Erbschaftsteuer: Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung

Erbschaftsteuer: Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung, an einen vertraglich bezugsberechtigten Lebenspartner als Hinterbliebenen sind nicht als Erwerb von Todes wegen steuerbar; die Versorgungsleistungen stammen wirtschaftlich aus dem Vermögen des Arbeitgebers oder aus dem dienst- bzw. arbeitsvertraglichen Deckungsverhältnis. Für den Fall der Leistung aufgrund des vereinbarten Bezugsrechts ist die daneben geregelte Vererblichkeit erbschaftsteuerlich zumindest bei Altverträgen vor 2000 unschädlich, Urteil des 3. Senats vom 31.110.2012, 3 K 24/12, Revision eingelegt, Az. des BFH II R 55/12.

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FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 3 K 24/12
Urteil des Senats vom 31.10.2012
Rechtskraft: Revision eingelegt, Az. des BFH: II R 55/12
Normen: BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1, BetrAVG § § 1 Abs. 2 Nr. 3, BetrAVG § 1b Abs. 2 S. 1 HS 1, ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 4, GG Art. 2, GG Art. 20 Abs. 3

Leitsatz:

1. Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung, hier Direktversicherung, an einen vertraglich bezugsberechtigten Lebenspartner als Hinterbliebenen sind nicht als Erwerb von Todes wegen steuerbar; die Versorgungsleistungen stammen wirtschaftlich aus dem Vermögen des Arbeitgebers oder aus dem dienst- bzw. arbeitsvertraglichen Deckungsverhältnis.

2. Für den Fall der Leistung aufgrund des vereinbarten Bezugsrechts ist die daneben geregelte Vererblichkeit erbschaftsteuerlich zumindest bei Altverträgen vor 2000 unschädlich.
Überschrift: Erbschaft- und Schenkungsteuer: Betriebliche Altersversorgung für Lebenspartner

Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Steuerbarkeit von durch den Kläger als Begünstigtem auf Grund Bezugsrechtseinräumung im Todesfall erhaltenen Versicherungsleistungen aus einer Direktversicherung. Diese Direktversicherung hatte der Arbeitgeber (ArbG) des verstorbenen Lebensgefährten des Klägers für seinen Arbeitnehmer (ArbN), den Lebensgefährten, zu dessen Lebzeiten abgeschlossen.

I.
1. Mit Schreiben vom 01. Januar 1984 bot der ArbG, eine GmbH, dem ArbN auf Grund der Dauer seiner Firmenzugehörigkeit als betriebliche Altersversorgung den Abschluss einer Direktversicherung für ihn bei einer Versicherungsaktiengesellschaft (V-AG) an.
Diesem Schreiben fügte der ArbG eine vorformulierte Vereinbarung über eine entsprechende Entgeltumwandlung bei, die der ArbN unterzeichnete und in der es unter anderem heißt:
„3. Die [ArbG] wird Herrn [ArbN] ein unwiderrufliches Bezugsrecht einräumen. …“
(Finanzgerichtsakte Anlagenband –FG-A Anl-Bd.– Bl. 26).
2. Mit Wirkung ab dem … 1984 schloss der ArbG dementsprechend eine Direktversicherung für den ArbN bei der V-AG unter der Versicherungsnummer -1 (auch: Nr. -2) ab (FG-A Anl-Bd. Bl. 66).
3. Mit Wirkung ab dem … 1990 schloss der ArbG im Einvernehmen mit dem ArbN eine die ursprüngliche Versicherung ergänzende Direktversicherung für den ArbN bei der V-AG unter der Versicherungsnummer -3 (auch: Nr. -4) ab (FG-A Anl-Bd. Bl. 67,
vgl. Bl. 68).
4. Den genannten Versicherungsverträgen (im Folgenden zusammengefasst als: die Direktversicherung) lagen zu Grunde:
a) Der Gruppenversicherungsvertrag Nr. -5 (auch: KL-FG -5) zwischen dem ArbG und der V-AG vom … 1977, in dem es unter anderem heißt:
„§ 8 Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
1. Versicherungsnehmer aller Versicherungen ist die Firma.
Es wird unwiderruflich vereinbart, daß während der Dauer des Dienstverhältnisses eine Übertragung der Versicherungsnehmer-Eigenschaft und eine Abtretung von Rechten aus diesem Vertrag auf den versicherten Arbeitnehmer bis zu dem Zeitpunkt, in dem der versicherte Arbeitnehmer sein 59. Lebensjahr vollendet, insoweit ausgeschlossen ist, als die Beiträge vom Versicherungsnehmer (Firma) entrichtet worden sind.
2. Die versicherte Person ist aus der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall unwiderruflich bezugsberechtigt:
[…]
Für den Todesfall ist die Versicherungsleistung in nachstehender Reihenfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen,
c) die Eltern,
d) die Erben“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 34 ff.).
b) Der Nachtrag Nr. 1 zum Gruppenversicherungsvertrag KL-FG -5 vom … 1981, durch den der Gruppenversicherungsvertrag mit Wirkung vom … 1981 unter anderem wie folgt geändert wurde:
„Paragraph 8
Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
1. Versicherungsnehmer aller Versicherungen ist die Firma. Es wird unwiderruflich vereinbart, daß während der Dauer des Dienstverhältnisses eine Übertragung der Versicherungsnehmer-Eigenschaft und eine Abtretung von Rechten aus diesem Vertrag auf den versicherten Arbeitnehmer bis zu dem Zeitpunkt, in dem der versicherte Arbeitnehmer sein 59. Lebensjahr vollendet, insoweit ausgeschlossen ist, als die Beiträge vom Versicherungsnehmer (Firma) entrichtet worden sind.
Es wird vereinbart, daß, abgesehen von der Einräumung eines nicht übertragbaren und nicht beleihbaren Bezugsrechts an die nach dem Vertrag zu
begünstigenden Personen, die Übertragung der Ansprüche auf die versicherten Leistungen an Dritte – auch in Form von anderen Bezugsrechten – ausgeschlossen ist.
2. Der versicherten Person wird auf die Leistung aus der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt.
Für den Todesfall ist die Versicherungsleistung in nachstehender Rangfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten, mit dem der Versicherte im Zeitpunkt seines Ablebens verheiratet war,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen,
c) die Eltern,
d) die Erben.
Das verfügte Bezugsrecht bezieht sich auch auf die Überschußanteile. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl 43 f.).
c) Der Nachtrag Nr. 2 zum Gruppenversicherungsvertrag KL-FG -5 vom … 1990, durch den der Gruppenversicherungsvertrag mit Wirkung vom … 1990 unter anderem wie folgt geändert wurde:
„§ 7 Versicherungsnehmer, Bezugsberechtigung
[…]
2. Der versicherten Person wird auf die Leistung der auf ihr Leben genommenen Versicherung sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall ein nicht übertragbares und nicht beleihbares unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt.
Im Todesfall ist die Versicherungsleistung, sofern nichts anderes bestimmt ist (Hervorhebung des Gerichts), in nachstehender Rangfolge zu zahlen an:
a) den überlebenden Ehegatten, mit dem die versicherte Person im Zeitpunkt ihres Ablebens verheiratet war,
b) die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder der versicherten Person zu gleichen Teilen,
c) die Eltern der versicherten Person zu gleichen Teilen,
d) die Erben der versicherten Person.
Das verfügte Bezugsrecht bezieht sich auch auf die Überschußanteile. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 45 ff.).
d) Die Allgemeinen Versicherungs-Bedingungen (AVB) für die Firmengruppenversicherung der V-AG, und zwar bis 1987 in der Fassung von 1967 und ab 1987 bis zum Tode des versicherten ArbN in der Fassung von 1987. In den AVB von 1987 heißt es unter anderem:
„§ 13 Wer erhält die Versicherungsleistung?
(1) Die Leistung aus der Versicherung erbringen wir an Sie als unseren Versicherungsnehmer, falls Sie uns keine andere Person benannt haben, die bei Eintritt des Versicherungsfalls die Ansprüche aus der Versicherung erwerben soll (Bezugsberechtigter). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls können Sie das Bezugsrecht jederzeit widerrufen.
(2) Wenn Sie ausdrücklich bestimmen, daß der Bezugsberechtigte die Ansprüche aus der Versicherung unwiderruflich und damit sofort erwerben soll, werden wir Ihnen schriftlich bestätigen, daß der Widerruf des Bezugsrechts ausgeschlossen ist. Sobald Ihnen unsere Bestätigung zugegangen ist, kann das bis zu diesem Zeitpunkt noch widerrufliche Bezugsrecht nur noch mit Zustimmung des von Ihnen Benannten aufgehoben werden.
(3) Sie können Ihre Rechte aus der Versicherung weder abtreten noch verpfänden.
(4) Die Einräumung und der Widerruf eines widerruflichen Bezugsrechts (vgl. Absatz 1) sind uns gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie uns schriftlich angezeigt worden sind. …“
(FG-A Anl-Bd. Bl. 92 ff.).
II.
1. Der Kläger war seit den 1980er Jahren der Lebensgefährte (nicht eingetragener Lebenspartner) des verstorbenen ArbN. Beide unterhielten zwar je eine Wohnung, verbrachten jedoch ihre Freizeit zusammen und fuhren auch gemeinsam in den Urlaub. Dazu hatten sie eine gemeinsame Kasse (Finanzgerichtsakte –FG-A– Bl. 175 ff.).
Im Sommer 2001 erkrankte der ArbN an … Der Kläger betreute und pflegte ihn von da an in dessen Wohnung. Der Kläger erhielt 2001 vom ArbN Generalvollmacht und 2002 zusätzlich Vollmacht für dessen Bankkonto. Im Frühjahr 2002 wurde der ArbN ins Krankenhaus eingeliefert. Auch dort betreute ihn der Kläger täglich (FG-A Bl. 175 ff.).
2. Ebenfalls im Frühjahr 2002 besprach der ArbN die Möglichkeit einer Bezugsrechtsänderung für den Todesfall zu Gunsten des Klägers mit seinem ArbG. Dieser war mit einer solchen Bezugsrechtsänderung einverstanden (FG-A Anl-Bd. Bl. 87).
Mit zwei Schreiben vom 20. Juni 2002 verfügte der ArbN eine widerrufliche Bezugsrechtsänderung für die Todesfallleistung der Direktversicherung zu Gunsten und mit Zustimmung des Klägers gegenüber der V-AG; zugleich im Einverständnis mit seinem ArbG und mit Zustimmung der V-AG, seitens letzterer spätestens nach dortigem Eingang der Schreiben am 26. Juni 2002 (FG-A Anl-Bd. Bl. 33, 34, 87).
Die Schreiben sind bis auf die im Betreff jeweils genannte Versicherungsnummer (-1 bzw. -3) wortgleich und lauten:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit verfüge ich, bis auf Widerruf, die Begünstigung im Todesfall zu Gunsten von:
Herrn [Name des Klägers]
[Adresse des Klägers]
[Geburtsdatum des Klägers]
Ich bitte Sie, mir die Änderung der Begünstigung schriftlich zu bestätigen.
[Name und Unterschrift des ArbN]“
3. Am 25. September 2002 errichtete der ArbN ein handschriftliches Testament und setzte darin den Kläger als seinen Alleinerben ein (Erbschaftsteuerakten –ErbSt-A– Bl. 4).
4. Am … 2003 verstarb der ArbN auf Grund seines … (ErbSt-A Bl. 3).
5. Spätestens zum 30. Januar 2003 zahlte die V-AG an den Kläger als Begünstigten aus der Versicherung Nr. -2 den Betrag von 35.370,00 € und aus der Versicherung Nr. -4 den Betrag von 4.235,98 €, insgesamt also 39.605,98 €, aus (ErbSt-A Bl. 6, 7).
III.
1. Mit Schreiben vom 21. Juli 2003 forderte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf. Am 10. Oktober 2003 gab der Kläger eine solche Erklärung ab, in der er den genannten Betrag in der Anlage Erwerber in der Zeile 28 „Erwerb auf Grund eines Vertrags zu Gunsten Dritter“ aufführte (ErbSt-A Bl. 8, 9 ff.).
2. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 03. November 2003 setzte der Beklagte (das Finanzamt –FA–) eine Erbschaftsteuer in Höhe von 3.077,00 € aufgrund § 3 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) fest (FG-A Anl-Bd. Bl. 2 ff.).
3. Mit Schreiben vom 22. November 2003 legte der Kläger gegen den Erbschaftsteuerbescheid Einspruch ein. Es fehle bei der Direktversicherung bereits an einem für eine Besteuerung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG notwendigen Vertragsschluss des Verstorbenen (FG-A Anl-Bd. Bl. 13).
4. Mit Einspruchsentscheidung vom 02. Januar 2012 (per einfacher Post) wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Der Abschluss der Direktversicherung seitens des ArbG sei Ausfluss aus dem Arbeitsverhältnis des ArbN. Die Bezüge aus der Direktversicherung seien damit auf ein Dienstverhältnis zurückzuführen. Solche Bezüge unterlägen nur dann nicht der Erbschaftsteuer, wenn der Empfänger ein Hinterbliebener sei. Der Einspruchsführer sei jedoch kein Hinterbliebener (FG-A Bl. 51 ff.).
IV.
1. Der Kläger hat am 03. Februar 2012 Klage vor dem Finanzgericht (FG) erhoben und trägt zur Begründung vor (FG-A Bl. 1 ff., 13 ff., 38 ff., 52 ff.):
Die Leistungen aus der Direktversicherung des ArbN seien als Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung an einen Hinterbliebenen nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerbar. Der Hinterbliebenenbegriff sei im Gesetz zur Verbesserung der betriebliche Altersversorgung (BetrAVG) nicht festgeschrieben und könne auch andere Personen als Ehegatten und Kinder umfassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß (FG-A Bl. 1 f.),
den Erbschaftsteuerbescheid vom 03. November 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Januar 2012 aufzuheben.
2. Das FA beantragt (FG-A Bl. 35),
die Klage abzuweisen.
Das FA trägt in Ergänzung seiner Einspruchsentscheidung vor (FG-A Bl. 35 ff., 47 ff.):
Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung seien nur dann nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG steuerbar, wenn Empfänger der Leistungen ein Hinterbliebener im Sinne der hier anwendbaren R. 8 Abs. 2, 3 Erbschaftsteuerrichtlinie (ErbStR) zu § 3 ErbStG sei. Dieser Hinterbliebenenbegriff umfasse keine – im vorliegenden Fall: nicht eingetragenen – Lebenspartner (Lebensgefährten). Ein Lebensgefährte könne kein Hinterbliebener bei einer betrieblichen Altersversorgung in Form einer Direktversicherung sein. Dies ergebe sich auch schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch.
Weiterhin erfülle die Direktversicherung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht die Voraussetzung der Unvererblichkeit nach den jetzt einschlägigen einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) betreffend die betriebliche Altersversorgung.
V.
1. Die Beteiligten haben sich im telefonischen Erörterungstermin am 04. Juli 2012 dahingehend tatsächlich verständigt, dass sie sich über sämtliche Voraussetzungen dafür einig sind, dass es sich bei der Direktversicherung um eine betriebliche Altersversorgung handelt und zwar auch gemäß den einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen BMF-Schreiben vom 31. März 2010 (BStBl 2010 I 270) und vor dem Stichtag 10. Januar 2003 nach den BMF-Schreiben vom 05. August 2002 (BStBl I 2002, 767) und vom 04. Februar 2000 (BStBl I 2000, 354).
Nicht umfasst von dieser tatsächlichen Verständigung sind nur zwei Punkte, und zwar erstens der Hinterbliebenenbegriff im Sinne von R. 8 Abs. 2, 3 ErbStR zu § 3 ErbStG, mit anderen Worten, ob als Hinterbliebener bei einer betrieblichen Altersversorgung in Form der Direktversicherung auch ein – nicht eingetragener – Lebensgefährte gilt.
Zweitens ist die in den vorgenannten einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen Schreiben genannte Voraussetzung der Unvererblichkeit streitig (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 252, BMF-Schreiben vom 05. August
2002, BStBl I 2002, 767, Tz. 148 und BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000, BStBl I 2000, 354), während diese Voraussetzung im koordinierten Ländererlass Schleswig-Holstein vom 02. März 1995 (Juris; Hamburg vom 16. Mai 1995 n. v.) noch nicht enthalten war (FG-A Bl. 181).
2. Beide Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet (FG-A Bl. 181).
3. Das FG hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26. April 2012 (FG-A Bl. 133 ff.) durch schriftliche und mündliche (telefonische) Zeugenerklärung der Personalleiterin des ArbG des verstorbenen ArbN (FG-A Anl-Bd. Bl. 60 ff., FG-A Bl. 166), gemäß Beweisbeschluss vom 19. April 2012 (FG-A Bl. 61 f.) durch schriftliche Zeugenerklärung der Sachbearbeiterin der V-AG (FG-A Anl-Bd. Bl. 32 ff.) und gemäß Beweisbeschluss vom 22. Mai 2012 (FG-A Bl. 150 ff.) durch schriftliche und mündliche (telefonische) Zeugenerklärung des Rechtsabteilungs-Volljuristen der V-AG als sachverständigem Zeugen (FG-A Anl-Bd. Bl. 88 ff.).
4. Das FG hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten teilweise telefonisch am 20. April 2012 (Protokoll FG-A Bl. 117 ff.) sowie telefonisch am 26. April 2012 (Protokoll FG-A Bl. 131 ff.), am 18. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 165 ff.), am 22. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 172 ff.), am 28. Juni 2012 (Protokoll FG-A Bl. 175 ff.) und am 04. Juli 2012 (Protokoll FG-A Bl. 180 ff.) erörtert.
5. Ergänzend wird Bezug genommen auf die genannten Sitzungsprotokolle, die durchgeführten Beweisaufnahmen und die damit zusammenhängenden Unterlagen aus der Finanzgerichts-Akte (FG-A) nebst Anlagenband (FG-A Anl-Bd.) sowie aus der Erbschaftsteuerakte (ErbSt-A).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Erbschaftsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger als Adressaten in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO–).
I.
Die im Streit stehenden Leistungen aus der Direktversicherung des ArbN sind nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG als Erwerb von Todes wegen steuerbar.
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bestimmt, dass jeder Vermögensvorteil, der auf Grund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags bei dessen Tode von einem Dritten unmittelbar erworben wird, als Erwerb von Todes wegen gilt.
1. Nach ihrem Wortlaut könnte letztere Vorschrift auch auf eine Direktversicherung anzuwenden sein, die ein Arbeitgeber zu Gunsten seines Arbeitnehmers auf Grund des bestehenden Arbeitsverhältnisses für diesen abschließt und aus der eine andere Person beim Tode des Arbeitnehmers Leistungen erhält.
2. Den Erwerb von Hinterbliebenenbezügen, die auf einem Arbeits- oder Dienstverhältnis des Erblassers beruhen, hat der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch in ständiger Rechtsprechung von der Steuerpflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG durch teleologische Reduktion der Vorschrift ausgenommen und damit insbesondere den Bezügen der Hinterbliebenen der Beamten gleichgestellt, die mangels eines vom Erblasser geschlossenen Vertrages (sondern Beamtenernennung) schon nicht unter den Wortlaut der Vorschrift fallen (BFH vom 16. Januar 2008 II R 30/06, BFHE 220, 518, BStBl II 2008, 626; vom 24. Mai 2005 II B 40/04, BFH/NV 2005, 1571; vom 15. Juli 1998 II R 80/96, BFH/NV 1999, 311, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst –DStRE– 1999, 401; vom 13. Dezember 1989 II R 23/85, BFHE 159, 228, BStBl II 1990, 322; vom 27. November 1974 II 175/64, BFHE 115, 540, BStBl II 1975, 539).
Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, es könne „bei einer am Gleichheitssatz unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung orientierten Auslegung dieser Vorschrift keinen Unterschied machen, ob die Hinterbliebenenversorgung auf einem Gesetz, einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einer Ruhegeldordnung, einer betrieblichen Übung, auf dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder auf einem Einzelvertrag“ beruhe (BFH vom 20. Mai 1981 II R 11/81, BFHE 133, 426, BStBl II 1981, 715; vom 20. Mai 1981 II R 33/78, BFHE 134, 156, BStBl II 1982, 27).
3. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auch mit den durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gezogenen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung für vereinbar erklärt (BVerfG vom 09. November 1988 1 BvR 234/86, BStBl II 1989, 938; vom 05. Mai 1994 2 BvR 397/90, BStBl II 1994, 547).
4. Unter Beachtung der BFH-Rechtsprechung sind somit Bezüge nicht erbschaftsteuerbar, die eine Person aus einer betrieblichen Altersversorgung als Hinterbliebene erhält.
5. Es handelt sich bei der Direktversicherung um eine betriebliche Altersversorgung.
a) Eine betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG).
Eine betriebliche Altersversorgung kann auch so ausgestaltet sein, dass eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen wird und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind (Direktversicherung, § 1b Abs. 2 Satz 1 HS 1 BetrAVG).
Alleinig entscheidendes Merkmal für die fehlende Erbschaftsteuerbarkeit der betrieblichen Altersversorgung ist, dass die Versorgungsleistungen bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aus dem Vermögen des Arbeitgebers erbracht werden, es sich also beim Deckungsverhältnis der Versorgung um einen Arbeits- oder Dienstvertrag handelt (BFH vom 20. Mai 1981 II R 11/81, BFHE 133, 426, BStBl II 1981, 715; vom 20. Mai 1981 II R 33/78, BFHE 134, 156, BStBl II 1982, 27; Viskorf/Knobel/Schuck, Kommentar zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 3. Auflage 2009, § 3 Rz. 174 ff. m. w. N).
So liegt der Fall hier.
b) Unschädlich für die Beurteilung einer Direktversicherung als betriebliche Altersversorgung ist es, wenn – wie hier – zur Finanzierung der Versicherung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber eine Entgeltumwandlung vereinbart wird (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG; BFH vom 29. Juli 2010 VI R 39/09, BFH/NV 2010, 2296; vgl. auch BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270 Tz. 254 ff.).
c) Ebenfalls unschädlich ist es, wenn – wie hier – die Leistung aus der Direktversicherung nicht in einer Rente, sondern in einer Einmalzahlung besteht (FG Baden-Württemberg vom 23. Februar 2010 11 K 498/07 m. w. N., EFG 2010, 1144).
d) Insbesondere kommt es danach nicht darauf an, dass die betriebliche Altersversorgung unvererblich ist, solange die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts gezahlt werden (unten 6). Die fehlende Erbschaftsteuerbarkeit ist außerdem unabhängig von einer Abgrenzung des Hinterbliebenenkreises, wie er arbeitsrechtlich ausgehandelt ist (unten 7).
6. Davon abgesehen wird eine betriebliche Altersversorgung nicht schon allein deswegen zur bloßen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und verliert nicht dadurch ihren Charakter als Hinterbliebenenversorgung, dass sie vererblich ist.
a) Soweit heute die Finanzverwaltung in den einschlägigen einkommensteuerlichen bzw. lohnsteuerlichen BMF-Schreiben die Auffassung vertritt, Voraussetzung einer betrieblichen Altersversorgung sei die Unvererblichkeit (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 252, BMF-Schreiben vom 05. August 2002, BStBl I 2002, 767, Tz. 148 und BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000, BStBl I 2000, 354), muss nicht entschieden werden, ob diese Ansicht nicht bereits einkommensteuer-rechtlich angreifbar ist.
In der Literatur ist vorgebracht worden, sie entspreche nicht der geltenden Gesetzeslage. Zu den nach §§ 10a, 79 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) steuerlich geförderten Altersvorsorgebeiträgen gehörten gemäß § 82 Abs. 2 EStG auch Beiträge zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung. Die Vorschrift des § 82 Abs. 2 EStG enthalte eine Verweisung auf § 93 EStG. Letztere Norm gehe eindeutig von der Vererblichkeit geförderten Altersvorsorgevermögens aus. Die Auszahlung des Kapitals an die Erben sei gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 EStG möglich, auch wenn dann steuerliche Vorteile entfielen. Weiterhin sei die Auffassung der Finanzverwaltung auch im Hinblick auf Art. 14 GG, der neben dem Eigentum auch das Erbrecht gewährleiste, bedenklich (Hanau/Arteaga/Rieble, Entgeltumwandlung, 2. Auflage 2006, D Rz. 783 m. w. N).
Hier ist die vorliegende Direktversicherung jedoch aus erbschaftsteuerlicher, nicht aus einkommensteuerlicher, Sicht zu beurteilen.
b) Davon abgesehen gilt das jetzige einkommensteuer-rechtliche Kriterium der Unvererblichkeit zumindest nicht für Vertragsschlüsse vor dem BMF-Schreiben vom 04. Februar 2000 (BStBl I 2000, 354).
Gerade die langjährige Bindung von Vereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung erfordert hinsichtlich des Regelungsinhalts Schutz des Vertrauens in die Rechtslage bei Vertragsschluss. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz folgen aus dem Rechtsstaatgebot gemäß Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BFH, Beschluss des Großen Senats vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D IV 2 b bb Juris Rd. 99; zur Anerkennung von Altverträgen durch das BAG – in Abgrenzung zur Durchführung – vgl. unten c cc).
Zur Zeit des Vertragsschlusses der vorliegenden Direktversicherung gab es weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur oder in der Auffassung der Finanzverwaltung ein Kriterium der Unvererblichkeit zur Anerkennung eines Versicherungsvertrages als betriebliche Altersversorgung. Auch im koordinierten Ländererlass Schleswig-Holstein vom 02. März 1995 (Juris; vgl. Hamburg vom 16. Mai 1995 n. v.) war ein solches Kriterium nicht enthalten.
c) Auch arbeitsrechtlich kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bezüglich betrieblicher Altersversorgung und Insolvenzschutz (§§ 7 ff. BetrAVG) für die Einordnung eines Vertrages als betriebliche Altersversorgung, mindestens für Altverträge, nicht darauf an, dass die Leistungen unvererblich sind.
aa) Das BAG ist in seiner Rechtsprechung zum Zeitpunkt des Abschlusses der vorliegenden Direktversicherung davon ausgegangen, dass eine Leistung aus einer betrieblichen Altersversorgung ohne weiteres auch dann vorlag, wenn das Versprochene im Falle des Todes an die Erben auszuzahlen war. Es komme vielmehr darauf an, dass der Versorgungszweck zur Absicherung eines biometrischen Risikos die Leistung und ihre Regelung präge; dazu sei es nicht notwendig, dass eine Zusage ausschließlich dem Versorgungszweck diene, vielmehr könnten einzelne Regelungen ohne Versorgungscharakter die rechtliche Einordnung einer Zusage als betriebliche Altersversorgung nicht beeinflussen (BAG vom 30. Oktober 1980 3 AZR 805/79, BAGE 34, 242; vom 30. September 1986 3 AZR 22/85, BAGE 53, 131).
bb) Diese Ansicht des BAG wird im Übrigen dadurch gestützt, dass insbesondere die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung stets die bei der betrieblichen Altersversorgung bestehende Formenvielfalt betont und Arbeitgebern und Arbeitnehmern einen weitreichenden Gestaltungsspielraum zugestanden hat, der dem Arbeitgeber erlaubt, die Reichweite seiner Zusage nach seinen eigenen betrieblichen Erfordernissen und den bestehenden Versorgungsinteressen zu bestimmen (BAG vom 30. Oktober 1980 3 AZR 805/79, BAGE 34, 242, Gewinnbeteiligung; vom 30. September 1986 3 AZR 22/85, BAGE 53, 131, Kapitalzusage; Bundessozialgericht –BSG– vom 30. Januar 1997 12 RK 17/96, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1997, 1418, Abschluss einer Direktversicherung bei jedem Lebensversicherer; Landesarbeitsgericht –LAG– Hamm vom 22. Juni 2010 9 Sa 1261/09M, Juris, Jeweiligkeitsklausel).
cc) In einer neueren Entscheidung hat das BAG in Kenntnis der einkommensteuerrechtlichen Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 05. August 2002 (BStBl I 2002, 767) seine bisherige Rechtsprechung aufrechterhalten. Maßgeblich ist noch immer der im Vordergrund des Vertrages stehende Versorgungszweck. Dieser entfällt durch eine Vererblichkeit von Leistungen jedenfalls dann nicht, wenn – wie hier – bei der Durchführung des
Vertrages die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts gezahlt werden (BAG vom 18. März 2003 3 AZR 313/02, BAGE 105, 240).
dd) Im vorliegenden Fall hat der Kläger die Leistungen nicht auf Grund Erbrechts sondern als Bezugsberechtigter erhalten (oben A II 5). Die Bezugsberechtigung konnte nach dem Vertrag („sofern nichts anderes bestimmt“, oben A I 4 c) auch nicht einseitig durch den ArbN übertragen werden (vgl. BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 251), sondern wurde mit Zustimmung des ArbG und der V-AG vorgenommen (oben A II 2).
d) Der erkennende Senat weicht mit dieser Qualifizierung als betriebliche Altersversorgung auch nicht von bisheriger finanzgerichtlicher Rechtsprechung ab.
Bis heute ist, soweit ersichtlich, zu dem einkommensteuerlichen Unvererblichkeitskriterium der Finanzverwaltung nur ein Urteil des FG Rheinland-Pfalz ergangen (vom 01. Oktober 2008 1 K 1454/05, Juris). Dort hat das FG im Rahmen der Einkommensteuer 2000 zur Beurteilung einer Vereinbarung vom 24. März 1999 / 08. März 2000 das BMF-Schreiben vom 17. November 2004 (BStBl I 2004, 1065), Tz. 158, herangezogen und eine steuerschädliche Vererblichkeit angenommen, weil in der Vereinbarung die Möglichkeit zur Benennung einer anderen Person als einer Hinterbliebenen eingeräumt war. Der BFH hat dieses Urteil aufgehoben, weil der Kläger nicht mit seinem Vorbringen gehört worden war, dass die Vereinbarung vom 08. März 2000 bereits vor der Verkündung des BMF-Schreibens vom 04. Februar 2000 getroffen worden sei und vor dem genannten BMF-Schreiben eine andere Rechtsauffassung geherrscht habe (BFH vom 29. Juli 2010 VI R 39/09, BFH/NV 2010, 2296).
Ein vorangehendes Urteil des FG Rheinland-Pfalz stellt fest, dass die Vererblichkeit zwar bei Rentenansprüchen ungewöhnlich, dagegen bei Einmalzahlungen aus Lebensversicherungen üblich war (FG Rheinland-Pfalz vom 26. März 1996 2 K 2791/93, EFG 1996, 1103).
7. Davon abgesehen, dass es nach Ansicht des Senats für die Beurteilung der Erbschaftsteuerbarkeit von Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung ohnehin nicht auf die Abgrenzung des Hinterbliebenenkreises ankommt (oben 5 a nebst Hinweis u. a. auf Viskorf/Knobel/Schuck aaO), würde ein auch für die steuerliche Betrachtung maßgeblicher arbeitsrechtlicher Hinterbliebenenbegriff gleichgeschlechtliche Lebensgefährten wie den Kläger einschließen.
a) Das Steuerrecht kennt zwar eine gesetzliche Definition des Angehörigen (§ 15 Abgabenordnung –AO–), nicht jedoch des Hinterbliebenen.
b) Soweit das FA einen besonderen erbschaftsteuerlichen Hinterbliebenenbegriff aus der R. 8 ErbStR zu § 3 ErbStG herleiten will, kann diese Überlegung schon deswegen nicht durchgreifen, weil dort keine Definition des Begriffs allgemein für alle dort behandelten Formen der Hinterbliebenenversorgung systematisch vorangestellt ist.
Vielmehr heißt es in Abs. 1 der Richtlinie:
„Die kraft Gesetzes entstehenden Versorgungsansprüche Hinterbliebener unterliegen nicht der Erbschaftsteuer. Hinterbliebene in diesem Sinne sind nur der
mit dem Erblasser bei dessen Tod rechtsgültig verheiratete Ehegatte oder Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes und die Kinder des Erblassers“ (Hervorhebungen des Gerichts).
Daraus lässt sich nicht ableiten, dass dieser Hinterbliebenenbegriff auch für solche Hinterbliebenenbezüge gelten soll, die auf Tarifvertrag, Betriebsordnung, Betriebsvereinbarung, betrieblicher Übung oder dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Abs. 2) beziehungsweise auf Einzelvertrag (Abs. 3) beruhen. In den Absätzen 2 und 3 der Richtlinie wird der Ausdruck „Hinterbliebener“ ohne eine einschränkende nähere Definition wie im Absatz 1 verwendet.
Aus den Erbschaftsteuerrichtlinien ergibt sich damit gerade keine Eingrenzung des Hinterbliebenenbegriffs für den hier interessierenden Fall der betrieblichen Altersversorgung im Wege einer einzelvertraglich abgeschlossenen Direktversicherung. Dieses Ergebnis entspricht dem Recht der betrieblichen Altersversorgung.
c) Das BetrAVG enthält ebenso wenig wie das Steuerrecht eine gesetzliche Definition des Hinterbliebenenbegriffs. Das Arbeitsrecht sieht vielmehr, wie bereits dargelegt, für den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung vor (oben 6 c bb).
Insbesondere steht es dem Arbeitgeber im Rahmen der Vertragsfreiheit frei, welche Personen er in den Kreis der Versorgungsberechtigten aufnehmen oder gezielt aus ihm ausschließen will, z. B. über Spätehen-, Getrenntlebend- oder Wiederverheiratungsklauseln (BAG vom 28. März 1995 3 AZR 343/94, Der Betrieb –DB– 1995, 1666, Getrenntlebendklausel; vom 26. August 1997 3 AZR 235/96, DB 1998, 1114, Spätehenklausel; vom 19. Dezember 2000 3 AZR 186/00, DB 2001, 2303, Spätehenklausel; vom 19. Februar 2002 3 AZR 99/01, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2002, 2339 Beschränkung auf Begünstigte ab 50 Jahren, Privatrechtliche Gestaltungsfreiheit, s. insb. Juris Rz. 25; vom 18. November 2008 3 AZR 277/07, DB 2009, 294, Privatrechtliche Einschränkung des Hinterbliebenkreises; vom 15. September 2009 3 AZR 797/08, DB 2010, 231, Spätehenklausel auch bei eing. Lebenspartnern; vom 20. April 2010 3 AZR 509/08; BAGE 134, 89, Spätehenklausel; Privatrechtliche Gestaltungsfreiheit, s. insb. Juris Rz. 74 f.; Bundesgerichtshof –BGH– vom 07. Dezember 2005 XII ZB 39/01, Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport –NJW-RR– 2006, 190, Wiederverheiratungsklausel; dagegen LAG Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 1999 11 Sa 786/98, Juris, Ausschluss nichtehelicher Kinder nicht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit gedeckt).
Durch die ständige Rechtsprechung des BAG überholt ist damit eine ältere Entscheidung des Arbeitsgerichts (ArbG) Wiesbaden, das unter den Hinterbliebenen nur Ehefrau und Kinder des verstorbenen Arbeitnehmers unter 18 Jahren verstehen wollte (ArbG Wiesbaden vom 09. Januar 1980 6 Ca 5289/79, Juris).
d) Ebenso überholt ist die einzige bekannte steuerrechtliche Entscheidung des FG Münster zum Hinterbliebenenbegriff. Im Rahmen der hier interessierenden Prüfung der Steuerbarkeit einer betrieblichen Altersversorgung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG hat es den vertraglich begünstigten Bruder des Verstorbenen nicht als
Hinterbliebenen angesehen (FG Münster vom 02. Juni 1987 III 8787/86 Erb, EFG 1987 570).
aa) Zur Begründung hat sich das FG auf das Sozialversicherungsrecht sowie das Beamtenrecht bezogen, die Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung enthielten, welche den Schluss rechtfertigten, dass nach allgemeinem Sprachgebrauch grundsätzlich nur die überlebenden und früheren Ehegatten sowie die Waisen zu rechnen seien. So bestimme die (inzwischen entfallene) Vorschrift des § 1263 Reichsversicherungsordnung (RVO), dass Hinterbliebenenrenten die Witwen-, Witwer-, und Waisenrenten seien, und weist das FG auf andere wortgleiche (ebenfalls inzwischen außer Kraft getretene) Normen hin. Weiterhin hat sich das FG bezogen auf Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und auf das Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG).
Wenn diese Regelungen in bestimmten Fällen ein Sterbegeld für Geschwister vorsehen, sei dies der besondere Zweckbestimmung des Sterbegeldes geschuldet und bilde eine Ausnahme von dem allgemeinen Rechtsgedanken, dass als Hinterbliebene lediglich Witwen, Witwer und Waisen anzusehen seien.
Weiterhin hat das FG ausgeführt, schon der Reichsminister der Finanzen (RdF) habe im Erlass vom 09. Juni 1941 (RStBl 1941, 417) angeordnet, „steuerfrei zu lassen Ruhegehälter und ähnliche Zuwendungen, die ein Erblasser oder Schenker früheren oder noch bei ihm in Dienst befindlichen Angestellten oder Bediensteten oder deren Witwen und Waisen gewährt, soweit die Zuwendungen das Maß eines angemessenen Ruhegehalts nicht übersteigen“. In dem Erlass vom 07. Januar 1942 (DB 1961, 1004) habe der RdF im Anschluss daran hervorgehoben, es entspreche diesem Grundgedanken, den „Erwerb von Ansprüchen auf Ruhegehälter und ähnliche Zuwendungen“ steuerfrei zu lassen, wenn sie „Witwen und Waisen eines früheren Angestellten oder Bediensteten auf Grund eines von ihm geschlossenen Vertrags gegen den Betriebsinhaber oder eine Pensions- oder Unterstützungskasse seines Betriebs zustehen.“
bb) Der Argumentation des FG Münster kann schon deswegen nicht ohne weiteres gefolgt werden, weil sämtliche der zur Begründung herangezogenen Vorschriften inzwischen entweder außer Kraft getreten oder dahingehend geändert worden sind, dass sie jedenfalls den eingetragenen Lebenspartner dem Ehegatten gleichstellen (vgl. § 38 ff. BVG und § 1a BeamtVG).
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Rückgriff des FG auf die geschichtliche Entwicklung des Hinterbliebenenbegriffs in der Finanzverwaltung um 1940 nicht nur wegen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sondern auch wegen der Verfolgung von Homosexuellen im Unrechtsregime des Nationalsozialismus für die Definition des heute gültigen Hinterbliebenenbegriffs keine Hilfestellung geben kann. Auch noch zum Entscheidungszeitpunkt des FG Münster im Jahre 1980 dürften gleichgeschlechtliche Partner als mögliche Hinterbliebene weder im Bewusstsein der Öffentlichkeit noch des FG gewesen sein. Erst 1969 beziehungsweise 1973 war der § 175 Strafgesetzbuch (StGB), der einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, im Hinblick auf das Schutzalter reformiert worden. Endgültig abgeschafft wurde die Vorschrift erst 1994.
Weiterhin ergibt sich aus den Festlegungen des Hinterbliebenenbegriffs in den genannten Normen kein allgemeiner Rechtsgedanke, dass als Hinterbliebene auch in anderen Rechtsgebieten lediglich Ehegatten (bzw. eingetragene Lebenspartner) und Kinder anzusehen seien; zumal der Gesetzgeber im BetrAVG auf eine ausdrückliche Legaldefinition verzichtet hat, obwohl eine solche gesetzestechnisch unproblematisch hätte vorgesehen werden können.
e) Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob oder inwieweit die Entscheidung des FG Münster auch versicherungsrechtlich überholt ist, weil das Landgericht (LG) Mönchengladbach in einer Entscheidung aus dem Jahre 1997 einen sehr weitgehenden Hinterbliebenenbegriff vertreten hat.
Das LG hat eine (bloße) Freundin des Verstorbenen als Hinterbliebene betrachtet. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, „hinterbleiben“ bedeute schlichtes Zurückbleiben. Somit könne jede Person Hinterbliebene sein, die nach dem Tod des Verstorbenen zurückbleibe, auch ohne, dass ein besonderes Näheverhältnis erforderlich sei. Wolle man ein solches verlangen, so genüge jedoch bereits eine enge Freundschaft. Es habe der beklagten Versicherung freigestanden, eine andere, engere Definition des Hinterbliebenenbegriffs im Vertrag festzulegen. Bei Lebensversicherungen gelte insoweit ein anderer Hinterbliebenenbegriff als im Sozialversicherungsrecht (LG Mönchengladbach vom 15. 02. 1996 10 O 407/95, Versicherungsrecht VersR 1997, 478).
f) Aus der Sicht des Erbschaftsteuersenats bleibt für den Hinterbliebenenbegriff die bereits angesprochene Rechtsprechung des BAG zur Gestaltungsfreiheit bei der betrieblichen Altersversorgung maßgeblich (oben c). Danach kann auch ein Lebensgefährte – wie der Kläger – Hinterbliebener sein.
Das BAG ist davon ausgegangen, dass der Kreis der potentiellen Hinterbliebenen nicht auf den Ehegatten und die Kinder des Arbeitnehmers begrenzt ist. Voraussetzung für die Anerkennung der Hinterbliebeneneigenschaft ist, dass dem Arbeitnehmer bezogen auf die begünstigte Person bei typisierender Betrachtung ein Versorgungsinteresse unterstellt werden kann. Dieses typische Versorgungsinteresse hängt nicht mit der Frage einer etwaigen Erbberechtigung zusammen. Will der Arbeitgeber dagegen den Kreis der möglichen Hinterbliebenen beschränken, so steht ihm dies im Rahmen und in den Grenzen der Vertragsfreiheit zu. Entscheidend ist damit vor allem die privatrechtliche Ausgestaltung der Versorgungszusage (BAG vom 18. November 2008 3 AZR 277/07, DB 2009, 294; vom 28. März 1995 3 AZR 343/94, DB 1995, 1666).
g) Insoweit hat auch das FG Rheinland-Pfalz in dem bereits erwähnten (aus anderen Gründen aufgehobenen) Urteil nicht nur Ehegatten und Kinder sondern auch die Lebensgefährtin oder den Lebensgefährten als mögliche Hinterbliebene anerkannt. Der Begriff Lebensgefährte ist danach als Oberbegriff zu verstehen, der auch gleichgeschlechtliche Partner umfasst (FG Rheinland-Pfalz vom 01. Oktober 2008 1 K 1454/05, Juris; vgl. ebenso Wälzholz in Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG/BewG, 3. A., § 3 ErbStG, Rd. 180).
h) Im Ergebnis entspricht die Entscheidung des Senats im Übrigen auch der Auffassung der Finanzverwaltung im einkommensteuerlichen BMF-Schreiben vom 31. März 2010 (BStBl I 2010, 270), wonach eine Hinterbliebenenversorgung im steuerlichen Sinne auch Leistungen an die Lebensgefährtin oder den
Lebensgefährten vorsehen kann. Umfasst sind vom Oberbegriff des Lebensgefährten dabei auch gleichgeschlechtliche Partner. Dies gilt auch dann, wenn es sich nicht um eine Lebenspartnerschaft nach dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (LPartG) handelt. Ist die Partnerschaft nicht eingetragen, wird gemäß dem BMF-Schreiben vom 25. Juli 2002 (BStBl I 2002, 706) die Hinterbliebenenversorgung anerkannt, wenn die Partner in eheähnlicher Gemeinschaft (vgl. § 1353 Abs. 1 BGB, § 2 LPartG) leben – wie hier (oben A II 1, 2, 3, V 1).
II.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
2. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 151, 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer

Einkommensteuer: In dem Verfahren einer Steuerpflichtigen, die zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, hat der 1. Senat mit dem Finanzamt die Ordnungsmäßigkeit ihrer Aufzeichnungen verneint, der Klage jedoch überwiegend stattgegeben, weil er im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis von dem Mittelwert für den Rohgewinnaufschlag der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Er-zeugnisse im Einzelhandel wegen der Besonderheiten ihres Gewerbes gegenüber einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels zugunsten der Klägerin abgewichen ist (85% statt 96%), Urteil vom 18.12.2012, 1 K 172/10, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 1 K 172/10
Urteil des Senats vom 18.12.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, AO 158, AO 162
Leitsatz: Der Betrieb eines Steuerpflichtigen, der nur zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, weicht gegenüber dem in der Richtsatzsammlung erfassten Normalbetrieb des Einzelhandels ab, was im Rahmen der Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts einen Abschlag vom durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag rechtfertigt.
Überschrift: Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Schätzungsbescheiden für die Jahre 2002 bis 2003.
Die Klägerin verkaufte auf Weihnachts-, Oster- und anderen Sondermärkten, überwiegend im A-Einkaufszentrum (A) der Stadt B, auf eigenen Ständen Artikel aus Keramik und Porzellan sowie Dekorationsartikel und Weihnachtsschmuck in der Regel gegen Bargeld. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin nahm sie wie folgt an Veranstaltungen teil:
– im Jahr 2002 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 82 Kalendertagen, davon 54 Kalendertage im A,
– im Jahr 2003 insgesamt 13 Ausstellungen an insgesamt 76 Kalendertagen, davon 41 Kalendertage im A,
– im Jahr 2004 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 69 Kalendertagen, davon 43 Kalendertage im A.
Für die Tätigkeit der Klägerin im A berechnete sich die Standmiete nach den täglichen Nettoumsätzen der Klägerin. Die Klägerin teilte dem A ihre täglichen Nettoumsätze auf sogenannten „Umsatzmeldungen“ mit. In ihren Jahreskalendern (Timer) notierte die Klägerin den Bruttoumsatz des jeweiligen Tages sowie teilweise das jeweilige „Kleingeld/Wechselgeld“. Soweit die Klägerin auf Notizzetteln die anfängliche Summe des Kleingeldes notierte, warf sie diese Zettel teilweise nach Erfassung des Bruttoumsatzes weg.
Der Beklagte erließ erklärungsgemäß Einkommensteuerbescheide …. Den Umsatzsteuererklärungen stimmte der Beklagte zu.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Prüferin zu der Auffassung, die Klägerin führe kein ordnungsmäßiges Kassenbuch. Die Prüferin schätzte unter Berücksichtigung eines Abschlages in Höhe von 5 vom Hundert (v. H.) auf den Wareneinkauf wegen Bruchs/Diebstahls und eines Rohgewinnaufschlages in Höhe von 96 v. H. (Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im
Einzelhandel) Umsätze hinzu. Warenbestandsveränderungen berücksichtigte die Prüferin nicht. Die Prüferin kam danach zu Mehrumsätzen …. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 26.09.2006 verwiesen.
Der Beklagte folgte der Auffassung der Betriebsprüferin und erließ am … geänderte Einkommensteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Einkommensteuer … höher festsetzte. Des Weiteren erließ der Beklagte Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Umsatzsteuer höher festsetzte, sowie erstmalige Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer für 2003 und 2004, in denen er den Gewerbesteuermessbetrag festsetzte.
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 legte die Klägerin am 28.03.2007 Einsprüche ein, gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 sowie die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 am 15.06.2007. Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 13.09.2010 erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, es fehle an einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach. Sie habe jeden Abend „Kassensturz“ gemacht und ihre Umsätze ordnungsgemäß aufgezeichnet. Da die Umsatzmeldungen für das A anerkannt worden seien, seien ihre Unterlagen sachlich richtig. Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach gegeben sein sollte, seien für die Zeiträume der Veranstaltungen im A die hierfür angefertigten Umsatzmeldungen zugrunde zu legen. Die Schätzung des Beklagten sei im Übrigen deshalb fehlerhaft, da er die Besonderheiten ihres Betriebes nicht berücksichtigt habe. Aufgrund der Beschaffenheit ihrer Waren komme ein nicht unerheblicher Teil zu Bruch. Zudem müsse von einer höheren Diebstahlsquote ausgegangen werden, da sie kein Ladengeschäft habe und ihre Ware nur auf offen zugänglichen Ständen von ca. 9 m² Größe anbiete. Wegen ihrer geringen Kosten habe sie die Ware deutlich preiswerter anbieten können. Im Übrigen sei es nicht möglich, die erworbenen Artikel noch im selben Jahr wieder zu verkaufen. Denn die Artikel der Klägerin unterlägen starken Modeschwankungen. Die in ihren Einnahme-Überschussrechnungen dargestellten Warenbestände habe sie in der Weise ermittelt, dass sie nur die Gegenstände gezählt habe, die in dem betreffenden Jahr eingekauft und nicht wieder verkauft worden seien. Für das Jahr 2003 sei in dieser Weise ein Warenbestand in Höhe von … EUR ermittelt worden. Soweit Waren aus Vorjahren noch vorhanden gewesen seien, seien diese in den Warenbeständen nicht enthalten.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 vom 26.03.2007 sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 und Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007, in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Schätzung sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Warenbestände seien im Streitfall unter Berücksichtigung des Mittelwerts der Richtsatzsammlung zu schätzen. Der Beklagte sei nicht gehalten, bei einer groben Verletzung von Aufzeichnungspflichten von dem unteren Wert der Richtsatzsammlung auszugehen, sondern könne auch bis an die obere Grenze gehen.
Auf eine mündliche Verhandlung haben die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.10.2012, bei Gericht eingegangen am 19.10.2012, und der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.11.2012, bei Gericht eingegangen am 13.11.2012, verzichtet.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
II.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Weise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Beklagte zu hohe Einnahmen bzw. Umsätze hinzugeschätzt hat. Die Hinzuschätzung erfolgt nach Maßgabe der Entscheidungsgründe und führt dazu, dass die Einkommensteuer 2002 bis 2004 und die Umsatzsteuer 2004 nicht ganz in dem begehrten Umfang herabgesetzt sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 und 2003 und die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010, aufgehoben werden. Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Die Besteuerungsgrundlagen sind dem Grunde nach zu schätzen.

Das Gericht hat die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 der Abgabenordnung (AO) zugrunde gelegt werden können (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO in Verbindung mit – i. V. m. – § 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Die Klägerin hat Aufzeichnungen nach den Steuergesetzen zu führen. Auch die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG -, die die Klägerin vornahm, setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden. Dabei ergibt sich die Pflicht zur Einzelaufzeichnung aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i. V. m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Die
Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 26.02.2004 XI R 25/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 205, 249, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2004, 599 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. -). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Des Weiteren müssen nach § 63 Abs. 1 UStDV die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.
Die Aufzeichnungen der Klägerin entsprechen nicht der Vorschrift des § 146 AO. Diese Norm gilt auch für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 ff. AO betreffen grundsätzlich jegliche zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen, also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze verpflichtet ist, wie z. B. nach § 22 UStG (BFH-Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452 m. w. N.). Dabei ist bei der Überschussrechnung im Fall von Kasseneinnahmen die Vorschrift des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO als spezielle Aufzeichnungsnorm zu beachten (vergleiche – vgl. – Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146 AO Rz. 30a m. w. N.). Entscheidend ist, dass die für die Besteuerung maßgebenden Vorgänge vollständig erfasst werden und die Einnahmeermittlung nachvollziehbar dokumentiert und überprüfbar ist (Finanzgericht – FG – des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 1816 m. w. N.).
Im Streitfall sind die Aufzeichnungen der Klägerin der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, da die Aufzeichnungen der Klägerin den Vorgaben des § 146 AO nicht genügen. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwar ergibt sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung für Einzelhandelsunternehmer, die im Allgemeinen Waren an ihnen der Person nach nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen, in der Regel nicht die Verpflichtung, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen (BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 372; Bundesministerium der Finanzen – BMF -, Schreiben vom 24.02.2004, IV D 2 – S 0315 – 4/04, BStBl I 2004, 419). Die Kassenaufzeichnungen müssen jedoch so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (vgl. auch BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.; vgl. zu den Anforderungen an die Kassenbuchführung/Kassenaufzeichnungen auch BFH-Urteil vom 20.6.1985 IV R 41/82, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1985, 12 m. w. N.; BFH-Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683; FG des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, EFG 2012, 1816 m. w. N.). Diese sogenannte Kassensturzfähigkeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Es ist nicht möglich, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen. Die Klägerin hat lediglich den Gesamtbruttoumsatz der jeweiligen Tage in ihren Timern aufgezeichnet. Angaben zu Anfangsbeständen in ihrer Kasse sind nur rudimentär – ebenfalls in den Timern, wobei die Klägerin die Beträge als „Kleingeld“ bezeichnete – vorhanden. Nach eigenen Angaben hat die Klägerin Notizzettel, auf
denen Angaben zum Kassenanfangsbestand (dem „Kleingeld“) vorhanden waren, vernichtet.
Der Mangel der Aufzeichnungen der Klägerin ist derart gravierend, dass er den Aufzeichnungen der Klägerin die Ordnungsmäßigkeit nimmt. Mängel in der Kassenaufzeichnung können den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kassenaufzeichnungen wesentlicher Teil der Aufzeichnungen sind, weil der Steuerpflichtige nach der Art seines Unternehmens – wie im Streitfall – vorwiegend Bargeschäfte tätigt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 02.12.2008 X B 69/08, juris, m. w. N.; BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.).
Eine Schätzung scheidet nicht deswegen aus, weil die durch die Fehler der Aufzeichnungen verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden könnten (BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.). Die Fehler der Kassenaufzeichnung können nicht durch anderweitige Ermittlungen zur Höhe der Einnahmen des Betriebs beseitigt werden. Solche Möglichkeiten sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage erkennbar.
2. Das Gericht macht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO Gebrauch. Danach erfolgt die Schätzung anhand der Richtsatzsammlung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebes der Klägerin.
Ziel der Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Die Schätzung muss in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH-Urteil vom 24.6.1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51). Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts, das an die von der Behörde gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden ist und nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis besitzt. Das Gericht ist in der Wahl seiner Schätzungsmethode frei. Schätzungsunsicherheiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226 m. w. N.).
Das Gericht übernimmt zunächst den Abschlag in Höhe von 5 v. H. des Wareneinkaufs für Bruch bzw. Diebstahl. Mangels konkreter Anhaltspunkte ist nicht ersichtlich, dass ein höherer Satz in Betracht kommt.
Sodann ist für die Schätzung von dem Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im Einzelhandel auszugehen (96 v. H.; Richtsatzsammlung 2002, BStBl I 2003, 342). Allerdings weicht das Gericht von dem Mittelsatz ab, da dies aufgrund der besonderen betrieblichen Verhältnisse der Klägerin begründet ist, die nicht durch Entnormalisierungen erfassbar oder ansonsten betragsmäßig feststellbar sind (vgl. auch Nr. 10.2.1 Richtsatzsammlung 2002).
Die Klägerin ist nicht mit einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels vergleichbar. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls ist von dem Mittelwert nach unten abzuweichen. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin ihre Waren mit einem niedrigeren Rohgewinnaufschlag verkaufte, um die Ware preiswerter anzubieten und mehr Kundschaft zu erreichen. Die Klägerin konnte dies tun, da sie im Vergleich zu
einem Normalbetrieb geringere Kosten hat. Die Kostenstruktur der Klägerin weicht von der eines Normalbetriebs erheblich ab. Insbesondere war die Klägerin nicht durchgehend im Jahr in einem eigenen Ladengeschäft tätig, sondern verkaufte – mit Aushilfskräften – nur an wenigen Tagen im Jahr auf Ausstellungen auf einem Stand ihre Waren. Angesichts der Art ihrer Ware – überwiegend Saisonartikel -, die sie auf zeitlich begrenzten Ständen anbot, erscheint es dem Senat zudem nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin gegen Ende der Ausstellungszeiten ihre Ware mit weiteren Preisnachlässen anbot, um die Ware zu verkaufen. Nicht zuletzt erscheint auch die Möglichkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin vermehrt Kunden gegenüberstand, die über den Preis der Ware stärker verhandelten, als es sonst im Einzelhandel verbreitet ist. Danach ist der Rohgewinnaufschlag griffweise in Höhe von 85 v. H. anzusetzen.
Hinzu kommt, dass die Warenbestandsänderungen auch bei der Klägerin zu erfassen sind. Mangels anderer Anhaltspunkte ist für die laufenden Warenbestände von den Beträgen auszugehen, die die Klägerin ermittelt hatte.
3. Ausgehend vom Wareneingang, den die Betriebsprüferin ermittelte, ergeben sich die hinzuzuschätzenden Beträge danach wie folgt:
2002 2003 2004
Wareneingang laufendes Jahr … EUR … EUR … EUR
abzüglich Bruch/Diebstahl (5 v. H.) … EUR … EUR … EUR
zuzüglich Warenbestand am Anfang
des Wirtschaftsjahres
(2002: geschätzt) … EUR … EUR … EUR
abzüglich Warenbestand am Ende
des Wirtschaftsjahres … EUR … EUR … EUR
Wareneinsatz … EUR … EUR … EUR
Rohgewinnaufschlag (85 v. H.) … EUR … EUR … EUR
Umsatz … EUR … EUR … EUR
abzüglich erklärte Verkaufserlöse … EUR … EUR … EUR
Hinzuschätzung … EUR … EUR … EUR
zuzüglich USt (16 v. H.) … EUR … EUR … EUR
4. Danach sind die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 unter Berücksichtigung folgender Gewinne/Verluste der Klägerin bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb zu ändern:

Die Berechnung wird dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 werden aufgehoben. Ein Gewerbesteuermessbetrag wäre allenfalls mit 0 EUR festzusetzen. Der Gewinn 2003 liegt unter dem Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Im Jahr 2004 erzielte die Klägerin einen geringen Verlust.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Wiedereinsetzung gem. § 110 AO 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ausgeschlossen

Die Gewährung von Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gem. § 110 AO ist ausgeschlossen, wenn sich aus dem Tatbestand der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Frist um 3 Tage versäumt worden ist und dann nicht innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung der Wiedereinsetzungsantrag gestellt wird. Der Umstand, dass das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt hat, schließt ein Verschulden insoweit nicht aus.

Erweisen sich die für die Geltendmachung von Betriebsausgaben vorgelegten Rechnungen als Scheinrechnungen, besteht kein Anlass für die Schätzung von Betriebsausgaben, wenn der Steuerpflichtige insoweit keine Angaben zu den Empfängern (hier Subunternehmer oder Hilfsarbeiter) macht, Urteil des 2. Senats vom 10.10.2012, 2 K 130/11, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 130/11
Urteil des Senats vom 10.10.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: AO § 110 Abs. 1, AO § 110 Abs. 2, EStG § 4 Abs. 4
Leitsatz: 1. Die Gewährung von Wiedereinsetzung gem. § 110 AO ist ausgeschlossen, wenn sich aus dem Tatbestand der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Frist um 3 Tage versäumt worden ist und dann nicht innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung der Wiedereinsetzungsantrag gestellt wird. Der Umstand, dass das Finanzamt mit der Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt hat, schließt ein Verschulden insoweit nicht aus.

2. Erweisen sich die für die Geltendmachung von Betriebsausgaben vorgelegten Rechnungen als Scheinrechnungen, besteht kein Anlass für die Schätzung von Betriebsausgaben, wenn der Steuerpflichtige insoweit keine Angaben zu den Empfängern (hier Subunternehmer oder Hilfsarbeiter) macht.
Überschrift: Abgabenordnung/Einkommensteuergesetz: Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist/Keine Schätzung von Betriebsausgaben bei Vorlage von Scheinrechnungen

Tatbestand:

Streitig ist in formeller Hinsicht, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist erfüllt sind. Materiell besteht Streit über die Höhe der Betriebsausgaben.
Der Kläger lebt seit 1989 in Deutschland und ist hier seit 1999 gewerblich tätig. Für die Streitjahre erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 14.272 € (Einnahmen lt. Gewinnermittlung 28.887,90 €, Ausgaben 14.615,87 €) für 2003 und in Höhe von 17.132 € (Einnahmen lt. Gewinnermittlung 64.391,80 €, Ausgaben 47.275,32 €) für 2004. Das seinerzeit zuständige Finanzamt A verzichtete gem. § 156 der Abgabenordnung (AO) auf die Festsetzung von Einkommensteuer. Im Januar 2008 wurde ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger für 2003 eingeleitet und im Juni 2008 auf 2004 erweitert. Aufgrund der Erkenntnisse der Steuerfahndung berücksichtigte der Beklagte mit Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden vom 12.10.2009 für 2003 einen Gewinn von 74.110 € und für 2004 von 84.459 €. Die Bescheide waren an den Kläger persönlich adressiert. Mit beim Beklagten am 15.12.2009 eingegangenem Schriftsatz legitimierte sich der jetzige Verfahrensbevollmächtigte für den Kläger und beantragte Aussetzung der Vollziehung, weil „über die Steuerfestsetzungen für 2003 und 2004“ noch streitig zu verhandeln sein werde und erbat eine Frist für die Sachverhaltsaufklärung bis zum 15.01.2010.

Mit beim Beklagten am 18.01.2010 eingegangenem Schriftsatz vom 12.01.2010 beantragte der Klägervertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfristen. Der Kläger habe sich seit mehreren Jahren von Dipl. Kaufmann B, …, vertreten lassen, ohne zu wissen, dass dieser kein öffentlich bestellter Steuerberater gewesen sei. Dieser habe die buchhalterischen Aufgaben erfüllt und den Kläger auch in allen steuerlichen Angelegenheiten beraten und dabei den Eindruck erweckt, hierzu auch berechtigt zu sein. Diesen habe der Kläger beauftragt, Einsprüche gegen die Bescheide einzulegen. Erst am 15.12.2009 habe der Kläger auf energisches Nachfragen erfahren, dass Einsprüche nicht eingelegt worden seien. In der Sache beantragte der Klägervertreter die Änderung der Bescheide, weil bislang nicht berücksichtigte Betriebsausgaben in Ansatz zu bringen seien. Die von der Steuerfahndung festgestellten Aufträge habe der Kläger nicht alleine ausführen können und hierfür Subunternehmer eingesetzt. Erst jetzt habe der Kläger Rechnungen von Subunternehmern gefunden, die noch zu berücksichtigen seien. Für 2003 berief sich der Kläger auf drei Rechnungen in Höhe von insgesamt 50.112,00 €, für 2004 auf drei Rechnungen in Höhe von insgesamt 48.520 ,00 €.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011 gewährte der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und setzte die Steuer niedriger fest unter Zurückweisung der Einsprüche im Übrigen. Zwar seien die vorgelegten Rechnungen der Firma C als Scheinrechnungen zu qualifizieren, es bestünden aber gewisse Unsicherheiten beim Betriebsausgabenabzug. Für 2004 seien daher weitere Betriebsausgaben in Höhe von 9.000 € zu berücksichtigen. Am 05.07.2011 hat der Kläger Klage erhoben.

Hinsichtlich der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Kläger während des Klageverfahrens am 22.05.2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist beantragt, nachdem im Erörterungstermin vom 25.04.2012 angesprochen worden war, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 18.01.2010 verspätet eingegangen sei. Zur Begründung trägt der klägerische Verfahrensbevollmächtigte vor, er habe davon ausgehen können, dass der Wiedereinsetzungsantrag vom 12.01.2010, der ausweislich des Postausgangsbuchs am 12.01.2010 abgesandt worden sei, innerhalb der gesetzlichen Frist beim Finanzamt eingehen werde. In seinem Büro sei sichergestellt, dass die Post an den Tagen, wie im Posteingangsbuch eingetragen, abgesandt werde.
In der Sache trägt der Klägervertreter vor, die Beauftragung von Subunternehmern sei erforderlich gewesen, weil der Kläger allein das Auftragsvolumen nicht habe bewältigen können. Hiervon gehe ersichtlich auch die Steuerfahndung aus, die Betriebsausgaben von 117.000 € im Zusammenhang mit der Einschaltung des Subunternehmers D anerkannt habe. Die jetzt streitigen Rechnungen des Subunternehmers E seien ebenfalls zum Betriebsausgabenabzug zuzulassen. Zwar seien sie auf inkorrekten Formularen erstellt worden, der C, die 2003 und 2004 nicht existent gewesen sei. Der Kläger habe aber den Kontakt unmittelbar zu E als seinem Subunternehmer gehabt und in gutem Glauben handelnd die Rechnungen akzeptiert, weil E als Geschäftsführer ausgewiesen gewesen sei. Dieser habe den Erhalt der Beträge -insgesamt 98.632 €– auch persönlich bestätigt. Nur weil die ursprünglichen Rechnungen verloren gegangen seien, seien nachträglich die Rechnungen nochmals erstellt worden. Soweit der Beklagte die Authentizität der Unterschriften von E in Zweifel gezogen habe, verkenne er, dass auch die Druckbuchstaben der Unterschrift eine individuelle Zuordnung ermöglichten, auch wenn sie nicht so akkurat ausgeführt worden sei wie die Vergleichsprobe aus den Handelsregisterunterlagen.

Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren habe der Kläger mangels steuerlicher Beratungshilfe die für ihn günstigen Umstände nicht vortragen können. Er habe sich zudem als Ausländer unsicher gefühlt.
Der Kläger beantragt, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist die Einkommensteuerbescheide und die Gewerbesteuermessbescheide für 2003 und 2004, jeweils vom 12.10.2009, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Gewinn aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in 2003 von 56.756 € und in 2004 von 53.243 € berücksichtigt wird.

der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger die geltend gemachten Betriebsausgaben nicht nachgewiesen habe. Während der Vernehmung im Steuerfahndungsverfahren habe der Kläger angegeben, die Namen seiner vier bis fünf Subunternehmer nicht nennen zu können. Erstmals im Einspruchsverfahren habe er sich für die Geltendmachung weiterer Betriebsausgaben auf nunmehr nach diversen Umzügen aufgefundene Eingangsrechnungen der Firma C berufen. Diese Rechnungen seien aber nicht unter ihrem Ausstellungsdatum verfasst worden, denn die C GmbH sei erst später am … 2006 in das Handelsregister eingetragen worden. Dies habe der Kläger damit zu erklären versucht, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer der C GmbH, E, als Einzelunternehmer für ihn tätig geworden sei und ihn getäuscht habe. Insoweit habe der Kläger weder neue Rechnungen von E noch die angekündigte eidesstattliche Versicherung des E vorgelegt. Auch die vorgelegten Quittungen von E seien unzulänglich.

Der Kläger habe zudem das Verlangen nach Empfängerbenennung gem. § 160 der Abgabenordnung (AO) nicht erfüllt. Im Zusammenhang mit E existierten vier Handelsregistereintragungen, die dort hinterlegten Unterschriften von E stimmten nicht mit denen auf den Eingangsrechnungen überein (wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 22.07.2011 und 02.09.2011 Bezug genommen).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird im Übrigen auf die Sitzungsniederschriften über den Erörterungstermin und die Senatssitzung Bezug genommen.
Die den Kläger betreffenden Einkommen- und Gewerbesteuerakten zur Steuernummer …/…/… nebst RB-Akten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Die Klage ist bereits in formeller Hinsicht unbegründet. Es fehlt an der für die Klage erforderlichen Sachurteilsvoraussetzung der Zulässigkeit des Einspruchs. Der Einspruch gegen die angegriffenen Bescheide ist verspätet eingelegt worden, die
Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt.
a) Gem. § 110 Abs. 1 AO kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten; das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen. Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden, § 110 Abs. 2 AO. Die in diesem Verfahren streitigen Bescheide vom 12.10.2009 gelten gem. § 122 AO als am 15.10.2009 bekannt gegeben; die gem. § 355 Abs. 1 AO einen Monat betragende Einspruchsfrist lief damit am Montag, den 16.11.2009 ab (§ 108 Abs. 3 AO). Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist beantragt hat der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 12.01.2010, der am 18.01.2010 beim Beklagten eingegangen ist. Am 18.01.2010 war die Wiedereinsetzungsfrist aber bereits abgelaufen. Diese begann am 15.12.2009 zu laufen, denn an diesem Tage hatten der Kläger und sein Bevollmächtigter erfahren, dass der vormalige Bevollmächtigte des Klägers es versäumt hatte, Einspruch einzulegen. Daraufhin hatte sich der jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers am 15.12.2009 beim Beklagten gemeldet und Aussetzung der Vollstreckung beantragt, weil „über die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuern 2003 und 2004 noch streitig zu verhandeln sein wird“. Zugleich beantragte er „für die genaue Sachverhaltsaufklärung und Darstellung“ eine Frist bis 15.01.2010.
Der Beklagte hat zwar mit der Einspruchsentscheidung das Schreiben vom 15.12.2009 als Einspruch gewertet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Diese Entscheidung bindet das Gericht aber nicht, weil es die Sachurteilsvoraussetzungen, zu denen auch die Rechtzeitigkeit des Einspruchs gehört, von Amts wegen zu prüfen hat. Tatsächlich kann das Schreiben vom 15.12.2009 aber nicht als Einspruch gewertet werden. Es ist von einem mit dem Verfahrensrecht vertrauten Berufsträger verfasst worden und bezieht sich allein auf einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung. Verbunden ist dieser Antrag lediglich mit der Bitte um Einräumung einer Frist für die Sachverhaltsaufklärung und die weitere Darstellung. Dass der Verfahrensbevollmächtigte dieses Schreiben selbst nicht als Einspruch verstanden wissen wollte, zeigt sich daran, dass er erst mit dem am 18.01.2010 eingegangenen Schriftsatz vom 12.01.2010 Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung hat. Selbst wenn in Übereinstimmung mit dem Beklagten das Schreiben vom 15.12.2009 als Einspruch gewertet würde, wären die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht erfüllt, weil innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 2 AO der Antrag nicht begründet und glaubhaft gemacht worden ist.

b) Allerdings kann auch wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (Bundesfinanzhof -BFH– vom 25.01.1989 V B 143/87, BFH/NV 1989, 705; vom 19.08.1992, V B 27792, BFH/NV 1993, 480). Im Streitfall sind die Voraussetzungen hierfür aber nicht erfüllt.
Der klägerische Verfahrensbevollmächtigte hat nach einem Hinweis auf den verspäteten Eingang des Wiedereinsetzungsantrages im Erörterungstermin vom 25.04.2012 am 22.05.2012 einen entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag gestellt unter Hinweis darauf, dass er angesichts der Aufgabe zur Post seines Schriftsatzes vom 12.01.2009 noch am selben Tage mit einem rechtzeitigen Eingang beim Beklagten habe rechnen können. Die Aufgabe zur Post hat er durch Vorlage seines Postausgangsbuchs belegt. Allerdings kann auch insoweit Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn es an einem Verschulden für die Fristversäumnis fehlt und der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt wird (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Der Klägervertreter hat den Wiedereinsetzungsantrag zwar binnen eines Monats nach dem Erörterungstermin gestellt, in dem über die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist gesprochen worden ist. Tatsächlich begann diese Wiedereinsetzungsfrist aber bereits früher zu laufen, und zwar mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 14.06.2011, d. h. am 17.06.2011. Denn im Tatbestand dieser Einspruchsentscheidung heißt es, dass der Wiedereinsetzungsantrag am 18.01.2010 gestellt worden sei.

Das Gericht verkennt nicht, dass es angesichts des Umstandes, dass der Beklagte mit eben dieser Einspruchsentscheidung Wiedereinsetzung gewährt hatte, einer gewissen Umsicht bedurfte, wahrzunehmen, dass die Wiedereinsetzungsfrist versäumt war und die Beantragung von Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist geboten gewesen wäre. Gleichwohl beginnt die Frist zu laufen, wenn der Beteiligte bei sorgfältiger Prüfung die Fristversäumnis hätte erkennen können und müssen (vgl. z. B. BFH v. 18.02.2004 I R 45/03, BFH/NV 2004, 1108; vom 22.08.2006 I R 24/05, BFH/NV 2007, 63). Bei sorgfältiger Lektüre des Tatbestandes der Einspruchsentscheidung hätte ohne weiteres erkannt werden können, dass der Wiedereinsetzungsantrag verspätet eingegangen war. Als mit dem Verfahrensrecht vertrauten Steuerberater hätte der Klägervertreter wissen müssen, dass die -möglicherweise irrige- Gewährung von Wiedereinsetzung in der Einspruchsentscheidung keine Bindungswirkung für das Gericht entfaltet.

II. Die Klage ist aber auch aus materiellen Gründen abzuweisen. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, weitere Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Die angegriffenen Bescheide verletzen den Kläger folglich nicht in seinen Rechten.
Die für die Streitjahre zusätzlich geltend gemachten Betriebsausgaben aus den Rechnungen der C GmbH sind nicht zum Abzug zuzulassen. Das Gericht ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 der Finanzgerichtsordnung -FGO) davon überzeugt, dass es sich um Scheinrechnungen handelt, denen kein Leistungsaustausch zugrunde liegt.

Im Einzelnen gilt Folgendes:
Sämtliche Rechnungen, datierend aus 2003 und 2004, sind unter dem Briefkopf der C GmbH verfasst worden, die erst im Juli 2006 gegründet und am … 2006 in das Handelsregister eingetragen worden ist. Auch die auf zwei Rechnungen mit Datum versehenen Vermerke über den Erhalt des Rechnungsbetrages in bar datieren vom 15.11.2003 und 23.05.2004. Somit handelt es sich bei diesen Rechnungen um Fälschungen bzw. schriftliche Lügen. Die hierzu vom Kläger unterbreitete Erläuterung vermag den Senat nicht zu überzeugen.

Der Kläger hat sich in der Klageschrift darauf berufen, er habe mit E als Subunternehmer kontrahiert, der mit unterschiedlichen GmbH unternehmerisch tätig gewesen sei und der ihm den Erhalt der vereinbarten Entgelte bestätigt habe, allerdings auf unzutreffenden Rechnungsformularen der C GmbH. Er, der Kläger, habe bei Erhalt der Rechnungen nicht wissen können, dass die C GmbH zu diesem Zeitpunkt noch nicht existent gewesen sei und die Rechnungen gutgläubig akzeptiert. Diese Darstellung macht schon deshalb keinen Sinn, weil E 2003 und
2004 noch nicht die in den Rechnungsformularen aufgeführte Handelsregisternummer aus dem Jahr 2006 kennen konnte. Somit kann der Kläger in den Streitjahren diese Rechnungen nicht erhalten haben.
Im Erörterungstermin hat der Kläger dann angegeben, die ursprünglichen Rechnungen seien verloren gegangen. Deshalb habe er E gebeten, die Rechnungen nochmals zu schreiben und die Barzahlung handschriftlich zu quittieren. Diese Rechnungen habe er dann zu seinem Verfahrensbevollmächtigten gebracht. Abgesehen davon, dass es wenig überzeugend ist, dass der „Ersatz“ für verloren gegangene Rechnungen auf dem Briefpapier einer GmbH erfolgt, die es zur Zeit der Ausführung der Arbeiten nicht gab, und die Rechnung keinerlei Hinweis darauf enthält, dass es sich um eine Ersatzrechnung handelt, steht dieser Vortrag auch im Widerspruch zu dem Vorbringen im Rechtsbehelfsverfahren. Hier hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.05.2010 vortragen lassen, seine Buchhaltungsunterlagen seien durch zwei trennungsbedingte Umzüge in 2003 und 2004 an verschiedenen Stellen aufbewahrt worden, deshalb habe er die in Rede stehenden Eingangsrechnungen erst jetzt, d. h. während des Rechtsbehelfsverfahrens, gefunden. Er habe die Eingangsrechnungen abgelegt, weil er sie zunächst als durchlaufende Posten für steuerlich irrelevant angesehen habe.
Darüber hinaus weisen die Rechnungen weitere gravierende Unstimmigkeiten auf, die die Einordnung als Scheinrechnungen bestätigen:

Die Rechnung des Klägers vom 05.01.2004 an F, enthält eine außerordentlich detaillierte Leistungsbeschreibung über Putzarbeiten u. Ä., im Anschriftenfeld wird als Absender aber nicht der Kläger genannt, sondern „Hans Mustermann“ aus Musterstadt, die Zeile für die Bankverbindung ist nicht ausgefüllt, der Ort des Bauvorhabens wird ebenso wenig genannt wie der Zeitraum der Leistungserbringung. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dieser Ausgangsrechnung nicht um eine authentische Rechnung des Klägers, sondern um ein mutmaßlich aus dem Internet heruntergeladenes Rechnungsmuster. Insoweit weisen auch alle anderen Rechnungen des Klägers keine vergleichbar detaillierte Leistungsbeschreibung auf. Die dazu gehörige Eingangsrechnung vom 03.01.2004 schlüsselt die Leistungen nicht annähernd so detailliert auf, Leistungszeitraum und Bauvorhaben werden ebenfalls nicht genannt.
Im Falle der Ausgangsrechnung an die Firma Gerüstbau G datieren Ausgangs-und Eingangsrechnung vom selben Tag, Schreibfehler bei den vermeintlichen Einsatzstellen stimmen in beiden Rechnungen überein: die Straße Juhafenstraße existiert nicht. Ebenso verhält es sich bei der Ausgangsrechnung vom 30.10.2003 und der zugehörigen Eingangsrechnung vom 28.10.2003, hier wird in beiden Rechnungen die nichtexistente Straße Lasseler Damm (möglicherweise gemeint sein dürfte der Y- Damm) genannt. Diese Fehler legen die Annahme nahe, dass die Einsatzorte für die Scheinrechnungen nur abgeschrieben worden sind, ohne dass Leistungen erbracht wurden.
Auch der Umstand, dass sämtliche Rechnungen bar beglichen sein sollen bestärkt die Annahme von Scheinrechnungen. Denn es handelt sich zum Teil um sehr hohe Beträge von über 20.000 €. Zudem sollen ausweislich der mit Datum versehenen Quittungen die Barzahlungen umgehend, noch vor Weiterbelastung der Beträge an die Kunden des Klägers erfolgt sein. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der sehr unterschiedliche Gewinnaufschlag auf die Leistungen der Eingangsrechnungen gegenüber dem Empfänger der Ausgangsrechnung, hier ergibt sich eine Bandbreite von 25 % bis zu 5,7 %. Keine plausible Erklärung gibt es auch dafür, dass der Kläger im Ermittlungsverfahren angegeben hat, Betriebsausgaben nur in Höhe von ca. 2000 € gehabt und vier bis fünf Subunternehmer beschäftigt zu haben, deren Namen er nicht mehr nennen könne. Wenn E tatsächlich die in den streitigen Eingangsrechnungen bezeichneten Leistungen erbracht hätte, ist es nicht vorstellbar, dass sich der Klägerin angesichts des beträchtlichen Leistungsumfanges in den Rechnungen hieran nicht mehr erinnern konnte.
Soweit sich der Kläger schließlich darauf berufen hat, die geltend gemachten zusätzlichen Betriebsausgaben seien in jedem Fall angefallen und zu berücksichtigen, weil er die erzielten Erlöse, beispielsweise aus Gerüstbauarbeiten, unmöglich alleine habe erwirtschaften können, trifft schon diese Prämisse nicht zu. Der Beklagte hat im Einzelnen in der Einspruchsentscheidung dargestellt, dass es dem Kläger durchaus möglich gewesen sein könnte, die Leistungen selbst zu erbringen. Überdies ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Kläger anderer Hilfskräfte bedient hat. Insoweit ist er aber dem Benennungsverlangen des Beklagten gem. § 160 AO nicht nachgekommen, so dass ein weiterer Betriebsausgabenabzug –ggfs. auch auf der Grundlage einer Schätzung– nicht in Betracht kommt.
Nach alledem kommt ein Betriebsausgabenabzug aus den streitigen Rechnungen nicht in Betracht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Finanzgericht schätzt Umsatz und Gewinn aufgrund eigener Schätzungsbefugnis und bestätigt Gewerbesteuerpflichtigkeit

Im Streitfall war die Klägerin als Prostituierte tätig und mietete sich hierfür in einem sog. Laufhaus ein Zimmer. Steuern zahlte sie nicht und gab auch keine Steuererklärungen ab. Als sich im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen wegen Betrugstaten bei ihr Preislisten und Quittungen fanden, schätzte das Finanzamt Umsätze zwischen 170.000 € bis 320.000 € pro Jahr und erließ Steuerbescheide für Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer über mehrere Jahre.

Die Klägerin wandte sich an das Finanzgericht Hamburg. Die Schätzungen seien völlig überhöht, zumal sie nur tageweise gearbeitet habe. Die Klägerin reichte nun Steuererklärungen ein, nach denen sie maximal 17.200 € pro Jahr eingenommen haben wollte. Die Klägerin meinte zudem, als Kleinunternehmerin unterliege sie nicht der Umsatzsteuer und habe auch keine Gewerbesteuern zu zahlen.
Dem ist der 2. Senat in seinem Urteil nicht gefolgt. Trotz ihrer inzwischen eingereichten Steuererklärungen sei die Klägerin zu schätzen, weil sie keine nachvollziehbaren Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben vorgelegt habe. Der 2. Senat ging von 48 Arbeitswochen pro Jahr und Tageseinnahmen von durchschnittlich 500 € aus, die die Klägerin nach den aufgefundenen Quittungen mit ein bis drei Kunden habe erzielen können, und berechnete einen Umsatz der Klägerin von jährlich 120.000 €. Unter Berücksichtigung der Zimmermiete von täglich 120 € und geschätzten weiteren Betriebsausgaben von 5.000 € verblieb ein Gewinn von 85.000 € pro Jahr. Der 2. Senat stellte nach Vernehmung eines Milieubeamten und des Zimmervermieters fest, dass die Klägerin auf eigene Rechnung gearbeitet und in keinem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Das Laufhaus sei kein eigenständiger Bordellbetrieb. Weil die Klägerin selbst in Abrede genommen hatte, Zahlungen an einen Zuhälter abgeführt zu haben, konnte das Gericht auch keine weiteren Betriebsausgaben schätzen.

Mit dem 3. Senat des Bundesfinanzhofs bejahte der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg die Gewerbesteuerpflicht. Eigenprostitution sei ein Gewerbebetrieb, denn die Prostituierten beteiligten sich am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und böten ihre Leistungen am Markt an. Die entgegenstehende Rechtsprechung, die auf einem Urteil des Großen Senats des Bundesfinanzhofs von 1964 beruht, sei überholt. Der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat in seinem Urteil (Az.: 2 K 169/11) die Revision nicht zugelassen. Da die Beschwerdefrist noch läuft, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

Vorsteuerabzug auch bei sogenannter unregelmäßiger Einfuhrumsatzsteuer

In Abkehr von der seit jeher in Deutschland geübten Praxis hat der 5. Senat entschieden, dass eine „Einfuhr für das Unternehmen“ i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraussetzt, dass der den Abzug der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) als Vorsteuer begehrende Unternehmer im Zeitpunkt der Einfuhr die Verfügungsmacht über den eingeführten Gegenstand inne-hat. Auch die gegenüber dem Inhaber eines Zolllagers nach Art. 203, 204 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG wegen zollrechtlicher Pflichtverletzungen festgesetzte sog. unregelmäßige Einfuhrumsatzsteuer kann bei diesem als Vorsteuer abzugsfähig sein.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren u.a. ein Zolllager Typ C. Neben der Lagerung der Waren übernahm sie für ihren Hauptkunden auch die zollrechtliche Abwicklung. Auftragge-ber des Hauptkunden waren überwiegend Unternehmen aus Osteuropa, die die Waren i.d.R. an Abnehmer aus osteuropäischen Staaten weiterverkauften. An das Zolllagerverfah-ren schloss sich jeweils ein Versandverfahren bzw. Verfahren Carnet TIR an. Die Zollan-meldungen erfolgten mittels eines Zolldeklaranten und nicht im Namen und für Rechnung der Klägerin. Eigentum an den von ihr eingelagerten Waren erlangte die Klägerin nicht. Bei einer Prüfung stellte der Zoll Unregelmäßigkeiten fest. Wegen Entziehung von einfuhrabga-bepflichtigen Waren aus der zollamtlichen Überwachung i.S.v. Art 203 Abs. 1 ZK und Ver-letzung von Pflichten aus der Inanspruchnahme des Zolllagerverfahrens i.S.v. Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK erließ das Hauptzollamt (HZA) verschiedene Einfuhrabgabenbescheide, mit denen es u.a. EUSt festsetzte. Die Bescheide ergingen (ausschließlich) an die Klägerin als Schuldnerin der Einfuhrabgaben. Klagen gegen die Einfuhrabgabenbescheide sind z.T. noch anhängig. EUSt entrichtete die Klägerin bislang nur in rechtskräftig durch Urteile fest-gesetzter Höhe.

Mit ihrer Umsatzsteuererklärung und ihrer Klage machte die Klägerin die festgesetzte EUSt als Vorsteuer geltend, deren Anerkennung der Beklagte verwehrte.

Der 5. Senat stellt in seinem Urteil vom 19.12.2012 (5 K 302/09) zunächst fest, das Recht zum Vorsteuerabzug setze entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht voraus, dass die EUSt entrichtet ist. Hinreichend sei, dass sie festgesetzt worden sei, wobei der Senat ausdrücklich offen lässt, ob die EUSt tatsächlich entstanden ist. Soweit § 15 Abs. 1 NR. 2 UStG die Entrichtung der EUSt voraussetze, stehe die Vorschrift nicht im Einklang mit Art. 168 Buchst. e und Art. 178 Buchst. e MwStSystRL und sei daher insoweit nicht an-wendbar. In Abweichung von Abschn. 15.8 Abs. 4 UStAE und von der bisherigen, nach Ansicht des 5. Senats überholten Rechtsprechung kommt er zu dem Ergebnis, bei richtlinien-konformer Anwendung und Auslegung von § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG könne auch ein Zolllagerinhaber zum Vorsteuerabzug von EUSt berechtigt sein. Der Senat stellt heraus, dass die Entstehung der EUSt – anders als für USt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG – nicht durch eine Lieferung der Gegenstände, sondern durch deren Einfuhr ausgelöst werde, nämlich der Verbringung eines Gegenstandes in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr eines Mitgliedstaats der Union. Dieser Vorgang sei unabhängig von der eigentümerähnlichen Verfügungsmacht, wie eine Lieferung sie voraussetze, und von einem entsprechenden Herrschaftswillen des Handelnden. Weil die Gegenstände, für deren Einfuhr die hier streitige Mehrwertsteuer geschuldet werde, für das Unternehmen bzw. für Zwecke der besteuerten Umsätze der Klägerin verwendet worden seien – ohne die eingeführten Gegenstände hätte sie keine Lagerleistungen erbringen können -, gebiete der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer auch bei ihr die Abzugsfähigkeit.
Gegen das Urteil ist Revision eingelegt worden, Az. des BFH V R 8/13.

Verfassungswidrigkeit der Kernbrennstoffsteuer?

Finanzgericht Hamburg legt dem Bundesverfassungsgericht das Kernbrennstoffsteuergesetz zur Überprüfung vor

Die Klägerin wechselte im Juli 2011 in dem vor ihr betriebenen Kraftwerk die Kernbrennstäbe, berechnete pflichtgemäß die Kernbrennstoffsteuer (KernbrSt) und gab beim für sie zuständigen Hauptzollamt eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro ab, wendet sich aber mit ihrer Klage gegen die Steuer.

Aufgrund erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des KernbrStG hatte das FG Hamburg der Klägerin bereits mit Beschluss vom 16.9.2011 (Az. 4 V 133/11) vorläufigen Rechtsschutz gewährt, der allerdings vom Bundesfinanzhof aus formellen Gründen wieder aufgehoben wurde. In weiteren Eilverfahren hat bisher neben dem 4. Senat auch das Finanzgericht München ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der KernbrSt geäußert, wohingegen das Finanzgericht Baden-Württemberg das Gesetz für verfassungsgemäß gehalten hat.

Der Vorlagebeschluss des 4. Senats vom 29.1.2013 (Az. 4 K 270/11) ist bundesweit die ers-te Entscheidung in einem Klageverfahren gegen die im Jahr 2011 als Verbrauchsteuer ein-geführte KernbrSt.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens am 29. Januar 2013 hat der Präsident des Finanzgerichts Hamburg und Vorsitzende des 4. Senats Schoenfeld den Beschluss des Senats verkündet. Aus der mündlichen Begründung:
Der vorlegende Senat sei von der formellen Verfassungswidrigkeit des KernbrStG überzeugt. Der Bund habe die sich aus Art. 105, 106 GG ergebende Gesetzgebungskompetenz für Ver-brauchsteuern nicht in Anspruch nehmen können, weil die KernbrSt weder eine herkömmliche Verbrauchsteuer sei noch die Typusmerkmale einer Verbrauchsteuer erfülle. Prägendes Wesensmerkmal der Verbrauchsteuern sei insbesondere ihr Ziel, den privaten Verbraucher zu belasten. Auch wenn Verbrauchsteuern typischerweise nicht unmittelbar beim Konsumenten erhoben würden, sondern indirekt beim Handel oder bei der Industrie, müssten sie doch darauf angelegt sein, auf den Konsumenten abgewälzt zu werden. Dies sei bei der KernbrSt nicht der Fall. Schon in der Begründung des KernbrStG sei festgehalten worden, dass eine Überwälzung der Steuer allenfalls in geringem Umfang möglich sein werde. Eine Betrachtung des Strommarktes bestätige erwartungsgemäß, dass die KernbrSt auf die Strompreisbildung ohne Einfluss geblieben sei. Wie Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren belegten, werde mit der KernbrSt das Ziel verfolgt, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen. Dem Bund stehe auch im Übrigen keine (alleinige) Gesetzgebungskompetenz zur Einführung der KernbrSt zur Verfügung.

Zur Verfassungsmäßigkeit der KernbrSt im Übrigen – die Klägerin rügt insbesondere noch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die Verletzung der Eigentumsgarantie – hat sich der 4. Senat nicht geäußert; sie wird vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Nor-menkontrollverfahrens von Amts wegen zu prüfen sein. Eine Überprüfung, ob das KernbrStG gegen höherrangiges Europarecht verstößt – etwa gegen Beihilfevorschriften oder den Euratom-Vertrag – hat der 4. Senat zunächst zurückgestellt.
Die schriftliche Begründung des Beschlusses lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Luftverkehrsteuer

Einnahmenbilanz 2012 und Auswirkungen der Einführung auf den Luftverkehr

Das Bundesministerium der Finanzen hat im Juni 2012 erstmals die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einführung der Luftverkehrsteuer auf die Luftfahrtbranche untersuchen lassen. Dazu hat es ein unabhängiges Schweizer Wirtschaftsinstitut mit der Erstellung eines Gutachtens über die Entwicklung im Jahr 2011 beauftragt und dem Bundestag einen zusammenfassenden Bericht vorgelegt. Ergänzend hierzu wurde im Herbst 2012 ein weiteres vom BMF in Auftrag gegebenes Gutachten veröffentlicht, mit dem das erste Halbjahr 2012 bilanziert wurde.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass in den Jahren 2011 und 2012 das Passagieraufkommen an deutschen Flughäfen weiter gestiegen ist. Die Einführung der Luftverkehrsteuer hat aus Sicht der Bundesregierung die Entwicklung der Branche nicht nachhaltig negativ beeinflusst. Auf einen einmaligen und kurzfristigen Dämpfungseffekt der Nachfrage im Jahr 2011 folgte eine von der Steuer weitgehend unbeeinflusste Weiterentwicklung im Jahr 2012.

Die 2012 registrierten Zuwachsdämpfungen haben nach Auffassung des BMF ihre Ursache im aktuell vergleichsweise niedrigen Wirtschaftswachstum im Inland und im europäischen Ausland. Dies verwundert nicht, ist doch die Luftverkehrswirtschaft seit je her wie kaum eine andere Branche von der Entwicklung der Gesamtwirtschaft  abhängig. Insbesondere auf den Luftverkehr im Inland wirkt sich die die derzeit zu beobachtende wirtschaftliche Entwicklung unmittelbar aus.

Die Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer, die im Jahr 2011 vordergründig zur allgemeinen Haushalts­kon­solidierung eingeführt worden ist, liegen sowohl in 2011 mit 959 Millionen Euro als auch in 2012 mit 948 Millionen Euro auf dem erwarteten Niveau von bis zu 1 Milliarde Euro.

NRW-Finanzministerium warnt vor gefälschten E-Mails

Gefälschte Mails im Namen des Finanzministeriums im Umlauf / NRW-Finanzministerium warnt vor gefälschten E-Mails

Das Finanzministerium teilt mit:

Das NRW-Finanzministerium warnt vor irreführenden E-Mails, die vorgeblich vom Finanzministerium versandt wurden. In diesen wird der Empfänger darauf hingewiesen, dass er eine Steuererstattung bekäme, wenn er seine Kreditkarten-Daten hinterlegt.

Im angehängten Link der Mail wird auf eine gefälschte Seite verwiesen, in der dann die Kreditkarten-Daten hinterlegt werden sollen.

Das Finanzministerium weist darauf hin, dass Sie von Seiten der Finanzverwaltung zu keiner Zeit aufgefordert werden, Ihre Konten- oder Kreditkarten-Daten auf einer Website einzugeben.

Weitere Informationen finden Sie unter www.fm.nrw.de

Bei Nachfragen wenden Sie sich bitte an die Pressestelle des Finanzministeriums, Telefon 0211 4972-5004.

Abzuzinsende Bürgschaftsverpflichtung als Maßstab für den nachträgliche AK bildenden Rückgriffsanspruch

Der BFH hat zur Abzinsung von Bürgschaftsverbindlichkeiten Stellung genommen (Az. IX R 34/12).

BFH, Urteil IX R 34/12 vom 20.11.2012

Leitsatz

  1. Wird ein i. S. von § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert an einer Kapitalgesellschaft beteiligter Gesellschafter vom Gläubiger der Kapitalgesellschaft aus einer eigenkapitalersetzenden Bürgschaft in Anspruch genommen und begleicht er seine Schuld vereinbarungsgemäß ratierlich, entstehen nachträgliche Anschaffungskosten (AK) nur in Höhe des Tilgungsanteils (Anschluss an BFH-Urteil vom 26. Januar 1999 VIII R 32/96, BFH/NV 1999, 922).
  2. Eine Teilzahlungsvereinbarung wirkt materiell-rechtlich und damit als rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf den Zeitpunkt des Entstehens des Auflösungsverlusts zurück.

Weitere Entscheidungen des BFH (27.03.2013)

Folgende weitere Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Datum von heute (27.03.2013) veröffentlicht:

– BFH-Urteil vom 23.01.2013 – X R 43/09 (Ermäßigter Höchstbetrag bei Leistungen des Arbeitgebers für den Krankenversicherungsschutz des Arbeitnehmer-Ehegatten – Verfassungsmäßigkeit von § 10 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG i.d.F. vom 05.07.2004 – Kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht);

– BFH-Urteil vom 20.11.2012 – IX R 34/12 (Abzuzinsende Bürgschaftsverpflichtung als Maßstab für den nachträgliche Anschaffungskosten bildenden Rückgriffsanspruch des i.S. von § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert Beteiligten; nachträgliche Teilzahlungsvereinbarung als rückwirkendes Ereignis);

– BFH-Urteil vom 20.11.2012 – IX R 30/12 (Teilverjährung festzustellender Besteuerungsgrundlagen);

– BFH-Urteil vom 17.01.2013 – VI R 32/12 (Rückwirkende Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007);

– BFH-Urteil vom 30.01.2013 – II R 6/12 (Eintritt des Besserungsfalls nach Verkauf eines “Besserungsscheins” zum Verkehrswert ohne schenkungsteuerrechtliche Bedeutung; Verhältnis von vGA und Schenkungsteuer);

– BFH-Urteil vom 23.01.2013 – I R 35/12 (Kein mehrfacher “Sockelbetrag” von 1 Mio. EUR gemäß § 10d Abs. 2 EStG im mehrjährigen Besteuerungszeitraum nach § 11 Abs. 1 KStG – Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung in Insolvenzfällen und sonstigen Liquidationsfällen – “Zwischenveranlagung”);

– BFH-Beschluss vom 02.10.2012 – I S 12/12 (Auslegung – sofortige Beschwerde als Anhörungsrüge);

– BFH-Beschluss vom 28.11.2012 – IV B 11/12 (Nichtzulassungsbeschwerde: Anfechtung einer Einspruchsentscheidung, mit der erstmals ein Steueranspruch als Insolvenzforderung festgestellt wird; Darlegungserfordernisse einer Divergenzrüge; Beginn der Gewerbesteuerpflicht; Ingangsetzung des Gewerbebetriebs bei einer Ein-Schiff-Gesellschaft; gewerblich geprägte Personengesellschaft);

– BFH-Beschluss vom 29.01.2013 – I B 181/12 (Keine Beiladung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bei offensichtlicher Unzulässigkeit);

– BFH-Urteil vom 11.12.2012 – VII R 69/11 (Unterlassungsklage und Feststellungsklage gegen Vollstreckung aus einem Beitreibungsersuchen).

Bundesfinanzhof (BFH)

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin