Wenn aus Büroräumen Wohnräume werden: Steuerliche Folgen

Wenn aus Büroräumen Wohnräume werden: Steuerliche Folgen

Normalerweise stellen Aufwendungen an einem Gebäude, die aufgrund einer Nutzungsänderung getätigt werden, keine sofort abziehbaren Erhaltungsaufwendungen dar. Sie werden vielmehr als steuerlich ungünstigere nachträgliche Herstellungskosten behandelt. Das Finanzgericht Münster geht einen anderen Weg.

Hintergrund

Die Eigentümer eines Mehrfamilienhauses hatten ursprünglich 3 in diesem Gebäude befindliche Eigentumswohnungen als Büroräume vermietet. Nach Arbeiten an der Elektrik, der Sanierung des Sanitärbereichs sowie dem Versetzen von Trockenbauwänden und Türen, wurden die Eigentumswohnungen zu Wohnzwecken vermietet. Die entsprechenden Aufwendungen für die Instandhaltungsmaßnahmen machten die Eigentümer in voller Höhe als Werbungskosten bei den Vermietungseinkünften geltend. Das Finanzamt behandelte die Kosten jedoch wegen der Nutzungs- und Funktionsänderung des Gebäudes als nachträgliche Herstellungskosten.

Entscheidung

Das Finanzgericht Münster gab den Eigentümern Recht. Es entschied, dass Baumaßnahmen, die im Zusammenhang mit einer Funktionsänderung von Räumen anfallen, nicht zwingend zu den Herstellungskosten zu rechnen sind. Das gilt vor allem dann, wenn die umgebauten Räume nicht erweitert werden, die Grundfläche unverändert bleibt, es zu keiner Substanzvermehrung kommt und nicht nachträglich Bestandteile eingebaut werden, die vorher nicht vorhanden waren.

Die Funktionsänderung, also der Wechsel von der gewerblichen Vermietung zur Vermietung zu Wohnzwecken, stellt zunächst nur ein Indiz für die Annahme von nachträglichen Herstellungskosten dar. Ein bloßes Versetzen von Wänden oder das Zumauern von Türen, sind für sich allein keine Erweiterung oder Verbesserung und rechnen nicht zu den Herstellungskosten. Nur die Kosten, die durch die Erstellung der Trennwand angefallen sind, werden eigentlich den Herstellungskosten zugeordnet. Da es sich jedoch insoweit nur um einen geringfügigen Kostenbetrag handelt, sieht das Finanzgericht von einer Aufteilung der Kosten ab.

Die Kosten der Baumaßnahmen an den Wohnungen sind auch nicht deshalb den Herstellungskosten zuzuordnen, weil ein Standardsprung in mindestens 3 der Kernbereiche der Wohnungsausstattung – Elektro-, Heizungs-, Sanitärinstallationen, Fenster – festzustellen ist. Es ist nicht erkennbar, dass es durch die Baumaßnahmen zu einer Verbesserung der Wohnungen über ein Ersetzen der vorhandenen Anlagen in zeitgemäßer Form hinaus gekommen ist.

Tod des besten Freundes: Betroffenheit des Anwalts ist kein Wiedereinsetzungsgrund

Tod des besten Freundes: Betroffenheit des Anwalts ist kein Wiedereinsetzungsgrund

Auch wenn der beste Freund stirbt, darf ein Anwalt seine Pflichten nicht vernachlässigen. Kann er selber eine Berufsschrift nicht mehr anfertigen, muss er deshalb zumindest einen Vertreter damit beauftragen. Sonst ist die Versäumung der Berufungsfrist verschuldet.

Hintergrund

Der Anwalt einen Anruf erhalten, dass sein langjähriger und bester Freund am Vortag tödlich verunglückt war. Da er aufgrund der Nachricht nicht mehr arbeiten konnte, versäumte er es, die Berufung für einen Mandanten einzulegen. Der Anwalt macht einen seelischen Ausnahmezustand geltend und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück.

Zum einen waren die Richter der Ansicht, dass der Anwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen unternommen hatte, um die Frist zu wahren.

Zum anderen ist eine Fristversäumnis nur dann unverschuldet, wenn es dem Anwalt nicht möglich und zumutbar war, bis zum Fristablauf die Berufungsschrift selbst zu fertigen oder eine Fertigung durch einen Vertreter zu veranlassen. Die Fertigung einer Berufungsschrift stellt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs an den Anwalt keine großen inhaltlichen und zeitlichen Herausforderungen. Da ein vertieftes Aktenstudium oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Streitstoff hierfür nicht erforderlich ist, hätte auch ein Vertreter die Einlegung der Berufung kurzfristig und ohne großen Aufwand übernehmen können.

Fortbildungskosten des Arbeitnehmers: Übernahme durch Arbeitgeber führt nicht zu Arbeitslohn

Fortbildungskosten des Arbeitnehmers: Übernahme durch Arbeitgeber führt nicht zu Arbeitslohn

Übernimmt der Arbeitgeber Kosten für die Weiterbildung seiner Arbeitnehmer, führt das nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn.

Hintergrund

Der Kläger, der ein Unternehmen für Schwer- und Spezialtransporte, betreibt, übernahm für seine angestellten Fahrer Kosten einer Weiterbildung. Dazu waren die Fahrer aufgrund gesetzlicher Regelung verpflichtet. Die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber war durch tarifvertragliche Bestimmungen geregelt. Das Finanzamt wertete die Übernahme der Weiterbildungskosten als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Kläger argumentierte, dass die Kostenübernahme in seinem eigenbetrieblichen Interesse liegt und deshalb kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vorliegt.

Entscheidung

Vor dem Finanzgericht hatte der Kläger mit seiner Klage Erfolg. Die Richter entschieden, dass die Übernahme der Fortbildungskosten keinen Arbeitslohn darstellt. Denn der Kläger hatte an der Weiterbildung ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse. Seine Fahrer konnten dadurch ihr Wissen über das verkehrsgerechte Verhalten in Gefahren- und Unfallsituationen, über das sichere Beladen der Fahrzeuge und über kraftstoffsparendes Fahren auffrischen und vertiefen. Die Weiterbildungen dienten also nicht nur der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr, sondern auch der Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs und der Funktionsfähigkeit des Betriebs. Auch die tarifvertragliche Pflicht zur Kostenübernahme spricht für das eigenbetriebliche Interesse.

Außenprüfung verschoben: Wie wirkt sich das auf die Ablaufhemmung aus?

Außenprüfung verschoben: Wie wirkt sich das auf die Ablaufhemmung aus?

Bei einem Verschieben des Beginns einer Außenprüfung wird der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt, wenn der Steuerpflichtige einen entsprechenden Antrag gestellt hat und dieser ursächlich für das Hinausschieben ist.

Hintergrund

Die Kläger reichten am 25.10.2005 die Einkommensteuererklärung für 2004 ein. Die Einkommensteuer setzte das Finanzamt zunächst erklärungsgemäß fest. Mit Prüfungsanordnung vom 25.11.2008 ordnete es eine Außenprüfung an. Diese sollte am 15.12.2008 beginnen.

Dagegen erhoben die Kläger am 28.9.2009 Klage. Im Oktober 2009 schlug das Finanzamt eine Verschiebung des Prüfungsbeginns bis zum Abschluss des Klageverfahrens vor. Die Kläger akzeptierten dies.

Nach Abweisung der Klage fand die Außenprüfung in der Zeit vom 15.3.2011 bis 7.8.2012 statt. Der Einkommensteuerbescheid für 2004 wurde entsprechend geändert. Die Kläger sind der Ansicht, dass inzwischen Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Entscheidung

Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen, da die Festsetzungsfrist gehemmt war. Denn wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Beginn einer Außenprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung steht einem solchen Antrag eine Vereinbarung des Steuerpflichtigen mit dem Prüfer, den Prüfungsbeginn einvernehmlich hinauszuschieben, gleich.

Eine solche einvernehmliche Vereinbarung liegt hier vor. Diese war auch ursächlich für das Hinausschieben des Prüfungsbeginns. Darüber hinaus hat das Finanzamt die Außenprüfung in einem hinreichend zeitlichen Zusammenhang nach Ergehen der finanzgerichtlichen Entscheidung aufgenommen.

Vorsteuerabzug: Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung

Vorsteuerabzug: Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung

Nach deutschem Recht ist nur bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung ein Vorsteuerabzug möglich. Doch wie ausführlich muss z. B. die Leistungsbeschreibung in einer Rechnung sein? Mit dieser Frage musste sich der Europäische Gerichtshof befassen.

Hintergrund

Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die im Hotelgewerbe tätig ist. Sie nahm Beratungsleistungen einer Rechtsanwaltskanzlei in Anspruch, über die sie 4 Rechnungen erhielt, aus denen sie den Vorsteuerabzug geltend machte.

Die Finanzbehörde versagte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen, da die Angaben über die bezogenen Leistungen unzureichend konkret seien. Daraufhin legte die Klägerin weitere Dokumente vor, die eine detailliertere Beschreibung der erhaltenen Leistungen enthielten.

Diese erkannte das Finanzamt nicht an. Die in Rede stehenden Rechnungen und die beigefügten Dokumente waren seiner Ansicht nach nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form ausgestellt, d. h., auf keinem der Dokumente wurden die erbrachte Dienstleistung mit den für die Bestimmung der anzuwendenden Steuer erforderlichen Angaben aufgeführt. Der bloße Hinweis „Erbringung juristischer Dienstleistungen“ ohne genaue Angabe und Spezifizierung der erbrachten „juristischen Dienstleistungen“ ist inakzeptabel.

Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Angabe „Erbringung juristischer Dienstleistungen“ die gesetzlichen Anforderungen, wonach die Rechnung Art und Umfang der erbrachten Dienstleistungen enthalten muss, nicht erfüllt. Er begründet dies mit dem Zweck der Regelung, wonach die Rechnungsangaben es den Steuerverwaltungen ermöglichen sollen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und ggf. das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Die Angabe „juristische Dienstleistungen“ bezeichnet die Art der fraglichen Dienstleistungen nicht hinreichend detailliert. Auch der Umfang der erbrachten Dienstleistungen lässt sich daraus nicht entnehmen.

Der Europäische Gerichtshof betont jedoch den rein formellen Charakter der Rechnungsangaben. Aus dem Neutralitätsprinzip der Mehrwertsteuer folgt, dass die Steuerverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern kann, weil eine Rechnung nicht die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen erfüllt sind.

Bonusprogramme: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Bonusprogramme: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Sammeln Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit Bonuspunkte im Rahmen eines Bonusprogramms, gehören diese im Zeitpunkt der Einlösung zum steuerpflichtigen Arbeitslohn.

Hintergrund

Die Klägerin vertreibt Fotokameras, Objektive und Blitzgeräte. Im Rahmen eines Verkaufsförderungsprogramms konnten beratende Fachverkäufer für verkaufte Produkte Bonuspunkte sammeln. Mit einer bestimmten Anzahl von gesammelten Punkten durften sie dann kostenfrei verschiedene Prämien aus einem vorgegebenen Prämienkatalog bestellen.

Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass es sich lohnsteuerlich bei den gewährten Prämien nicht zwingend um lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn eines Dritten handelt. Ihren gestellten Antrag auf Pauschalierung der Lohnsteuer wollte die Steuerpflichtige daher widerrufen.

Entscheidung

Das Finanzgericht folgte der Auffassung der Klägerin nicht und wies die Klage ab. Die Richter entschieden, dass bei dem angestellten Verkaufspersonal die Vorteile aus dem Bonusprogramm der Steuerpflichtigen zu Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit führen. Denn Bezüge oder Vorteile werden „für“ eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind.

Arbeitslohn kann auch bei der Zuwendung eines Dritten anzunehmen sein, wenn diese ein Entgelt „für“ eine Leistung bildet, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt. Deshalb wertete das Finanzgericht die Vorteile aus dem Bonusprogramm als einen solchen Drittlohn. Denn die Verkäufer erhielten Vorteile aus dem Bonusprogramm in ihrer Eigenschaft als angestellte Fotofachverkäufer. Für sie standen diese Vorteilsgewährungen in Zusammenhang mit den von ihnen gegenüber ihren jeweiligen Arbeitgebern erbrachten Dienstleistungen. Die Punktgutschriften erhielten sie nur deshalb, weil sie jeweils eine konkrete – zu ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen gehörende – Dienstleistung für ihre Arbeitgeber erbrachten, nämlich den Verkauf von Fotoartikeln.

Ärztliche Gemeinschaftspraxis: Achtung bei gewerblicher Tätigkeit

Ärztliche Gemeinschaftspraxis: Achtung bei gewerblicher Tätigkeit

Üben Ärzte in ihrer Gemeinschaftspraxis nicht nur freiberufliche, sondern auch gewerbliche Tätigkeiten aus, kann dies dazu führen, dass die gesamte Praxistätigkeit als Gewerbebetrieb anzusehen ist. Diese Probleme kann es z. B. bei einer sog. integrierten Versorgung geben.

Hintergrund

Üben ärztliche Gemeinschaftspraxen neben ihren freiberuflichen Tätigkeiten auch gewerbliche Tätigkeiten aus, können sie ihren freiberuflichen Status verlieren und in vollem Umfang gewerblich werden. Das nennt man Abfärbe- oder Infektionstheorie. Die Folge einer gewerblichen Infizierung: Die Praxis wird u. a. gewerbesteuerpflichtig.

Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt

Die gewerbliche Infizierung kann auch durch eine sog. integrierte Versorgung in einer Gemeinschaftspraxis eintreten.

Bei einer solchen integrierten Versorgung wird zwischen dem Arzt und der Krankenkasse vertraglich geregelt, dass die Kasse dem Arzt für die Behandlung der Patienten bestimmte Fallpauschalen zahlt. Diese decken sowohl die freiberufliche medizinische Betreuung als auch die gewerbliche Abgabe von Arzneien und Hilfsmitteln ab.

Der gewerbliche Anteil der Fallpauschalen führt aber grundsätzlich bei Gemeinschaftspraxen zu einer gewerblichen Infizierung der gesamten Einkünfte.

Ausnahmsweise ist der Hilfsmitteleinsatz nicht als gewerbliche Tätigkeit anzusehen, wenn im Rahmen der integrierten Versorgung solche Hilfsmittel verwendet werden, ohne deren Einsatz die ärztliche Heilbehandlung nicht möglich wäre. Das gilt z. B. für künstliche Hüftgelenke oder Augenlinsen. In diesem Fall liegt keine gewerbliche Infizierung vor, sondern eine einheitliche heilberufliche Leistung, da die Verwendung der Hilfsmittel ein Bestandteil der ärztlichen Gesamtleistung ist.

Eine gewerbliche Infizierung ist darüber hinaus erst dann anzunehmen, wenn die gewerblichen Nettoumsatzerlöse eine Bagatellgrenze von 3 % der Gesamtnettoumsätze und zusätzlich den Betrag von 24.500 EUR im Veranlagungszeitraum übersteigen.

Diese vom Bundesfinanzhof aufgestellten Werte werden von der Finanzverwaltung allgemein anerkannt. Sie sind also für alle Gemeinschaftspraxen anwendbar.

Aber auch wenn diese Bagatellgrenzen überschritten werden, kann die gewerbliche Infizierung verhindert werden, indem die gewerbliche Tätigkeit der Praxis im Rahmen eines Ausgliederungsmodells auf eine andere Schwesterpersonengesellschaft ausgelagert wird.

Neuer europäischer Tarifbericht des WSI: Löhne in Europa steigen real, aber meist nur durch die extrem niedrige Inflation

In den meisten EU-Ländern sind die durchschnittlichen Löhne 2015 stärker gestiegen als die Preise, auch 2016 dürften Beschäftigte in fast allen EU-Staaten im Mittel real mehr Geld in der Tasche haben. Entsprechend stiegen die realen Effektivlöhne im Durchschnitt der 28 EU-Staaten 2015 um 1,4 Prozent, in diesem Jahr wird mit 1,7 Prozent gerechnet. Das liegt allerdings vielerorts nicht an einer kräftigen Lohnentwicklung, sondern vor allem an der extrem niedrigen und 2015 in elf Ländern sogar deflationären Preisentwicklung. Um die Binnennachfrage und das Wachstum in Europa nachhaltig zu beleben, wären deutlichere Lohnsteigerungen nötig. Insbesondere in Südeuropa wird das nur funktionieren, wenn Tarifvertragsstrukturen, die während der Eurokrise unter dem Druck der europäischen Institutionen zerschlagen wurden, wieder neu entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Europäische Tarifbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Er erscheint in der neuen Ausgabe der WSI-Mitteilungen.

Europas Arbeitnehmer haben eine lange Durststrecke hinter sich, zeigt die Analyse des WSI-Tarifexperten Prof. Dr. Thorsten Schulten: Preisbereinigt sind die Löhne zwischen 2010 und 2016 in elf EU-Staaten gesunken. In neun weiteren lagen die durchschnittlichen Zuwachsraten bei unter einem Prozent pro Jahr. Deutschland rangiert mit einer kumulierten Reallohnsteigerung von 9,6 Prozent für diesen Sieben-Jahres-Zeitraum im oberen Mittelfeld der Länder mit Zuwächsen. Im vergangenen Jahr lag Deutschland mit einem durchschnittlichen realen Lohnwachstum um 2,6 Prozent hinter acht osteuropäischen EU-Ländern und Schweden auf Rang 10 in der Gemeinschaft. Allerdings war die Bundesrepublik in der Dekade zuvor auch das einzige europäische Land, in dem die Reallöhne zurückgegangen waren: um 5,7 Prozent von 2001 bis 2009 (siehe auch die Abbildungen 5 und 6 im Tarifbericht; Link unten).

Zwar ging es 2015 und 2016 mit der Kaufkraft der Arbeitnehmer in der EU parallel zur moderaten wirtschaftlichen Erholung wieder bergauf: Während die Reallöhne 2014 noch in sechs Ländern sanken, geschah das 2015 nur noch in Belgien, Griechenland und Portugal. In diesem Jahr prognostiziert die EU-Kommission lediglich für Griechenland reale Lohnverluste. Die Zuwächse bei den Reallöhnen in den meisten Staaten seien allerdings in erster Linie der extrem niedrigen Inflation zu verdanken, so Schulten, der für seinen Bericht unter anderem Daten der EU und der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgewertet hat. Das nominale Lohnwachstum war dagegen „nicht nur niedrig, sondern blieb auch konstant hinter den vorgesagten Werten zurück“, zitiert der WSI-Forscher Analysen der EZB.

So sind die nominalen Tarifverdienste im Euroraum – für den Rest der EU liegen keine Daten vor – 2015 nach WSI-Berechnungen im Schnitt um 1,5 Prozent gestiegen. „Dies ist die niedrigste Steigerungsrate seit Anfang der 2000er Jahre“, schreibt Schulten. Die nominalen Effektivlöhne – also die tatsächlich gezahlten Gehälter – stiegen EU-weit zwar etwas stärker um durchschnittlich 2,0 Prozent. Allerdings legen die Projektionen der EZB für 2016 bei den nominalen Effektivlöhnen wieder einen spürbaren Rückgang auf 1,3 Prozent nahe, während sich das Wachstum der Tariflöhne auf 1,4 Prozent verlangsamt. Beide Werte liegen deutlich unter der EZB-Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent.

Dass sich die Inflation so verhalten entwickelt, erklärt Schulten zum einen mit den niedrigen Energiepreisen. Zum anderen zeigten sich darin aber die Folgen der Spar- und Deregulierungspolitik im Zuge der Euroraum-Krise. Die ökonomischen Schattenseiten der schwachen Lohnentwicklung „treten heute immer offener zutage“, schreibt der Forscher. „Im Kern wird hierdurch die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage systematisch beschränkt.“ Die Lohnentwicklung sei in vielen Ländern Teil eines Problemkreislaufs: Ohne Nachfrage-Impulse bleibt die Preissteigerung schwach und die Arbeitslosigkeit hoch. Wenn Jobs entstehen, dann überwiegend im Niedriglohnsektor und mit geringer Produktivität. Da aber die Summe aus Produktivität und Preissteigerung den Verteilungsspielraum definiere, den Ökonomen als Orientierungsgröße für die künftige Lohnentwicklung ansehen, würde wiederum die Lohnentwicklung gebremst.

Diesen Zusammenhang konstatieren nach Schultens Analyse mittlerweile nicht nur die europäischen Gewerkschaften, sondern zunehmend mehr Wirtschafts- und Finanzmarktanalysten sowie die EZB. So erklärte Notenbank-Präsident Mario Draghi im September vor dem Europäischen Parlament: „The case for higher wages is unquestionable.“ Gleichzeitig gehöre die EZB aber nach wie vor zu „den führenden Akteuren, die in vielen europäischen Ländern auf Arbeitsmarktreformen gedrängt haben oder immer noch drängen, die heute eine stärkere Lohndynamik behindern“, betont Schulten. Lösen lasse sich das Problem daher nur durch einen tiefgreifenden Politikwechsel. Dazu gehöre, dass zur Stärkung der Lohnentwicklung „in vielen Ländern auch die institutionellen Voraussetzungen, wie angemessene Mindestlöhne und umfassende Tarifvertragssysteme, wiederhergestellt werden.“

 Den „Europäischen Tarifbericht“ finden Sie auf der Homepage der Hans-Böckler-Stiftung.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 30.11.2016

 

Zeitwertkonto für einen Fremdgeschäftsführer: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Zeitwertkonto für einen Fremdgeschäftsführer: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Zahlt eine GmbH Beträge auf ein Zeitwertkonto zugunsten ihres Fremdgeschäftsführers ein, führt dies nicht zum Zufluss von Arbeitslohn. Das gilt zumindest dann, wenn die Einzahlungen in eine Rückdeckungsversicherung fließen und der Geschäftsführer bis zur Freistellungsphase keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme hat.

Hintergrund

Der Kläger ist Fremdgeschäftsführer bei einer GmbH. Diese vereinbarte mit dem Kläger, dass Wertguthaben zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestands angesammelt wird und richtete deshalb ein sog. Zeitwertkonto ein. Weiterhin schloss die GmbH eine Rückdeckungsversicherung ab, um die Gehaltszahlungen in der Freistellungsphase zu finanzieren. Der Kläger verzichtete auf Teile seines Lohns, die auf das Konto der Rückdeckungsversicherung eingezahlt wurden. Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigter aus der Rückdeckungsversicherung war allerdings die GmbH. Sie behandelte die Einzahlungen auf das Wertguthaben als steuerfreien Arbeitslohn.

Das Finanzamt erkannte die Zeitwertkonten des Geschäftsführers jedoch nicht an.

Entscheidung

Nach der Entscheidung des Finanzgerichts fließt dem Geschäftsführer mit den Wertgutschriften kein Arbeitslohn zu. Versicherungsnehmer ist die GmbH und gegenüber der Versicherung hat der Kläger zunächst keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme. Er kann über die eingezahlten Beträge damit nicht wirtschaftlich verfügen.

Der Einkommensteuer unterliegt aber nur zugeflossener Arbeitslohn. Arbeitslohn ist zugeflossen, wenn und sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich darüber verfügen kann. Das ist regelmäßig bei Auszahlung in bar oder Gutschrift auf einem Bankkonto der Fall. Auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken. Der Gläubiger muss in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen.

Wann muss ein GmbH-Gesellschafter der Abberufung des Geschäftsführers zustimmen?

Wann muss ein GmbH-Gesellschafter der Abberufung des Geschäftsführers zustimmen?

Ist der Verbleib der Geschäftsführer in einer GmbH für die Gesellschaft nicht mehr zumutbar, müssen die GmbH-Gesellschafter der Abberufung von Geschäftsführern zustimmen.

Hintergrund

Der Kläger und sein Onkel sind Gesellschafter einer GmbH und jeweils mit 50 % beteiligt. Der Kläger wollte die Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund erreichen, da dieser u. a. in einer die Gesellschaft betreffenden Streitigkeit falsch ausgesagt hatte und das Vertrauensverhältnis damit zerrüttet hat. Der Onkel des Klägers stimmte jedoch gegen die Abberufung.

Mit seiner Klage will der Kläger feststellen lassen, dass der Geschäftsführer durch den Gesellschafterbeschluss abberufen wurde und die Stimmabgabe seines Onkels wegen Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nichtig war.

Entscheidung

Die Klage hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Zwar kann es nach der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht für alle Gesellschafter geboten sein, der Abberufung eines Geschäftsführers zuzustimmen, insbesondere wenn in der Person des Geschäftsführers wichtige Gründe vorliegen, die sein Verbleiben für die Gesellschaft unzumutbar machen.

Im vorliegenden Fall waren solche wichtigen Gründe allerdings nicht ersichtlich. Eine vorsätzliche Falschaussage zu Gunsten des anderen Gesellschafters konnte nicht bewiesen werden.

Die Behauptung, dass das Vertrauensverhältnis zerrüttet war, reichte dem Gericht nicht. Denn ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis stellt nur dann einen wichtigen Grund zur Abberufung eines Geschäftsführers dar, wenn die Zerrüttung durch eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers begründet ist.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin