- 1. Aus dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 21. September 2012 – 3 K 104/11 – an den Gerichtshof der Europäischen Union ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Vergnügungsteuerbescheides.
2. Auch die Anhängigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Union über die Frage der Zulässigkeit einer kumulativen Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer (Az. C-440/12) rechtfertigt allein noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angegriffenen Vergnügungsteuerbescheides.
OVG Lüneburg 9. Senat, Beschluss vom 30.01.2013, 9 ME 160/12
EGRL 112/2006
Gründe
1
Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.2
Aus dem Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den angegriffenen Vergnügungsteuerbescheid bereits deshalb anzuordnen wäre, weil das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 21. September 2012 – 3 K 104/11 – dem Gerichtshof der Europäischen Union u. a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob Art. 401 (in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahingehend auszulegen sei, dass Mehrwertsteuer und nationale Sonderabgabe auf Glückspiele nur alternativ und nicht kumulativ erhoben werden dürften. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zu Recht und unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats davon ausgegangen, dass die Erhebung einer Vergnügungsteuer für Glückspiele neben der Mehrwertsteuer nicht gegen Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG verstößt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.05.2011 – 9 B 34.11 – ZKF 2012, 90; Beschlüsse des erkennenden Senats vom 15.05.2009 – 9 LA 406 und 407/07 – und vom 22.03.2007 – 9 ME 84/07 – OVG MüLü 50, 450 = NVwZ-RR 2007, 551).3
Wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, ergeben sich aus dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vergnügungsteuerbescheides. Nach der Begründung des Vorlagebeschusses tendiert das Finanzgericht selbst zu der Auffassung, das Europarecht erlaube die kumulative Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer, und legt die Frage nur wegen der zitierten, vom Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen in der beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Rechtssache „Leo-Libera“ (Az. C-58/09) geäußerten Auffassung vor. Allein die abweichende Meinung des Generalanwalts kann jedoch nicht dazu führen, dass vernünftige Zweifel an der richtigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts begründet werden (hierzu ausführlich: OVG NW, Beschluss vom 27.11.2012 – 14 A 2351/12 – zitiert nach juris) und rechtfertigen nicht die Annahme, die Erhebung der Vergnügungsteuer verstoße entgegen der bisher einhelligen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe gegen Europarecht (hierzu im Einzelnen bereits BVerwG, Beschluss vom 25.05.2011 – 9 B 34.11 – a. a. O.; ebenso OVG NW, Beschlüsse vom 27.11.2012 – 14 A 2351/12 – a. a. O., vom 07.11.2012 – 14 A 2350/12 – und vom 10.05.2012 – 14 A 885/12 – jeweils zitiert nach juris; VGH BW, Urteil vom 13.12.2012 – 2 S 1010/12 – zitiert nach juris).4
Entgegen dem Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch der Umstand, dass aufgrund des Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Hamburg über die Frage der kumulativen Erhebung von Mehrwertsteuer und Vergnügungsteuer ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängig ist (Az. C-440/12), noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Vergnügungsteuerbescheides, die eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geböten. Die Klägerin kann sich zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung nicht auf die angeführten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs stützen (BFH, Beschlüsse vom 05.05.1994 – V S 11/93 – BFH/NV 1995, 368 und vom 24.03.1998 – I B 100/97 – BFHE 185, 467), da die Aussetzung der Vollziehung der dort angegriffenen Steuerbescheide gerade nicht allein auf der Vorlage klärungsbedürftiger gemeinschaftsrechtlicher Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union beruhte, sondern in diesen Verfahren konkrete Zweifel an der Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht bestanden und sich daraus die Möglichkeit ergab, dass die vorgelegte Rechtsfrage im Sinne der Kläger geklärt werden könnte. Wie bereits ausgeführt bestehen jedoch angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe keine vernünftigen Zweifel an der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von Mehrwert- und Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht.5
Die Klägerin kann solche Zweifel auch nicht erfolgreich darauf stützen, dass einzelne Verwaltungsgerichte (VG Göttingen, Beschluss vom 24.10.2012 – 2 A 328/10 – zitiert nach juris und VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.11.2012 – 6 K 3709/11.F -) ihre Klageverfahren mit Blick auf die vom Finanzgericht Hamburg dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage ausgesetzt haben (so inzwischen auch der Bundesfinanzhof in einem dort anhängigen Verfahren wegen Haftung für Spielvergnügungsteuer: Beschluss vom 09.01.2013 – II R 27/11 -). Denn der Begründung der Aussetzungsbeschlüsse sind keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Gerichte Zweifel an der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von Mehrwert- und Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht haben, die der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstünden. Dementsprechend haben andere Verwaltungsgerichte unter Verweis darauf, dass sich die Vorlagefrage bereits durch die maßgebliche Richtlinie und bisherige Rechtsprechung beantworten lasse, gegen eine Aussetzung analog § 94 VwGO entschieden (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 10.01.2013 – 25 K 8427/12 – zitiert nach juris; VG Gießen, Beschluss vom 19.11.2012 – 8 K 1323/12.GI -, bestätigt durch HessVGH, Beschluss vom 02.01.2013 – 5 E 2244/12 -). Im Übrigen hat der Senat mit Beschlüssen vom heutigen Tage mehrere Aussetzungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichts Göttingen, deren Tenor und Begründung mit dem zitierten Beschluss vom 24.10.2012 – 2 A 328/10 – vergleichbar sind, aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung entsprechend § 94 VwGO nicht gegeben sind (Senatsbeschlüsse vom 30.01.2013 – 9 OB 173, 174 und 175/12 -).
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Ermäßigter Steuersatz für probiotisches Nahrungsergänzungsmittel
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In Kapselform vertriebenes probiotisches Lebensmittel unterliegt als Nahrungsergänzungsmittel dem ermäßigten Steuersatz.
Revision eingelegt, BFH-Az. V R 29/12
Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 20.09.2012, 5 K 393/10
Anl 2 Nr 33 UStG, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, § 12 Abs 2 Anl 2 Nr 33 UStG 2005, UStG VZ 2009
Tatbestand
1
Streitig ist, ob ein Produkt als „Lebensmittelzubereitung“ dem ermäßigten Umsatzsteuersatz oder als „pharmazeutisches Erzeugnis“ dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegt.
2
Die Klägerin entwickelt und vertreibt seit über 15 Jahren Vitalstoffpräparate, überwiegend Nahrungsergänzungsmittel und diätische Lebensmittel.
3
Unter anderem vertreibt sie das Produkt „P-Plus“. Hierbei handelt es sich nach der Packungsbeilage um ein „Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora“. Das Produkt enthält neun probiotische Kulturen (z.B. verschiedene Milchsäurebakterien) in einer Gesamtzahl von mindestens 2 x 10 hoch 9 Koloniebildende Einheiten (KBE) je Kapsel. Dies entspricht einer Keimzahl von 5,6 x 10 hoch 9 KBE pro Gramm.
4
Die Klägerin versteuerte die Umsätze aus dem Produkt nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 33 zum UStG mit dem ermäßigten Steuersatz. Umsatzsteuerlich sind danach Gegenstände begünstigt, die zolltechnisch als „Lebensmittelzubereitungen, anderweitig weder genannt noch inbegriffen“ in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN (Kombinierte Nomenklatura) einzugruppieren sind.
5
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 4. Vierteljahr 2009 erklärte sie steuerpflichtige Einnahmen zum Steuersatz von 19 v. H. in Höhe von 19.348,– € sowie steuerpflichtige Umsätze zum Steuersatz von 7 v. H. in Höhe von 700.312,– €.
6
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung unterwarf der Beklagte die mit dem Produkt „P-Plus“ erzielten Umsätze dem Regelsteuersatz. Er berief sich dabei auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 (-ZT 0270 B-5757/2010/WK3-). Diese hatte eine Einreihung des Produkts als pharmazeutisches Erzeugnis in die nicht begünstigte Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN vorgenommen. Die Einreihung wurde aufgrund einer Warenbeschreibung und vorgelegter Muster/Proben erteilt und damit begründet, dass es sich zolltariflich um ein Erzeugnis auf der Grundlage von „Kulturen von Mikroorganismen“ handele. Mit der Einreihung in die Position 3002 sei die Einreihung der Ware als „Lebensmittelzubereitung, anderweitig weder genannt noch inbegriffen“ (Position 2106) nach der Systematik des Zolltarifs ausgeschlossen.
7
Dementsprechend änderte der Beklagte den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Vierteljahr 2009. In dem Bescheid wurden die steuerpflichtigen Umsätze zu 19 v. H. auf 29.027,– € und die steuerpflichtigen Umsätze zu 7 v. H. auf 691.310,– € festgesetzt. Nach der Festsetzung ergab sich ein Nachzahlungsbetrag für das 4. Vierteljahr 2009 in Höhe von 906,50 €.
8
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Die Klägerin trägt vor, eine Einreihung in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN sei nach den einschlägigen Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Dies ergebe sich bereits aus der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN. Dort heiße es:
9
1. Zu Kapitel 30 gehören nicht:
10
a) Nahrungsmittel oder Getränke (wie diätische, diabetische oder angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, tonische Getränke und Mineralwasser), andere nicht intravenös zu verabreichende Nährstoffzubereitung;
11
Diese Anmerkung beziehe sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Ansonsten hätte der Verordnungsgeber keine allgemeine auf das gesamte Kapitel bezogene Anmerkung formuliert, sondern eine positionsbezogene. Insbesondere sei vom Verordnungsgeber keine Beschränkung auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren) gewollt.
12
Die Richtigkeit dieser Auffassung werde durch die Verordnung EG Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 zur Einreihung bestimmter Waren in die KN belegt. Gemäß Nr. 5 des Anhangs dieser Verordnung werde ein
13
Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70 %), Magnesiumstearat (3 %) und Ascorbinsäure (0,5 %) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus, ca. 1 Milliarde/Gramm), aufgemacht in Gelatinekapseln,
14
in die Position 2106 des Kapitel 21 Anhang I KN eingereiht. Der Begriff „Ergänzungslebensmittel“ sei eine veraltete Bezeichnung für Nahrungsergänzungsmittel. Das Produkt der Klägerin enthalte ebenfalls Milchsäurebakterien und sei in Kapselform aufgemacht. Es sei daher vergleichbar mit dem in Nr. 5 des Anhangs zu dieser Verordnung genannten Nahrungsergänzungsmittel.
15
Es bestehe auch kein Anhaltspunkt dafür, das Produkt in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN einzureihen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System des Zolltarifs (HS) gehörten zur Position 3002 „Kulturen von Mikroorganismen“
16
… Fermente wie Milchsäurebakterien zum Herstellen von Milcherzeugnissen (Kefir, Joghurt, Milchsäure), Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken (z.B. zur Förderung des Pflanzenwachstums).
17
Das Produkt „P-Plus“ sei ein Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora. Es sei kein Ferment zur Herstellung von Milcherzeugnissen und diene weder pharmazeutischen noch technischen Zwecken. Im Übrigen deute der Wortlaut dieser Erläuterungen darauf hin, dass die Position 3002 „Kulturen von Mikroorganismen“ lediglich als Roh- bzw. Ausgangsstoffe für pharmazeutische Erzeugnisse oder Milcherzeugnisse erfasse. „P-Plus“ sei aber kein Roh- oder Ausgangsstoff sondern ein Nahrungsergänzungsmittel.
18
Nach Auffassung des EuGH (Urteile vom 17.12.2009, verb. Rs. C-410/08 bis C-412/08 – Swiss Caps, HFR 2010, 312) sei insbesondere die Kapselhülle ein Merkmal für die Bestimmung und die Eigenart der Ware als Nahrungsergänzungsmittel. Dies ergebe sich auch § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV, basierend auf Art. 2 Buchst. a) Richtlinie 2002/46/EG). Hiernach sei ein Nahrungsergänzungsmittel „ein Lebensmittel, das … in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln …, in den Verkehr gebracht wird“. Die Kapselform sei somit gerade typisch für ein Nahrungsergänzungsmittel.
19
Soweit der Beklagte darauf verweise, dass die Verkapselung auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen grundsätzlich ein typisches Merkmal sei, sei dies unzutreffend. Richtig sei, dass bei bestimmten pharmazeutischen Erzeugnissen, nämlich den Arzneiwaren der Positionen 3003 und 3004 des Kapitels 30 Anhang I KN eine Verkapselung nicht unüblich sei. Für die Erzeugnisse der Position 3001, 3002, 3005 und 3006 sei eine Verkapselung dagegen untypisch und zum Teil sogar unmöglich.
20
Inzwischen habe die Klägerin eine Rezepturänderung zum Anlass genommen, eine neue uZTA einzuholen. Die Rezeptur von „P-Plus“ sei um den Mineralstoff Calcium und die Vitamine A, D3 und E ergänzt worden. Die Menge der verwendeten Kulturen von Mikroorganismen (2 x 10 hoch 9 KBE pro Kapsel) sei nicht verändert worden. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum des Bundesfinanzverwaltung habe das Erzeugnis in der neuen Rezeptur in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN eingereiht (uZTA vom 27.04.2011). Vor diesem Hintergrund sei nicht nachzuvollziehen, warum das hier streitige Produkt mit derselben Konzentration an lebenden Mikroorganismen pro Kapsel nicht als Nahrungsergänzungsmittel anzuerkennen sein.
21
Die Klägerin beantragt,
22
den Umsatzsteuerbescheid 2009 in der Fassung der Änderung laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 in der Weise zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 907,53 € herabgesetzt wird und den Einspruchsbescheid vom 30.09.2010 aufzuheben.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Er nimmt im wesentlichen Bezug auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 und deren ergänzender Stellungnahme vom 14.05.2012. Darin wird ausgeführt, dass die o. g. EuGH-Urteile nicht geeignet seien, verkapselte Nahrungsergänzungsmittel der Position 2106 von pharmazeutischen Erzeugnissen des Kapitels 30 abzugrenzen. Die Verkapselung sei vielmehr auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen ein typisches Merkmal mit der Funktion, das Erzeugnis zu dosieren und die Art und Weise der Aufnahme zu bestimmen. Entscheidend sei vielmehr, dass das Erzeugnis „P-Plus“ Kulturen von Mikroorganismen in einer Menge enthalte, die den Charakter des Erzeugnisses bestimmten.
26
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte der am 30.11.2010 eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 2009 zugestimmt. In der Umsatzsteuererklärung für 2009 waren die streitigen Umsätze für das Produkt „P-Plus“ mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 v. H. erklärt worden. Die Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer vom 20.01.2011 steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. In der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 hat der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung dahingehend geändert, dass die streitigen Umsätze – entsprechend der Festsetzung in der Umsatzsteuervoranmeldung IV/2009 – wieder dem Regelsteuersatz unterworfen werde. Daraus ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 907,53 €.
27
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Frau Dr. A. R. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
28
Die Klage ist zulässig und begründet.
29
I. Die Klägerin ist nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.
30
Zwar ist die Klägerin mit der nach § 68 Abs. 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer klaglos gestellt worden. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 ersetzt insoweit den vorangegangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das 4. Vierteljahr 2009 (st. Rspr. vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, vom 31.03.2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492 und vom 4. Juni 2007 V B 76/06, BFH/NV 2007, 2151).
31
Der Beklagte hat den Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 aber in der mündlichen Verhandlung dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2009 von minus 163.198,79 € auf minus 162.291,26 € festgesetzt gesetzt wird. Der mündlich zu Protokoll des Gerichts erklärte Änderungsbescheid ist wirksam und gemäß § 68 Abs. 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Entsprechend § 157 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuerbescheide zwar grundsätzlich schriftlich zu erteilen. Die Schriftform ist wegen der besonderen Bedeutung der Steuerbescheide vorgeschrieben worden und soll den Steuerpflichtigen zuverlässig über den Regelungsinhalt des Steuerverwaltungsakts unterrichten. Indessen erfüllt diese Funktion auch die mündliche Bekanntgabe eines Bescheids zu Protokoll des Gerichts in der mündlichen Verhandlung (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 25.11.1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461).
32
II. Die Klage ist begründet.
33
Die Umsätze der Klägerin aus dem Verkauf von „P-Plus“ in Kapselform unterliegen als Lebensmittelzubereitungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz.
34
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 unterfallen Lieferungen verschiedener Lebensmittelzubereitungen dem ermäßigten Steuersatz. Bei dem von der Klägerin vertriebenen Produkt „P-Plus“ in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen im Sinne der Position 2106 des Kapitels 30 Anhang I KN auf der Grundlage von Kulturen von Mikroorganismen, die als Nahrungsergänzungsmittel dienen, da durch die Verkapselung eine zum menschlichen Verzehr geeignete Zubereitung der Ware entstanden ist.
35
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 2009 C-173/08 – Kloosterboer Services BV -, HFR 2009, Rdnr. 24 m. w. N.) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die von der Kommission zur KN und von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) ausgearbeiteten Erläuterungen sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen. Außerdem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften der Ware bemisst (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2009 C-410/08 bis 412/98 – Swiss Caps -, HFR 2010, 312).
36
1. Nach den Rechtsausführungen des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a. a. O.) erfasst die Position 2106 der KN nach ihrem Wortlaut anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen. In den Erläuterungen zum HS (Nr. 29.0) für diese Position heißt es, dass dazu als „Nahrungsergänzungsmittel“ bezeichnete Zubereitungen gehören, auf deren Verpackungen häufig angegeben ist, dass sie allgemein der Erhaltung der Gesundheit oder des Wohlbefindens dienen.
37
Bei den verkauften „P-Plus“ in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen zur Nahrungsergänzung (Unterstützung der natürlichen Darmflora), die Kulturen von Mikroorganismen enthalten und bestimmte Zusatzstoffe (Trennungsmittel etc.). Die Zubereitungen befinden sich in einer Hülle, die hauptsächlich aus Gelatine besteht und werden in Form von Kapseln dargereicht.
38
Nach Auffassung des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a. a. O.) stellt die Kapselhülle zum Einschluss von Ölen (z.B. Lachsöl) keine „Verpackung“ im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 5 Buchstabe b KN dar. Diese Form der Darreichung der Öle in Gelatinekapseln sei ein maßgebliches Merkmal, das auf ihre Funktion als Nahrungsergänzungsmittel hinweise, da es die Dosierung der Lebensmittelzubereitungen, die Art und Weise ihrer Aufnahme und den Ort, an dem sie wirken sollen, bestimme. Somit sei die Kapselhülle ein Merkmal, das für die Bestimmung und die Eigenart der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse – zusammen mit ihrem Inhalt – maßgeblich sei. Da die Darreichung der Lebensmittelzubereitung in Kapselform und ihr Inhalt die objektiven Merkmale und Eigenschaften bestimmten, sei die Position 2106 im Kontext der Lebensmittelzubereitungen genauer als die Positionen 1504, 1515 und 1517, die sich auf Allzweckfette und -öle beziehen und gehe diesen daher vor. Insofern sei auch der Verwendungszweck der Ware als ein objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen.
39
2. Die Grundsätze des EuGH zur Darreichung von Lebensmittelzubereitungen als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform sind auch auf den Streitfall anzuwenden:
40
Nach den Erläuterungen zum HS (Nr. 15.0) gehören zur Position 3002 „Kulturen von Milcherzeugnissen“ Fermente zur Herstellung von Milcherzeugnissen, Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken.
41
Das Produkt „P-Plus“ dient weder der Herstellung von Milcherzeugnissen noch pharmazeutischen oder technischen Zwecken. Die Klägerin verwendet die „Kulturen von Mikroorganismen“ auch nicht in der in den Erläuterungen beschrieben Weise als Roh- bzw. Ausgangsstoff für Milcherzeugnisse, pharmazeutische Erzeugnisse oder zu technischen Zwecken. Die „Kulturen von Mikroorganismen“ werden von ihr vielmehr als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform zur Förderung der natürlichen Darmflora angeboten. Insofern ist der Verwendungszweck der Ware als objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen. Im Kontext der Lebensmittelzubereitung ist die Position 2106 genauer als die Position 3002.
42
In diesem Zusammenhang ist auch die Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN zu berücksichtigten. Danach können Nahrungsergänzungsmittel nicht als pharmazeutische Erzeugnisse des Kapitel 30 Anhang I KN eingereiht werden. Die Anmerkung Nr. 1 a bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Sie beschränkt sich nicht auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren).
43
Bestätigt wird die hier vertretene Auffassung durch die Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012. Gemäß dem Anhang dieser Verordnung erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen u. a. gemäß der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN und der EuGH-Urteile C-410/08 bis C 412/08.
44
Auf die Höhe der Konzentration an lebenden Mikroorganismen kommt es nicht an. Die Aussage der Zeugin, dass nur bis zu einer Konzentration von Mikroorganismen in Höhe von ca. 1 Milliarde KBE pro Gramm noch von einem Nahrungsergänzungsmittel auszugehen sei, findet im Wortlaut der Position 2106 der KN und den hierzu ergangenen Anmerkungen bzw. Erläuterungen zur HS keine Grundlage. Zwar ist in dem Anhang zur EG-Verordnung Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 unter Nr. 5 angeführt, dass „Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70 %), Magnesiumstearat (3 %) und Ascorbinsäure (0,5 %) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus ca. 1 Milliarde/Gramm) aufgemacht in Gelatinekapseln“ in die Position 2106 einzureihen sind. Dieser Verordnung ist indes nicht zu entnehmen, dass eine höhere Konzentration von Mikroorganismen als 1 Milliarde/Gramm der Eingruppierung einer in Kapselform angebotenen Ware als Nahrungsergänzungsmittel entgegensteht. Außerdem erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen nach dem Anhang der oben angeführten Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012 gerade nicht in Abhängigkeit von der Konzentration der Mikroorganismen.
45
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
46
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
BFH: Kitas sind steuerpflichtig
“Betreibt eine Gemeinde eine Kindertagesstätte (“Kita”), um dadurch den sozialgesetzlichen Anspruch von Kindern ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf Förderung in Tageseinrichtungen zu erfüllen, dann handelt es sich hierbei regelmäßig um einen sog. Betrieb gewerblicher Art, der der Körperschaftsteuer unterfällt. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt durch sein Urteil vom 12. Juli 2012 I R 106/10 entschieden.
Die Vorinstanz, das Finanzgericht (FG) Düsseldorf, hatte das noch anders gesehen: Es sah in der “Kita” einen steuerfreien Hoheitsbetrieb. Anders als das FG beeindruckte den BFH jedoch der sozialpolitische und sozialrechtliche Förderungsauftrag nicht. Für ausschlaggebend hält er vielmehr, dass die kommunalen “Kitas” in einem “Anbieter- und Nachfragewettbewerb” zu anderen “Kitas” stehen, insbesondere auch solchen, die von privaten Leistungsträgern betrieben werden.Angesichts dessen sei das Betreiben von “Kitas” nicht der öffentlichen Hand “eigentümlich” und vorbehalten. Auch dass die Einnahmen der kommunalen “Kitas” aus den Elternbeiträgen resultierten und sie sich (auch) aus diesen Beiträgen finanzierten, ändere daran nichts. Nach allem gebe es keinen Grund, die kommunalen “Kitas” steuerlich zu bevorzugen.
Im Streitfall ging es um die “Kitas” einer Stadt in Nordrhein-Westfalen und das Streitjahr war 2005. Der Entscheidung kommt naturgemäß aber Bedeutung für entsprechende Einrichtungen in allen Bundesländern zu. Und diese Bedeutung wird zunehmen, wenn der Förderungsanspruch vom 1. August 2013 an wie geplant auf Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr an ausgedehnt werden sollte.”
Presseerklärung des Bundesfinanzhofs (BFH) Nr. 67
BFH-Urteil vom 12.07.2012 – I R 106/10
BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.7.2012, I R 106/10
Kommunaler Kindergarten als Betrieb gewerblicher Art – Gemeinnützigkeit
Leitsätze
Von einer Kommune betriebene Kindergärten sind unbeschadet des Rechtsanspruchs von Kindern ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf Förderung in Tageseinrichtungen nach § 24 SGB VIII keine Hoheitsbetriebe, sondern Betriebe gewerblicher Art.
Tatbestand
1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine (kreisfreie) nordrhein-westfälische Stadt. Sie unterhielt im Streitjahr 2005 als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe eigene Kindertagesstätten (Kindergärten). Für die Aufnahme der Kinder fand ein privatrechtlich ausgestalteter Mustervertrag Anwendung.
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Für den Besuch der kommunalen oder von freien Trägern der Jugendhilfe betriebenen Kindertagesstätten hatten die Eltern nach § 90 des Sozialgesetzbuchs – Achtes Buch (SGB VIII) –in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung– i.V.m. § 17 des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder vom 29. Oktober 1991 –GTK-NW– (GV.NW 1991, 380) entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestaffelte Beiträge zu den Jahresbetriebskosten zu entrichten, wobei die Beitragspflicht ab dem zweiten Kind entfiel. Die Elternbeiträge wurden von der Klägerin durch Verwaltungsakt festgesetzt und in den kommunalen Haushalt eingestellt.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) vertrat die Auffassung, dass es sich bei den von der Klägerin unterhaltenen Kindergärten um einen Betrieb gewerblicher Art (BgA) handelt (vgl. Oberfinanzdirektion –OFD– Düsseldorf, Verfügung vom 26. November 2002 S 2706 A-St 134, juris; koordinierter Ländererlass, z.B. OFD Hannover, Verfügung vom 12. Oktober 2004 S 2706 – 182 – StO 241, Der Betrieb 2004, 2612). Dementsprechend setzte er unter Ansatz eines geschätzten Steuerbilanzgewinns von 5.000 EUR die Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 291 EUR fest.
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Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich; das Finanzgericht (FG) Düsseldorf gab ihr durch Urteil vom 2. November 2010 6 K 2138/08 K, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 482, statt.
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Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Klägerin unterhält mit den Kindergärten einen BgA (§ 4 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG 2002–) und keinen Hoheitsbetrieb i.S. des § 4 Abs. 5 KStG 2002. Es fehlt jedoch die Spruchreife. Die tatrichterlichen Feststellungen zu der vom FA vorgenommenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und möglicherweise auch dazu, ob die Klägerin mit ihrem BgA die Gemeinnützigkeitserfordernisse der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO) erfüllt, reichen nicht aus, um durchzuerkennen.
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1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind mit ihren BgA unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 2002). BgA sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (§ 4 Abs. 1 KStG 2002).
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Zu den BgA gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG 2002 jedoch nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den –tatsächlichen oder auch nur potentiellen– Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Urteile vom 7. November 2007 I R 52/06, BFHE 219, 563, BStBl II 2009, 248 –öffentliche Toilettenanlage–; vom 25. Januar 2005 I R 63/03, BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501 –Vermessungs- und Katasteramt–; vom 29. Oktober 2008 I R 51/07, BFHE 223, 232, BStBl II 2009, 1022, und Senatsbeschluss vom 17. März 2005 I B 245/04, BFH/NV 2005, 1135 –beide zu Kommunalen Krematorien–, jeweils m.w.N.; s. speziell zu Kindergärten auch bereits Reichsfinanzhof, Urteil vom 23. Oktober 1937 VIa 70/37, RFHE 42, 226, RStBl 1937, 1160; Schön, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 1999, 701, 706; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine, Stiftungen und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 6. Aufl., Rz H 70, und allgemein z.B. Baldauf, DStZ 2011, 35).
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2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG im Streitfall den Betrieb der Kindergärten aus steuerlicher Sicht zu Unrecht als Hoheitsbetrieb beurteilt. Denn deren Unterhalten ist im Wettbewerb mit freigemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern gleichartiger Leistungen nicht juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Trägern öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten.
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Die Vorinstanz stützt ihre entgegenstehende Auffassung in erster Linie auf den sozialgesetzlichen Auftrag in § 24 SGB VIII, wonach alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe erhalten sollen. Den Ländern ist die Aufgabe übertragen worden, für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen, und dementsprechend können Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt den Besuch eines Kindergartens nach Maßgabe des Landesrechts beanspruchen. Dafür trifft die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, zu denen § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in Verbindung mit dem einschlägigen Landesrecht primär die Kreise und kreisfreien Städte bestimmt hat, die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass für jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt ein Kindergartenplatz zur Verfügung steht, und das Betreuungsangebot bedarfsgerecht auszubauen. Diese öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge und ihre gesetzliche Verankerung werden auch vom Senat nicht in Zweifel gezogen. Nur besagt beides weder etwas darüber aus, in welcher Weise noch, durch wen diese Aufgaben erfüllt werden. Dafür stehen gleichermaßen die öffentlichen, die kirchlichen wie freigemeinnützigen Leistungsträger, aber –wie sich gerade aus dem neugeschaffenen und erstmals für das Streitjahr geltenden Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz) vom 27. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3852) und konkret aus § 74a SGB VIII in der Fassung dieses Gesetzes ergibt– auch privat-gewerbliche Anbieter zur Verfügung (vgl. z.B. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 74a Rz 5 ff. und § 3 Rz 10a; Struck, daselbst, Vor § 22 Rz 14; Münder, Das Jugendamt 2011, 69, jeweils m.w.N.; s. aus sozialrechtlicher Sicht auch –unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes– z.B. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 9. Juli 2010 4 ME 306/09, Kostenerstattungspflichtige Entscheidungen der Sozial- und Verwaltungsgerichte –EuG– 2011, 151; Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 6. August 2010 13 A 2512/08, EuG 2011, 114). Dass für Letztere (und ohne dass dem weiter nachzugehen wäre) die Förderungsgrundsätze des § 22 SGB VIII und des § 2 GTK-NW nicht unmittelbar verpflichtend seien (s. auch Wiesner, a.a.O., § 3 Rz 12 ff.) und sie ihnen nur freiwillig Rechnung tragen mögen, ändert daran nichts. Ausschlaggebend ist allein, dass die jeweiligen Kindergarten- und Kindertagesstättenbetreiber unter den entsprechenden fachlichen wie personellen Voraussetzungen tatsächlich wie potentiell in gleicher oder jedenfalls vergleichbarer Weise auftreten und ihr Angebot dem gleichen „Kundenkreis“ anbieten. In der besonderen und verpflichtenden Aufgabenlage, denen unmittelbar nur öffentliche Leistungserbringer unterworfen sind, lässt sich durchaus eine Parallele in ähnlichen öffentlichen (und ehemals in der Tat hoheitlich wahrgenommenen) Aufgaben erkennen, wie sie beispielsweise dem Post- und Eisenbahnwesen, der Energieversorgung und auch dem Betrieb von Hafenanlagen zu eigen sind. Auch in jenen Situationen bestehen –nur und insoweit abweichend von anderen Anbietern– für die Deutsche Post, die Deutsche Bahn usf. Restriktionen und Aufgaben, etwa jene einer flächendeckenden, infrastrukturellen Grundversorgung der Briefzustellung oder des Verkehrszugangs, die heute von der Bundesnetzagentur sicherzustellen ist und vom Nutzer beansprucht werden kann, die aber den wirtschaftlichen Charakter der betreffenden Unternehmen ebenso wie solcher Mitbewerber, welche den Grundversorgungsanforderungen nicht ausgesetzt sind, gleichwohl unberührt belässt. Aus steuerlicher Sicht kann es deswegen keinen Unterschied machen, ob eine (auch öffentliche) Aufgabe in Gestalt eines Eigen- oder Regiebetriebs, eines BgA oder in einer privatrechtlichen Struktur wahrgenommen wird. Hier wie dort kommt es allein darauf an, ob die Aufgabenerfüllung einem öffentlichen Leistungserbringer eigentümlich ist, oder ob die Leistungen auch in einem wirtschaftlichen „Wettbewerb“ erbracht werden können und werden.
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Das ist bei den genannten „Grundversorgungsbetrieben“ der Fall, nichts anderes gilt aber auch für die (entgeltliche) Unterbringung von Kindern in Kindergärten und Kindertagesstätten. Es besteht dafür ein einschlägiger wettbewerbsrelevanter „Anbieter-“ wie „Nachfragermarkt“, der letzten Endes auch von der Klägerin und der Vorinstanz nicht geleugnet wird. Für ein sog. Marktversagen –also das Fehlen eines „echten“ Markts mangels einschlägiger Anbieter (s. auch Gosch, BFH/PR 2009, 58)– ist nichts ersichtlich. Die Einbeziehung privater Betreiber ist, um das Bedarfsangebot deutlich zu erhöhen, im Gegenteil politisch sogar „gewollt“ (s. z.B. BTDrucks 16/10357 zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege –Kinderförderungsgesetz–; Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Privatisierungsreport – 7 Kindertagesstätten, S. 37 f.); gestritten wird nur um die Verteilung öffentlicher Fördergelder und Subventionen. In Einklang damit agieren alle Leistungserbringer –gleichviel, ob öffentlicher oder privater „Provenienz“– einschließlich der Klägerin denn auch im selben Umfeld und auf derselben schuldrechtlichen Basis gegenüber den Erziehungsberechtigten, die ihre Kinder der Obhut der Kindergärten und Kindertagesstätten anvertrauen. Soweit seitens der Klägerin und auch der Vorinstanz im Ausgangspunkt –vor dem sozialgesetzlichen und -politischen Hintergrund– eine mangelnde Vergleichbarkeit der einschlägig tätigen Kindergartenbetreiber vertreten wird, ist solches aus den beschriebenen Gründen jedenfalls für das Steuerrecht ungerechtfertigt. Auch der Abgleich mit öffentlichen und privaten Schulträgern ist insoweit nicht weiterführend, weil sich die gesetzliche Schulpflicht von der (öffentlichen) Aufgabe, Kindergarten- und Kindertagesstättenplätze zur Verfügung zu stellen (keine „Kita-Pflicht“), jedenfalls unter den Gegebenheiten des Streitjahres schon im Ansatz grundsätzlich unterscheidet (und Schulen denn auch früher aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht als Institutionen im Rahmen eines prinzipiell grundrechtsgeminderten „besonderen Gewaltverhältnisses“ begriffen wurden; s. zur Abgrenzung für Kindergärten und Kindertagesstätten auch Struck in Wiesner, a.a.O., Vor § 22 Rz 12, m.w.N.).
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Die Annahme eines BgA scheitert schließlich, wie vom FG jedoch angedacht, ebenso wenig an der hierfür nach § 4 Abs. 1 KStG 2002 notwendigen Einnahmeerzielungsabsicht. Denn die zur Finanzierung der Kindergärten eingeforderten sog. Elternbeiträge sind nach Maßgabe des einschlägigen Landesrechts Gegenleistung für die individuelle Inanspruchnahme der Kindergärten. Dass die Beiträge im Rahmen eines hoheitlichen Beitragserhebungsverfahrens durch Verwaltungsakt festgesetzt werden, widerspricht dem nicht. Auch dass sie im Einzelnen nach sozialen Gesichtspunkten und nach sozialer Bedürftigkeit gestaffelt und begrenzt sind (vgl. § 90 SGB VIII), als solche an eine zentrale kommunale Stelle abgeführt werden und erst sodann den jeweiligen Kindergärten und Kindertagesstätten zugutekommen, steht insbesondere besagter Einnahmeerzielung nicht entgegen. Das deckt sich –unbeschadet der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgangslagen– mit der entsprechenden Qualifikation im Umsatzsteuerrecht (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. Dezember 2003 V R 66/01, BFH/NV 2004, 985; s. auch Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 KStG Rz 140).
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3. Ist der Betrieb der Kindergärten damit als BgA zu qualifizieren, streiten die Beteiligten bislang allerdings weiterhin über die Höhe der vom FA auf Schätzungsbasis festgesetzten Körperschaftsteuer. Die Klägerin hat im Klageverfahren dagegen eingewandt, sie habe im Streitjahr keineswegs einen Überschuss von –hier geschätzten– 5.000 EUR erwirtschaftet, vielmehr stehe eine Unterdeckung in Höhe von 60 Mio. EUR in Rede. Beide Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar bekundet, diesen Streit zwischenzeitlich ausgeräumt zu haben. Es bleibt jedoch dabei, dass die Schätzungsgrundlagen vom FG nicht festgestellt worden und für den Senat nicht transparent sind. Die Vorinstanz musste dem aus ihrer Sicht auch nicht weiter nachgehen. Das wird im zweiten Rechtsgang nunmehr ebenso nachzuholen sein wie die Rechtsprüfung, ob die Klägerin mit ihrem BgA Kindergärten/Kindertagesstätten die tatbestandlichen Erfordernisse der Gemeinnützigkeit gemäß §§ 51 ff. AO –hier konkret von § 52 Abs. 2 Nr. 4 und 7 AO– erfüllt (zur prinzipiellen Anwendbarkeit dieser Regeln auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre BgA s. z.B. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2. Aufl., § 1 Rz 7; Eversberg/Baldauf, DStZ 2011, 597, jeweils m.w.N.).
Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)
Änderung des BMF-Schreibens “Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)” vom 16. Juli 2001
Hierzu: BMF-Schreiben vom 14. September 2012 – IV A 4 – S 0316/12/10001 –
“Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:
Abschnitt II. Nr. 1 des BMF-Schreibens „Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)“ vom 16. Juli 2001 – IV D 2 – S 0316 – 136/01 – (BStBl I S. 415) wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben. […]”
Änderung des BMF-Schreibens “Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)” vom 16. Juli 2001 (PDF, 26,9 KB)
Bundesfinanzministerium (BMF)
Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen
Dazu: BMF-Schreiben vom 10. September 2012 – IV C 6 – S 2171-b/0 :005 –
“Der BFH hat mit Urteil vom 8. Juni 2011 [- I R 98/10 – BStBl II 2012 S. …] entschieden, dass bei festverzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe des Nominalwerts der Forderung verbriefen, eine Teilwertabschreibung unter ihren Nennwert allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn die Wertpapiere zum Umlaufvermögen gehören. […]“
Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen (PDF, 100,1 KB)
Bundesfinanzministerium (BMF)
Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen; Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 8. Juni 2011 (BStBl II 2012 S. …. – I R 98/10 -)
BEZUG BMF-Schreiben vom 25. Februar 2000 (BStBl I S. 372)
GZ IV C 6 – S 2171-b/0 :005 DOK 2012/0828282 (bei Antwort bitte GZ und DOK angeben)
Der BFH hat mit Urteil vom 8. Juni 2011 [- I R 98/10 – BStBl II 2012 S. …] entschieden, dass bei festverzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe des Nominalwerts der Forderung verbriefen, eine Teilwertabschreibung unter ihren Nennwert allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn die Wertpapiere zum Umlaufvermögen gehören.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder nehme ich zur Anwendung der Urteilsgrundsätze wie folgt Stellung:
Die Grundsätze dieses Urteils sind über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwendbar, wenn es sich um festverzinsliche Wertpapiere im Umlaufvermögen handelt, kein Bonitäts- und Liquiditätsrisiko hinsichtlich der Rückzahlung der Nominalbeträge besteht und die Wertpapiere bei Endfälligkeit zu ihrem Nennwert eingelöst werden können.
Die Rzn. 24 und 25 (Lösung zu Beispiel 6) des BMF-Schreibens vom 25. Februar 2000 (BStBl I S. 372) sind insoweit überholt.
Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 8. Juni 2011 (a.a.O.) zur Bewertung von festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen können frühestens in der ersten nach dem 8. Juni 2011 (Tag der BFH-Entscheidung) aufzustellenden Bilanz berücksichtigt werden; sie sind spätestens in der ersten auf einen Bilanzstichtag nach dem ….2012 aufzustellenden Bilanz (Tag der Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl II) anzuwenden.
Die Bewertung festverzinslicher Wertpapiere im Anlagevermögen wird durch diese Regelung nicht berührt. Insoweit verbleibt es bei der bisher bereits durch Verwaltungsauffassung geregelten Bewertung zum Nominalwert (vgl. Rz. 16 des BMF-Schreibens vom 25. Februar 2000 (a.a.O.).
Umsatzsteuer | Zum Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft (EuGH)
Beteiligungsgesellschaft; Holding; Kapitalanteil; Mehrwertsteuer; Umsatzsteuer; Verwaltungsdienstleistung
Rechtsfrage
Steht es im Widerspruch zur korrekten Auslegung des Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1997, wenn die portugiesische Steuerverwaltung von der Rechtsmittelführerin – einer Holdinggesellschaft – aus dem Grund, dass deren Hauptgesellschaftszweck die Verwaltung von Kapitalanteilen anderer Gesellschaften ist, verlangt, für die gesamte auf ihre inputs angefallene Mehrwertsteuer die Methode des Pro-Rata-Abzugs anzuwenden, selbst wenn diese inputs (erworbene Dienstleistungen) einen direkten, unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang mit besteuerten Umsätzen – Dienstleistungserbringungen – aufweisen, die anschließend im Rahmen der rechtlich zulässigen Nebentätigkeit der Erbringung von technischen Verwaltungsdienstleistungen durchgeführt werden?
Kann eine Einheit, die als Holdinggesellschaft zu qualifizieren ist und die Mehrwertsteuer zu zahlen hat, wenn sie Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt, die anschließend in vollem Umfang unter Erhebung von Mehrwertsteuer an ihre Beteiligungsgesellschaften weitergegeben werden, die gesamte bei diesen Erwerben angefallene Mehrwertsteuer mittels Anwendung der in Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Abzugsmethode der tatsächlichen Zuordnung abziehen, wenn diese Erwerbe eine Nebentätigkeit – Erbringung von technischen Verwaltungs- und Managementdienstleistungen – im Verhältnis zur Haupttätigkeit – Verwaltung von Gesellschaftsanteilen – darstellen?
Gesetze
RL 77/388/EWG Art 17 Abs 2
Instanzenzug
(anhängig gemeldet seit 15.12.2011)
Tribunal Central Administrativo Sul (Portugal) 26.09.2011 (ABl EU 2011, Nr. C 362, 13), Vorabentscheidungsersuchen
EuGH 06.09.2012 C-496/11
erledigt durch:
06.09.2012 – Urteil
Erläuterungen zu EuGH C-496/11 Stand: 15.12.2011
Bei dem portugiesischen Verfahren C-496/11 geht es um die Auslegung der Vorsteuerabzugsregelung in Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 MwStSystRL). Die Klägerin ist eine portugiesische Holding mit Unternehmereigenschaft, deren Gesellschaftszweck im Halten und Verwalten von Kapitalanteilen ihrer Beteiligungsgesellschaften sowie in der Erbringung technischer Verwaltungs- und Managementdienstleistungen gegenüber den Gesellschaften besteht. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bezog die Klägerin mit MwSt belastete Leistungen, die sie zum selben Preis einer oder mehreren ihrer Beteiligungsgesellschaften unter Ausweis von MwSt in Rechnung stellte. Die Klägerin nahm den Vorsteuerabzug hinsichtlich ihrer gegenüber ihren Beteiligungsgesellschaften erbrachten technischen Verwaltungs- und Managementdienstleistungen mittels Anwendung der Methode der tatsächlichen Zuordnung ihrer Eingangsumsätze zu ihren steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen vor.
Die portugiesische Steuerverwaltung korrigierte den Vorsteuerabzug der Klägerin, indem sie nach Art. 23 Abs. 1 des CIVA sämtliche Vorsteuerbeträge der Pro-rata-Regelung i.S.v. Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 173 bis 175 MwStSystRL) unterwarf. Die Steuerverwaltung ist der Auffassung, der grundlegende Zweck von Holdinggesellschaften bestehe in der Durchführung steuerbefreiter Umsätze, da diese unter Art. 9 Abs. 28 des CIVA fielen. Da neben diesen Umsätzen als Nebentätigkeit die Durchführung steuerpflichtiger Umsätze (gegenüber allen oder einigen Beteiligungsgesellschaften erbrachte technische Verwaltungs- und Managementdienstleistungen) zugelassen werden könne, übten solche Holdinggesellschaften im Grunde genommen nur eine einzige Tätigkeit aus. Die Verwaltung des ständigen Beteiligungsportfolios erfordere normalerweise ein ausgefeiltes Verwaltungs-Know-how, das den Beteiligungsgesellschaften eine effektive Unterstützung biete, wobei die Erbringung von technischen Verwaltungs- und Managementdienstleistungen mit der eigentlichen Beteiligungsverwaltung untrennbar verbunden sei. Im Fall der Klägerin sei für den Vorsteuerabzug daher nicht die Methode der tatsächlichen Zuordnung, sondern die Pro-Rata-Methode anzuwenden.
Der EuGH muss entscheiden, ob – nach dem Umständen des Ausgangsverfahrens – beim Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft für die gesamte auf die inputs angefallene MwSt die Methode des Pro-Rata-Abzugs angewendet werden muss, selbst wenn die inputs einen direkten, unmittelbaren und eindeutigen Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen aufweisen, die im Rahmen einer rechtlich zulässigen Nebentätigkeit (Erbringung von technischen Verwaltungsdienstleistungen) erbracht werden. Umgekehrt muss der EuGH prüfen, ob eine Holdinggesellschaft ihren Vorsteuerabzug mittels der Abzugsmethode der tatsächlichen Zuordnung geltend machen kann, wenn ihre Vorbezüge nur für eine Nebentätigkeit (Erbringung von technischen Verwaltungs- und Managementdienstleistungen) – im Verhältnis zu ihrer Haupttätigkeit (Verwaltung von Gesellschaftsanteilen) verwendet werden.
Der EuGH dürfte – aus Gründen der Neutralität – im vorliegenden Fall den Vorsteuerabzug nach der direkten Zuordnungsmethode bejahen. Auf die Frage, ob die Managementleistungen im Vergleich zu der Haupttätigkeit der Holdinggesellschaft von untergeordneter Bedeutung sind, dürfte es nicht ankommen. Für das deutsche Recht hat das Verfahren kaum Bedeutung, weil das deutsche Recht die Pro-rata-Regelung nach Art. 173 bis 175 MwStSystRL nicht kennt.
Weitere Entscheidungen des BFH (05.09.2012)
Folgende weiteren Entscheidungen hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Datum von heute (05.09.2012) veröffentlicht:
– BFH-Urteil vom 06.06.2012 – I R 52/11 (Schachtelprivileg für Ausschüttungen einer französischen SICAV);
– BFH-Urteil vom 06.06.2012 – I R 99/10 (Rückstellungen wegen zukünftiger Betriebsprüfung bei Großbetrieben – Mitwirkungspflichten des § 200 AO – Ermessensentscheidung über den Erlass einer Betriebsprüfungsanordnung);
– BFH-Urteil vom 22.05.2012 – VII R 23/08 (Voller Saldierungsvorteil bei Betriebsübergang im Milchwirtschaftsjahr);
– BFH-Beschluss vom 22.02.2012 – VII B 17/11 (Einfuhrumsatzsteuer für aus zollamtlicher Überwachung entzogene Nichtgemeinschaftsware trotz Wiederausfuhr);
– BFH-Beschluss vom 11.07.2012 – X B 41/11 (Nicht mit Gründen versehenes Urteil (§ 119 Nr. 6 FGO) – Rüge eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO – qualifizierter Rechtsanwendungsfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).
Kein Handel mit illegal erlangten Daten
Daten haben im Internetzeitalter einen unermesslichen Wert. Sie sind begehrt und werden auch illegal erworben, mit ihnen werden Geschäfte gemacht. Deshalb lässt die Bundesjustizministerin prüfen, wie der Handel mit illegal erlangten Daten grundsätzlich unterbunden werden kann.
- Das soll auch dann gelten, wenn es sich um Steuerdaten handelt. Steuerhinterziehung müsse „mit allen rechtsstaatlichen Mitteln“ bekämpft werden, betonte sie in der Augsburger Allgemeinen mehrfach. Der Ankauf von Daten-CDs durch Steuerfahnder bewege sich jedoch in einem „hochproblematischen Graubereich“, sagte sie weiter in der Süddeutschen Zeitung, und in einem Rechtsstaat „heiligt der Zweck nicht die Mittel“.
Anknüpfungspunkt für die Diskussion ist der Beschluss der Justizministerkonferenz im Juni, nach dem das Land Hessen einen neuen Straftatbestand für die Hehlerei mit Daten schaffen soll. Bislang verbietet das Strafgesetzbuch nur Kauf und Weitergabe von Diebesgut wie geklauten Fahrrädern. Digitale Informationen wie Zugangsdaten zu Mobiltelefonen oder Konten sind vor dem freien Handel im Internet nur geschützt, wenn es sich um Geschäftsgeheimnisse handelt. Diese Lücke zu schließen ist Hessen von der Justizministerkonferenz beauftragt worden. Auf Initiative der SPD-Justizminister soll der Fall der Annahme einer Steuerdaten-CD durch Steuerfahnder allerdings ausdrücklich ausgenommen werden.
Mit dem Ankauf solcher Daten hatte zuletzt das Bundesland Nordrhein-Westfalen versucht, Steuerflüchtlinge zu Selbstanzeigen zu bewegen. Ein Steuerabkommen mit der Schweiz will eine Mehrheit der Bundesländer zugleich über den Bundesrat scheitern lassen. Dieses Abkommen, betonte Leutheusser-Schnarrenberger jedoch in der Augsburger Allgemeinen, sei „der Weg zu einer rechtsstaatlichen Grundlage“, es daher „unverantwortlich“, wenn es scheitern würde. „Der Rechtsstaat nimmt langfristig Schaden, wenn ein Steuerdaten Schwarzmarkt durch unbegrenzte Nachfrage angeheizt wird“, sagte sie weiter.
Milliarden-Entlastung für die Industrie durch Energiesteuer-Nachlässe
Die Entlastung der Wirtschaft durch Vergünstigungen bei der Energiebesteuerung hat im vergangenen Jahr rund 4,3 Milliarden Euro betragen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung (BT-Drucks. 17/10515) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 17/10420) hervor. Darin verweist die Bundesregierung darauf, dass es sich bei den Angaben noch nicht um die endgültigen Zahlen für das vergangene Jahr handelt.
In ihrer Antwort erklärt die Bundesregierung, dass den Unternehmen des Produzierenden Gewerbes der sogenannte Spitzenausgleich bei der Energie- und der Stromsteuer ab 2013 nur noch dann gewährt werden soll, “wenn diese ambitionierte Effizienzanforderungen erfüllen”. Der Spitzenausgleich wurde nach Angaben der Regierung von Rot-Grün im Rahmen der ökologischen Steuerreform eingeführt, um den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von energieintensiven Unternehmen sicherzustellen.
Bundesregierung
Wechsel zur Fahrtenbuchmethode im laufenden Kalenderjahr unzulässig
Kernproblem
Die private Nutzung eines Dienstwagens ist für jeden Kalendermonat mit 1 % des Pkw-Listenpreises anzusetzen. Abweichend hiervon kann der Wert mit dem auf die private Nutzung entfallenden Teil der Kraftfahrzeugaufwendungen durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden. Der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müssen die Aufzeichnungen u. a. zeitnah, in geschlossener Form und unter Angabe des Gesamtkilometerstandes in ihrem fortlaufenden Zusammenhang wiedergegeben werden. Bisher noch höchstrichterlich ungeklärt ist die Frage, ob der Wechsel von der 1 %-Regel zur Fahrtenbuchmethode während des laufenden Kalenderjahres möglich ist, ohne dass ein Fahrzeugwechsel erfolgt.
Sachverhalt
Ein Angestellter und dreifacher Vater hatte von seinem Arbeitgeber einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt bekommen, der auch privat genutzt werden durfte. Zum 1.5. des Streitjahres begann er mit der Führung eines inhaltlich ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs, während vorher die 1 %-Methode angewendet wurde. Der Arbeitgeber ermittelte den Sachbezug ab Mai auf Basis des Fahrtenbuchs, was das Finanzamt anlässlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung beanstandete. Das Finanzamt bezog sich auf die Verwaltungsanweisung, nach der bei demselben Kfz das Verfahren während des Kalenderjahrs nicht gewechselt werden darf. Der Familienvater begründete den Methodenwechsel mit der Geburt seines dritten Kindes und die eingeschränkte Privatnutzungsmöglichkeit des Dienstwagens wegen der Platzierung von 3 Kindersitzen. Nach ablehnender Einspruchsentscheidung des Finanzamts klagte er wegen familienfeindlicher Richtlinienanwendung vor dem Finanzgericht Münster.
Entscheidung
Das Gericht folgte der von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung, denn eine monatlich wechselnde Fahrtenbuchführung berge eine erhöhte Manipulationsgefahr und sei schwer überprüfbar. Die Richter sehen ein Fahrtenbuch nur dann als ordnungsgemäß an, wenn es für einen repräsentativen Zeitraum von mindestens einem Jahr geführt wird. Dagegen widerspreche ein monatlicher Wechsel zwischen der Fahrtenbuch- und der 1 %-Methode dem Vereinfachungs- und Typisierungsgedanken der gesetzlichen Regelung.
Konsequenz
Das Gericht hat die persönlichen Lebensumstände bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Ob das Bestand haben wird, kann jetzt der BFH überprüfen, denn dort ist die Revision wegen besonderer Bedeutung anhängig geworden.