte, gegenüber dem die Übersetzungsarbeiten in den Hintergrund getreten wären. Dagegen sprechen insbesondere Abrechnungen mit den Kunden, in denen die Klägerin nur die Übersetzungsleistungen als solche fakturiert hat. Die technisch redaktionellen Tätigkeiten werden in den Rechnungen lediglich als Serviceleistungen aufgeführt, für die ein gesondertes Entgelt nicht in Rechnung gestellt wird.

110

Da die Klägerin in Bezug auf die Übersetzungsleistungen in nicht von ihren Gesellschaftern beherrschten Sprachen teilweise gewerblich tätig war, gilt ihre gesamte Betätigung nach der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als Gewerbebetrieb.

111

Wie der Bundesfinanzhof bereits mehrfach entschieden hat, führt diese Abfärbung nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmen, denn der Eintritt der Abfärbewirkung kann durch Ausgliederung der gewerblichen Tätigkeit auf eine personenidentische zweite Gesellschaft vermieden werden. Die unterschiedliche Behandlung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist zudem sachlich gerechtfertigt. Das Steuerrecht folgt insoweit den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, die auf der Vorstellung beruhen, dass Personengesellschaften nur eine einheitliche Tätigkeit ausüben können und dass diese insgesamt als kaufmännisch anzusehen ist, wenn diese Voraussetzungen auch nur partiell erfüllt sind. Nur bei einem sehr geringen Anteil der gewerblichen Tätigkeit greift die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht ein (BFH, Urteil vom 29. November 2001 IV R 91/99, BStBl II 2002, 221 ff., 224, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit im Beschluss vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04 festgestellt (BVerfGE 120, 1 ff.).

112

In der oben genannten Entscheidung hat der Bundesfinanzhof eine gewerbliche Teilbetätigung, die lediglich 1,25 v.H. der Gesamtumsätze betrug und deren Einnahmen deutlich unter der Gewerbesteuerfreibetragsgrenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG lag, als unerheblich angesehen. Ein gewerblicher Anteil von mehr als 6% wurde vom Bundesfinanzhof schon als schädlich eingestuft (BFH-Urteil vom 29. November 2001 IV R 91/99, a.a.O.; vom 10: August 1994 I R 133/93; BStBl II 1995, 171). Im Streitfall ist diese „Bagatellgrenze“ angesichts der umfangreichen Fremdübersetzungen in nicht von den Gesellschaftern der Klägerin beherrschten Sprachen überschritten. Denn auch nach den Berechnungen der Klägerin machten diese 15 bis 26% des Gesamtumsatzes aus und lagen damit deutlich über der Gewerbesteuerfreibetragsgrenze von 24.500 € in den Streitjahren.

113

Die Heranziehung der Klägerin zur Gewerbesteuer verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass zu dieser Steuer nur Gewerbetreibende herangezogen werden und nicht auch Freiberufler und sonstige selbstständige, die die Infrastruktur der Kommune in gleicher Weise oder sogar mehr beanspruchen wie beispielsweise die Klägerin.

114

Auch insoweit hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04 (a.a.O.) die Verfassungsmäßigkeit bejaht.

115

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin war das Recht (und die Verpflichtung) des Beklagten, Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen im Streitfall auch nicht verwirkt.

116

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist Ausfluss des auch im Steuerschuldrechtsverhältnis geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben.

117

Dieser Grundsatz gebietet u.a. für Steuergläubiger und Steuerpflichtigen gleichermaßen, auf die Belange des anderen Teils Rücksicht zu nehmen und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise in Widerspruch zu setzen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BStBl II 1993, 174 m.w.N.). Dabei ist es anerkanntes Recht, dass das Finanzamt auch außerhalb einer verbindlichen Zusage (§§ 204 ff. AO) oder einer verbindlichen Auskunft nach Treu und Glauben an eine Zusicherung, eine zweifelhafte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne zu beurteilen, gebunden sein kann und hieraus verpflichtet ist, bei einer späteren Veranlagung der Zusicherung gemäß zu handeln (vgl. BFH-Urteile vom 18. November 1958 I 176/57 U, BStBl III 1959, 52; vom 15.12.1966 V 181/63, BStBl III 1967, 212; vom 13.01.1970 I R 122/67, BStBl II 1970 352).

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Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin reicht hierzu jedoch eine fehlerhafte Einkünftequalifizierung – auch über mehrere Jahre hinweg – nicht aus. Denn aus einer fortgesetzten fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht schließen, dass die Finanzbehörde das Recht auch dann noch zu Gunsten des Steuerpflichtigen fehlerhaft anwenden und von einer möglichen Korrektur der Bescheide absehen will, wenn es die Fehlerhaftigkeit erkannt hat. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu einer ausdrücklichen oder konkludenten Zusicherung, der ein solcher Bindungswille immanent ist.

119

Auch der Umstand, dass die Klägerin im Vertrauen auf die bisherige Rechtsanwendung insoweit Dispositionen getroffen hat, als sie den „gewerbesteuerschädlichen“ Teil ihrer Betätigung nicht auslagerte, führt nicht dazu, dass sich die Korrektur der Bescheide als treuwidrig erweist. Denn die Disposition des Steuerpflichtigen ist kein rechtfertigendes Kriterium, das Verhalten der Finanzbehörde wie eine Zusicherung zu behandeln. Die Disposition des Steuerpflichtigen stellt, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen, eine eigenständige Voraussetzung dar, ohne die sich der Steuerpflichtige auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht berufen kann (vgl. zur Disposition des Steuerpflichtigen auch BFH-Urteil vom 23.05.1989 X R 17/85, BStBl II 1989, 879 m.w.N.).

120

Ein in diesem Sinne rechtsmissbräuchliches Verhalten ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen. Denn der Beklagte hat keinen über die fehlerhafte Einkünftequalifizierung hinausgehenden Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den die Klägerin ein Vertrauen in das Fortbestehen der fehlerhaften Besteuerung stützen könnte.

121

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine im Widerspruch zum geltenden Recht stehende Bindung gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstößt, weil die Bevorzugung eines Steuerpflichtigen für alle anderen Personen, die dem Gesetz entsprechend behandelt werden, eine Benachteiligung bedeutet (vgl. BFH-Urteil vom 26.10.1962 VI 215/61 U, BStBl 1963 III S. 86), und der Steuerpflichtige bei einer fehlerhaft zu niedrigen Besteuerung oft jahrelang wettbewerbsmäßig gegenüber anderen Unternehmern, die bei gleichen Verhältnissen dem Gesetz entsprechend zur Steuer herangezogen worden sind, im Vorteil war (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 16.07.1964 V 92/61 S, BStBl III 1964, 634).

122

Ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn im Streitfall der Veranlagungsbezirk und die Betriebsprüfungsstelle des Beklagten, wie die Klägerin dies vermutet, tatsächlich eine Außenprüfung mit dem Ziel „verschleppt“ hätte, die Klägerin von einer Umstrukturierung ihres Betriebes abzuhalten, um auf diese Weise im Nachhinein Steuern festzusetzen, die die Klägerin bei einer Umstrukturierung zumindest teilweise hätte vermeiden können, kann dahinstehen. Denn dieser von der Klägerin vermutete Sachverhalt lässt sich nicht anhand ausreichender objektivierter Kriterien verifizieren und damit vom Gericht nicht feststellen.

123

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

124

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Kriterien, unter denen der Änderung eines Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht und die Kriterien, unter denen die Ausübung eines Katalogberufs i.S.d. § 18 EStG ausnahmsweise als Gewerbebetrieb anzusehen ist, in der Rechtsprechung geklärt sind, so dass im Streitfall ein Sachverhalt unter feststehende Rechtsätze zu subsumieren war.

Einkommensteuer: Verlustfeststellung für Berufsausbildungskosten eines Piloten

Finanzgericht Köln, 14 K 3720/12

Datum:
17.07.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 3720/12
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, VI R 52/13
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Die Beteiligten streiten über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2008.

3Der Kläger ist von Beruf Pilot und erzielt als solcher Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

4Im Streitjahr (2008) befand sich der Kläger in der Schulung bei der A Training GmbH zum Verkehrsflugzeugführer, die er am 00. Juni 2007 begonnen hatte.

5Am 15. April 2009 ging beim Finanzamt B die erste und selbst erstellte Einkommensteuererklärung des Klägers für das Jahr 2008 ein, in der er lediglich Einkünfte aus Kapitalvermögen erklärte. Des Weiteren teilte der Kläger mit, dass er noch Schüler sei und Einkünfte aus einem Sparbuch erziele.

6Mit Einkommensteuerbescheid vom 30. April 2009 veranlagte das Finanzamt B den Kläger zur Einkommensteuer und setzte diese mit 0 € fest.

7Am 19. August 2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Änderung des Bescheides über Einkommensteuer nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beim Finanzamt B, welchen dieses als verspäteten Einspruch auslegte.

8Am 28. Oktober 2009 nahm der Kläger den Antrag zurück und beantragte gleichzeitig beim Finanzamt B die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer 2008.

9Mit Bescheid vom 30. Oktober 2009 lehnte das Finanzamt B den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, dass die geltend gemachten Kosten nicht als vorab entstandene Werbungskosten anerkannt werden könnten, da kein hinreichender konkreter, objektiv feststellbarer Zusammenhang mit künftig steuerbaren Einnahmen aus einer angestrebten beruflichen Tätigkeit bestehe.

10Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass nach seiner Auffassung ein Ausbildungsverhältnis vorliege. Weiterhin nahm er Bezug auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) zu diesem Zeitpunkt anhängige Verfahren VI R 8/09 (mittlerweile entschieden durch Urteil vom 28. Juli 2011 BFH/NV 2011, 2038) und beantragte Ruhen des Verfahrens. Hilfsweise beantragte er den Verlust aus den vorab entstandenen Werbungskosten vorläufig festzustellen, bis ersichtlich sei, dass entsprechende Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit entstünden.

11Am 29. September 2011 stellte der nunmehr steuerlich beratene Kläger beim mittlerweile zuständig gewordenen Beklagten u.a. einen Antrag auf Feststellung des vortragsfähigen Verlustes auf den 31. Dezember 2008. Als Anlagen fügte er u.a. die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 bei. Für 2008 erklärte der Kläger darin Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 46.198 €. Der Betrag ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

12Mit Bescheid vom 9. Januar 2012 für das Jahr 2008 setzte der Beklagte daraufhin die Einkommensteuer mit 0 € fest. Die als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen berücksichtigte er lediglich als beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben in Höhe von 4.000 € für das Jahr 2008. Zur Begründung führte er aus, dass mit dem Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie, sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BeitrRLUmsG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) nunmehr durch §§ 4 Abs. 9, 9 Abs. 6 und 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (EStG) geregelt werde, dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung/ ein Erststudium oder vorangegangene Berufsausbildung keine Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben darstellten. Diese Regelung sei ab dem Veranlagungszeitraum 2004 anzuwenden (§§ 52 Abs. 12, 23d und 30a EStG) und damit bei der Bearbeitung anhängiger Verfahren.

13Gegen den Bescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung verwies er auf die fehlende Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Ergänzend trug er vor, dem Beklagten sei ein Antrag auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages per 31. Dezember 2008 übersandt worden. Er habe daraufhin einen Einkommensteuerbescheid erlassen, obwohl keine Einkommensteuerveranlagung beantragt worden sei. Er könne diesen Bescheid als Ablehnung der Verlustfeststellung per 31. Dezember 2008 werten und bitte den Einspruch entsprechend umzudeuten. Alternativ bat er um Erlass eines Bescheides zum Antrag auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages per 31. Dezember 2008, danach könne er den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurücknehmen. Für 2008 sei durch das Finanzamt B ein sog. Nullbescheid ergangen, dieser hindere nicht dem Antrag auf Feststellung des vortragsfähigen Verlustes zum 31. Dezember 2008 stattzugeben.

14Mit Einspruchsentscheidung vom 14. November 2012 wies der Beklagte den Einspruch gegen Einkommensteuer 2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass er (der Beklagte) in Unkenntnis des bereits erlassenen Einkommensteuerbescheides 2008 vom 30. April 2009 durch das Finanzamt B am 9. Januar 2012 einen weiteren Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 über 0 € Einkommensteuer erlassen habe. Letzterer Verwaltungsakt sei nichtig, da er an einen besonders schwerwiegenden Fehler leide und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig sei (§ 125 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–). Ein besonders schwerwiegender Fehler liege insbesondere vor, wenn aus der maßgeblichen Sicht des Adressaten die inhaltliche Bestimmtheit im Sinne des § 119 Abs. 1 AO fehle. Dies sei dann der Fall, wenn ein Verwaltungsakt von einem Steuerpflichtigen zum zweiten Mal (als zweiter, nicht lediglich wiederholender Verwaltungsakt) verlange, was bereits schon ein anderer Verwaltungsakt angeordnet habe. Ein nichtiger Verwaltungsakt entfalte keinerlei Wirkung. Es sei nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam. Der am 16. Januar 2012 eingelegte Einspruch gehe daher ins Leere.

15Mit Schreiben vom 14. November 2012 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass sein Einspruch hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d EStG für das Jahr 2008 ruhe.

16Der Kläger teilte daraufhin mit, dass er mit einer Ruhendstellung des Einspruchs betreffend die Ablehnung der Verlustfeststellung für das Jahr 2008 nicht einverstanden sei und bat um Erlass klagefähiger Entscheidungen.

17Am 10. Dezember 2012 legte der Kläger Untätigkeitsklage ein. Zur Begründung führte er aus, er sei Verkehrsflugzeugführer und habe im Jahr 2008 die geltend gemachten Aufwendungen zur Berufsausbildung gehabt. Diese seien im Rahmen des gesonderten Verlustfeststellungsabzuges zur Einkommensteuer geltend gemacht worden. Dieser Antrag sei abgelehnt worden. Hiergegen sei frist- und formgerecht am 27. November 2009 Einspruch eingelegt worden, über welchen bis zum heutigen Tage nach über drei Jahren nicht entschieden worden sei. Aufgrund dessen werde Untätigkeitsklage erhoben. Im November sei ihm mitgeteilt worden, dass nunmehr ein weiteres Ruhen des Verfahrens bestünde. Das Fortsetzungsbegehren sei ausdrücklich geäußert worden. Es sei um eine klagefähige Entscheidung gebeten worden. Eine Zwangsruhe sei nicht gegeben. Die Voraussetzungen hierfür lägen nicht vor. Soweit sich der Beklagte darauf berufe, dass eine Zwangsruhe bestehe, werde auf § 363 Abs. 2 Satz 4 AO verwiesen. Die geltend gemachten Kosten seien der Höhe nach unstreitig. Es handele sich um eine reine Rechtsfrage.

18Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2013 wies der Beklagte u.a. den Einspruch gegen die „Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG“ als unbegründet zurück. Das ruhende Einspruchsverfahren sei nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO fortzusetzen, da der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten dies beantragt habe. Die gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO vorzunehmende Überprüfung der angefochtenen Verwaltungsakte habe unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Argumente zu folgendem Ergebnis geführt: Die erlassenen Veraltungsakte entsprächen den gesetzlichen Vorgaben und seien nicht zu beanstanden. Mit dem BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 werde durch die §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 EStG geregelt, dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung (hier die Ausbildung zum Piloten) keine vorweggenommenen Werbungskosten darstellten. Die geltend gemachten Aufwendungen seien daher zutreffend nicht als Werbungskosten, sondern als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen. Aus den gleichen Gründen sei die Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden „Verlustabzugs“ gemäß § 10d EStG für 2008 zutreffend.

19Der Kläger beantragt,

20unter Aufhebung des Bescheides über die Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG für 2008 vom 30. Oktober 2009 und der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2013 den Beklagten zu verpflichten den vortragsfähigen Verlust auf den 31. Dezember 2008 mit 46.198 € festzustellen;

21hilfsweise,

22die Revision zuzulassen.

23Der Beklagte beantragt,

24die Klage abzuweisen.

25Auf die Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2013 hinsichtlich der Einkommensteuer 2007 und 2009 sowie zur Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG für 2008 werde vollinhaltlich Bezug genommen.

26Entscheidungsgründe

27I. Die Klage ist zulässig.

28Wird bei einer nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhobenen Untätigkeitsklage während des Klageverfahrens der Einspruch zurückgewiesen, so wird das Klageverfahren fortgesetzt, ohne dass eine erneute Klage erforderlich oder zulässig wäre (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1988 III B 184/86, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107, m.w.N.).

29II. Die Klage ist jedoch unbegründet.

30Der Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d EStG auf den 31. Dezember 2008 vom 30. Oktober 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

311. Nach §§ 9 Abs. 6 i.V.m. 12 Nr. 5 EStG dürfen Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für sein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, nicht als Werbungskosten abgezogen werden, soweit diese nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Die Regelungen gelten rückwirkend für Veranlagungszeiträume ab 2004, § 52 Abs. 23d Satz 5 und Abs. 30a EStG. Die gesetzlichen Neuregelungen in § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 und ihre Anwendung nach § 52 Abs. 23d Satz 5 und Abs. 30a EStG lassen keinen Verstoß gegen die Verfassung erkennen.

32Sie verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot. Da durch die Neuregelungen in abgeschlossene Veranlagungszeiträume eingegriffen wird, handelt es sich um eine echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Diese ist jedoch im Streitfall zulässig, da der Kläger für sich kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen kann (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung2009, 187). Der Gesetzgeber hat mit den Neuregelungen die Rechtslage für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Abzugsfähigkeit von Berufsausbildungskosten der allgemeinen Rechtsanwendungspraxis entsprach (vgl. BFH-Urteile vom 04. Dezember 2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407; vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884). Zwar ersetzen und ergänzen die Neuregelungen die Vorgängervorschrift des § 12 Nr. 5 EStG a.F. (Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21. Juli 2004, BGBl I 2004, 1753), da der BFH diese in seinen Urteilen vom 28. Juli 2011 wegen gesetzessystematischer Mängel im Ergebnis nicht angewandt hatte (VI R 5/10, BFHE 234, 262, BStBl II 2012, 553; in BFH/NV 2011, 2038; VI R 38/10, BFHE 234, 729, BStBl II 2012, 561; VI R 59/09, BFH/NV 2012, 19; VI R 7/10, BFHE 234, 271, BStBl II 2012, 557). Vertrauensschutz konnte der Kläger jedoch auch nicht auf der Grundlage des Abzugsverbots des § 12 Nr. 5 EStG a.F. für sich beanspruchen. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf in seinem Urteil vom 14. Dezember 2011 (14 K 4407/10 F, EFG 2012, 686, nicht rechtskräftig –nrkr.– Rev. VI R 2/12), des FG Münster in seinem Urteil vom 20. Dezember 2011 (5 K 3975/09 F, EFG 2012, 612, nrkr. Rev. VI R 8/12) sowie den Ausführungen des 15. Senats des FG Köln in seinem Urteil vom 22. Mai 20112 (15 K 3413, EFG 2012, 1735, nrkr. Rev. VI R 38/12) an.

332. Darüber hinaus erkennt der Senat in den Neuregelungen keinen Verstoß gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes abgeleitete Leistungsfähigkeits- und daraus entwickelte objektive Nettoprinzip. Die Differenzierung zwischen erstmaligen Berufsausbildungskosten und Kosten eines Erststudiums, welches eine erstmalige Berufsqualifikation vermittelt, liegt als zulässige Typisierung im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessensspielraums. Generalisierend ordnet der Gesetzgeber diese Kosten vorrangig der individuellen Bereicherung des Steuerpflichtigen durch die Erlangung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne einer allgemeinen Ausbildung zu, der noch keine konkreten Einnahmen gegenüber stehen. Auch insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des FG Düsseldorf und des FG Münster sowie des FG Köln an (s. nrkr. FG-Urteile in EFG 2012, 686; in EFG 2012, 612, und in EFG 2012, 1735; ausdrücklich offen gelassen in BFH-Urteilen in BFHE 234, 262, BStBl II 2012, 553; in BFH/NV 2011, 2038; in BFHE 234, 729, BStBl II 2012, 561; in BFH/NV 2012, 19; in BFHE 234, 271, BStBl II 2012, 557).

34Die Ausbildungskosten des Klägers sind demnach gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG a.F., § 52 Abs. 24a Satz 3 EStG im Rahmen des Höchstbetrages von 4.000 € als Sonderausgaben abzugsfähig, was sich im Rahmen der Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 EStG indes nicht auswirkt.

35III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO

36IV. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Körperschaftsteuer: Versagung des erhöhten AfA-Satzes für eine ausländische Kapitalgesellschaft verstößt gegen unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit

Finanzgericht Köln, 10 K 2408/10

Datum:
10.07.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2408/10
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, I R 58/13
Tenor:

Der angefochtene Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2004 vom 31.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung wird dahingehend geändert, dass der verbleibende Verlustabzug auf 1.856.368 € festgestellt wird.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Die Beteiligten streiten über die Höhe des anzusetzenden AfA-Satzes hinsichtlich der von der Klägerin vermieteten Objekte.

3Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft luxemburgischen Rechts, welche im Inland weder eine Zweigniederlassung noch eine Betriebsstätte hat.

4Im Mai 2004 erwarb sie mehrere Immobilien in Deutschland, deren Kaufpreis sowie die damit verbundenen Kosten zwischen Beteiligten unstreitig sind. Wegen der Berechnungsgrundlagen wird insbesondere auf die Blätter 172 und 173 der Gerichtsakten Bezug genommen. Sämtliche Immobilien sind an ein Unternehmen aus dem A-Konzern vermietet. Sie dienen nicht zu Wohnzwecken. Die Bauanträge wurden ab 1986 gestellt.

5Der Beklagte ging bei der Verlustfeststellung zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2004 auf Basis von § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Einkommensteuergesetz von einem anzuwendenden AfA-Satz i.H.v. 2 % jährlich aus.

6Die Klägerin begehrte den Ansatz eines AfA-Satzes i.H.v. 3 % nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG.

7Den diesbezüglichen Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 23.06.2010 als unbegründet zurück, indem er auf den Gesetzeswortlaut verwies.

8Hiergegen richtet sich die Klage vom 28.07.2010.

9Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass die einschlägigen Vorschriften europarechtswidrig seien.

10Aufgrund der Qualifikation sämtlicher Einkünfte einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 8 Abs. 2 KStG würden Immobilien von inländischen Kapitalgesellschaften immer dem Betriebsvermögen zugeordnet. Entsprechend käme diesen Kapitalgesellschaften der erhöhte AfA-Satz nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG zugute.

11Ausländische Kapitalgesellschaften ohne Betriebsstätte oder Zweigniederlassung in Deutschland würden im Streitjahr 2004 hinsichtlich ihrer im Inland belegenen Immobilien lediglich von § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG erfasst. § 49 Abs. 2 EStG normiere die sogenannte isolierende Betrachtungsweise, wonach im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale außer Betracht zu bleiben hätten. Daraus folge, dass die Vermietungseinkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft im Inland lediglich als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und nicht als gewerbliche Einkünfte betrachtet würden. In der Folge käme nur der AfA-Satz i.H.v. 2 % nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zur Anwendung.

12Diese unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen Kapitalgesellschaften verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Eine Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich. Hinsichtlich der anzusetzenden AfA handele es sich um objektbezogene Steuernormen. Insoweit dürften bei im Inland belegenen Immobilien keine Differenzierungen hinsichtlich des Sitzes der Eigentümer gemacht werden.

13Im Übrigen hätte der Gesetzgeber unterdessen § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Einkommensteuergesetz eingeführt. Dies zeige, dass der Gesetzgeber selbst die Rechtswidrigkeit der unterschiedlichen Behandlung erkannt habe.

14Die Klägerin beantragt,

15den angefochtenen Verlustfeststellungsbescheid zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2004 vom 31.03.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass weiterer Aufwand i.H.v. 177.173 € Verlust erhöhend berücksichtigt wird.

16Der Beklagte beantragt,

17die Klage abzuweisen.

18Er weist darauf hin, dass aufgrund der isolierenden Betrachtung bei der Klägerin von Vermietungseinkünften auszugehen sei. Durch die isolierende Betrachtungsweise werde gewährleistet, dass sich die Steuerbarkeit ausschließlich auf Einkunftsquellen mit inländischem Anknüpfungspunkt beziehe.

19Im Übrigen sei kein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gegeben, da in- und ausländische Kapitalgesellschaften insoweit nicht vergleichbar seien. Für die Annahme der Gewerblichkeit von Einkünften sei es notwendig, dass gewerbliche Aktivitäten im Inland auch entfaltet würden. Werde eine ausländische Kapitalgesellschaft im Inland lediglich als Vermieter tätig, fehle es an einer solchen Gewerblichkeit.

20Entscheidungsgründe

21Die Klage ist begründet.

221. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 FGO.

23Es verstößt gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit, dass der Klägerin die Anwendung des AfA-Satzes nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 3 % verwehrt wird, während inländische Kapitalgesellschaften bei ansonsten gleichem Sachverhalt eine AfA i.H.v. 3 % einkommensmindernd geltend machen können.

24a. Bei Gebäuden sind gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 als Absetzung für Abnutzung bis zur vollen Absetzung folgende Beträge abzuziehen:

25aa. Bei Gebäuden, soweit sie zu einem Betriebsvermögen gehören und nicht Wohnzwecken dienen und für die der Bauantrag nach dem 31.03.1985 gestellt worden ist, jährlich 3 %,

26bb. bei Gebäuden, soweit die Voraussetzungen unter aa. nicht erfüllt und die nach dem 31.12.1924 fertig gestellt worden sind, jährlich 2 %.

27b. Gemäß § 8 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung sind bei Steuerpflichtigen, die nach den Vorschriften des HGB zur Führung von Büchern verpflichtet sind, alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln.

28c. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung erzielen beschränkt Steuerpflichtige inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht durch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn das unbewegliche Vermögen im Inland belegen sind.

29Nach § 49 Abs. 2 EStG bleiben im Ausland gegebene Besteuerungsmerkmale außer Betracht, soweit bei ihrer Berücksichtigung inländische Einkünfte im Sinne des Abs. 1 nicht angenommen werden könnten, sog. isolierende Betrachtungsweise.

30§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG regelt die Einkünfte aus Gewerbebetrieb bei beschränkt Steuerpflichtigen. Die Vermietungseinkünfte hinsichtlich von im Inland belegenen Objekten durch eine im Ausland ansässige Kapitalgesellschaft werden von der Regelung nicht erfasst (vgl. Lindauer/ Westphal, JStG 2009: Änderungen bei inländischen Vermietungseinkünften durch ausländische Kapitalgesellschaften, BB 2009, 420).

31d. In Anwendung dieser Grundsätze erzielte die Klägerin im Streitjahr als beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Die Klägerin ist als ausländische Kapitalgesellschaft nicht zur Führung von Büchern nach den Vorschriften des HGB verpflichtet. Nach Maßgabe der Bestimmungen zur isolierenden Betrachtungsweise hat die Tatsache, dass die Klägerin als Kapitalgesellschaft grundsätzlich nur eine gewerbliche Sphäre hat, außer Betracht zu bleiben, da ansonsten eine Besteuerung der Vermietungseinkünfte nach § 49 Abs. 1 EStG nicht möglich wäre (vgl. insoweit auch Schnitger/ Fischer, Einkünfteermittlung bei ausländischen grundstücksverwaltenden Kapitalgesellschaften und Gemeinschaftsrecht, DB 2007, 598).

32In der Folge ist jedoch bei Anwendung des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG folgerichtig nicht davon auszugehen, dass die vermieteten Gebäude zu einem Betriebsvermögen gehören. Damit kann in Anwendung der gesetzlichen Vorschriften – und dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig – durch die Klägerin als Absetzung für Abnutzung jährlich nur ein Betrag von 2 % der maßgeblichen Kosten in Ansatz gebracht werden.

33Eine inländische Kapitalgesellschaft könnte für Gebäude, welche nicht zu Wohnzwecken dienen und für die der Bauantrag nach dem 31. März 1985 gestellt wurde nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG einen AfA – Betrag i.H.v. 3 % abziehen, da die Immobilien zwingend zu ihrem Betriebsvermögen gehören.

34Im Ergebnis wird damit eine inländische Kapitalgesellschaft in Bezug auf den ansetzbaren AfA – Betrag anders behandelt als die Klägerin.

35e. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche gehören, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (EuGH, Urteile vom 31. März 2011, Schröder, C-450/09, Slg 2011, I-2497; vom 25. Januar 2007, Festersen, C-370/05, Slg. 2007, I-1129 und vom 18. Dezember 2007, A, C-101/05, Slg. 2007, I-11531).

36Als derartige Beschränkungen können nicht nur nationale Maßnahmen angesehen werden, die geeignet sind, den Erwerb von in anderen Mitgliedstaaten belegenen Immobilien zu verhindern oder zu beschränken, sondern auch Maßnahmen, die davon abhalten können, solche Immobilien zu behalten (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, C-35/08, Busley und Cibrian, Slg. 2009, I-09807).

37Der EuGH hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass eine Regelung mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht in Einklang zu bringen ist, wonach ein in Deutschland Steuerpflichtiger bezüglich einer inländischen Immobilie eine höhere Abschreibung in Anspruch nehmen kann als für eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Immobilie. Durch die Nichtgewährung eines höheren Abschreibungssatzes werde dem Steuerpflichtigen ein Liquiditätsvorteil vorenthalten. Dieser steuerliche Nachteil sei geeignet, Steuerpflichtige davon abzuhalten, in einem anderen Mitglied belegene Immobilien zu erwerben bzw. zu behalten. Der Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit sei auch nicht gerechtfertigt (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, C-35/08, Busley und Cibrian, Slg. 2009, I-09807).

38Ausgehend von dieser Entscheidung wird in der Literatur vertreten, dass die Verweigerung der erhöhten Abschreibung für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG ebenfalls mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht in Einklang zu bringen sei. Unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften seien in Bezug auf die steuerobjektbezogenen Umstände vergleichbar. Die Vorschrift des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG wirke sich im Hinblick auf beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften mit identischem Investorenprofil nachteilig im Hinblick auf Ihre Liquidität aus. Ein solcher Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit sei auch weder durch die Grundsätze der Kohärenz, des Territorialprinzips oder zur Missbrauchsverhinderung gerechtfertigt (vgl.Cloer/ Nagel, Unterschiedliche Gebäude – AfA bei Auslandsbezug, DB 2010, 1901; Schnitger/ Fischer, Einkünfteermittlung bei ausländischen grundstücksverwaltenden Kapitalgesellschaften und Gemeinschaftsrecht, DB 2007, 598).

39Die Finanzverwaltung vertritt hingegen die Auffassung, dass eine erhöhte AfA nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG erst ab dem Veranlagungszeitraum 2009 infolge der ab diesem Zeitpunkt geltenden Gesetzesänderung im Hinblick auf beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften zu gewähren sei (BMF vom 16.05.2011, IV C 3-S 2300/08/10014, 2011/0349521, BStBl I 2011, 530). Die Differenzierung zwischen beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften in den Vorjahren sei eine Folge der isolierenden Betrachtungsweise. Durch sie werde gewährleistet, dass sich die Steuerbarkeit ausschließlich auf Einkunftsquellen mit inländischem Anknüpfungspunkt beziehe. Ein Steuerpflichtiger dürfe nicht von den Vorzügen der isolierenden Betrachtungsweise profitieren, ohne deren Nachteile in Kauf zu nehmen. Daher sei kein Verstoß gegen europäisches Recht erkennbar, da es zu keiner ungerechtfertigten Ungleichbehandlung komme (Kurzinformation 99/2009 des FM Brandenburg vom 20. Oktober 2009, 35 – S 2300 – 1/09, juris).

40f. In Anwendung dieser Grundsätze geht der Senat davon aus, dass die Nichtgewährung der erhöhten AfA in Bezug auf die Klägerin einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV darstellt.

41Die Klägerin ist hinsichtlich ihres Investorenprofils und hinsichtlich der im Inland erworben und verwalteten Objekte vergleichbar einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft, welche Immobilien zum Zwecke der Vermietung nutzt. Während die inländische Kapitalgesellschaft diese Immobilien im Rahmen ihres Betriebsvermögens zu erfassen hat und damit in der Folge bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die erhöhte AfA i.H.v. 3 % nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 EStG in Anspruch nehmen kann, kann die Klägerin dies nicht, da sie aufgrund der isolierende Betrachtungsweise des § 49 Abs. 2 EStG lediglich Vermietungseinkünfte erzielt und die Tatsache, dass sie als Kapitalgesellschaft letztlich nur Betriebsvermögen haben kann, ignoriert wird. Insoweit teilt der Senat nicht die Auffassung der Finanzverwaltung das hier unterschiedliche Konstellationen verglichen würden. Es kommt für die Frage, in welcher Höhe ein Steuerpflichtiger Absetzungen für Abnutzungen geltend machen kann, insbesondere auch nicht darauf an, ob ein gegebenenfalls später erwirtschafteter Veräußerungsgewinn aus einem Immobiliengeschäft steuerpflichtig wäre oder nicht.

42Für den Senat steht vielmehr fest, dass die Ungleichbehandlung im Hinblick auf den ansetzbaren AfA-Satz in Übereinstimmung mit der bereits veröffentlichten Rechtsprechung des EuGH als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit zu werten ist, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund erkennbar wäre. Einen solchen hat die Finanzverwaltung auch nicht vorgetragen.

43Aus diesem Grund sieht der Senat auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und eine Vorlagefrage an den EuGH zu richten, da Rechtslage und Auffassung des EuGH eindeutig sind.

44f. Da die Verweigerung des erhöhten AfA–Satzes in Bezug auf die Klägerin mit der Kapitalverkehrsfreiheit nicht in Einklang zu bringen ist, war der Klage stattzugeben und die Klägerin insoweit wie eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft zu behandeln.

452. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

463. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

474. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Einkommensteuer: Besteuerung von Krankengeld

Finanzgericht Köln, 6 K 3506/10

Datum:
22.11.2012
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 3506/10
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, III R 36/13
Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 30.08.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2010 wird dahingehend geändert, dass lediglich Krankengeld in Höhe von € 9.649,- dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

1Sachverhalt

2Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Die Klägerin bezog im Streitjahr 2009 von ihrer Krankenkasse, der …/in A, € 9.649,- Krankengeld. Ein Restbetrag von € 466,- für 2009 wurde der Klägerin im Laufe des Jahres 2010 ausgezahlt.

3Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 der Kläger mit Bescheid vom 30.08.2010 auf € 2.979,- fest. Bei der Veranlagung unterwarf er erklärungsgemäß Krankengeld in Höhe von € 10.115,- dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage.

4Mit der Klage machen sie – wie bereits im Einspruchsverfahren – geltend, die Regelung des § 32 b EStG sei verfassungswidrig, soweit von ihr das Krankengeld unter Progressionsvorbehalt gestellt werde. Sie verstoße gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG und das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. § 32 b EStG stelle nämlich lediglich das von einer gesetzlichen Krankenversicherung bezogene Krankengeld unter Progressionsvorbehalt, während das von einer privaten Krankenversicherung bezogene Krankentagegeld nicht erfasst werde. Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung sei willkürlich. Denn in beiden Fällen handele es sich um eine nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfreie Leistung. Und in beiden Fällen habe der Arbeitnehmer die Beiträge für diese Versicherung allein aufgebracht, denn der vom gesetzlich pflichtversicherten Arbeitnehmer allein aufzubringende Beitragsanteil von 0,9 % entspreche genau der Differenz zwischen dem allgemeinen Beitragssatz mit Krankengeldversicherung und dem verminderten Beitragssatz ohne Krankengeldversicherung. Wenn überhaupt sei die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Krankengeld aus gesetzlichen und privaten Kassen früher gerechtfertigt gewesen, als nämlich der gesamte Krankenversicherungsbeitrag eines pflichtversicherten Arbeitnehmers hälftig vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen worden sei. Die diesbezüglichen Regelungen seien aber ab dem 01.01.2009 dahingehend geändert worden, dass der Beitragsanteil für das Krankengeld allein vom Arbeitnehmer zu tragen sei.

5Aber selbst in der Vergangenheit dürfte die unterschiedliche Behandlung entgegen der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26.11.2008 (X R 59/06, BFH/NV 2009, 739) schon nicht gerechtfertigt gewesen sein. Denn schon damals habe Arbeitnehmern, die nicht krankenversicherungspflichtig seien, ein Zuschuss bis zur Hälfte des Gesamtbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung (einschließlich Krankengeld) zu den Prämien, die sie für eine gleichartige private Krankenversicherung aufzuwenden hätten, zugestanden. Demgemäß bezuschusse der Arbeitgeber in zahlreichen Fällen auch den Anteil für die private Krankentagegeldversicherung hälftig. Vor diesem Hintergrund sei es nicht hinnehmbar, dass das Krankengeld, das pflichtversicherte Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien, bezögen, dem Progressionsvorbehalt unterfalle, hingegen aber das – aufgrund vom Arbeitgeber genauso bezuschusster Prämienzahlungen – von einem privat versicherten Arbeitnehmer bezogene Krankentagegeld dem Progressionsvorbehalt nicht unterfalle.

6Letztlich verstoße die Regelung des § 32 b EStG auch gegen das Sozialstaatsprinzip, denn Krankengeld bezögen im Regelfall diejenigen Arbeitnehmer, deren Einkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze liege, während höher verdienende Arbeitnehmer die Möglichkeit hätten, dem Progressionsvorbehalt durch Abschluss einer privaten Krankenversicherung auszuweichen, von den zu erwartenden höheren Leistungen für privatärztliche Versorgung ganz zu schweigen. Das Sozialstaatsprinzip gebiete es aber, die Steuerlast für einkommensschwache Personen im Grundsatz niedriger als für einkommensstärkere Personen zu gestalten.

7Hilfsweise begehren die Kläger den Ansatz des Krankengelds in tatsächlich gezahlter Höhe von € 9.649,- anstelle des derzeit berücksichtigen Betrags von € 10.115,-.

8Die Kläger beantragen,

9den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 30.08.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2010 dahingehend zu ändern, dass das Krankengeld nicht dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird,

10hilfsweise Krankengeld in Höhe von € 9.649,- dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.

11Der Beklagte beantragt,

12lediglich Krankengeld in Höhe von € 9.649,- dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen und im Übrigen die Klage abzuweisen.

13Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, das im Streitjahr zugeflossene Krankengeld unterfalle dem Progressionsvorbehalt.

14Entscheidungsgründe

15Die Klage ist teilweise begründet.

16Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 ist teilweise rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz FGO. Der Beklagte hat zwar dem Grunde nach zutreffend das Krankengeld dem Progressionsvorbehalt gemäß §  32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG unterworfen. Der angesetzte Betrag ist jedoch zu hoch bemessen.

17Hat ein unbeschränkt Steuerpflichtiger in dem Veranlagungszeitraum Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Verletztengeld, Übergangsgeld oder vergleichbare Lohnersatzleistungen nach dem Fünften, Sechsten oder Siebten Buch Sozialgesetzbuch, der Reichsversicherungsordnung, dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte oder dem Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte bezogen, ist gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG auf das nach § 32 a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin bezog im Streitjahr von der …/in A Krankengeld nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, nämlich gemäß § 44 Abs. 1 SGB V.

18§ 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG verletzt die Kläger auch nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 GG. Wie der Bundesfinanzhof bereits mehrfach entschieden hat (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739, BFH-Beschluss vom 09.09.1996 VI B 86/96, BFH/NV 1997), begegnet die Einbeziehung des Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere verstößt die Einbeziehung des Krankengeldes lediglich gesetzlicher Krankenkassen und nicht privater Krankenkassen nicht gegen Art. 3 GG. Dies gilt sowohl für die Einbeziehung des von einem freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbständig Erwerbstätigen bezogenen Krankengeldes in § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG als auch für die gleichzeitige Nichteinbeziehung des Krankengel-des aus einer privaten Krankenversicherung in den Progressionsvorbehalt (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739). Die Einbeziehung des von einem freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versicherten, selbständigen Erwerbstätigen wird mit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechtfertigt. Die Nichteinbeziehung des Krankengeldes aus einer privaten Krankenversicherung ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofes nicht willkürlich, sondern gerechtfertigt, da sich die gesetzliche Krankenversicherung von der privaten Krankenversicherung maßgeblich unterscheide: Die gesetzliche Krankenversicherung sei wesentlich durch das Solidarprinzip geprägt. Die Kassen nähmen als Träger öffentlicher Verwaltung die Aufgaben der Sozialversicherung i.S. des Art. 74 Nr. 12 GG wahr und seien öffentlich-rechtliche Körperschaften. Der Anspruch auf Krankengeld ergebe sich als Sozialleistung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog des § 11 SGB V. Er sei Teil des Sozialversicherungsverhältnisses und damit eines öffentlich rechtlichen Schuldverhältnisses. Dagegen folge die private Krankenversicherung dem Äquivalenzprinzip. Die Bemessung der Beiträge bestimme sich nach dem versicherten Risiko. Der Anspruch auf Krankengeld des Versicherungsnehmers einer privaten Versicherung beruhe auf dem Versicherungsvertrag. Die gesetzliche Krankenversicherung sei zwar im Grundsatz dem Privatversicherungsverhältnis nachgebildet sei, jedoch durch das Prinzip des sozialen Ausgleichs modifiziert worden. Diese entsprechend den Geboten des Sozialstaats vorgenommene Ergänzung des Versicherungsprinzips sei die Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der jeweiligen Krankengelder. Darüber hinaus rechtfertige auch der Aspekt der Administrierbarkeit die unterschiedliche Behandlung (BFH-Urteil vom 26.11.2008 X R 59/06, BFH/NV 2009, 739). Diesen Erwägungen des Bundesfinanzhofs schließt sich der erkennende Senat an und sieht deshalb in der genannten Regelung keinen Verstoß gegen Art. 3 GG.

19Entgegen der Ansicht der Kläger ist auch nicht deshalb eine andere Beurteilung geboten, weil sich die Rechtslage seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs geändert habe und die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten den Beitrag für das Krankengeld nunmehr allein, d.h. ohne hälftige Beteiligung des Arbeitgebers, aufzubringen haben. Zum einen hat der Bundesfinanzhof der Frage, wer den Beitrag für die Krankenversicherung zu entrichten hat, keine Bedeutung beigemessen. Das Urteil vom 26.11.2008 (X R 59/06, BFH/NV 2009, 739) betraf einen selbständigen Unternehmer, der in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert war. Der Bundesfinanzhof hielt die unterschiedliche Behandlung von Krankengeld aus gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen für gerechtfertigt, obwohl ein freiwillig in der gesetzlichen Versicherung versicherter selbständiger Unternehmer naturgemäß seine Beiträge in vollem Umfang selbst finanziert.

20Zum anderen stimmt die Behauptung der Kläger nicht, die Klägerin finanziere den Beitrag für das Krankengeld allein. Es ist zwar richtig, dass bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Arbeitgeber gemäß § 249 Abs. 1 SGB V lediglich die Hälfte der Beiträge des Mitglieds aus dem Arbeitsentgelt nach dem um 0,9 Beitragssatzpunkte verminderten allgemeinen oder ermäßigten Beitragssatz trägt, d.h. das Mitglied trägt einen Beitrag von 0,9 % selbst. Dieser selbst zu tragende Anteil von 0,9 Beitragssatzpunkten steht jedoch entgegen der Behauptung der Kläger in keinem Zusammenhang mit dem Beitrag für das Krankengeld. Er geht zurück auf einen Sonderbeitrag von 0,9 % der beitragspflichtigen Einnahmen, den die Mitglieder allein zu finanzieren hatten. Dieser Sonderbeitrag wurde zum 01.07.2005 durch das Gesetz zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz vom 15.12.2004 in Form eines zusätzlichen Beitragssatzes gemäß § 241 a SGB V eingeführt. Hintergrund der Regelung war die Absicht, die Mitglieder stärker an den Leistungen für Zahnersatz zu beteiligen. Weiterhin sollten Unternehmen bei den Lohnnebenkosten entlastet und so das Wachstum der Wirtschaft und eines Unternehmens gefördert werden. Da seit dem 01.01.2009 dieser zusätzliche Beitragssatz Teil des einheitlichen Beitragssatzes geworden ist, wurde § 249 Abs. 1 SGB V geändert und der bisherige Grundsatz der hälftigen Teilung der Beiträge aufgehoben. Die Neuformulierung trägt der Tatsache Rechnung, dass der bislang vom Mitglied allein zu tragende zusätzliche Beitragssatz von 0,9 % im allgemeinen bzw. ermäßigten Beitragssatz aufgegangen ist. Die Verteilung der Beitragslast sollte nach dem Willen des Gesetzgebers im gleichen Verhältnis wie zuvor bestehen bleiben. Einen Bezug zum Krankengeld hat dieser zusätzliche Beitrag bzw. selbst zu tragende Beitragsanteil von 0,9 Punkten nicht.

21Er entspricht – entgegen der Behauptung der Kläger – auch nicht der Differenz zwischen dem das Krankengeld umfassenden allgemeinen Beitragssatz nach § 241 SGB V zu dem ermäßigten, keinen Krankengeldanspruch umfassenden, Beitragssatz nach § 243 SGB V. Die Differenz zwischen den Beitragssätzen beträgt vielmehr lediglich 0,6 %. Der allgemeine Beitragssatz betrug im ersten Halbjahr des Streitjahres 15,5 % und im zweiten Halbjahr 14,9 %, wohingegen der ermäßigte 14,9 % bzw. 14,3 % betrug.

22Schließlich steht die Regelung des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 b EStG auch nicht im Widerspruch zum sich aus Art. 20 GG ergebenden Sozialstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 03.05.1995 (1 BvR 1176/88, BStBl II 1995, 758) entschieden, dass der Gesetzgeber von der Verfassung – insbesondere aufgrund des Sozialstaatsprinzips – nicht gehindert sei, Arbeitslosenbezüge oder sonstige Einkommenssurrogate im Rahmen der Besteuerung zu berücksichtigen, sofern die Grundsätze der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beachtet werden. Dies ist aufgrund der Steuerfreiheit des Krankengeldes gemäß § 3 Nr. 1 a EStG und seiner ausschließlichen Bedeutung für die Berechnung des Steuersatzes gewährleistet. Denn Steuerpflichtige, die neben eigenen Einkünften Lohnersatzleistungen bezogen haben, sind wirtschaftlich leistungsfähiger als Steuerpflichtige, die gleich hohe Einkünfte ohne Lohnersatzleistungen erhalten haben. Die Regelung ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil vom Progressionsvorbehalt lediglich das Krankengeld der Geringverdiener, nicht aber das Krankengeld besserverdienender privat krankenversicherter Arbeitnehmer erfasst wird. Die Kläger übersehen bei ihrer Argumentation, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur Geringverdiener versichert sind, sondern auch freiwillig Versicherte, deren Gehalt die Bemessungsgrenze übersteigt. In der privaten Krankenversicherung dagegen sind auch nicht nur Besserverdiener versichert, sondern gerade auch eine Vielzahl von Selbständigen mit relativ geringen Einkünften.

23Da die Klägerin im Streitjahr lediglich € 9.649,- anstelle des derzeit berücksichtigen Betrags von € 10.115,- Krankengeld erhalten hat, ist gemäß § 11 Abs. 1 EStG nur dieser Betrag in die Einkommensteuerfestsetzung in der vom Beklagten vorgenommenen Art und Weise einzubeziehen. Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten auferlegt.

24Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 137 FGO. Soweit die Kläger obsiegt haben, tragen sie Kosten des Verfahrens, da sie den Nachweis über den Zeitpunkt der Auszahlung des Krankengeldes früher hätten vorlegen können und müssen.

Einkommensteuer: Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides

Finanzgericht Köln, 6 K 2552/10

Datum:
20.06.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2552/10
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1992 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erzielte in diesem Jahr Einkünfte aus verschiedenen Beteiligungen, unter anderem als Gesellschafterin der D Vermögensverwaltungs GbR. Für diese GbR wurde durch das zuständige Finanzamt A am 08.12.1994 ein Feststellungsbescheid für 1992 erlassen, durch den der Klägerin neben Einnahmen und Werbungskosten aus Kapitalvermögen ein Verlust aus Spekulationsgeschäften in Höhe von 583.967 DM zugewiesen wurde. Sonstige Verluste aus Spekulationsgeschäften erzielten die Kläger im Streitjahr nicht. Im Rahmen ihrer am 24.11.1994 eingereichten Einkommensteuererklärung setzten die Kläger sowohl die festgestellten Einnahmen und Werbungskosten aus der GbR als Einkünfte aus Kapitalvermögen an als auch in der Rubrik Spekulationsgeschäfte (Zeile 50 der Anlage KSO) einen Betrag in Höhe von -583.967 DM mit dem maschinenschriftlichen Zusatz „D Vermögensverw. GbR“.

3In dem daraufhin ergangenen erstmaligen Einkommensteuerbescheid vom 20.03.1995 blieb der Spekulationsverlust unberücksichtigt. In den Erläuterungen zum Bescheid wird hierzu ausgeführt: „Der Spekulationsverlust konnte nicht zum Ansatz kommen, da dieser nur mit einem im gleichen Jahr erzielten Spekulationsgewinn ausgeglichen werden kann (vgl. § 23 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG –).“ Dieser Bescheid wurde bestandskräftig, ebenso wie die zahlreichen in der Folgezeit ergangenen Änderungsbescheide, in denen der Spekulationsverlust nicht mehr erwähnt wurde, zuletzt der Bescheid vom 20.11.2000.

4Am 27.10.2000 erließ das Finanzamt A für die GbR einen (u.a. für 1992) geänderten Feststellungsbescheid, durch den der Klägerin neben geänderten Einnahmen aus Kapitalvermögen Einkünfte aus Spekulationsgeschäften in Höhe von nunmehr-588.378 DM zugewiesen wurden. Diesen Änderungsbescheid wertete der Beklagte aus, indem er am 01.03.2001 einen geänderten Einkommensteuerbescheid erließ, der gegenüber dem Vorbescheid zu einer Herabsetzung des festgesetzten Steuer führte, in dem aber der Spekulationsverlust weiterhin unberücksichtigt blieb. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger durch Schreiben vom 03.04.2001 Einspruch ein und machten geltend, dass die Einschränkung der Verlustverrechnung von Spekulationsverlusten nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG (vormals: § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG) verfassungswidrig sei. Dieses Einspruchsverfahren ruhte zunächst.

5Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) in der Folgezeit in verfassungskonformer Auslegung entschieden hatte, dass Spekulationsverluste aus den Jahren vor 1999 grundsätzlich uneingeschränkt ausgleichsfähig sind (etwa Urteil vom 01.06.2004 IX R 35/01, BStBl II 2005, 26), erließ der Beklagte am 02.07.2010 einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem er einen Spekulationsverlust in Höhe von 4.413 DM berücksichtigte. Hierbei handelte es sich um den Betrag, um den der Spekulationsverlust durch den geänderten Feststellungsbescheid vom 27.10.2000 gegenüber dem ursprünglichen Feststellungsbescheid erhöht wurde. In Höhe des ursprünglich festgestellten Verlustes sei, so der Beklagte, angesichts der Bestandskraft der vorhergehenden Einkommensteuerbescheide keine Änderung möglich. Er wies daher durch Einspruchsentscheidung vom 22.07.2010 den Einspruch der Kläger im Übrigen als unbegründet zurück.

6Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Kläger geltend machen, dass der Ansatz des gesamten Spekulationsverlustes nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geboten sei. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides verpflichte das Finanzamt für den Folgebescheid, die zutreffenden Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen; sie begründe eine „absolute Anpassungsverpflichtung“. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn im Rahmen der Umsetzung früherer Feststellungsbescheide materiell-rechtliche Fehler gemacht worden seien und zwar unabhängig davon, ob der materiell-rechtlich fehlerhafte Folgebescheid angefochten worden sei oder nicht. Maßstab für die Änderung des Folgebescheides sei in derartigen Konstellationen der vorausgegangene (nicht vollständig ausgewertete) Grundlagenbescheid, nicht aber der vorausgegangene (und wegen unvollständiger bzw. unzutreffender Auswertung des Grundlagenbescheides unrichtige) Folgebescheid. Da vorliegend die Spekulationsverluste auf Ebene der D Vermögensverwaltungs GbR angefallen und auch dort durch Feststellungsbescheid festgestellt worden seien, hätten die Kläger Anspruch auf rechtlich einwandfreie vollständige Auswertung des entsprechenden Feststellungsbescheides.

7Der ursprüngliche Feststellungsbescheid sei seinerzeit nicht vollständig ausgewertet worden. Es sei zumindest für die Kläger nicht erkennbar gewesen, dass just der Spekulationsverlust aus der D Verwaltungs GbR mit Absicht unberücksichtigt geblieben sei.

8Die Kläger beantragen,

9unter Abänderung des Bescheids für 1992 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 01.03.2001, geändert durch Bescheid vom 02.07.2010, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2010 die Einkommensteuer für 1992 unter Berücksichtigung von Spekulationsverlusten in Höhe von insgesamt 588.378 DM festzusetzen,

10hilfsweise die Revision zuzulassen.

11Der Beklagte beantragt,

12die Klage abzuweisen,

13hilfsweise die Revision zuzulassen.

14Er vertritt auch unter Bezugnahme auf seine Schreiben im Einspruchsverfahren die Ansicht, dass die Frage, ob ein festgestellter Spekulationsverlust ausgleichs- bzw. verrechnungsfähig sei, zum Regelungsinhalt des Einkommensteuerbescheides und nicht des Grundlagenbescheides gehöre und damit nicht der Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 AO und der Anpassungsverpflichtung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO unterliege. Die geänderte Rechtsauffassung zur Ausgleichsfähigkeit von Verlusten aus Einkünften nach § 23 EStG nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts könne sich daher nur im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung niederschlagen. Da im Rahmen der ursprünglichen Einkommensteuerfestsetzung der damals festgesetzte Spekulationsverlust aus der D Vermögensverwaltungs GbR erkennbar wegen der damals gültigen Regelung in § 23 Abs. 4 EStG unberücksichtigt geblieben sei, sei der ursprüngliche Feststellungsbescheid seinerzeit vollständig ausgewertet worden. Eine Anpassungsverpflichtung an den geänderten Feststellungsbescheid nach § 175 AO bestehe daher nur insoweit, als ein höherer Verlust festgestellt worden sei. Im Übrigen scheitere ein höherer Ansatz an der Bestandskraft des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides sowie an der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO.

15Entscheidungsgründe

16Die Klage ist unbegründet.

17Der Beklagte hat zu Recht die Berücksichtigung eines den Betrag von 4.413 DM übersteigenden Spekulationsverlustes abgelehnt. Die insoweit allein in Frage kommende Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vermag das Änderungsbegehren der Kläger nicht zu tragen.

18Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, aufgehoben oder geändert wird. Diese Bindungswirkung (vgl. § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1 AO) verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Sie beschränkt sich mithin nicht auf die bloße mechanische Übernahme von Zahlen, sondern fordert, dass der Folgebescheid zutreffend und vollständig an den Regelungsinhalt angepasst wird.

19Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird und das Finanzamt aus dem Änderungsbescheid die gebotenen Konsequenzen zieht (BFH-Urteile vom 14.04.1988 IV R 219/85, BStBl II 1988, 711; vom 29.06.2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.).

20Die Aufgabe, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt allerdings keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung; sie reicht nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids verlangt. Der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Grundlagenbescheids darf deshalb nicht zum Anlass genommen werden, für den Folgebescheid bedeutsame Besteuerungsgrundlagen zu ändern, wegzulassen oder erstmals aufzunehmen, die weder Gegenstand des Grundlagenbescheids sind noch durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst werden (BFH-Beschluss vom 24.09.2008 I B 28/08, BFH/NV 2009, 117).

21Nach diesen Grundsätzen kommt eine Berücksichtigung des gesamten Spekulationsverlustes in Höhe von 588.378 DM nicht in Betracht. Denn der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 08.12.1994, der einen Verlust in Höhe von 583.967 DM festgestellt hatte, wurde vom Beklagten im Rahmen des Einkommensteuerbescheides vom 20.03.1995 im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vollständig und zutreffend ausgewertet. Denn in diesem Bescheid wurde der festgestellte und auch von den Klägern in ihrer Einkommensteuererklärung ausdrücklich erklärte Spekulationsverlust aus der D Vermögensverwaltungs GbR in Höhe von 583.967 DM in der Kennziffer 63 der Anlage KSO tatsächlich erfasst.

22Dass sich dieser Verlust – für die Kläger, wie der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, erkennbar – wegen der damals geltenden Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG nicht auswirkte, steht dem nicht entgegen. Denn die Frage, ob und in welchem Umfang der festgestellte Spekulationsverlust im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung verrechnet werden kann, war weder Gegenstand noch Regelungsinhalt des Feststellungsbescheides.

23Dementsprechend hat der Erlass des geänderten Feststellungsbescheides nur Bedeutung hinsichtlich der Verlusterhöhung. Der geänderte Bescheid kann nicht dazu führen, die unterbliebene Verrechnung des ursprünglich festgestellten Verlustes, die sich angesichts der mittlerweile ergangenen BFH-Rechtsprechung als materiell-rechtlich fehlerhaft erwiesen hat, nachträglich zu korrigieren. Denn die Frage der Verrechnungsmöglichkeit ist, wie dargelegt, von der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids nicht umfasst.

24Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

25Die Revision wird zugelassen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

IDW äußert sich kritisch zum überarbeiteten Entwurf eines BMF-Schreibens zu den GoBD

Der neuerliche Entwurf eines BMF-Schreibens zu den GoBD greife die vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (kurz: IDW) zur Vorgängerfassung geäußerte Kritik nur unzureichend auf. Auch die jetzt vorgelegte Fassung sei wegen des überzogenen Administrationsaufwands nicht akzeptabel, so das IDW in einer aktuellen Stellungnahme an das BMF.

Neben den Kritikpunkten, die das IDW dem BMF bereits am 2.5.2013 vorgetragen hat, sind weitere Klarstellungen, z.B. zur Zulässigkeit der Verwendung von Steuerschlüsseln, unumgänglich, um Rechtssicherheit zu schaffen.

Auch die beabsichtigte Ausdehnung der Aufbewahrungsfristen für Anschaffungsbelege bei langlebigen Wirtschaftsgütern ist nicht hinnehmbar. Es besteht nach wie vor die Gefahr, dass die Neuregelung einseitig zulasten der Steuerpflichtigen geht.

Quelle: IDW online v. 5.9.2013

 

Entwurf eines BMF-Schreibens „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterla-gen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“

Sehr geehrter Herr Dr. Misera, sehr geehrte Damen und Herren,
wir danken Ihnen für die Gelegenheit, auch zu der überarbeiteten Fassung des o.g. Entwurfs Stellung nehmen zu können. Bereits mit unserem Schreiben vom 2. Mai 2013 hatten wir Ihnen zahlreiche Kritikpunkte zum Erstentwurf der GoBD übermittelt. In der überarbeiteten Fassung des Entwurfs wird diese Kritik leider nur unzureichend aufgegriffen. Es wurden wenige, überwiegend redaktionelle Änderungen und ergänzende Klarstellungen vorgenommen. Auch die jetzt vor-gelegte Fassung ist nach unserer Auffassung nicht akzeptabel.
Insofern verweisen wir auf die Anmerkungen in unserer Stellungnahme vom 2. Mai 2013 (als Anlage beigefügt), die wir inhaltlich aufrecht erhalten, und er-lauben uns, lediglich die Punkte, die unverändert in den neuerlichen Entwurf übernommen, aber gleichwohl zwingend einer Änderung bedürfen, nachfolgend aufzuführen. Dies betrifft insbesondere die Ausführungen
– zum Grundsatz der Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit (3.1) sowie zur Zeitgerechtheit (3.2.3),
– zum Belegwesen (4.) sowie zur Zuordnung zwischen Beleg und Grundauf-zeichnung oder Buchung (4.2),
– zur Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle in sachlicher Ordnung (5.3),
– zum internen Kontrollsystem (6.) und zur Datensicherheit (7.),
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– zur Unveränderbarkeit, Protokollierung von Änderungen (8.),
– zur Aufbewahrung (9.), insbesondere im Hinblick auf die maschinelle Aus-wertbarkeit (9.1), die elektronische Aufbewahrung (9.2), die elektronische Er-fassung von Papierdokumenten (9.3) sowie zur Auslagerung von Daten aus dem Produktivsystem und Systemwechsel (9.4),
– zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit (10.) sowie
– zum Datenzugriff (11.).
Im Übrigen greifen wir in dieser Stellungnahme lediglich die Änderungen bzw. Ergänzungen auf, soweit sie die von uns vorgetragenen Anregungen betreffen oder die vorgenommenen Anpassungen neue Fragestellungen aufwerfen. Dies vorausgeschickt, möchten wir zu folgenden Aspekten im Einzelnen Stellung nehmen:
Zu 2. Verantwortlichkeit (i.V.m. 12. Zertifizierung und Software-Testate)
Nach Tz. 21 hat der Steuerpflichtige die Pflicht, sich zu informieren, ob das in seinem Unternehmen eingesetzte DV-System den GoBD entspricht. Dies hat zur Konsequenz, dass er bspw. auf „Zertifikate“ oder „Testate“ Dritter (sog. Software-Testate) zurückgreifen muss, die aber nach Tz. 170 der Entwurfsfas-sung gegenüber der Finanzbehörde keine Bindungswirkung entfalten sollen. Ziel der Softwareprüfung gemäß IDW PS 880 ist es insbesondere, mit hinrei-chender Sicherheit zu beurteilen, ob das Softwareprodukt den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den damit verbundenen Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit und Sicherheit rechnungslegungsbezogener Programm-funktionen entspricht.
Insofern stellt sich die Frage, auf welche Hilfsmittel der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Informationspflicht zurückgreifen soll, wenn selbst Softwarebe-scheinigungen mit einem vollständige Prüfungsbericht über die Softwareprüfung nicht als Indiz für die GoB-Konformität gewertet werden können. Wir bitten da-her klarzustellen, inwieweit sich der Steuerpflichtige auf ein Software-Testat be-ziehen kann und ggf. welche weiteren Informationspflichten bestehen.
Zu 3.2.4 Ordnung
In Tz. 56 wird ausgeführt, dass die „nicht getrennte Verbuchung“ von nicht steu-erbaren, steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen ohne genügende Kenn-zeichnung in der Regel gegen die Grundsätze der Wahrheit und Klarheit einer kaufmännischen Buchung verstößt. Unklar bleibt, ob die Verwendung von Steu-erschlüsseln zur Kennzeichnung ausreicht oder ob für die betreffenden Umsät-
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ze jeweils gesonderte Konten zu führen sind. Unseres Erachtens reicht es aus, wenn bei der Auswertung der Konten die Umsatzgruppen separat abgerufen werden können. Die Notwendigkeit, gesonderte Konten einzurichten und fortlau-fend zu führen, ist nicht sachgerecht und verursacht zusätzlichen Administrati-onsaufwand. Wir regen daher an klarzustellen, dass bei Verwendung von Steu-erschlüsseln den Grundsätzen der Wahrheit und Klarheit entsprochen wird.
Zu 3.2.5 Grundsatz der Unveränderbarkeit
In Tz. 60 wird gefordert, dass Veränderungen und Löschungen von und an Da-ten, Datensätzen, elektronischen Dokumenten und anderen Unterlagen ent-sprechend den Vorgaben der § 146 Abs. 4 AO bzw. § 239 Abs. 3 HGB zu pro-tokollieren sind. In diesem Zusammenhang wird auch auf Tz. 8 des überarbeite-ten Entwurfs verwiesen. Diese Textziffer verlangt, dass sich die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten auf steuerliche und außersteuerliche Daten bezie-hen. Insofern wird die beabsichtigte Konkretisierung, dass sich diese Anforde-rung nur auf solche Daten, Datensätze und elektronische Dokumente beziehen kann, die unzweifelhaft zu einer Buchung zuzuordnen sind und damit Beleg-funktion haben, nicht erreicht. Zur Klarstellung regen wir an, den Verweis auf Tz. 8 zu streichen.
Zu 4.3 Erfassungsgerechte Aufbereitung der Buchungsbelege
Textziffer 77 verlangt, dass für jeden Geschäftsvorfall, der in der Grundauf-zeichnung erfasst und im Journal verbucht wird, u.a. der Buchungsbetrag bzw. die Mengen- und Wertangaben anzugeben sind, aus denen sich der zu bu-chende Betrag ergibt. Diesen Anforderungen an eine erfassungsgerechte Auf-bereitung der notwendigen Daten kann aus unserer Sicht nicht gefolgt werden. Die geforderten Pflichtinhalte und -angaben für alle Geschäftsvorfälle gehen über das sachlich gebotene Maß hinaus, da von den Unternehmen zum einen eine teilweise redundante Aufzeichnung von Daten gefordert wird. Zum anderen erfolgt in vielen Rechnungslegungssystemen die Festlegung der Buchungsperi-ode über das Buchungsdatum. Ferner ist es unüblich, in Hauptbüchern Men-gen- und Wertangaben zu erfassen, aus denen sich der Buchungsbetrag ergibt.
Ebenfalls ist die zwingende Eintragung des Erfassungsdatums bisher nicht vor-gegeben und wird infolgedessen auch in vielen Rechnungslegungsprogrammen nicht berücksichtigt, zumal nicht die Erfassung eine Buchung festlegt, sondern die entsprechende Journalisierung. Die Vorgehensweise und die aus diesen Vorgaben resultierenden Konsequenzen für betrieblichen Abläufe und Struktu-ren sind nicht sachgerecht und bedingen, dass das Datenmodell vieler Soft-warehersteller anzupassen wäre. Ferner weisen wir darauf hin, dass nach der geplanten Neuregelung keine Möglichkeit einer Vorerfassung im Rechnungswe-
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sen mit nachgelagerter Kontrolle und Autorisierung mehr besteht. Dies führt zu einer erheblichen Verschärfung der Handhabung in der Praxis. Unseres Erach-tens sollte daher weder für das Erfassungsdatum noch für Mengen- und Wert-angaben eine Erfassungspflicht in der Grundaufzeichnung bestehen; gleiches gilt für die Pflicht zur Buchung im Journal. Wir bitten dies entsprechend zu re-geln.
Zu 4.4 Besonderheiten (i.V.m. 9. Aufbewahrung)
Laut Auffassung der Finanzverwaltung erstreckt sich die Aufbewahrungspflicht gemäß Tz. 112 auf die „nach außersteuerlichen und steuerlichen Vorschriften aufzeichnungspflichtigen und nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtigen Unterlagen“. Diese Formulierung findet sich auch in Abschnitt 11.1 (Umfang und Ausübung des Rechts auf Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO). Die ausdrückli-che Einbeziehung außersteuerlicher Vorschriften ist neu und in den bisherigen Äußerungen der Finanzverwaltung so nicht enthalten.
Dabei wird die Dauer, während der Anschaffungsbelege bei langlebigen Wirt-schaftsgütern aufzubewahren sein sollen, übermäßig ausgedehnt; die Aufbe-wahrungsfrist für den Anschaffungsbeleg soll erst mit Ablauf der steuerlichen Nutzungsdauer beginnen (Tz. 81). Dies hat zur Folge, dass Belege über lange Zeit, z.B. bei Gebäuden über mehr als 40 Jahre, aufzubewahren sind.
Gemäß § 147 Abs. 3 AO sind Buchungsbelege zehn Jahre aufzubewahren; die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Buchungsbeleg entstanden ist (§ 147 Abs. 4 AO). Somit besteht keine Rechts-grundlage für eine weitergehende Archivierungspflicht. Wir bitten daher von der geplanten Regelung auch mit Blick auf die den Unternehmen aufgebürdeten Ar-chivierungslasten abzusehen. Mit der zehnjährigen Aufbewahrungspflicht wird dem Interesse einer ordnungsmäßigen Buchführung und ihrer Überprüfung hin-reichend Rechnung getragen.
Zu 5.2 Verbuchung im Journal
Der Erstentwurf sah in Abschnitt 5.2 vor, dass zur Erfüllung von Journal- und Kontenfunktion ein „Buchungssatzzähler“ zu erfassen bzw. zu speichern ist, wenn es sich um Splitbuchungen oder Teilbuchungen handelt. Diese Anforde-rung wurde gestrichen. Stattdessen wurde im letzten Satz der Tz. 94 eine Er-gänzung aufgenommen, die die begrüßenswerte Streichung des Buchungssatz-zählers relativiert. Danach muss über eine einheitliche und je Wirtschaftsjahr eindeutige Identifikationsnummer des Geschäftsvorfalls die Identifizierung und Zuordnung aller Teilbuchungen einschließlich Steuer-, Sammel-, Verrechnung- und Interimskontenbuchungen eines Geschäftsvorfalls gewährleistet sein. Hier-
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bei ist zu unterscheiden zwischen Identifikationsnummern für das Haupt- und Nebenbuch. Die gestellten Anforderungen sind ebenfalls weder sachgerecht noch gibt es dafür eine Rechtsgrundlage. Es ist dem Steuerpflichtigen überlas-sen, wie er sicherstellt, dass eine Zuordnung möglich ist. Diesem Grundsatz tragen die GoBS hinreichend Rechnung. Dort ist zutreffend geregelt, dass das Ordnungsprinzip erfüllt wird, wenn auf die gespeicherten Geschäftsvorfälle und/oder Teile gezielt zugegriffen werden kann.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass auch der überarbeitete Entwurf ei-nes BMF-Schreibens unverändert eine Vielzahl rechtlicher und technischer Fra-gen aufwirft und erheblichen organisatorischen Zusatzaufwand mit sich bringt. Außerdem vermittelt der Entwurf den Eindruck, dass zum Teil Lösungsansätze gewählt werden, die ausschließlich die Anforderungen der Steuerverwaltung an die Auswertbarkeit der Rechnungslegung im Rahmen von Betriebsprüfungen, nicht aber die unternehmerischen Anforderungen berücksichtigt, die z.B. für die Integration des Rechnungswesens in Geschäftsprozesse von Bedeutung sind.
Wir erlauben uns, unsere Empfehlung zu wiederholen, vor Veröffentlichung ei-nes endgültigen BMF-Schreibens mit allen Beteiligten (Unternehmen, Soft-wareherstellern, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern) eine tragfähige und rechtlich sichere Lösung zu suchen. Daran wirken wir gerne mit.
Mit freundlichen Grüßen
Hamannt

Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)

Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zu dem Entwurf eines BMF-Schreibens zu den „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“ GZ: IV A 4 – S 0316/13/10003-02

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir danken Ihnen für Ihr Schreiben vom 26. Juni 2013, mit dem Sie uns die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o. g. BMF-Schreiben einräumen. Gern nehmen wir hierzu Stellung.

Wir begrüßen insbesondere den mit der Finanzverwaltung begonnenen Dialog und würden uns wünschen, diesen fortzusetzen. Die Bundessteuerberaterkammer vertritt die über 91.000 Steuerberater in Deutschland und damit einen Berufsstand, der seine Mandanten bei der Erfüllung
ihrer handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Pflichten unterstützt. Als solche ist die Bundessteuerberaterkammer genuine Ansprechpartnerin für Fragen der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Rechnungslegung; dazu zählen auch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.

Unsere beigefügte Stellungnahme gliedert sich in den ersten Bereich Themenschwerpunkte. Diese Punkte sind nach Auffassung der Bundessteuerberaterkammer besonders wichtig und sollten daher unbedingt eine Änderung erfahren.

In einem zweiten Abschnitt werden Einzelpunkte aufgegriffen, die ebenfalls wichtig sind.

Bitte gestatten Sie uns vorab jedoch die folgenden Ausführungen:

Der Erlassentwurf bezieht ganz generell auch die Aufzeichnungen in den gesamten Regelungsinhalt mit ein. In Tz. 4 wird dargestellt, dass sich eine Aufzeichnungspflicht auch aus Einzelsteuergesetzen ergeben kann, beispielsweise aus § 4 Abs. 3 EStG. Textziffer 25 besagt, dass die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 bis 147 AO nicht nur für die Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften nach § 140 AO und nach §§ 141 bis 144 AO gelten.

Insbesondere § 145 Abs. 2 betrifft alle zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen (z. B. auch solche nach § 4 Abs. 3 Satz 5 EStG).

Dabei verlangt das Gesetz bei einer Überschussermittlung gem. § 4 Abs. 3 EStG lediglich bei den besonderen Verzeichnissen dieser Personengruppe eine laufende Führung von Aufzeichnungen. Ansonsten gelten für diese Steuerpflichtigen die allgemeinen Grundsätze.

Bei kleinen und mittleren Gewerbetreibenden und Freiberuflern, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, bestehen in der Praxis sehr häufig die (Grundbuch-)Aufzeichnungen in einer geordneten Belegablage. Wenn die Verwaltung – vom Gesetz abweichend – zusätzlich zur geordneten Belegablage weitere Erfassungen verlangt, würde dies bei den Steuerpflichtigen nicht gerechtfertigte Buchführungskosten verursachen. Dieses würde dem Ziel des Bürokratieabbaus widersprechen.

Ganz generell wird u. E. durchgängig zu wenig darauf abgestellt, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) sich im Wesentlichen durch Handelsbrauch, Verkehrsanschauungen, Gerichtsentscheidungen usw. fortentwickeln und weniger den Anforderungen der Finanzverwaltung geschuldet sind.

In vielen Punkten erfolgt eine Umkehr der Beweislast zu Lasten der Steuerpflichtigen. Auch diese ist nicht begründet.

Leider wird der Entwurf des BMF-Schreibens auch weiterhin nicht modernen DV-Systemen gerecht. So gibt es häufig kein Hauptbuch und Grundbuch. Hierauf hatten wir bereits in unserer Stellungnahme vom 2. Mai 2013 hingewiesen, die wir ebenfalls als Anlage beifügen.

Aufgrund der guten Erfahrungen insbesondere mit den Projekten E-Bilanz und ELSTAM regen wir erneut an, den Dialog über den Entwurf hinaus fortzuführen, damit eine für alle Beteiligten umsetzbare Lösung gefunden werden kann.

Die Bundessteuerberaterkammer steht hierfür selbstverständlich mit ihrer Expertise gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
i. V.

Jörg Schwenker
Geschäftsführer

Anlage

Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer zu dem Entwurf eines BMF-Schreibens zu den „ Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“

I. Themenschwerpunkte

Anwendungsbereich und Begrifflichkeiten (Tz. 1 bis 20)

Hier wird in Tz. 7 postuliert, dass neben den außensteuerlichen und steuerlichen Aufzeichnungen und Unterlagen zu Geschäftsvorfällen alle Unterlagen aufzubewahren sind, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen
im Einzelfall von Bedeutung sein können (unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 24. Juni 2009, Az. VIII R 80/06).

Unseres Erachtens stellt sich gerade bei modernen Buchhaltungssystemen (ERP-Systemen) die Frage, welche Aufzeichnungen und Unterlagen ganz konkret gemeint sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass moderne ERP-Systeme ganz anderen Vorgaben und Regelungen folgen als eine steuerliche Gewinnermittlung. So dienen moderne ERP-Systeme weniger den Erfordernissen einer Finanzbuchhaltung, als etwa den Bedürfnissen eines Warenwirtschaftssystems, einer Betriebsabrechnung, der Vorbereitung des Zahlungsverkehrs und einer Überwachung der Zahlungsein- und -ausgänge sowie einer betriebswirtschaftlichen Auswertung.

Die betrieblichen Abläufe sind insgesamt ein sehr komplexes Gebilde, die alle irgendwie miteinander verknüpft und verzahnt sind. Viele dieser Abläufe werden heute in EDV-Systemen abgebildet. Insofern „kann“ nahezu alles zum Verständnis und zur Überprüfung des Gesamtgebildes von Bedeutung sein. Nicht jeder noch so entfernte kausale Zusammenhang zum zu beurteilenden Endprodukt kann aber rechtlich relevant sein. Die rechtliche Relevanz einzuengen und nicht auf jeden denkbaren Kausalzusammenhang auszudehnen ist in vielen Rechtsgebieten (z. B. im Schadensersatzrecht aber auch im Strafrecht) eine Aufgabe der rechtlichen Würdigung. Dieser Aufgabe hat sich auch das Steuerrecht (und damit auch jeder Betriebsprüfer
im Einzelfall) zu stellen. Es ist deshalb wenig hilfreich, einfach zu sagen, alles hängt mit allem zusammen und jedes Einzelteil ist deshalb zum Verständnis des Ganzen erforderlich und kann deshalb für die Besteuerung relevant sein.

Im Übrigen sagt das in dieser Tz. zitierte Urteil vom 24. Juni 2009 explizit, dass dann, wenn der Steuerpflichtige Aufzeichnungen führt, zu denen er gesetzlich nicht verpflichtet ist, die Aufzeichnungen dann nicht gem. § 146 Abs. 6 AO „für die Besteuerung von Bedeutung“ sind, wenn sie der Besteuerung nicht zugrunde zu legen sind. Der BFH führt in dieser Entscheidung wörtlich aus, dass eine Erweiterung der Prüfungsbefugnisse auch nach demWillen des Gesetzgebers durch § 147 Abs. 6 AO nicht begründet werden solle (unter Hinweis auf die BTDrs. 14/2683, S. 130). Im Volkszählungsurteill hat das Bundesverfassungsgericht, so der BFH in dieser Entscheidung, die besondere Eingriffsintensität hervorgehoben, die beim Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten von Rechts wegen generell zu beachten sei (Hinweis auf BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983, Az. 1 BvR 209/83).

Diese Rechtsprechung kann aber durch ein BMF-Schreiben nicht ausgehebelt werden.

Aus diesem Grunde regen wir an, in Tz. 7 Satz 1 zumindest statt des „können“ am Ende des Satzes „ sind“ zu schreiben.

In Tz. 8 wird eine vollumfängliche Aufzeichnung aller betrieblichen Datensätze – und damit auch außersteuerlicher Datensätze – gefordert, was einer globalen Datenprüfung gleichkommt. Dies ist nicht akzeptabel auch wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen.

3.2.3 Zeitgerechtheit (§ 146 Abs. 1 AO, § 239 Abs. 2 HGB) (Tz. 46 bis 53)

In Tz. 48 wird postuliert, dass länger als etwa zehn Tage ein unbarer Geschäftsvorfall grundsätzlich grundbuchmäßig nicht unerfasst bleiben dürfe. Im Folgesatz wird ein buchmäßig für längere Zeit in der Schwebe gehaltener Geschäftsvorfall mit der Möglichkeit verbunden, ihn später anders darzustellen, als er richtigerweise darzustellen wäre, oder ihn ganz außer Betracht zu lassen (hier kommt das schon in unserer ersten Stellungnahme vom 2. Mai 2013 kritisierte „ Grundmisstrauen“ gegenüber dem Steuerpflichtigen gut zum Ausdruck).

Diese Vorgaben stellen insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen, die etwa durch Steuerberater ihre Buchhaltung erstellen lassen und z. B. für die Umsatzsteuervoranmeldung eine Dauerfristverlängerung beanspruchen, eine unzumutbare Erschwerung der tatsächlichen Verfahrensläufe dar.

Bei kleinen und mittleren Gewerbetreibenden und bei Freiberuflern, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, bestehen in der Praxis sehr häufig die (Grundbuch-)Aufzeichnungen in einer geordneten Belegablage.

Daher regen wir an, Tz. 47 wie folgt zu ergänzen:

„Allerdings kann durch die geordnete Ablage von Belegen die Funktion der (Grundbuch-) Aufzeichnungen erfüllt werden (§ 239 Abs. 4 HGB, § 149 Abs. 5 AO, H 5.2 „Grundbuchaufzeichnungen“ EStH und § 4 Abs. 3 EStG).“

Zu denken ist auch an einen freiwillig bilanzierenden Arzt, der nicht umsatzsteuerpflichtig ist und lediglich etwa halb- oder ganzjährig eine Buchhaltung erstellen lässt. Diese Buchhaltung wäre mangels Zeitgerechtheit zu verwerfen.

Eventuell bietet es sich an, auf Gedanken des IDW RS FAIT 1 und hier Tz. 28 zurückzugreifen.

Dort wird gesagt, dass die Zeitgerechtheit der Buchführung sowohl die Zuordnung der Geschäftsvorfälle zu Buchungsperioden (Periodengerechtheit) als auch die Zeitnähe der Buchungen umfasst.

Ferner wird ausgeführt, dass Geschäftsvorfälle zeitnah nach ihrer Entstehung zu erfassen sind. Bei zeitlichen Abständen zwischen der Entstehung eines Geschäftsvorfalls und seiner Erfassung sind geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Vollständigkeit zu treffen.

Die in Tz. 51 formulierte Anforderung trifft ebenfalls keine Unterscheidung zwischen einer Erfassung und der Verbuchung. Die genannten Beispiele einer laufenden Nummerierung oder einer Ablage in besonderen Mappen und Ordnern dürften nicht mehr der modernen Buchhaltungspraxis
entsprechen.

Generell sollte u. E. eine klare Unterscheidung zwischen einer Belegsicherung und einer Verbuchung erfolgen. Insofern sollte Tz. 53 geändert werden. Dort wird am Ende ebenfalls gesagt, dass eine unprotokollierte Änderung dieser Belegsicherung oder Erfassung nicht mehr zulässig ist.

4.2 Zuordnung zwischen Beleg- und Grundaufzeichnung oder Buchung (Tz. 72 bis 74) und 4.3 Erfassungsgerechte Aufbereitung der Buchungsbelege (Tz. 75 bis 79)

In Tz. 72 wird die Zuordnung zwischen dem einzelnen Beleg und der dazugehörigen Grundaufzeichnung anhand von eindeutigen Zuordnungsmerkmalen und zusätzlichen Identifikationsmerkmalen für die Papierablage oder für die Such- und Filtermöglichkeit bei elektronischer
Belegablage gefordert.

In Tz. 77 wird dann nochmals festgelegt, dass eine Fremdbelegnummer nicht ausreicht.

Dieses Postulat verkennt jedoch, dass in der Praxis im Regelfall Fremdbelegnummern für die Verbuchung von Belegen verwendet werden. Dabei kann es sich z. B. um Eingangsrechnungen von Lieferanten handeln, die bereits mit einer Nummer versehen sind, die in die Kreditorenbuchhaltung sowie für die Durchführung des Zahlungsverkehrs übernommen werden (notwendig, damit der Zahlungsempfänger seinerseits den Geldeingang zuordnen kann).

Es stellt sich uns insbesondere die Frage, wozu eine Eigenbelegnummer dienen soll, wenn etwa im Rahmen einer Digitalisierung der Eingangsrechnung (Scannen mit OCR-Erkennung) die Lieferantennummer nebst Fremdbelegnummer und in der Regel zusätzlich das Rechnungsdatum
Verwendung finden.

Eine Eigenbelegnummer müsste ggf. durch manuelle Eingabe auf dem Beleg eingetragen werden, wodurch ein vermeidbares Fehlerrisiko (z. B. Doppelvergabe) entsteht. Hinzu kommt, dass sie beim Einscannen der Belege im Rahmen der OCR-Erkennung nicht oder kaum erkannt
würden und folglich in der Finanzbuchhaltung bzw. Kreditorenbuchhaltung ebenfalls manuell eingegeben werden müssten; Felder hierfür sehen die gängigen Softwaresysteme im Übrigen gar nicht vor.

Das Erfordernis einer Eigenbelegnummer sollte entfallen, es ist als Vollständigkeitsmerkmal nicht tauglich, als Zuordnungsmerkmal nicht erforderlich und führt zu einem deutlich höheren Bürokratieaufwand.

In Tz. 77 werden weitere Angaben gefordert, die aus unserer Sicht problematisch sind.

So ist etwa der Buchungstext häufig aus der Kontenbeschriftung ableitbar (Buchungstext: „ Porto“, wenn das Sachkonto schon so beschriftet ist?).

Die Wertangabe, aus der sich der zu buchende Betrag ergibt, ist nicht ganz eindeutig und wir bitten um Klarstellung, was damit gemeint ist.

Die Tabelle zu Tz. 77 verwendet die Begriffe Belegdatum, Buchungsdatum und Erfassungsdatum kumulativ, all diese Daten sollen zwingend sein zum Nachweis der zeitgerechten Verbuchung.

Der Sinn dieser Forderung erschließt sich nicht. Das Belegdatum ist aus dem Beleg ersichtlich, der mit dem Buchungssatz verknüpft oder diesem zugeordnet ist; wozu diese Angabe noch in den Grundaufzeichnungen oder in dem Journal ersichtlich sein soll erschließt sich wohl kaum aus § 146 Abs. 1 Satz 1 AO. Das Erfassungsdatum ist angesichts heutiger Abläufe in der Buchhaltung mit arbeitsteiligem Vorgehen und Einsatz von Vorsystemen kaum identifizierbar; in einer Abteilung wird die Kreditorennummer erfasst, in der nächsten die Kostenstelle und in der folgenden das Fälligkeitsdatum und die Fremdbelegnummer, bevor schließlich die gesamten Daten in der Finanzbuchhaltung in einem Stapel „verarbeitet“ werden; wann bei solchen durchaus üblichen Abläufen das Datum der „Erfassung“ sein soll kann wohl kaum allgemein festgelegt werden.

Vor allen Dingen jedoch fehlt eine gesetzliche Grundlage für die in Tz. 77 geforderten Angaben. Ein BMF-Schreiben ersetzt diese Grundlage nicht. Vielmehr gebietet es der verfassungsrechtlich normierte Grundsatz der Gewaltenteilung, dass insoweit der Gesetzgeber tätig wird.

Es sollte daher als Eingangssatz heißen:

„Jeder Geschäftsvorfall kann mit folgenden Inhalten belegt werden, …“

In Tz. 78 sind die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und die Steuernummer genannt. Bedeutet dies, dass bei jeder Buchung eine der beiden Nummern anzugeben ist?

Die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder die Steuernummer sind nur Bestandteile der Rechnung oder bei Vorgängen mit Auslandsbezug von Bedeutung. Damit wären diese beiden Angaben bei normalen umsatzsteuerlichen Vorgängen (ohne Auslandsbezug) edv-technisch bisher nicht erfasst worden. Es stellt sich die Frage, ob damit die Voraussetzungen zum Reverse-Charge-Verfahren geschaffen werden.

4.4 Besonderheiten (Tz. 80 bis 81)

Gemäß Tz. 81 Satz 3 beginnt die Aufbewahrungsfrist für den Anschaffungsbeleg erst mit Ablauf der steuerlichen Nutzungsdauer. In der Praxis bedeutet dies, dass etwa bei Gebäuden mit einer 50-jährigen Nutzungsdauer sich einer Aufbewahrungsfrist von weit über 50 Jahren ergeben kann.

Ganz offensichtlich wird das Problem bei Geringwertigen Wirtschaftsgütern und Wirtschaftsgütern, die zu einem Sammelposten zusammengefasst werden dürfen. Diese können durchaus eine Nutzungsdauer von 10 Jahren haben, so dass für im Jahr 00 angeschaffte Wirtschaftsgüter die Aufbewahrungsfrist erst am 1. Januar 2010 beginnen würde und am 31. Dezember 2019 enden würde.

Daher sollte Tz. 81 insoweit wie folgt gefasst werden:

„Die Aufbewahrungsfrist für Anschaffungsbelege bei Wirtschaftsgütern beginnt mit Ablauf des Jahres der Anschaffung und endet nicht vor dem Ende der steuerlichen Abschreibungsdauer.“

8. Unveränderbarkeit, Protokollierung von Änderungen (Tz. 106 bis 111)

Die gesamte Passage widerspricht modernen Buchführungssystemen, weil im Rahmen von Vorerfassungen Belege bereits bearbeitet werden, ohne dass sie verbucht werden.

Eine Buchung wird erst mit ihrer Journalisierung eine Buchung, dieser Zeitpunkt liegt allein in der autonomen Entscheidung des Buchführungspflichtigen.

Die Finanzverwaltung geht in ihrem Entwurf davon aus, dass sämtliche Vorverarbeitungen bereits in den Verarbeitungsprozess eingeführt sind und das eingesetzte DV-Verfahren gewährleisten muss, dass diese Informationen nicht mehr gelöscht oder geändert werden können. Nicht weiter definiert wird jedoch, was „in den Verarbeitungsprozess eingeführt“ konkret bedeutet.

Dieses gilt auch für die in Tz. 109 postulierte Unveränderbarkeit der Daten, denn nach Auffassung der Finanzverwaltung muss sie bereits vom Zeitpunkt der ersten Speicherung an gewährleistet sein und nicht erst nach durchgeführter Verarbeitung. Nicht klar wird, was der in Tz. 109 verwendete Begriff einer „ersten Speicherung“ bedeutet. Hier bitten wir um eine Klarstellung.

Eine zu weit vorverlagerte Festschreibung und daraus resultierend die Unveränderbarkeit hätte eine Vielzahl von Korrekturen zur Folge, die zu erheblichem Mehraufwand führte und damit zu vermeidbarem Bürokratieaufwand.

9.3 Elektronische Erfassung von Papierdokumenten (Scanvorgang) (Tz. 134 bis 139)

In Tz. 134 wird bestimmt, dass auch ein Scanvorgang einer genauen Organisationsanweisung bedarf. So soll festgehalten werden, wer scannen darf, zu welchem Zeitpunkt gescannt wird, welches Schriftgut gescannt wird usw. Diese Erfordernisse sind zu weitreichend und daher inhaltlich abzulehnen.

In Tz. 137 wird gefordert, dass im Anschluss an den Scanvorgang die weitere Bearbeitung nur mit dem elektronischen Dokument erfolgen darf und die Papierbelege im weiteren Bearbeitungsgang zu entziehen sind. Ziel ist es, dass auf den Papierbelegen keine Bemerkungen, Ergänzungen usw. vermerkt werden können, die auf dem elektronischen Dokument nicht enthalten sind.

In der Praxis lässt sich dies nicht umsetzen, weil gerade in mehrteiligen Arbeitsabläufen, etwa durch mehrere Abteilungen in einem Unternehmen, Prüfvermerke, Zahlungsvermerke usw. angebracht werden müssen. Zu denken ist an den praktischen Fall einer Subunternehmerrechnung für ein Bauunternehmen, die im Normalfall Kürzungen, etwa aufgrund von Mängeln oder Mindermaßen, Sicherheitseinbehalten u. ä. erfährt.

Es stellt sich zudem die Frage, was passiert, wenn nicht für Buchungsvorgänge gescannt wird, sondern für andere Zwecke.

Wir regen daher an, dieses Erfordernis fallen zu lassen oder zumindest zuzulassen, dass der mit Vermerken versehene Papierbeleg erneut eingescannt und mit dem Ursprungsbeleg elektronisch verknüpft wird.

10.1 Verfahrensdokumentation (Tz. 150 bis 154)

Hier wird in Tz. 153 gefordert, dass über den Zeitraum der Aufbewahrungsfrist gewährleistet und nachgewiesen wird, dass das in der Dokumentation beschriebene Verfahren dem in der Praxis eingesetzten Verfahren voll entspricht. Dies gilt insbesondere für die eingesetzten Versionen der Programme (Programmidentität). Im letzten Satz dieser Tz. wird gesagt, dass die Aufbewahrungsfrist für die Verwahrungsdokumentation nicht abläuft, soweit und so lange die Aufbewahrungsfrist für die Unterlagen noch nicht abgelaufen ist, zu deren Verständnis sie erforderlich ist.

Dieses Postulat ist nicht praxisgerecht, weil moderne EDV-Systeme häufigen Änderungen unterliegen und eine Migration von Daten erfolgen muss.

So werden in der Praxis etwa Kontenrahmen aktuellen Erfordernissen angepasst und das System der Kostenstellen wird verändert. Im Rahmen dieser Verfahren werden häufig die Stammdaten überschrieben und es stellt sich dann sogleich die Frage, ob hierin ein Verstoß gegen die GoBD zu sehen ist, der imWorst case eine Verwerfung der gesamten Rechnungslegung nach sich zöge.

Ferner werden die Daten in ein Archivsystem überführt, indem die Daten zuvor extrahiert werden. Aus Kostengesichtspunkten geschieht die Archivierung in einem anderen System, das jedoch nur geringere Auswertungsmöglichkeiten bietet. Auch hier stellt sich die Frage, ob hierin
ein GoBD-Verstoß zu sehen wäre.

Vorstehende Fragen stellen sich auch bei Unternehmensumstrukturierungen.

Unseres Erachtens muss bei einer Archivierung der Daten eine Nachprüfbarkeit ausreichen. Nicht jedoch sollten die gleichen Auswertungsmöglichkeiten gefordert werden, wie sie das ursprüngliche System vorsah.

II. Einzelpunkte

Nachstehend listen wir Einzelpunkte auf, die u. E. jedoch nicht so relevant sind wie die vorstehend geschilderten Themenschwerpunkte.

Zu Tz. 19

Hier sollte ein Verweis auf § 239 Abs. 2 HGB erfolgen; ggf. sollte Tz. 19 ganz gestrichen werden.

Zu Tz. 21

In Tz. 21 wird im letzten Satz postuliert, dass sich der Steuerpflichtige darüber zu informieren hat, ob das in seinem Unternehmen eingesetzte EDV-System (Haupt-, Vor- und Nebensysteme) dem GoBD entspricht und die Ordnungsmäßigkeit der Bücher unter sonst erforderlichen
Aufzeichnungen ermöglicht.

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist dieses nicht leistbar. Vielmehr sind diese Steuerpflichtigen darauf angewiesen, sich standardisierter Software zu bedienen, auf deren Ordnungsmäßigkeit sie vertrauen müssen.

Wir regen daher an, den vorletzten Satz wie folgt zu fassen:

„Der Steuerpflichtige hat die Ordnungsmäßigkeit nachvollziehbar sicher zu stellen.“

Zu Tz. 26

Der zweite Halbsatz „… und sonst erforderliche elektronische Aufzeichnungen …“ sollte entfallen, weil diese Forderung zu weitgehend ist.

Diese Tz. hat mit dem GoBD (Ordnungsmäßigkeit) nichts zu tun. Insbesondere sollten die Nennungen der Steueranmeldung bzw. Steuererklärung entfallen.

Zu Tz. 61

Hier wird gesagt, dass der Nachweis der Durchführung der in dem jeweiligen Verfahren vorgesehenen Kontrollen u. a. durch Protokolle sowie durch Verfahrensdokumentation zu erbringen ist. Unklar bleibt, was tatsächlich gefordert ist. Wir bitten daher um eine Klarstellung.

Zu Tz. 65

Der zweitletzte Satz sollte wie folgt gefasst werden:

„Ein Steuerpflichtiger hat durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Geschäftsvorfälle auch ohne Angaben auf den Belegen in angemessener Zeit nachprüfbar sind.“

Zu Tz. 69

Im letzten Satz wird gesagt, dass eine Belegsicherung nicht vorliege, wenn eine manuelle Belegnummerierung von Papierbelegen erst bei einer zeitversetzten Belegerfassung oder Verbuchung erfolgt. Dieser Punkt entspricht nicht mehr modernen Buchführungssystemen und
sollte daher entfallen.

Zu Tz. 95

Wir regen an, im zweiten Satz wie folgt zu formulieren:

„…sofern Personenkonten geführt werden, weil nicht zwingend Personenkonten zu führen sind.“

Zu Tz. 100

Der Begriff „IKS“ ist zu weitgehend und sollte daher durch den Begriff „interne Kontrollen“ ersetzt werden. Der erste Satz sollte wie folgt heißen:

„Für die Einhaltung der Ordnungsvorschriften des § 146 AO hat der Steuerpflichtige Kontrollen einzurichten, in denen die Durchführung nachvollziehbar dargestellt wird.“

Zu Tz. 101

Laut Tz. 101 soll im Rahmen eines funktionsfähigen IKS auch die Programmidentität sichergestellt werden, d. h., es muss anlassbezogen geprüft werden, ob das eingesetzte DV-System auch tatsächlich dem dokumentierten System entspricht.

Dieses Postulat ist praktisch nicht umsetzbar und sollte daher entfallen.

Zu Tz. 118

Gemäß vorletztem Satz sind eingescannte Papierbelege nach Auffassung der Finanzverwaltung nur noch in elektronischer Form aufzubewahren, unabhängig davon, welchen Zweck die Digitalisierung hat. Ein Einscannen eines Belegs hat per se nichts mit der Buchführung zu tun. Hier stellt sich die Frage des Sinns dieser Forderung und vor allen Dingen der rechtlichen Grundlage. Unseres Erachtens stellt diese Forderung zudem eine „Aushebelung“ des § 257 HGB dar.

Die Nutzung eines PC-Programms zum Schreiben von Rechnungen (als Schreibmaschinenersatz) mit anschließendem Papierausdruck soll nach Tz. 118 zur Aufbewahrungspflicht der elektronischen Datei mit Veränderungsverbot führen. Dies dürfte eine zu ausufernde Interpretation der gesetzlichen Regelungen sein. Die beispielsweise mit Word erstellte und als Papierrechnung versandte Ausgangsrechnung ist ein abgesandter Handelsbrief i. S. v. § 147 Abs. 1 Nr. 3 AO; hier ist eine „ Wiedergabe“ aufzubewahren. Es handelt sich aber nicht um eine mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellte Unterlage. Der Einsatz eines EDV-Programms als reines Schreibprogramm stellt keine „Datenverarbeitung“ i. S. d. § 147 Abs. 6 AO dar.

02.09.2013

 

 

 

 

Vorsteuerberichtigung von sog. Umlaufvermögen nach § 15a Abs. 2 UStG

Verfügungen des Bayerischen Landesamts für Steuern

S 7316.2.1-3/5 St33 vom 26.08.2013

Nach § 15a Abs. 2 UStG ist eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nur einmalig zur Erzielung eines Umsatzes verwendet wird, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ändern.

Diese Regelung des § 15a Abs. 2 UStG beruht auf Art. 5 Abs. 12 des Richtlinien-Umsetzungsgesetzes (EURLUmsG) vom 9.12.2004.

1. Anwendung

§ 15a UStG in der Fassung von Art. 5 Nr. 12 EURLUmsG ist zum 1.1. 2005 in Kraft getreten. Die Regelungen sind nur auf Vorsteuerbeträge anzuwenden, deren zugrunde liegende Umsätze i.S.v. § 1 Abs. 1 UStG nach dem 31.12.2004 ausgeführt werden (§ 27 Abs. 11 UStG). Damit scheidet eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG für Wirtschaftsgüter aus, die vor dem 1.1.2005 angeschafft oder hergestellt wurden, selbst wenn die Verwendung im Zeitraum der Neuregelung liegt (vgl. BFH-Urteil vom 12.2.2009, BStBl II S. 76). Gleiches gilt für vor dem 1.1.2005 bezogene Lieferungen und sonstigen Leistungen für Wirtschaftsgüter, die erst nach dem 31.12.2004 fertig gestellt und verwendet werden.

2. Berichtigungsobjekt

Berichtigungsobjekt i.S.d. § 15a Abs. 2 UStG sind Wirtschaftsgüter, die nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet werden. Das sind im Wesentlichen die Wirtschaftsgüter, die ertragsteuerrechtlich Umlaufvermögen darstellen. Ertragsteuerrechtliches Anlagevermögen kann ebenfalls betroffen sein, wenn es veräußert oder entnommen wird, bevor es zu anderen Verwendungsumsätzen gekommen ist (Abschn. 15a.1. Abs. 2 Nr. 2 UStAE).

Zur Feststellung des Berichtigungsobjekts ist jeweils auf den Gegenstandabzustellen. Dies gilt auch dann, wenn mehrere Gegenstände gleicher Art und Güte geliefert wurden. Bei der Lieferung vertretbarer Sachen ist hingegen auf die zwischen leistendem Unternehmer und Leistungsempfänger geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen im Verwendungszeitpunkt abzustellen (vgl. Abschn. 15a.11. Abs. 1 UStAE).

Stellt der Unternehmer Erzeugnisse selbst her, ist Berichtigungsobjekt immer dasfertige Erzeugnis im Zeitpunkt der Verwendung. Alle für die Herstellung notwendigen Vorbezüge – sei es Lieferungen oder Dienstleistungen – gehen in dieses Berichtigungsobjekt ein; eine Vorsteuerberichtigung für diese Vorbezüge wird damit anteilig über die Vorsteuerberichtigung der Endprodukte vorgenommen.

Beispiele aus der Landwirtschaft:

Sachen gleicher Art und Güte; z.B. Viehbestand:
Soweit Tiere individualisierbar sind (z.B. Rinder durch die Eintragung in der „Hit-‚DatenBank“), handelt es sich um einzelne Gegenstände (Abschn. 15a.11. Abs.1 Satz 3 UStAE), selbst wenn Tiere in einer Partie erworben oder verkauft werden. Das gleiche gilt für Schweine, vgl. BFH-Urteil vom 03.11.2011, V R 32/10, BStBl 2012 II S. 525. Damit ist das maßgebliche Berichtigungsobjekt der einzelne Gegenstand, hier das einzelne Tier im Zeitpunkt seiner Verwendung = Verkauf.

Vertretbare Sachen, z.B. für Zwecke des späteren Verkaufs eingelagertes Getreide:
Getreide ist eine vertretbare Sache. Berichtigungsobjekte sind die einzelnen Mengen, wie sie der Landwirt nach den vertraglichen Vereinbarungen im Verwendungszeitpunkt verkauft.

Vertretbare Sachen, z.B. stehende Feldfrüchte (zum Verkauf bestimmter Winterweizen):
Maßgebliches Berichtigungsobjekt ist das Endprodukt, d.h. der später geerntete Weizen. Da es sich um vertretbare Sachen handelt, ist jedes Verkaufsgeschäft als einzelnes Berichtigungsobjekt zu erfassen.

3. Änderung der Verhältnisse

Für die Frage, ob eine Änderung der Verhältnisse vorliegt, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der tatsächlichen Verwendung im Vergleich zum ursprünglichen Vorsteuerabzug entscheidend (vgl. § 15a Abs. 2 S. 1 UStG und Abschn. 15a.2. Abs. 2 UStAE).

Verwendung i.S.v. § 15a UStG ist die tatsächliche Nutzung des Berichtigungsobjekts zur Erzielung von Umsätzen. Als Verwendung sind auch die Veräußerung und die unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b und 9a UStG anzusehen (vgl. Abschn. 15a.2. Abs. 1 UStAE).

Beispiel (Abschn. 15a.5. Abs. 2 UStAE):

Unternehmer U erwirbt am 1. 7. 01 ein Grundstück zum Preis von 2.000.000 €. Der Verkäufer des Grundstücks hat im notariell beurkundeten Kaufvertrag auf die Steuerbefreiung verzichtet (§ 9 Abs. 3 Satz 2 UStG). U möchte das Grundstück unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchstabe a UStG weiterveräußern, so dass er die von ihm geschuldete Umsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG als Vorsteuer abzieht. Am 1. 7. 03 veräußert er das Grundstück entgegen seiner ursprünglichen Planung an eine hoheitlich tätige juristische Person des öffentlichen Rechts, so dass die Veräußerung des Grundstücks nicht nach § 9 Abs. 1 UStG als steuerpflichtig behandelt werden kann und nach § 4 Nr. 9 Buchstabe a UStG steuerfrei ist.

Die tatsächliche steuerfreie Veräußerung schließt nach § 15 Abs. 2 UStG den Vorsteuerabzug aus und führt damit zu einer Änderung der Verhältnisse im Vergleich zu den für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen. Da Grundstück nur einmalig zur Ausführung eines Umsatzes verwendet wird, ist der gesamte ursprüngliche Vorsteuerabzug i.H.v. 380 000 € nach § 15a Abs. 2 UStG im Zeitpunkt der Verwendung für den Besteuerungszeitraum der Veräußerung zu berichtigen. Der Vorsteuerbetrag ist demnach für den Monat Juli 03 zurückzuzahlen (Beispiel 1 aus Abschn. 15a.5. Abs. 2 UStAE).

Eine Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 15a UStG liegt auch beim Wechsel von Besteuerungsformen (von §§ 19, 23, 23a, 24 UStG zur Regelbesteuerung und umgekehrt) vor (vgl. § 15a Abs. 7 UStG; Abschn. 15a.9. UStAE).

Gleiches gilt bei der Überführung eines Wirtschaftsgutes von einem der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegenden Betriebsteils in einen der Regelbesteuerung unterliegenden Betrieb und umgekehrt (sog. Mischbetriebe – § 24 Abs. 3 UStG).

4. Zeitpunkt der Vorsteuerberichtigung

Eine Berichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG ist im Zeitpunkt der tatsächlichen Verwendung durchzuführen, wenn diese von der ursprünglichen Verwendungsabsicht beim Erwerb abweicht (Abschn. 15a.5. Abs. 1 UStAE).

Der Zeitpunkt der tatsächlichen Verwendung ist der Zeitpunkt, an dem mit dem jeweiligen Berichtigungsobjekt ein Umsatz ausgeführt wird, d.h. der Umsatz löst die Vorsteuerberichtigung aus. Dieser Grundsatz gilt auch für Berichtigungen nach § 15a Abs. 7 i.V.m. Abs. 2 UStG.

Beispiel:

Schreiner S stellt eine Küche her. Beim Wechsel der Besteuerungsform (zum 31.12.2007) ist die Küche halbfertig. Die Küche wird nach Fertigstellung im Mai 2008 verkauft. Maßgebendes Berichtigungsobjekt ist die fertige Küche im Zeitpunkt der Verwendung. Die Vorsteuerberichtigung ist grundsätzlich im Voranmeldungszeitraum des Verkaufs (Monat Mai oder zweites Quartal 2008) vorzunehmen, also im Verkaufszeitpunkt. § 44 Abs. 2 ff. UStDV ist zu beachten.

Beispiel:

Wie Beispiel zu Tz. 3, nur erfolgt die tatsächliche steuerfreie Veräußerung erst 18 Jahre nach dem steuerpflichtigen Erwerb des Grundstücks. Das Grundstück ist zwischenzeitlich tatsächlich nicht genutzt worden. Da § 15a Abs. 2 UStG keinen Berichtigungszeitraum vorsieht, muss auch hier die Vorsteuer nach § 15a Abs. 2 UStG berichtigt werden. U hat den Vorsteuerbetrag i.H.v. 380 000 € für den Voranmeldungszeitraum der Veräußerung zurückzuzahlen (Beispiel 2 aus Abschn. 15a.5. Abs. 2 UStAE).

5. Durchführung der Vorsteuerberichtigung

Bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs ist von den gesamten Vorsteuerbeträgen auszugehen, die auf das Berichtigungsobjekt entfallen. Dabei ist ein prozentuales Verhältnis des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zum Vorsteuervolumen insgesamt zu Grunde zu legen (Abschn. 15a.1. Abs. 3 UStAE). Auf das Beispiel 2 der Tz. 9 wird verwiesen.

6. Anwendung der Nichtaufgriffsgrenze von 1.000 €

Eine Vorsteuerberichtigung unterbleibt, wenn die auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallende Vorsteuer 1.000 € nicht übersteigt (§ 44 Abs. 1 UStDV). Nach Abschn. 15a.11. Abs. 1 Satz 2 UStAE ist bei der Prüfung der Betragsgrenze auf den Gegenstand abzustellen. Der Gegenstand entspricht dem in Tz. 2 beschriebenen Berichtigungsobjekt.

Beispiel:

Sachverhalt wie Beispiel in Tz. 4. Vorsteuern auf Herstellungskosten der Küche betragen insgesamt 1.200 €, davon sind 700 € bis zum 31.12.2007 angefallen. Die Nichtaufgriffsgrenze des § 44 Abs. 1 UStDV greift nicht, da die Vorsteuern aus der Summe der Herstellungskosten der Prüfung zu Grunde zu legen sind.

Die zum 1.1.2005 erhöhten Beträge in § 44 UStDV finden nur in Fällen Anwendung, in denen das Wirtschaftsgut nach dem 31.12.2004 angeschafft und hergestellt bzw. die sonstige Leistung bezogen wurde (Tz. 70 des BMF-Schreibens vom 6.12.2005, BStBl I S. 1068).

7. Ermittlung der Berichtigungsbeträge

Das Vorsteuervolumen ist für jedes Berichtigungsobjekt einzeln zu ermitteln. In die Vorsteuerberichtigung sind alle Vorsteuerbeträge einzubeziehen ohne Rücksicht auf besondere ertragsteuerrechtliche Regelungen, z.B. sofort absetzbare Beträge oder Zuschüsse, die der Unternehmer erfolgsneutral behandelt (Abschn. 15a.1. Abs. 4 UStAE).

Grundsätzlich sind die Berichtigungsbeträge anhand der vom Unternehmer zu führenden Aufzeichnungen i.S.d. § 22 Abs. 4 UStG zu ermitteln. In der Regel liegen dem Unternehmer Aufzeichnungen vor, da er diese für das einzelne Berichtigungsobjekt von dem Zeitpunkt an zu führen hat, für den der Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist. Die besondere Aufzeichnungspflicht nach § 22 Abs. 4 UStG entfällt insoweit, als sich die erforderlichen Angaben aus den sonstigen Aufzeichnungen oder der Buchführung des Unternehmers eindeutig und leicht nachprüfbar entnehmen lassen (Abschn. 15a.12. UStAE).

Kleinunternehmer und land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die die Durchschnittssätze nach § 24 UStG anwenden, sind allerdings von den Aufzeichnungspflichten des § 22 Abs. 4 UStG befreit (§§ 65, 67 UStDV). Soweit es um buchführende Betriebe handelt, liegen die für die Vorsteuerberichtigung erforderlichen Unterlagen vor. Ansonsten hat der Unternehmer seine begehrte Berichtigung anhand von Einzelbelegen etc. nachzuweisen.

Eine Vorsteuerberichtigung ist nur vorzunehmen, wenn im Zeitpunkt des Leistungsbezugs die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 UStG vorlagen. Insbesondere muss eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegen und die bezogene Leistung im Zeitpunkt des Leistungsbezugs dem Unternehmen zugeordnet sein (vgl. hierzu Abschn. 15a.1. Abs. 6 UStAE, BFH-Urteil vom 12.10.2006, BStBl II 2007 S. 485). Zum Nachweis der Vorsteuer im Einzelnen vgl. Abschn. 15.11 UStAE. Vorsteuerbeträge, für die diese Voraussetzungen nicht vorliegen, sind von der Berichtigung ausgenommen.

Diese Grundsätze gelten auch, soweit die Berichtigung nach § 15a UStG zu einem erstmaligen Vorsteuerabzug führt, weil der Vorsteuerabzug beim Leistungsbezug nach § 15 Abs. 2 und 3 UStG oder § 19 UStG ausgeschlossen oder mit der Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 UStG abgegolten war (Abschn. 15a.1. Abs. 5 UStAE).

8. Vereinfachungsregelung

Eine vereinfachte Ermittlung des Berichtigungsbetrags ist nur zulässig, wenn eine Einzelermittlung nicht oder nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand möglich ist. Der Berichtigungsbetrag eines selbst hergestellten Erzeugnisses ist dabei immer für das konkrete fertige Erzeugnis als Berichtigungsobjekt zu ermitteln (vgl. Tz. 2). Kommt im Einzelfall eine vereinfachte Ermittlung in Betracht, muss darauf geachtet werden, dass der Berichtigungsbetrag ggf. um Abschläge für die in die Herstellungskosten des Berichtigungsobjekts eingeflossenen Aufwendungen für den Wertverzehr von Anlagegütern (Berichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG) bereinigt wird.

Die Vereinfachungsregelung für den Verkauf der Ernte nach Aufgabe des Betriebs (sog. nachlaufende Ernte) in Abschn. 217 e Abs. 7 UStR 2008 ist überholt, vgl. BMF-Schreiben vom 15.3.2010, BStBl I S. 255, Abschn. 24.1. Abs. 4 S. 3 UStAE.

9. Beispiele:

Beispiel 1:

Unternehmer U ist im Jahr 01 Kleinunternehmer. Er erwirbt im Jahr 01 Waren, die zur Veräußerung bestimmt sind (Umlaufvermögen). Im Jahre 02 findet wegen Überschreitens der Umsatzgrenze die Kleinunternehmerregelung keine Anwendung. Im Jahr 03 liegen die Voraussetzungen der Kleinunternehmerbesteuerung wieder vor und U wendet ab 03 die Kleinunternehmerregelung an. U veräußert die im Jahr 01 erworbenen Waren im Jahr 03.

Lösung:

Weder für das Jahr 02 noch für das Jahr 03 ist eine Vorsteuerberichtigung vorzunehmen (Beispiel ausführlich in Abschn. 15a.9. Abs. 3 UStAE).

Beispiel 2:

Ein Schreiner stellt eine Küche her. Zum 31.12.2007 ist die Küche halbfertig. Die Küche wird nach Fertigstellung im Mai 2008 verkauft. Wegen Überschreitens der Umsatzgrenze kommt die Kleinunternehmerregelung ab 2008 nicht mehr zur Anwendung. Der Unternehmer gibt seine Voranmeldungen vierteljährlich ab.

Dem Schreiner wurden folgende Vorsteuerbeträge in Rechnung gestellt:

auf verwendetes Material bis zum Zeitpunkt

des Wechsels der Besteuerungsform               760,- €

nach Wechsel der Besteuerungsform bis

zum Verkauf                                             1.520,- €

Lösung:

Eine Vorsteuerberichtigung ist wegen des Wechsels von der Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) zur Regelbesteuerung vorzunehmen (§ 15a Abs. 2 i.V.m. Abs. 7 UStG).

Prüfung der Nichtaufgriffsgrenze des § 44 Abs. 1 UStDV):

Da als maßgebliches Berichtigungsobjekt die fertige Küche im Zeitpunkt des Verkaufs anzusehen ist, sind in die Prüfung der Betragsgrenze des § 44 Abs. 1 UStDV die Vorsteuerbeträge aus den gesamten Produktionskosten mit einzubeziehen.

Gesamte Vorsteuer aus den Herstellungskosten            2.280,- €

Damit ist § 44 Abs. 1 UStDV nicht anwendbar.

Feststellung des Berichtigungsbetrags:

Bisher nicht abziehbare Vorsteuern des Jahres 2007        760,- €

bisher in 2008 geltend gemachte Vorsteuer                 1.520,- €

Änderung der Verhältnisse:     33,3% (760 : 2.280)

Berichtigungsbetrag: 33,3 % x 2.280,- € =                     760,- €

Der Schreiner kann die Vorsteuerberichtigung erst in der Jahressteuererklärung 2008 geltend machen (§ 44 Abs. 3 und Abs. 4 S. 1 UStDV).

Beispiel 3:

Landwirt A (§ 24 UStG) erwirbt im Kalenderjahr 2007 in einem Liefervorgang fünf Bullenkälber. Er kauft im Jahr 2007 von einem anderen Landwirt Kraftfutter zu (10.000 € zzgl. USt = 1.070 €). Zum Stichtag 31.12.2007 liegt noch Kraftfutter im Wert von 6.000 € netto auf Lager. Am 20.04.2008 und am 25.04.2008 verkauft der Landwirt diese fünf Mastbullen an einen fleischverarbeitenden Betrieb.

Nach dem Verkauf der Mastbullen ist noch Kraftfutter im Wert von 1.000 € vorhanden, das er wegen einer Betriebsumstellung Ende August 2008 an einen anderen Landwirt verkauft.

Ab dem 01.01.2008 optiert er zur Regelbesteuerung.

Lösung:

Eine Vorsteuerberichtigung ist wegen des Wechsels von der Durchschnittssatzbesteuerung (§ 24 UStG) zur Regelbesteuerung vorzunehmen (§ 15a Abs. 2 i.V.m. Abs. 7 UStG). Das maßgebliche Berichtigungsobjekt ist der einzelne Mastbulle im Zeitpunkt seiner Verwendung = Verkauf. In das Berichtigungsobjekt gehen alle Vorbezüge (hier z.B. das eingekaufte Kraftfutter) ein.

Als „Berichtigungsvolumen“ sind die Vorsteuern zu Grunde zu legen, die auf die gesamten bis zum Verkaufstag aufgelaufenen Produktionskosten bezogen auf jeden einzelnen Bullen entfallen sind. Dieses Berichtigungsvolumen ist auch bei der Prüfung des § 44 Abs. 1 UStDV als maßgeblicher Wert zu Grunde zu legen. Der Veräußerungspreis oder die auf die bis zum Stichtag 31.12.2007 aufgelaufenen Produktionskosten entfallende Vorsteuer sind insoweit unerheblich.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Summe der Vorsteuerbeträge aus den gesamten Produktionskosten (z.B. Anschaffungskosten, Futter, Tierarztkosten) eines jeden einzelnen Mastbullens die 1.000 €-Grenze des § 44 Abs. 1 UStDV nicht übersteigt. Somit kann Landwirt A hinsichtlich der Mastbullen keine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 2 UStG beanspruchen.

Mit dem Verkauf des noch auf Lager befindlichen Kraftfutters wird diese Menge selbst zu einem Endprodukt und damit zu einem selbständigen Berichtigungsobjekt. Die auf die Anschaffungskosten des Restpostens entfallenden Vorsteuern liegen unter 1.000 € (§ 44 Abs. 1 UStDV). Eine Vorsteuerberichtigung unterbleibt.

Beispiel 4:

Unternehmer B gründet im Jahr 2007 ein Handelsgeschäft für Jeans. In diesem Jahr unterliegt er der Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG. Er erwirbt im Jahr 2007 ein Posten von Jeansjacken im Wert von 9.000 € zzgl. USt (= 1.710 €). Die Warenlieferung umfasst 60 Jeansjacken à 150 € + 28.50 € USt. B veräußert – einzeln – 20 Stück der Jeansjacken im Jahr 2007, die restlichen 40 Stück im Jahr 2008.

Im Jahr 2008 muss er wegen Überschreitens der Umsatzgrenze im Jahre 2007 zur Regelbesteuerung übergehen.

Lösung:

Eine Vorsteuerberichtigung ist wegen des Wechsels von der Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) zur Regelbesteuerung vorzunehmen (§ 15a Abs. 2 i.V.m. Abs. 7 UStG).

Als Berichtigungsobjekt ist jede einzelne Jeansjacke anzusehen, weil jede Jacke in einem gesonderten Geschäftsvorgang verkauft wird. Eine Vorsteuerberichtigung entfällt (§ 44 Abs. 1 UStDV).

Keine Diskriminierung ausländischer Unternehmen durch ungarische Sondersteuer für den Einzelhandel

EuGH-Generalanwältin Kokott erkennt in der ungarischen Sondersteuer für den Einzelhandel keine Diskriminierung ausländischer Unternehmen. Möglicherweise verstoße die Sondersteuer jedoch gegen das Mehrwertsteuerrecht der EU.

Zur Deckung des wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise erhöhten Finanzbedarfs hat Ungarn im Jahr 2010 eine Steuer auf bestimmte Einzelhandelstätigkeiten eingeführt. Diese Sondersteuer bemisst sich nach dem Jahresumsatz des Einzelhandlers und fällt ab einem Umsatzvolumen von über 500 Mio. HUF (ca. 1,7 Mio. Euro) an. Der progressiv gestaltete Steuersatz beträgt 0,1 %, 0,4 % oder, ab einem Umsatz von 100 Mrd. HUF (ca. 336 Mio. Euro), 2,5 %. Bei verbundenen Unternehmen, d. h. bei Unternehmen, bei denen das eine beherrschenden Einfluss auf das andere ausübt, richtet sich der Steuersatz nicht nach dem Jahresumsatz des einzelnen Unternehmens, sondern sämtlicher verbundener Unternehmen. Die Steuerschuld des einzelnen Unternehmens ergibt sich sodann entsprechend seinem Anteil am Gesamtumsatz.

Der ungarische Sportartikelhandler Hervis hält diese Steuer für unionsrechtswidrig, weil diskriminierend, und hat daher Klage vor einem ungarischen Gericht erhoben. Er gehört zu einem österreichischen Konzern, der in Ungarn auch im Lebensmittelhandel tätig ist. Da bei der Berechnung seiner Steuerschuld sämtliche Konzernumsätze in Ungarn berücksichtigt wurden, ergab sich für Hervis ein erheblich höherer Steuersatz als wenn nur seine eigenen Umsätze berücksichtigt worden wären. Hervis macht geltend, dass im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels hauptsächlich Unternehmen in ausländischer Hand von einer solchen Zusammenrechnung betroffen seien. Während diese nämlich als Konzern organisiert seien, bedienten sich ungarische Inhaber des Franchise-Modells, bei dem allein der Umsatz jedes einzelnen Franchisenehmers maßgeblich sei. Das ungarische Gericht hat den Gerichthof vor diesem Hintergrund nach der Vereinbarkeit der Sondersteuer mit dem Unionsrecht befragt.

Generalanwältin Juliane Kokott vertritt in ihren Schlussanträgen vom 05.09.2013 die Ansicht, dass die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote und Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungsfreiheit, einer Steuer wie der ungarischen Sondersteuer nicht entgegenstehen.

Die Konzernmutter von Hervis werde – soweit sich das nach den dem Gerichtshof vorliegenden Angaben beurteilen lasse – durch die Erhebung der Sondersteuer in ihrer freien Niederlassung in Ungarn nicht in verbotener Weise beschränkt. Die Regelungen zur ungarischen Sondersteuer enthielten nämlich keine Bestimmung, die Gesellschaften aufgrund ihres ausländischen Sitzes im Hinblick auf ihre Niederlassungsfreiheit offen oder versteckt diskriminiere.

So lasse das für die Besteuerung herangezogene Kriterium der Umsatzhöhe keine versteckte Ungleichbehandlung Gebietsansässiger und Gebietsfremder erkennen. Es sei nämlich nicht evident und nach den vorliegenden Angaben auch nicht ersichtlich, dass in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle Einzelhandelsunternehmen mit hohen Umsätzen von Gebietsfremden und solche mit niedrigen Umsätzen von Gebietsansässigen betrieben würden.

Auch das Unterscheidungskriterium der verbundenen Unternehmen, wonach Umsätze anderer Konzerngesellschaften berücksichtigt wurden, während die Einbindung in ein Franchisesystem irrelevant sei, könne nicht zur Annahme einer versteckten Diskriminierung führen. Es könne dahinstehen, ob insoweit überhaupt eine versteckte Ungleichbehandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Unternehmen vorliege, weil womöglich die Einbindung eines Einzelhandelsunternehmens in eine Konzernstruktur in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle mit einem gebietsfremden Sitz seiner Muttergesellschaft verbunden sei. Jedenfalls befänden sich nämlich nach dem Maßstab der Bemessung der ungarischen Sondersteuer nach dem Umsatz Einzelhandelsunternehmen, die einem Franchisesystem angeschlossen seien, und solche, die in eine Konzernstruktur eingebunden seien, nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation.

Schließlich führe auch das Unterscheidungskriterium der Vertriebsstufe des Umsatzes, d. h. die Besteuerung nur der letzten Vertriebsstufe, nicht zur Annahme einer versteckten Diskriminierung. Auch hier könne dahinstehen, ob insoweit überhaupt eine versteckte Ungleichbehandlung Gebietsfremder gegenüber Gebietsansässigen vorliege, weil womöglich Erstere in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle in Ungarn mit einem Filialsystem agierten, während Letztere als Franchisegeber ein Franchisesystem betrieben. Jedenfalls fehle es nämlich im Hinblick auf die ungarische Regelung an der Vergleichbarkeit der Lage von Unternehmen, die ein Filialsystem betrieben, und Franchisegebern.

Nach Ansicht der Generalanwältin steht auch das unionsrechtliche Verbot der steuerlichen Diskriminierung von Waren, wonach ein Mitgliedstaat auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben erheben darf als gleichartige inländische Waren zu tragen haben, der ungarischen Sondersteuer nicht entgegen. Es sei nämlich nicht erkennbar, dass durch die Sondersteuer Waren aus anderen Mitgliedstaaten stärker belastet würden als inländische Waren.

Generalanwältin Kokott weist jedoch darauf hin, dass die ungarische Sondersteuer möglicherweise gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347, S. 1) verstoße. Danach sei es den Mitgliedstaaten nämlich verboten, Steuern mit Umsatzsteuercharakter zu erheben. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung richte sich dieses Verbot nicht nur gegen nationale Steuern, die die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufwiesen, sondern gegen alle nationalen Steuern, die die wesentlichen Merkmale einer Umsatzsteuer aufwiesen und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beeinträchtigten, indem sie die Wettbewerbsbedingungen auf nationaler Ebene oder auf Unionsebene verfälschten. Die ungarische Sondersteuer erfülle jedenfalls das eigentlich wesensgebende Merkmal einer Umsatzsteuer, nämlich die Bemessung nach dem Preis, selbst wenn sie nach dem Gesamtumsatz eines Jahres bemessen werde. Auch verfälsche sie die Wettbewerbsbedingungen auf nationaler Ebene. Ob die Steuer aber auch allgemein erhoben werde, lasse sich anhand der vorliegenden Informationen nicht beurteilen. Letztlich habe daher das ungarische Gericht zu prüfen, ob die Sondersteuer mit der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar sei.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 05.09.2013 zu den Schlussanträgen in der Rechtssache C-385/12

Vorstoß der Gleichstellungsministerkonferenz zur Abschaffung der Steuerklasse V

Die Mehrheit von 14 der 16 Bundesländer hat sich am 05.09.2013 auf der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister in Magdeburg einer Initiative Schleswig-Holsteins zur Abschaffung der Steuerklasse V angeschlossen. Lediglich Bayern und Sachsen stimmten dem Antrag nicht zu Die Länder fordern die Bundesregierung auf, die Steuerklasse V abzuschaffen und die Steuerklasse III nur noch für solche Paare vorzusehen, bei denen nur eine Person erwerbstätig ist.

Dazu sagte Schleswig-Holsteins Familien- und Gleichstellungsministerin Kristin Alheit: „Ich freue mich sehr über dieses deutliche Zeichen gegen steuerliche Schlechterstellung innerhalb der Ehe, von der nach wie vor typischerweise Frauen negativ betroffen sind. Es passt nicht zu einem zeitgemäßen Rollenverständnis, wenn Einkommensungleichheit von Eheleuten noch verstärkt wird.“

Das geltende Verfahren führe dazu, dass in einer Ehe die Partnerin bzw. der geringer verdienende Partner steuerlich überproportional hoch belastet wird. Dies habe handfeste Nachteile beim Anspruch auf Lohnersatzleistungen wie das Elterngeld oder das Arbeitslosengeld zur Folge, die in der Regel auf Grundlage des zuletzt bezogenen Nettolohns berechnet werden. Ferner bewirke die Steuerklasse V derart negative Anreize im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit von Frauen, dass Frauen zum Teil gar keine Arbeit aufnehmen oder beispielsweise dauerhaft Minijobs nachgehen. Dies hat auch geringere Renten zur Folge. Diesen Zustand nannte Ministerin Alheit gesellschaftlich überholt und inakzeptabel.

„Die deutliche Mehrheit auf der Gleichstellungsministerkonferenz zeigt, dass das die steuerliche Behandlung von Ehepaaren nach der Bundestagswahl in jedem Fall auf die Tagesordnung kommen wird. Dies ist ein überaus positives Ergebnis“, sagte Alheit abschließend.

Quelle: MSGFG Schleswig-Holstein, Pressemitteilung vom 05.09.2013

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin