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Umsatzsteuer – Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle

Anwendung der Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes; (PDF, 52,8 KB);
Überarbeitung des BMF-Schreibens vom 1. Dezember 2008 – IV B 8 – S 7203/07/10002 –

Dazu: BMF-Schreiben vom 20. September 2012 – IV D 2 – S 7203/07/10002 :004 – 2012/0857478 –

Umsatzsteuer; Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle; Anwendung der Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes; (PDF, 52,8 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

Nach § 3 Abs. 1 Krw-/AbfG gelten als Abfall alle beweglichen Sachen, deren sich ihr Besit-zer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Abfälle in diesem Sinne sind nach den Vorgaben des Krw-/AbfG zu entsorgen. Daneben bestehen für bestimmte Abfallgruppen besondere Entsorgungspflichten aufgrund einzelgesetzlicher Regelungen z. B. für Altfahr-zeuge, Altglas, Altholz, Altöl, Bioabfall, gebrauchte Batterien und Akkumulatoren, gewerb-lichen Abfall, Elektro- und Elektronikgeräte, Klärschlamm, Verpackungen und tierische Nebenprodukte. Das vorliegende BMF-Schreiben gilt gleichermaßen für die Entsorgung der Abfälle aus der Demontage unbeweglicher Gegenstände (z. B. Abbruch von Bauwerken und Industrieanlagen mit Entsorgung der anfallenden Abbruchstoffe).

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hin-sichtlich der Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle Folgendes:

1. Beauftragt ein Abfallerzeuger oder -besitzer einen Dritten mit der ordnungsgemäßen Ent-sorgung seines Abfalls, erbringt der Dritte mit der Übernahme und Erfüllung der Entsor-gungspflicht eine sonstige Leistung i. S. von § 3 Abs. 9 UStG, sofern der Entsorgung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Ist dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen (sog. werthaltiger Abfall), liegt ein tausch-ähnlicher Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) – ggf. mit Barauf-gabe – vor, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner

 

• der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder

• die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls beeinflusst hat (vgl. Abschn. 10.5 Abs. 2 UStAE).

2. Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung

Eine Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung liegt vor, wenn Vereinbarungen über die Aufarbeitung oder Entsorgung der Abfälle getroffen wurden. Nicht ausreichend ist, dass sich der Entsorger allgemein zur Einhaltung abfallrechtlicher Normen (z. B. Einhaltung vorgeschriebener Verwertungsquoten) verpflichtet hat oder ein Entsorgungsnachweis ausgestellt wird.

a) Leistet der Entsorger dem Abfallerzeuger oder -besitzer eine Vergütung für den gelie-ferten Abfall, ohne dass der Entsorgungsleistung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist von einer bloßen Abfalllieferung durch den Abfallerzeuger/-besitzer an den Entsorger auszugehen.

b) Haben Abfälle einen positiven Marktwert und werden sie unmittelbar in Produktions-prozessen z. B. als Roh- oder Brennstoff eingesetzt, steht im Falle ihrer Veräußerung nicht die Entsorgungsleistung im Vordergrund, selbst wenn die Stoffe ihre Abfall-eigenschaft noch nicht verloren haben. Gleiches gilt für bereits sortenrein gesammelte Produktionsabfälle.

Beispiele hierfür sind sortiertes und gepresstes Papier, sortierte Kunststoffe, sortier-tes Glas, Fluff, Lösemittel, Schrotte und sortiertes Altholz sowie sortenrein erfasste oder behandelte Altöle bzw. Öl-Wasser-Gemische und Emulsionen. Weitere Beispiele sind Klärschlammasche, edelmetallhaltige Katalysatoren, kupfer- und blei-haltiger Schlamm, silberhaltige Schlacke.

c) Auch beim Handel mit den unter b) genannten Produkten liegt keine Entsorgungs-leistung vor. Ein tauschähnlicher Umsatz scheidet daher aus, selbst wenn die Mate-rialien einer besonderen Behandlung (wie z. B. Zerkleinern und Verpressen) unter-zogen werden, unabhängig davon, ob dadurch die Materialqualität oder -reinheit wesentlich verbessert wird oder nicht.

3. Beeinflussung der Barvergütung

Kommt der Entsorgungsleistung nach den Grundsätzen in Tz. 2 eine eigenständige wirt-schaftliche Bedeutung zu, ist aus Vereinfachungsgründen eine zum tauschähnlichen Umsatz führende Beeinflussung der Barvergütung durch den überlassenen Abfall grund-sätzlich nur anzunehmen,

a) wenn die Beteiligten ausdrücklich hierauf gerichtete Vereinbarungen getroffen, also neben dem Entsorgungsentgelt einen bestimmten Wert für eine bestimmte Menge der überlassenen Abfälle vereinbart haben,

b) oder die wechselseitige Beeinflussung auf Grund der getroffenen Vereinbarungen offensichtlich ist. Hiervon ist nur in folgenden Fällen auszugehen:

aa) Es wird vertraglich die Anpassung des ursprünglich ausdrücklich vereinbarten Entsorgungsentgelts an sich ändernde Marktverhältnisse für den übernommenen Abfall ausbedungen (sog. Preisanpassungsklauseln). Preisanpassungsklauseln, die nur Auswirkungen für zukünftige Umsätze haben, sind insoweit ohne Bedeutung.

Beispiel 1:

Unternehmer U1 übernimmt gegenüber dem Reifenservice R die Entsorgung von Altreifen. R zahlt U1 einen Preis von 2,- € je übernommenen Altreifen. Bei einer Veränderung des Preis-indexes von Stahl oder Gummigranulat im Vergleich zu den Verhältnissen bei Vertragsabschluss sind beide Beteiligten berechtigt, diesen Preis um 50 % der Indexveränderung anzupassen.

bb) Das nach Art und Menge bestimmte Entsorgungsentgelt ändert sich in Abhän-gigkeit von der Qualität der überlassenen Abfälle.

Beispiel 2:

Unternehmer U2 übernimmt gegenüber dem Bauunternehmer B die Entsorgung von Baustellen-mischabfällen. Die Beteiligten vereinbaren einen Grundpreis von 250,- € je Fuhre, welcher sich ab einem bestimmten Metall- und Folienanteil im Abfall um 50,- € reduziert.

cc) Es wird eine (Mehr-)Erlösverteilungsabrede getroffen.

Beispiel 3:

Unternehmer U3 übernimmt gegenüber dem Reifenhersteller R die Entsorgung von Fehlproduk-tionen und Materialresten für 80,- € je Tonne. Die Beteiligten verabreden, dass R an den von U3 bei der Veräußerung von daraus gewonnenem Gummigranulat und Stahl erzielten Erlösen zu 25 % beteiligt wird.

4. Sofern in den unter 3. b) genannten Fällen weder die Barvergütung einen Betrag von  50,- € je Umsatz noch die entsorgte Menge ein Gewicht von 100 kg je Umsatz übersteigt, braucht das Vorliegen eines tauschähnlichen Umsatzes aus Vereinfachungsgründen nicht geprüft zu werden.

Beispiel 4:

U4 übernimmt die Entsorgung des bei der Buchhaltungsfirma B anfallenden Altpapiers. Er ent-sorgt dort eine Menge von max. 20 kg Altpapier und berechnet hierfür 10,- €.  Da die für B entsorgte Menge das Gewicht von 100 kg je Abholung nicht übersteigt und die Ent-gelte hierfür 50,- € je Abholung nicht übersteigen, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten keinen tauschähnlichen Umsatz angenommen und nur die Entsorgungsleistung des U4 der Besteuerung unterworfen haben.

Beispiel 5:

U5 betreibt einen Abholservice für bestimmten Schrott und unbrauchbare Haushaltsgeräte, wie Waschmaschinen, Wäschetrockner und Geschirrspüler. Er bietet seinen Service privaten Haus-halten kostenlos an. Daneben führt er unentgeltlich Altkleidersammlungen in Wohngebieten durch. Soweit das Gewicht des Abfalls je Abholung und Haushalt 100 kg nicht übersteigt, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten jeweils keinen tauschähn-lichen Umsatz sondern nur eine Entsorgungsleistung annehmen, die jedoch mangels Entgelt nicht steuerbar ist.

5. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt insbesondere nicht vor,

a) im Falle sog. Umleersammeltouren (z. B. Leerung von Altpapiertonnen, Austausch bzw. Leerpumpen von Altölsammelbehältern), bei denen die Menge des im Einzelfall abgelieferten Abfalls und seine Zusammensetzung und Qualität nicht festgestellt wird; hier ist davon auszugehen, dass eine wechselseitige Beeinflussung von Barver-gütung und Entsorgungsleistung und damit ein tauschähnlicher Umsatz nicht vorliegt.

b) in den Fällen, in denen die Werthaltigkeit von zur Entsorgung überlassenen Abfällen erst später festgestellt werden kann, ohne dass sich hierdurch Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung bereits getätigter Umsätze ergeben; eine Berücksichtigung der Werthaltigkeit der Abfälle beim Abschluss zukünftiger Entsorgungsverträge ist für bereits ausgeführte Umsätze unschädlich.

c) wenn Nebenerzeugnisse oder Abfälle im Rahmen von Gehaltslieferungen i. S. des § 3 Abs. 5 UStG zurückgenommen werden; hier fehlt es an einer Lieferung von Abfall.

Beispiel 6:

U6 liefert zum Preis von 4,10 € je Dezitonne Zuckerrüben an die Zuckerfabrik Z und behält sich die Rückgabe der bei der Zuckerproduktion anfallenden Rübenschnitzel für Fütterungszwecke vor. Es handelt sich lediglich um eine (Gehalts-)Lieferung des U6 an Z (Entgelt 4,10 € je Dezitonne). Z erbringt keine Lieferung von Abfall in Form von Rübenschnitzeln, weil diese nicht am Leis-tungsaustausch teilgenommen haben und somit nicht Gegenstand der Gehaltslieferung des U6 geworden sind.

d) wenn das angekaufte Material ohne weitere Behandlung marktfähig (z. B. an einer Rohstoffbörse handelbar) ist, auch keiner gesetzlichen Entsorgungsverpflichtung mehr unterliegt und damit seine Eigenschaft als Abfall verloren hat. Da in diesem Fall das Material nur noch den Status eines normalen Handelsguts hat, kann davon ausge-gangen werden, dass ggf. erforderliche Transport- oder Sortierleistungen ausschließ-lich im eigenen unternehmerischen Interesse des Erwerbers ausgeführt werden und keine Entsorgungsleistung vorliegt.

Beispiel 7:

U7 erwirbt von verschiedenen Entsorgern unsortierte Altbleche, welche er nach Reinigung und Zerkleinerung einer elektrolytischen Entzinnung unterzieht. Das dabei gewonnene Eisen ver-äußert U7 an Stahlbearbeitungsbetriebe, das anfallende Zinn an Zinnhütten. Bei dem von U7 aus dem Altblechabfall zurück gewonnenen Zinn und Eisen handelt es sich um Rohstoffe für die weiterverarbeitende Industrie, die keiner gesetzlichen Entsorgungspflicht (mehr) unterliegen und deshalb nicht als Abfall anzusehen sind. Zwischen U7 und seinen Ab-nehmern finden keine tauschähnlichen Umsätze, sondern ausschließlich Rohstofflieferungen statt.

e) wenn bei der Entsorgung der Abfälle die werthaltigen Bestandteile (z. B. Edelmetalle) im Eigentum des Abfallerzeugers verbleiben und Barvergütungen für diese Entsor-gungsleistungen gesondert abgerechnet werden.

6. Für die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes ist es nicht erforderlich, dass beide Beteiligte Unternehmer sind bzw. die Abgabe des Abfalls im unternehmerischen Bereich erfolgt; dies ist jedoch für die ggf. erforderliche gegenseitige Rechnungsstellung sowie für die Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Nr. 7 i. V. mit Abs. 5 Satz 1 UStG von Bedeutung, wenn der überlassene Abfall zu den Gegenständen i. S. der Anlage 3 zum UStG gehört (vgl. Abschn. 13b.4 UStAE).

7. Im Falle eines tauschähnlichen Umsatzes ist der Wert des hingegebenen Abfalls Bemes-sungsgrundlage für die erbrachte Entsorgungsleistung. Bemessungsgrundlage für die Lie-ferung des Abfalls ist der Wert der Gegenleistung (Entsorgungsleistung). Baraufgaben sind zu berücksichtigen; eine ggf. enthaltene Umsatzsteuer ist stets herauszurechnen. Auf Abschn. 10.5 UStAE wird hingewiesen.

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des Wertes der gelieferten Abfälle ist der Zeitpunkt der Übergabe an den Entsorger. Dabei ist nicht auf die einzelnen Inhaltsstoffe abzustellen, d. h. der Wert muss dem Abfall im Zeitpunkt der Überlassung als solchem zukommen. Spätere Bearbeitungsschritte (Bündelung, Sortierung, Aufbereitung usw.) durch den Entsorger sind bei der Wertermittlung außer Betracht zu lassen.

Es bestehen keine Bedenken, dem zwischen den Beteiligten vereinbarten Wert der zur Entsorgung übergebenen Abfälle auch für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zu folgen, sofern dieser Wert nicht offensichtlich unzutreffend erscheint.

8. Verändert sich der Marktpreis für die zu entsorgenden Abfälle nach Abschluss des Entsorgungs- und Liefervertrags, hat dies zunächst keine Auswirkung auf die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die tauschähnlichen Umsätze und die Rechnungsstellung. Für diese Zwecke ist vielmehr solange auf den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Wert abzustellen, bis dieser durch eine Vertragsänderung oder durch Änderung der Bemessungsgrundlage, z. B. auf Grund einer vereinbarten Preisanpassungsklausel oder einer vereinbarten Mehr- oder Mindererlösbeteiligung, angepasst wird.

Dieses Schreiben ersetzt das Schreiben vom 1. Dezember 2008 – IV B 8 – S 7203/07/10002 (2008/0679398). Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Bei vor dem 1. Juli 2009 abgeschlossenen Verträgen über die Lieferung oder die Entsorgung von Abfällen wird es bis zum 31. Dezember 2010 nicht beanstandet, wenn die Beteiligten davon ausgegangen sind, dass kein tauschähnlicher Umsatz vorliegt. Dies gilt nicht für die Lieferung oder die Entsorgung von Materialabfall, der z. B. bei der Be- oder Verarbeitung bestimmter Materialien, die selbst keine Abfallstoffe sind, anfällt (Abschnitt 10.5 Absatz 2 Sätze 1 bis 4 UStAE).

Ermäßigter Steuersatz für probiotisches Nahrungsergänzungsmittel

In Kapselform vertriebenes probiotisches Lebensmittel unterliegt als Nahrungsergänzungsmittel dem ermäßigten Steuersatz.

Revision eingelegt, BFH-Az. V R 29/12

Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 20.09.2012, 5 K 393/10
Anl 2 Nr 33 UStG, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, § 12 Abs 2 Anl 2 Nr 33 UStG 2005, UStG VZ 2009
Tatbestand
1
Streitig ist, ob ein Produkt als „Lebensmittelzubereitung“ dem ermäßigten Umsatzsteuersatz oder als „pharmazeutisches Erzeugnis“ dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegt.
2
Die Klägerin entwickelt und vertreibt seit über 15 Jahren Vitalstoffpräparate, überwiegend Nahrungsergänzungsmittel und diätische Lebensmittel.
3
Unter anderem vertreibt sie das Produkt „P-Plus“. Hierbei handelt es sich nach der Packungsbeilage um ein „Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora“. Das Produkt enthält neun probiotische Kulturen (z.B. verschiedene Milchsäurebakterien) in einer Gesamtzahl von mindestens 2 x 10 hoch 9 Koloniebildende Einheiten (KBE) je Kapsel. Dies entspricht einer Keimzahl von 5,6 x 10 hoch 9 KBE pro Gramm.
4
Die Klägerin versteuerte die Umsätze aus dem Produkt nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anlage 2 lfd. Nr. 33 zum UStG mit dem ermäßigten Steuersatz. Umsatzsteuerlich sind danach Gegenstände begünstigt, die zolltechnisch als „Lebensmittelzubereitungen, anderweitig weder genannt noch inbegriffen“ in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN (Kombinierte Nomenklatura) einzugruppieren sind.
5
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 4. Vierteljahr 2009 erklärte sie steuerpflichtige Einnahmen zum Steuersatz von 19 v. H. in Höhe von 19.348,– € sowie steuerpflichtige Umsätze zum Steuersatz von 7 v. H. in Höhe von 700.312,– €.
6
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung unterwarf der Beklagte die mit dem Produkt „P-Plus“ erzielten Umsätze dem Regelsteuersatz. Er berief sich dabei auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 (-ZT 0270 B-5757/2010/WK3-). Diese hatte eine Einreihung des Produkts als pharmazeutisches Erzeugnis in die nicht begünstigte Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN vorgenommen. Die Einreihung wurde aufgrund einer Warenbeschreibung und vorgelegter Muster/Proben erteilt und damit begründet, dass es sich zolltariflich um ein Erzeugnis auf der Grundlage von „Kulturen von Mikroorganismen“ handele. Mit der Einreihung in die Position 3002 sei die Einreihung der Ware als „Lebensmittelzubereitung, anderweitig weder genannt noch inbegriffen“ (Position 2106) nach der Systematik des Zolltarifs ausgeschlossen.
7
Dementsprechend änderte der Beklagte den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Vierteljahr 2009. In dem Bescheid wurden die steuerpflichtigen Umsätze zu 19 v. H. auf 29.027,– € und die steuerpflichtigen Umsätze zu 7 v. H. auf 691.310,– € festgesetzt. Nach der Festsetzung ergab sich ein Nachzahlungsbetrag für das 4. Vierteljahr 2009 in Höhe von 906,50 €.
8
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Die Klägerin trägt vor, eine Einreihung in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN sei nach den einschlägigen Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Dies ergebe sich bereits aus der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN. Dort heiße es:
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1. Zu Kapitel 30 gehören nicht:
10
a) Nahrungsmittel oder Getränke (wie diätische, diabetische oder angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, tonische Getränke und Mineralwasser), andere nicht intravenös zu verabreichende Nährstoffzubereitung;
11
Diese Anmerkung beziehe sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Ansonsten hätte der Verordnungsgeber keine allgemeine auf das gesamte Kapitel bezogene Anmerkung formuliert, sondern eine positionsbezogene. Insbesondere sei vom Verordnungsgeber keine Beschränkung auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren) gewollt.
12
Die Richtigkeit dieser Auffassung werde durch die Verordnung EG Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 zur Einreihung bestimmter Waren in die KN belegt. Gemäß Nr. 5 des Anhangs dieser Verordnung werde ein
13
Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70 %), Magnesiumstearat (3 %) und Ascorbinsäure (0,5 %) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus, ca. 1 Milliarde/Gramm), aufgemacht in Gelatinekapseln,
14
in die Position 2106 des Kapitel 21 Anhang I KN eingereiht. Der Begriff „Ergänzungslebensmittel“ sei eine veraltete Bezeichnung für Nahrungsergänzungsmittel. Das Produkt der Klägerin enthalte ebenfalls Milchsäurebakterien und sei in Kapselform aufgemacht. Es sei daher vergleichbar mit dem in Nr. 5 des Anhangs zu dieser Verordnung genannten Nahrungsergänzungsmittel.
15
Es bestehe auch kein Anhaltspunkt dafür, das Produkt in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN einzureihen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System des Zolltarifs (HS) gehörten zur Position 3002 „Kulturen von Mikroorganismen“
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… Fermente wie Milchsäurebakterien zum Herstellen von Milcherzeugnissen (Kefir, Joghurt, Milchsäure), Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken (z.B. zur Förderung des Pflanzenwachstums).
17
Das Produkt „P-Plus“ sei ein Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora. Es sei kein Ferment zur Herstellung von Milcherzeugnissen und diene weder pharmazeutischen noch technischen Zwecken. Im Übrigen deute der Wortlaut dieser Erläuterungen darauf hin, dass die Position 3002 „Kulturen von Mikroorganismen“ lediglich als Roh- bzw. Ausgangsstoffe für pharmazeutische Erzeugnisse oder Milcherzeugnisse erfasse. „P-Plus“ sei aber kein Roh- oder Ausgangsstoff sondern ein Nahrungsergänzungsmittel.
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Nach Auffassung des EuGH (Urteile vom 17.12.2009, verb. Rs. C-410/08 bis C-412/08 – Swiss Caps, HFR 2010, 312) sei insbesondere die Kapselhülle ein Merkmal für die Bestimmung und die Eigenart der Ware als Nahrungsergänzungsmittel. Dies ergebe sich auch § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV, basierend auf Art. 2 Buchst. a) Richtlinie 2002/46/EG). Hiernach sei ein Nahrungsergänzungsmittel „ein Lebensmittel, das … in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln …, in den Verkehr gebracht wird“. Die Kapselform sei somit gerade typisch für ein Nahrungsergänzungsmittel.
19
Soweit der Beklagte darauf verweise, dass die Verkapselung auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen grundsätzlich ein typisches Merkmal sei, sei dies unzutreffend. Richtig sei, dass bei bestimmten pharmazeutischen Erzeugnissen, nämlich den Arzneiwaren der Positionen 3003 und 3004 des Kapitels 30 Anhang I KN eine Verkapselung nicht unüblich sei. Für die Erzeugnisse der Position 3001, 3002, 3005 und 3006 sei eine Verkapselung dagegen untypisch und zum Teil sogar unmöglich.
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Inzwischen habe die Klägerin eine Rezepturänderung zum Anlass genommen, eine neue uZTA einzuholen. Die Rezeptur von „P-Plus“ sei um den Mineralstoff Calcium und die Vitamine A, D3 und E ergänzt worden. Die Menge der verwendeten Kulturen von Mikroorganismen (2 x 10 hoch 9 KBE pro Kapsel) sei nicht verändert worden. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum des Bundesfinanzverwaltung habe das Erzeugnis in der neuen Rezeptur in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN eingereiht (uZTA vom 27.04.2011). Vor diesem Hintergrund sei nicht nachzuvollziehen, warum das hier streitige Produkt mit derselben Konzentration an lebenden Mikroorganismen pro Kapsel nicht als Nahrungsergänzungsmittel anzuerkennen sein.
21
Die Klägerin beantragt,
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den Umsatzsteuerbescheid 2009 in der Fassung der Änderung laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 in der Weise zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 907,53 € herabgesetzt wird und den Einspruchsbescheid vom 30.09.2010 aufzuheben.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Er nimmt im wesentlichen Bezug auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 und deren ergänzender Stellungnahme vom 14.05.2012. Darin wird ausgeführt, dass die o. g. EuGH-Urteile nicht geeignet seien, verkapselte Nahrungsergänzungsmittel der Position 2106 von pharmazeutischen Erzeugnissen des Kapitels 30 abzugrenzen. Die Verkapselung sei vielmehr auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen ein typisches Merkmal mit der Funktion, das Erzeugnis zu dosieren und die Art und Weise der Aufnahme zu bestimmen. Entscheidend sei vielmehr, dass das Erzeugnis „P-Plus“ Kulturen von Mikroorganismen in einer Menge enthalte, die den Charakter des Erzeugnisses bestimmten.
26
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte der am 30.11.2010 eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 2009 zugestimmt. In der Umsatzsteuererklärung für 2009 waren die streitigen Umsätze für das Produkt „P-Plus“ mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 v. H. erklärt worden. Die Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer vom 20.01.2011 steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. In der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 hat der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung dahingehend geändert, dass die streitigen Umsätze – entsprechend der Festsetzung in der Umsatzsteuervoranmeldung IV/2009 – wieder dem Regelsteuersatz unterworfen werde. Daraus ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 907,53 €.
27
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Frau Dr. A. R. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
29
I. Die Klägerin ist nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.
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Zwar ist die Klägerin mit der nach § 68 Abs. 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer klaglos gestellt worden. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 ersetzt insoweit den vorangegangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das 4. Vierteljahr 2009 (st. Rspr. vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, vom 31.03.2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492 und vom 4. Juni 2007 V B 76/06, BFH/NV 2007, 2151).
31
Der Beklagte hat den Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 aber in der mündlichen Verhandlung dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2009 von minus 163.198,79 € auf minus 162.291,26 € festgesetzt gesetzt wird. Der mündlich zu Protokoll des Gerichts erklärte Änderungsbescheid ist wirksam und gemäß § 68 Abs. 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Entsprechend § 157 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuerbescheide zwar grundsätzlich schriftlich zu erteilen. Die Schriftform ist wegen der besonderen Bedeutung der Steuerbescheide vorgeschrieben worden und soll den Steuerpflichtigen zuverlässig über den Regelungsinhalt des Steuerverwaltungsakts unterrichten. Indessen erfüllt diese Funktion auch die mündliche Bekanntgabe eines Bescheids zu Protokoll des Gerichts in der mündlichen Verhandlung (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 25.11.1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461).
32
II. Die Klage ist begründet.
33
Die Umsätze der Klägerin aus dem Verkauf von „P-Plus“ in Kapselform unterliegen als Lebensmittelzubereitungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz.
34
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 unterfallen Lieferungen verschiedener Lebensmittelzubereitungen dem ermäßigten Steuersatz. Bei dem von der Klägerin vertriebenen Produkt „P-Plus“ in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen im Sinne der Position 2106 des Kapitels 30 Anhang I KN auf der Grundlage von Kulturen von Mikroorganismen, die als Nahrungsergänzungsmittel dienen, da durch die Verkapselung eine zum menschlichen Verzehr geeignete Zubereitung der Ware entstanden ist.
35
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 2009 C-173/08 – Kloosterboer Services BV -, HFR 2009, Rdnr. 24 m. w. N.) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die von der Kommission zur KN und von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) ausgearbeiteten Erläuterungen sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen. Außerdem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften der Ware bemisst (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2009 C-410/08 bis 412/98 – Swiss Caps -, HFR 2010, 312).
36
1. Nach den Rechtsausführungen des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a. a. O.) erfasst die Position 2106 der KN nach ihrem Wortlaut anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen. In den Erläuterungen zum HS (Nr. 29.0) für diese Position heißt es, dass dazu als „Nahrungsergänzungsmittel“ bezeichnete Zubereitungen gehören, auf deren Verpackungen häufig angegeben ist, dass sie allgemein der Erhaltung der Gesundheit oder des Wohlbefindens dienen.
37
Bei den verkauften „P-Plus“ in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen zur Nahrungsergänzung (Unterstützung der natürlichen Darmflora), die Kulturen von Mikroorganismen enthalten und bestimmte Zusatzstoffe (Trennungsmittel etc.). Die Zubereitungen befinden sich in einer Hülle, die hauptsächlich aus Gelatine besteht und werden in Form von Kapseln dargereicht.
38
Nach Auffassung des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a. a. O.) stellt die Kapselhülle zum Einschluss von Ölen (z.B. Lachsöl) keine „Verpackung“ im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 5 Buchstabe b KN dar. Diese Form der Darreichung der Öle in Gelatinekapseln sei ein maßgebliches Merkmal, das auf ihre Funktion als Nahrungsergänzungsmittel hinweise, da es die Dosierung der Lebensmittelzubereitungen, die Art und Weise ihrer Aufnahme und den Ort, an dem sie wirken sollen, bestimme. Somit sei die Kapselhülle ein Merkmal, das für die Bestimmung und die Eigenart der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse – zusammen mit ihrem Inhalt – maßgeblich sei. Da die Darreichung der Lebensmittelzubereitung in Kapselform und ihr Inhalt die objektiven Merkmale und Eigenschaften bestimmten, sei die Position 2106 im Kontext der Lebensmittelzubereitungen genauer als die Positionen 1504, 1515 und 1517, die sich auf Allzweckfette und -öle beziehen und gehe diesen daher vor. Insofern sei auch der Verwendungszweck der Ware als ein objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen.
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2. Die Grundsätze des EuGH zur Darreichung von Lebensmittelzubereitungen als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform sind auch auf den Streitfall anzuwenden:
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Nach den Erläuterungen zum HS (Nr. 15.0) gehören zur Position 3002 „Kulturen von Milcherzeugnissen“ Fermente zur Herstellung von Milcherzeugnissen, Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken.
41
Das Produkt „P-Plus“ dient weder der Herstellung von Milcherzeugnissen noch pharmazeutischen oder technischen Zwecken. Die Klägerin verwendet die „Kulturen von Mikroorganismen“ auch nicht in der in den Erläuterungen beschrieben Weise als Roh- bzw. Ausgangsstoff für Milcherzeugnisse, pharmazeutische Erzeugnisse oder zu technischen Zwecken. Die „Kulturen von Mikroorganismen“ werden von ihr vielmehr als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform zur Förderung der natürlichen Darmflora angeboten. Insofern ist der Verwendungszweck der Ware als objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen. Im Kontext der Lebensmittelzubereitung ist die Position 2106 genauer als die Position 3002.
42
In diesem Zusammenhang ist auch die Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN zu berücksichtigten. Danach können Nahrungsergänzungsmittel nicht als pharmazeutische Erzeugnisse des Kapitel 30 Anhang I KN eingereiht werden. Die Anmerkung Nr. 1 a bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Sie beschränkt sich nicht auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren).
43
Bestätigt wird die hier vertretene Auffassung durch die Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012. Gemäß dem Anhang dieser Verordnung erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen u. a. gemäß der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN und der EuGH-Urteile C-410/08 bis C 412/08.
44
Auf die Höhe der Konzentration an lebenden Mikroorganismen kommt es nicht an. Die Aussage der Zeugin, dass nur bis zu einer Konzentration von Mikroorganismen in Höhe von ca. 1 Milliarde KBE pro Gramm noch von einem Nahrungsergänzungsmittel auszugehen sei, findet im Wortlaut der Position 2106 der KN und den hierzu ergangenen Anmerkungen bzw. Erläuterungen zur HS keine Grundlage. Zwar ist in dem Anhang zur EG-Verordnung Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 unter Nr. 5 angeführt, dass „Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70 %), Magnesiumstearat (3 %) und Ascorbinsäure (0,5 %) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus ca. 1 Milliarde/Gramm) aufgemacht in Gelatinekapseln“ in die Position 2106 einzureihen sind. Dieser Verordnung ist indes nicht zu entnehmen, dass eine höhere Konzentration von Mikroorganismen als 1 Milliarde/Gramm der Eingruppierung einer in Kapselform angebotenen Ware als Nahrungsergänzungsmittel entgegensteht. Außerdem erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen nach dem Anhang der oben angeführten Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012 gerade nicht in Abhängigkeit von der Konzentration der Mikroorganismen.
45
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
46
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

BFH: Kitas sind steuerpflichtig

“Betreibt eine Gemeinde eine Kindertagesstätte (“Kita”), um dadurch den sozialgesetzlichen Anspruch von Kindern ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf Förderung in Tageseinrichtungen zu erfüllen, dann handelt es sich hierbei regelmäßig um einen sog. Betrieb gewerblicher Art, der der Körperschaftsteuer unterfällt. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) jetzt durch sein Urteil vom 12. Juli 2012 I R 106/10 entschieden.

Die Vorinstanz, das Finanzgericht (FG) Düsseldorf, hatte das noch anders gesehen: Es sah in der “Kita” einen steuerfreien Hoheitsbetrieb. Anders als das FG beeindruckte den BFH jedoch der sozialpolitische und sozialrechtliche Förderungsauftrag nicht. Für ausschlaggebend hält er vielmehr, dass die kommunalen “Kitas” in einem “Anbieter- und Nachfragewettbewerb” zu anderen “Kitas” stehen, insbesondere auch solchen, die von privaten Leistungsträgern betrieben werden.Angesichts dessen sei das Betreiben von “Kitas” nicht der öffentlichen Hand “eigentümlich” und vorbehalten. Auch dass die Einnahmen der kommunalen “Kitas” aus den Elternbeiträgen resultierten und sie sich (auch) aus diesen Beiträgen finanzierten, ändere daran nichts. Nach allem gebe es keinen Grund, die kommunalen “Kitas” steuerlich zu bevorzugen.

Im Streitfall ging es um die “Kitas” einer Stadt in Nordrhein-Westfalen und das Streitjahr war 2005. Der Entscheidung kommt naturgemäß aber Bedeutung für entsprechende Einrichtungen in allen Bundesländern zu. Und diese Bedeutung wird zunehmen, wenn der Förderungsanspruch vom 1. August 2013 an wie geplant auf Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr an ausgedehnt werden sollte.”

Presseerklärung des Bundesfinanzhofs (BFH) Nr. 67

BFH-Urteil vom 12.07.2012 – I R 106/10

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 12.7.2012, I R 106/10

Kommunaler Kindergarten als Betrieb gewerblicher Art – Gemeinnützigkeit
Leitsätze

Von einer Kommune betriebene Kindergärten sind unbeschadet des Rechtsanspruchs von Kindern ab dem vollendeten dritten Lebensjahr auf Förderung in Tageseinrichtungen nach § 24 SGB VIII keine Hoheitsbetriebe, sondern Betriebe gewerblicher Art.
Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine (kreisfreie) nordrhein-westfälische Stadt. Sie unterhielt im Streitjahr 2005 als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe eigene Kindertagesstätten (Kindergärten). Für die Aufnahme der Kinder fand ein privatrechtlich ausgestalteter Mustervertrag Anwendung.
2
Für den Besuch der kommunalen oder von freien Trägern der Jugendhilfe betriebenen Kindertagesstätten hatten die Eltern nach § 90 des Sozialgesetzbuchs – Achtes Buch (SGB VIII) –in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung– i.V.m. § 17 des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder vom 29. Oktober 1991 –GTK-NW– (GV.NW 1991, 380) entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestaffelte Beiträge zu den Jahresbetriebskosten zu entrichten, wobei die Beitragspflicht ab dem zweiten Kind entfiel. Die Elternbeiträge wurden von der Klägerin durch Verwaltungsakt festgesetzt und in den kommunalen Haushalt eingestellt.
3
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) vertrat die Auffassung, dass es sich bei den von der Klägerin unterhaltenen Kindergärten um einen Betrieb gewerblicher Art (BgA) handelt (vgl. Oberfinanzdirektion –OFD– Düsseldorf, Verfügung vom 26. November 2002 S 2706 A-St 134, juris; koordinierter Ländererlass, z.B. OFD Hannover, Verfügung vom 12. Oktober 2004 S 2706 – 182 – StO 241, Der Betrieb 2004, 2612). Dementsprechend setzte er unter Ansatz eines geschätzten Steuerbilanzgewinns von 5.000 EUR die Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 291 EUR fest.
4
Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich; das Finanzgericht (FG) Düsseldorf gab ihr durch Urteil vom 2. November 2010 6 K 2138/08 K, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 482, statt.
5
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die Klägerin unterhält mit den Kindergärten einen BgA (§ 4 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes –KStG 2002–) und keinen Hoheitsbetrieb i.S. des § 4 Abs. 5 KStG 2002. Es fehlt jedoch die Spruchreife. Die tatrichterlichen Feststellungen zu der vom FA vorgenommenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und möglicherweise auch dazu, ob die Klägerin mit ihrem BgA die Gemeinnützigkeitserfordernisse der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO) erfüllt, reichen nicht aus, um durchzuerkennen.
8
1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind mit ihren BgA unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG 2002). BgA sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (§ 4 Abs. 1 KStG 2002).
9
Zu den BgA gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG 2002 jedoch nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist. Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit ausübt, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet. Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmen durch den –tatsächlichen oder auch nur potentiellen– Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Urteile vom 7. November 2007 I R 52/06, BFHE 219, 563, BStBl II 2009, 248 –öffentliche Toilettenanlage–; vom 25. Januar 2005 I R 63/03, BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501 –Vermessungs- und Katasteramt–; vom 29. Oktober 2008 I R 51/07, BFHE 223, 232, BStBl II 2009, 1022, und Senatsbeschluss vom 17. März 2005 I B 245/04, BFH/NV 2005, 1135 –beide zu Kommunalen Krematorien–, jeweils m.w.N.; s. speziell zu Kindergärten auch bereits Reichsfinanzhof, Urteil vom 23. Oktober 1937 VIa 70/37, RFHE 42, 226, RStBl 1937, 1160; Schön, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 1999, 701, 706; Wallenhorst in Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine, Stiftungen und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 6. Aufl., Rz H 70, und allgemein z.B. Baldauf, DStZ 2011, 35).
10
2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG im Streitfall den Betrieb der Kindergärten aus steuerlicher Sicht zu Unrecht als Hoheitsbetrieb beurteilt. Denn deren Unterhalten ist im Wettbewerb mit freigemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern gleichartiger Leistungen nicht juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Trägern öffentlicher Gewalt eigentümlich und vorbehalten.
11
Die Vorinstanz stützt ihre entgegenstehende Auffassung in erster Linie auf den sozialgesetzlichen Auftrag in § 24 SGB VIII, wonach alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe erhalten sollen. Den Ländern ist die Aufgabe übertragen worden, für einen bedarfsgerechten Ausbau Sorge zu tragen, und dementsprechend können Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt den Besuch eines Kindergartens nach Maßgabe des Landesrechts beanspruchen. Dafür trifft die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, zu denen § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in Verbindung mit dem einschlägigen Landesrecht primär die Kreise und kreisfreien Städte bestimmt hat, die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass für jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt ein Kindergartenplatz zur Verfügung steht, und das Betreuungsangebot bedarfsgerecht auszubauen. Diese öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge und ihre gesetzliche Verankerung werden auch vom Senat nicht in Zweifel gezogen. Nur besagt beides weder etwas darüber aus, in welcher Weise noch, durch wen diese Aufgaben erfüllt werden. Dafür stehen gleichermaßen die öffentlichen, die kirchlichen wie freigemeinnützigen Leistungsträger, aber –wie sich gerade aus dem neugeschaffenen und erstmals für das Streitjahr geltenden Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz) vom 27. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3852) und konkret aus § 74a SGB VIII in der Fassung dieses Gesetzes ergibt– auch privat-gewerbliche Anbieter zur Verfügung (vgl. z.B. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 74a Rz 5 ff. und § 3 Rz 10a; Struck, daselbst, Vor § 22 Rz 14; Münder, Das Jugendamt 2011, 69, jeweils m.w.N.; s. aus sozialrechtlicher Sicht auch –unter Berufung auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes– z.B. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 9. Juli 2010 4 ME 306/09, Kostenerstattungspflichtige Entscheidungen der Sozial- und Verwaltungsgerichte –EuG– 2011, 151; Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 6. August 2010 13 A 2512/08, EuG 2011, 114). Dass für Letztere (und ohne dass dem weiter nachzugehen wäre) die Förderungsgrundsätze des § 22 SGB VIII und des § 2 GTK-NW nicht unmittelbar verpflichtend seien (s. auch Wiesner, a.a.O., § 3 Rz 12 ff.) und sie ihnen nur freiwillig Rechnung tragen mögen, ändert daran nichts. Ausschlaggebend ist allein, dass die jeweiligen Kindergarten- und Kindertagesstättenbetreiber unter den entsprechenden fachlichen wie personellen Voraussetzungen tatsächlich wie potentiell in gleicher oder jedenfalls vergleichbarer Weise auftreten und ihr Angebot dem gleichen „Kundenkreis“ anbieten. In der besonderen und verpflichtenden Aufgabenlage, denen unmittelbar nur öffentliche Leistungserbringer unterworfen sind, lässt sich durchaus eine Parallele in ähnlichen öffentlichen (und ehemals in der Tat hoheitlich wahrgenommenen) Aufgaben erkennen, wie sie beispielsweise dem Post- und Eisenbahnwesen, der Energieversorgung und auch dem Betrieb von Hafenanlagen zu eigen sind. Auch in jenen Situationen bestehen –nur und insoweit abweichend von anderen Anbietern– für die Deutsche Post, die Deutsche Bahn usf. Restriktionen und Aufgaben, etwa jene einer flächendeckenden, infrastrukturellen Grundversorgung der Briefzustellung oder des Verkehrszugangs, die heute von der Bundesnetzagentur sicherzustellen ist und vom Nutzer beansprucht werden kann, die aber den wirtschaftlichen Charakter der betreffenden Unternehmen ebenso wie solcher Mitbewerber, welche den Grundversorgungsanforderungen nicht ausgesetzt sind, gleichwohl unberührt belässt. Aus steuerlicher Sicht kann es deswegen keinen Unterschied machen, ob eine (auch öffentliche) Aufgabe in Gestalt eines Eigen- oder Regiebetriebs, eines BgA oder in einer privatrechtlichen Struktur wahrgenommen wird. Hier wie dort kommt es allein darauf an, ob die Aufgabenerfüllung einem öffentlichen Leistungserbringer eigentümlich ist, oder ob die Leistungen auch in einem wirtschaftlichen „Wettbewerb“ erbracht werden können und werden.
12
Das ist bei den genannten „Grundversorgungsbetrieben“ der Fall, nichts anderes gilt aber auch für die (entgeltliche) Unterbringung von Kindern in Kindergärten und Kindertagesstätten. Es besteht dafür ein einschlägiger wettbewerbsrelevanter „Anbieter-“ wie „Nachfragermarkt“, der letzten Endes auch von der Klägerin und der Vorinstanz nicht geleugnet wird. Für ein sog. Marktversagen –also das Fehlen eines „echten“ Markts mangels einschlägiger Anbieter (s. auch Gosch, BFH/PR 2009, 58)– ist nichts ersichtlich. Die Einbeziehung privater Betreiber ist, um das Bedarfsangebot deutlich zu erhöhen, im Gegenteil politisch sogar „gewollt“ (s. z.B. BTDrucks 16/10357 zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege –Kinderförderungsgesetz–; Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Privatisierungsreport – 7 Kindertagesstätten, S. 37 f.); gestritten wird nur um die Verteilung öffentlicher Fördergelder und Subventionen. In Einklang damit agieren alle Leistungserbringer –gleichviel, ob öffentlicher oder privater „Provenienz“– einschließlich der Klägerin denn auch im selben Umfeld und auf derselben schuldrechtlichen Basis gegenüber den Erziehungsberechtigten, die ihre Kinder der Obhut der Kindergärten und Kindertagesstätten anvertrauen. Soweit seitens der Klägerin und auch der Vorinstanz im Ausgangspunkt –vor dem sozialgesetzlichen und -politischen Hintergrund– eine mangelnde Vergleichbarkeit der einschlägig tätigen Kindergartenbetreiber vertreten wird, ist solches aus den beschriebenen Gründen jedenfalls für das Steuerrecht ungerechtfertigt. Auch der Abgleich mit öffentlichen und privaten Schulträgern ist insoweit nicht weiterführend, weil sich die gesetzliche Schulpflicht von der (öffentlichen) Aufgabe, Kindergarten- und Kindertagesstättenplätze zur Verfügung zu stellen (keine „Kita-Pflicht“), jedenfalls unter den Gegebenheiten des Streitjahres schon im Ansatz grundsätzlich unterscheidet (und Schulen denn auch früher aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht als Institutionen im Rahmen eines prinzipiell grundrechtsgeminderten „besonderen Gewaltverhältnisses“ begriffen wurden; s. zur Abgrenzung für Kindergärten und Kindertagesstätten auch Struck in Wiesner, a.a.O., Vor § 22 Rz 12, m.w.N.).
13
Die Annahme eines BgA scheitert schließlich, wie vom FG jedoch angedacht, ebenso wenig an der hierfür nach § 4 Abs. 1 KStG 2002 notwendigen Einnahmeerzielungsabsicht. Denn die zur Finanzierung der Kindergärten eingeforderten sog. Elternbeiträge sind nach Maßgabe des einschlägigen Landesrechts Gegenleistung für die individuelle Inanspruchnahme der Kindergärten. Dass die Beiträge im Rahmen eines hoheitlichen Beitragserhebungsverfahrens durch Verwaltungsakt festgesetzt werden, widerspricht dem nicht. Auch dass sie im Einzelnen nach sozialen Gesichtspunkten und nach sozialer Bedürftigkeit gestaffelt und begrenzt sind (vgl. § 90 SGB VIII), als solche an eine zentrale kommunale Stelle abgeführt werden und erst sodann den jeweiligen Kindergärten und Kindertagesstätten zugutekommen, steht insbesondere besagter Einnahmeerzielung nicht entgegen. Das deckt sich –unbeschadet der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgangslagen– mit der entsprechenden Qualifikation im Umsatzsteuerrecht (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. Dezember 2003 V R 66/01, BFH/NV 2004, 985; s. auch Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 KStG Rz 140).
14
3. Ist der Betrieb der Kindergärten damit als BgA zu qualifizieren, streiten die Beteiligten bislang allerdings weiterhin über die Höhe der vom FA auf Schätzungsbasis festgesetzten Körperschaftsteuer. Die Klägerin hat im Klageverfahren dagegen eingewandt, sie habe im Streitjahr keineswegs einen Überschuss von –hier geschätzten– 5.000 EUR erwirtschaftet, vielmehr stehe eine Unterdeckung in Höhe von 60 Mio. EUR in Rede. Beide Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar bekundet, diesen Streit zwischenzeitlich ausgeräumt zu haben. Es bleibt jedoch dabei, dass die Schätzungsgrundlagen vom FG nicht festgestellt worden und für den Senat nicht transparent sind. Die Vorinstanz musste dem aus ihrer Sicht auch nicht weiter nachgehen. Das wird im zweiten Rechtsgang nunmehr ebenso nachzuholen sein wie die Rechtsprüfung, ob die Klägerin mit ihrem BgA Kindergärten/Kindertagesstätten die tatbestandlichen Erfordernisse der Gemeinnützigkeit gemäß §§ 51 ff. AO –hier konkret von § 52 Abs. 2 Nr. 4 und 7 AO– erfüllt (zur prinzipiellen Anwendbarkeit dieser Regeln auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre BgA s. z.B. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2. Aufl., § 1 Rz 7; Eversberg/Baldauf, DStZ 2011, 597, jeweils m.w.N.).

Verfahrensrecht | Inhalt der Grundbesitzakte ist keine neue Tatsache (FG)

Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hat entschieden, dass Umstände, die das Finanzamt bereits aus der Grundbesitzakte entnehmen konnte, keine neuen Tatsachen im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen (FG Münster, Urteil v. 26.7.2012 – 3 K 207/10 E).

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller und immaterieller Art. Keine Tatsachen in diesem Sinne sind Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere juristische Subsumtionen. Eine Tatsache ist nachträglich bekannt geworden, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Kenntnisstand ist die abschließende Zeichnung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten (vgl. BFH, Urteil v. 27.11.2001 – VIII R 3/01). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle insbesondere der Inhalt der dort geführten Akten (vgl. BFH, Urteil v. 13.1.2011 – VI R 63/09).

Der Kläger finanzierte die Anschaffung verschiedener Grundstücke durch Darlehen. Wegen einer teilweisen Selbstnutzung konnte er die Schuldzinsen nur anteilig als Werbungskosten geltend machen. Hierzu hatte er bereits in den Vorjahren Unterlagen eingereicht, die das Finanzamt zur Grundbesitzakte nahm und Überwachungsbögen für die Gebäudeabschreibungen anlegte. In seinen Steuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger aufgrund einer fehlerhaften Aufteilung der Schuldzinsen einen zu hohen Schuldzinsenabzug geltend. Das Finanzamt veranlagte den Kläger zunächst erklärungsgemäß. Im Rahmen einer späteren Überprüfung des Schuldzinsenabzugs durch das Finanzamt reichte der Kläger zutreffende Anlagen V ein, woraufhin das Finanzamt die Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zulasten des Klägers änderte. Das Finanzgericht hob die Änderungsbescheide nun wieder auf.

Die Voraussetzungen für eine Änderung liegen im Streitfall nicht vor. Die für die Änderung maßgeblichen Tatsachen sind dem Finanzamt nicht nachträglich bekannt geworden. Der Umstand, dass die Grundstücke nicht vollständig fremdvermietet waren und auch die Aufteilungsprozentsätze waren bereits aus der Grundbesitzakte und den Eintragungen auf den Überwachungsbögen ersichtlich. Die aus den fehlerhaften Steuererklärungen folgende Mitwirkungspflichtverletzung des Klägers führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen der Änderungsvorschrift nicht vorliegen, können etwaige Pflichtverletzungen keine Änderungsmöglichkeit eröffnen.

Quelle: FG Münster online

Bundesrat kritisiert Aufwand bei der Besteuerung von Elektro-Dienstwagen

Der Bundesrat sieht die im Entwurf eines Jahressteuergesetzes (BT-Drucks. 17/10000) geplante Neuregelung der Besteuerung von privat genutzten Dienstwagen mit Elektroantrieb als zu kompliziert an. Die In der vorgeschlagenen Form werde dies “zu einem erheblichen Prüfungs- und Erklärungsaufwand für die Steuerpflichtigen einerseits und zu einer erheblichen administrativen Mehrbelastung für die Finanzverwaltung zur Verwirklichung des Steueranspruchs andererseits” führen, heißt es in der von der Bundesregierung als Unterrichtung (BT-Drucks. 17/10604) vorgelegten Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf.

Nach Ansicht der Bundesregierung sind Elektrofahrzeuge und extern aufladbare Hybridfahrzeuge wegen ihres höheren Listenpreises steuerlich benachteiligt. Bisher ist ein Prozent des Listenpreises Grundlage der Bewertung der privaten Nutzung eines Kraftfahrzeugs. Diese Ein-Prozent-Regelung wird beibehalten, allerdings soll der Listenpreis um die Kosten des Batteriesystems reduziert werden. Maximal möglich ist eine Reduzierung des Listenpreises um 10.000 Euro. Für nach dem 31. Dezember 2013 angeschaffte Fahrzeuge wird dieser Höchstbetrag um jährlich 500 Euro reduziert. Die Regelung wird außerdem zeitlich auf bis zum 31. Dezember 2022 erworbene Elektro- und Hybridelektrofahrzeuge beschränkt. In ihrer Gegenäußerung sagt die Bundesregierung zwar zu, der Bitte des Bundesrates um Prüfung dieses Sachverhalts nachzukommen. Zugleich wird aber erklärt, man könne weder auf Seiten des Steuerpflichtigen noch auf Seiten der Finanzverwaltung einen erhöhten Prüfungs- oder Erklärungsaufwand erkennen.

Bundesrat
Bundesregierung

Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)

Änderung des BMF-Schreibens “Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)” vom 16. Juli 2001

Hierzu: BMF-Schreiben vom 14. September 2012 – IV A 4 – S 0316/12/10001 –

“Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:
Abschnitt II. Nr. 1 des BMF-Schreibens „Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)“ vom 16. Juli 2001 – IV D 2 – S 0316 – 136/01 – (BStBl I S. 415) wird mit sofortiger Wirkung aufgehoben. […]”

Änderung des BMF-Schreibens “Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)” vom 16. Juli 2001 (PDF, 26,9 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen

Dazu: BMF-Schreiben vom 10. September 2012 – IV C 6 – S 2171-b/0 :005 –

“Der BFH hat mit Urteil vom 8. Juni 2011 [- I R 98/10 – BStBl II 2012 S. …] entschieden, dass bei festverzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe des Nominalwerts der Forderung verbriefen, eine Teilwertabschreibung unter ihren Nennwert allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn die Wertpapiere zum Umlaufvermögen gehören. […]“

Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen (PDF, 100,1 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

 

Voraussichtlich dauernde Wertminderung bei festverzinslichen Wertpapieren im Umlaufvermögen; Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 8. Juni 2011  (BStBl II 2012 S. …. – I R 98/10 -)

BEZUG BMF-Schreiben vom 25. Februar 2000 (BStBl I S. 372)

GZ IV C 6 – S 2171-b/0 :005 DOK 2012/0828282 (bei Antwort bitte GZ und DOK angeben)

Der BFH hat mit Urteil vom 8. Juni 2011 [- I R 98/10 – BStBl II 2012 S. …] entschieden, dass bei festverzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe des Nominalwerts der Forde­rung verbriefen, eine Teilwertabschreibung unter ihren Nennwert allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn die Wertpapiere zum Umlauf­vermögen gehören.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder nehme ich zur Anwendung der Urteilsgrundsätze wie folgt Stellung:

Die Grundsätze dieses Urteils sind über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwendbar, wenn es sich um festverzinsliche Wertpapiere im Umlaufvermögen handelt, kein Bonitäts- und Li­quiditätsrisiko hinsichtlich der Rückzahlung der Nominalbeträge besteht und die Wertpapiere bei Endfälligkeit zu ihrem Nennwert eingelöst werden können.

Die Rzn. 24 und 25 (Lösung zu Beispiel 6) des BMF-Schreibens vom 25. Februar 2000 (BStBl I S. 372) sind insoweit überholt.

Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 8. Juni 2011 (a.a.O.) zur Bewertung von festverzinsli­chen Wertpapieren im Umlaufvermögen können frühestens in der ersten nach dem 8. Juni 2011 (Tag der BFH-Entscheidung) aufzustellenden Bilanz berücksichtigt werden; sie sind spätestens in der ersten auf einen Bilanzstichtag nach dem ….2012 aufzustellenden Bilanz (Tag der Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl II) anzuwenden.

Die Bewertung festverzinslicher Wertpapiere im Anlagevermögen wird durch diese Regelung nicht berührt. Insoweit verbleibt es bei der bisher bereits durch Verwaltungsauffassung gere­gelten Bewertung zum Nominalwert (vgl. Rz. 16 des BMF-Schreibens vom 25. Februar 2000 (a.a.O.).

StB-Verband Köln zur steuerlichen Entlastung für Eltern bei Kinderbetreuungskosten

“Die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten hat sich aus Sicht der Eltern für 2012 erfreulicherweise verbessert”, darauf weist der Präsident des Steuerberater-Verbandes e.V. Köln, Harald Elster, hin. In der Vergangenheit waren nur erwerbs-, ausbildungs- oder krankheitsbedingte Kinderbetreuungskosten abziehbar. Nunmehr ist der Anlass für die Kinderbetreuung völlig unerheblich. Fallen den Eltern also Kosten für Betreuungsdienstleistungen, Kindergarten oder eine Tagesmutter an, sind die Abzugsvoraussetzungen bereits gegeben. Abziehbar sind zwei Drittel dieser Aufwendungen, jedoch maximal € 4.000,00 pro Kalenderjahr. Ausgeschlossen sind hingegen Kosten für Unterricht oder Freizeitbeschäftigung.

Bei den betreuten Kindern muss es sich um leibliche Kinder oder Pflegekinder handeln, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und im Inland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind. Ältere behinderte Kinder können auch weiterhin berücksichtigt werden, soweit die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist. Formale Voraussetzung für den Abzug ist weiterhin, dass eine Rechnung für die Betreuungsleistung existiert und die Zahlung auf ein Konto der leistenden Person oder Einrichtung erfolgt ist. Zu beachten ist, dass Barzahlungen den Abzug regelmäßig ausschließen.

“Endlich wird Klarheit geschaffen”, so Elster. “Von dieser Entscheidung profitiert ein größerer Kreis von Steuerpflichtigen.” Elster zieht das Fazit, dass ein entscheidender Schritt in Richtung Steuervereinfachung getan ist. Voraussetzung für die Geltendmachung ist allerdings, dass eine entsprechende Einkommensteuererklärung abgegeben werde.

Es sei jedoch zu bemängeln, dass seit Wiedereinführung der steuerlichen Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten im Jahr 2002 die Vorschriften nun zum vierten Mal in ihrer Systematik verändert wurden. Es wäre sowohl für die Steuerbürger als auch für die Finanzverwaltung begrüßenswert, wenn von vornherein stabile Lösungen geschaffen würden. Ferner sei noch auf anhängige Gerichtsverfahren hinzuweisen, die die Abzugsbegrenzung auf zwei Drittel der Kosten zum Streitgegenstand haben.

Steuerberater-Verband e.V. Köln

Einkommensteuer | Neuordnung der Veranlagungsarten für Eheleute (OFD)

Neuordnung der Veranlagungsarten für Eheleute durch das StVereinfG 2011;
Wegfall der getrennten Veranlagung und der besonderen Veranlagung ab dem VZ 2013

Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 wurden die Veranlagungsarten für Eheleute von sieben möglichen auf nur noch vier mögliche Veranlagungs- und Tarifvarianten für Ehegatten reduziert. Ab dem Veranlagungszeitraum 2013 fallen die getrennte Veranlagung mit Grundtarif und die besondere Veranlagung mit Grundtarif oder Witwensplitting weg, sodass nur noch verbleiben:

  • Einzelveranlagung mit Grundtarif
  • „Sondersplitting” im Trennungsjahr
  • Verwitwetensplitting
  • Zusammenveranlagung mit Ehegattensplitting

Ehegatten haben gem. § 26 Abs. 1 EStG ab dem VZ 2013 (§ 52 Abs. 68 Satz 1 EStG ) ein Veranlagungswahlrecht zwischen der Einzelveranlagung nach § 26a EStG und der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG .

Die Einzelveranlagung stellt eine signifikante Änderung gegenüber der getrennten Veranlagung nach altem Recht dar, welche sie ersetzt. Die Einzelveranlagung nach § 26a Abs. 2 EStG in der neuen Fassung ermöglicht nicht mehr die steueroptimierende freie Zuordnung verschiedener Kosten. Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und die Steuerermäßigung nach § 35a EStG werden demjenigen zugerechnet, der sie wirtschaftlich getragen hat. Aus Vereinfachungsgründen lässt die Neufassung bei übereinstimmendem Antrag der Ehegatten eine hälftige Zuordnung der Aufwendungen zu; in begründeten Einzelfällen reicht jedoch auch der Antrag des Ehegatten, der die Aufwendungen getragenen hat, aus.

Die zumutbare Belastung (§ 33 EStG ) wird bei einzeln veranlagten Ehegatten nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte des einzelnen Ehegatten bestimmt und nicht wie bei der getrennten Veranlagung nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte beider Ehegatten.

Während Ehegatten bisher ihre bei Abgabe der Steuererklärung getroffene Wahl der Veranlagungsart bis zur Bestandskraft des betreffenden Steuerbescheids und auch im Rahmen von Änderungsveranlagungen beliebig oft ändern konnten, wird künftig die Wahl der Veranlagungsart für den betreffenden VZ durch Angabe in der Steuererklärung bindend und kann innerhalb eines VZ nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids nach § 26 Abs. 2 Satz 4 i. F. d. StVereinfG 2011 nur noch dann geändert werden, wenn (kumulativ):

  • ein die Ehegatten betreffender Steuerbescheid aufgehoben, geändert oder berichtigt wird,
  • die Änderung der Wahl der Veranlagung beim Finanzamt bis zum Eintritt der Bestandskraft des Änderungs- oder Berichtigungsbescheids mitgeteilt wird und

die Einkommensteuer der Ehegatten nach Änderung der Veranlagungsart niedriger ist, als sie ohne letzteres wäre. Die ESt der einzeln veranlagten Ehegatten ist hierbei zusammenzurechnen.

Erbschaftsteuer | Behandlung der Instandhaltungsrücklage bei Wohnungseigentum (BayLfSt)

Bezug: FMS vom 9.9.1992, Az.: 34 – S 3250 – 12 – 25 275 (aktualisiert) ergänzt durch FMS vom 02.08.2012, Az.: 34 – S 3190 – 0001 –28 854/12

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 9. Oktober 1991 II R 20/89 (BStBl. 1992 II S. 152 ) entschieden, dass das gleichzeitig mit einer Eigentumswohnung erworbene Guthaben aus einer Instandhaltungsrücklage nicht in die grunderwerbsteuerliche Gegenleistung einzubeziehen ist. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs stellt das Guthaben aus der Instandhaltungsrücklage nach dem WEG eine mit einer Geldforderung vergleichbare Vermögensposition dar, die nicht unter den Grundstücksbegriff des Grunderwerbsteuergesetzes fällt.

Diese Grundsätze sind auch auf die Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer zu übertragen. Die Instandhaltungsrücklage ist demnach neben dem Wohnungseigentum i. S. d. § 93 BewG als gesonderte Kapitalforderung zu erfassen und nach § 12 BewG zu bewerten.

Hinweis für Besteuerungsstichtage nach dem 31.12.2006: Dabei kann der vom Steuerpflichtigen nachgewiesene Betrag ohne förmliches Feststellungsverfahren der Besteuerung zu Grunde gelegt werden.