Archiv der Kategorie: Einkommen- und Lohnsteuer

Haftungsbescheid wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung

Bei Bestehen eines ausreichend hohen vortragsfähigen Verlustabzugs führt die Nacherklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen mangels Schadens nicht zu einer Haftung als Steuerhinterzieher.

Niedersächsisches Finanzgericht 11. Senat, Urteil vom 11.06.2012, 11 K 257/10
§ 370 Abs 1 AO, § 370 Abs 4 S 3 AO, § 71 AO
Tatbestand
1
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, mit dem der Beklagte die Klägerin wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO in Anspruch genommen hat.
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Die Klägerin war im Streitjahr 1999 verheiratet und erfüllte mit ihrem Ehemann (EM) die Voraussetzung für eine Ehegattenveranlagung zur Einkommensteuer.
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Die Ehegatten gaben im Jahr 2000 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 ab und beantragten zunächst die Zusammenveranlagung. Für die Klägerin erklärten die Ehegatten keinerlei Einkünfte, insbesondere keine Einkünfte aus Kapitalvermögen.
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Der Beklagte folgte der Einkommensteuererklärung und erließ den entsprechenden Einkommensteuerbescheid vom 25. Mai 2001. Es ergab sich eine Einkommensteuer von 0 DM, weil aus dem für EM zum 31. Dezember des Vorjahrs 1998 festgestellten vortragsfähigen Verlustabzug in Höhe von XXX DM ein Teilbetrag in Höhe von XXX DM zum Abzug gebracht wurde. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Er wurde bestandskräftig.
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Durch den Verbrauch im Einkommensteuerbescheid 1999 ergab sich für EM zum 31. Dezember 1999 ein vortragsfähiger Verlustabzug in Höhe von XXX DM, der in dieser Höhe gesondert festgestellt wurde. Für die Klägerin ergab sich sowohl zum 31. Dezember 1998 als auch zum 31. Dezember 1999 jeweils ein vortragsfähiger Verlustabzug in Höhe von XXX DM.
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Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 erklärten die Ehegatten für die Jahre 1995-2000 Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt XXX DM nach. Auf das Streitjahr 1999 entfielen dabei Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von XXX DM. Diese Nacherklärung betraf ein gemeinsames Bankkonto der Ehegatten bei einer Schweizer Bank, auf das in den Jahren 1988-1996 die Firma A, eine geschäftlich mit EM verbundene Gesellschaft, mehrere Millionen DM eingezahlt hatte.
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Das Schreiben vom 19. Juni 2002 sah die Finanzverwaltung als Selbstanzeige an und entschied, diese im Rahmen einer bereits im Jahr 2001 begonnenen Außenprüfung auszuwerten.
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Mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 beantragte EM für das Streitjahr 1999 die steuermindernde Berücksichtigung eines Sanierungsgewinns in Höhe von XXX DM betreffend eine Beteiligung des EM. Er war der Auffassung, der Sanierungsgewinn sei aus Billigkeitsgründen von einer Besteuerung freizustellen.
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Im Anschluss an die Außenprüfung erließ der Beklagte den Einkommensteueränderungsbescheid für das Streitjahr 1999 vom 9. Juni 2005. Darin setzte er, dem Prüfer folgend, bisher nicht berücksichtigte Einnahmen der Ehegatten aus Kapitalvermögen für das Streitjahr 1999 mit XXX DM an. Dadurch ergaben sich Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Klägerin in Höhe von XXX DM und für EM von XXX DM. Darüber hinaus erhöhte der Beklagte die Einkünfte von EM aus Gewerbebetrieb um Beteiligungseinkünfte in Höhe von XXX DM. Den Antrag auf steuermindernde Berücksichtigung eines Sanierungsgewinns im Billigkeitswege lehnte der Beklagte ab.
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Die festgesetzte Einkommensteuer erhöhte sich durch den Änderungsbescheid von bisher 0 DM auf XXX DM. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben.
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Die Ehegatten legten gegen den Einkommensteueränderungsbescheid Einspruch ein. Mit Einspruchsbescheid vom 21. Juni 2006 setzte der Beklagte die Einkommensteuer wegen von der bisherigen Berücksichtigung abweichendem Ansatz des Sanierungsgewinns in geringerer Höhe fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
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Noch vor Eintritt der Bestandskraft des Einspruchsbescheids beantragten die Ehegatten die getrennte Veranlagung. Diesem Antrag entsprechend erließ der Beklagte die Einkommensteuerbescheide vom 10. Dezember 2007. Es ergab sich für EM eine festgesetzte Einkommensteuer von XXX DM und Nachzahlungen in Millionenhöhe.
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Da die Nachzahlungsbeträge bei EM nicht zu realisieren waren, prüfte der Beklagte die Inhaftungnahme der Klägerin wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO.
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Durch Haftungsbescheid vom 11. November 2008 nahm der Beklagte die Klägerin nach § 71 AO wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM in Haftung. Die Haftungssumme betrug XXX €. Diese Haftungssumme ermittelte der Beklagte wie folgt:
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Gesamtbetrag der Einkünfte des EM in 1999 XXX DM
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Davon Kapitaleinkünfte XXX DM
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Dies entspricht einem Anteil von 2,1 %
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Zur Begründung gab der Beklagte an, die Klägerin habe Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM geleistet, indem sie in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 die Zinseinnahmen aus dem gemeinsamen Konto beider Ehegatten bei der Schweizer Bank verschwiegen habe. Erst durch Schreiben vom 19. Juni 2002, also nach Ergehen des Einkommensteuerbescheids aufgrund der unrichtigen Einkommensteuererklärung, habe sie diese Zinseinnahmen (teilweise) nacherklärt. Durch die verspätete Festsetzung der auf die Kapitaleinkünfte entfallenden Einkommensteuer erst mit dem Einkommensteueränderungs-bescheid vom 9. Juni 2005 hätten sich für EM insoweit ungerechtfertigte Steuervorteile in Höhe von XXX €, also in Höhe der Haftungssumme, ergeben. Für diese sei die Klägerin mitverantwortlich und dementsprechend in Haftung zu nehmen.
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Die Klägerin legte Einspruch ein. Sie machte geltend, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Sie habe keine Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung geleistet.
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Mit Einspruchsbescheid vom 20. Mai 2010 erhöhte der Beklagte, nachdem er der Klägerin zuvor einen Verböserungshinweis gegeben hatte, die Haftungssumme von XXX € um XXX € auf XXX €. Im Übrigen wies er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er hielt an seiner Begründung fest, die Klägerin habe zu einer Steuerhinterziehung des EM Beihilfe geleistet, indem sie die Kapitaleinkünfte aus dem gemeinsamen Konto beider Ehegatten in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr verschwiegen habe.
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Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, der Beklagte nehme sie zu Unrecht in Haftung. Der Vorwurf einer Steuerhinterziehung des EM und der Beihilfe der Klägerin hierzu sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, da die zutreffende Erklärung der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung zu keiner positiven Steuerfestsetzung geführt hätte, das Verschweigen der Kapitaleinkünfte mithin zu keiner Steuerverkürzung geführt habe. Beiden Ehegatten sei im Zeitpunkt der Abgabe der gemeinsamen Einkommensteuererklärung bekannt und bewusst gewesen, dass ein ausreichend hoher vortragsfähiger Verlustabzug zur Verfügung gestanden habe, um selbst bei Ansatz der Kapitaleinkünfte in zutreffender Höhe im Streitjahr 1999 an einer Steuerfestsetzung von 0 DM festhalten zu können. Der vollständige Verbrauch des Verlustabzugs sei dann erst durch den Einkommensteueränderungsbescheid aufgrund der Außenprüfung eingetreten. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei nämlich wegen der gesamten geschäftlichen Aktivitäten des EM eine Einigung erzielt worden, die insbesondere wegen der Höhe der gewerblichen Einkünfte des EM zu einer positiven Einkommensteuerfestsetzung in erheblicher Höhe geführt habe. Diese Erhöhung beruhe hauptsächlich auf der Verlagerung eines Sanierungsgewinns aus dem Jahr 1997 in das Streitjahr 1999 unter Wegfall der ursprünglich nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. gewährten Steuerfreiheit. Der Betriebsprüfer sei dabei selbst schon nicht von einer Steuerhinterziehung des EM ausgegangen, da ein strafrechtlicher Vorbehalt im Rahmen der Betriebsprüfung nicht ausgesprochen worden sei. Weiterhin habe die Klägerin, die mit den geschäftlichen Aktivitäten des EM nichts zu tun gehabt und über keine näheren Kenntnisse dazu verfügt habe, insoweit keine Beihilfe zu einer etwaigen Steuerhinterziehung des EM geleistet.
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Die Klägerin beantragt,
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den Haftungsbescheid vom 11. November 2008 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 20. Mai 2010 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält an seiner Auffassung fest, die Klägerin sei wegen Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO in Haftung zu nehmen. Der Beklagte teilt nicht die Auffassung der Klägerin, eine Steuerverkürzung sei durch das Verschweigen der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung nicht eingetreten, weil in ausreichender Höhe ein vortragsfähiger Verlustabzug zur Verfügung gestanden habe. Durch das Verschweigen der Kapitaleinkünfte in der Einkommensteuererklärung habe sich nämlich der zum 31. Dezember 1998 festgestellte vortragsfähige Verlustabzug in geringerer Höhe verbraucht als er dies getan hätte, wenn die Ehegatten die Kapitaleinkünfte gleich zutreffend erklärt hätten. Da zum 31. Dezember des Streitjahrs 1999 also ein entsprechend zu hoher vortragsfähiger Verlustabzug festgestellt worden sei, habe EM schon dadurch einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt, auch wenn sich dieser noch nicht direkt in einer (zu niedrigen) Steuerfestsetzung niedergeschlagen habe. Zur Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung reiche nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO schon die Gefährdung des Steueranspruchs aus. Eine solche sei bereits durch die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs eingetreten. So habe der Bundesgerichtshof (BGH) auch in Fällen unrichtiger Feststellungsbescheide als Grundlagenbescheide eine Steuerhinterziehung in der Form der Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile angenommen, obwohl auch Feststellungsbescheide keine Steuer festsetzten, sondern sich nur über die Steuerfestsetzung in den Einkommensteuerbescheiden als Folgebescheiden auswirkten.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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1.Die Sache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2012, 13.15 Uhr entschieden werden, obwohl die Klägerin zu diesem Termin nicht erschienen und auch nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war.
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Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Anwesenheit des (ordnungsgemäß) geladenen Beteiligten kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn einem vor dem Termin gestellten Antrag auf Verlegung zu Unrecht nicht stattgegeben worden ist (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22. Dezember 1997, X B 23/96, BFH/NV 1998, 726; vom 14. Mai 1996, VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902, m.w.N.). Der Beteiligte ist allerdings gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren selbst das rechtliche Gehör zu verschaffen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt deshalb nur vor, wenn dem Beteiligten trotz zumutbaren eigenen Bemühens die Möglichkeit zur Äußerung verweigert oder abgeschnitten wurde (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 726; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 13 und 15, m.w.N.).
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Gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) „kann“ das Gericht „aus erheblichen Gründen“ einen Termin aufheben oder verlegen. Der Beteiligte muss ihm aber im Einzelfall darlegen, dass es sich um erhebliche Gründe handelt. Zwar sind die erheblichen Gründe nach § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO erst auf Verlangen glaubhaft zu machen. Das berührt aber nicht die Pflicht des Beteiligten, selbst die Gründe so genau anzugeben, dass sich das Gericht aufgrund seiner Schilderung ein Urteil über deren Erheblichkeit bilden kann. Deshalb rechtfertigen formelhafte, nicht im Einzelnen nachprüfbare Begründungen eine Terminsverlegung nicht (BFH-Beschluss vom 31. August 1995, VII B 160/94, BFH/NV 1996, 228, BFH-Beschluss vom 17. Mai 2001, X B 12/01, nv, juris).
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Nach der Rechtsprechung des BFH ist das FG nicht verpflichtet, dem Antrag eines Beteiligten auf Terminsverlegung, der sozusagen „in letzter Minute“ gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet wird, stattzugeben, wenn dieser Antrag den Anforderungen an eine aussagefähige Begründung nicht genügt und die Gründe für die beantragte Terminsverlegung nicht zugleich mit der Antragstellung glaubhaft gemacht werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 1997, VIII B 94/96, BFH/NV 1998, 66, und in BFH/NV 1996, 228, m.w.N.). Notwendig ist hiernach in solchen eiligen Fällen (anders, wenn zwischen dem Antrag und dem Termin zur mündlichen Verhandlung noch einige Tage liegen: BFH-Urteil vom 4. Mai 1994, XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46) entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung durch den Beteiligten, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann. Zwar sind nach § 227 Abs. 2 ZPO die Gründe erst auf Verlangen glaubhaft zu machen; das kann aber nur gelten, wenn zwischen der Antragstellung und dem Termin ausreichend Zeit besteht, um dies zu verlangen. Ist diese Zeit –wie im Streitfall– nicht mehr vorhanden, so muss der Beteiligte seine Gründe mit der Antragstellung glaubhaft machen, weil andernfalls keine Möglichkeit bestünde, dessen Angaben zu überprüfen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1996, 228, m.w.N.). Würden diese Anforderungen an die Begründung des Antrags im Falle einer aus Krankheitsgründen kurzfristig begehrten Terminsverlegung nicht gestellt, bestände die Gefahr, dass die Entscheidung über die Terminsverlegung allein vom Beteiligten abhängen würde. Dies wäre mit dem Ziel einer möglichst zügigen Durchführung des Verfahrens nicht vereinbar.
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Der Termin zur mündlichen Verhandlung war nicht auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufzuheben. Der Prozessbevollmächtigte hatte nämlich Gründe, die eine Vertagung rechtfertigten, weder substantiiert dargelegt noch seine Verhandlungsunfähigkeit nachgewiesen. Seine Begründung, er könne den Termin wegen „kardiologischer Beschwerden“ nicht wahrnehmen, lässt keinen sicheren Schluss auf die Schwere der Krankheit zu. Wenn ein Prozessbevollmächtigter, der zudem selbst die Anforderungen an einen substantiierten Vertagungsantrag kennen muss, seinen Antrag nicht weiter substantiiert und nicht zum Termin erscheint, so ist das rechtliche Gehör nicht verletzt. Die Klägerin muss sich ein etwaiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten am Nichterscheinen zurechnen lassen.
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2. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid zu Unrecht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des EM nach § 71 AO für die Haftungsbeträge in Anspruch genommen.
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a. Bei der Frage, ob jemand den Tatbestand einer Steuerhinterziehung i.S.d. § 370 AO verwirklicht hat, ist zunächst zu unterscheiden nach den beiden im Gesetz genannten Varianten „Steuerverkürzung“ und „Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile“. Zwar weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass auch in der Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils und damit eine Steuerhinterziehung liegen kann. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei der Feststellung eines zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs einerseits und einer verkürzten Einkommensteuer andererseits für dasselbe Streitjahr um zwei sich gegenseitig ausschließende Sachverhaltsvarianten handelt, bei denen jedoch gleichermaßen ein Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1 AO eingetreten wäre (vgl. BGH-Urteil vom 2. November 2010 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294, juris).
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Danach konnte EM durch die Feststellung des zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 den Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht und die Klägerin dazu Beihilfe geleistet haben, selbst wenn es nicht zu einer Verkürzung gekommen ist.
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b. Dies reicht aber allein für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 71 AO nicht aus. Für die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners als Täter oder Teilnehmer einer solchen Steuerhinterziehung nach § 71 AO kommt es darüber hinaus noch darauf an, inwieweit durch diese Beteiligung an der Tat dem Steuergläubiger ein Schaden entstanden ist. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung. Ein Steuerhinterzieher haftet also trotz seiner Tat dann nicht, wenn überhaupt kein Schaden entstanden ist.
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c. Weiterhin muss der eingetretene Schaden gerade durch das Verhalten bewirkt worden sein, das der Steuergläubiger dem Haftenden im Rahmen der Inanspruchnahme vorwirft, also Gegenstand des Haftungstatbestands ist. Dies ergibt sich aus der Sachverhaltsbezogenheit der Haftung.
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Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Haftungsbescheid zu beanstanden. Zu Unrecht geht der Beklagte davon aus, durch das Verschweigen der Zinseinnahmen auf dem gemeinsamen Konto der Ehegatten bei der Schweizer Bank habe die Klägerin mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr an einer Steuerhinterziehung des EM teilgenommen und dem Steuergläubiger einen Schaden zugefügt. Zwar mag die Klägerin Teilnehmerin einer Steuerhinterziehung des EM dergestalt gewesen sein, dass sie die Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Verlustabzugs zum 31. Dezember 1999 bewirkt und dadurch EM einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil erlangt hat. Dieser nicht gerechtfertigte Steuervorteil hat aber bis zum Erlass des Einkommensteueränderungsbescheids aufgrund der Betriebsprüfung, also dem Bescheid vom 9. Juni 2005, weder zu einer Steuerverkürzung noch zu einem Schaden geführt. Im Gegenteil ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Angabe der Zinseinnahmen in zutreffender Höhe schon in der Einkommensteuererklärung nichts an der erklärungsgemäßen Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres 1999 geändert hätte. Sie wäre nämlich wegen des bestehenden vortragsfähigen Verlustabzugs weiterhin bei 0 DM verblieben. Lediglich der nicht gerechtfertigte Steuervorteil durch die zu hohe Feststellung des vortragsfähigen Verlustabzugs wäre entfallen.
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Die Klägerin hatte zudem bereits im Jahr 2002 darauf hingewiesen, dass die in der Einkommensteuererklärung gemachten Angaben zu den Einkünften aus Kapitalvermögen unzutreffend seien. Der Beklagte wartete aber bis zum Abschluss der Betriebsprüfung und der Klärung der Frage der Zurechnung eines Sanierungsgewinns und dessen Steuerfreiheit, bis er dann im Jahr 2005 einen Einkommensteueränderungsbescheid erließ und u.a. die nacherklärten und um Schätzungsbeträge erhöhten Zinseinnahmen ansetzte. Hätte der Beklagte schon im Jahr 2002 einen Zwischenänderungsbescheid erlassen und darin bereits die dann erst später angesetzten Zinseinkünfte erfasst, wäre es immer noch bei einer Einkommensteuerfestsetzung von 0 DM geblieben. Es ist sogar davon auszugehen, dass der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte aus diesem Grund bewusst auf eine solche Zwischenänderung verzichtet hat. Dies ist aber der Klägerin nicht anzulasten.
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Der Beklagte beachtet nicht, dass es im gesetzlichen Tatbestand der Steuerhinterziehung mehrere Varianten gibt und sieht die Erlangung eines steuerlichen Vorteils für die Haftung als ausreichend an. Er meint, eine Gefährdung des Steueranspruchs reiche aus. Dies ist aber im Bereich der Haftung nach § 71 AO unzutreffend. Hier muss vielmehr ein konkreter Schaden eintreten. Ein solcher tritt aber in der Regel nur bei einer Steuerverkürzung ein. Für den Fall des zu hoch festgestellten vortragsfähigen Verlustabzugs wäre also erforderlich, dass dieser sich letztlich in einer zu niedrigen Steuerfestsetzung ausgewirkt hat. Nur in Höhe dieser konkreten Auswirkung kann ein Schaden eintreten. Hätte also im Streitfall z.B. der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustvortrag sich im Folgejahr 2000 ausgewirkt und zu einer ungerechtfertigten Steuererstattung von Einkommensteuer 2000 geführt, so könnte die Klägerin für diese Steuer haften, wenn die Rückforderung dieser Erstattung nicht mehr zu realisieren wäre.
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Im Streitfall jedoch hat sich der zum 31. Dezember 1999 zu hoch festgestellte vortragsfähige Verlustabzug nicht ausgewirkt. Dem Steuergläubiger ist dadurch weder eine Steuerfestsetzung entgangen noch eine Steuer zu Unrecht erstattet worden. Ihm ist somit kein Schaden entstanden.
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Die vom Beklagten für seine Auffassung angeführte Rechtsprechung des BGH besagt nichts anderes. Auch der BGH unterscheidet, wie oben dargestellt, die beiden Varianten bei der Tatbestandsverwirklichung, wenn er die Voraussetzungen der Vorschrift des § 370 AO prüft.
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So führt der BGH aus, dass der Umstand, dass Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ihr angestrebtes (End-)Ziel einer Steuerverkürzung erst mit der zu niedrigen Festsetzung der Einkommensteuer in den Einkommensteuerbescheiden erreichen, der Annahme eines in der bindenden Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils nicht entgegenstehe (BGH-Urteil vom 10. Dezember 2008 1 StR 322/08, BGHSt 53,99, a.A. Sorgenfrei, wistra 2006, 370, 374). Die durch die Umsetzung der festgestellten unrichtigen Besteuerungsgrundlagen bei der Steuerfestsetzung in den Folgebescheiden bewirkte Steuerverkürzung stelle lediglich einen weitergehenden Taterfolg dar, der insbesondere für den Zeitpunkt der Tatbeendigung und damit für den Verjährungsbeginn der Steuerhinterziehung von Bedeutung ist (vgl. BGH wistra 1984, 142). Die Tatvollendung durch Erlangung eines bereits in der bindenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Steuervorteils werde dadurch jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. Joecks aaO § 376 Rdn. 21a; a.A. Beckemper NStZ 2002, 518, 521). Die mehrfache Verwirklichung eines tatbestandlichen Erfolgs steht im Einklang mit der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung im Feststellungs- und Festsetzungsverfahren als Gefährdungsdelikt (vgl. Joecks aaO § 370 Rdn. 15; Hardtke/Leip, NStZ 1996, 217, 220).
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Unrichtige Feststellungsbescheide können also bereits zur Vollendung des Tatbestands der Steuerhinterziehung führen. Aber erst mit der Umsetzung der Feststellungen des Feststellungsbescheides in den Einkommensteuerbescheiden würden jeweils die gegen die Feststellungsbeteiligten gerichteten Steueransprüche verkürzt (vgl. § 370 Abs. 4 AO).
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d. Dem Einwand der Klägerin, eine Steuer sei nicht verkürzt, weil bei zutreffender Erklärung der Kapitaleinkünfte schon in der Einkommensteuererklärung wegen des zum 31. Dezember 1998 festgestellten Verlustvortrags dennoch keine Einkommensteuer festzusetzen gewesen wäre, lässt sich auch nicht durch Verweis auf das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO begegnen. Für den von Amts wegen zu berücksichtigenden vortragsfähigen Verlustvortrag gilt nämlich das Kompensationsverbot nicht. Denn mit „anderen Gründen“ i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO sind nur solche Tatsachen gemeint, auf die sich der Täter nicht bereits im Besteuerungsverfahren berufen hat (BGH-Urteile vom 28. Januar 1987 – 3 StR 373/86, NJW 1987, 1273 und vom 2. November 2010 1 StR 544/09 NStZ 2011, 294; H/H/Sp-Hellmann § 370 AO Rz. 193, Jäger in Klein, AO, 11. Aufl., § 370 Rn. 137, noch a. A. BGH-Urteil vom 26. Juni 1984 5 StR 322/84, wistra 1984, 183, HFR 1985, 40, juris). Steuervorteile, die dem Täter schon aufgrund seiner Angaben zustanden, dürfen ihm im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden (BGH, Urteil vom 31. Januar 1978 – 5 StR 458/77; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 177. Aufl., EL 153 § 370 AO Rn. 46). Eine Steuerverkürzung wäre also in diesem Fall nicht gegeben.
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Nach alledem waren Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung aufzuheben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Einschränkung des Sonderausgabenabzugs für beschränkt Steuerpflichtige

Es stellt eine nicht europarechtskonforme Benachteiligung von gebietsfremden Steuerpflichtigen dar, wenn ihnen der Sonderausgabenabzug dauernder Lasten verweigert wird (Folgeentscheidung zu EuGH vom 31. März 2011 C 450/09).

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 13.06.2012, 3 K 267/12
Art 63 AEUV, § 50 Abs 1 S 4 EStG, § 21 EStG, § 10 Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG
Tatbestand
1
Streitig ist die Frage, ob § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG europarechtskonform ist.
2
Der Kläger ist deutscher Staatsbürger. Er lebt in Belgien, wo er als Arbeitnehmer berufstätig ist. Einen Wohnsitz in Deutschland unterhält der Kläger nicht; vielmehr ist der Kläger in Deutschland lediglich mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beschränkt steu-erpflichtig.
3
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 2. Dezember 2002 übertrug die verwitwete Mutter des Klägers im Wege der vorweggenommenen Erbfolge dem Bruder des Klägers, H S, das Grundstück H, P Straße 28. Gemäß Ziffer II. des Vertrages übertrug H S zum Ausgleich dafür, dass er das Grundstück P Straße 28 zu Alleineigentum erhält, die ideelle Hälfte dreier Grundstücke in H O-P auf den Kläger. Bereits mit Vertrag vom 27. April 1992 hatte der Kläger von seinen Eltern das Grundstück H, W.Platz 7 erworben. Das Grundstück war mit einem Nießbrauchsrecht zugunsten der Eltern belastet.
4
Gemäß III. § 1 des Vertrages vom 2. Dezember 2002 vereinbarten die Mutter des Klägers, der Kläger sowie sein Bruder, die in verschiedenen Grundbüchern zugunsten der Mutter eingetragenen Nießbrauchsrechte in eine lebenslängliche Geldrente umzuwandeln. Dabei verpflichteten sich der Kläger und sein Bruder, an ihre Mutter zu deren Versorgung eine lebenslängliche Geldrente von monatlich jeweils 1.000,- € zu zahlen. Die Rentenzahlung ist erstmals mit Wirkung auf den 1. Dezember 2002 zu leisten. Weiterhin wird geregelt, dass der monatlich zu leistende Geldbetrag der Versorgung der Mutter des Klägers dienen solle und deshalb eine Wertsicherungsklausel vereinbart. Darüber hinaus kann derjenige, dessen den derzeitigen Lebensverhältnissen entsprechende Versorgung infolge Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr gewährleistet ist, eine Abänderung des vereinbarten Betrages in entsprechender Anwendung des § 323 ZPO verlangen.
5
Der Kläger erzielt mit dem Grundstück W.Platz 7 Vermietungseinkünfte. Gleiches gilt für die Grundstücksgemeinschaft H und U S hinsichtlich der Grundstücke H O-P. Die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung 2002 betragen insgesamt 3.534,- €. In den nachfolgenden beiden Veranlagungszeiträumen erzielte der Kläger ausweislich der entsprechenden Einkommensteuerbescheide Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 27.254,- € (2003) und 26.595,- € (2004).
6
In seiner Einkommensteuererklärung 2002 für die in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung machte der Kläger die an die Mutter geleisteten Rentenzahlungen als Sonderausgaben geltend, wobei der Kläger versehentlich an Stelle der tatsächlich in 2002 gezahlten 1.000,- € einen Betrag in Höhe von 2.000,- € in Ansatz brachte.
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Der Beklagte berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 2002 vom 30. September 2004 die Sonderausgaben unter Hinweis auf § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht. Der Bescheid wurde am 4. August 2005 nochmals aus für dieses Verfahren nicht erheblichen Gründen geändert.
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Der gegen die Nichtberücksichtigung der Sonderausgaben gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Im anschließenden Klageverfahren vertrat der Kläger die Rechtsauffassung, dass § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG gegen Art. 43 EG-Vertrag verstoße, weil eine gebietsansässigen Steuerpflichtigen gewährte Steuervergünstigung gebietsfremden Steuerpflichtigen verwehrt werde.
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Das Niedersächsische Finanzgericht hat mit Datum vom 14. Oktober 2009 ein Vorabent-scheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hinsichtlich der Frage, ob es Art. 56 EG-Vertrag bzw. Art. 12 EG-Vertrag widerspreche, wenn ein im Inland beschränkt steuerpflichtiger Angehöriger anders als ein unbeschränkt Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung stehende Renten nicht als Sonderausgaben geltend machen könne und das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH gem. § 74 FGO ausgesetzt.
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Mit Urteil vom 31. März 2011 hat der EuGH entschieden, dass Art. 63 AEUV dahingehend auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichten erlaubt, die einem Elternteil, der ihm in diesem Staat belegene Immobilien übertragen hat, gezahlten Renten von Einkünften aus der Vermietung dieser Immobilien abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewährt, entgegensteht, soweit die Verpflichtung zur Zahlung dieser Renten auf der Übertragung der Immobilien beruht. Hinsichtlich der Begründung der Entscheidung wird auf das Urteil des EuGH verwiesen.
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Da der Beklagte nicht bereit war, aufgrund der Entscheidung des EuGH der Klage abzuhelfen, hat das Niedersächsische Finanzgericht die Sache zur mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2011 geladen. Die Ladung erfolgte durch den Berichterstatter im Sinne des § 79a Abs. 4 FGO. Eine Übertragung des Rechtsstreits durch den Senat auf den Einzelrichter im Sinne des § 6 FGO ist niemals erfolgt. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2011 haben die Verfahrensbeteiligten eingangs der mündlichen Verhandlung die Zustimmung zur Entscheidung durch den Berichterstatter gem. §§ 79a Abs. 3 und 4 FGO erteilt. Eine entsprechende Zustimmung hatten die Verfahrensbeteiligten auch schon vor dem Vorabentscheidungsersuchen erteilt (Bl. 32, 38 FG-Akte).
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Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Gründe wird auf das Urteil vom 30. Mai 2011 verwiesen.
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Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde ein. In diesem Verfahren rügte der Beklagte die fehlerhafte Besetzung des Gerichts, indem er wahrheitswidrig behauptete, das Gericht habe durch den Einzelrichter im Sinne des § 6 FGO über die Sache entschieden. Nach einer mündlichen Verhandlung des Senats sei nach § 6 Abs. 2 FGO eine Übertragung auf den Einzelrichter ausgeschlossen.
15
Der BFH machte sich den unrichtigen Sachvortrag des Beklagten in dem Beschluss I B 109/11 vom 26. März zu Eigen und führte aus, dass eine Übertragung auf den Einzelrichter – die tatsächlich niemals stattgefunden hat – nach § 6 Abs. 2 FGO ausgeschlossen gewesen sei. Wegen fehlerhafter Besetzung des Gerichts sei das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
16
Im zweiten Rechtsgang macht sich der Kläger die Argumentation des EuGH zu Eigen und begehrt weiterhin den Abzug der Rentenzahlung als Sonderausgabe. Dem Vortrag des Beklagten, bei Nichtanwendung des § 50 d Abs. 1 Satz 4 EStG würde dieser jegliche Bedeutung verlieren, hält er entgegen, dass § 50 d Abs. 1 Satz 4 EStG weiterhin in allen Fällen anzuwenden sei, in denen der Steuerpflichtige in einem auswärtigen Staat lebe, der nicht Mitglied der EU sei.
17
Der Kläger beantragt,
18
den Einkommensteuerbescheid vom 30. September 2004 in Form des Ände-rungsbescheides vom 4. August 2005 und des Einspruchsbescheides vom 13. September 2010 dahingehend zu ändern, dass sich die Einkommensteuer 2002 dadurch ermäßigt, dass Sonderausgaben in Höhe von 1.000,- € zum Abzug zugelassen werden.
19
Der Beklagte beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Der Beklagte meint, dass das Urteil des EuGH für die Entscheidung des Falles unerheblich sei. Der EuGH habe nicht entschieden, dass eine Regelung, die den Sonderausgabenabzug des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG beschränkt, grundsätzlich gegen das Unionsrecht verstoße. Das sei nur dann der Fall, wenn die Rente als Aufwendung anzusehen sein sollte, die unmittelbar mit der Vermietungstätigkeit zusammenhänge.
22
Im Streitfall diene die Zahlung der Rente dem Versorgungsbedürfnis des Vermögens-übergebers und stehe nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erzielung von Einkünften. Es bestehe kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer zwangsläufigen Verknüpfung von Einnahmen und Ausgaben. Wenn die Übertragung von Grundbesitz nach dem Willen der Beteiligten dazu diene, echte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen, werde ein anderer Vertragstypus gewählt, bei dem sich Leistung und Gegenleistung entsprächen. Im Streitfall entspreche der Übertragungsvertrag nicht diesen Kriterien. Leistung und Gegenleistung würden nicht gegeneinander ab-gewogen, was sich u.a. an der Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel und an der ver-einbarten Abänderungsbefugnis zeige. Dies zeige den familiären Hintergrund der ge-troffenen Vereinbarung. Unter fremden Dritten sei ein entsprechender Vertragsabschluss nicht denkbar. Wenn der EuGH behaupte, dass die Regelung eines Mitgliedstaates, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen erlaube, die einem Elternteil gezahlten Renten von den Einkünften aus der Vermietung und Verpachtung dieser Immobilie abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewähre, unzulässig sei, dann verkenne er, dass auch gebietsansässigen Steuerpflichtigen nicht der Abzug der Rentenaufwendungen von den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gewährt werde. Vielmehr werde der Abzug gerade aus der Einkünfteermittlung herausgenommen.
23
Der EuGH habe in seiner Entscheidung auf einen Zusammenhang zwischen Grundstücksübertragungen und Rentenzahlungen abgestellt. Im Streitfall beruhe die Rentenzahlungsverpflichtung des Klägers auf dem Verzicht seiner Mutter auf ein Nießbrauchsrecht. Es sei fraglich, ob die Grundsätze der Entscheidung des EuGH auch auf Fallkonstellationen anwendbar seien, die nicht auf der Übertragung von Grundstücken, sondern auf der Ablösung von Nießbrauchsrechten beruhten.
24
Zu beachten sei, dass bei Versorgungsverträgen unter Gebietsansässigen die verein-nahmten Rentenzahlungen von dem Vermögensübergeber nach § 22 Nr. 1b EStG ver-steuert werden müssten. Bei Gebietsfremden entfalle demgegenüber die Rentenversteue-rung beim Vermögensübergeber, so dass die vom EuGH angenommene Ungleichbe-handlung gebietsfremder Steuerpflichtiger beim Abzug der Rentenzahlungen durch die korrespondierende Regelung hinsichtlich der Rentenversteuerung ausgeglichen werde.
25
Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestanden, dass er im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes eine weitergehende Sachverhaltsermittlung als nicht erforderlich erachtet.
26
Der Beklagte regt die Zulassung der Revision an.
Entscheidungsgründe
27
Die Klage ist begründet.
28
Der Senat ist an die Aufhebung des Urteils vom 30. Mai 2011 durch Beschluss des BFH I B 109/11 vom 26. März 2012 gebunden. Zwar steht diese Entscheidung im klaren Widerspruch zum Inhalt der Akten, weil der BFH unterstellt, der Senat habe den Rechtsstreit nach § 6 FGO auf den Einzelrichter übertragen und dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2011 als Einzelrichter entschieden, obwohl tatsächlich der Rechtsstreit gar nicht auf den Einzelrichter übertragen wurde und der Berichterstatter aufgrund entsprechender Einverständniserklärungen der Verfahrensbeteiligten nach § 79a Abs. 3, 4 FGO (sog. konsentierter Einzelrichter) über die Sache entschieden hat. Die Beschränkungen des § 6 FGO gelten bei der Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter nicht (Gräber-Koch, Kommentar zur FGO, § 79a Rn. 29). Dieser Fehler des BFH bewirkt jedoch nicht, dass seine Entscheidung nichtig ist.
29
Der Kläger kann die im Streitjahr 2002 an seine Mutter erbrachte Rentenzahlung in Höhe von 1.000,- € als Leibrente abziehen. Sonderausgaben sind u.a. gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben. Eine Verpflichtung zur Rentenzahlung ist hier durch Abschnitt III § 1 des Vermögensübergabevertrages vom 2. Dezember 2002 begründet worden. Bei Vermietungsüberschüssen in Höhe von 23.063,- € (2003), 21.734,- € (2004) und 5.049,- € (2005) für das Grundstück H, W.Platz sowie anteilig 4.191,- € (2003), 4.859,- € (2004) und 4.396,- € (2005) für die Grundstücksgemeinschaft H O-P bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht in der Lage ist, die Rentenzahlungen aus den nachhaltig erzielten Nettoerträgen des übertragenen Vermögens aufzubringen. Die übertragenen Grundstücke stellen von daher eine ertragsfähige Einheit dar im Sinne der Rechtsprechung des BFH (Beschluss des Großen Senats vom 12. Mai 2000 GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95) dar. Der Kläger könnte deshalb die Rentenzahlungen als Sonderausgabe in Abzug bringen könnte, wenn er in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig wäre. Dies hat auch der Beklagte auf ausdrückliche Rückfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung zugestanden.
30
Dem Sonderausgabenabzug steht auch nicht § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG entgegen. Gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG dürfen beschränkt Steuerpflichtige Betriebsausgaben oder Werbungskosten nur insoweit abziehen, als sie mit inländischen Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG bestimmt, dass verschiedene Vorschriften, u.a. § 10 EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht anzuwenden sind. Nach dieser Vorschrift wäre im Streitfall der Sonderausgabenabzug in der Tat ausgeschlossen.
31
§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG kommt jedoch nicht zur Anwendung, weil die Vorschrift gegen Art. 63 AEUV verstößt, wie der EuGH mit Urteil vom 31. März 2011 C-450/09 entschieden hat. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist die Entscheidung des EuGH im Streitfall einschlägig. Der EuGH gibt im konkreten Fall dem Gericht auch nicht auf, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Dies lässt sich dem Gang der Argumentation in dem Urteil des EuGH eindeutig entnehmen:
32
Unter Textziffer 40 und 41 legt der EuGH dar, dass Regelungen, die Gebietsfremden den Abzug von Aufwendungen, die unmittelbar mit einer Tätigkeit zusammenhängen, verweigern, Gebietsansässigen den Abzug aber gewährt, eine mittelbare Diskriminierung beinhalten. Eine Regelung wie im Streitfall verstoße gegen Art. 63 AEUV, wenn die Rente, die der Kläger zahle, unmittelbar mit seiner Tätigkeit zusammenhänge.
33
Unter Textziffer 42 stellt der EuGH die vom Beklagte sowohl im Verfahren des Vorabentscheidungsersuchens, als auch im Folgeverfahren vorgetragene These dar, dass nämlich die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht gegen Art. 63 AEUV verstoße, weil es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erzielung von Vermietungseinkünften und der Rentenzahlung, die sich ihrer Art nach von Betriebsausgaben oder Werbungskosten unterscheide, fehle. Die Höhe der Rentenzahlung werde durch das Versorgungsbedürfnis des Übertragenden bestimmt.
34
Dieser Argumentation, an der der Beklagte auch jetzt noch festhält, tritt der EuGH unter Textziffer 43 ausdrücklich entgegen. Selbst wenn die Rentenhöhe durch den Versorgungsbedarf des Übertragenden bestimmt werde, ändere dies nichts an dem Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Einnahmeerzielung und der Zahlung. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einnahmeerzielung und Rentenzahlung bestehe, wenn die Aufwendung mit der Tätigkeit zur Erzielung dieser Einkünfte untrennbar verbunden sei. Im Vorlagefall bestehe eine solche untrennbare Verbindung, weil die Abrede über die Rentenzahlung auf der Übertragung des Grundstücks beruhe und Voraussetzung dafür sei, dass der Kläger über die Grundstücke verfügen und die in Deutschland zu versteuernden Mieteinkünfte erzielen könne (Tz. 45). Daraus folgert der EuGH unter Textziffer 46: „Soweit die Verpflichtung von Herrn S [dem Kläger], seiner Mutter diese Rente zu zahlen, demnach auf der Übertragung der in Deutschland belegenen Grundstücke auf ihn beruht, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, stellt diese Rente eine unmittelbar mit der Nutzung dieser Immobilien zusammenhänge Aufwendung dar, so dass sich Herr S insoweit in einer Lage befindet, die mit derjenigen eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen vergleichbar ist.“ Deshalb verstoße eine nationale Regelung, die auf dem Gebiet der Einkommensteuer den Abzug einer solchen Aufwendung Gebietsfremden verweigert, Gebietsansässigen aber gewähre, gegen Art. 63 AEUV (Tz. 47).
35
Soweit der Beklagte aus dem Passus in Tz. 46 des EuGH-Urteils „was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist“ ableitet, dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen Einnahmeerzielung und Rentenzahlung noch festgestellt werden müsse, verkennt er den Sinnzusammenhang, in dem diese Urteilspassage steht. Der EuGH gibt dem Ausgangsgericht nicht etwa konkret auf, die untrennbare Verbindung zwischen Mieteinkünften und Rentenzahlung noch festzustellen, sondern verweist abstrakt darauf, dass das vorlegende Gericht – und nicht der EuGH – diese Verbindung festzustellen hat. Im konkreten Streitfall hat das vorlegende Gericht jedoch bereits die untrennbare Verbindung dargelegt, wie der EuGH unter Tz. 45 unmissverständlich ausführt. Denn es wäre nicht schlüssig, warum das Ausgangsgericht noch einmal den Zusammenhang zwischen der Erzielung der Mieteinkünfte und der Rentenzahlung untersuchen sollte, wenn der EuGH zuvor klarstellt, dass die Abrede über die Rentenzahlung auf der Übertragung der Grundstücke beruht. Wenn der Beklagte diesen Zusammenhang in Abrede stellt, vertritt er der Sache nach weiterhin jene Rechtsauffassung, der der EuGH in Tz. 42,43 ausdrücklich entgegengetreten ist.
36
Liest man den Entscheidungsausspruch, wonach Art. 63 AEUV einer Regelung eines Mitgliedsstaates entgegenstehe, die es einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen erlaube, gezahlte Renten von Einkünften aus der Vermietung von Immobilien abzuziehen, gebietsfremden Steuerpflichtigen einen solchen Abzug jedoch nicht gewährt, „soweit die Verpflichtung zur Zahlung dieser Renten auf der Übertragung der Immobilien beruht“ im Zusammenhang mit den vorangehenden Textpassagen des Urteils, ist eindeutig, dass im Streitfall Art. 63 AEUV der Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG entgegensteht, weil der Kläger ohne den Vertrag vom 2. Dezember 2002 nicht verpflichtet wäre, die Rente, deren Abzug er begehrt, an seine Mutter zu zahlen.
37
Unzutreffend ist die Behauptung, die Entscheidung des EuGH vom 31. März 2011 C-450/09 beschäftige sich lediglich mit der Übertragung von Grundstücken gegen Rentenzahlung, nicht aber mit dem Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht gegen Rentenzahlung. Zum einen ist dies schon in tatbestandlicher Hinsicht unzutreffend, weil dem Kläger im Zusammenhang mit dem mit seiner Mutter und seinem Bruder geschlossenen Versorgungsvertrag der hälftige Miteigentumsanteil an drei Grundstücken in O-P übertragen wurde. Zum anderen war dem EuGH bekannt, dass dem Kläger das Grundstück H, W.Platz 7 bereits früher übertragen worden war und nunmehr das zuvor bestehende Nießbrauchsrecht in eine Geldrente umgewandelt wurde, wie sich aus dem im Abschnitt „Ausgangsverfahren und Vorlagefrage“ mitgeteilten Sachverhalt ergibt. Zudem zitiert der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 11. Juni 2012 die Ausführungen des EuGH zu Tz. 45 irreführend, wenn er den ersten Satz weglässt, in dem es heißt, dass „die auf Herrn S übertragenen Grundstücke zumindest zum Teil mit Nießbrauchsrechten belastet waren, die in eine seiner Mutter zu zahlende monatliche Rente umgewandelt wurden“ und damit verschweigt, dass sich der mit einem „somit“ eingeleitete zweite Satz der Tz. 45 ausdrücklich auf die Umwandlung der Nießbrauchsvereinbarung in eine Rentenzahlungsverpflichtung bezieht.
38
Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass im Gegensatz zu gebietsansässigen Steuerpflichtigen die Rentenzahlungen beim Vermögensübergeber nicht zu versteuern sind, verkennt er den Grundsatz der Individualbesteuerung. Die steuerliche Benachteiligung des Klägers gegenüber in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen wird nicht dadurch aufgehoben, dass seine Mutter die Rentenbezüge nicht zu versteuern hat. Im Übrigen ist die Argumentation des Beklagten auch in wirtschaftlicher Hinsicht unzutreffend, weil die Rentenbezieher mehrheitlich niedriger besteuert werden als diejenigen, auf die das Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen wird, so dass der nationale Gesetzgeber den darin liegenden steuerlichen Vorteil dann verweigert, wenn an der Vermögensübergabe ein beschränkt Steuerpflichtiger beteiligt ist.
39
Der Senat sieht keinen Grund, die Revision zuzulassen. Zwar hatte der Rechtsstreit bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen grundsätzliche Bedeutung. Seit der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden hat, geht es in dem Verfahren nur noch um die Umsetzung des EuGH-Urteils im Einzelfall. Soweit der Beklagte ausführt, die Stattgabe führe faktisch zu einer Verwerfung des § 50 Abs. 1 Satz 4 EStG, verkennt er, dass sich dies für im EU-Ausland lebende Steuerpflichtige bereits aus der Entscheidung des EuGH ergibt. An dessen Entscheidung ist das erkennende Gericht ebenso gebunden, wie der BFH an die Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen gebunden wäre. Der Hinweis des Beklagten auf das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts liegt in diesem Zusammenhang gänzlich neben der Sache.
40
Die Berechnung der Steuern wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen weil die Ermittlung der festzusetzenden Steuern einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
42
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Keine Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge aus Darlehensverträgen zwischen einander nahe stehende Personen

Keine Anwendung des Abgeltungssteuersatzes auf Kapitalerträge aus Darlehensverträgen zwischen einander nahe stehende Personen – § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a EStG 2009 verfassungsgemäßNiedersächsisches Finanzgericht 15. Senat, Urteil vom 18.06.2012, 15 K 417/10

§ 32a EStG 2009, § 32d Abs 1 EStG 2009, § 32d Abs 2 Nr 1 Buchst a EStG 2009, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, § 1 Abs 2 AStG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die aufgrund von Angehörigendarlehen im Jahre 2009 (Streitjahr) vereinnahmten Zinserträge dem tariflichen Steuersatz (§ 32a des Einkommensteuergesetzes – EStG -) oder dem sog. Abgeltungssteuersatz (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) unterliegen.

2
Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Im Streitjahr erzielten sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und darüber hinaus sonstige Einkünfte (Renten).

3
Die Kläger schlossen als Darlehensgeber in den Jahren 2007 und 2008 mit ihrem Sohn (S) sowie ihren volljährigen Enkeln (E 1 und E 2) jeweils einen schriftlichen Darlehensvertrag ab. Die Darlehensnehmer waren auch bei Abschluss der Verträge von den Klägern wirtschaftlich unabhängig. (…) Die Darlehensbeträge beliefen sich auf 650.000,00 € (S), 110.000,00 € (E 1) und 100.000,00 € (E 2). Es wurde jeweils ein fester Zinssatz vereinbart. Eine Vereinbarung über eine Besicherung der Darlehen trafen die Vertragspartner nicht. Den beiden Enkeln räumten die Kläger ausdrücklich das Recht zu vorzeitigen unregelmäßigen Tilgungen ein, ohne dass Vorfälligkeitsentschädigungen vereinbart wurden. Die Verträge dienten dazu, den Darlehensnehmern die Anschaffung fremdvermieteter Immobilien zu ermöglichen. Aufgrund der Darlehensverträge erzielten die Kläger im Streitjahr Zinseinnahmen in Höhe von insgesamt rd. 29.000,00 € (…) Die Darlehensnehmer können die Beträge, die den Klägern tatsächlich zuflossen, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten geltend machen.

4
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte das FA die Zinseinnahmen aus den Darlehensverträgen bei den der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. (…) Sie machten geltend, auch diese Zinseinnahmen gehörten zu denjenigen Kapitaleinkünften, auf die der Abgeltungssteuersatz von 25 v. H. (§ 32d Abs. 1 EStG) anzuwenden sei. Die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, wonach der Abgeltungssteuersatz nicht auf Darlehen zwischen einander nahe stehenden Personen anzuwenden sei, sei verfassungswidrig. Denn sie verstoße gegen den in Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verankerten allgemeinen Gleichheitssatz und gegen den durch Art. 6 GG angeordneten Schutz von Ehe und Familie.

5
(…) Im Übrigen wies das FA den eingelegten Rechtsbehelf (…) als unbegründet zurück. Die von den Klägern erzielten Zinseinnahmen unterlägen nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht dem Abgeltungssteuersatz, sondern mit den übrigen Einkünften dem progressiven Steuertarif nach § 32a EStG.

6
Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben. Sie räumen ein, dass die betroffenen Zinseinnahmen vom Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung erfasst werden und damit nach der gesetzlichen Anordnung nicht dem Abgeltungssteuersatz unterliegen. Auch vertreten sie ausdrücklich die Auffassung, dass die Besteuerung von Einkünften mit dem tariflichen Steuersatz dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entspreche.

7
Bei wortgetreuer Auslegung halten die Kläger den Ausnahmetatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG jedoch für verfassungswidrig. Es handele sich um eine Missbrauchsbekämpfungsnorm, die vor allem solche Darlehenskonzeptionen verhindern solle, bei denen auf Seiten des Darlehensnehmers voll abzugsfähige Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten für den Zinsaufwand und auf Seiten des Darlehensgebers nur mit dem Abgeltungssteuersatz besteuerte Zinserträge generiert würden. Grundsätzlich sei es verfassungsrechtlich zwar nicht zu beanstanden, eine Missbrauchsbekämpfungsnorm zu schaffen. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung bekämpfe jedoch keinen Missbrauch, sondern unterstelle bei nahen Angehörigen unter Verletzung von Grundrechten pauschal eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung.

8
Zum einen sei nicht einsehbar, dass in den Fällen, in denen Privatkredite nicht nahen Angehörigen, sondern Dritten gewährt werden, die Zinserträge dem Abgeltungssteuersatz unterlägen, im Streitfall auf die Zinserträge jedoch der tarifliche Steuersatz zur Anwendung kommen solle. Die Auswirkungen dieser sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung seien erheblich: Während der persönliche Einkommensteuersatz der Kläger 42 v. H. betrage, sei der Abgeltungssteuersatz 17 Prozentpunkte niedriger. Damit werde auch das Gebot der Folgerichtigkeit verletzt. Denn die durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912) eingeführte Norm des § 32d EStG gelte nicht einheitlich für alle Steuerpflichtigen.

9
Zum anderen stünden Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Für das Einkommensteuerrecht habe der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 29. August 2007 IX R 17/07 (BFHE 219, 32, BStBl II 2008, 502) entschieden, dass es auch Angehörigen frei stehe, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Mit diesen Grundsätzen sei es nicht vereinbar, die Zinserträge aufgrund von Darlehensgewährungen an Familienangehörige höher zu besteuern als in den Fällen, in denen fremde Dritte Darlehensnehmer sind.

10
Da der Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG gegen Grundrechte verstoße, sei die Vorschrift so auszulegen, dass sie mit der Verfassung vereinbar sei. Dies könne dadurch erfolgen, dass die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG verfassungskonform auf „tatsächliche Missbrauchsfälle“ eingeschränkt werde. Im Streitfall liege kein Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor. Die Gestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse hielten einem Fremdvergleich stand. Den vertraglichen Gestaltungen lägen nachvollziehbare und rationale Erwägungen zugrunde. Der Erwerb einer Immobilie sei regelmäßig nur mit zusätzlichem Fremdkapital möglich. Im Übrigen seien die von den Darlehensnehmern geschuldeten Zinsen – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – tatsächlich an die Kläger geflossen.

11
Auch die Grundsätze, die das BVerfG im Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07 (BVerfGE 127, 224) zum pauschalierten Abzugsverbot für Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) aufgestellt habe, sprächen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.

12
Das FA ist der Klage entgegen getreten. Ein Verstoß gegen Grundrechte liege nicht vor. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung überschreite den dem Gesetzgeber zustehenden Regelungsspielraum nicht.

13
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass die in Rede stehenden Darlehensverträge steuerrechtlich zu berücksichtigen seien. (…)

 

Entscheidungsgründe

14
Die Klage ist unbegründet.

15
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in deren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Das FA hat die Zinseinnahmen aus den Angehörigendarlehen zu Recht den der tariflichen Einkommensteuer unterliegenden Einkünften aus Kapitalvermögen zugeordnet. Der Abgeltungssteuersatz findet hierauf nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung keine Anwendung. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung besteht kein Grund, den Anwendungsbereich dieser Regelung im Wege verfassungskonformer Auslegung auf – wie auch immer ausgestaltete – „tatsächliche Missbrauchsfälle“ zu begrenzen und im Ergebnis so zu fassen, dass die von ihnen vereinnahmten Kreditzinsen nicht mehr unter den Ausnahmetatbestand fallen.

16
1. Die in Rede stehenden Zinserträge sind – worüber zwischen den Beteiligten Einvernehmen besteht – steuerlich zu berücksichtigen.

17
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist bei Aufwendungen aufgrund eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen von einer Veranlassung durch die Einkunftserzielung grundsätzlich nur auszugehen, wenn die Vereinbarung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zustande gekommen ist und sowohl die inhaltliche Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen. Wegen des fehlenden Interessengegensatzes bei nahen Angehörigen kann nur diese, auf äußerlich erkennbare Beweisanzeichen gestützte Beurteilung sicherstellen, dass die Vertragsbeziehungen tatsächlich im Bereich der Einkunftserzielung und nicht im privaten Bereich (§ 12 EStG) wurzeln (vgl. BFH-Beschluss vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, 162 f., unter C. II. 1. und III. 1.; BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 290/82, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391, 394; vom 9. Mai 1996 IV R 64/93, BFHE 180, 380, BStBl II 1996, 642, 644; vom 9. Oktober 2001 VIII R 5/01, BFH/NV 2002, 334). Ob im Einzelfall ein Vertrag zwischen Angehörigen dem Fremdvergleich standhält, richtet sich nach der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten (vgl. BFH-Urteile vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196; vom 25. Januar 2000 VIII R 50/97, BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393, und in BFH/NV 2002/334). Dabei kann einzelnen Beweisanzeichen ein unterschiedliches Gewicht beigemessen werden; seit den Kammerbeschlüssen des BVerfG zum sog. Oder-Konto von Ehegatten (vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34; vom 15. August 1996 2 BvR 3027/95, DB 1996, 2470) ist in der Rechtsprechung des BFH wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht jede geringfügige Abweichung vom Üblichen ohne weiteres die steuerliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses ausschließt (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386, und in BFH/NV 2002, 334). Vielmehr sind die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbildbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine nicht ernstliche Vereinbarung zulassen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 17. Februar 1998 IX R 30/96, BFHE 185, 397, BStBl II 1998, 349, und in BFH/NV 2002, 334).

18
Bei einem verzinslichen Darlehen ist die Fremdüblichkeit insbesondere anhand der Vereinbarung über die Laufzeit und Rückzahlbarkeit, der regelmäßigen Entrichtung der geschuldeten Zinsen sowie der Darlehensbesicherung zu überprüfen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 191, 267, BStBl II 2000, 393 und in BFH/NV 2002, 334). Bei Anschaffungsdarlehen, die nach ihrem Anlass wie von einem Fremden gewährt werden, steht die fehlende Besicherung der Anerkennung der vertragsgemäß geleisteten Zinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten dann nicht entgegen, wenn das Rechtsgeschäft von volljährigen und voneinander wirtschaftlich unabhängigen Angehörigen geschlossen wurde (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 334, m. w. N; BFH-Beschluss vom 30. November 2007, IV B 162/06, juris, Rz. 10).

19
Werden diese Grundsätze auf den Streitfall übertragen, sind die von den Klägern vereinnahmten Zinsen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die inhaltliche Gestaltung nicht in allen Punkten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht. Dies gilt z. B. für die fehlende Besicherung und für die fehlende Vereinbarung über Vorfälligkeitsentschädigungen. Die gebotene Gesamtbildbetrachtung führt jedoch dazu, dass die Zinserträge nicht dem privaten Bereich, sondern den steuerlich relevanten Einkünften zuzuordnen sind. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die schriftlich fixierten Vereinbarungen tatsächlich gewollt waren und auch abredegemäß durchgeführt worden sind. Die an den Verträgen beteiligten Parteien waren bei Vertragsschluss volljährig und wirtschaftlich voneinander unabhängig, sie verfügten über Kenntnisse des Immobilienmarktes (…) Die Darlehensnehmer verfolgten mit der Kreditaufnahme den Zweck, (weitere) Immobilien zur Erzielung von Vermietungseinkünften anzuschaffen, und die Kläger als Darlehensgeber wollten S bzw. E 1 und E 2 dabei behilflich sein. Es handelte sich dagegen nicht um verschleierte Schenkungen oder um einen Missbrauch von steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 X R 139/05, BFH/NV 1999, 780; BFH-Beschluss vom 30. November 2007 IV B 162/06, juris, Rz. 10). Nach dem ohne weiteres nachvollziehbaren Vorbringen der Kläger diente die Darlehensaufnahme dazu, Zinszahlungen an Dritte (z. B. Banken) zu vermeiden. Im Lichte der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten können die – fraglos vorhandenen – Abweichungen vom Üblichen im Streitfall nicht dazu führen, die Zinserträge der Kläger als nichtsteuerbare Bezüge zu behandeln. Vielmehr sind die Erträge in Übereinstimmung mit der von den Beteiligten vertretenen Auffassung bei den Zinseinkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen.

20
2. Zu Recht hat das FA die Zinserträge nicht mit dem Abgeltungssteuersatz, sondern mit dem tariflichen Einkommensteuersatz besteuert. Der Abgeltungssteuersatz findet nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung auf Zinseinnahmen aus Angehörigenverträgen keine Anwendung, und entgegen der Ansicht der Kläger ist diese Ausnahmeregelung verfassungsgemäß und damit auf die in Rede stehenden Zinserträge anwendbar.

21
a) Der Gesetzgeber hat durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 u. a. die Besteuerung der Kapitalerträge reformiert, indem er die sog. Abgeltungssteuer eingeführt hat. Diese wird ab 1. Januar 2009 pauschal in Höhe von 25 v. H. der Kapitalerträge zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mit abgeltender Wirkung erhoben (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Steuer soll – soweit möglich – bereits an der Quelle durch den Schuldner der Erträge oder die inländische auszahlende Stelle (in der Regel ein Kreditinstitut) einbehalten und anonym abgeführt werden. Die Änderungen betreffen Kapitalerträge sowohl im Privat- als auch im Betriebsvermögen von Personenunternehmen. Das sog. Halbeinkünfteverfahren entfällt. Dem Steuerpflichtigen bleibt aber die Möglichkeit, auch Kapitalerträge, die der Kapitalertragsteuer unterworfen waren, in der Einkommensteuererklärung anzugeben, um eine über den Kapitalertragsteuerabzug erfolgte zu hohe Besteuerung zu berichtigen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ausgleichbare Verluste oder anrechenbare ausländische Steuern nicht hinreichend berücksichtigt wurden (§ 32d Abs. 1 Satz 2 EStG). Steuerpflichtige, deren individueller Steuersatz unter 25 v. H. liegt, haben die Möglichkeit, im Rahmen der Einkommensteuererklärung den für sie günstigeren individuellen Einkommensteuersatz zur Anwendung kommen zu lassen (§ 32d Abs. 6 EStG). Auch in diesen Fällen bleibt es bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, wie sie im Rahmen der Abgeltungssteuer vorgesehen ist, so dass insbesondere auch hier ein Werbungskostenabzug nicht möglich ist (vgl. etwa Harenberg / Zöller, Abgeltungssteuer 2011, 3. Aufl., S. 29 ff.).

22
b) § 32d Abs. 2 EStG ordnet an, dass der Abgeltungssteuersatz auf einige Konstellationen keine Anwendung findet. Hierzu gehören nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung Kapitalerträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 EStG, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahe stehende Personen sind.

23
Der Begriff der nahe stehenden Person ist gesetzlich nicht definiert. Nach der Begründung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD am 27. März 2007 vorgelegten Entwurfs eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 soll ein Näheverhältnis i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG(-E) vorliegen, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahe stehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (BT-Drucks 16/4841, S. 61). Die Finanzverwaltung hat diese – an die Begriffsbildung des § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) angelehnte – Definition im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 22. Dezember 2009 IV C 1 – S 2252/08/10004 2009/0860687 (BStBl I 2010, 94, Rz. 136, Satz 1) übernommen. Ergänzend heißt es dort, dass ein Näheverhältnis in diesem Sinne vorliegt, wenn Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i. S. des § 15 der Abgabenordnung (AO) sind oder wenn – außerhalb von Angehörigenverhältnissen – die Vertragsbeziehungen einem Fremdvergleich nicht standhalten (BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 136, Satz 2 und 3). In der Literatur wird demgegenüber die Auffassung vertreten, dass der Angehörigenbegriff des § 15 AO, der z. B. auch Verlobte, Neffen und Nichten umfasse, nicht zwangsläufig mit dem Begriff der nahe stehenden Personen i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG deckungsgleich sei. Nicht in jedem Fall sei ein Angehöriger eine nahe stehende Person. Da § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG den aus dem Bereich des AStG stammenden Begriff „nahe stehende Personen“ benutze, sei zur Begriffsbestimmung auf § 1 Abs. 2 AStG, nicht aber ab § 15 AO abzustellen (vgl. Harenberg / Zöller, Abgeltungssteuer 2011, 3. Aufl., S. 123 f., m. w. N.).

24
Die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG wird durch das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 weiter eingeschränkt. Hiernach finden die Bestimmungen des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nur Anwendung, wenn der Darlehensnehmer eine natürliche Person ist, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit und Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG und § 22 Nr. 3 EStG erzielt und sie die Darlehenszinsen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend machen kann oder der Darlehensnehmer eine Personengesellschaft ist, bei der hinsichtlich der Erträge aus der Darlehensgewährung § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG keine Anwendung findet.

25
Die tatbestandlichen Merkmale des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung werden im Streitfall erfüllt. Hierüber besteht auch zwischen den Beteiligten Einigkeit. Die Zinseinnahmen, die den Klägern aufgrund der in den Jahren 2007 und 2008 geschlossenen Darlehensverträge im Streitjahr zugeflossen sind, gehören zu den Kapitalerträgen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Kläger als Darlehensgeber und Gläubiger auf der einen Seite sowie deren Sohn und die beiden Enkel als Darlehensnehmer und Schuldner auf der anderen Seite sind einander nahe stehende Personen i. S. des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG, und zwar auch dann, wenn man nicht auf den Angehörigenbegriff des § 15 AO abhebt, sondern der von Teilen der Literatur vertretenen einengenden Auffassung folgt. Aus den Vereinbarungen, die in den Darlehensverträgen getroffen worden sind, geht hervor, dass es an dem bei Verträgen zwischen fremden Dritten üblichen Interessengegensatz fehlt. Der Verzicht auf Kreditsicherheiten und auf Vorfälligkeitsentschädigungen zeigen, dass es den Klägern bei der Darlehensgewährung nicht nur darum geht, die Rückzahlung der Darlehensbeträge zu sichern und Zinsen mindestens zum festgeschriebenen Zinssatz zu vereinnahmen. Vielmehr wollen sie ihren Sohn und ihre beiden Enkel erkennbar unter Hintanstellung eigener wirtschaftlicher In-teressen und Risiken auch dabei unterstützen, Mietwohngrundstücke anzuschaffen und hieraus eigene Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erwirtschaften (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). Auch die einschränkenden Voraussetzungen, die die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 aufgestellt hat, werden erfüllt. Denn die Darlehensnehmer sind vorliegend natürliche Personen, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen. Die Darlehenszinsen können sie als Werbungskosten geltend machen.

26
c) Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG (unten aa) oder Art. 3 Abs. 1 GG (unten bb) verfassungswidrig. Selbst wenn man – wie die Kläger – die Auffassung verträte, dass der bei wortgetreuer Auslegung weit gefasste Ausnahmetatbestand mit diesen Grundrechten unvereinbar ist, ist es möglich, in Übereinstimmung mit der von der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 vertretenen Ansicht die Anwendbarkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen und im Wege der verfassungskonformen Auslegung so zu zweifelsfrei verfassungsmäßigen Ergebnissen zu gelangen (unten cc). Es besteht demnach kein Anlass, nach Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen.

27
aa) Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot; ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 2005 1 BvR 1232/00, 1 BvR 2627/03, BVerfGE 114, 316, BFH/NV 2006, Beilage 1, 77, m. w. N.). Der Familienbegriff knüpft wie der Ehebegriff an das bürgerlich-rechtliche Institut der Familie an. Familie ist die umfassende Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (BVerfG-Beschluss vom 18. April 1989 2 BvR 1169/84, BVerfGE 80, 81, 90), wobei es auf Minder- oder Volljährigkeit nicht ankommt (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 1981 2 BvR 646/80, BVerfGE 57, 170, 178; Kammerbeschluss des BVerfG vom 21. Juli 2005 1 BvR 817/05, NVwZ-RR 2005, 826). Es besteht kein verfassungsrechtlicher Grund, die Familie auf die Kleinfamilie im Gegensatz zur Großfamilie zu beschränken (vgl. Kammerbeschluss des BVerfG vom 18. Dezember 2008 1 BvR 2604/06, BVerfGK 14, 539; Pieroth in Jarass / Pieroth, GG, 11. Aufl., Art. 6, Rz. 6). Das BVerfG misst Art. 6 Abs. 1 GG abgestufte Schutzwirkungen zu, je nachdem ob es sich um eine Lebens- und Erziehungsgemeinschaft, Hausgemeinschaft oder bloße Begegnungsgemeinschaft handelt (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 80, 81, 90 f. und in NVwZ-RR 2005, 826).

28
Art. 6 Abs. 1 GG untersagt insbesondere eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann zwar zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden. Insbesondere darf der Gesetzgeber Verheiratete steuerlich anders behandeln als Ledige. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses oder aus den finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben für eine bestimmte Steuerart einleuchtende Sachgründe ergeben. Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf gerade bei der konkreten Maßnahme die Ehe nicht diskriminieren (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 316, BFH/NV 2006, Beilage 1, 77, m. w. N.).

29
Das BVerfG hat mehrfach entschieden, dass die ständige Rechtsprechung des BFH, nach der Dienst- oder sonstige Vertragsverhältnisse zwischen Ehegatten steuerrechtlich nur anzuerkennen sind, wenn sie eindeutig und ernstlich vereinbart sind und entsprechend dieser Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt werden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Nach Ansicht des BVerfG trägt die BFH-Rechtsprechung den innerhalb eines Familienverbundes typischerweise fehlenden Interessengegensätzen und der daraus resultierenden Gefahr des steuerrechtlichen Missbrauchs zivilrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch Ehegatten Rechnung. Dem Gesetzgeber ist es gestattet, einem Missbrauch der Vertragsgestaltung zwischen Ehegatten entgegenzuwirken; der Gesetzgeber hat daher z. B. die Möglichkeit, an den Beweis des Abschlusses und der Ernstlichkeit der Verträge zwischen Ehegatten strenge Anforderungen zu stellen. Dies gilt nicht nur für vom Gesetzgeber zu normierende Tatbestände, sondern auch für ihre Auslegung und Anwendung durch die Rechtsprechung (Kammerbeschluss des BVerfG vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34 m. w. N.; BVerfG-Urteil vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318).

30
Nach diesen Grundsätzen, die nicht nur auf Vertragsbeziehungen zwischen Ehegatten, sondern auch auf Verträge zwischen Familienangehörigen anzuwenden sind, ist § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht zu beanstanden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Kläger zusammen mit ihren volljährigen Abkömmlingen eine Begegnungsgemeinschaft bilden und deshalb im persönlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG betroffen sind. Denn die Darlehenszinsen, die sie im Streitjahr aufgrund der mit ihrem Sohn und ihren Enkeln geschlossenen Darlehensverträge vereinnahmt haben, werden mit einem höheren Steuersatz besteuert, als es bei Darlehensgewährungen an Dritte der Fall wäre.

31
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung diskriminiert nicht gezielt Eheleute oder Familienangehörige, sondern nimmt alle Zinserträge von der Anwendbarkeit des Abgeltungssteuersatzes aus, die aus Verträgen herrühren, an denen als Gläubiger und Schuldner nahe stehende Personen beteiligt sind. Der Steuergesetzgeber verfolgt mit der Unternehmensteuerreform 2008 die Hauptziele, die Standortattraktivität zu erhöhen und das deutsche Steuersubstrat langfristig zu sichern (BT-Drucks 16/4841, S. 1). Zur Erreichung dieser Ziele hat der Gesetzgeber für Kapitalerträge den abgeltenden Steuertarif geschaffen (§ 32d Abs. 1 EStG). Der Abgeltungssteuersatz soll dazu beitragen, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu verbessern, um den Kapitalabfluss ins Ausland zu bremsen (BT-Drucks 16/4841, S. 1, 60). Umgekehrt haben die damaligen Mehrheitsfraktionen als Entwurfsverfasser auch klar gestellt, was durch den Abgeltungssteuersatz nicht bezweckt werden soll. Es sollten keine Anreize dafür geschaffen werden, Eigenkapital in die privilegiert besteuerte private Anlageebene zu verlagern und durch Fremdkapital zu ersetzen. Gestaltungen seien zu verhindern, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne z. B. in Form von Darlehenszinsen abgesaugt würden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungssteuersatz reduziert werde. Unternehmerische Entscheidungen über die Finanzierungsstruktur des Unternehmens sollten steuerlich unverzerrt bleiben (BT-Drucks 16/4841, S. 60). Deshalb seien die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG (-E) vorgesehenen Ausnahmen geboten. Bei den von dieser Vorschrift erfassten Fallgestaltungen bestehe grundsätzlich die Gefahr, die Steuerspreizung auszunutzen, ohne dem Sinn und Zweck der Einführung des abgeltenden Steuersatzes zu entsprechen (BT-Drucks 16/4841, S. 61).

32
Hierbei handelt es sich um einleuchtende Sachgründe, die es rechtfertigen, Kapitalerträge aus Angehörigendarlehen von der Anwendbarkeit des abgeltenden Steuersatzes auszunehmen, auch wenn es dadurch – wie im Streitfall – zu einer Schlechterstellung von Familienangehörigen als Darlehensgläubiger kommen kann. Das BVerfG geht bei Verträgen zwischen Ehegatten oder Familienangehörigen von typischerweise fehlenden Interessengegensätzen und damit von der Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen aus, die vom Gesetzgeber durch entsprechende Vorschriften unterbunden werden können. Um eine solche Vorschrift handelt es sich bei § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung getroffen, dass die Einführung der abgeltenden Steuer auf Finanzierungsgestaltungen möglichst keinen Einfluss haben soll. Umgekehrt ausgedrückt, sieht der Gesetzgeber einen Missbrauch der der Standortattraktivität und Sicherung des Steueraufkommens dienenden Vorschrift des § 32d Abs. 1 EStG darin, dass Zinsen als Aufwendungen voll abzugsfähig sind, als Einnahmen jedoch nur dem Abgeltungssteuersatz unterliegen. Dies wäre z. B. dann der Fall, wenn ein Gewerbetreibender, auf dessen Einkünfte ein höherer Steuersatz nach § 32a EStG als 25 v. H. anzuwenden ist, bei seiner Ehefrau einen Kredit aufnimmt und die Kreditzinsen als Betriebsausgaben absetzt (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 28. Aufl., § 32d Rz. 8). Weder die gesetzgeberische Einschätzung, dass solche Gestaltungen mangels Interessengegensatzes vor allem von einander nahe stehenden Personen gewählt werden, noch der Ausnahmetatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung, der den vom Gesetzgeber befürchteten Missbrauch verhindern soll, begründet eine verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Schlechterstellung von Ehe und Familie.

33
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägern zitierten BFH-Urteil in BFHE 219, 32, BStBl II 2008, 502. Zwar ist es auch Angehörigen unbenommen, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Mit § 32d Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG will der Gesetzgeber jedoch in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bestimmte steuerpolitisch unerwünschte Gestaltungen von vornherein ausschließen.

34
bb) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, Rz. 50; vom 12. Mai 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, BFH/NV 2009, 1382; vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481; vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, BFH/NV 2005, Beilage 1, 33).

35
Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 127, 224, Rz. 51; in BVerfGE 123, 111, BFH/NV 2009, 1382, Rz. 26; in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 70, jeweils m. w. N.).

36
Bei der Einkommensteuer liegt die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, soweit auch im oberen Bereich den Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein – absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet – hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Wählt der Gesetzgeber für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren (sog. Schedulenbesteuerung), muss diese Ungleichbehandlung besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten reicht dafür nicht. Vielmehr gelten für Sondertarife keine geringeren Rechtfertigungsanforderungen als für Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips, die durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt werden müssen. Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit macht es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einfließen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden (vgl. z. B. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 71, m. w. N.).

37
Ob die herangezogenen Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, lässt sich nicht unabhängig von den konkret bewirkten Ungleichbehandlungen beurteilen. Führt eine Norm zur Ungleichbehandlung mehrerer Vergleichsgruppen, muss die Ungleichbehandlung bezogen auf die jeweilige Vergleichsgruppe durch einen hinreichenden sachlichen Grund gerechtfertigt werden. Lassen sich die einzelnen Ungleichbehandlungen nur durch unterschiedliche Gründe rechtfertigen, dürfen diese Gründe zueinander nicht in Widerspruch stehen, sondern müssen innerhalb eines vertretbaren gesetzgeberischen Konzepts aufeinander abgestimmt sein (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 72).

38
Im Übrigen ist der Steuergesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen. Dann aber muss der Förderungs- und Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen und gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Dabei ist dem Gesetzgeber hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Diagnose und Prognose sowie bei der Wahl sachgerechter Mittel, insbesondere auch bei der Antwort auf die Frage, wie der Kreis der Begünstigten sachgerecht abzugrenzen ist, ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum einzuräumen; das gilt für direkte und auch für indirekte (steuerliche) Subventionen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 74).

39
Unabhängig davon, ob mit einer Steuernorm allein Fiskalzwecke oder auch Förderungs- und Lenkungsziele verfolgt werden, ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten: Jede gesetzliche Regelung muss verallgemeinern. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Er darf jedoch für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zu Grunde legen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481, Rz. 75).

40
Von diesen Maßstäben ausgehend, ist ein Verstoß der Ausnahmeregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht festzustellen. Anhaltspunkte für verfassungswidrige Ungleichbehandlungen liegen nicht vor. Der Gesetzgeber hat willkürfrei innerhalb des ihm zustehenden Regelungsspielraums entschieden, dass Zinserträge aus Darlehensverträgen, die zwischen einander nahe stehenden Personen abgeschlossen werden, nicht dem Abgeltungssteuersatz, sondern der tariflichen Einkommensteuer unterliegen.

41
Die mit der Unternehmensteuerreform 2008 verfolgten Ziele sind verfassungsrechtlich nicht zu missbilligen. Während der Sicherung des Steueraufkommens fiskalische Erwägungen zugrunde liegen, handelt es sich bei der Erhöhung der Standortattraktivität vor allem um ein dem Gemeinwohl dienendes Lenkungsziel. Nicht zu beanstanden ist auch der gesetzgeberische Wille, Finanzierungsentscheidungen durch den Abgeltungssteuersatz steuerlich nicht zu „verzerren“. Zur Erreichung seiner Ziele durfte der Gesetzgeber den Kreis der Begünstigen nach sachgerechten Kriterien bestimmen und dabei die Prognose aufstellen, in welchen Fällen seine Ziele nicht erreicht würden. Zur Sicherung des Steuersubstrats und zur Verhinderung des Kapitalabflusses tragen u. a. solche vertraglichen Gestaltungen nicht bei, die dazu führen würden, dass auf Seiten des Gläubigers Kapitalerträge nur zu 25 v. H. besteuert werden und die entsprechenden Aufwendungen auf Seiten des Schuldners als in vollem Umfang abziehbare Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass typischerweise einander nahe stehende Personen vor allem auf Steuerersparnis ausgerichtete Gestaltungen vereinbaren. Andere Erwägungen spielen in diesen Fällen bei der Vertragsgestaltung regelmäßig nur eine untergeordnete Rolle, weil es an gegenläufigen wirtschaftlichen Interessen fehlt. Zu solchen Gestaltungen, die nur auf der Grundlage eines besonderen Vertrauensverhältnisses möglich sind, zählen etwa – wie im Streitfall – Darlehensgewährungen ohne Vereinbarungen über Vorfälligkeitsentschädigungen oder Kreditsicherheiten.

42
Dass der Gesetzgeber die Verfehlung des Normzwecks bei vertraglichen Gestaltungen zwischen einander nahe stehenden Personen befürchtet, ist daher nachvollziehbar und stellt einen besonderen sachlichen Grund dar, der die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG normierte Ausnahme vom Ausgangstatbestand rechtfertigt. Dem stehen auch nicht die Grundsätze entgegen, die das BVerfG in seinem von den Klägern in Bezug genommenen Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des § 8b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 KStG aufgestellt hat (BVerfGE 127, 224). Diese Grundsätze knüpfen an die in ständiger Rechtsprechung aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen für Ungleichbehandlungen im (Einkommen-) Steuerrecht an und verbieten es dem Gesetzgeber nicht, unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen von pauschalen Steuersätzen zu machen.

43
cc) Selbst wenn man – anders als der Senat aus den oben 2. c) aa) und bb) dargestellten Erwägungen – die Auffassung vertritt, der Gesetzgeber habe seine Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung dadurch überschritten, dass er durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung ohne weitere Einschränkung alle Kapitalerträge aus Angehörigenverträgen von der Anwendung des Abgeltungssteuersatzes ausnimmt, hat dies nicht die Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG zur Folge. Denn § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann jedenfalls verfassungskonform so ausgelegt werden, dass die Anwendbarkeit dieses Ausnahmetatbestandes im Sinne des BMF-Schreibens in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 eingeschränkt wird. Wenn überhaupt – was der Senat verneint – eine verfassungskonforme Auslegung geboten ist, macht diese es zweifelsohne nicht erforderlich, die Anwendbarkeit der Norm von weiteren Kriterien, die über die im BMF-Schreiben genannten Anwendungsvoraussetzungen hinausgehen, abhängig zu machen.

44
Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Durch den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck werden der verfassungskonformen Auslegung Grenzen gezogen. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z. B. Beschlüsse vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 122, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 und vom 14. Oktober 2008 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39; so auch BFH-Urteil vom 31. August 2010 VIII R 11/08, BFHE 230, 486, BStBl II 2011, 72) .

45
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung bietet Raum für eine Auslegung, durch die der Anwendungsbereich von den weiteren, im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 genannten Voraussetzungen abhängig gemacht wird. Damit wird der Anwendungsbereich im Wesentlichen auf diejenigen Fälle beschränkt, die auch durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) vom Abgeltungssteuersatz ausgenommen sind.

46
Dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung lassen sich gegen eine beschränkende Auslegung keine durchgreifenden Bedenken entnehmen. Der Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestandes wird lediglich eingeengt, nicht aber etwa verschoben. Es werden dadurch keine weiteren Kapitalerträge von der Anwendung des Abgeltungssteuersatzes ausgenommen.

47
Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in Anlehnung an das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen, steht im Einklang mit der Entstehungsgeschichte sowie mit dem Sinne und Zweck der Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/4841, S. 60) sollen durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG(-E) solche Fälle vom abgeltenden Steuersatz ausgenommen werden, in denen eine Steuersatzspreizung (Abzug als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten mit Wirkung des individuellen Steuersatzes, Besteuerung der Zinseinnahmen mit dem Abgeltungssteuersatz) gestaltet werden könnte. Dass nur insoweit ein Regelungsbedürfnis besteht, hat der Gesetzgeber in den Entwürfen und Beratungen des JStG 2010 deutlich gemacht. Der von der Bundesregierung am 23. Juni 2010 in den Bundestag eingebrachte Entwurf sah zwar noch keine Änderung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG vor (BT-Drucks 17/2249). Jedoch hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 9. Juli 2010 vorgeschlagen, die Ausnahmeregelung auf Fälle zu beschränken, in denen die Darlehenszinsen Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften i. S. des § 20 Abs. 8 EStG sind (BR-Drucks 318/10, S. 44). Auf diesen Änderungsantrag des Bundesrates ist es zurückzuführen, dass § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG durch das JStG 2010 schließlich geändert worden ist. Nach der heutigen, seit dem Jahr 2011 anwendbaren Fassung dieser Regelung gilt der abgeltende Steuersatz für Kapitalerträge i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht, wenn Gläubiger und Schuldner einander nahe stehende Personen sind, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen und § 20 Abs. 9 Satz 1 zweiter Halbsatz EStG keine Anwendung findet. Im Kern ist die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestandes damit so beschränkt worden, wie es das BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 auch für die Veranlagungszeiträume 2009 und 2010 vorgesehen hat.

48
Die zusätzlichen, von der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 94, Rz. 134 aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen führen dazu, dass Kapitalerträge nur und genau in denjenigen Fällen, die der Gesetzgeber vom abgeltenden Steuersatz ausnehmen wollte, dem Steuersatz nach § 32a EStG unterliegen. Die Umsetzung dieses Willens ist – wie oben 2. c) aa) und bb) ausgeführt – verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

49
Auch die von der Finanzverwaltung ohnehin vorgenommene einengende Auslegung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG führt, wie bereits oben 2. b) gezeigt, im Ergebnis dazu, dass auf die von den Klägern im Streitjahr vereinnahmten Zinsen der Steuersatz nach § 32d Abs. 1 EStG keine Anwendung findet. Ungeachtet dessen, dass der Senat eine verfassungskonforme Auslegung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nicht für erforderlich hält, ist jedenfalls eine weitere Beschränkung des Anwendungsbereichs, wie von den Klägern gefordert, ist unter keinem (verfassungs-) rechtlichen Gesichtspunkt geboten.

50
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen. Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 115 Abs. 2 FGO).

Die neue elektronische Bilanz kommt

Merkblatt informiert Unternehmen über die Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Daten an die Finanzbehörden

Potsdam – Bilanzierende Unternehmen in Deutschland sind im Regelfall ab diesem
Jahr gesetzlich dazu verpflichtet, Inhalte der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung elektronisch an die Finanzbehörden zu senden. Damit wird die
Abgabe der Unterlagen in Papierform beim Finanzamt durch die elektronische
Übermittlung ersetzt. Um Unternehmen Orientierung bei der Umstellung auf die
sogenannte E-Bilanz, das heißt auf die elektronische Übermittlung der Daten zu
bieten, hat das Brandenburgische Finanzministerium hierzu jetzt ein neues Merkblatt
herausgegeben. Unter dem Titel „Merkblatt für Unternehmen zur neuen elektronischen
Bilanz“ informiert dieses anschaulich darüber, welche Pflichten für Unternehmen
bestehen und welche technischen Anforderungen für die E-Bilanz erfüllt
werden müssen.

Das Merkblatt erläutert beispielsweise, dass Unternehmen unabhängig von der
Rechtsform oder der Größenklasse des Unternehmens zur elektronischen Übermittlung
der Daten an die Finanzbehörden verpflichtet sind. Neben den jährlichen
Schlussbilanzen sind auch die anlässlich einer Betriebsveräußerung, Betriebsaufgabe,
Änderung der Gewinnermittlungsart oder in Umwandlungsfällen zu erstellenden
Bilanzen ebenso wie Eröffnungsbilanzen elektronisch zu übermitteln.
Der Vorteil für Unternehmen liegt darin, zukünftig diese Steuerdaten schnell, sicher
und medienbruchfrei zu übermitteln.

Erhältlich ist das neue Merkblatt kostenlos im PDF-Format auf der Seite des Ministeriums
der Finanzen (www.mdf.brandenburg.de -> Publikationen) oder im
Internetauftritt der Brandenburgischen Finanzämter
(www.finanzamt.brandenburg.de -> Broschüren und Informationsmaterial).

 

Ziel der E-Bilanz „Elektronik statt Papier“

Bereits Ende 2008 hat der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, den Abbau bürokratischer Lasten durch die verstärkte Nutzung moderner Datentechnik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und der Verwaltung voranzubringen. Nach dem Motto „Elektronik statt Papier“ werden papierbasierte Verfahrensabläufe künftig durch elektronische Kommunikation ersetzt und die steuerlichen Pflichten können schnell und medienbruchfrei erfüllt werden. Dies soll zur Transparenz, zur Qualitätssteigerung und letztlich zur Kostenersparnis beitragen.

Wer ist zur Abgabe verpflichtet?

Alle Bilanzierungspflichtigen oder freiwillig Bilanzierenden sind zur Abgabe einer E-Bilanz, d.h. zur elektronischen Übermittlung der Inhalte der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, verpflichtet. Es besteht keine Freiwilligkeit oder Wahlmöglichkeit, sondern die Abgabe der Unterlagen in Papierform wird durch die Übermittlung per Datenfernübertragung ersetzt. Dies gilt unabhängig von der Rechtsform oder der Größenklasse des Unternehmens. Neben den jährlichen Schlussbilanzen sind die anlässlich einer Betriebsveräußerung, Betriebsaufgabe, Änderung der Gewinnermittlungsart oder in Umwandlungsfällen zu erstellenden Bilanzen ebenso wie Eröffnungsbilanzen elektronisch zu übermitteln.

Ab wann ist die Bilanz elektronisch abzugeben?

Die elektronische Übermittlung ist gesetzlich vorgeschrieben für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2011 beginnen (§ 5b, § 51 Absatz 4 Nummer 1c, § 52 Absatz 15a Einkommensteuergesetz). Für das Jahr 2012 wird es aber nicht beanstandet, wenn Unternehmen die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung noch nicht in elektronischer Form, sondern in Papierform einreichen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. September 2011).

Für steuerbefreite Körperschaften, ausländische Betriebsstätten und inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen besteht die Pflicht zur elektronischen Übermittlung erst für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen.

Welche Anforderungen werden an die E-Bilanz gestellt?

Übertragungsformat

Die Bilanzdaten werden als XBRL-Datensatz übermittelt. Diese frei verfügbare elektronische „Sprache“ (eXtensible BusinessReporting Language – www.xbrl.de) ist ein weltweit verbreiteter Standard für den elektronischen Datenaustausch von Unternehmensinformationen, der auch z. B. für die Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger genutzt wird und grundsätzlich für alle Rechtsformen geeignet ist.

Datenschema für Jahresabschlussdaten

Ausgehend von der HGB-Taxonomie hat die Finanzverwaltung den Mindestumfang, vergleichbar mit einem Kontenrahmen, festgelegt. Das Datenschema enthält unter anderem die Übersendungsmöglichkeit für die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung, die Ergebnisverwendung und die Kapitalkontenentwicklung. Ansätze und Beträge in der Handelsbilanz, die den steuerlichen Vorschriften nicht entsprechen, sind durch Zusätze oder Anmerkungen (sog. Überleitungsrechnung) anzupassen und ebenfalls zu übermitteln. Alternativ hierzu kann auch eine Steuerbilanz elektronisch übermittelt werden.

In einem sog. GCD-Modul werden Informationen zum Unternehmen übermittelt. Die eigentlichen Daten enthält das sog. GAAP-Modul. Während bestimmte Positionen ausgefüllt werden müssen (Mussfelder), sind andere Daten optional (Kannfelder). Individuelle Erweiterungen sind nicht zulässig, stattdessen sind Auffangpostionen vorgesehen. Auszufüllen sind grundsätzlich nur solche Mussfelder, die in der Buchführung des betreffenden Unternehmens vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall oder lassen sich die Positionen aus der Buchführung nicht ableiten, wird das Mussfeld ohne Wert (technisch: NIL-Wert „Not in List“) gesendet.

Die Taxonomie wird jährlich aktualisiert und als amtlich vorgeschriebener Datensatz nach § 5b Einkommensteuergesetz veröffentlicht. Für bestimmte Wirtschaftszweige wurden Branchentaxonomien erstellt, die für die Übermittlung der Datensätze zu verwenden sind. Dies sind Spezialtaxonomien (Banken und Versicherungen) oder Ergänzungstaxonomien (Wohnungswirtschaft, Verkehrsunternehmen, Land- und Forstwirtschaft, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Kommunale Eigenbetriebe).

Die Übertragung der erforderlichen Daten aus der Buchführung in das XBRL-Format geschieht mit einer entsprechenden Software, die von den verschiedenen Anbietern bereits entwickelt wurde.

Die verbindlichen Taxonomiedateien, eine Visualisierung der Taxonomie sowie Hilfestellungen sind unter www.esteuer.deabrufbar.

 

Übermittlung der Daten

Die Daten werden mit dem Elster Rich Client (ERiC) übertragen. Hier wird geprüft, ob der Mindestumfang eingehalten wurde und der Datensatz rechnerisch richtig ist. Außerdem werden einzelne Plausibilitätsprüfungen durchgeführt. Bei Fehlern erfolgt eine unmittelbare Rückmeldung an den Übermittler mit entsprechenden Hinweisen. Steuererklärungen sind bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2011 ebenfalls elektronisch zu übermitteln, sofern Gewinneinkünfte vorliegen. Die Übermittlung ist technisch nicht mit der E-Bilanz verknüpft.

Die Unternehmensdaten dienen allein dem Besteuerungsverfahren und unterliegen dem Steuergeheimnis. Sie können von anderen Unternehmen nicht eingesehen werden.

Gibt es Befreiungsmöglichkeiten?

Zur Vermeidung von unbilligen Härten kann die zuständige Finanzbehörde auf Antrag auf die elektronische Übermittlung verzichten (§ 5b Absatz 2 Satz 2 Einkommensteuergesetz in Verbindung mit § 150 Absatz 8 Abgabenordnung). Vorraussetzung ist aber, dass die elektronische Übermittlung wirtschaftlich oder persönlich unzumutbar ist (Härtefall).

Einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen: Fall von geringer Bedeutung, wenn Höhe und Aufteilung des festzustellenden Betrages feststehen

Finanzgericht Köln, 1 K 1585/10

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 1585/10
Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen der Einkommensbesteuerung für das Jahr 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand2Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit 1984 Gemeinschaftskonten bei der A Bank AG (in B, Lichtenstein) und erzielten erhebliche Zinseinkünfte, die sie nicht erklärten. Am 30.10.2008 erstatteten sie hierüber eine Selbstanzeige. In der nachfolgenden Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Zinseinnahmen für 1996 i.H.v. 140.000 DM sowie der Werbungskosten i.H.v. 7.000 DM. Dies wurde im Bericht der Steuerprüfung vom 18.8.2009 festgehalten.

3Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 für das Streitjahr die Einkommensteuer entsprechend der einvernehmlichen Schätzung der Zinseinkünfte. Auch für die Folgejahre erfolgten entsprechende Änderungen. Auf den Einspruch der Kläger wurde der Bescheid für das Streitjahr 1996 aufgehoben. Am 30.10.2009 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Zinseinkünfte der Kläger entsprechend der einvernehmlichen Schätzung im Steuerfahndungsprüfungsverfahren und eine hälftige Aufteilung. Auf dieser Grundlage ergingen erneute Einkommensteuerbescheide.

4Gegen den Feststellungsbescheid erhoben die Kläger am 23.12.2009 Einspruch, über den der Beklagte am 23.4.2010 abschlägig entschied: Für die Feststellung sei Verjährung noch nicht eingetreten, da die Kläger für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben hätten und die Verjährungsfrist deshalb erst mit Ablauf des dritten Jahres nach Ablauf des Jahres begonnen habe, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte, also mit Ablauf des Jahres 2000. Die Feststellung sei unstrittig erforderlich, nur aus technischen Gründen sei sie erst am 30.10.2009 zustande gekommen. Die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 sei nur zur Behebung des Verfahrensmangels erfolgt.

5Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.5.2010. Die Kläger tragen vor, ein Feststellungsbescheid sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO handele. Zudem hätten die Kläger aufgrund der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 darauf vertraut, dass der Beklagte auf eine Feststellung verzichte und der Steueranspruch deshalb verjährt sei. Dies Vertrauen verdiene Schutz.

6Die Kläger beantragen,

7den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.4.2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8Der Beklagte beantragt,

9die Klage abzuweisen,

10hilfsweise die Zulassung der Revision.

11Er macht geltend, es liege kein Fall geringer Bedeutung vor. Maßgeblich sei nicht der einzelne Veranlagungszeitraum, sondern der “Steuerfall“ insgesamt, der sich vorliegend über etliche Jahre erstrecke, von denen mehrere noch im Streit stünden. Zudem dürfe auch für das Streitjahr nicht auf den Zeitpunkt nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung abgestellt werden. Maßgeblich sei vielmehr der Beginn und der Verlauf der Prüfung, worin große Unklarheit geherrscht habe, bis es schließlich zu der einvernehmlichen Schätzung gekommen sei. Der Verzicht auf eine Feststellung in derartigen Fällen wäre auch unpraktikabel, insbesondere wenn, anders als bei Eheleuten, verschiedene Veranlagungsbezirke im Finanzamt zuständig seien. Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Der Erlass der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide habe auf einem technischen Versehen beruht. Die Feststellung sei als Grundlage für die Besteuerung von vornherein beabsichtigt gewesen.

12Entscheidungsgründe

13Die Klage ist begründet.

14Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

15I.              Die Feststellung hätte nicht ergehen dürfen. Gegenstand sind zwar Einkünfte, an denen mehrere Personen, nämlich die Kläger, beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), jedoch gilt die letztere Vorschrift nicht, wenn es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO handelt. Dies ist vorliegend der Fall. § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO nennt selbst den entscheidenden Gesichtspunkt zur Beurteilung eines Falles als von „geringer Bedeutung“: Er liegt insbesondere dann vor, wenn Höhe und Aufteilung des festgestellten Betrags feststehen. Dies war vorliegend zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids der Fall, da eine zwischen den Beteiligten einvernehmliche Schätzung der Einkünfte stattgefunden hatte und die hälftige Aufteilung problemlos und unstreitig war. Auslegungsleitend für die Frage der „geringen Bedeutung“ ist nicht die Höhe der Einkünfte, sondern die Frage ob die Gefahr abweichender Entscheidungen besteht, die einheitliche Feststellung also überflüssig und verfahrensunökonomisch wäre.

16Siehe hierzu und zu den folgenden Grundsätzen Tipke-Kruse AO (Loseblattkommentar) Rn. 50 zu § 180 AO sowie die Bundestagsdrucksache 10/1636, 46 (zitiert in Tipke-Kruse a.a.O. Rn. 49 zu § 180 AO).

17Indizien hierfür sind, dass die Besteuerungsgrundlagen bereits ermittelt sind und sich voraussichtlich nicht mehr verändern werden, dass die Verhältnisse leicht überschaubar sind und keine Zurechnungsprobleme bestehen, ferner die Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts auch für die einheitliche Feststellung sowie Kurzfristigkeit. Gegenindizien sind insbesondere streitige Sach- und Rechtsfragen sowie die Zuständigkeit verschiedener Finanzämter.

18Siehe dazu Tipke-Kruse a.a.O. mit den Nachweisen der Rechtsprechung des BFH.

19Vorliegend sind die genannten Gegenindizien nicht gegeben, da durch die einvernehmliche Schätzung die vorher streitigen Sachfragen ausgeräumt wurden und der Beklagte sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung beider Kläger zuständig ist. Die Indizien für „geringe Bedeutung“ sind hingegen überwiegend und im maßgeblichen Umfang erfüllt. Im Zeitpunkt des Ergehens des Feststellungsbescheids waren die Besteuerungsgrundlagen durch die einvernehmliche Schätzung ermittelt und werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ändern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhältnisse dementsprechend auch überschaubar. Zurechnungsprobleme haben nie bestanden. Das Element der Kurzfristigkeit, dass im BFH-Urteil vom 26.10.1971 VIIIR 137/70, BStBl II 1972,215 aufgeführt wird, mag vorliegend insofern fraglich sein, als es sich nicht um einen einzelnen Fall der Einkommensteuererzielung handelte, sondern die Einkünftegemeinschaft sich über mehrere Jahre erstreckte. Dem kommt nach Auffassung des Senats jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da die hier betroffenen und festgestellten Zinseinkünfte im überschaubaren Zeitraum des Streitjahres erzielt wurden. Hinzu kommt, dass die zitierte BFH-Entscheidung vor 1987 erging, also bevor der Gesetzgeber durch die Neufassung der Abgabenordnung die Gewichtung der Auslegung des Begriffs „geringe Bedeutung“ neu geregelt und klargestellt hatte.

20Der Senat folgt der Auffassung des Beklagten, es sei nicht auf das einzelne Steuerjahr, sondern auf den gesamten Steuerfall abzustellen, nicht. Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Dementsprechend erließ der Beklagte auch für jedes einzelne Steuerjahr je gesonderte Feststellungsbescheide. Deren Rechtmäßigkeit ist dementsprechend auch je gesondert unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO zu prüfen.

21Ebenso wenig folgt der Senat der Auffassung des Beklagten, für die Bewertung nach § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO komme es auf einen Zeitpunkt vor der Steuerfahndungsprüfung an, zu dem der Fall noch unübersichtlich gewesen sei. Für die Beurteilung, ob ein Feststellungsbescheid erforderlich ist und deshalb ergehen darf und muss, sind wie für alle Verwaltungsakte die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Erlasses (oder der Entscheidung, vom Erlass abzusehen) erkennbar sind. Im Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Feststellungsbescheids war aber nach Auffassung des Senats erkennbar, dass er nicht erforderlich und deshalb auch nicht rechtmäßig war.

22Die vom Beklagten aufgeführten Praktikabilitätserwägungen überzeugen den Senat nicht. Wenn, wie vorliegend, ein und dasselbe Finanzamt sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung zuständig ist, kann eine allfällige Abstimmung unter den Veranlagungsbezirken problemlos erfolgen.

23II.              Die Kläger sind durch den rechtswidrigen Feststellungsbescheid auch in ihren Rechten verletzt. Zwar sind die hierauf beruhenden Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr bestandskräftig, jedoch sind sie bei Aufhebung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend anzupassen. Vorliegend hat ausschließlich der Grundlagenbescheid die Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte verhindert. Wird er nun aufgehoben, sind die Einkommensteuerbescheide in der Weise anzupassen, dass nunmehr der Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte Rechnung zu tragen ist.

24III.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung – Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Absatz 3 EStG

Einkommensteuer: Wesentlichkeitsgrenze; Berücksichtigung von niederländischem Arbeitslosengeld und negativen Einkünften aus selbstgenutztem Wohnraum

Finanzgericht Köln, 1 K 3219/11

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 3219/11

Tenor: Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet für das Jahr 2009 eine Zusammenveranlagung durchzuführen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

1
Tatbestand
2
Die in den Niederlanden wohnhafte Klägerin erzielte im Streitjahr 2009 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 15.032 € (Bruttoarbeitslohn 15.952 € abzgl. 920 € Arbeitnehmer-Pauschbetrag). In den Niederlanden erzielte sie nicht der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 9.482 € und Arbeitslosengeld in Höhe von 3.768 €. Beides wurde in den Niederlanden besteuert. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Klägerin zunächst die getrennte Veranlagung von ihrem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Ehemann, welcher in Deutschland eine Kfz-Werkstatt betreibt und daraus im Jahr 2009 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von – 13.457 € erzielt hatte. In den Niederlanden erhielt der Ehemann der Klägerin im Streitjahr nicht der deutschen Besteuerung unterliegendes – in den Niederlanden steuerpflichtiges – Krankengeld in Höhe von 13.425 €. Entsprechende Bescheinigungen der niederländischen Steuerbehörden nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG befinden sich in den Steuerakten des Beklagten.
3
Mit Bescheid vom 18.08.2010 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr antragsgemäß auf 2.127,00 € festgesetzt. In die Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2009 wurde aufgenommen, dass eine Einzelveranlagung nach den Vorschriften der beschränkten Steuerpflicht durchgeführt wurde.
4
Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine von ihr und ihrem Ehemann unterschriebene Einkommensteuererklärung ein und beantragte die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin und ihr Ehemann seien nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 i. V. m. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG seien damit nicht gegeben. Zu Recht sei daher eine Einzelveranlagung durchgeführt worden.
5
Im Rahmen des hiergegen geführten Klageverfahrens trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des Beklagten seien die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt da das in den Niederlanden ihrem Ehemann zugeflossene Krankengeld bei der Ermittlung der Einkünftegrenze im Sinne des §§ 1 Abs. 3 EStG ausscheide. Die Ermittlung der Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG erfolge nach deutschem Recht. Die Einkünfte müssten hiernach in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sein. Das ausländische Krankengeld sei – im Gegensatz zu dem in den Niederlanden gezahlte Arbeitslosengeld, welches nicht nach § 3 EStG steuerbefreit sei – gemäß § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei und bleibe somit bei der Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt. Einzubeziehen seien alle bei unterstellter Inlandsbesteuerung nach den EStG im Kalenderjahr anzusetzenden inländischen und ausländischen Einkünfte, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nach deutschem Recht ohne DBA steuerbar und steuerpflichtig seien, unabhängig davon, welchem Staat das Besteuerungsrecht zustehe. Die Aufteilung nach inländischen bzw. ausländischen Einkünften erfolge erst in einem zweiten Schritt. Da das Krankengeld erst gar nicht in die Einkünfteermittlung eingehe, erübrige sich eine Zuordnung. Dementsprechend seien die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte niedriger als 15.668,- €.
6
Die Klägerin beantragt,
7
den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 aufzuheben und für das Streitjahr erklärungsgemäß eine Zusammenveranlagung durchzuführen.
8
Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Bezugnehmend auf die Einspruchsentscheidung führt er aus, nach § 1 Abs. 3 EStG würden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielten. Dies gelte allerdings nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlägen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte 7.834 €, bei Ehegatten 15.668,- €, nicht überstiegen. Bei der Ermittlung der Einkünfte blieben nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert würden, unberücksichtigt, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei seien. Da sowohl das in den Niederlanden bezogene Arbeitslosengeld wie auch das Krankengeld in den Niederlanden besteuert würden, seien beide Leistungen in die Ermittlung der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einzubeziehen.
11
Entscheidungsgründe
12
Die Klage ist begründet.
13
Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt im Streitjahr 2009 die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem Ehemann durchzuführen.
14
Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG u.a. zusammenveranlagt werden, wenn sie die die Voraussetzungen der sog. fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Insbesondere – nur dies ist hier streitig – sind hierbei die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu beachten. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln.
15
Eine Zusammenveranlagung ist danach möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sogenannte relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 15.668,- € nicht übersteigen (sogenannte absolute Wesentlichkeitsgrenze).
16
Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.
17
Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland erzielt wurden, nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG enthält keine spezielle Regelung, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist (BFH-Urteil vom 20.8.2008 I R 78/07, BStBl II 2009,708 m. w. N). Nicht zu berücksichtigen sind daher insbesondere Zuflüsse, die nicht unter die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG fallen, nach § 3 EStG steuerfrei sind oder nach DBA von der Besteuerung freigestellt sind (vgl. Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG, Tz. 265). Hieraus folgt, dass zu den für die absolute Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu ermittelnden, nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünften nur solche zählen, die bei unterstellter deutscher Besteuerung auch im Inland steuerbar wären. Ob diese Einkünfte im Ausland steuerbar und steuerpflichtig sind ist hierbei unbeachtlich. Darüberhinaus bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG auch solche nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unberücksichtigt, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG).
18
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die absolute Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten, da die nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigenden nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte weniger als 15.668,- € betragen.
19
Unstreitig ist bei der Ermittlung der Welteinkünfte der Kläger (erste Stufe) neben den in Deutschland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb auch das niederländische Arbeitslosengeld in die Berechnung mit einzubeziehen, da es, weil nicht aufgrund der in § 3 Nr. 2 EStG aufgeführten Vorschriften gewährt, bei unterstellter inländischer Besteuerung nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerbefreit wäre. Nicht zu den Welteinkünften der Kläger zählt allerdings das dem Ehemann der Klägerin in den Niederlanden zugeflossene Krankengeld in Höhe von 13.425,- €, da dieses, deutsches Einkommensteuerrecht zugrunde gelegt, nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfrei wäre. Hiernach ist die Leistung aus einer Krankenversicherung – und um eine solche handelt es sich bei dem Krankengeld – uneingeschränkt steuerfrei.
20
Entgegen der Auffassung des Beklagten führt auch § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG nicht dazu, dass das Krankengeld bei der Berechnung des Welteinkommens zu berücksichtigen ist und zwar – so der Beklagte – im Umkehrschluss, weil es sich bei dem Krankengeld um Einkünfte handelt, die in den Niederlanden besteuert werden. Diese Vorschrift, die in Umsetzung des EuGH-Urteils Meindl (EuGHE I 2007, 1107) eingeführt wurde und die Ausübung des Wahlrechtes nach § 1 Abs. 3 EStG einem erweiterten Personenkreis ermöglichen sollte, betrifft Einkünfte, die im Ausland steuerfrei sind und deren deutsche Entsprechungen auch nach deutschem Einkommensteuerrecht steuerfrei wären. Der Grund für die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte ist, dass der ausländische Staat an solche Einkünfte, weil steuerfrei, keine steuerlichen Vergünstigungen knüpfen kann und dies auch nach deutscher steuerrechtlicher Auffassung nicht können würde. Der europäische Gedanke gebietet es daher solche Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte – entgegen der Vorgabe das Welteinkommen nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln – nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind. Eine solche Auslegung wird zum einen vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und steht zum anderen der oben geschilderten Systematik der zweistufigen Prüfung entgegen. Das Urteil des EuGH in der Sache Meindl (a.a.O.) hat keine Auswirkung auf den Grundsatz, dass die Beurteilung der Frage ob die im Ausland erzielten Einkünfte einer Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig entgegenstehen, nach deutschem Steuerrecht und nicht nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu beurteilen ist (vgl. hierzu FG Köln v. 20.4.2012, 4 K 1943/09, EFG 2012, 1677).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Betriebsveranstaltung

Anhebung der 110-EUR-Freigrenze: Bund der Steuerzahler hakt nach

Sekt oder Selters: Bei Überschreiten der 110-EUR-Freigrenze feiert das Finanzamt mit

Seit 2002 wurde die Freigrenze für Betriebsveranstaltungen nicht mehr angepasst. Nun legte der Bundesfinanzhof in einem Urteil (VI R 79/10) dar, dass der steuerfreie Höchstbetrag „alsbald“ auf der Grundlage von Erfahrungswerten angepasst werden sollte.

Damit „alsbald“ möglichst schnell bedeutet, fragte der Bund der Steuerzahler (BdSt) beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) nach, wann die Freigrenze überprüft werden soll.

Bisher gilt eine Freigrenze von 110 EUR je Betriebsveranstaltung. Das heißt, bis zu diesem Betrag liegt für den Arbeitnehmer kein lohnsteuerpflichtiger Vorteil vor. Diese Grenze liegt seit mehr als 10 Jahren der Besteuerung zugrunde. Eine Anpassung an die Preisentwicklung ist mehr als überfällig. Um die Dringlichkeit zu verdeutlichen und um eine schnelle Überprüfung durch das BMF zu erreichen, hat der BdSt nachgefragt, wann eine Überprüfung stattfinden soll.

Weiterhin regte der BdSt an, dass die Freigrenzen und Höchstbeträge grundsätzlich einer regelmäßigen Prüfung unterzogen und gegebenenfalls an die tatsächlichen Verhältnisse angepasst werden sollen.

 

BFH, Urteil vom 12.12.2012, VI R 79/10, BFH/NV 2012 S. 637

Kosten einer Betriebsveranstaltung als Arbeitslohn

Leitsatz
1. Kosten eines Arbeitgebers aus Anlass einer Betriebsveranstaltung sind bei Überschreiten einer Freigrenze in vollem Umfang als Arbeitslohn zu werten. Die Freigrenze beträgt auch im Jahr 2007 noch 110 €.
2. Eine Anpassung der Freigrenze an die Geldentwertung ist nicht Aufgabe der Gerichte.
3. In die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, sind die den Arbeitgeber treffenden Gesamtkosten der Veranstaltung einzubeziehen und zu gleichen Teilen sämtlichen teilnehmenden Arbeitnehmern zuzurechnen, sofern die entsprechenden Leistungen Lohncharakter haben und nicht individualisierbar sind.
Gesetze
EStG § 8 Abs. 2 Satz 1
EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug
Hessisches FG vom 1. September 2010 10 K 381/08 (EFG 2011, 443) BFH VI R 79/10
Gründe
I.
1 Streitig ist, ob Aufwendungen des Arbeitgebers für eine Betriebsveranstaltung zu Arbeitslohn führen.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mit Niederlassungen in A, B und C. Sie veranstaltet jährlich für ihre Mitarbeiter am Standort A ein Sommerfest und in der Adventszeit eine Weihnachtsfeier. Für das Sommerfest im Streitjahr (2007) mietete sie…entsprechende Räumlichkeiten, organisierte Speisen, Getränke und Live-Musik sowie die An- und Abreise der Teilnehmer. Laut Teilnehmerliste nahmen 302 Personen an der Veranstaltung teil. Es handelte sich dabei um 252 Arbeitnehmer der Klägerin, 44 Partner bzw. Gäste oder sog. Externe sowie 6 Mitarbeiter einer mit der Klägerin assoziierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 52.877 €, je Teilnehmer auf durchschnittlich 175 €.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) vertrat die Auffassung, dass die Zuwendungen anlässlich des Sommerfestes lohnsteuerpflichtig seien. Das FA erhob daher mit Bescheid vom 9. Januar 2008 entsprechend § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal Lohnsteuer in Höhe von 11.005 € nach.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 443 veröffentlichten Gründen ab.
5 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6 Sie beantragt, das angefochtene Urteil und den angefochtenen Nachforderungsbescheid aufzuheben.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8 Das Bundesministerium der Finanzen hat den Beitritt zum Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erklärt.
II.
9 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ).
10 Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen nicht den Schluss, dass die Leistungen der Klägerin anlässlich der Betriebsveranstaltung in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind. Allerdings hat das FG zutreffend entschieden, dass die Freigrenze auch im Streitjahr 110 € beträgt.
11 1. Die Nachforderung von Lohnsteuer beim Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet worden ist und es sich um eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt. Eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 EStG gegeben sind (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 30. April 2009 VI R 55/07 , BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726).
12 Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erheben, wenn er Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen zahlt. Maßgeblich ist insoweit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG .
13 2. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für” ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Einnahme eine konkrete Dienstleistung des Arbeitnehmers zugeordnet werden kann (BFH-Urteile vom 21. Januar 2010 VI R 2/08 , BFHE 228, 80 , BStBl II 2010, 639; vom 22. März 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; vom 21. Februar 1986 VI R 21/84, BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406).
14 a) Arbeitslohn liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. dann nicht vor, wenn die Arbeitnehmer durch Sachzuwendungen des Arbeitgebers bereichert werden, der Arbeitgeber jedoch mit seinen Leistungen ganz überwiegend ein eigenbetriebliches Interesse verfolgt (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1976 VI R 26/74 , BFHE 120, 379 , BStBl II 1977, 99; vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13 , BStBl II 1983, 39; in BFHE 228, 80 , BStBl II 2010 , 639 ; vom 21. Januar 2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85 , BStBl II 2010, 700; jeweils m.w.N.; s. auch Drenseck in Festschrift für Lang, Köln 2010, 477, 482; Schmidt/Krüger, EStG , 31. Aufl., § 19 Rz 30 ff.; Eisgruber in Kirchhof, EStG , 11. Aufl., § 19 Rz 64 ff.; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 225 ff.).
15 b) Ebenfalls in ständiger Rechtsprechung bejaht der Senat bei Zuwendungen aus Anlass von Betriebsveranstaltungen ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers, sofern er die Aufwendungen tätigt, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern (BFH-Urteile in BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; in BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406; vom 25. Mai 1992 VI R 85/90, BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; vom 6. Dezember 1996 VI R 48/94, BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; vom 16. November 2005 VI R 68/00, BFHE 212, 51 , BStBl II 2006, 440; VI R 151/99, BFHE 211, 321 , BStBl II 2006, 439; VI R 157/98, BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; VI R 118/01, BFHE 212, 55 , BStBl II 2006, 444; VI R 151/00, BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; vom 15. Januar 2009 VI R 22/06, BFHE 224, 136 , BStBl II 2009, 476; in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726). Maßgebend für diese Beurteilung ist, dass die fraglichen Zuwendungen der Belegschaft als ganzer angeboten und dass die Vorteile unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie der Stellung und Leistung im Betrieb gewährt werden. In diesem Fall fehlt es regelmäßig an einer Beziehung der Arbeitgeberleistung zur individuellen Arbeitsleistung der betroffenen Arbeitnehmer und damit an der Entlohnung (BFH-Urteil in BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406).
16 c) Geldwerte Vorteile, die den Arbeitnehmern bei Betriebsveranstaltungen zufließen, können allerdings dann als Ertrag ihrer individuellen Dienstleistung angesehen werden, wenn eine Betriebsveranstaltung lediglich zum Anlass genommen wird, die Arbeitnehmer zusätzlich zu entgelten. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats war dies der Fall, wenn bei solchen Veranstaltungen der „übliche Rahmen von Aufwendungen” der Höhe nach überschritten wird (BFH-Urteile in BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; vom 22. März 1985 VI R 82/83, BFHE 143, 550 , BStBl II 1985, 532).
17 d) Später hat der Senat die lohnsteuerrechtliche Wertung derartiger Zuwendungen nicht mehr davon abhängig gemacht, ob die Vorteilsgewährung der Höhe nach üblich ist, sondern er hat eine Freigrenze angenommen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; in BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; in BFHE 212, 51 , BStBl II 2006, 440; in BFHE 211, 321 , BStBl II 2006, 439; in BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; in BFHE 212, 55 , BStBl II 2006, 444; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; in BFHE 224, 136 , BStBl II 2009, 476; in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726; s. auch Küttner/Thomas, Personalbuch 2012, Stichwort Betriebsveranstaltung, Rz 3). Der Senat ging bisher davon aus, dass er mit der Festlegung der Freigrenze die Befugnisse richterlicher Rechtsanwendung nicht überschritten hat (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442).
18 e) Für die Jahre 1983 bis 1992 hatte der BFH die Freigrenze auf 150 DM beziffert. Die Finanzverwaltung hatte bald nach dem Ergehen des Senatsurteils in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655 mit Wirkung ab 1993 die Freigrenze auf 200 DM heraufgesetzt. Ab Veranlagungszeitraum 2002 legt die Finanzverwaltung eine Freigrenze von 110 € je Veranstaltung zugrunde (BFH-Urteil in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; s. für das Streitjahr R 72 Abs. 4 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien —LStR— 2005). Der BFH hatte seinerseits für die Jahre 1996 und 1997 die Freigrenze auf 200 DM festgelegt (BFH-Urteil in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; zum Jahr 2001 s. BFH-Urteil in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726).
19 In die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, sind grundsätzlich die den Arbeitgeber treffenden Gesamtkosten der Veranstaltung einzubeziehen und zu gleichen Teilen sämtlichen Teilnehmern zuzurechnen (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655 mit Hinweis auf Abschn. 72 Abs. 4 LStR 1990 ; in BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; in BFHE 212, 55 , BStBl II 2006 , 444 ). Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Bei diesem Wert, der im Schätzungsweg zu ermitteln ist, handelt es sich um den Betrag, den ein Fremder unter gewöhnlichen Verhältnissen für Güter gleicher Art im freien Verkehr aufwenden muss. Nach Auffassung des Senats ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, den Wert der dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber anlässlich einer Betriebsveranstaltung zugewandten Leistungen anhand der Kosten zu schätzen, die der Arbeitgeber dafür seinerseits aufgewendet hat. Denn es kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass auch ein Fremder diesen Betrag für die Veranstaltung hätte aufwenden müssen. Sofern sich ein Beteiligter für die Bewertung auf eine abweichende Wertbestimmung beruft, muss er konkret darlegen, dass eine Schätzung des üblichen Endpreises am Abgabeort anhand der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten dem objektiven Wert der Veranstaltung nicht entspricht (BFH-Urteil vom 18. August 2005 VI R 32/03 , BFHE 210, 420 , BStBl II 2006, 30, zur Zuwendung einer Reise).
20 3. Die Festlegung einer höheren Freigrenze für das Streitjahr durch den Senat kommt nicht in Betracht.
21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind Finanzgerichte im Steuerrecht zur Typisierung befugt, sofern es sich dabei um Gesetzesauslegung handelt (Entscheidungen des BVerfG vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83 , BVerfGE 78, 214; vom 4. Februar 2005 2 BvR 1572/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 352 ; s. auch BFH-Urteile vom 21. September 2011 I R 7/11 , BFHE 235, 273 , BFH/NV 2012, 310 ; vom 27. Januar 2010 IX R 31/09, BFHE 229, 90 , BStBl II 2011, 28; vom 15. März 2005 X R 39/03, BFHE 209, 320 , BStBl II 2005, 817; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 1 FGO Rz 144; Kanzler, Finanz-Rundschau 2009, 527 ; Pahlke, Beiheft zum Deutschen Steuerrecht, Heft 31/2011, 66).
22 Es kann hier dahinstehen, ob an der, wie erwähnt, bisher vom Senat vertretenen Auffassung, dass sich die Rechtsprechung mit der Bildung der genannten Freigrenze noch im Rahmen ihrer Ermächtigung zur typisierenden Gesetzesauslegung bewegt, zukünftig uneingeschränkt festgehalten werden kann. Denn der Senat ist der Meinung, dass zumindest eine ständige Anpassung des Höchstbetrags an die Geldentwicklung nicht Aufgabe des Gerichts ist, zumal auch der Gesetz- und Verordnungsgeber Pauschbeträge nicht laufend, sondern allenfalls von Zeit zu Zeit korrigiert (BFH-Urteile in BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442). Der Senat hält auch zur Gewährleistung von Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit für den streitigen Zeitraum an dem Höchstbetrag von 110 € fest, zumal nach seiner Einschätzung der Betrag noch ausreicht, um im Rahmen einer Betriebsveranstaltung den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern (gl.A. Zimmermann, EFG 2011, 446 ). Er ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass die Finanzverwaltung erwägen sollte, alsbald den Höchstbetrag, ab dem Zuwendungen des Arbeitgebers bei Betriebsveranstaltungen beim teilnehmenden Arbeitnehmer in vollem Umfang als lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind, neu und auf der Grundlage von Erfahrungswissen zu bemessen. Im Übrigen behält sich der Senat vor, ggf. seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit typisierender Gesetzesauslegung im hier fraglichen Bereich zu überprüfen.
23 4. Hält der Senat danach zunächst an der Bedeutung und Wirksamkeit einer Freigrenze prinzipiell fest, besteht jedoch Anlass, auf Folgendes hinzuweisen:
24 Es muss sich bei den Kosten des Arbeitgebers, die in die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, einbezogen werden, um Arbeitslohn aus Anlass einer Betriebsveranstaltung handeln. Nach der Rechtsprechung des BFH sind nur solche Leistungen des Arbeitgebers, die den Rahmen und das Programm der Betriebsveranstaltung betreffen, zu berücksichtigen. Leistungen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsveranstaltung stehen und durch die der Arbeitnehmer deshalb nicht bereichert ist (s. dazu BFH-Urteil vom 14. November 2012 VI R 56/11 , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), sind kein Lohn und daher weder in die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, einzubeziehen noch gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG zu besteuern (BFH-Urteil vom 7. November 2006 VI R 58/04 , BFHE 215, 249 , BStBl II 2007, 128). Entsprechendes gilt für Aufwendungen des Arbeitgebers, die nicht direkt der Betriebsveranstaltung zuzuordnen sind (z.B. Kosten der Buchhaltung oder für die Beschäftigung eines „Event-Managers”). Zudem ist zu beachten, dass eine Betriebsveranstaltung Elemente einer sonstigen betrieblichen Veranstaltung enthalten kann, die nicht zur Lohnzuwendung führt (BFH-Urteil in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726, m.w.N.).
25 In die angesprochene Gesamtkostenermittlung dürfen im Übrigen nur solche Kosten des Arbeitgebers einfließen, die untrennbar Kosten der Betriebsveranstaltung sind. Individualisierbare und als Arbeitslohn zu berücksichtigende Leistungen sind gesondert zu erfassen, ggf. unter Beachtung von § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG .
26 5. Die Sache ist nicht spruchreif.
27 Das FG hat zwar festgestellt, dass sich die Gesamtkosten der Veranstaltung auf 52.877 € beliefen. Dem Urteil lassen sich jedoch keine Angaben zur Struktur der Kosten entnehmen. Insbesondere steht nicht fest, ob, nach Maßgabe der genannten Grundsätze, die entsprechenden Leistungen insgesamt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsveranstaltung standen und deshalb Lohncharakter anzunehmen ist. Auch ist nicht geklärt, welche Leistungen untrennbare Teile der Betriebsveranstaltung sind und welche einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können. Soweit sich etwa den Unterlagen entnehmen lässt, dass auch Kosten für Fahrten mit Taxen angesetzt wurden, weist der Senat daraufhin, dass es sich dabei allenfalls um Zuwendungen an einzelne Arbeitnehmer handeln kann.
28 Das FG wird demnach im zweiten Rechtsgang nach den genannten Grundsätzen die Ermittlung der als Arbeitslohn zu beurteilenden Gesamtkosten der Betriebsveranstaltung und die Aufteilung des Gesamtbetrags auf die Arbeitnehmer der Klägerin, soweit sie teilgenommen haben, erneut vornehmen. Nur wenn das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Höchstbetrag von 110 € überschritten wurde, sind die Gesamtkosten in vollem Umfang als Arbeitslohn zu werten und können gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG pauschal versteuert werden.

Voller Kostenabzug bei Fahrten zu verschiedenen Tätigkeitsorten auch für Selbständige!

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.04.2013 zum Urteil 4 K 4834/10 E vom 22.03.2013

Mit Urteil vom 22. März 2013 (Az. 4 K 4834/10 E) hat der 4. Senat des Finanzgerichts Münster selbständige Unternehmer in Bezug auf Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte Arbeitnehmern gleichgestellt. Die Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG ist nach Ansicht des Gerichtes auf maximal einen Tätigkeitsort beschränkt.

Die Klägerin hatte im Auftrag einer städtischen Musikschule nebenberuflich Musikkurse bzw. Musik-AGs an verschiedenen Schulen und Kindergärten gegeben. Für die Fahrten zu den insgesamt sechs verschiedenen Einrichtungen, die sie etwa einmal wöchentlich aufsuchte, nutzte sie ihren Privatwagen. Hierfür machte sie 0,30 Euro pro gefahrenen Kilometer als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt erkannte jedoch lediglich die Hälfte dieser Kosten an, da es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätten handele.

Der 4. Senat gab der Klage statt und gewährte der Klägerin den vollen Betriebsausgabenabzug für die Fahrten. Die sechs Einrichtungen – so der Senat -, in denen die Klägerin unterrichte, seien keine Betriebsstätten im Sinne der Abzugsbeschränkung. Eine Kürzung des Betriebsausgabenabzugs sei nur gerechtfertigt, wenn sich der Unternehmer – anders als die Klägerin – auf die immer gleichen Wege einstellen könne, etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder gezielte Wohnsitznahme. Insoweit gelte dasselbe wie bei Arbeitnehmern, die nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch nur eine regelmäßige Arbeitsstätte haben können. Keiner der von der Klägerin angefahrenen Tätigkeitsorte habe jedoch gegenüber den anderen eine derart zentrale Bedeutung, dass er als Mittelpunkt der freiberuflichen Tätigkeit angesehen werden könne.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster

Dienstwagenbesteuerung: Anscheinsbeweis bei Nutzung durch GmbH-Geschäftsführer

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.04.2013 zum Urteil 13 K 4396/10 vom 21.02.2013

Die private Kraftfahrzeugnutzung durch den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist als Arbeitslohn zu versteuern, wenn feststeht, dass zumindest für gelegentliche Fahrten eine Nutzung erlaubt war. Das hat der 13. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 21. Februar 2013 (Az. 13 K 4396/10 E) entschieden.

Der Kläger ist zu 50 % an einer GmbH beteiligt und neben dem weiteren Gesellschafter einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Die GmbH stellt ihm für betriebliche Zwecke ein Fahrzeug zur Verfügung. Der Anstellungsvertrag des Klägers enthält keine Regelungen über eine private Fahrzeugnutzung. Das Finanzamt nahm die Überlassung des ausschließlich dem Kläger zugeordneten Fahrzeugs auch für Privatfahrten an und berechnete den Arbeitslohn nach der sog. 1 %-Methode. Der Kläger wendete hiergegen ein, dass die GmbH mündlich ein Privatnutzungsverbot ausgesprochen habe. Mit seinem Mitgesellschafter habe er für etwaige Privatfahrten vereinbart, dass diese in ein Fahrtenbuch einzutragen seien. Zudem befinde sich in seinem Privatvermögen ein Motorrad. Auch könne er die Pkw seiner Ehefrau und seines Sohnes nutzen.

Das Gericht wies die Klage ab. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Klägers und der Zeugenaussage des Mitgesellschafters stehe fest, dass zumindest eine gelegentliche private Nutzung erlaubt gewesen und deshalb gerade kein generelles Verbot ausgesprochen worden sei. Daher folge aus dem Anscheinsbeweis, dass der Kläger den Dienstwagen tatsächlich privat genutzt habe. Die Nutzungsmöglichkeiten anderer Fahrzeuge widerlegten diesen Anscheinsbeweis nicht, da die Fahrzeuge der Ehefrau und des Sohnes dem Kläger nicht zur freien Verfügung gestanden hätten und das Motorrad nicht dieselben Nutzungsmöglichkeiten eröffne wie der Dienstwagen.

Quelle: FG Münster

Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen

Zur Frage der Berücksichtigung von Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Jahr 2009

 

Finanzgericht Düsseldorf, 2 K 3893/11 E

Datum: 14.11.2012
Gericht: Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper: 2. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 2 K 3893/11 E
Tenor: Der Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 09.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2011 wird dahin geändert, dass Werbungskosten in Höhe von 1.248,00 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden.

Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

T a t b e s t a n dDie Beteiligten streiten darüber, ob für das Streitjahr 2009 Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind, wenn die GmbH-Beteiligung vor dem Veranlagungszeitraum 2009 veräußert wurde.

Die Kläger wurden für das Streitjahr als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hielt ab dem Jahr 1999 einen Anteil von 15.000,00 DM (15 v. H.) am Stammkapital von insgesamt 100.000,00 DM der im Jahr 1993 gegründeten Firma A GmbH (im Folgenden: GmbH). Mit Vertrag vom 26.09.2001 veräußerten er und der Mitgesellschafter ihre Geschäftsanteile zu einem Kaufpreis von je 1,00 DM, wobei ein Eigenkapital der Gesellschaft von 466.000,00 DM garantiert wurde. Hieraus ergab sich ein an den Erwerber zu leistender Ausgleichsbetrag in Höhe von ca. 2,3 Millionen DM, wovon ein Betrag in Höhe von ca. 346.000,00 DM (15 v. H.) auf den Kläger entfiel. Um seiner Ausgleichsverpflichtung nachzukommen, verzichtete der Kläger u. a. auf die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens aus dem Jahr 1999 im Nennwert von 200.000,00 DM, welches er bei einer Bank refinanziert hatte. Außerdem leistete er eine Sonderzahlung, welche durch ein weiteres Bankdarlehen über 45.000,00 € finanziert wurde. In den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 machten die Kläger die Zinsbeträge für diese Darlehen als nachträgliche Erwerbsaufwendungen des Klägers geltend. Der Beklagte erkannte dies nicht an; das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. In der mündlichen Verhandlung des sich hieran anschließenden Klageverfahrens 2 K 4898/07 E am 05.11.2008 verständigten sich die Beteiligten dahin, dass die auf das Darlehen in Höhe von 45.000,00 € entfallenden Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen waren. Hinsichtlich der Zinsen aus dem der Gesellschaft gewährten Darlehen erklärte sich der Vertreter des Beklagten bereit, beide Einkommensteuerbescheide im Hinblick auf das Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof mit dem Aktenzeichen VIII R 36/07 für vorläufig zu erklären. Der Rechtsstreit wurde daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklärt.

In der Folgezeit, nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs in dem o. g. Verfahren, erkannte der Beklagte im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzungen 2005 bis einschließlich 2008 auch die auf die Finanzierung des Gesellschafterdarlehens entfallenden Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen an.

In der Einkommensteuererklärung für 2009 machten die Kläger weiterhin die dem Kläger entstandenen Schuldzinsen anteilig als Werbungskosten bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit und – in Höhe von 1.248,00 € – bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Der Beklagte erkannte für 2009 aber keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen mehr an.

Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 09.03.2011 legten die Kläger Einspruch ein. Sie waren der Auffassung, die angefallenen Schuldzinsen seien in vollem Umfang steuermindernd zu berücksichtigen. Die Abzugsfähigkeit nachträglicher Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sei erst durch eine gravierende Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) möglich geworden. Diese Rechtsprechungsänderung habe nicht im Gesetzesvorhaben bezüglich der Einführung der Kapitalertragsteuer mit Abgeltungswirkung berücksichtigt werden können, da das Gesetz bereits vor Bekanntgabe dieses Urteils verkündet worden sei. Daher könnten die Zinskosten nicht in den Wirkungskreis der Abgeltungsteuer einbezogen werden. Da im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eingeführt worden sei, dass für Kosten aus bestimmten Beteiligungen auf Antrag die Wirkung des Abgeltungsverfahrens ausgeschlossen werden könne, andererseits sowohl in sämtlichen Jahren vor der Einführung des Abgeltungsprinzips als auch im ersten Jahr nach Einführung ein Antrag auf Ansatz dieser Kosten gestellt worden sei, seien sämtliche Voraussetzungen für die Anerkennung der Zinsaufwendungen erfüllt.

Der Einkommensteuerbescheid für 2009 wurde mit Bescheid vom 16.05.2011 aus anderen Gründen zugunsten der Kläger geändert.

Mit Einspruchsentscheidung vom 10.10.2011 rechnete der Beklage antragsgemäß zwischenzeitlich nachgewiesene, einbehaltene Kapitalertragsteuer in Höhe von 137,00 € an. Im Übrigen wies er sinngemäß den Einspruch als unbegründet zurück. Er war der Auffassung, dass für 2009 Schuldzinsen nicht mehr als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden könnten. Ab dem Veranlagungszeitraum 2009 gelte nämlich die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge. Gemäß § 20 Abs. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei ein Abzug tatsächlicher Werbungskosten ausgeschlossen. Lediglich der Sparer-Pauschbetrag – hier in Höhe von 1.602,00 € – könne gewährt werden. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, wonach das Prinzip der Abgeltungsteuer für Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG auf Antrag durchbrochen werden könne, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum, für den der Antrag erstmals gestellt werde, zu mindestens 1 v. H. an der Kapitalgesellschaft beteiligt sei, sei hier nicht anzuwenden. Der Kläger habe bereits im Jahre 2001 seine Geschäftsanteile an der GmbH veräußert. Im Veranlagungszeitraum 2009, für den der Antrag erstmals gestellt werden könne, sei er nicht mehr an der GmbH beteiligt gewesen.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit welcher die Kläger geltend machen, die Ausnahmevorschrift des § 32 d Abs. 2 Nr. 3 EStG greife zu ihren Gunsten ein. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift habe der Steuerpflichtige nur alle fünf Jahre zu belegen, dass er seinerzeit, und zwar bei der erstmaligen Antragstellung, die Antragsvoraussetzungen erfüllt habe. Nach Ablauf der fünf Jahre habe er keinen neuen Antrag zu stellen, sondern er werde nur bis dahin vom jährlichen Nachweis eines erstmals gestellten Antrags befreit. Hieraus ergebe sich, dass der Kläger unbefristet Werbungskosten bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen geltend machen könnte, wenn er die Beteiligung im Jahr 2009 gehalten und veräußert hätte, da das Halten einer Beteiligung in den Folgejahren grundsätzlich nicht vom Gesetz verlangt werde (nur für das Jahr der erstmaligen Antragstellung). Dem Kläger werde jedoch der Werbungskostenabzug verwehrt, weil es aufgrund der damaligen Gesetzeslage nicht möglich gewesen sei, bereits im Jahr 2001 einen entsprechenden Antrag zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt sei vom Abgeltungsverfahren noch keine Rede gewesen.

10Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass erst mit BFH-Urteil vom 16.03.2010 VIII R 36/07 Schuldzinsen, die auf wesentliche Beteiligungen im Sinne von § 17 EStG entfielen, auch nach Veräußerung oder Auflösung der Gesellschaft als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden könnten. Diese erhebliche Änderung der Rechtsprechung habe der Gesetzgeber naturgemäß bei der Abfassung eines Gesetzes, das ab dem Veranlagungszeitraum 2009 geltend solle, nicht berücksichtigen können. Insbesondere habe er diesen Sachverhalt nicht im Rahmen der umfangreichen Anpassungen zur erstmaligen Anwendung der neuen Gesetzeslage auf den Schnittpunkt 31.12.2008/01.01.2009 beachten können, wie er es z. B. bei Fondsanteilen, Stückzinsen, bestehenden Verlustvorträgen getan habe. Der Steuerpflichtige habe jedenfalls für die Jahre bis 2008 und auch für das Jahr 2009 als dem erstmaligen Jahr der Abgeltungsteuer stets und folgerichtig die Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erklärt und damit einen vollen Abzug beantragt. Die Veräußerung der Anteile des Klägers habe im Jahr 2001 bei diesem zu steuerpflichtigen Verlusten in vollem Umfang geführt. Eine Veräußerung der Anteile im Jahr 2009 hätte (evtl. mit Ausnahme des Teileinkünfteverfahrens) hier zum gleichen steuerlichen Ergebnis geführt.

11Der Kläger werde bei gleichem Sachverhalt unterschiedlich behandelt, wenn die Veräußerung der Anteile im Jahr 2009 statt im Jahr 2001 stattgefunden hätte. Es handele sich insofern um eine echte Gesetzeslücke, die von den zuständigen Gerichten zu füllen sei. Ein Wille des Gesetzgebers, derartige Sachverhalte zukünftig nicht mehr zu berücksichtigen, sei aus dem Gesetz nicht zu ersehen.

12Die Schuldzinsen seien ungekürzt zu berücksichtigen. Der Kläger habe seine Beteiligung bereits im Jahr 2001 vor Geltung des Halb- und Teileinkünfteverfahrens veräußert.

13Die Kläger beantragen,

14den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 09.03.2011, geändert durch Bescheid vom 16.05.2011, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.10.2011 dahin zu ändern, dass die geltend gemachten Schuldzinsen in Höhe von 1.248,00 € als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden.

15Der Beklagte beantragt,

16              die Klage abzuweisen,

17hilfsweise, die Revision zuzulassen.

18Er ist der Auffassung, ab dem Jahr 2009 sei eine Berücksichtigung der Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten nur noch unter den Voraussetzungen des § 32d

19Abs. 2 Nr. 3 EStG für fünf Jahre möglich. Dieses Optionsrecht werde nach derzeitiger Rechtslage aber nur demjenigen eingeräumt, der im betreffenden Jahr auch tatsächlich an der Kapitalgesellschaft beteiligt sei. Alle Veräußerungen und Auflösungen vor dem Veranlagungszeitraum 2009 (sog. Altfälle) liefen damit faktisch ins Leere. Diese Vorschrift diene der Verwaltungsvereinfachung in Form eines erleichterten Nachweises der Tatbestandsvoraussetzungen und ersetze nicht das Vorliegen einer Beteiligung.

20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

22Die Klage ist begründet.

23Der Einkommensteuerbescheid für 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

24Der Beklagte hat zu Unrecht die geltend gemachten Schuldzinsen in Höhe von 1.248,00 € nicht als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt.

251. Seit Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Urteile vom 16.03.2010 VIII R 20/08 (Bundessteuerblatt –BStBl- II 2010, 787) und vom 16.03.2010 VIII R 36/07 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen -BFH/NV- 2010, 1795) können ab dem Veranlagungszeitraum 1999 Schuldzinsen, die durch die Anschaffung einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung i. S. des § 17 EStG veranlasst sind, unter den gleichen Voraussetzungen wie nachträgliche Betriebsausgaben als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abgezogen werden, wenn sie auf Zeiträume nach Veräußerung der Beteiligung oder Auflösung der Gesellschaft entfallen. Durch die Beendigung der Einkünfteerzielung aus Kapitalvermögen ist der ursprüngliche Veranlassungszusammenhang nicht unterbrochen, weil die nachträglichen Schuldzinsen nach wie vor durch die zur Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen aufgenommenen Schulden ausgelöst sind, die bei Veräußerung oder Aufgabe der Beteiligung nicht abgelöst werden konnten. Hiernach sind die von den Klägern geltend gemachten nachträglichen Schuldzinsen für 2009 als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen anzuerkennen. Dies entspricht – bis zur Einführung des Abgeltungsverfahrens – auch der übereinstimmenden Auffassung und Handhabung der Beteiligten.

262. Die geltend gemachten Schuldzinsen sind ungekürzt, also nicht begrenzt durch das Halb- oder Teileinkünfteverfahren, anzusetzen. Denn der Kläger hat lediglich solche durch seine Beteiligung an der GmbH vermittelten Einnahmen erzielt, für die noch das Anrechnungsverfahren galt. Seine Beteiligung hat er bereits im Jahr 2001 veräußert (vgl. BFH-Urteil vom 06.04.2011 IX R 28/10, BStBl II 2011, 814).

273. Der Abzug dieser tatsächlichen Werbungskosten ist nicht ausgeschlossen. § 20 Abs. 9 Satz 1 2. Halbsatz EStG, der als Teil des Abgeltungsverfahrens einen solchen Ausschluss vorsieht, ist hier für 2009 nicht anzuwenden.

28Dies folgt aus der eindeutig formulierten Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG. Hiernach ist § 20 Abs. 3 bis 9 in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes vom 19.12.2008 (Bundesgesetzblatt -BGBl- I; 2794, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 08.12.2010 BGBl I, 1768), erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden. Der Gesetzgeber hat für die Anwendung des § 20 Abs. 9 EStG nicht auf das Jahr des Abflusses der Aufwendungen beim Steuerpflichtigen abgestellt. Entscheidend ist, in welchem Jahr die den Aufwendungen zuzuordnenden Kapitaleinnahmen zufließen, ggf. ab wann diese zufließen können (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.12.2011 2 K 1176/11, rkr., Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2012, 1146; Findeis/Karlstedt, Betriebsberater –BB- 2011, 2075 unter V.; Eggers, Neue Wirtschaftsbriefe –NWB- 2011, 646; a. A. Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, Loseblatt, § 20 Rdnr. K 77; Bundesministerium der Finanzen vom 09.10.2012 IV C 1-S 2252/10/10013, 2011/0948384, BStBl I 2012, 953 Rz. 322, wonach in 2009 abgeflossene Ausgaben auch unter das Abzugsverbot fallen, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhängen).

29Hier stehen die geltend gemachten Schuldzinsen nicht im Zusammenhang mit nach dem 31.12.2008 zufließenden Kapitalerträgen. Ein solcher Veranlassungszusammenhang ist hier nicht möglich; er ist aufgrund der Veräußerung der Beteiligung im Jahr 2001 ausgeschlossen.

30Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Begründung des Ausschlusses des Abzugs von tatsächlichen Aufwendungen durch § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG. Der Gesetzgeber rechtfertigt dieses Abzugsverbot mit der Typisierung hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten in Höhe von 801 € bzw. 1.602 € in den unteren Einkommensgruppen. In den oberen Einkommensgruppen sollen die Werbungskosten durch den relativ niedrigen Proportionalsteuersatz von 25 v. H. mit abgegolten sein (Bundestags-Drucksache 16/4841, 57). Hierdurch hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Abzugsverbot gerechtfertigt ist, wenn Einnahmen zufließen, für welche die Besonderheiten des Abgeltungsverfahrens, nämlich der einheitliche Sparer-Pauschbetrag bzw. die Abgeltungsteuer von 25 v. H., zu beachten sind. Das gilt hier nicht.

31Angesichts dieser Gesetzesbegründung kann auch eine mögliche Gesetzeslücke, welche dadurch entstanden sein könnte, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Abgeltungsteuer die Rechtsprechungsänderung zur Anerkennung von nachträglichen Werbungskosten nicht berücksichtigen konnte, nicht dahin geschlossen werden, dass auf den Zeitpunkt des Abflusses der Aufwendungen beim Steuerpflichtigen abgestellt wird. Einer solchen Auslegung steht zudem der eindeutige Gesetzeswortlaut der besonderen Anwendungsvorschrift für § 20 Abs. 9 EStG entgegen.

324. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

33Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 135 Abs. 1 FGO.

34Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage wird die Revision zugelassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).