Schlagwort-Archive: Steuerhinterziehung

Keine Haftung von Bankmitarbeitern wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Anonymität der mutmaßlichen Haupttäter

BFH-Urteil vom 15.01.13   VIII R 22/10

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 15. Januar 2013 VIII R 22/10 eine Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt, wonach Mitarbeiter eines Kreditinstituts für die von anonym gebliebenen Kunden mutmaßlich hinterzogene Einkommensteuer auf mutmaßlich im Ausland erzielte Kapitalerträge nicht haften, obwohl die Kunden als Folge der von der Bank angebotenen Möglichkeit des anonymisierten Kapitaltransfers in das Ausland nicht enttarnt werden konnten.

 

Der Kläger hatte 1992 und 1993 als Leiter der Wertpapierabteilung eines großen deutschen Kreditinstituts daran mitgewirkt, dass Kunden des Kreditinstituts Wertpapiere unter Verschleierung ihrer Identität nach Luxemburg oder in die Schweiz transferieren konnten. Dies diente dazu, der 1991 in Deutschland eingeführten Zinsabschlagssteuer zu entgehen. Steuerstrafrechtliche Ermittlungen bei dem Kreditinstitut brachten zwar den Umfang des auf diesem Weg anonym in das Ausland transferierten Vermögens zu Tage. Es gelang jedoch nicht, sämtliche dahinterstehenden Kunden namentlich zu enttarnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass von den enttarnten Kunden nahezu keiner die im Ausland erzielten Kapitalerträge in seiner Steuererklärung angegeben hatte.

 

Das Finanzamt übertrug die Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden auf die Gruppe der nicht enttarnten Kunden und nahm den Kläger (u.a.) unter Anwendung eines großzügigen Sicherheitsabschlags für die von den nicht enttarnten Wertpapierkunden mutmaßlich hinterzogene Einkommensteuer auf im Ausland erzielte Kapitalerträge in Haftung.

 

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat u.a. ausgeführt, allein die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers reiche nicht aus, um eine hinreichend sichere Überzeugung davon zu gewinnen, dass die nicht enttarnten Kunden die Einkommensteuer auf im Ausland erzielte Kapitaleinkünfte hinterzogen hätten. Auch die Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden könnten für die Gruppe der anonym gebliebenen Kunden konkrete tatsächliche Feststellungen nicht ersetzen. Dies gehe zu Lasten der Finanzverwaltung, die hierfür die Feststellungslast trage. Der BFH hat diese Ausführungen bestätigt. Ob eine Steuerhinterziehung unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen auch ohne namentliche Kenntnis des Haupttäters in Betracht kommt, hat der BFH ausdrücklich offen gelassen.

DStV  Pressemitteilung Nr. 20/13 vom 10.4.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.1.2013, VIII R 22/10

Keine Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Anonymität der mutmaßlichen Haupttäter – Freie Beweiswürdigung des FG

Leitsätze

1. Die Haftung nach § 71 AO setzt u.a. voraus, dass der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist.

 

2. Im Zusammenhang mit anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland setzt die Feststellung einer Steuerhinterziehung voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat.

 

3. Kann das FG verbleibende Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen.

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen durch anonym gebliebene Bankkunden haftet.
2
Der Kläger war Leiter der Wertpapieradministration bei einem großen deutschen Kreditinstitut X und als solcher unmittelbar dem Vorstand unterstellt. X war an zwei gleichnamigen Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der Schweiz beteiligt. Der Kläger veranlasste und genehmigte 1992 –nach Abstimmung mit der Revision sowie der Rechtsabteilung des Kreditinstituts– zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anonymen Transfer von Wertpapieren zu den Auslandstöchtern der X zu ermöglichen. Ergänzt wurde diese Regelung im Oktober 1992 für sog. auslandsverwahrte Werte in der Weise, dass effektiv eingelieferte Werte „auch ohne Legitimationsprüfung entsprechend der Kundenangabe (z.B. Kennwort oder Kundennummer)“ angenommen werden konnten. Auf die bis dahin einzuholende Aneignungsermächtigung gemäß § 13 des Depotgesetzes sollte verzichtet werden können.
3
Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung bei der X mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten von Kunden der X und ihrer beiden Auslandstöchter in Luxemburg und der Schweiz. Das zuständige Finanzamt stellte fest, dass eine Vielzahl von Kunden der X und der beiden Tochtergesellschaften die Möglichkeit genutzt hatten, Kapital und Wertpapiere anonym über die Grenze zu den Tochtergesellschaften zu transferieren. Anstelle der personenbezogenen Kundendaten waren lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot-Kontennummern oder mit der Auslandsbank vereinbarte Kennworte auf den Transferbelegen vermerkt worden.
4
Trotz der Anonymisierung gelang es der Finanzverwaltung unter Mithilfe der X, etwa 75 % der Vorgänge einzelnen Kunden zuzuordnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass nahezu kein nachträglich enttarnter Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hatte. In etwa 6 % der Fälle hatte dies allerdings keine steuerverkürzende Wirkung. Die Identität der übrigen Kunden, die Bargeld und Wertpapiere anonym transferiert hatten, konnte nicht ermittelt werden. Insgesamt handelte es sich dabei um 1 149 Kunden, von denen 638 Kunden Wertpapiere transferiert hatten. Die ermittelte Nominalwertsumme der von diesen 638 Kunden transferierten Wertpapiere belief sich auf 304.732.400 DM.
5
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) nahm den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 638 Fällen für hinterzogene Einkommensteuer in Höhe von 2.250.824,46 EUR und Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer in Höhe von weiteren 1.204.178 EUR gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Er und seine Mitarbeiter hätten ein System entwickelt und praktiziert, das es den Kunden der X erlaubt habe, Kapital anonym ins Ausland zu transferieren und so der Zinsabschlagsteuer zu entgehen. Der Kläger habe dieses Verfahren angeordnet. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten, um die Steuern auf die im Ausland erzielten Kapitalerträge zu hinterziehen.
6
Die Haftungssumme errechnete das FA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Die identifizierten Kunden hätten im Durchschnitt Kapitalerträge von 8 % p.a. erzielt. Der durchschnittliche Einkommensteuersatz dieser Kunden habe bei 35 % gelegen. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags von 25 % ergebe sich daraus in der Gruppe der nicht identifizierten Kunden eine Summe an hinterzogener Einkommensteuer von nicht unter 2.250.824,46 EUR. Die Hinterziehungszinsen seien auf 1.204.178 EUR festzusetzen. Neben dem Kläger seien auch die X, sechs damalige Vorstandsmitglieder sowie vier weitere leitende Angestellte in Haftung genommen worden.
7
Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den das FA zurückwies. Auf Antrag des Klägers hat der Senat im Streitfall die Vollziehung des Haftungsbescheids für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 16. Juli 2009 VIII B 64/09, BFHE 226, 30, BStBl II 2010, 8). Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid aufgehoben.
8
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 71 AO, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
9
Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10
Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt, dass der Kläger für die mögliche und auch wahrscheinliche, aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterziehung durch anonym gebliebene Bankkunden nicht gemäß § 71 AO haftet. An die tatsächliche (negative) Feststellung des FG, wonach es von der Steuerhinterziehung jedes einzelnen anonym gebliebenen Kunden in keinem einzigen Fall überzeugt sei, ist der BFH gebunden.
12
1. Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Wer Teilnehmer einer Straftat ist, ergibt sich mangels eigener Begriffsbestimmungen für das Steuerrecht aus den §§ 25 bis 31 des Strafgesetzbuchs –StGB– (Täterschaft und Teilnahme). Teilnehmer sind der Anstifter (§ 26 StGB) oder der Gehilfe (§ 27 StGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
13
a) Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Anforderungen setzt die Haftung als Gehilfe einer Steuerhinterziehung voraus, dass der Steuerschuldner die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht hat. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben. Der Gehilfe muss dazu vorsätzlich Hilfe geleistet haben. Das setzt eine von Vorsatz getragene Beihilfehandlung voraus. Der Vorsatz des Gehilfen muss sich darüber hinaus auch auf die Haupttat, also die Steuerhinterziehung durch den Steuerschuldner erstrecken (sog. doppelter Gehilfenvorsatz). Steuerrechtlich setzt die Haftung weiter voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiert (Akzessorietät der Haftung).
14
b) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts –hier des § 370 AO– bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Danach hat das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des Strafgesetzes ausfüllen. Allerdings darf es sich für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nicht auf die Anwendung eines reduzierten Beweismaßes oder eine Schätzung beschränken; verbleibende Zweifel gehen nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Finanzamts (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 71 AO Rz 19).
15
c) Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560; vom 7. November 2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364; BFH-Beschluss vom 9. März 2011 X B 153/10, BFH/NV 2011, 965).
16
d) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das FG ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind. Im Übrigen binden die tatsächlichen Feststellungen das Revisionsgericht schon dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind (vgl. nur Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30, m.w.N.). Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das FG die in § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat.
17
2. Nach diesen Maßstäben begegnet das angefochtene Urteil keinen rechtlichen Bedenken.
18
a) Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers in einer bestimmten Anzahl von Fällen und in einer bestimmten Höhe lasse keinen sicheren Schluss darauf zu, dass die 638 nicht enttarnten Wertpapierkunden Steuern hinterzogen haben. Die fehlende Überzeugung des Gerichts gehe zu Lasten des FA. Das Gericht dürfe die fehlende Überzeugung nicht durch Wahrscheinlichkeitsurteile ersetzen. Dies würde zu einer weitreichenden Feststellungserleichterung zugunsten der Finanzverwaltung führen, was nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zulässig sei.
19
b) Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
20
aa) Sie beruhen im rechtlichen Ausgangspunkt auf der ständigen Rechtsprechung, dass die Haftung nach § 71 AO die Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 AO voraussetzt und die entsprechenden Tatsachen durch das FG hinsichtlich einer sicher bestimmbaren Zahl von Fällen festzustellen sind. Das setzt tatsächliche Feststellungen dazu voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Außerdem musste das FG feststellen, dass der jeweilige Steueranspruch noch existierte und nicht z.B. durch Zahlung oder Verjährung erloschen war.
21
Kann das FG verbleibende tatsächliche Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen (s. dazu oben unter II.1.b).
22
bb) Die Auffassung des FA, zur Begründung der Haftung gemäß § 71 AO reiche auch ohne entsprechende einzelfallbezogene tatsächliche Feststellungen schon eine hinreichend sichere Annahme einer Steuerhinterziehung i.S. einer gruppenbezogenen Betrachtung aus (hier der nicht enttarnten Kunden), findet im Gesetz keine Stütze.
23
(1) Schon die strafrechtlichen Begriffe (Steuerhinterziehung, Teilnahme) gebieten für die Anwendung des § 71 AO eine grundsätzlich auf den Einzelfall abstellende Betrachtung. Der BFH ist stets davon ausgegangen, dass die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts auch materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen sind (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570). Auch die steuerrechtliche Akzessorietät der Haftung kann nur bezogen auf das einzelne Steuerrechtsverhältnis geprüft werden.
24
(2) Die gegenteilige Auffassung des FA ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht und die grundsätzliche Bindung des Richters an das Gesetz unvereinbar. Sie liefe auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Gefährdungshaftung hinaus.
25
Auch der Umstand, dass der Kläger gerade durch das ihm zur Last gelegte Verhalten die Enttarnung der Bankkunden aktiv erschwert und zum Teil vereitelt hat, vermag keine Ausweitung der Haftung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus zu rechtfertigen.
26
(3) Das FG hat seine Überzeugung gemäß § 96 FGO zu Recht nach demselben Beweismaß wie bei anderen steuer- oder haftungsbegründenden Tatsachen gebildet, nicht aber nach einem reduzierten Beweismaß anhand eines bestimmten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wie ihn das FA mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % zugrunde legen will. Durch einen solchen Sicherheitsabschlag erhöht sich nämlich nur die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzte Haftungssumme den tatsächlichen Steuerschaden nicht übersteigt, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich in der Vielzahl der Einzelfälle die Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt.
27
cc) Die auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze vorgenommene Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch das FG ist jedenfalls möglich; an die (negative) tatsächliche Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestands durch das Gericht ist der BFH deshalb gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
28
(1) Zum einen gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057).
29
(2) Zum anderen hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Häufigkeit der Steuerhinterziehung in der Gruppe der enttarnten Kunden bei der Prüfung einer möglichen Steuerhinterziehung durch nicht enttarnte Kunden der Bank mangels Möglichkeit weiterer entsprechender tatsächlicher Feststellungen unberücksichtigt gelassen. Andernfalls hätte die Überzeugungsbildung auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht, die mit dem unter II.1.b dargestellten Gebot der richterlichen Überzeugungsbildung für Sachverhalte, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt, unvereinbar gewesen wäre.
30
(3) Die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen nach § 71 AO verlangt –wie dargelegt– tatsächliche Feststellungen, aus denen sich das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt. Dies erfordert im Regelfall Feststellungen zur Zurechenbarkeit anonymisierter Kapitaltransfers ins Ausland zu bestimmbaren Steuerpflichtigen und Feststellungen, die die Überzeugung begründen, dass diese Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen dazu keine oder unrichtige Angaben gemacht haben.
31
Solche tatsächlichen Feststellungen waren indessen –auch nach Ansicht des FA– im Streitfall nicht möglich, so dass dahinstehen kann, ob das Merkmal der „Steuerhinterziehung“ in § 71 AO auch ohne (namentliche) Kenntnis des Täters in Betracht kommt. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen waren jedenfalls deshalb nicht durch Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden zu ersetzen, weil selbst nach den Angaben des FA in der Gruppe der enttarnten Kunden nicht sämtliche Kunden in ihren Einkommensteuererklärungen unrichtige Angaben gemacht haben. Vielmehr habe „nahezu kein“ enttarnter Kunde die im Ausland erzielten Erträge deklariert, was jedoch Ausnahmen einschließt. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des FA in etwa 6 % der Fälle aus anderen Gründen eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.
32
(4) Der Streitfall gibt schließlich keine Veranlassung, abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Wahrscheinlichkeitsaussagen überhaupt zur richterlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden dürfen, weil das FG seine Entscheidungsbildung auf solche Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht gestützt hat.

Steuerhinterziehung, auch wenn dem FA alle Tatsachen bekannt waren?

Steuerhinterziehung, auch wenn dem FA alle Tatsachen bekannt waren?

Kernaussage

Eine Steuerhinterziehung durch unrichtige oder unvollständige Angabe von Tatsachen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) setzt keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Selbst wenn dieser von sämtlichen Umständen Kenntnis hat und sämtliche Beweismittel bekannt und verfügbar waren, kann eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegen.

Sachverhalt

Der Angeklagte hat als im Einkauf tätiger Angestellte für eine Firma Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland über eine Gruppe von Personen eingekauft, deren in Deutschland ansässige Firmen nur zum Zwecke der Erlangung unberechtigter Vorsteuerabzüge zwischengeschaltet waren. In Kenntnis dieser Umstände und im Wissen, dass eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht bestand, gab der Angeklagte die Eingangsrechnungen der Strohfirmen mit ausgewiesener Umsatzsteuer zum Zwecke der Verbuchung und Vornahme des Vorsteuerabzugs in die Buchhaltung der Firma weiter. Insgesamt wurde auf diese Weise Umsatzsteuer in Höhe von rund 5,18 Mio. EUR hinterzogen. Der Angeklagte wurde wegen Steuerhinterziehung in 14 Fällen zu 4 Jahren und 9 Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Mit der Revision macht der Angeklagte geltend, dass ermittelnde Steuerfahnder Kenntnis von der steuerstrafrechtlichen Verdachtslage erlangt und keine Maßnahmen zur Verhinderung der Tat ergriffen hätten.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) wies die Revision zurück. Weder das „Wissen“ des zuständigen Steuerfahnders noch dessen „Schweigen“ können für den Straf- oder Schuldausspruch berücksichtigt werden. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung durch positives Tun in Form der Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung erfordert keine Täuschung des Finanzbeamten. Sein Kenntnisstand ist unbeachtlich. Es genügt, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben für die Steuerverkürzung ursächlich sind. Denn anders als in der Unterlassungsvariante setzt der Täter bereits bei Begehung durch aktives Tun eine Ursache, die im tatbestandsmäßigen Erfolg stets wesentlich fortwirkt.

Konsequenz

Der BGH hat in seiner Entscheidung eine bedeutsame Aussage im Bereich des Steuerstrafrechts getätigt und erstmals eine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Frage nach dem Erfordernis der Unkenntnis getroffen. Eine strafrechtliche Entlastung dahingehend, dass die zuständigen Strafverfolgungsbehörden Kenntnis hatten und die Steuerhinterziehung (nach § 371 Abs. 1 Nr. 1 AO) als zusätzliches ungeschriebenes Merkmal einen Irrtum des zuständigen Beamten erfordere, scheidet nunmehr endgültig aus.

Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe

Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe

Kernaussage

Wer Steuern hinterzieht, wird nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen, z. B. wenn der Steuerpflichtige in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat, kann die Freiheitsstrafe sogar bis zu zehn Jahre betragen. Der Bundesgerichtshof entschied dazu kürzlich, dass bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe zukünftig keine Bewährungsstrafe mehr in Betracht kommt.

Sachverhalt

Der angeklagte Steuerpflichtige war 2001 Mitgesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Diese und eine weitere Gesellschaft verkaufte er an eine AG für 80 Mio. DM. Zusätzlich zum gezahlten Kaufpreis erhielt er Aktien der AG im Wert von 7,2 Mio. DM als Gegenleistung dafür, dass er der AG den Kauf auch der anderen Gesellschaftsanteile ermöglicht hatte. Dieses Aktienpaket deklarierte er in seiner Einkommensteuererklärung wahrheitswidrig als weiteres Kaufpreiselement. Dadurch erlangte er die günstigere Versteuerung nach dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren für Veräußerungserlöse, so dass für das Jahr 2002 Einkommensteuer in Höhe von mehr als 890.000 EUR verkürzt wurde. Der Angeklagte war auch nach der Veräußerung weiter Geschäftsführer der GmbH, wofür ihm 2006 auch Tantiemen in Höhe von mehr als 570.000 EUR zustanden. Um die dafür zu entrichtende Lohnsteuer zu hinterziehen, veranlasste er – als „Gegenleistung“ für einen „Verzicht“ auf die Tantiemen – deren „Schenkung“ an seine Ehefrau und seine Kinder unter Fertigung falscher Unterlagen. Die an sich fällige Lohnsteuer wurde dadurch in Höhe von 240.000 EUR verkürzt. Insgesamt wurden mehr als 1,1 Mio. EUR Steuern hinterzogen. Das Landgericht verurteilte den Angeklagten zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof (BGH) wollte diese Milde nicht walten lassen und hob die Bewährungsstrafe auf. Zwar nahm das Landgericht richtigerweise in beiden Fällen einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung an. Die Strafzumessung des Landgerichts war aber fehlerhaft, denn gewichtige Gesichtspunkte (z. B. das Zusammenwirken mit dem Steuerberater beim Erstellen manipulierter Unterlagen) blieben bei der Strafzumessung außer Betracht, wurden also mildernd berücksichtigt. Das Landgericht hatte sich offenbar rechtsfehlerhaft von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung leiten lassen. Bei einer Steuerhinterziehung im großen Ausmaß, d. h. in Millionenhöhe, kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe (von im Höchstmaß zwei Jahren) aber nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht; solche hatte das Landgericht hier nicht ausreichend dargetan.

Konsequenz

Das Urteil zeigt deutlich die Tendenz des BGH, Steuersünder künftig härter zu bestrafen. Bei Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe und Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe sind Revisionen mit dem Ziel der Erreichung einer Bewährungsstrafe wohl in Zukunft als wenig aussichtsreich einzustufen. Es sei denn, es greifen besondere Milderungsgründe, wie z. B. ein im Wesentlichen steuerehrliches Verhalten des Täters im Tatzeitraum oder vor der Tat. Bedeutsam ist daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern. Auch ein frühzeitiges Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern kann strafmildernd wirken.

Kriterien für Schätzungen bei Steuerhinterziehung

Kriterien für Schätzungen bei Steuerhinterziehung

Kernaussage

Wird eine Anklage wegen Steuerhinterziehung auf eine Schätzung gestützt, obwohl eine exaktere Berechnung nach weiteren Ermittlungen möglich ist, so rechtfertigt dies die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts. Dies entschied kürzlich das Oberlandesgericht Celle.

Sachverhalt

Den Angeschuldigten wurde seitens der Staatsanwaltschaft u. a. Verkürzung von Umsatzsteuer, Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag sowie Einkommensteuer in mehreren Fällen vorgeworfen. Ihnen wurde zur Last gelegt, gemeinschaftlich als Verantwortliche einer GmbH 179 als „geringfügig beschäftigt“ gemeldete Arbeitnehmer als Reinigungskräfte an Autobahnraststätten in größerem Maße beschäftigt und dadurch Sozialversicherungsbeiträge in Millionenhöhe vorenthalten zu haben. Zudem sollen die Angeschuldigten Einnahmen aus Tellergeldern nicht verbucht und dadurch Umsatzsteuer von rd. 58.000 EUR hinterzogen sowie aus diesen Tellergeldern verdeckte Lohnzahlungen geleistet und dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag von rd. 24.000 EUR hinterzogen haben. Mit der Begründung, die Anklage stütze sich auf unzulässige Schätzungen, lehnte das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos.

Entscheidung

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist dem Tatrichter eine Schätzung hinterzogener Steuern und vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge nur in folgenden Fällen gestattet: Für eine annähernd genaue Berechnung fehlen aussagekräftige Beweismittel (Belege und Aufzeichnungen), die Parameter der Schätzgrundlage sind tragfähig, die Schätzung ist aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt (z. B., wenn eine exakte Berechnung einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordert und bei exakter Berechnung für den Schuldumfang nur vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten sind). Schließlich ist im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses der Zweifelssatz zu beachten und die Grundlagen der Schätzung müssen im tatrichterlichen Urteil für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargestellt werden. Hier waren die Berechnungen zwar tatsachenfundiert, eine genauere Ermittlung wäre indes durch Vernehmung der Arbeitnehmer mit verhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen. Damit war eine Schätzung der Schwarzlohnsummer nicht zulässig.

Konsequenz

Bei der Ermittlung von Schwarzlohnsummen darf nicht vorschnell auf Schätzungen ausgewichen werden, wenn eine tatsachenfundierte Berechnung anhand der vorliegenden Beweismittel möglich erscheint.

Steuerhinterziehung: besonders schwerer Fall ist stets zu prüfen

Steuerhinterziehung: besonders schwerer Fall ist stets zu prüfen

Kernaussage

Steuerhinterziehung wird bestraft mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren. In besonders schweren Fällen reicht die Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren; Geldstrafe kommt nicht mehr in Betracht. Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn gesetzlich normierte Regelbeispiele verwirklicht sind, d. h. z. B. Steuern in großem Ausmaß oder unter Verwendung falscher Belege hinterzogen werden (§ 370 Abs. 3 AO). Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in 2008 das Merkmal „großes Ausmaß“ ausgelegt und dafür 2 Betragsgrenzen bestimmt: hat der Täter lediglich das Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch den staatlichen Steueranspruch gefährdet, ist das Merkmal bei einer Hinterziehung von 100.000 EUR erfüllt. Erlangt der Täter ungerechtfertigt Zahlungen vom Finanzamt, liegt die Betragsgrenze bei 50.000 EUR. Dazu entschied der BGH nun, dass die Urteilsbegründung bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ergeben muss, ob Steuern in großem Ausmaß verkürzt wurden und weshalb trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall verneint wird.

Sachverhalt

Der angeklagte Unternehmer tätigte in 2007 und 2008 durch Scheinrechnungen abgedeckte Schwarzein- und verkäufe von Telefonkarten. Hierbei hinterzog er Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 2,2 Mio. EUR. Bei einigen Taten reichten die Hinterziehungsbeträge von 19.000 EUR bis 204.000 EUR; bei weiteren Taten lag der Hinterziehungsbetrag über 100.000 EUR. Das Landgericht hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. In den Entscheidungsgründen des Urteils war nicht erörtert worden, ob der Angeklagte Steuern „in großem Ausmaß“ verkürzt hatte. Die Revision des Angeklagten blieb vor dem BGH erfolglos. Statt dessen entschieden die Richter, dass der Strafrahmen zugunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft war.

Entscheidung

Das Landgericht hatte nicht geprüft, ob bei den Hinterziehungsbeträgen ab 100.000 EUR das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ gegeben war. Darüber hinaus hätte bei Bejahung dieses Regelbeispiels auch das Vorliegen eines besonders schweren Falles angenommen werden müssen. Die Umstände, die das Regelbeispiel begründen, dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, sondern müssen im Vordergrund der Abwägung stehen. Weil das Landgericht das Regelbeispiel gar nicht erst geprüft hat, konnte es auch nicht erörtern, ob die deswegen gebotene Anwendung des erschwerten Strafrahmens durch Milderungsgründe kompensiert wurde.

Konsequenz

Das Urteil zeigt einmal mehr die harte Vorgehensweise gegen Steuersünder. Anlässlich der Zurechtweisung des Landgerichts für die unzureichende Prüfung des Straftatbestandes und des einschlägigen Merkmals des „großen Ausmaßes“ wies der BGH noch auf Folgendes hin: die Bezahlung der geschuldeten Steuer ändert nichts an der Indizwirkung der Überschreitung der 100.000 EUR-Grenze für besonders schwere Fälle. Hierbei sei bereits berücksichtigt, dass es lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs komme.

Keine Angaben über Rentenbezüge können Steuerhinterziehung sein

Keine Angaben über Rentenbezüge können Steuerhinterziehung sein

Kernaussage

Unterlassene Angaben von erhaltenen Rentenzahlungen in der Einkommensteuererklärung können als Steuerhinterziehung gewertet werden. Für eine Steuerhinterziehung reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer laienhaften Bewertung die Existenz eines Steueranspruches erkennen und auf diesen einwirken kann. Anderenfalls käme allein eine Strafbarkeit von Steuerfachleuten in Betracht.

Sachverhalt

Die Kläger, ein pensionierter Beamter und seine Ehefrau, die seit Juli 1993 eine Regelaltersrente bezog, wurden zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt. In den eingereichten Steuererklärungen 1993 – 2006 hatten sie die Rentenbezüge nicht angegeben. Lediglich für 2007 hatten sie bei „Renten lt. Anlage R für Ehefrau“ ein Kreuz gesetzt, diese Anlage aber nicht beigefügt. Das beklagte Finanzamt erließ daraufhin nunmehr bestandskräftige Steuerbescheide. Nachdem das Finanzamt 2009 Kenntnis von der Altersrente erlangt hatte, änderte es die Einkommenssteuerbescheide 1998 – 2007, was entsprechende Nachzahlungen zur Folge hatte. Die Kläger wandten dagegen ein, das Finanzamt hätte aufgrund der Kenntnis des Geburtsdatums der Klägerin zugleich Kenntnis von dem Rentenbezug haben müssen. Für die Veranlagungszeiträume 1998 – 2003 sei ohnehin Verjährung eingetreten. Schließlich seien sie aufgrund einer Falschinformation des Finanzamtes in dem Glauben gewesen, die Rente der Klägerin unterliege nicht der Besteuerung.

Entscheidung

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige den steuerlich relevanten Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich zur Prüfung vorzulegen. Aus den Akten haben sich keine objektiven Hinweise auf einen Rentenbezug ergeben, denn in den Steuererklärungen wurde immer „Hausfrau“ angegeben. Allein aus dem Alter der Klägerin konnte nicht ohne Weiteres auf einen Rentenbezug geschlossen werden. Obwohl ausdrücklich auf den Steuervordrucken nach Ruhegeldern gefragt wurde, waren die Anlagen nie eingereicht worden. Die Kläger hat damit unvollständige Angaben gemacht, was nach Überzeugung des Gerichts in der Absicht geschah, die Einkünfte zu verschleiern. Zudem sei von einer Steuerhinterziehung auszugehen, so dass aufgrund der dann eintretenden Verlängerung der Verjährungsfrist auf 10 Jahre eine Verjährung nicht in Betracht komme. Die von den Klägern behauptete Fehlinformation, die Rente sei steuerfrei, wurde nicht hinreichend dargetan.

Konsequenz

Hinsichtlich aller Bezüge muss der Finanzbehörde vollständig Auskunft erteilt werden. Wer dies unterlässt, muss mit rechtlichen Folgen rechnen.

Steuerhinterziehung schon bei falscher Kilometer-Angabe?

Steuerhinterziehung schon bei falscher Kilometer-Angabe?

Kernaussage

Mit der Entfernungspauschale, im Volksmund Pendlerpauschale, werden im deutschen Einkommensteuerrecht die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte pauschaliert. Anstatt dessen können Steuerpflichtige aber auch die tatsächlich gefahrenen Kilometer angeben und so das zu versteuernde Einkommen mindern. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz nahm nun zu der Frage Stellung, welche steuerlichen Folgen aus überhöhten Entfernungsangaben gezogen werden können.

Sachverhalt

Die Klägerin erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. In der Anlage N zu ihrer Einkommensteuererklärung 1996 gab sie bei den Werbungskosten hinsichtlich der Wege zwischen Wohn- und Arbeitsstätte an, sie sei über einen weiteren Ort gefahren, die einfache – mit dem eigenen Pkw zurückgelegte – Entfernung habe sei 28 km betragen. In den Steuererklärungen der Jahre 1997-2005 gab die Klägerin jeweils diesen weiteren Ort als Arbeitsort an und als einfache Entfernung ebenfalls jeweils 28 km. Diesen Angaben folgte das beklagte Finanzamt. Bei der Bearbeitung der Steuererklärung für 2006 fiel auf, dass die einfache Entfernung zwischen dem Wohnort und dem angegebenen Arbeitsort nur 10 km betrug. Wegen Vorliegens einer Steuerhinterziehung und der demzufolge geltenden 10-jährigen Verjährungsfrist, erließ das Finanzamt geänderte Bescheide für die Jahre 1996-2005. Die hiergegen gerichtete Klage begründete die Klägerin damit, dass sie irrtümlich davon ausgegangen sei, die Entfernungskilometer hätten den tatsächlich gefahrenen Kilometern entsprochen. Ferner hätte dem Finanzamt der Widerspruch bei Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht auffallen müssen. Die Klage war nur hinsichtlich des Jahres 1996 erfolgreich.

Entscheidung

Nach Ansicht des Gerichts konnten nur für 1996 die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung nicht angenommen werden, weil seitens der Klägerin ein Versehen vorgelegen haben könne. Für die übrigen Streitjahre wurde eine Steuerhinterziehung bejaht, denn der Arbeitsplatz habe sich ab 1997 in dem der Wohnung näher gelegenen weiteren Ort befunden. Gleichwohl habe die Klägerin aber, wie im Jahr zuvor, die weitere Fahrtstrecke angegeben. Sie müsse es daher auch unter Zugrundelegung einer laienhaften Bewertung für möglich gehalten haben, dass sie mit der Falschangabe einen höheren als den ihr zustehenden Werbungskostenabzug erreicht. Die neuen Tatsachen, d. h. die geringere Entfernung, seien erst nachträglich bekannt geworden, so dass es für das Finanzamt keinen Anlass gegeben habe, den klägerischen Angaben von Vorneherein zu misstrauen. Schließlich würden die Veranlagungsarbeiten von wechselnden Sachbearbeitern erledigt, die nicht immer über hinreichende Ortskenntnis verfügen könnten.

Konsequenz

Die Änderung eines Bescheids kann ausgeschlossen sein, wenn dem Finanzamt nachträglich bekannt gewordene Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Allerdings muss der Steuerpflichtige hierzu die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten erfüllen. Das war im Streitfall nicht geschehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Kein Entfall der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Wissen und Schweigen der Fahnder

Kein Entfall der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Wissen und Schweigen der Fahnder

Kernaussage

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist nicht erst dann vollendet, wenn der Finanzbeamte erfolgreich getäuscht wurde. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied kürzlich, dass eine Strafbarkeit aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben nicht deshalb entfällt, weil der Finanzbehörde alle bedeutsamen Tatsachen bekannt und sämtliche Beweismittel verfügbar waren.

Sachverhalt

Der Angeklagte war als Einkäufer beschäftigt und hatte für seinen Arbeitgeber Elektronikbauteile aus dem europäischen Ausland gekauft. Der Bezug erfolgte über eine Personengruppe, deren in Deutschland ansässige Firmen nur zwischengeschaltet waren, um unberechtigte Vorsteuerabzüge zu erlangen. In diesem Wissen gab der Angeklagte Eingangsrechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis an die Buchhaltung weiter zum Zwecke der Verbuchung und Vornahme des Vorsteuerabzugs. So wurden insgesamt rd. 5,18 Mio. EUR hinterzogen, der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision macht er geltend, die Finanz- und Strafverfolgungsbehörde habe so früh Kenntnis von dem gesamten Sachverhalt gehabt, dass sie größeren Schaden hätte verhindern können. Statt dessen seien aber gar keine Maßnahmen ergriffen worden. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Entscheidung

Eine Steuerhinterziehung setzt keine gelungene Täuschung des zuständigen Finanzbeamten voraus. Weder das Wissen des Ermittlungsbeamten, noch dessen Schweigen kann für den Strafausspruch berücksichtigt werden. Zur Verwirklichung des Straftatbestandes der Steuerhinterziehung reicht es aus, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben in anderer Weise als durch Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen ungerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden. Die Straftat liegt selbst dann vor, wenn der Veranlagungsbeamte von allen für die Veranlagung wichtigen Tatsachen Kenntnis hat und sämtliche Beweismittel vorliegen. Auf eine Kenntnis oder Unkenntnis kommt es nicht an.

Konsequenz

Der Erfolg der durch aktives Tun begangenen Steuerhinterziehung wäre auch bei Kenntnis der Behörde vom zutreffenden Besteuerungssachverhalt nicht ohne den vom Steuerpflichtigen in Gang gesetzten Geschehensablauf eingetreten. Anders als bei einer Unterlassungsstraftat birgt gerade das Machen von Falschangaben die unter Strafe gestellte Gefahr der Steuerverkürzung.