Arbeitgeber muss sich auch bei Insolvenz an Kündigungsverzicht halten

Arbeitgeber muss sich auch bei Insolvenz an Kündigungsverzicht halten

Kernfrage

Im Rahmen von Tarifvereinbarungen können Arbeitgeber und Belegschaft ihre Rechtsbeziehungen festlegen. Die tarifvertraglichen Vereinbarungen oder die Betriebsvereinbarungen sind bindend und für beide Seiten verpflichtend. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte nunmehr darüber zu befinden, ob eine drohende Insolvenz eine solche verbindliche Vereinbarung außer Kraft setzen kann und zwar insbesondere dann, wenn es eine neue, abweichende tarifliche Vereinbarung gibt.

Sachverhalt

Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter hatten eine Betriebsvereinbarung geschlossen, in der der Arbeitgeber auf betriebsbedingte Kündigungen und die Arbeitnehmer im Gegenzug auf Weihnachtsgeld verzichteten. Aufgrund der sich weiter verschlechternden wirtschaftlichen Umstände und damit einer drohenden Insolvenz des Unternehmens, kam es trotz des Verzichts auf betriebsbedingte Kündigung zur Vereinbarung eines Sozialplans mit der Arbeitnehmervertretung und zu betriebsbedingten Kündigungen. Dagegen erhoben die betroffenen Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf urteilte zugunsten der Arbeitnehmer. Denn der vereinbarte Kündigungsverzicht wirke individualvertraglich, so dass auch der im Nachhinein abgeschlossene Sozialplan diese Individualabrede nicht außer Kraft setzen konnte. Hinzu kam, dass die drohende Insolvenz auch keinen Grund eröffnete, die betroffenen Arbeitsverhältnisse aus wichtigem Grund betriebsbedingt kündigen zu können.

Konsequenz

Hervorzuheben ist die individualvertragliche Wirkung des Kündigungsverzichts. Diese individuelle Wirkung kann dann auch durch eine andere, kollektivrechtlich wirkende Vereinbarung nicht mehr durchbrochen werden. Dass die drohende Insolvenz kein außerordentliches Kündigungsrecht eröffnet, entspricht allgemeinen Regelungen. Beispielsweise ist auch ein befristetes Mietverhältnis nicht wegen Insolvenz des Vermieters kündbar, es sei denn, es ist ausdrücklich geregelt.

Wann beginnt die Frist für den Widerspruch gegen einen Betriebsübergang?

Wann beginnt die Frist für den Widerspruch gegen einen Betriebsübergang?

Rechtslage

Kommt es zu einem Betriebsübergang, sind die Arbeitnehmer hierüber detailliert schriftlich zu unterrichten. Erst das ordnungsgemäße Informationsschreiben löst die Widerspruchsfrist zugunsten des Arbeitsnehmers aus, innerhalb derer er sich erklären muss, ob er dem Übergang zustimmt oder widerspricht und beim alten Arbeitgeber verbleibt. Dabei gilt, dass überhaupt erst eine vollständige und ordnungsgemäße Belehrung die Widerspruchsfrist in Gang setzt. Ist das Informationsschreiben unzutreffend, besteht also noch nach langer Zeit die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht und zum alten Arbeitgeber zurückkehrt.

Sachverhalt

Das Arbeitsverhältnis des Klägers war auf einen Betriebserwerber übergegangen. Der Kläger hatte dem Übergang zunächst nicht widersprochen und für den neuen Arbeitgeber gearbeitet. Als es nach 6 Monaten zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Arbeitgeber durch Auflösungsvertrag kam, widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses und verlangte Weiterbeschäftigung vom ehemaligen Arbeitgeber. Zur Begründung verwies der Kläger auf ein, seiner Ansicht nach unzutreffendes, Informationsschreiben. Der ehemalige Arbeitgeber wandte ein, das Informationsschreiben sei ordnungsgemäß gewesen; im Übrigen habe der Arbeitnehmer durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags sein Widerspruchsrecht verwirkt.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Arbeitgeber Recht. Sein Informationsschreiben habe den gesetzlichen Anforderungen hierzu genügt, so dass es die Widerspruchsfrist wirksam in Gang setzen konnte. Maßgeblich für die Fristberechnung für den zulässigen Widerspruch sei daher der Zugang des Informationsschreibens.

Konsequenz

Die Entscheidung überrascht nicht, sondern folgt den gesetzlichen Anordnungen zum Betriebsübergang. Überraschend ist eher, dass das Bundesarbeitsgericht ein Informationsschreiben als den gesetzlichen Anforderungen genügend ansieht. Aus Beratersicht ist bedauerlich, dass die Frage der Verwirkungsmöglichkeit des Widerspruchs durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags nicht weiter thematisiert werden musste.

Auslegung von Abfindungsbestimmungen in GmbH-Satzungen

Auslegung von Abfindungsbestimmungen in GmbH-Satzungen

Rechtslage

Eine gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkung ist nichtig, wenn sie bereits bei ihrer Einführung grob unbillig ist, weil der Wert des Anteils den Abfindungsbetrag erheblich übersteigt. War der Wert ursprünglich angemessen und ist das Missverhältnis erst aufgrund der positiven Entwicklung der Gesellschaft entstanden, nimmt der Bundesgerichtshof (BGH) die notwendige Anpassung der Abfindungsklausel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Gesellschafter eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleich behandelnde Regelung wollten.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 1994 Gesellschafter und später auch Geschäftsführer der beklagten GmbH. In einer Gesellschafterversammlung im Jahr 2007 wurde beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer abzuberufen, seinen Geschäftsführeranstellungsvertrag zu kündigen und seinen Geschäftsanteil unter Berufung auf die Regelungen des Gesellschaftsvertrages einzuziehen. Die Parteien stritten anschließend um die Höhe der Abfindung des Klägers. Die Beklagte beruft sich insofern auf eine Vorschrift ihres Gesellschaftsvertrags, wonach die Abfindung – soweit gesetzlich zulässig – anteilig am nominellen Eigenkapital berechnet wird. Der Kläger hält eine andere Vorschrift des Gesellschaftsvertrags für einschlägig, wonach sich die Abfindung nach dem gemeinen Wert seines Anteils bemisst. Nach zunächst erfolgloser Klage hob der BGH das unterinstanzliche Urteil nun auf und lässt die Sache erneut entscheiden.

Entscheidung

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten ist dahingehend auszulegen, dass die Regelung Anwendung findet, nach der die Abfindung nach dem Verkehrswert bemessen sein soll. Die Bestimmung ist nicht nur als Auffangtatbestand für den Fall konzipiert, dass sich die Abfindung nach dem Nominalwert von Anfang an als unzulässig erweist. Vielmehr soll sie eine Berechnungsmöglichkeit auch für die Fälle bieten, in denen aufgrund positiver Geschäftsentwicklung die Abfindung zum Nominalwert mit der Zeit in gesetzeswidriger Weise unangemessen wird. Es ist davon auszugehen, dass die Gesellschafter eine für die Dauer wirksame und die Gesellschafter gleich behandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben. Entsprechend müssen die Vorschriften als einheitliche Bestimmung verstanden werden, die als Gesamtregelung rechtlich unbedenklich ist.

Konsequenz

Abfindungsklauseln dienen der Einschränkung des Kapitalabflusses und der Vereinfachung der Berechnung der Abfindungshöhe. Dieses Urteil zeigt erneut, dass die Klauseln in der Praxis sehr streitanfällig sind und daher äußerst sorgfältig auszuarbeiten sind.

Abtretungsanzeige ist unwirksam bei fehlenden Angaben zum Grund

Abtretungsanzeige ist unwirksam bei fehlenden Angaben zum Grund

Kernaussage

Der amtliche Vordruck zur Abtretungsanzeige von Steuererstattungsansprüchen ist irreführend. In der Rubrik „Grund der Abtretung/Verpfändung“ besteht lediglich die Auswahl zwischen „Sicherungsabtretung“ oder „Freizeile“. Fälschlicherweise entsteht der Eindruck, dass bei Ankreuzen des Feldes „Sicherungsabtretung“ keine weiteren Angaben erforderlich sind. Das ist jedoch unrichtig und die Abtretungsanzeige ist unwirksam.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Geschäftszweck u. a. mit der Übernahme von Forderungen, Rechten und Sicherungsgütern zum Zwecke der Verwertung umschrieben ist. Im Jahr 2006 ging beim beklagten Finanzamt eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck ein, wonach der Klägerin ein Teilbetrag aus den Umsatzsteuererstattungsansprüchen einer anderen GmbH abgetreten sein sollte. Unter „Grund der Abtretung“ wurde das Feld „Sicherungsabtretung“ angekreuzt. Weitere Angaben zum Grund wurden nicht gemacht. Auf den Antrag der Klägerin auf Auszahlung des Erstattungsbetrags erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid und stellte fest, dass die Klägerin keinen Anspruch habe. Die Abtretung sei nichtig, denn zum geschäftsmäßigen Erwerb und Einziehung abgetretener Steuererstattungsansprüche seien nur Unternehmen befugt, die Bankgeschäfte betreiben dürften. Die Klage über die Wirksamkeit der Abtretung blieb erfolglos.

Entscheidung

Die Abtretung von Steuererstattungsansprüchen hat durch formalisierte Abtretungsanzeige gegenüber dem Finanzamt unter Angabe des Grundes zu erfolgen. Durch diesen Hinweis soll dem Finanzamt die Prüfung ermöglicht werden, ob es sich bei der Abtretung um einen geschäftsmäßigen Erwerb handelt, was grundsätzlich unzulässig ist. Fehlen diese Angaben, leidet die Abtretungsanzeige unter einem Formmangel und ist unwirksam. Sofern das Feld „Sicherungsabtretung“ auf dem Formular angekreuzt wurde, ist dies nicht ausreichend. Die Wirksamkeit der Abtretung kann auch nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet werden. Zwar erweckt die Gestaltung des amtlichen Vordruckes den Eindruck, dass durch Ankreuzen des Feldes „Sicherungsabtretung“ die erforderlichen Angaben zum Abtretungsgrund gemacht sind, dieser Irrtum ist aufgrund bereits ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung indes vermeidbar.

Konsequenz

Mit der vorliegenden Entscheidung ist die Finanzverwaltung aufgefordert, den amtlichen Vordruck in entsprechender Weise zu ändern und klarzustellen, dass unabhängig von einer Sicherungsabtretung stets Angaben zum Abtretungsgrund zu machen sind.

Sofortige Steuereinziehung zum Zeitpunkt der Sitzverlegung ist unverhältnismäßig

Sofortige Steuereinziehung zum Zeitpunkt der Sitzverlegung ist unverhältnismäßig

Rechtslage

Bevor eine Kapitalgesellschaft durch Sitzverlegung als Steuersubjekt aus dem deutschen Staatsgebiet ausscheidet, sollen die stillen Reserven der Besteuerung zugeführt werden. Die so genannte Wegszugsbesteuerung, die eine sofortige Festsetzung und eine sofortige Steuerzahlungspflicht vorsieht, ist ein Problemfeld der grenzüberschreitenden Gewinnrealisierung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied im Falle einer niederländischen Gesellschaft, dass eine sofortige Festsetzung zwar gerechtfertigt ist; die sofortige Einziehung der Steuer ist hingegen unverhältnismäßig und nicht mit Unionsrecht vereinbar.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine niederländische Gesellschaft und Inhaberin einer Forderung in Pfund Sterling. Nach Steigerung des Pfund-Kurses gegenüber dem niederländischen Gulden war ein nicht realisierter Kursgewinn bei dieser Forderung entstanden. Im Jahr 2000 verlegte die Klägerin ihren Verwaltungssitz nach Großbritannien. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Ländern verliert der Wegzugsstaat sein Besteuerungsrecht. Die niederländischen Steuervorschriften sehen somit eine Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt des Wegzugs vor. Entsprechend erstellte die niederländische Steuerbehörde eine Schlussrechnung und forderte die Klägerin zur sofortigen Zahlung auf. Mit der hiergegen gerichteten Klage wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit gerügt. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens wurde diese Frage dem EuGH vorgelegt.

Entscheidung

Der EuGH bestätigte, dass sich die Klägerin auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Durch die Wegzugsbesteuerung wird eine Gesellschaft bei Verlegung des Sitzes über die Grenze anders behandelt als eine Gesellschaft bei Sitzverlegung innerhalb des Mitgliedstaates. Diese unterschiedliche Behandlung stellt grundsätzlich eine verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Legitimes Ziel ist jedoch, dem Herkunftsstaat das Recht zur Besteuerung des Wertzuwachses zuzuweisen, der innerhalb seiner Steuerhoheit erzielt wurde. Die sofortige Festsetzung ist verhältnismäßig. Unverhältnismäßig ist allerdings die sofortige Einziehung der Steuer. Der wegziehenden Gesellschaft muss ein Wahlrecht zwischen sofortiger Besteuerung oder Aufschiebung der Zahlung bis zur Realisierung der stillen Reserven eingeräumt werden.

Konsequenz

Das Urteil erlangt auch für deutsche Gesellschaften Bedeutung. Sofern die Finanzverwaltung bei Wegzug eine sofortige Festsetzung und Steuerzahlung für die stillen Reserven anordnet, ist gegen diese Entscheidung unter Verweis auf das Urteil des EuGH vorzugehen.

Elterngeld als Einkommensersatzleistung ist verfassungsgemäß

Elterngeld als Einkommensersatzleistung ist verfassungsgemäß

Kernaussage

Die Ausgestaltung des Elterngelds als Einkommensersatzleistung ist verfassungsgemäß. Sie verstößt weder gegen den grundgesetzlich verankerten allgemeinen Gleichheitssatz, noch gegen das Grundrecht auf Förderung der Familie.

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin widmet sich der Erziehung ihrer 5 Kinder, während ihr Mann erwerbstätig ist. Für das 2007 geborene Kind wurde ihr Elterngeld in Höhe des Mindestbetrags von 300 EUR gezahlt. Hierzu vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, dass das Elterngeld durch seine Ausgestaltung als Entgeltersatzleistung Eltern benachteilige, die vor der Geburt kein Erwerbseinkommen hatten. Ihre Klage auf Elterngeld in Höhe des Maximalbetrags von 1.800 EUR blieb vor dem Bundessozialgericht erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht hat die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidung

Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Die Differenzierung in der Höhe des Elterngelds ist gerechtfertigt, da der Gesetzgeber bei jüngeren Berufstätigen spezifische Hindernisse bei der Familiengründung erkannte und hier Anreize setzte. Für eine Rechtfertigung spricht auch, dass auch Eltern ohne vorgeburtliches Einkommen einen gewissen Betrag erhalten. Außerdem war die Gestaltung des Elterngelds im Hinblick auf den aus dem Gleichheitssatz folgenden Auftrag des Gesetzgebers, die Gleichbehandlung der Geschlechter durchzusetzen, gerechtfertigt. Denn auch Väter nehmen durch das Elterngeld verstärkt Erziehungsverantwortung war. Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Förderung der Familie vor. Zwar ist das Grundrecht in seiner Schutz- und Förderdimension berührt. Allerdings liegt eine Rechtfertigung vor. Der Gesetzgeber verfolgt den legitimen Zweck, eine Hinauszögerung des Kinderwunsches aufgrund finanzieller Unsicherheiten infolge des Einkommenswegfalls zu verhindern. Dabei hat der Gesetzgeber seinen ihm im Rahmen der Familienförderung zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten.

Konsequenz

Das Elterngeld bleibt weiterhin von Gesetzes wegen als Einkommensersatz ausgestaltet. Es beträgt mindestens 300 EUR, maximal 1.800 EUR je Monat und wird für maximal 12 (bzw. 14) Monate gezahlt. Die Berechnung erfolgt anhand des laufenden durchschnittlichen monatlichen Nettogehalts des Elternteils, der nach der Geburt des Kindes nicht voll erwerbsfähig ist.

Innergemeinschaftliche Lieferung: Rechnungsstellung und Steuerfreiheit

Innergemeinschaftliche Lieferung: Rechnungsstellung und Steuerfreiheit

Rechtslage

Innergemeinschaftliche Lieferungen sind steuerfrei, wenn die liefernden Unternehmer im Besitz der nötigen Beleg- und Buchnachweise sind. Zu den Buchnachweisen gehört auch das Doppel der Ausgangsrechnung. In dieser ist auf die Steuerfreiheit hinzuweisen. Fehlte dieser Hinweis, galt das in der Praxis bisher als unproblematisch. Ein Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) hat dies nun geändert.

Sachverhalt

Der Kläger lieferte Gebrauchtwagen nach Italien. Er behandelte die Lieferungen als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Die Rechnungsstellung erfolgte entsprechend ohne Umsatzsteuer, ein Hinweis auf die Steuerfreiheit unterblieb allerdings. Eine Kontrollmitteilung der italienischen Finanzverwaltung ergab, dass der Empfänger der Kraftfahrzeuge nicht mit solchen handelte. Das Finanzamt behandelte die Umsätze daher als steuerpflichtig. Der Kläger wandte hiergegen ein, ihm sei Vertrauensschutz zu gewähren, da er die erforderlichen Nachweispflichten erbracht habe, aber selbst betrogen worden sei.

Entscheidung

Im Gegensatz zur Vorinstanz sah der BFH den Belegnachweis als nicht erbracht an. Dieser scheiterte insbesondere an dem fehlenden Hinweis auf die Steuerfreiheit in der Ausgangsrechnung. Dem Kläger wurde daher kein Vertrauensschutz gewährt. Die Lieferung war steuerpflichtig.

Konsequenzen

Das Urteil ist gravierend. Es beschränkt sich jedoch auf die Fälle, in denen der Unternehmer nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, dass eine innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt. Hier führen kleinste Mängel im Buch- und Belegnachweis zu einer Versagung des Vertrauensschutzes. Unternehmer müssen daher genau darauf achten, die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Nur dann bleibt ihnen die Steuerfreiheit erhalten, wenn sie von ihren Kunden betrogen werden. Zu beachten ist, dass die Nachweispflichten in der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV) ab dem 1.1.2012 erheblich verschärft wurden; u. a. wurden die bisherigen Soll- durch Mussvorschriften ersetzt. Hierauf müssen sich die Unternehmer einstellen. Das Bundesfinanzministerium gewährt eine Übergangsregelung bis zum 31.3.2012. Ob dann im Notfall die Steuerfreiheit noch durch andere Nachweise erreicht werden kann, ist mehr als fraglich.

Umsatzsteuerschuld auch ohne Erbringung einer Leistung

Umsatzsteuerschuld auch ohne Erbringung einer Leistung

Rechtslage

Es gilt der gesetzliche Grundsatz, dass nur Leistungen gegen Entgelt der Umsatzsteuer unterliegen. Es ist daher außergewöhnlich, wenn der Bundesfinanzhof (BFH) entscheidet, dass Umsatzsteuer auch ohne Erbringung einer Leistung fällig werden kann.

Sachverhalt

Eine Fluggesellschaft bot In- und Auslandsflüge zu ermäßigten Preisen, aber ohne Rücktritts- oder Umbuchungsmöglichkeit an. Verpassten die Kunden den Flug, konnte die Fluggesellschaft den Sitzplatz kurzfristig anderweitig vergeben und das Entgelt behalten. Während die Fluggesellschaft die auf diese Art einbehaltenen Entgelte als nicht steuerbaren Schadensersatz erfasste, sah das Finanzamt hierin eine umsatzsteuerpflichtige Leistung. Einspruch und Klage dagegen blieben erfolglos.

Entscheidung

Der BFH behandelt die Zahlungen der Kunden für Inlandsflüge als Anzahlungen, die mit ihrer Vereinnahmung der Umsatzsteuer unterliegen. Die Annahme, es handele sich um Schadensersatz, schloss der BFH aus. Die Besteuerung ist nach Ansicht der Richter unabhängig davon durchzuführen, ob eine Leistungsbeziehung zwischen Fluggesellschaft und den nicht erschienen Kunden bejaht wird oder nicht. Die Berichtigung der Umsatzsteuer setzt eine Rückzahlung der erhaltenen Entgelte voraus, welche nicht erfolgt ist. Hinsichtlich der Auslandsflüge ist entscheidend, ob hierfür Umsatzsteuer erhoben wird. Sofern dies nicht der Fall ist, unterliegen auch die zugehörigen Anzahlungen nicht der Umsatzsteuer. Da die Vorinstanz hierzu keine Feststellungen getroffen hatte, verwies der BFH den Streitfall zurück.

Konsequenz

Das Urteil zeigt wieder einmal, wie schwierig die Abgrenzung zwischen steuerbarer Leistung und nicht steuerbarem Schadensersatz ist. Unternehmer, die ähnliche „Vertragsstrafen“ z. B. in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) aufnehmen wollen, sollten sich zuvor steuerlich beraten lassen, um dem Risiko einer Fehlbeurteilung zu entgehen. Im Zweifel ist auch die Einholung einer verbindlichen Auskunft der Finanzverwaltung in Erwägung zu ziehen. Im Hinblick auf die Erfassung der Anzahlungen bleibt der BFH auf seinem jüngsten Kurs. Nur wenn erhaltene Entgelte zurückgezahlt werden, ist eine Korrektur der Umsatzsteuer zulässig. Dies wird in der Praxis häufig übersehen.

Innergemeinschaftliche Lieferungen: Verschärfung der Nachweispflichten

Innergemeinschaftliche Lieferungen: Verschärfung der Nachweispflichten

Kernproblem

Innergemeinschaftliche Lieferungen sind steuerfrei, sofern der Lieferant die hierfür notwendigen Voraussetzungen nachweist. Die zu erbringenden Nachweise ergeben sich aus der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Bisher waren diese als Sollvorschriften angelegt, so dass in Ausnahmefällen auch andere geeignete Nachweise anerkannt werden mussten. Dies war der Finanzverwaltung schon seit längerem ein Dorn im Auge. Ein erster Versuch, die Nachweispflichten zu verschärfen, scheiterte Ende 2010 am Widerstand der Wirtschaft. Ein erneuter Versuch hatte nun Erfolg.

Änderung der UStDV

Es erfolgen 2 entscheidende Änderungen. Zum einen werden die bisherigen Soll- durch Mussvorschriften ersetzt. Zum anderen müssen die Unternehmen nun eine „Gelangensbescheinigung“ erbringen. Diese ersetzt die bisherige Empfangsbescheinigung sowie die Versicherung, die Ware ins übrige Gemeinschaftsgebiet zu verbringen. Anzugeben sind u. a. der Tag und der Ort, an dem der Abnehmer die Ware erhalten hat. Die Bescheinigung erhält der Lieferant daher zeitlich nach Auslieferung bzw. Rechnungsstellung. Unternehmen, die befürchten, die Gelangensbescheinigung nicht zu erhalten, sollen zunächst eine Rechnung brutto, aber ohne separaten Umsatzsteuerausweis erstellen. Diese wäre mit Erhalt der Bescheinigung dann zu korrigieren.

Konsequenz

Den Unternehmen wird nichts anderes übrig bleiben, als zu versuchen, die erforderlichen Nachweise zu erbringen. Dies dürfte in vielen Fällen schwierig werden. Da nützt es auch wenig, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) eine Übergangsregelung bis zum 31.3.2012 gewährt. Gelingt der Nachweis nicht, bleiben die Unternehmer auf der Umsatzsteuer sitzen oder müssen sich mit ihren ausländischen Kunden hierüber streiten. Letztere werden allerdings wenig Verständnis für die deutsche Regelung haben, da vergleichbare Regelungen im EU-Ausland nicht existieren. Aus Sicht der betroffenen Unternehmen dürfte es dann geradezu unglaublich klingen, dass die Neuregelung bei ihnen grundsätzlich zur Vereinfachung und Kostenreduktion beitragen soll. Richtig dürfte sein, dass die Finanzverwaltung so leichter zu Mehrergebnissen kommen wird. Dies dürfte häufig ehrliche aber schlecht beratene Unternehmen treffen, hingegen nicht der wirksamen Eindämmung des Umsatzsteuerbetrugs dienen. Allerdings bleibt als Hoffnungsschimmer der Europäische Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte die bisherige Version der UStDV anerkannt, aber auch angemerkt, dass die Nachweispflichten praktikabel sein müssen. Ob die „neue“ UStDV diesen Vorgaben entspricht, wird zu klären sein.

Reverse-Charge: Deutsche können im Ausland ansässig sein

Reverse-Charge: Deutsche können im Ausland ansässig sein

Rechtslage

Unternehmer, die Dienstleistungen von im Ausland ansässigen Unternehmern beziehen, sind verpflichtet, die Umsatzsteuer auf diese Leistungen einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen (Reverse-Charge). Wer dies übersieht, wird vom Fiskus zur Kasse gebeten.

Sachverhalt

Bisher reichte nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung schon der private Wohnsitz eines Unternehmers in Deutschland aus, damit er als im Inland ansässig galt. Er musste dann seine in Deutschland steuerbaren Umsätze mit Umsatzsteuer abrechnen; dies galt auch, wenn er seine Dienstleistungen von einem im Ausland belegenen Betrieb aus erbrachte. Wie so oft, ergaben sich jedoch Zweifel, ob die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) entspricht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun das letzte Wort.

Entscheidung

Der EuGH stellt zunächst klar, dass es nicht auf die Ansässigkeit im Ausland ankommt, sondern auf die Nicht-Ansässigkeit im Inland. Als nicht im Inland ansässig gilt, wer weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung in Deutschland hat. Nur wenn ein solcher Sitz bzw. eine feste Niederlassung fehlen, kommt es auf den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort an.

Konsequenzen

Hat ein Unternehmer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland, so gilt er als nicht im Inland ansässig. Er fällt damit grundsätzlich unter das Reverse-Charge-Verfahren. Ein etwaiger Wohnsitz in Deutschland steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Dies gilt allerdings nur, wenn es sich um einen realen Sitz handelt. Liegt hingegen ein fiktiver Standort vor, z. B. eine Briefkastenfirma, so ist auf den Wohnsitz abzustellen. Die Sichtweise des EuGH ist, wie häufig, praxisnäher als die der deutschen Verwaltung. Denn nun ist der Leistungsempfänger in der Regel nicht mehr gezwungen, Nachforschungen über den privaten Wohnsitz seines Dienstleisters anzustellen. Soweit Leistungsempfänger Zweifel an der Ansässigkeit ihres Dienstleisters im Inland haben, müssen sie sich diese durch eine entsprechende Bescheinigung des Finanzamts des Dienstleisters nachweisen lassen. Wird in solchen Fällen die Bescheinigung (USt 1 TS) nicht eingeholt, schuldet der Leistungsempfänger die zu Unrecht nicht einbehaltene Umsatzsteuer.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin