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Vermietung, Selbstnutzung und Veräußerung von in Spanien gelegenen Grundstücken

OFD Rheinland: Verfügung betr. Vermietung, Selbstnutzung und Veräußerung von in Spanien gelegenen Grundstücken

Verwaltungsanweisung vom 25.01.2013 – S 1301 – 2009/0016 – St 123

Für die steuerliche Erfassung und abkommensrechtliche Behandlung von Einkünften aus spanischem Grundbesitz bei in Deutschland ansässigen Personen gelten folgende Besonderheiten.


Vermietung

Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen in Spanien sind nach deutschem Recht zu ermitteln. Nach der Änderung des § 7 Abs. 5 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften kann nunmehr auch für Gebäude, die in EU-/EWR-Staaten belegen sind, die degressive Abschreibung gewählt werden. Diese Änderung gilt für alle Zeiträume, für die die Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig sind.

Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen in Spanien steht (unabhängig von einer etwaigen deutschen Zuordnung zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Tätigkeit oder Vermietung und Verpachtung) dem Belegenheitsstaat Spanien zu (Art. 6 Abs. 1 DBA-Spanien). Die Doppelbesteuerung wird abweichend von der Mehrzahl der anderen deutschen DBA im Ansässigkeitsstaat Deutschland durch Anrechnung der in Spanien gezahlten Steuer vermieden (bis einschließlich VZ 2012: Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee DBA-Spanien, ab VZ 2013: Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Nr. vii DBA-Spanien). Das gilt auch für Einkünfte aus einem in Spanien belegenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb (vgl. BMF, Schreiben v. 23.3.1982, BStBl 1982 I S. 372).

Lediglich bei tatsächlicher Zugehörigkeit des unbeweglichen Vermögens zu einer in Spanien gelegenen Betriebsstätte i. S. v. Art. 5 DBA-Spanien wird die Doppelbesteuerung durch Freistellung von der deutschen Steuer (bis einschließlich VZ 2012: Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee i.V.m. Abs. 1 Buchst. a DBA-Spanien, ab VZ 2013: Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Nr. vii) i.V.m. Abs. 2 Buchst. a DBA-Spanien) grundsätzlich unter Beachtung des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG vermieden. Ab dem VZ 2008 ist die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei Einkünften aus einer passiven spanischen Betriebsstätte nach § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 2a Abs. 2 EStG ausgeschlossen. In einschlägigen Fällen ist die Frage der Gewerblichkeit der Vermietung von Ferienwohnungen zu untersuchen (Hinzutreten erheblicher Zusatzleistungen zur Wohnungsüberlassung, vgl. auch H 15.7 (2) „Ferienwohnung“ EStH).

Wohneigentumsförderung

Die Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagengesetz (EigZulG) ist vom Gesetzgeber auf im Inland belegene Wohnungen beschränkt worden (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 EigZulG). Mit Urteil vom 17.1.2008 (Rs. C-152/05) hat der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland entschieden, dass es gegen EU-Recht verstoße, wenn Deutschland die Förderungen nur für im Inland belegene Wohnungen und Häuser gewähre. Das Urteil ist unmittelbar anzuwenden. Anspruchsvoraussetzung ist jedoch eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 und 3 EStG oder i. S. d. Art. 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaft. Weitere Erläuterungen hierzu enthalten das BMF-Schreiben vom 13.3.2008 (BStBl 2008 I S. 539) sowie die Verfügung der OFD Rheinland vom 7.4.2009.

Aus der Rechtsprechung des EuGH kann nicht abgeleitet werden, dass einem nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Wohnsitz im Inland Eigenheimzulage für ein im Ausland gelegenes Zweitobjekt zu gewähren ist (vgl. BFH, Urteile v. 20.10.2010, IX R 20/09, BStBl 2011 II S. 342  und IX R 55/09). Die gegen das o.g. BFH-Urteil mit Az. IX R 20/09 eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG mit Beschluss vom 9.1.2012 (1 BvR 1891/11) nicht zur Entscheidung angenommen.

Veräußerung

Die Veräußerung eines in Spanien belegenen Grundstücks kann sowohl im Ansässigkeitsstaat Deutschland (z.B. im Rahmen des § 22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) als auch im Belegenheitsstaat Spanien zu steuerpflichtigen Einkünften führen. Das Besteuerungsrecht steht nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien dem Belegenheitsstaat zu.

Vermeidung der Doppelbesteuerung bis einschließlich VZ 2012

Entgegen der zunächst vertretenen Verwaltungsauffassung haben sowohl das FG Münster (Urteil v. 16.2.2009  und v. 23.6.2010) als auch der BFH (Beschluss v. 19.5.2010, I B 191/09, BStBl 2011 II S. 156, RdNr. 28) entschieden, dass die Doppelbesteuerung nicht durch Anrechnung der in Spanien gezahlten Steuer vermieden werden kann, da Art. 23 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. ee DBA-Spanien keinen Bezug auf Art. 13 Abs. 1 DBA-Spanien nimmt. Damit sind die Veräußerungsgewinne aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer herauszunehmen. Die Verwaltung hat sich der neueren Rechtsprechung angeschlossen; in allen offenen Fällen mit Veräußerungsgewinnen aus spanischen Immobilien ist die Doppelbesteuerung durch Anwendung der Freistellungsmethode nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Spanien unter Beachtung des Progressionsvorbehalts zu vermeiden.

Vermeidung der Doppelbesteuerung ab VZ 2013

Ab dem VZ 2013 gilt das neue DBA-Spanien 2011.

Aus Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Nr. vii DBA-Spanien 2011 ergibt sich nun eindeutig, dass die Anrechnungsmethode für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen einschließlich der Einkünfte aus der Veräußerung dieses Vermögens gilt.

Amts- und Rechtshilfe

Sofern die Sachverhaltsaufklärung durch den inländischen Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO), sollte der Sachverhalt durch ein Auskunftsersuchen an die spanischen Finanzbehörden nach Maßgabe des EG-Amtshilfe-Gesetzes (künftig: ggf. EU-Amtshilfegesetz) aufgeklärt werden.

OFD Rheinland, Verfügung v. 25.1.2013, S 1301 – 2009/0016 – St 123

Umsatzsteuer: Anforderungen an Berufsqualifikation bei Heilbehandlungen

Anforderungen an Berufsqualifikation bei Heilbehandlungen – Erbringung steuerfreier Heilbehandlungsleistungen durch einen Podologen

Urteil vom 7.2.2013, V R 22/12

Ein Podologe verfügt im Regelfall bereits dann über die erforderliche Berufsqualifikation zur Erbringung steuerfreier Heilbehandlungsleistungen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, wenn er die staatliche Prüfung zum Podologen (§ 4 PodG) mit Erfolg abgelegt hat.

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 7.2.2013, V R 22/12

Anforderungen an Berufsqualifikation bei Heilbehandlungen – Erbringung steuerfreier Heilbehandlungsleistungen durch einen Podologen

Leitsätze

Ein Podologe verfügt im Regelfall bereits dann über die erforderliche Berufsqualifikation zur Erbringung steuerfreier Heilbehandlungsleistungen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, wenn er die staatliche Prüfung zum Podologen (§ 4 PodG) mit Erfolg abgelegt hat.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine zum 1. Januar 2010 gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr A und Frau B jeweils hälftig beteiligt waren. Die Klägerin betrieb eine mobile podologische Praxis. A ist ausgebildeter Podologe und hatte am 2. November 2009 die Prüfung nach § 4 des Podologengesetzes (PodG) bestanden. Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Podologe wurde A erst am 10. Januar 2011 erteilt. B ist medizinische Fußpflegerin.
2
Die Klägerin ging davon aus, dass sie steuerfreie Umsätze ausführe, da die podologische Berufsausbildung des A dazu berechtige, im Rahmen der GbR auch für die von B durchgeführten Behandlungen die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) in Anspruch zu nehmen.
3
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) davon aus, dass alle Leistungen der Klägerin steuerpflichtig seien. A habe im Jahr 2010 noch nicht über die zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigende Erlaubnis verfügt, die ihm erst am 10. Januar 2011 erteilt worden sei. B fehle als medizinische Fußpflegerin die erforderliche Berufsqualifikation. Das FA erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide 2010.
4
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den sie im Einspruchsverfahren nur für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2010 aufrechterhielt. Sie ging in Übereinstimmung mit dem FA davon aus, dass ihr Gesellschafter, Herr A, 75 % der Umsätze ausgeführt habe und machte geltend, dass ihre Leistungen in diesem Umfang steuerfrei seien. Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2011 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1789 veröffentlichten Urteil ist die erforderliche Berufsqualifikation bereits mit erfolgreicher Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen nach § 4 Satz 2 PodG gegeben. Die Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PodG) sei für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG nicht maßgeblich.
6
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Für die steuerrechtliche Qualifizierung komme es auf die fachgerechte Berufsausübung und damit auf die Berechtigung zur Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung an.
7
Während des Revisionsverfahrens erging am 4. September 2012 der Umsatzsteuerjahresbescheid 2010. Die Beteiligten haben mitgeteilt, dass sich der Streitstoff nicht verändert und sich lediglich der Streitwert erhöht habe und nunmehr … EUR betrage.
8
Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 4. September 2012 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … EUR herabgesetzt wird.

Entscheidungsgründe

10
II. Die Revision des FA ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet.
11
1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
12
Das FG hat über den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid Dezember 2010 vom 14. April 2011 entschieden. An dessen Stelle ist während des Revisionsverfahrens der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 vom 4. September 2012 getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 4. November 1999 V R 35/98, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454). Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos geworden und aufzuheben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269, BStBl II 2011, 21; vom 10. November 2010 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311).
13
2. Die nicht spruchreife Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Zwar hat das FG zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter der Klägerin, Herr A, im Streitjahr über die erforderliche Berufsqualifikation verfügte. Das FG hat aber keine Feststellungen zum Vorliegen einer Heilbehandlung getroffen.
14
a) Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind steuerfrei die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden“. Diese Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), nach der „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden“, steuerfrei sind. § 4 Nr. 14 UStG ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung entsprechend dieser Bestimmung auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. April 2009 V R 6/07, BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1., und vom 2. September 2010 V R 47/09, BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.1. zur gleichlautenden Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG).
15
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nur steuerfrei, wenn sie von Personen erbracht werden, die die hierfür erforderlichen „beruflichen Befähigungsnachweise“ (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 10. September 2002 C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV 2003, 30, Beilage 1 Rdnr. 27) und damit die erforderlichen „beruflichen Qualifikationen“ besitzen, damit die Heilbehandlungen unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Behandelnden eine ausreichende Qualität aufweisen (EuGH-Urteil vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04, Solleveld u.a., Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnr. 37; BFH-Urteil in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.2.).
16
Auch für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG kommt es unter Berücksichtigung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL darauf an, dass eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch einen Unternehmer erbracht wird, der über einen beruflichen Befähigungsnachweis und damit über die für die Leistungserbringung erforderliche Berufsqualifikation verfügt. Der Nachweis dieser Qualifikation kann sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats z.B. aus berufsrechtlichen Regelungen ergeben (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.b, und vom 1. Dezember 2011 V R 58/09, BFH/NV 2012, 1186, unter II.1.c).
17
b) Im Streitfall hat das FG zu Recht entschieden, dass der Gesellschafter der Klägerin über die für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG erforderliche Berufsqualifikation verfügte.
18
aa) Bei der Beurteilung, ob bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung zum Podologen nach § 4 Satz 2 PodG oder erst die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung als Podologe nach § 1 Abs. 1 PodG i.V.m. § 2 Abs. 1 PodG zum Erwerb der für die Steuerfreiheit erforderlichen Berufsqualifikation führt, ist zu berücksichtigen, dass es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind dabei aber nur insoweit gleichartig, als sie für die Behandelten eine gleichwertige Qualität aufweisen (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnrn. 40 f.). Für die erforderliche Qualifikation kann dabei z.B. die Tätigkeit in einem rechtlichen Rahmen, unter der Kontrolle eines Medizinischen Dienstes und gemäß spezifisch festgelegter Bedingungen sprechen, deren Einhaltung durch die Eintragung in ein hierfür vorgesehenes Register bescheinigt wird (EuGH-Urteil Solleveld u.a. in Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, 299, Beilage 3 Rdnr. 46; BFH-Urteile in BFHE 231, 326, BStBl II 2011, 195, unter II.2., und in BFH/NV 2012, 1186, unter II.1.).
19
bb) Danach hat das FG nach den Verhältnissen des Streitfalls zu Recht entschieden, dass bereits die erfolgreiche Ablegung der staatlichen Prüfung nach § 4 Satz 2 PodG im Regelfall zu der erforderlichen Berufsqualifikation führt.
20
Bereits mit der erfolgreichen Ablegung der Prüfung wird im Regelfall eine dem Podologen qualitativ gleichwertige Tätigkeit ausgeübt. Hierfür spricht insbesondere, dass das PodG die Erbringung fußpflegerischer Leistungen nicht unter einen Genehmigungsvorbehalt stellt. Der Erlaubnisvorbehalt nach § 1 Abs. 1 PodG bezieht sich, wie das FG zutreffend entschieden hat, vielmehr nur auf das Führen einer Berufsbezeichnung. Verboten ist danach nur das Führen einer durch das PodG geschützten Berufsbezeichnung ohne entsprechende Erlaubnis, nicht aber die Leistungserbringung als solche (Urteil des Bundessozialgerichts vom 7. Oktober 2010 B 3 KR 12/09 R, SozR 4-2500 § 124 Nr. 2, unter 2.e). Der Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 PodG kommt daher nicht die Bedeutung zu, das Erbringen bestimmter Leistungen den Titelführungsberechtigten vorzubehalten. Der Erlaubnis schließt sich auch kein gesondertes Überwachungsverfahren nach dem PodG an, durch das sichergestellt wird, dass die Qualität der Leistung sichergestellt ist. Unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zum Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln, ist daher davon auszugehen, dass die Leistungen eines Unternehmers, der die in § 4 PodG vorgesehene staatliche Prüfung bestanden hat, gleichartig zu den Leistungen sind, die ein Unternehmer erbringt, der nicht nur diese Prüfung bestanden hat, sondern darüber hinaus auf seinen Antrag auch die Erlaubnis erhalten hat, die Berufsbezeichnung Podologe zu führen.
21
cc) Für seine gegenteilige Auffassung kann sich das FA nicht auf das von ihm in Bezug genommene BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74 (BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621) berufen. Danach übt ein medizinischer Fußpfleger keinen dem Beruf des Heilpraktikers oder des Krankengymnasten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes aus. Auf die einkommensteuerrechtliche Beurteilung kommt es indes im Hinblick auf die gebotene richtlinienkonforme Auslegung (s. oben II.2.) nicht an.
22
dd) Für die Steuerfreiheit der für die Klägerin durch Herrn A ausgeführten Leistungen reichte es im Übrigen aus, dass ihr Gesellschafter (Herr A) über die erforderliche Berufsqualifikation verfügte (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2007 V R 54/05, BFHE 219, 241, BStBl II 2008, 262, Leitsätze 1 und 2).
23
c) Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da das FG keine Feststellungen zur Frage getroffen hat, ob und inwieweit die Leistungen der Klägerin als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin anzusehen sind. Hieran würde es z.B. für Leistungen auf vorwiegend kosmetischem Gebiet fehlen.

 

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Steuertipps zur Besteuerung privater Photovoltaikanlagen

„Immer mehr Bürgerinnen und Bürger installieren auf dem Dach ihres Hauses eine Photovoltaikanlage. Für den so gewonnenen Strom wird eine sogenannte Einspeisevergütungen gezahlt. Dabei gilt es einige steuerliche Regelungen zu beachten. Baden-Württemberg hat sich bei der Ausgestaltung erfolgreich für eine bürgerfreundliche Lösung eingesetzt“. Dies sagte Finanzminister Willi Stächele am Freitag (10. September 2010) in Stuttgart anlässlich der Veröffentlichung des „Aktuellen Tipps“ zur Besteuerung beim Betrieb von Photovoltaikanlagen.

 Die Informationsschrift enthalte vor allem Hinweise zu den Bereichen Umsatz- und Einkommensteuer. Sie behandele unter anderem die Kleinunternehmerregelung, die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung und den Vorsteuerabzug. Beispielsfälle veranschaulichten die Thematik. Auch die neu geregelte Frage der steuerlichen Behandlung von dachintegrierten Photovoltaikanlagen werde in dem „Aktuellen Tipp“ dargestellt. Diese dachintegrierten Anlagen könnten wie die herkömmlichen Aufdachanlagen innerhalb von 20 Jahren abgeschrieben werden, so Stächele.

„Baden-Württemberg nimmt bei der Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen bundesweit einen vorderen Platz ein. Die zunehmende Beliebtheit belegt das gestiegene Interesse an einer nachhaltigen und umweltgerechten Versorgung. Die Landesregierung unterstützt diesen Trend. Beispielsweise sind heute schon Photovoltaikanlagen mit einer Fläche von 35.000 m² auf den landeseigenen Dächern installiert. Auch in Zukunft werden wir den Anteil der regenerativen Energien weiter erhöhen. Der vorliegende Aktuelle Tipp soll dabei helfen die steuerrechtlichen Klippen zu umschiffen,“ erklärte der Finanzminister abschließend.

Der Aktuelle Tipp „Steuerrecht für Photovoltaikanlagen“ ist bei allen Finanzämtern des Landes kostenlos erhältlich. Er kann außerdem bei der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, Moltkestraße 50, 76133 Karlsruhe, und dem Finanzministerium Baden-Württemberg, Pressestelle, Neues Schloss, 70173 Stuttgart, gegen Einsendung eines adressierten und frankierten Rückumschlags (Format DIN C5, Porto 0,85 Euro) bezogen werden. Der Ratgeber Besteuerung beim Betrieb von Photovoltaikanlagen kann auch im Internet unter abgerufen werden.

Es gibt Neuerungen bei der Besteuerung von Photovoltaikanlagen auf Privatgebäuden: Es ist dafür keine Gewerbeanzeige beim Gewerbeamt mehr nötig. Denn die Bürger verwalten hier allein eigenes Vermögen. Nur das Finanzamt muss über die Installation der neuen Anlage unterrichtet werden.

Quelle: Finanzministerium Baden-Württemberg

Anpassung streitanfälliger Gewinnabführungsverträge mit GmbHs bis spätestens Ende 2014

Mitteilung des DStV:

Durch die Zustimmung des Bundesrats zur Reform der Organschaft am 1.2.2013 wird der akribischen Suche der Finanzverwaltung nach Fehlern in Verlustübernahme-Klauseln insbesondere mit GmbHs zwar der Boden entzogen. Die Neuerungen sehen insoweit jedoch nicht nur Rechtssicherheit schaffende Vorgaben für zukünftige Abschlüsse oder Änderungen von Gewinnabführungsverträgen (GAV) vor. Sie machen auch die Prüfung sowie Anpassung von bestehenden Verträgen erforderlich.

Dynamischer Verweis erforderlich

Die Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG sieht vor, dass in Vereinbarungen mit anderen Kapitalgesellschaften als Aktiengesellschaften über die Verlustübernahme ein ausdrücklicher Verweis auf § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vorgesehen sein muss. Mit dieser gesetzlichen Klarstellung bleibt der Praxis zwar künftig kein Spielraum mehr für Formulierungsvarianten. Aber den bisherigen Turbulenzen, die in den Entscheidungen des BFH (vgl. Beschluss v. 28.7.2010, I B 27/10, geändert durch Korrekturbeschluss vom 15.9.2010, I B 27/10) sowie im Schreiben des BMF v. 19.10.2010 mündeten, dürfte nunmehr ebenfalls ein Ende bereitet sein.

Auch Verwaltungsaufwand für Altverträge

In folgenden Fällen ist die neue Vorgabe uneingeschränkt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu beachten und die Verlustübernahmeklausel eventuell anzupassen:

  • Abschlüsse neuer GAV sowie
  • Änderungen bestehender GAV.

Unter Umständen besteht darüber hinaus auch Handlungsbedarf bei Altverträgen, die nicht geändert werden. Der Gesetzgeber hat für in der Vergangenheit abgeschlossene GAV, die den bisherigen Anforderungen nicht entsprechende Regelungen zur Verlustübernahme enthalten, eine Übergangsregelung bis zum 31.12.2014 geschaffen. Selbst wenn die Verträge keine Bezugnahme auf § 302 AktG in seiner Gesamtheit enthalten, wird die Organschaft danach bis Ende 2014 unter folgenden Voraussetzungen anerkannt:

  • Eine Verlustübernahme erfolgt tatsächlich entsprechend § 302 AktG und
  • die bisherige Vereinbarung zur Verlustübernahme wird bis zum 31.12.2014 durch den dynamischen Verweis ersetzt.

Die Änderung der Alt-GAV aufgrund der Anpassung an die neue Vorschrift gilt zufolge des Gesetzes nicht alsNeuabschluss“, so dass die steuerliche Anerkennung der Organschaft insoweit nicht gefährdet ist.

DStV rät zur Prüfung

Angesichts der Rechtsprechung des BFH, der Auffassung des BMF und der sich in den letzten Jahren daraus ergebenden Beratungspraxis dürfte nur noch in wenigen Fällen Handlungsbedarf bestehen. Dennoch sollten Altverträge geprüft werden, da bei zweifelhaften Formulierungen aufgrund der Neuerung ab Anfang 2015 kein Spielraum mehr existiert und somit die Organschaft zerstört wird.

DStV, Mitteilung v. 7.2.2013

Ab Mitte März 2013 werden Einkommensteuerbescheide für 2012 versandt

Die Finanzämter im Freistaat Thüringen werden die ersten Einkommensteuerbescheide für 2012 voraussichtlich ab Mitte März 2013 versenden. Die Finanzverwaltung bittet deshalb, derzeit von Rückfragen bei den Finanzämtern abzusehen

Hintergrund ist, dass den Finanzämtern gegenwärtig noch keine vollständigen Arbeitnehmerdaten vorliegen. Diese sind von den Arbeitgebern, den Renten- und Krankenversicherungen und anderen Institutionen bis zum 28. Februar elektronisch an die Finanzverwaltung zu übermitteln. Hierbei handelt es sich unter anderem um Daten zur Lohnsteuer, zum Rentenbezug sowie Beitragsdaten zur Altersvorsorge und zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die bundesweit an eine zentrale Stelle übermittelten Daten werden aufbereitet und anschließend den Finanzämtern in den einzelnen Bundesländern zugeordnet.

Durch die elektronische Übermittlung und den Abgleich der Arbeitnehmerdaten wird das Veranlagungsverfahren insgesamt beschleunigt. Fehlerhafte Eintragungen in der Einkommensteuererklärung können schneller gefunden und korrigiert werden. So minimiert sich für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber die Anzahl der Rückfragen durch die Finanzämter.

Die Einkommensteuererklärung kann jedoch bereits im Finanzamt abgegeben werden. Die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung erfolgt grundsätzlich nach der Reihenfolge des Eingangs. Für Diejenigen, die zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind, ist auch in diesem Jahr grundsätzlich der 31.05. der letzte Termin für die Abgabe der Einkommensteuererklärung. Die Einkommensteuererklärung kann auch auf elektronischem Weg (ELSTER) eingereicht werden. Aktuelle ELSTER-CD’s sind bei allen Finanzämter erhältlich.

Quelle: FinMin Thüringen, Medieninformation v. 8.2.2013

Unternehmensbesteuerung: OECD dringt auf stärkere internationale Zusammenarbeit

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) tritt für eine stärkere internationale Zusammenarbeit bei der Unternehmensbesteuerung ein. Sie verweist auf eine von ihr im Auftrag der G20 erstellte Studie mit dem Titel «Addressing Base Erosion and Profit Shifting». Diese analysiere, wie multinationale Konzerne Steuerbemessungsgrundlagen aushöhlen und Gewinne verlagern. Ergebnis sei, dass nur globale Ansätze dauerhaft verhindern können, dass Steuersysteme multinationale Unternehmen bevorzugen und kleine Betriebe sowie die Bürger das Nachsehen haben. Viele Steuersysteme ermöglichten es international agierenden Unternehmen, durch geschickte Kunstgriffe nur fünf Prozent Steuern zu zahlen, wo weniger große Firmen auf 30 Prozent kommen.

OECD-Untersuchungen zu ausländischen Direktinvestitionen (FDI) zeigten zudem, dass es Kleinstaaten und Territorien gibt, die als Durchlaufstationen für diese Investitionen dienen. Im Verhältnis zu großen Industrienationen erhielten sie überproportional viel FDI und investierten auch überproportional viel in Industrie- und Schwellenländer.

«Diese Taktiken sind zwar streng genommen legal, beeinträchtigen aber die Steuergrundlage vieler Länder und gefährden die Stabilität des weltweiten Steuersystems», warnt OECD-Generalsekretär Angel Gurría. In einer Zeit, in der Regierungen und Bürger zum Sparen gezwungen seien, müssten alle Steuerzahler, ob Privatleute oder Unternehmen, ihren Anteil zahlen und darauf vertrauen können, dass das internationale Steuersystem transparent sei.

Viele der heute geltenden Regeln seien eigentlich dafür gedacht, multinationale Unternehmen vor einer Doppelbesteuerung zu bewahren, erläutert die OECD. Allzu oft zahlten diese Unternehmen dann aber gar keine Steuern. Die Gesetze blendeten viele Faktoren des modernen Wirtschaftsgeschehens aus, so zum Beispiel die Verflechtungen über Grenzen hinweg, den Wert geistigen Eigentums oder neue Kommunikationstechnologien. Durch die Schlupflöcher, die es multinationalen Unternehmen ermöglichten, Steuern zu minimieren oder ganz zu vermeiden, erhielten große Firmen einen unfairen Vorteil. Darüber hinaus behinderten diese Kniffe Investitionen, Wachstum und Beschäftigung und führten dazu, dass der Durchschnittsbürger die Hauptsteuerlast zu tragen habe.

Die Methoden der multinationalen Unternehmen zur Steueroptimierung seien in den vergangenen zehn Jahren immer aggressiver geworden. So gibt es laut OECD zum Beispiel Firmen, die ihren Sitz in Hochsteuerländern haben und Tochtergesellschaften oder Briefkastenfirmen in Territorien mit niedrigen Steuern gründen, um so von deren vorteilhafter Steuergesetzgebung zu profitieren. Ausgaben oder Verluste meldeten diese Unternehmen im Gegenzug in den Hochsteuerländern.

Die jetzt vorgelegte Studie mache keine Vorschläge für optimale Steuersätze. Die OECD werde aber in den kommenden Monaten weiter verfolgen, wie viele Steuern den Staaten durch die Manöver großer Unternehmen entgehen. Außerdem wolle sie zusammen mit Regierungen und der Wirtschaft einen Maßnahmenkatalog entwerfen, der dabei helfen soll, das globale Steuersystem in einem festgelegten Zeitrahmen zu stärken.

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, PM vom 12.02.2013

Stellplatz- und Garagenkosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung

Aufwendungen für einen separat angemieteten Pkw-Stellplatz im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung können als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.


Zum Sachverhalt

Nach § 9 I 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 I 3 Nr. 5 S. 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

Im Streitfall machte der Kläger, ein Arbeitnehmer, vergeblich in seiner Einkommensteuererklärung im Rahmen der doppelten Haushaltsführung Kosten für eine Unterkunft sowie für einen gesondert angemieteten Pkw-Stellplatz am Arbeitsort geltend. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Entscheidung des BFH

Auf die Revision des Klägers hat der BFH nun die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FGzurückverwiesen. Denn im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung seien nicht nur Aufwendungen für wöchentliche Familienheimfahrten, (zeitlich befristete) Verpflegungsmehraufwendungen und (begrenzt auf die durchschnittliche Miete einer 60-m2-Wohnung) die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort, sondern auch sonstige notwendige Mehraufwendungen zu berücksichtigen. Hierzu könnten auch Kosten für einen Stellplatz oder eine Garage zählen, wenn die Anmietung, beispielsweise zum Schutz des Fahrzeugs oder auf Grund der angespannten Parkplatzsituation am Beschäftigungsort, notwendig ist. Das hat das FG nun im zweiten Rechtsgang zu prüfen.

BFH, Urt. v. 13. 11. 2012 – VI R 50/11

Pressemitteilung des BFH Nr. 9 v. 13. 2. 2013

Stellplatz- und Garagenkosten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung

Leitsatz

1. Aufwendungen für einen separat angemieteten PKW-Stellplatz können im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.

2. Die Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG und der (allgemeinen) in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale stehen dem Werbungskostenabzug insoweit nicht entgegen.

Gesetze

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Nr. 5
EStG § 12 Nr. 1
Instanzenzug

Hessisches FG vom 6. Juni 2011 1 K 2222/10 (EFG 2012, 243 )BFH VI R 50/11

Gründe

1  I. Streitig ist, ob Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

2  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr 2008 u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In seiner Einkommensteuererklärung machte er im Rahmen der doppelten Haushaltsführung Kosten für seine Unterkunft sowie für einen PKW-Stellplatz am Arbeitsort geltend. Für die Wohnung und den PKW-Stellplatz lagen zwei Mietverträge vor. In § 2 Abs. 5 des Mietvertrages über den Garagenstellplatz hieß es: „Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass weder ein wirtschaftlicher noch ein rechtlicher Zusammenhang zwischen diesem Stellplatzmietvertrag und einem Wohnraummietverhältnis besteht.” Weiterhin machte der Kläger in seiner Steuererklärung Fahrtkosten für Heimfahrten geltend. Er gab an, die Heimfahrten teilweise mit dem eigenen PKW und teilweise mit der Bahn durchgeführt zu haben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte zwar die Miet- und Mietnebenkosten für die gemietete Wohnung sowie die Fahrtkosten für Familienheimfahrten, nicht jedoch die Kosten für den PKW-Stellplatz in Höhe von 720 € (12 x 60 €).

3  Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 243 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die Aufwendungen für den Stellplatz stellten keine notwendigen Kosten im Rahmen der doppelten Haushaltführung dar. Sie seien insbesondere nicht zu den Wohnkosten zu zählen, sondern vielmehr —wie alle Unterhaltskosten für den PKW— mit der Entfernungspauschale für Familienheimfahrten abgegolten.

4  Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

5  Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Hessischen FG vom 6. Juni 2011 1 K 2222/10 und die Einspruchsentscheidung vom 13. August 2010 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom 13. August 2010 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 720 € berücksichtigt werden.

6  Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7  II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO —). Im Streitfall tragen die vom FG bisher getroffenen Feststellungen dessen Entscheidung nicht, dass die vom Kläger im Rahmen der doppelten Haushaltsführung geltend gemachten Aufwendungen für einen Stellplatz vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sind.

8  1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Senatsurteil vom 26. Juli 2012 VI R 10/12, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 112 ).

9  a) Zu den notwendigen Mehraufwendungen, die nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen sind, zählen insbesondere Aufwendungen für wöchentliche Familienheimfahrten, (zeitlich befristete) Verpflegungsmehraufwendungen und (begrenzt auf den durchschnittlichen Mietzins einer 60-qm-Wohnung) die Kosten der Unterkunft am Beschäftigungsort. Aber auch sonstige notwendige Mehraufwendungen, beispielsweise die —soweit nicht überhöht— Anschaffungskosten für die erforderliche Wohnungseinrichtung sind als Werbungskosten abziehbar (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 491, m.w.N.; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 413, m.w.N.; Urteil des Bundesfinanzhofs vom 3. Dezember 1982 VI R 228/80 , BFHE 137, 564 , BStBl II 1983, 467; FG München, Urteil vom 29. Dezember 2003 8 K 4428/00 , EFG 2005, 1677 ; Sächsisches FG, Urteil vom 18. September 2008 2 K 863/08 , EFG 2010, 131 ; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Juni 2011 9 K 9079/08 , EFG 2012, 35 ).

10  b) Liegt wie im Streitfall nach den bindenden Feststellungen des FG eine doppelte Haushaltsführung vor, können auch Kosten für einen Stellplatz oder eine Garage zu den notwendigen Mehraufwendungen im Sinne der Vorschrift zählen.

11  2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Feststellungen zur Notwendigkeit der Anmietung eines Stellplatzes durch den Kläger zu treffen haben.

12  Dabei hat es zu berücksichtigen, dass sich die Notwendigkeit von Stellplatzkosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung nicht danach bestimmt, ob das Vorhalten eines Kraftfahrzeugs am Beschäftigungsort beruflich erforderlich ist. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG lässt Mehraufwendungen für einen aus beruflichen Gründen geführten zweiten Haushalt und damit ggf. allgemeine Lebenshaltungskosten, die üblicherweise nach § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht abzugsfähig sind, zum Werbungskostenabzug zu. Aufwendungen, die der Steuerpflichtige für seinen Zweithaushalt tätigt, sind nur und insoweit abzugsfähig, als dieser beruflich veranlasst ist und die Aufwendungen hierfür notwendig sind. Dies gilt auch, soweit Aufwendungen für einen (separat angemieteten) PKW-Stellplatz beispielsweise zum Schutz des Fahrzeugs oder aufgrund der angespannten Parkplatzsituation am Beschäftigungsort in Rede stehen. Aus welchen Gründen der Steuerpflichtige dort einen PKW vorhält, ist ohne Bedeutung. Denn § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG erfasst gerade auch solche Kosten, die —ohne den aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushalt— den Lebensführungskosten zuzurechnen wären.

13  Sollte das FG im zweiten Rechtsgang die Erkenntnis gewinnen, dass die Kosten des Stellplatzes notwendig waren, werden diese Aufwendungen von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG oder der (allgemeinen) in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geregelten Entfernungspauschale nicht erfasst. Denn es handelt sich insoweit nicht um beschränkt abzugsfähige berufliche Mobilitätskosten, sondern um sonstige Kosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.

Rückforderung von an die Insolvenzmasse erstatteten Beträgen durch das Finanzamt

Im Streitfall hatte das Finanzamt Lohnsteuerbeträge im Wege der Lastschrift eingezogen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte der Insolvenzverwalter die Zahlungen jedoch angefochten, so dass das Finanzamt sie an die Insolvenzmasse erstattete. Nach erneuter Prüfung forderte das Finanzamt die Beträge nach den Vorschriften der Abgabenordnung mittels Rückforderungsbescheid vom Insolvenzverwalter zurück.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben und das Finanzamt auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Da die Erstattung aufgrund einer (vermeintlichen) bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung erfolgt sei, müsse auch die Rückforderung vor den Zivilgerichten verfolgt werden.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

 

Finanzgericht Düsseldorf, 12 K 3560/12 AO

Datum: 22.01.2013
Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper: 12. Senat
Entscheidungsart: Gerichtsbescheid
Aktenzeichen: 12 K 3560/12 AO
Tenor:

Der Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen

1Gründe :2I.

3Kläger ist der Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren der B GmbH (GmbH). Die von der GmbH für März 2009 und April 2009 angemeldeten Lohnsteuerbeträge hatte der Beklagte aufgrund einer erteilten Lastschrift zu den Fälligkeitsterminen eingezogen. Auf Antrag der GmbH vom 9.6.2009 wurde am 1.9.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger focht als Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen an. Der Beklagte erstattete deswegen die vereinnahmten Beträge zur Insolvenzmasse. Nach erneuter Überprüfung des Sachverhaltes gelangte der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nicht vorgelegen hätten und deswegen die Insolvenzmasse keinen Erstattungsanspruch gem. § 143 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) gehabt habe. Mit auf § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestütztem Rückforderungsbescheid vom 15.4.2011 forderte er den Kläger zur Rückzahlung der an die Insolvenzmasse erstatteten Beträge auf. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 23.8.2012) trägt der Kläger zur Begründung seiner Klage unter anderem vor:

4Der Beklagte habe den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt festsetzen dürfen, weil es sich nicht um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handele. So wie der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aus § 143 InsO auf Erstattung anfechtbarer Zahlungen vor den ordentlichen Gerichten verfolgen müsse, müsse der Beklagte die Rückgewähr des zur Erfüllung eines solchen Anspruches Geleisteten im Wege des Zivilrechts geltend machen. Für den Rechtsweg könne es keinen Unterschied machen, ob der Insolvenzverwalter seinen Anspruch aktiv verfolge oder ob er sich gegen die (unberechtigte) Rückforderung des Finanzamtes wehre.

5Der Kläger beantragt,

6den Rückforderungsbescheid vom 15. 4 2011 aufzuheben.

7Der Beklagte beantragt,

8die Klage abzuweisen.

9Zur Begründung trägt er unter anderem vor:

10Die Rückforderung sei zu Recht auf § 37 Abs. 2 AO gestützt worden. Es seien (Lohn-) Steuern ohne rechtlichen Grund zurück gezahlt worden, denn eine Verpflichtung aus § 143 Abs. 1 InsO habe nie bestanden.

11II.

12Die Klage ist begründet. Der angefochtene Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO- ).

13Die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch von § 37 Abs. 2 AO sind nicht erfüllt.

14Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, besteht gegenüber dem Leistungsempfänger gem. § 37 Abs. 2 AO ein Erstattungsanspruch. Gleiches gilt, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.

15Erstattung im Sinne von § 37 AO bedeutet die Rückzahlung von ohne rechtlichen Grund zur Erfüllung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gezahlter/zurückgezahlter Geldbeträge durch den Leistungsempfänger an denjenigen, auf dessen Rechnung die Leistung bewirkt worden war (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 37 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung § 37 AO, Rz. 22). Der Erstattungsanspruch bezweckt den Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16). Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruches ist die vorherige Erfüllung eines Zahlungs – oder Rückzahlungsanspruches aus dem Steuerschuldverhältnis ohne rechtlichen Grund oder nach späterem Wegfall des rechtlichen Grunds. (Drüen in Tipke/Kruse, § 37 AO Rz. 16).

16Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO entsteht nicht schon allein deshalb, weil eine Vermögensverschiebung zwischen einem Finanzamt und einer Privatperson erfolgt ist und dafür ein rechtlicher Grund nicht bestanden hat oder später fortgefallen ist. Die Vorschrift dient nicht dazu, Erstattungsansprüche ungeachtet des konkreten Lebenssachverhaltes in das öffentliche Recht zu transformieren (Krumm, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – ZIP – 2012, 959). § 37 Abs. 2 AO ist vielmehr eine für das Steuerrecht spezialgesetzliche Konkretisierung des allgemeinen öffentlich rechtlichen Erstattungsanspruches und setzt demgemäß voraus, dass es sich um die Korrektur einer Vermögensverschiebung handelt, die gerade aufgrund der öffentlich rechtlichen Beziehung zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde erfolgt ist (Krumm, ZIP 2012, 959). Dementsprechend ist die Behörde berechtigt, die Zahlung an einen nicht Empfangsberechtigten, die zur Begleichung einer steuerlichen Verbindlichkeit geleistet wurde, nach § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern, weil sie zur Erfüllung eines vermeintlichen Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnisses geleistet wurde (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Der Erstattungsanspruch ist deswegen dem öffentlichen Recht zuzuordnen Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24). Die Erstattung von Vermögensverschiebungen außerhalb des Steuerrechtsverhältnisses kann hingegen nicht unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 AO verlangt werden, sondern ist im ordentlichen Rechtsweg zu verfolgen und nach § 812 BGB zu korrigieren (Schmieszek in Beermann Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Nebengesetze § 37 AO, Rz. 41.1 und 62; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung Kommentar § 37 AO, Rz. 20 und 24).

17Der Beklagte hat den mit dem angefochtenen Bescheid geforderten Betrag nicht zuvor an den Kläger zur Erfüllung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis zurückgezahlt. Die Erstattung erfolgte in Befolgung einer – vermeintlich oder tatsächlich – sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden, bürgerlich – rechtlichen Verpflichtung. Dies schließt die Rückforderung der solchermaßen erstatteten Beträge durch Verwaltungsakt aus (s.o). Der Beklagte ist verpflichtet, etwaige Ansprüche vor den Zivilgerichten durchzusetzen (s.o).

18Der Beklagte hat dem Kläger das Geld nicht zur Korrektur ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen, die mit dem materiellen Steuerrecht nicht übereinstimmen, zurück gezahlt. Nach materiellem Steuerrecht war er nämlich berechtigt, das von C gezahlte Geld zu behalten. C hatte die vom Beklagten erstatteten Beträge aufgrund von Steuerfestsetzungen bezahlt. Der steuerrechtliche Grund für das Behaltendürfen dieser Zahlungen war weder im Zeitpunkt der Erstattung seitens des Beklagten noch ist er später entfallen, denn die diesen Zahlungen zugrunde liegenden Steuerbescheide sind nicht aufgehoben oder geändert worden (vgl. § 124 AO). Die Steuerbescheide sind insbesondere nicht wegen der seitens des Klägers erklärten Insolvenzanfechtung unwirksam, weil lediglich die gläubigerbenachteiligende Zahlung angefochten wird, wodurch die Bestandskraft der der Leistung zugrunde liegenden Verwaltungsakte nicht berührt wird (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes – BFH- vom 5. September 2012, VII B 95/12, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 854; Krumm ZIP 2012, 959). Rechtsgrund der Zahlung war allein die Befolgung der sich aus § 143 Abs. 1 InsO ergebenden Verpflichtung. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des VII. Senates des BFH, der der Senat folgt, um einen originär gesetzlichen, zivilrechtlichen Anspruch und nicht um einen Erstattungsanspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen im BFH- Beschluss vom 5. September 2012 (VII B 95/12, BStBl II 2012, 854) Bezug genommen. Da mit der Zahlung an den Insolvenzverwalters kein Anspruch auf eine Steuererstattung, sondern eine zivilrechtliche Forderung beglichen wurde, kann das zum Ausgleich Geleistete vom Beklagten später nicht nach § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden, weil es am Tatbestand einer vorhergehenden, durch § 37 Abs. 2 AO zu korrigierenden Vermögensverschiebung im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses fehlt (Krumm, ZIP 2012, 959; ernstlich zweifelhaft, ob eine Rückforderung des Finanzamtes auf § 37 Abs. 2 AO gestützt werden kann: BFH- Beschluss vom 27. September 2012, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV 2012, 106).

19Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

20Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 zuzulassen.

Steuerschuldnerschaft von Personen, die geschmuggelte Zigaretten erwerben

Der BFH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der inländische Hehler, der nach Beendigung des vorschriftswidrigen Verbringens die Zigaretten im Inland übernimmt, Steuerschuldner i. S. des § 19 TabStG ist (Az. VII R 44/11).

 Leitsatz

Steht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat?

Gesetze

TabStG § 12 Abs. 1
TabStG § 19
Richtlinie 92/12/E
WG Art. 6 Abs. 1
Richtlinie 92/12/E
WG Art. 7 Abs. 1, 2 und 3,Art. 9 Abs. 1
Instanzenzug

FG Hamburg vom 24. Mai 2011 4 K 30/11

Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde mit rechtskräftigem Urteil wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In den Urteilsgründen führte das Strafgericht aus, der Kläger habe von einer Organisation, die sich mit dem Schmuggel unverzollter und unversteuerter Zigaretten beschäftigt habe, mehrfach unverzollte und unversteuerte Zigaretten abgenommen, um diese weiterzuverkaufen. Mit Bescheid vom 28. Juli 2010 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt) den Kläger gesamtschuldnerisch mit drei weiteren Schuldnern wegen Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Steueranspruch ergebe sich aus § 19 Satz 1 des Tabaksteuergesetzes (TabStG ) in der zur Tatzeit (Oktober 2008) geltenden Fassung. Im Streitfall seien Zigaretten ohne deutsche Steuerzeichen außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens zu gewerblichen Zwecken aus einem anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Nach den im Strafurteil getroffenen Feststellungen, die sich das Gericht zu eigen mache, habe der Kläger wiederholt unverzollte und unversteuerte Zigaretten von einer Gruppe von Schmugglern in der Absicht bezogen, diese weiterzuverkaufen und davon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nachdem die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht worden seien, habe der Kläger sie als Empfänger in Besitz genommen, so dass er nach § 19 Satz 2 TabStG Steuerschuldner geworden sei.

2  Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG (Richtlinie 92/12/EWG) des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 76/1) seien als Steuerschuldner beim Verbringen oder Versenden einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische Steuergebiet alle Personen anzusehen, die Herrschaft über die Ware erlangten. Somit komme auch ein weiterer Empfänger im Steuergebiet, z.B. ein Zwischenhändler oder ein Abnehmer, als Steuerschuldner in Betracht. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Festlegung der Zollschuldner in Art. 202 und 203 des Zollkodex. Empfänger i.S. des § 19 Satz 2 TabStG könne somit auch eine Person sein, die den Besitz an den Tabakwaren erst nach der Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange.

3  Der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der Empfänger nicht mehr sein könne, wer den Besitz an den Tabakwaren erst nach Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange (BGH-Urteil vom 2. Februar 2010 1 StR 635/09 , Neue Zeitschrift für Strafrecht —NStZ— 2010, 644), könne nicht gefolgt werden.

4  Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Revision eingelegt.

II.

5  Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung ) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die nachfolgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

6  Steht Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat?

III.

7  Nach Auffassung des Senats sind für die Lösung des Streitfalls die folgenden unionsrechtlichen und nationalen Bestimmungen von Bedeutung:

    Unionsrecht

9  Richtlinie 92/12/EWG

Art. 6 Abs. 1:

Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr oder mit der Feststellung von Fehlmengen gemäß Artikel 14 Absatz 3.

Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3:

(1) Befinden sich verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat, so werden die Verbrauchsteuern in dem Mitgliedstaat erhoben, in dem sich die Waren befinden.

(2) Werden Waren, die bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr gemäß Artikel 6 übergeführt worden sind, innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert, zur Lieferung bestimmt oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung bereitgestellt, so entsteht der Verbrauchsteueranspruch unbeschadet des Artikels 6 in diesem anderen Mitgliedstaat.

(3) Die Verbrauchsteuer wird je nach Fallgestaltung von der Person geschuldet, die die Lieferung vornimmt, oder die die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt, oder von der Person, dem gewerblichen Wirtschaftsbeteiligten oder der öffentlich-rechtlichen Einrichtung, bei der die Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem sie bereits in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, bereitgestellt werden.

Art. 9 Abs. 1:

Unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 entsteht die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden.

In diesem Fall wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und von der Person, in deren Besitz sie sich befinden.

10  TabStG

§ 12 Abs. 1:

Für Tabakwaren ist die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen zu entrichten. Die Verwendung umfasst das Entwerten und das Anbringen der Steuerzeichen an den Kleinverkaufspackungen. Die Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuer entsteht.

§ 19:

Werden Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht oder versandt, entsteht die Steuer mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Der Steuerschuldner hat über Tabakwaren, für die die Steuer entstanden ist, unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben. Die Steuer ist sofort zu entrichten. Die Tabakwaren sind nach § 215 der Abgabenordnung sicherzustellen.

IV.

11  Die rechtliche Würdigung des Streitfalls ist unionsrechtlich zweifelhaft. Die Entscheidung über die Revision hängt von der Frage ab, ob Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG dahingehend auszulegen ist, dass die Steuer von jeder Person geschuldet wird, die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz hält, oder ob diese Vorschrift dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass die Steuer nur von derjenigen Person geschuldet wird, die die Waren erstmals zu gewerblichen Zwecken in dem anderen Mitgliedstaat in Besitz hält. Die letztgenannte Deutung führte dazu, dass in Fällen, in denen die verbrauchsteuerpflichtigen Waren innerhalb des anderen Mitgliedstaats in einer Reihe von Transaktionen nacheinander an verschiedene Personen übergeben werden, nur der Erstbesitzer in der Kette als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden könnte.

12  1. Nach den nationalen Vorschriften entsteht die Tabaksteuer, wenn Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG , d.h. ohne deutsche Steuerzeichen, aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet verbracht werden, mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet (§ 19 Satz 1 TabStG ). Steuergebiet ist nach § 1 Satz 2 TabStG das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Gebiet von Büsingen und ohne die Insel Helgoland. Die vom Kläger bezogenen Zigaretten sind außerhalb eines Steueraussetzungsverfahrens aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet verbracht worden. Zudem waren im Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze an den Kleinverkaufspackungen keine deutschen Steuerzeichen angebracht, wie dies nach § 12 Abs. 1 TabStG erforderlich gewesen wäre. Außer Frage steht, dass die Zigaretten nicht dem ausschließlich privaten Konsum der an ihrem Verbringen Beteiligten dienen sollten. Vielmehr waren sie für den Weiterverkauf im Steuergebiet bestimmt. Für die zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das Steuergebiet verbrachten Zigaretten ist somit gemäß § 19 Satz 1 TabStG im Zeitpunkt des Grenzübertritts die Tabaksteuer entstanden. Steuerschuldner ist nach den nationalen Bestimmungen (§ 19 Satz 2 TabStG ) sowohl derjenige, der die Tabakwaren verbringt oder versendet, als auch der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat.

13  2. Der vorlegende Senat hat Zweifel, ob Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG die steuerrechtliche Inanspruchnahme lediglich des Erstbesitzers zulässt, oder ob nach den unionsrechtlichen Vorgaben jede Person, die in einem Mitgliedstaat mit unversteuerten Waren angetroffen wird, die aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats stammen, als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann oder in Anspruch zu nehmen ist. Diese Zweifel ergeben sich aus dem in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG aufgenommenen Hinweis, nach dem die Verbrauchsteuer unbeschadet der Artikel 6, 7 und 8 Richtlinie 92/12/EWG entsteht.

14  Für den Fall, dass bereits in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte Waren innerhalb eines anderen Mitgliedstaats geliefert oder für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, bereitgestellt werden, wird die Verbrauchsteuer gemäß Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG je nach Fallgestaltung von der Person geschuldet, die die Lieferung vornimmt oder die zur Lieferung bestimmten Waren besitzt, oder von der Person bzw. von dem gewerblichen Wirtschaftsbeteiligten, bei denen die Waren bereitgestellt werden. In Bezug auf die Person des Steuerschuldners stellt Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG lediglich auf die Vornahme einer Lieferung, den Besitz zur Lieferung bestimmter Waren und die Bereitstellung von Waren ab. Der Wortlaut der Vorschrift könnte ein Normverständnis nahelegen, nach dem nur die erstmalige Lieferung oder die erstmalige Inbesitznahme einer Ware eine Steuerschuldnerschaft begründen.

15  Nach Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG entsteht hingegen die Verbrauchsteuer, wenn die in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat in Besitz gehalten werden. Nach dem Wortlaut der Vorschrift setzt die Steuerentstehung weder einen Liefervorgang noch eine Bereitstellung von Waren voraus. Ausreichend ist vielmehr ein bestimmter Zustand bzw. ein Rechtsverhältnis, nämlich die Ausübung der Sachherrschaft über eine Ware, die andere Personen von ihrer Verwendung ausschließt. In diesen Fällen wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat geschuldet, auf dessen Gebiet sich die Waren befinden, und zwar von der Person, in deren Besitz sie sich befinden. Zur Begründung der Steuerschuldnerschaft reicht es somit aus, wenn eine Person angetroffen wird, die die unmittelbare Sachherrschaft über verbrauchsteuerpflichtige Waren ausübt, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht versteuert worden sind. Im Gegensatz dazu enthält Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG keine Regelungen hinsichtlich der Steuerschuldnerschaft. Eine solche ist in Art. 7 Abs. 2 und 3 Richtlinie 92/12/EWG nur für die Fälle der Lieferung und Bereitstellung von Waren vorgesehen. Sofern festgestellt wird, dass sich Waren zu gewerblichen Zwecken in einem anderen Mitgliedstaat befinden als dem, in dem sie versteuert worden sind, ist das Verhältnis der Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG nicht klar.

16  3. Für den Fall, dass unversteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung vorgefunden werden, hat der EuGH Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG dahingehend ausgelegt, dass der Besitz der betreffenden Ware eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne dieser Vorschrift darstellt (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 C-325/99, Slg. 2001, I-2729). Zudem hat er darauf hingewiesen, sowohl der Systematik der Richtlinie als auch ihrer neunten Begründungserwägung sei zu entnehmen, dass die nationalen Behörden jedenfalls dafür sorgen müssen, dass die geschuldete Steuer tatsächlich eingezogen wird. Die im Hinblick auf die Auslegung des Art. 6 Richtlinie 92/12/EWG gezogenen Schlussfolgerungen lassen sich nach Auffassung des vorlegenden Senats auch für die Deutung des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG nutzbar machen. Die Mitgliedstaaten haben dafür Sorge zu tragen, dass eine in ihrem Steuergebiet vorgefundene und aus einem anderen Mitgliedstaat stammende verbrauchsteuerpflichtige Ware, für die die Steuer zwar entstanden, jedoch noch nicht entrichtet worden ist, nicht unversteuert bleibt. Es geht dem Unionsrecht bei der Bestimmung des (verbrauchsteuerrechtlichen) Abgabenschuldners offenbar darum, denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen unmittelbarer Obhut sich eine Ware befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände relativ leicht ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10. Oktober 2007 VII R 49/06 , BFHE 218, 469 , Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2008, 85). Die Systematik der unionsrechtlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des EuGH scheinen den steuerrechtlichen Zugriff auf Personen zu verlangen, denen unversteuerte Waren eindeutig zugeordnet werden können. Dabei scheint es nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG ohne Belang zu sein, ob die Ware in einer Lieferkette an mehrere Personen weitergegeben worden ist. Jeder, der mit der unversteuerten Ware angetroffen wird, müsste daher Steuerschuldner sein.

17  4. Ergänzend weist der Senat auf die Rechtsprechung des BGH hin. Nach dessen Auffassung (BGH-Urteil in NStZ 2010, 644) ist die streitentscheidende nationale Vorschrift (§ 19 TabStG ) dahingehend zu deuten, dass Empfänger nur derjenige sein kann, der den Besitz an den Tabakwaren vor Beendigung des Verbringungs- oder Versendungsvorgangs erlangt hat. Nach dieser Auffassung ist eine Beendigung dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und „zur Ruhe gekommen” sind, d.h. wenn die Tabakwaren die „gefährliche” Phase des Grenzübertritts passiert haben, und der Verbringer oder Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat. Diese Auslegung des Begriffs „Empfänger” hat zur Folge, dass nur der Erstbesitzer der eingeschmuggelten Waren Steuerschuldner sein kann. Wer eingeschmuggelte Zigaretten von anderen Personen übernimmt, um sie sodann weiterzuverkaufen und hiervon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kommt als Steuerschuldner nicht mehr in Betracht.

18  Da § 19 TabStG der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Richtlinie 92/12/EWG in nationales Recht dient, ist bei der Auslegung der Vorschrift der Sinn und Zweck der einschlägigen Richtlinienbestimmungen und die Rechtsprechung des EuGH zu beachten. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könnte Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG der vom BGH getroffenen Auslegung entgegenstehen.

19  Wegen der bestehenden Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG im Lichte der in Art. 6 und 7 Abs. 3 Richtlinie 92/12/EWG getroffenen Regelungen hält es der Senat für erforderlich, den EuGH um eine Vorabentscheidung zu der unter II. gestellten Frage zu ersuchen.

Kindergeld: Fahrtaufwendungen als Werbungskosten

Kindergeld: Fahrtaufwendungen als Werbungskosten – Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

Urteil vom 16.1.2013, VI R 14/12

Der BFH hat dazu Stellung genommen, ob im Rahmen eines Studiums durchgeführte Fahrten zur Praktikumsstätte und zur Fachhochschule nach Dienstreisegrundsätzen oder als Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte bei der Ermittlung der Einkünfte eines Kindes zu berücksichtigen sind (Az. VI R 14/12).

 

 Leitsatz

Leistet ein Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung in einem Betrieb außerhalb der Hochschule ab, ist der Betrieb nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte. Die Kosten für die Wege dorthin sind uneingeschränkt als Werbungskosten abziehbar.

Gesetze

EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 5
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG § 9 Abs. 6
EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG § 52 Abs. 23d Satz 5
Instanzenzug

FG Nürnberg vom 11. November 2010 7 K 1081/2009 BFH VI R 14/12

Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog für seinen 1984 geborenen Sohn (J) Kindergeld im Streitjahr 2007. J studierte seit dem Wintersemester 2004/2005 an der Fachhochschule C-Stadt den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, den er im März 2009 mit der erfolgreich abgelegten Diplomprüfung abschloss.

2  Das von J durchgeführte Fachstudium umfasst zwei praktische Studiensemester. Diese sind Bestandteil des Studiums und erstrecken sich einschließlich der praxisbegleitenden Lehrveranstaltungen über einen regelmäßig zusammenhängenden Zeitraum von 20 Wochen. Sie werden unter der Betreuung der Hochschule in Betrieben außerhalb der Hochschule abgeleistet und integrieren Studium und Berufspraxis. Während der praktischen Studiensemester bleibt der Student Mitglied der Hochschule.

3  Zur Durchführung der praktischen Studiensemester schloss J am 16. März 2005 mit der Firma Z (GmbH) in A einen „Ausbildungsvertrag für das Studium mit vertiefter Praxis” ab. In § 1 des Vertrags ist u.a. bestimmt, dass die betriebliche Zusatzpraxis Bestandteil des Studiums ist und ausschließlich der Vertiefung der Ausbildungsinhalte der praktischen Studiensemester dient. Nach § 2 des Vertrags umfasste die betriebliche Ausbildung während der praktischen Studiensemester und der Zusatzpraxis den Zeitraum vom 1. August 2005 bis zum 31. Juli 2008. Die GmbH verpflichtete sich u.a., den „Studenten” in der Ausbildungszeit auszubilden, fachlich zu betreuen und ihm die Teilnahme an Lehrveranstaltungen und Prüfungen zu ermöglichen. J verpflichtete sich, die gebotenen Ausbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen und dabei die tägliche Ausbildungszeit, die der üblichen Arbeitszeit der Ausbildungsstelle entsprach, einzuhalten. Er verpflichtete sich auch zu einem ordnungsgemäßen Studium mit dem Ziel, das Studium möglichst in der Regelstudienzeit abzuschließen (s. zu den Pflichten der Vertragspartner im Einzelnen § 3 des Vertrags). In § 4 des Vertrags wurde zudem eine monatliche Ausbildungsvergütung vereinbart (1. Ausbildungsjahr: 716 € brutto; 2. Ausbildungsjahr: 766 € brutto; 3. Ausbildungsjahr: 801 € brutto). Die Fachhochschule C-Stadt stimmte der Ableistung der beiden praktischen Studiensemester durch J bei der GmbH am 4. April 2005 zu.

4  J bezog im Streitjahr von der GmbH Vergütungen in Höhe von 12.845 € abzüglich Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 2.621,67 €. Er suchte die GmbH an 173 und die Fachhochschule an 47 Tagen auf. Die Entfernung von seiner Wohnung zur GmbH betrug 20 km und zur Fachhochschule 10 km. J musste im Streitjahr Studiengebühren in Höhe von 577 € aufbringen.

5  Mit Bescheid vom 10. Februar 2009 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Festsetzung von Kindergeld für das Streitjahr auf und forderte das für diesen Zeitraum bereits gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.848 € zurück. Die Familienkasse war der Ansicht, dass die Einkünfte und Bezüge des J den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG ) überschritten hätten.

6  Im Klageverfahren machte der Kläger u.a. geltend, die Einkünfte des J hätten sich im Streitjahr auf lediglich 7.429 € belaufen und damit den Jahresgrenzbetrag unterschritten. Die Kosten für die Wege zur GmbH seien gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt abziehbar. Die GmbH sei nicht die regelmäßige Arbeitsstätte seines Sohnes gewesen.

7

 

  Die Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ermittelte die gemäß § 32 Abs. 4 EStG maßgeblichen Einkünfte wie folgt:
  Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit

  12.845,00 €

  abzüglich Sozialversicherungsbeträge

  2.621,67 €

  abzüglich Werbungskosten:
  Wege zur GmbH (173 x 20 km x 0,30 €/km)

  1.038,00 €

  besondere Ausbildungskosten:
  Fahrten zur Fachhochschule (47 x 10 km x 0,30 €/km x 2)

    282,00 €

  Studiengebühren

  577,00 €

  Einkünfte

  8.326,33 €

 

8  Die Einkünfte des J hätten damit den Jahresgrenzbetrag von 7.680 € überschritten. Dem Kläger stehe für das Streitjahr kein Kindergeld zu.

9  Die Ausbildungsstätte der GmbH sei eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte des J gewesen. Zwar führe allein der dreijährige Zeitraum, über den sich die Praktika erstreckt hätten, noch nicht zu der Annahme, dass die Arbeitsstätte auf Dauer angelegt gewesen sei. Im Streitfall bestehe jedoch die Besonderheit, dass die theoretische Ausbildung an der Fachhochschule und das Praktikum über einen Zeitraum von drei Jahren nicht nur parallel gelaufen wären, sondern eng miteinander verzahnt gewesen seien. Es habe sich ausdrücklich um einen Ausbildungsvertrag für das Studium mit vertiefter Praxis und nicht um eine Aneinanderkettung mehrerer zu absolvierender Praktika —zufällig— beim selben Betrieb gehandelt. Damit habe bereits ab Vertragsschluss für J festgestanden, dass dieser mit Ausnahme der Zeiten für die theoretische Ausbildung und Prüfungen im Ausbildungsbetrieb hätte tätig sein müssen. Gerade die Zahl der Tage, an denen J in den Jahren 2006 (117 Tage) und 2007 (173 Tage) die GmbH aufgesucht habe, zeige deutlich, dass der Betrieb in diesen Jahren nicht mehr gelegentlich, sondern nachhaltig und gegenüber der Fachhochschule (47 Tage im Jahr 2007) sogar zeitlich überwiegend aufgesucht worden sei.

10  J hätte ohne Weiteres mit anderen Arbeitnehmern oder Auszubildenden der GmbH eine Fahrgemeinschaft bilden können, da er an den Tagen, an denen er den Betrieb aufgesucht habe, die dortigen Arbeitszeiten habe einhalten müssen und nach seinen Angaben an den einzelnen Tagen immer nur entweder die GmbH oder die Fachhochschule aufgesucht habe, nicht aber im Dreieck zwischen diesen gependelt sei.

11  Vor dem Hintergrund, dass ein Ausbildungsvertrag, der eine Vergütung für den gesamten Zeitraum, also auch für Zeiten der theoretischen Ausbildung, vorsehe und die Verpflichtung zu einem ordnungsgemäßen Studium möglichst in der Regelstudienzeit (vgl. § 3 des Ausbildungsvertrags) enthalte, deutlich auch vom Interesse des Ausbildungsbetriebes an der Nachwuchsgewinnung und der Chance für den Studierenden, dort im Anschluss an das Studium eine Anstellung zu erhalten, geprägt sei, werde die Praktikantenstelle bei der GmbH als regelmäßige Ausbildungs- bzw. Arbeitsstätte angesehen.

12  Die Fahrtkosten seien daher nicht nach Dienstreisegrundsätzen, sondern lediglich mit der Entfernungspauschale, also mit 173 Tagen x 20 km x 0,30 €/km in Höhe von 1.038 € zu berücksichtigen.

13  Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

14  Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Bescheid vom 10. Februar 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2009 aufzuheben.

15  Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

16  Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ).

17  1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das —wie J im Streitjahr 2007— das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nicht übersteigen.

18  a) Der Begriff der Einkünfte i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—, z.B. Urteil vom 17. Juni 2010 III R 59/09, BFHE 230, 142 , BStBl II 2011, 121).

19  b) Darüber hinaus sind nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164 ) im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen (BFH-Urteile vom 9. Februar 2012 III R 73/09 , BFHE 236, 407 , BStBl II 2012, 463; vom 5. Juli 2012 VI R 99/10, BFHE 238, 93 ).

20  c) Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG bleiben bei der Ermittlung der schädlichen Grenze von 7.680 € Bezüge außer Ansatz, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bzw. Einkünfte, die für solche Zwecke verwendet werden. Solche besonderen Ausbildungskosten sind alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen. Ausbildungsbedingte Mehraufwendungen, die nicht bereits als Werbungskosten (§ 9 EStG ) im Rahmen einer Einkunftsart des Kindes berücksichtigt werden, sind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG von der Summe der Einkünfte und Bezüge abzuziehen. Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen Kosten der Lebensführung und dem ausbildungsbedingten Mehrbedarf in der Weise, wie dies im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses zwischen den Kosten der Lebensführung und den durch den Beruf veranlassten Kosten (Werbungskosten) geschieht. Es sind die den Abzug der jeweiligen Aufwendung betreffenden steuerlichen Vorschriften dem Grunde und der Höhe nach zu beachten (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Urteile vom 22. September 2011 III R 38/08 , BFHE 235, 331 , BStBl II 2012, 338; vom 15. Juli 2010 III R 70/08, BFH/NV 2010, 2253 ; vom 27. Oktober 2011 III R 92/10, BFH/NV 2012, 412 ).

21  2. Die Vorentscheidung beruht teilweise auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher ebenso wie die Einspruchsentscheidung und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

22  a) Nach den Feststellungen des FG erzielte J im Streitjahr Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 12.845 €. Von denen sind, wie zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist, Beiträge zur Sozialversicherung (2.621,67 €) und —als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen— Studiengebühren (577 €) abzuziehen. Darüber hinaus sind die Kosten für die Wege zur GmbH als Werbungskosten bei den Einkünften des J aus nichtselbständiger Arbeit in tatsächlicher Höhe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berücksichtigen. Die Abzugsbeschränkung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kommt nicht zur Anwendung.

23  b) Nach der Rechtsprechung des Senats sind als Werbungskosten sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Bildungsmaßnahme stehen, abziehbar. Hierzu gehören auch Fahrt- bzw. Mobilitätskosten. Sie sind grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Die Begrenzung der Steuererheblichkeit von Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist im Rahmen beruflicher Bildungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu beachten. Denn eine Bildungsmaßnahme ist regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeiten, sich auf die immer gleichen Wege einzustellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinzuwirken (s. im Einzelnen Senatsentscheidungen vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431 ; VI R 42/11, BFHE 236, 439 ; vom 19. September 2012 VI R 78/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2013, 123 ; vom 18. September 2012 VI R 65/11, nicht veröffentlicht).

24  c) Nach diesen Grundsätzen sind die Kosten für die Wege zur GmbH in tatsächlicher Höhe abzugsmindernd zu berücksichtigen. Die Tätigkeit des J in der GmbH als eine Art Praktikant war nämlich Teil einer Bildungsmaßnahme und im Übrigen nicht auf Dauer angelegt. Wie sich aus der im Ausbildungsvertrag erwähnten „Verordnung über die praktischen Studiensemester an Fachhochschulen” (Praxissemesterverordnung —PrSV—) des Bayrischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 16. Oktober 2002 (GVBl 2002, 589) ergibt, ist das praktische Studiensemester einschließlich etwaiger Zusatzpraktika (s. dazu § 7 PrSV) ein in das Studium integriertes, von der Fachhochschule geregeltes, inhaltlich bestimmtes, betreutes und mit Lehrveranstaltungen begleitetes Studiensemester, das i.d.R. in einem Betrieb oder in einer anderen Einrichtung der Berufspraxis außerhalb der Hochschule abgeleistet wird (§ 1 Abs. 1 PrSV). Während der praktischen Studiensemester bleiben die Studenten Mitglieder der Hochschule mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten (§ 1 Abs. 4 PrSV). Damit ist die Universität trotz der praktischen Ausbildung Mittelpunkt der Tätigkeit. Insoweit unterscheidet sich das hier streitgegenständliche Hochschulstudium von einem herkömmlichen Ausbildungsverhältnis, in dessen Rahmen der Steuerpflichtige bereits Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt.

25  aa) Da danach die erwähnte praktische Tätigkeit Teil der Hochschulausbildung ist, kommt —wie regelmäßig in den Fällen der Hochschulausbildung— § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nicht zur Anwendung. Der Betrieb, in dem der Student den praktischen Teil seiner Hochschulausbildung ableistet, ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG .

26  bb) Dem Abzug der Wegekosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG steht § 9 Abs. 6 i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (BeitrRLUmsG ) vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592 ) nicht entgegen.

27  § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG bestimmt, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.

28  Gemäß § 52 Abs. 23d Satz 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ist § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden. § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG schließt jedoch den Werbungskostenabzug nicht aus, weil sich J während seiner Tätigkeit in der GmbH „im Rahmen eines Dienstverhältnisses” befand. Bei dem Dienstverhältnis i.S. des § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG handelt es sich um ein Dienstverhältnis besonderer Art, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist (sog. Ausbildungsdienstverhältnis; BFH-Urteile vom 7. August 1987 VI R 60/84 , BFHE 150, 435 , BStBl II 1987, 780; vom 19. April 1985 VI R 131/81, BFHE 143, 572 , BStBl II 1985, 465). „Im Rahmen” eines Dienstverhältnisses findet die Erstausbildung bzw. das Erststudium statt, wenn, wie hier, die Teilnahme an der Ausbildung oder am Studium verpflichtender Gegenstand des Arbeitsvertrags ist (Fissenewert in Herrmann/Heuer/Raupach, § 12 EStG Rz 177).

29  d) Ob und in welchem Umfang die Kosten für die Wege zur Fachhochschule als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu berücksichtigen sind, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben. Zwar sind diese Kosten als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu qualifizieren. Allerdings orientiert sich, wie dargestellt, nach der bisherigen Rechtsprechung der ausbildungsbedingte Mehrbedarf sowohl dem Grund als auch der Höhe nach an den entsprechend anwendbaren Vorschriften über den Werbungskostenabzug (BFH-Urteil in BFHE 235, 331 , BStBl II 2012, 338, m.w.N., zu § 9 Abs. 2 EStG ). Ob dies auch für § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG gilt, ist zwar nach Auffassung des Senats im Hinblick auf die Bedeutung des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG fraglich, muss jedoch hier nicht entschieden werden. Denn auch ohne Berücksichtigung der Kosten für die Wege zur Fachhochschule wird der Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 € nicht überschritten:

30

 

  Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit

  12.845,00 €

  abzüglich Sozialversicherungsbeträge

  2.621,67 €

  abzüglich Werbungskosten:  
  Wege zur GmbH (173 x 20 km x 0,30 €/km x 2)

  2.076,00 €

  besondere Ausbildungskosten: