Gutachten: Hinzurechnungen bei Gewerbesteuer verfassungswidrig

Gutachten: Hinzurechnungen bei Gewerbesteuer verfassungswidrig

10. April 2013

Die Hinzurechnung von Mieten, Pachten und sonstigen Zinsen bei der Gewerbesteuer ist verfassungswidrig. Das ist das Ergebnis eines heute in Berlin vorgestellten Gutachtens. „Das bestätigt uns in der Auffassung, dass die Hinzurechnungen zu einer verfassungswidrigen Überbesteuerung von Unternehmen führen können. Wir können nicht akzeptieren, dass Unternehmen unabhängig davon, ob sie überhaupt Gewinn machen, über die Hinzurechnungen zur Kasse gebeten werden“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.

Die Regelung schwäche die Unternehmen finanziell, so dass sie anfälliger für Krisen werden. Die Gutachter sehen das Gleichbehandlungsgebot durch Verstoß gegen das objektives Nettoprinzip verletzt. Dieses Prinzip besagt, dass nur der Saldo aus Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben besteuert werden darf. Außerdem gefährde die drohende Substanzbesteuerung die Eigentumsfreiheit.

Die Handelsunternehmen seien traditionell stark in ihren Kommunen verwurzelt und stellen die Nahversorgung der Bürger mit den im Alltag notwendigen Waren sicher. „Mit der Hinzurechnung sägen die Kommunen an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen“, so Stefan Genth. Eine solide Finanzierung der Kommunen und Gemeinden sei im Interesse aller Beteiligten. „Sie muss allerdings auf breitere Schultern gerecht verteilt werden“, so Genth weiter.

Das Gutachten hat der HDE gemeinsam mit dem Verband der Familienunternehmer (ASU) in Auftrag gegeben. Zur Zulässigkeit der Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer läuft derzeit ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht.

Finanzgericht Düsseldorf: Kosten einer Ehescheidung in vollem Umfang steuerlich absetzbar

Finanzgericht Düsseldorf: Kosten einer Ehescheidung in vollem Umfang steuerlich absetzbar

09.04.2013

Eine Ehescheidung tut weh und bringt häufig auch erhebliche Kosten mit sich. Die mit einer Ehescheidung zusammenhängenden Gerichts- und Anwaltskosten können nach einer Entscheidung des Finanzgerichts Düsseldorf nunmehr in vollem Umfang steuerlich geltend gemacht werden.In dem vom Finanzgericht entschiedenen Fall hatte der nunmehr geschiedene Ehepartner Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 8.195 Euro für die Ehescheidung aufgewandt. Die Kosten betrafen nicht nur die eigentliche Ehescheidung, sondern auch die Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich, dem Zugewinnausgleich und dem nachehelichen Unterhalt. Das Finanzamt erkannte die Kosten nur insoweit steuerwirksam an, als sie auf die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich entfielen. Soweit die Aufwendungen auf die Regelung der Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und der Unterhaltsansprüche entfielen, ließ das Finanzamt sie nicht zum Abzug zu.

Das Finanzgericht Düsseldorf (Az.: 10 K 2392/12 E) hat hingegen zugunsten des Steuerpflichtigen die gesamten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung (§ 33 des Einkommensteuergesetzes) steuerwirksam zum Abzug zugelassen. Eine Ehescheidung kann nur gerichtlich und mit Hilfe von Rechtsanwälten erfolgen. In dem Gerichtsverfahren müssen regelmäßig auch Regelungen zum Versorgungsausgleich, dem Zugewinn und den Unterhaltsansprüchen getroffen werden. Den damit zusammenhängenden Kosten können sich die Ehepartner nicht entziehen. Dabei spielt es keine Rolle, dass Teilbereiche einer Scheidung nur durch Urteil, andere Teile hingegen auch durch einen Vergleich zwischen den Ehepartnern geregelt werden können.

Mit der Entscheidung stellt sich das Finanzgericht zugleich gegen einen sogenannten Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung vom 20.12.2011 (Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 20.12.2011, Bundessteuerblatt I 2011, 1286). Danach lässt die Finanzverwaltung bei Ehescheidungen einen vollständigen Abzug der Zivilprozesskosten nicht zu. Der vollständige Entscheidungstext finden Sie unten …

 

Finanzgericht Düsseldorf, 10 K 2392/12 E

Datum:
19.02.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 2392/12 E
Tenor:

Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012 wird der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 10. Februar 2012 durch Ansatz weiterer 8.195 Euro als außergewöhnliche Belastungen zusätzlich zu den bisher bereits berücksichtigten 94 Euro sowie durch Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer um 114 Euro geändert.

Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderte Steuerfestsetzung nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner der Klägerin das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und den Bescheid mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekannt zu geben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:2Streitig ist, ob bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr 2010 Gerichts- und Anwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen und ob Lohnkosten wegen der Montage einer ausgetauschten Einbauküche als Handwerkerleistungen steuerermäßigend zu berücksichtigen sind.

3Die Ehe der Klägerin wurde mit Urteil des Amtsgerichts A Familiengericht am ………….. 2010 geschieden (Az. …….. ). Gleichzeitig wurden im Urteil Rentenanwartschaften im Rahmen des Versorgungsausgleichs zu Gunsten der Klägerin begründet. Mit gerichtlich protokolliertem Vergleich vom gleichen Tag wurde der Zugewinnausgleich und nachehelicher Unterhalt geregelt. Die Kosten des Verfahrens und die Kosten des Vergleichs wurden gegeneinander aufgehoben. Am 18. März 2010 erstellte die Prozessvertreterin der Klägerin in der Familiensache die Endabrechnung, die sich auf noch zu zahlende Anwalts- und Gerichtskosten von 8.195,13 Euro belief und von der Klägerin mit Wertstellung zum 15. April 2010 per Banküberweisung bezahlt wurde. Ebenfalls im Streitjahr 2010 ließ die Klägerin in der von ihr genutzten Wohnung eine neue Einbauküche montieren. Gemäß Rechnung vom 22. Juni 2010 betrug der Gesamtpreis einschließlich Lieferung und Montage insgesamt brutto 7.648 Euro. Der Rechnungsbetrag wurde von der Klägerin mittels Banküberweisung unter Anrechnung einer bereits 2010 geleisteten Anzahlung von 2.000 Euro mit Wertstellung 7. Juli 2010 bezahlt. Ausweislich einer Bescheinigung des Küchenlieferunten vom 28. März 2012 ist in der Rechnung ein Lohnkostenanteil von 572,39 Euro enthalten.

4In der Einkommensteuererklärung für 2010 machte die Klägerin u. a. Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 8.195 Euro und als Handwerkerleistung anlässlich der Erneuerung der Einbauküche einen Betrag von 1.530 Euro (20 v. H. des Rechnungsbetrages) geltend. Der Beklagte verweigerte im Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 10. Februar 2012 insgesamt die steuerliche Berücksichtigung. In den Erläuterungen des Steuerbescheids heißt es dazu auszugsweise:

5„Als außergewöhnliche Belastungen können Prozesskosten für die Ehescheidung und den Versorgungsausgleich angesetzt werden. Aufwendungen für die Auseinandersetzung gemeinsamen Vermögens und Unterhaltsansprüche(n) sind nicht abzugsfähig. Aus den von Ihnen eingereichten Unterlagen ist eine Trennung der Aufwendungen nicht möglich. Die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen konnte nicht gewährt werden, weil die Arbeitskosten anhand der Angaben in der Rechnung nicht gesondert ermittelt werden konnten. Eine Aufteilung im Schätzwege ist nicht zulässig.“

6Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012).

7Mit der Klage trägt die Klägerin vor:

8Der Beklagte habe die Prozesskosten entgegen dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2011, 1015) nicht anerkannt. Sämtliche ihr im Zusammenhang mit dem Ehescheidungsverfahren erwachsenen Kosten seien zwangsläufig entstanden. Ihre Rechtsverteidigung sei nicht mutwillig gewesen und habe von Anfang an Aussicht auf Erfolg gehabt. Gemäß BFH-Urteil vom 29. Januar 2009 (VI R 28/08, BStBl II 2010, 166) berechtige auch eine nachträgliche Rechnungsergänzung bei einer Handwerkerleistung zum Steuerabzug.

9Die Klägerin beantragt,

10              unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012 den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 10. Februar 2012 durch Ansatz von 8.195 Euro für Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen (zusätzlich zu bisher bereits berücksichtigten Krankheitskosten in Höhe von 94 Euro) sowie durch Verminderung der tariflichen Einkommensteuer gemäß § 35 a des Einkommensteuergesetzes um 114 Euro zu ändern.

11Der Beklagte beantragt,

12              die Klage abzuweisen, soweit sie nicht auf die Berücksichtigung der Handwerkerleistungen gemäß § 35 a des Einkommensteuergesetzes in Höhe von 114 Euro gerichtet ist.

13Er trägt vor:

14Prozesskosten seien grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 20. Dezember 2011 IV C 4-S 2284, BStBl I 2011, 1286). Bei berücksichtigungsfähigen Handwerkerleistungen müsse sich der Arbeitslohn aus der Rechnung selbst ergeben. Eine nachträgliche Aufgliederung durch Bestätigung des Rechnungsausstellers sei gemäß BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010 (IV C 4-S 2296-b, BStBl I 2010, 140) nicht mehr möglich.

15Entscheidungsgründe:

16Die Klage ist begründet.

17Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 10. Februar 2012 sowie die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2012 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Bei der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 sind weitere außergewöhnliche Belastungen von 8.195 Euro zu berücksichtigen und ist die tarifliche Einkommensteuer wegen Handwerkerleistungen um 114 Euro zu ermäßigen.

18Die Aufwendungen der Klägerin für die Montage der von ihr ausgetauschten Einbauküche sind mit 20 v. H. des Arbeitslohnes, also mit 114 Euro, gemäß § 35 a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von der festzusetzenden tariflichen Einkommensteuer in Abzug zu bringen. Gemäß Bescheinigung des Küchenlieferanten vom 28. März 2012 hat der Lohnkostenanteil der Rechnung vom 22. Juni 2010 insgesamt 572,39 Euro betragen. Der Austausch einer Einbauküche gehört gemäß BMF-Schreiben vom 15. Februar 2010 (a. a. O.; dort Anlage 1) zu den begünstigten Handwerkerleistungen. Der Beklagte ist dem Abzug in seinem Klageantrag nicht mehr entgegen getreten. Insoweit ist dieser Verfahrensgegenstand nicht mehr streitig.

19Die insgesamt anlässlich des Ehescheidungsverfahrens geltend gemachten Aufwendungen von 8.195 Euro für Anwalts- und Gerichtskosten sind als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

20Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstands erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und somit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

21Der BFH hat mit Urteil vom 12. Mai 2011 (a. a. O.) unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Zivilprozesskosten (stets) als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, wenn der Steuerpflichtige darlegen kann, dass die Rechtsverfolgung oder -verteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Prozesskosten, die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung des Vermögens bzw. mit dem Streit über den Zugewinnausgleich entstehen, sollen dagegen nach bisheriger Rechtsprechung nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sein, da es die Eheleute in der Hand haben, die vermögensrechtliche Einigung ohne Inanspruchnahme der Gerichte herbeizuführen (BFH-Urteile vom 30. Mai 2005 III R 36/03, BStBl II 2006, 491; III R 27/04, BStBl II 2006, 492). Dieser Begrenzung der Abzugsfähigkeit vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen.

22Das Recht der Ehe (Eheschließung und -scheidung einschließlich der daraus folgenden Unterhalts-, Vermögens- und Versorgungsfragen) unterliegt allein dem staatlich dafür vorgesehenen Verfahren. Ein anderes, billigeres Verfahren steht Eheleuten zur Beendigung einer Ehe nicht zur Verfügung; eine gewaltsame Konfliktlösung wird nicht gebilligt. § 623 der Zivilprozessordnung (ZPO) a. F. ordnet für den Fall, dass im Zusammenhang mit der Durchführung eines Scheidungsverfahrens die Regelung einer anderen Familiensache begehrt wird (sog. Folgesachen), einen Verhandlungs- und Entscheidungsverbund zwischen der Scheidungssache und der Folgesache an. Zweck der Vorschrift ist es, den Ehegatten deutlich vor Augen zu führen, welche Wirkungen die Scheidung für sie haben wird. Schließlich wird auch der schwächere Ehegatte, der sich der Scheidung nicht mit Erfolg widersetzen kann, durch den Verhandlungs- und Entscheidungsverbund geschützt. Er kann wenigstens sicher sein, dass die Ehe nicht geschieden wird, bevor die für ihn wichtigen Fragen geregelt sind. Der Verhandlungs- und Entscheidungsverbund bewirkt einen Zwang zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Ein unter Missachtung des Verbunds gefälltes Scheidungsurteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel.

23Diese nicht zuletzt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ‑ GG –) folgenden Erwägungen werden verletzt, wenn die Möglichkeit der Abzugsfähigkeit von Ehescheidungskosten (Anwalts- und Gerichtskosten) auf Fälle des sog. Zwangsverbundes zwischen Ehescheidung und Versorgungsausgleich begrenzt wäre. Kausal für die insgesamt zu treffenden Regelungen einschließlich der vermögensrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Beziehungen ist die Beendigung der bisher bestehenden Ehe durch die begehrte Ehescheidung. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die die Ehescheidung Begehrenden letztere durch Urteil klären oder im Vergleichswege vom Gericht beurkunden lassen. Im Übrigen soll das Gericht in jeder Lage eines Verfahrens auf die vergleichsweise Regelung eines Rechtsstreits hinwirken (§ 278 Abs. 1, 2 und 6 der ZPO). Anders als bei einem nicht aus dem Scheidungsverfahren resultierenden Vergleich zur Regelung vermögensrechtlicher oder güterrechtlicher Ansprüche, der der privaten Lebensführung nach § 12 Nr. 2 EStG zuzurechnen ist, ist ein mit dem Scheidungsverfahren bestehender Veranlassungszusammenhang gegeben. Jeder Ehegatte könnte diese Fragen durch Antragstellung zum Verfahrensgegenstand der Scheidungssache machen, über die insgesamt dann durch Urteil zu entscheiden wäre. Unter Heranziehung der durch Urteil des BFH vom 12. Mai 2011 (a. a. O.) geänderten Rechtsprechung, wonach Zivilprozesskosten Kläger wie Beklagten unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen, sind die der Klägerin insgesamt mit der Ehescheidung erwachsenen Verfahrensaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig (im Ergebnis ebenso Urteil des Schleswig-Hosteinischen Finanzgerichts vom 21. Februar 2012

241 K 75/11, bisher nicht veröffentlicht).

25Die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen betragen gemäß Anwaltsrechnung vom 18. März 2010 insgesamt 8.195 Euro. Die Anwalts- und Gerichtskosten sind entsprechend den Streitwerten nach den Bestimmungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und des Gerichtskostengesetzes (GKG) in zutreffender Höhe ermittelt worden.

26Das Gericht hat die Steuerfestsetzung wie erkannt gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO auf den Beklagten übertragen. Dieser wird insbesondere die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) zu berechnen haben.

27Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

28Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf unterschiedliche Entscheidungen zum Abzug von Prozesskosten zugelassen. Zwar hat der BFH unter Änderung der Rechtsprechung entschieden, dass Zivilprozesskosten aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen können und damit als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigungsfähig sind (Urteil vom 12. Mai 2011, a. a. O.). Mit Urteilen vom 30. Mai 2005 (a. a. O.) hat der BFH aber auch entschieden, dass die Kosten der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren keine außergewöhnlichen Belastungen sind. Es erscheint nach Änderung der Rechtsprechung im Urteil vom 12. Mai 2011 (a. a. O.) angemessen, dem BFH Gelegenheit zu geben, diese einschränkende Rechtsprechung zu den Kosten eines Ehescheidungsverfahrens zu überprüfen. Im Übrigen sind weitere Revisionsverfahren zur Abzugsfähigkeit von Aufwendungen aus der Inanspruchnahme von Gerichten als außergewöhnliche Belastungen beim BFH anhängig (Az. X R 34/12, IX R 41/12, VI R 66/12, VI R 69/12, VI R 70/12). Die Frage der Abzugsfähigkeit erscheint daher insgesamt höchstrichterlich klärungsbedürftig.

Finanzgericht Düsseldorf entscheidet erneut gegen Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung

11. April 2013

Das Finanzgericht Düsseldorf hat sich erneut in zwei Entscheidungen zugunsten der Steuerpflichtigen gegen einen Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung gewandt.In beiden Fällen (Az.: 10 K 2392/12 E und 15 K 2052/12 E) ging es um die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Die Finanzverwaltung hatte die Kosten in einem Fall gar nicht, in einem anderen Fall nur teilweise als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zugelassen, obwohl die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die volle Absetzbarkeit derartiger Aufwendungen bejaht (Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.05.2011, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 234, 30, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2011, 1015). Zur Begründung hatte die Finanzverwaltung angeführt, sie sei an einen sogenannten Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen gebunden, wonach die für die Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht anzuwenden sei (Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 20.12.2011, BStBl. I 2011, 1286).Die für die Verfahren zuständigen Senate des Finanzgerichts Düsseldorf haben in beiden Fällen die geltend gemachten Anwalts- und Gerichtskosten in voller Höhe steuerwirksam als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zugelassen. Damit setzen sich die Richter des Finanzgerichts in ausdrücklichen Widerspruch zu dem Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung.

„Es kommt im Steuerrecht häufig vor, dass die Finanzverwaltung ein nicht in ihrem Sinne ergangenes Urteil des Bundesfinanzhofs mit einem Nichtanwendungserlass belegt. Damit werden die Finanzämter angewiesen, eine für den Steuerpflichtigen im Regelfall günstige Rechtsprechung nicht anzuwenden“, führt Helmut Plücker, Präsident des Düsseldorfer Finanzgerichts, aus. „Die Finanzgerichte sind allerdings an eine derartige Verwaltungsanweisung nicht gebunden. Steuerpflichtige, deren Aufwendungen aufgrund eines Nichtanwendungserlasses von den Finanzämtern nicht zum Abzug zugelassen werden, sollten daher in einem solchen Fall mit fachkundiger Hilfe gegen den Steuerbescheid Einspruch und anschließend Klage einlegen.“

„Dabei sollten die betroffenen Bürger zügig handeln und keinesfalls den Ausgang weiterer, zu der streitigen Frage anhängiger Musterverfahren abwarten. Denn sind Gerichte und Finanzverwaltung dauerhaft verschiedener Auffassung zur Anwendung und Auslegung einzelner Steuergesetze, erfolgen nach einiger Zeit oft gesetzliche Klarstellungen, die unter Umständen für den Bürger ungünstig sein können“, so Plücker weiter. „Nur diejenigen Steuerpflichtigen, die zeitnah geklagt haben und deren Rechtsstreit im Fall einer gesetzlichen Änderung bereits letztinstanzlich entschieden ist, genießen dann Vertrauensschutz und werden von einer ggf. rückwirkenden Neufassung des Gesetzes nicht erfasst.“

Das Finanzgericht Düsseldorf hat in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Außerachtlassung von Nichtanwendungserlassen oder anderen Anweisungen der Finanzverwaltung zugunsten der Steuerpflichtigen entschieden. Derartige Verfahren werden von den Richterinnen und Richtern regelmäßig auch vorrangig bearbeitet, um zeitnah und effektiv Rechtsschutz gewähren zu können.

 

Luxemburg wird Bankgeheimnis lockern und Steuer-Daten austauschen

Wie das luxemburgische Finanzministerium mitteilte, habe bei der Entscheidung zu den Steuer-Daten eine gewisse Dringlichkeit bestanden, nachdem die Gespräche über die Zypern- Rettung die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt hatten. Luxemburg habe die

http://www.welt.de/newsticker/bloomberg/article115176928/Luxemburg-wird-Bankgeheimnis-lockern-Steuer-Daten-austauschen.html

Keine Haftung von Bankmitarbeitern wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Anonymität der mutmaßlichen Haupttäter

BFH-Urteil vom 15.01.13   VIII R 22/10

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 15. Januar 2013 VIII R 22/10 eine Entscheidung des Finanzgerichts bestätigt, wonach Mitarbeiter eines Kreditinstituts für die von anonym gebliebenen Kunden mutmaßlich hinterzogene Einkommensteuer auf mutmaßlich im Ausland erzielte Kapitalerträge nicht haften, obwohl die Kunden als Folge der von der Bank angebotenen Möglichkeit des anonymisierten Kapitaltransfers in das Ausland nicht enttarnt werden konnten.

 

Der Kläger hatte 1992 und 1993 als Leiter der Wertpapierabteilung eines großen deutschen Kreditinstituts daran mitgewirkt, dass Kunden des Kreditinstituts Wertpapiere unter Verschleierung ihrer Identität nach Luxemburg oder in die Schweiz transferieren konnten. Dies diente dazu, der 1991 in Deutschland eingeführten Zinsabschlagssteuer zu entgehen. Steuerstrafrechtliche Ermittlungen bei dem Kreditinstitut brachten zwar den Umfang des auf diesem Weg anonym in das Ausland transferierten Vermögens zu Tage. Es gelang jedoch nicht, sämtliche dahinterstehenden Kunden namentlich zu enttarnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass von den enttarnten Kunden nahezu keiner die im Ausland erzielten Kapitalerträge in seiner Steuererklärung angegeben hatte.

 

Das Finanzamt übertrug die Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden auf die Gruppe der nicht enttarnten Kunden und nahm den Kläger (u.a.) unter Anwendung eines großzügigen Sicherheitsabschlags für die von den nicht enttarnten Wertpapierkunden mutmaßlich hinterzogene Einkommensteuer auf im Ausland erzielte Kapitalerträge in Haftung.

 

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat u.a. ausgeführt, allein die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers reiche nicht aus, um eine hinreichend sichere Überzeugung davon zu gewinnen, dass die nicht enttarnten Kunden die Einkommensteuer auf im Ausland erzielte Kapitaleinkünfte hinterzogen hätten. Auch die Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden könnten für die Gruppe der anonym gebliebenen Kunden konkrete tatsächliche Feststellungen nicht ersetzen. Dies gehe zu Lasten der Finanzverwaltung, die hierfür die Feststellungslast trage. Der BFH hat diese Ausführungen bestätigt. Ob eine Steuerhinterziehung unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen auch ohne namentliche Kenntnis des Haupttäters in Betracht kommt, hat der BFH ausdrücklich offen gelassen.

DStV  Pressemitteilung Nr. 20/13 vom 10.4.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.1.2013, VIII R 22/10

Keine Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Anonymität der mutmaßlichen Haupttäter – Freie Beweiswürdigung des FG

Leitsätze

1. Die Haftung nach § 71 AO setzt u.a. voraus, dass der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist.

 

2. Im Zusammenhang mit anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland setzt die Feststellung einer Steuerhinterziehung voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat.

 

3. Kann das FG verbleibende Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen.

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehungen durch anonym gebliebene Bankkunden haftet.
2
Der Kläger war Leiter der Wertpapieradministration bei einem großen deutschen Kreditinstitut X und als solcher unmittelbar dem Vorstand unterstellt. X war an zwei gleichnamigen Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der Schweiz beteiligt. Der Kläger veranlasste und genehmigte 1992 –nach Abstimmung mit der Revision sowie der Rechtsabteilung des Kreditinstituts– zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anonymen Transfer von Wertpapieren zu den Auslandstöchtern der X zu ermöglichen. Ergänzt wurde diese Regelung im Oktober 1992 für sog. auslandsverwahrte Werte in der Weise, dass effektiv eingelieferte Werte „auch ohne Legitimationsprüfung entsprechend der Kundenangabe (z.B. Kennwort oder Kundennummer)“ angenommen werden konnten. Auf die bis dahin einzuholende Aneignungsermächtigung gemäß § 13 des Depotgesetzes sollte verzichtet werden können.
3
Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung bei der X mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten von Kunden der X und ihrer beiden Auslandstöchter in Luxemburg und der Schweiz. Das zuständige Finanzamt stellte fest, dass eine Vielzahl von Kunden der X und der beiden Tochtergesellschaften die Möglichkeit genutzt hatten, Kapital und Wertpapiere anonym über die Grenze zu den Tochtergesellschaften zu transferieren. Anstelle der personenbezogenen Kundendaten waren lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot-Kontennummern oder mit der Auslandsbank vereinbarte Kennworte auf den Transferbelegen vermerkt worden.
4
Trotz der Anonymisierung gelang es der Finanzverwaltung unter Mithilfe der X, etwa 75 % der Vorgänge einzelnen Kunden zuzuordnen. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass nahezu kein nachträglich enttarnter Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hatte. In etwa 6 % der Fälle hatte dies allerdings keine steuerverkürzende Wirkung. Die Identität der übrigen Kunden, die Bargeld und Wertpapiere anonym transferiert hatten, konnte nicht ermittelt werden. Insgesamt handelte es sich dabei um 1 149 Kunden, von denen 638 Kunden Wertpapiere transferiert hatten. Die ermittelte Nominalwertsumme der von diesen 638 Kunden transferierten Wertpapiere belief sich auf 304.732.400 DM.
5
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) nahm den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 638 Fällen für hinterzogene Einkommensteuer in Höhe von 2.250.824,46 EUR und Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer in Höhe von weiteren 1.204.178 EUR gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Er und seine Mitarbeiter hätten ein System entwickelt und praktiziert, das es den Kunden der X erlaubt habe, Kapital anonym ins Ausland zu transferieren und so der Zinsabschlagsteuer zu entgehen. Der Kläger habe dieses Verfahren angeordnet. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten, um die Steuern auf die im Ausland erzielten Kapitalerträge zu hinterziehen.
6
Die Haftungssumme errechnete das FA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Die identifizierten Kunden hätten im Durchschnitt Kapitalerträge von 8 % p.a. erzielt. Der durchschnittliche Einkommensteuersatz dieser Kunden habe bei 35 % gelegen. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags von 25 % ergebe sich daraus in der Gruppe der nicht identifizierten Kunden eine Summe an hinterzogener Einkommensteuer von nicht unter 2.250.824,46 EUR. Die Hinterziehungszinsen seien auf 1.204.178 EUR festzusetzen. Neben dem Kläger seien auch die X, sechs damalige Vorstandsmitglieder sowie vier weitere leitende Angestellte in Haftung genommen worden.
7
Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den das FA zurückwies. Auf Antrag des Klägers hat der Senat im Streitfall die Vollziehung des Haftungsbescheids für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 16. Juli 2009 VIII B 64/09, BFHE 226, 30, BStBl II 2010, 8). Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid aufgehoben.
8
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 71 AO, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
9
Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10
Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Ohne Rechtsfehler hat das FG erkannt, dass der Kläger für die mögliche und auch wahrscheinliche, aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterziehung durch anonym gebliebene Bankkunden nicht gemäß § 71 AO haftet. An die tatsächliche (negative) Feststellung des FG, wonach es von der Steuerhinterziehung jedes einzelnen anonym gebliebenen Kunden in keinem einzigen Fall überzeugt sei, ist der BFH gebunden.
12
1. Gemäß § 71 AO haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Wer Teilnehmer einer Straftat ist, ergibt sich mangels eigener Begriffsbestimmungen für das Steuerrecht aus den §§ 25 bis 31 des Strafgesetzbuchs –StGB– (Täterschaft und Teilnahme). Teilnehmer sind der Anstifter (§ 26 StGB) oder der Gehilfe (§ 27 StGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
13
a) Unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Anforderungen setzt die Haftung als Gehilfe einer Steuerhinterziehung voraus, dass der Steuerschuldner die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht hat. Der Steuerschuldner muss eine der in § 370 Abs. 1 AO beschriebenen Tathandlungen mit Vorsatz begangen und dadurch Steuern verkürzt haben. Der Gehilfe muss dazu vorsätzlich Hilfe geleistet haben. Das setzt eine von Vorsatz getragene Beihilfehandlung voraus. Der Vorsatz des Gehilfen muss sich darüber hinaus auch auf die Haupttat, also die Steuerhinterziehung durch den Steuerschuldner erstrecken (sog. doppelter Gehilfenvorsatz). Steuerrechtlich setzt die Haftung weiter voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiert (Akzessorietät der Haftung).
14
b) Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts –hier des § 370 AO– bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften wie § 169 Abs. 2 Satz 2 AO oder § 71 AO von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Danach hat das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des Strafgesetzes ausfüllen. Allerdings darf es sich für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nicht auf die Anwendung eines reduzierten Beweismaßes oder eine Schätzung beschränken; verbleibende Zweifel gehen nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Finanzamts (vgl. BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 71 AO Rz 19).
15
c) Welche Anforderungen gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO im Einzelfall an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560; vom 7. November 2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364; BFH-Beschluss vom 9. März 2011 X B 153/10, BFH/NV 2011, 965).
16
d) Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Die Feststellung oder Nichtfeststellung von Tatsachen durch das FG ist danach der revisionsrechtlichen Nachprüfung weitgehend entzogen. Sie ist grundsätzlich nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind. Im Übrigen binden die tatsächlichen Feststellungen das Revisionsgericht schon dann, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind (vgl. nur Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30, m.w.N.). Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder das erforderliche Maß von Überzeugung kann deshalb nur angenommen werden, wenn das FG die in § 96 Abs. 1 Satz 1  1. Halbsatz FGO angeordneten gesetzlichen Maßstäbe für die Überzeugungsbildung in grundlegender Weise verkannt hat.
17
2. Nach diesen Maßstäben begegnet das angefochtene Urteil keinen rechtlichen Bedenken.
18
a) Das FG hat im Wesentlichen ausgeführt, die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers in einer bestimmten Anzahl von Fällen und in einer bestimmten Höhe lasse keinen sicheren Schluss darauf zu, dass die 638 nicht enttarnten Wertpapierkunden Steuern hinterzogen haben. Die fehlende Überzeugung des Gerichts gehe zu Lasten des FA. Das Gericht dürfe die fehlende Überzeugung nicht durch Wahrscheinlichkeitsurteile ersetzen. Dies würde zu einer weitreichenden Feststellungserleichterung zugunsten der Finanzverwaltung führen, was nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zulässig sei.
19
b) Diese Ausführungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
20
aa) Sie beruhen im rechtlichen Ausgangspunkt auf der ständigen Rechtsprechung, dass die Haftung nach § 71 AO die Verwirklichung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung i.S. des § 370 Abs. 1 AO voraussetzt und die entsprechenden Tatsachen durch das FG hinsichtlich einer sicher bestimmbaren Zahl von Fällen festzustellen sind. Das setzt tatsächliche Feststellungen dazu voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Außerdem musste das FG feststellen, dass der jeweilige Steueranspruch noch existierte und nicht z.B. durch Zahlung oder Verjährung erloschen war.
21
Kann das FG verbleibende tatsächliche Zweifel, ob und in welchem Umfang Steuerhinterziehungen begangen wurden, nicht ausräumen, muss es wegen der insoweit bestehenden Feststellungslast des FA zu dessen Lasten den Haftungstatbestand i.S. des § 71 AO verneinen (s. dazu oben unter II.1.b).
22
bb) Die Auffassung des FA, zur Begründung der Haftung gemäß § 71 AO reiche auch ohne entsprechende einzelfallbezogene tatsächliche Feststellungen schon eine hinreichend sichere Annahme einer Steuerhinterziehung i.S. einer gruppenbezogenen Betrachtung aus (hier der nicht enttarnten Kunden), findet im Gesetz keine Stütze.
23
(1) Schon die strafrechtlichen Begriffe (Steuerhinterziehung, Teilnahme) gebieten für die Anwendung des § 71 AO eine grundsätzlich auf den Einzelfall abstellende Betrachtung. Der BFH ist stets davon ausgegangen, dass die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts auch materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen sind (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570). Auch die steuerrechtliche Akzessorietät der Haftung kann nur bezogen auf das einzelne Steuerrechtsverhältnis geprüft werden.
24
(2) Die gegenteilige Auffassung des FA ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht und die grundsätzliche Bindung des Richters an das Gesetz unvereinbar. Sie liefe auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene Gefährdungshaftung hinaus.
25
Auch der Umstand, dass der Kläger gerade durch das ihm zur Last gelegte Verhalten die Enttarnung der Bankkunden aktiv erschwert und zum Teil vereitelt hat, vermag keine Ausweitung der Haftung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus zu rechtfertigen.
26
(3) Das FG hat seine Überzeugung gemäß § 96 FGO zu Recht nach demselben Beweismaß wie bei anderen steuer- oder haftungsbegründenden Tatsachen gebildet, nicht aber nach einem reduzierten Beweismaß anhand eines bestimmten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs, wie ihn das FA mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % zugrunde legen will. Durch einen solchen Sicherheitsabschlag erhöht sich nämlich nur die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzte Haftungssumme den tatsächlichen Steuerschaden nicht übersteigt, nicht jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich in der Vielzahl der Einzelfälle die Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt.
27
cc) Die auf der Grundlage der dargestellten Grundsätze vorgenommene Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen durch das FG ist jedenfalls möglich; an die (negative) tatsächliche Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestands durch das Gericht ist der BFH deshalb gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
28
(1) Zum einen gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht (vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057).
29
(2) Zum anderen hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Häufigkeit der Steuerhinterziehung in der Gruppe der enttarnten Kunden bei der Prüfung einer möglichen Steuerhinterziehung durch nicht enttarnte Kunden der Bank mangels Möglichkeit weiterer entsprechender tatsächlicher Feststellungen unberücksichtigt gelassen. Andernfalls hätte die Überzeugungsbildung auf einer reinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung beruht, die mit dem unter II.1.b dargestellten Gebot der richterlichen Überzeugungsbildung für Sachverhalte, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt, unvereinbar gewesen wäre.
30
(3) Die Prüfung der Haftungsvoraussetzungen nach § 71 AO verlangt –wie dargelegt– tatsächliche Feststellungen, aus denen sich das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergibt. Dies erfordert im Regelfall Feststellungen zur Zurechenbarkeit anonymisierter Kapitaltransfers ins Ausland zu bestimmbaren Steuerpflichtigen und Feststellungen, die die Überzeugung begründen, dass diese Steuerpflichtigen in ihren Steuererklärungen dazu keine oder unrichtige Angaben gemacht haben.
31
Solche tatsächlichen Feststellungen waren indessen –auch nach Ansicht des FA– im Streitfall nicht möglich, so dass dahinstehen kann, ob das Merkmal der „Steuerhinterziehung“ in § 71 AO auch ohne (namentliche) Kenntnis des Täters in Betracht kommt. Die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen waren jedenfalls deshalb nicht durch Erkenntnisse aus der Gruppe der enttarnten Kunden zu ersetzen, weil selbst nach den Angaben des FA in der Gruppe der enttarnten Kunden nicht sämtliche Kunden in ihren Einkommensteuererklärungen unrichtige Angaben gemacht haben. Vielmehr habe „nahezu kein“ enttarnter Kunde die im Ausland erzielten Erträge deklariert, was jedoch Ausnahmen einschließt. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des FA in etwa 6 % der Fälle aus anderen Gründen eine Steuerverkürzung nicht eingetreten ist.
32
(4) Der Streitfall gibt schließlich keine Veranlassung, abschließend dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Wahrscheinlichkeitsaussagen überhaupt zur richterlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden dürfen, weil das FG seine Entscheidungsbildung auf solche Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht gestützt hat.

Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen – Umfang der Sorgfaltspflichten eines Unternehmers – Nachweis des Bestimmungsorts

BFH-Urteil vom 14.11.2012, XI R 17/12

1. Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung und der Unterschrift auf dem vorgelegten Personalausweis können Umstände darstellen, die den Unternehmer zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen müssen.

2. An die Nachweispflichten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der (angeblichen) innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen PKW ein Barkauf mit Beauftragten zugrunde liegt.

3. Die innergemeinschaftliche Lieferung von hochwertigen PKW bei Abholung durch einen Beauftragten gegen Barzahlung birgt eine umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr. Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 14.11.2012, XI R 17/12

Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen – Umfang der Sorgfaltspflichten eines Unternehmers – Nachweis des Bestimmungsorts

Leitsätze

1. Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung und der Unterschrift auf dem vorgelegten Personalausweis können Umstände darstellen, die den Unternehmer zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen müssen.

 

2. An die Nachweispflichten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der (angeblichen) innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen PKW ein Barkauf mit Beauftragten zugrunde liegt.

 

3. Die innergemeinschaftliche Lieferung von hochwertigen PKW bei Abholung durch einen Beauftragten gegen Barzahlung birgt eine umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr. Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betrieb im Streitjahr 2003 einen Kraftfahrzeughandel. Sie lieferte am 22. Januar 2003 einen Porsche 911 Carrera 4S Coupe umsatzsteuerfrei zum Preis von … EUR an die in Italien ansässige „Abnehmerin“ T mit Sitz in V. Das Fahrzeug wurde durch Vermittlung einer Firma S durch einen Bevollmächtigten bei der Klägerin abgeholt, der den Kaufpreis bar bezahlte. Als Abholer trat ein Herr mit dem Namen B auf, von dem sich die Klägerin eine Kopie des Personalausweises vorlegen ließ. Die Empfangsbestätigung auf der Rechnung beinhaltet den handschriftlichen Vermerk „Fzg. wird gem. Kaufvertrag vom 21.01.2003 nach Italien ausgeführt“ und ist mit dem Namen „B“ unterschrieben. Diese Unterschrift weicht von der Unterschrift auf der Personalausweiskopie ab.
2
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) den bis zu diesem Zeitpunkt als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung angesehenen Umsatz als steuerpflichtig und erließ am 12. Juli 2004 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2003, in dem es die Umsatzsteuer um insgesamt … EUR erhöhte. Das FA hat für den Umsatz mit T einen Umsatzsteuerbetrag von … EUR und für einen weiteren, revisionsrechtlich nicht angegriffenen Geschäftsvorfall einen Betrag von … EUR angesetzt. Die Versagung der Steuerfreiheit für die Lieferung an T beruht auf einer Mitteilung des Bundesamtes für Finanzen, nach der T ein Scheinunternehmen war, was nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zwischen den Beteiligten unstreitig ist.
3
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
4
Das FG gab der Klage hinsichtlich der Lieferung des Porsche 911 Carrera an T unter Herabsetzung der Umsatzsteuer um … EUR statt und wies die Klage im Übrigen in dem revisionsrechtlich nicht angegriffenen Teil ab. Für die Lieferung des Porsche 911 Carrera an T seien zwar die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfüllt, denn der Abnehmer –die T– sei ein Nichtunternehmer („Scheinunternehmer“) gewesen. Gleichwohl sei die Lieferung als steuerfrei zu behandeln, weil die Voraussetzungen des § 6a Abs. 4 UStG vorlägen.
5
Die Klägerin habe keine Zweifel am tatsächlichen Abholer haben müssen. Sie habe sich sämtliche Belege, die nach § 17a der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) erforderlich seien, vorlegen lassen. Insbesondere habe sie den Belegnachweis gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 4 UStDV erfüllt. Danach sei der Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern, zu führen. Dies sei erfüllt, denn die Klägerin habe durch den Vermittler S einen Handelsregisterauszug betreffend der T vorgelegt. Damit verbunden sei eine Versicherung gewesen, dass das Fahrzeug nach Italien befördert werden solle. Diese Versicherung sei auch schriftlich und in deutscher Sprache erfolgt. Sie enthalte unter Bezugnahme auf den Handelsregisterauszug Name und Anschrift der T (Abnehmer) sowie eine mit Datum versehene Unterschrift des Abnehmers bzw. in diesem Fall des Bevollmächtigten B. Damit habe die Klägerin ihre Sorgfaltspflichten aus § 6a Abs. 4 UStG erfüllt. Soweit die Finanzverwaltung im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 5. Mai 2010 IV D 3-S 7141/08/10001, 2010/ 0334195 (BStBl I 2010, 508) in Tz. 32 die Auffassung vertrete, „die Unterschrift (müsse) ggf. einen Vergleich mit der Unterschrift auf der Passkopie des Abnehmers (bzw. dessen Vertretungsberechtigten oder des unselbständigen Beauftragten) ermöglichen“, sei dies unverhältnismäßig. Zum einen könne sich eine Unterschrift durchaus im Laufe mehrerer Jahre verändern, zum anderen sehe eine Unterschrift auf einem Personalausweis, bei dem nur wenig Platz für die Unterschrift bestehe, häufig anders aus als auf anderen Unterlagen. Dass im Streitfall die Unterschrift auf der Empfangsbestätigung mit der Unterschrift des B auf seinem Personalausweis nicht ohne Weiteres übereinstimme, könne deshalb nicht zum Nachteil der Klägerin ausgelegt werden. Weitere Umstände, die einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns i.S. des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG rechtfertigen könnten, seien im Streitfall nicht ersichtlich.
6
Mit seiner Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend. Das Urteil des FG verstoße gegen § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG. Bei Barverkäufen hochwertiger Gegenstände seien an die Sorgfaltspflichten besonders hohe Anforderungen zu stellen. Die Umstände, dass ein hochwertiges Fahrzeug in bar veräußert werde und auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift auf dem vom Abholer vorgelegten Pass und der Verbringenserklärung bestehen, müssten den Unternehmer zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen. In die Würdigung, ob ein Unternehmer mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt habe, seien alle Umstände einzubeziehen (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 12. Mai 2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511). Von diesen Rechtssätzen weiche das FG ab. Zum einen halte es den Umstand, dass die Unterschriften auf dem vom Abholer vorgelegten Personalausweis und der Verbringenserklärung auffällige Unterschiede aufwiesen, für unbeachtlich. Denn es habe den Rechtssatz aufgestellt, dass ein Vergleich der Unterschriften unverhältnismäßig sei. Zum anderen würdige das FG nicht alle Umstände. Es würdige insbesondere nicht, dass die Klägerin ein hochwertiges Fahrzeug veräußert habe, der Kaufpreis von … EUR in bar entrichtet worden sei, die Vermittlung des Verkaufs des gebrauchten Fahrzeugs über die S erfolgt sei und S den Handelsregisterauszug des Abnehmers vorgelegt habe. Gerade diese Umstände hätten die Klägerin zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers veranlassen müssen.
7
Die Frage des Gutglaubensschutzes stelle sich daher nicht, weil die Klägerin ihren Nachweispflichten nicht nachgekommen sei. Es fehle an Belegen, aus denen sich insbesondere der tatsächliche Abholer der angeblichen innergemeinschaftlichen Lieferung und dessen Berechtigung leicht und einfach nachprüfbar habe entnehmen lassen.
8
Das FA beantragt,

das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

9
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10
Sie habe den Beleg- und Buchnachweis vollständig erbracht. Die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung i.S. von § 6a Abs. 1 UStG seien unstreitig nicht erfüllt, weil –wie sich später herausstellte– es sich bei dem Kunden um einen Nichtunternehmer gehandelt habe. Die Klägerin habe die Unrichtigkeit der Angaben der Abnehmer auch bei Beachtung der größten Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen können. Der von dem FA zitierte Beschluss vom 6. November 2008 V B 126/07 (BFH/NV 2009, 234) behandle einen abweichenden Fall, in dem das betreffende Fahrzeug sofort zum selben Preis weiterverkauft worden und dies dem liefernden Unternehmer bekannt gewesen sei, so dass tatsächlich bei dem Lieferer der Verdacht einer versuchten Steuerhinterziehung aufkommen könne. Im Streitfall habe es jedoch keinen ähnlichen Anlass gegeben, an der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen zu zweifeln.
11
Auch die Barzahlung des Kaufpreises sei nach der Erfahrung bei Exportgeschäften von Luxussportwagen nicht ungewöhnlich, sondern die Regel und die einzig praktikable Lösung bei Fahrzeugverkäufen ins Ausland. Gerade bei so mobilen Gegenständen wie Autos wolle der Verkäufer nicht das Risiko eines Forderungsausfalls tragen, sondern bestehe auf Barzahlung oder vollständiger bargeldloser Vorauszahlung; dies gelte gerade für Exportgeschäfte. Wenn das FA behaupte, dass eine „Barzahlung ungewöhnlich“ sei und das Misstrauen der Klägerin habe wecken müssen, so sei diese Auffassung wirklichkeitsfremd.

Entscheidungsgründe

12
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt hinsichtlich der zu beurteilenden Lieferung des Porsche 911 Carrera an T zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das Urteil des FG verletzt § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG. Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob für das Fahrzeug Porsche 911 Carrera die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen.
13
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass im Streitfall die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen sind.
14
Innergemeinschaftliche Lieferungen können unter den Voraussetzungen des § 6a UStG steuerfrei sein.
15
a) Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

„… 1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,

2. der Abnehmer ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,

b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder

c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber

und

3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.“

16
Der Unternehmer hat diese Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nachzuweisen.
17
Der Unternehmer soll dabei gemäß § 17a Abs. 2 UStDV in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, den Nachweis führen

„… 1. durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),

2. durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,

3. durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie

4. in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern.“

18
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
19
Nach § 17c Abs. 2 UStDV soll der Unternehmer regelmäßig Folgendes aufzeichnen:

„… 9. den Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.“

20
b) Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG; vgl. nunmehr Art. 131, 138 f. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem –MwStSystRL–).
21
Steuerfrei sind unter den Bedingungen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen danach „… die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt.“
22
c) Der Unternehmer kann grundsätzlich die Steuerfreiheit für eine innergemeinschaftliche Lieferung in Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden Nachweispflichten erfüllt (BFH-Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; vom 12. Mai 2011 V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 14; vom 15. Februar 2012 XI R 42/10, BFH/NV 2012, 1188, Rz 14). Kommt der Unternehmer den Nachweispflichten nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (BFH-Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 14; in BFH/NV 2012, 1188, Rz 14).
23
d) Im Streitfall fehlt es bereits am Nachweis, wer der wirkliche Abnehmer des PKW war. Nach den Feststellungen des FG war –was zwischen den Beteiligten unstreitig ist– T lediglich ein Scheinunternehmen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG liegen daher nicht vor.
24
2. Entgegen der Auffassung des FG ist die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG nicht anwendbar.
25
a) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (BFH-Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 28).
26
b) Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift auf dem vom Abholer vorgelegten Pass und der Verbringenserklärung können Umstände darstellen, die die Klägerin zu besonderer Sorgfalt hinsichtlich der Identität des angeblichen Vertragspartners und des Abholers hätten veranlassen müssen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 234, unter 3.). Solche auffälligen Unterschiede liegen im Streitfall vor. Die Unterschrift unter der Empfangsbestätigung auf der Rechnung weicht von der Unterschrift auf der Personalausweiskopie –auf den ersten Blick erkennbar– ganz erheblich ab.
27
c) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hält die Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 508, Tz. 32; Abschn. 6a.3. Abs. 9 Satz 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses), dass die Unterschrift ggf. einen „Vergleich mit der Unterschrift auf der Passkopie des Abnehmers (bzw. dessen Vertretungsberechtigten oder des unselbständigen Beauftragten) ermöglichen“ müsse, per se für unverhältnismäßig und lässt den Umstand, dass die Unterschrift auf der Empfangsbestätigung mit der Unterschrift des B auf seinem Personalausweis nicht übereinstimmt, bei der Würdigung, ob die Klägerin mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat, unzutreffend von vornherein außer Acht. Der Senat verkennt nicht, dass sich eine Unterschrift im Einzelfall im Laufe mehrerer Jahre verändern und eine Unterschrift auf einem Personalausweis, bei dem wenig Platz für die Unterschrift besteht, ein anderes Bild als auf sonstigen Unterlagen haben kann. Diese Umstände rechtfertigen es entgegen der Ansicht des FG aber nicht, die auffälligen Unterschiede in den Unterschriften in die Prüfung und Würdigung gar nicht erst miteinzubeziehen.
28
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Folgendes zu berücksichtigen haben:
29
a) Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG) ist gemäß § 25a Abs. 7 Nr. 3 UStG ausgeschlossen für Lieferungen, die der Differenzbesteuerung unterliegen; diese sind steuerpflichtig. Die Ausnahme entspricht Art. 26a Teil B, Teil D Buchst. c i.V.m. Art. 28c Teil A Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 2006 V R 52/03, BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420, unter II.1.). Anhaltspunkt für eine ggf. durchzuführende Differenzbesteuerung könnte insoweit der Eintrag eines Umsatzsteuerbetrags in Höhe von … EUR in der Zeile „nicht auszuweisen im Rahmen der Differenzbesteuerung gem. § 25a UStG“ im Kaufvertrag sein.
30
Das FG hat keine Feststellungen getroffen, die eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob die Klägerin die streitbefangene Kfz-Lieferung im Rahmen der Differenzbesteuerung ausgeführt hat. Gemäß § 25a Abs. 1 UStG gilt für Lieferungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG von beweglichen körperlichen Gegenständen eine Differenzbesteuerung, wenn u.a. folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

„1. Der Unternehmer ist ein Wiederverkäufer. Als Wiederverkäufer gilt, wer gewerbsmäßig mit beweglichen körperlichen Gegenständen handelt oder solche Gegenstände im eigenen Namen öffentlich versteigert.

2. Die Gegenstände wurden an den Wiederverkäufer im Gemeinschaftsgebiet geliefert. Für diese Lieferung wurde

a) Umsatzsteuer nicht geschuldet oder nach § 19 Abs. 1 nicht erhoben oder

b) die Differenzbesteuerung vorgenommen.

…“

31
Eine Differenzbesteuerung käme allerdings gemäß § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. b UStG nicht zur Anwendung, wenn es sich um die innergemeinschaftliche Lieferung eines neuen Fahrzeugs i.S. des § 1b Abs. 2 und 3 UStG handelt. Dafür könnte –sofern der Kilometerstand in der „Verbindlichen Bestellung“ des Fahrzeugs vom 20. Januar 2003 korrekt ausgewiesen ist– der niedrige Kilometerstand sprechen. Widersprüchlich ist jedoch, dass nach den dortigen Angaben die gesamte km-Leistung laut Vorbesitzer 0 km und der km-Stand laut Zähler indes 4 500 km beträgt.
32
Das FG hat die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
33
b) Sofern die Lieferung nicht der Differenzbesteuerung unterliegt, stellt sich im Rahmen der nachfolgend zu prüfenden innergemeinschaftlichen Lieferung die Frage, ob der Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers auch bei Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte, erst dann, wenn der Unternehmer seinen Nachweispflichten nach §§ 17a ff. UStDV vollständig nachgekommen ist (BFH-Urteile vom 15. Juli 2004 V R 1/04, BFH/NV 2005, 81, Leitsatz 2; in BFH/NV 2012, 1188, Rz 32). Maßgeblich ist hierfür die formelle Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt (BFH-Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 30; in BFH/NV 2012, 1188, Rz 32).
34
Die Ausführungen des FG sind insoweit unzureichend, da es keine Feststellungen zu dem Bestimmungsort des Liefergegenstands Porsche 911 Carrera (vgl. § 17a Abs. 2 Nr. 2, § 17c Abs. 2 Nr. 9 UStDV) getroffen hat. Der Gesetzeszweck des § 6a Abs. 1 UStG erfordert den Nachweis des Bestimmungsorts der innergemeinschaftlichen Lieferung, um die Warenbewegung nachzuvollziehen und um sicherzustellen, dass der gemeinschaftliche Erwerb in dem anderen Mitgliedstaat als Bestimmungsland den Vorschriften der Erwerbsbesteuerung unterliegt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420, Leitsatz 2; Langer in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 6a Rz 73). Die Angaben in der Verbringenserklärung „Fzg. wird gem. Kaufvertrag vom 21.01.2003 nach Italien ausgeführt“ sind insoweit nicht ausreichend, da der Bestimmungsort nicht genannt ist (vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 6a Rz 73) und auch nicht mit der im Bezug genommenen Kaufvertrag vom 21. Januar 2003 enthaltenen Unternehmensanschrift ohne Weiteres gleichzusetzen ist. Nach dem Urteil des BFH in BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420, unter II.2.c kann sich die gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 2, § 17c Abs. 2 Nr. 9 UStDV erforderliche Angabe des Bestimmungsorts zwar unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben. Dies gilt jedoch im Grundsatz nur, wenn davon auszugehen ist, dass der Gegenstand der Lieferung auch zum Unternehmenssitz des Abnehmers versendet oder befördert wird (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 28/10, BFHE 233, 331, Rz 29). Hierzu fehlen hinreichende Feststellungen. Die Frage des der Klägerin obliegenden Nachweises des Bestimmungsorts ist Gegenstand der Tatsachenwürdigung durch das FG (BFH-Urteil in BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420, Leitsatz 2).
35
c) An die Nachweispflichten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn der angeblichen innergemeinschaftlichen Lieferung eines hochwertigen PKW ein Barkauf (hier … EUR) mit „Beauftragten“ zugrunde liegt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 81, unter II.2.b). In die Würdigung, ob ein Unternehmer mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat, sind diese Umstände einzubeziehen (BFH-Urteil in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.4.b bb). Im Streitfall kommt hinzu, dass ein Vermittler zwischengeschaltet worden ist und die vermeintliche „Abnehmerin“ T faktisch –außer auf dem Papier– gar nicht in Erscheinung trat.
36
aa) Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, die Barzahlung des Kaufpreises sei bei Exportgeschäften von Luxussportwagen die Regel.
37
Der Senat verkennt nicht, dass in der Autobranche bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Barzahlung Zug um Zug gegen Aushändigung des Fahrzeugs üblich sein mag (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29. Mai 2012  3 K 2138/10, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2012, 1968, Rz 71, m.w.N.) und dass ohne Barzahlung bei Übergabe oder vollständiger bargeldloser Vorauszahlung durch den im Ausland ansässigen Abnehmer der Verkäufer das Risiko eines Forderungsausfalls tragen würde, jedoch diese Abwicklungsmodalität eine erhebliche umsatzsteuerrechtliche Missbrauchsgefahr birgt. Die Bekämpfung von Missbrauch, Steuerumgehung und -hinterziehung ist indes ein von der Richtlinie 77/388/EWG bzw. MwStSystRL angestrebtes Ziel (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– vom 29. April 2004 C-487/01 und C-7/02 –Gemeente Leusden und Holin Groep–, Slg. 2004, I-5337, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2004, 302, Rz 76; vom 7. Dezember 2010 C-285/09 –R–, Slg. 2010, I-12605, UR 2011, 15, Rz 36; vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11 –Mahagében und Dávid–, BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591, Rz 41; vom 6. September 2012 C-273/11 –Mecsek-Gabona–, UR 2012, 796, Deutsches Steuerrecht –DStR– 2012, 1917, Rz 47) und rechtfertigt hohe Anforderungen an die Einhaltung der umsatzsteuerrechtlichen Verpflichtungen des Verkäufers (vgl. EuGH-Urteile vom 27. September 2007 C-409/04 –Teleos u.a.–, Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, Rz 58 und 61; in UR 2012, 796, DStR 2012, 1917, Rz 47; Treiber in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 6a Rz 103). Der Unternehmer muss daher alle ihm zur Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, ergriffen haben, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. EuGH-Urteile in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, Rz 65; in BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591, Rz 54; in UR 2012, 796, DStR 2012, 1917, Rz 48 und 53 f.; Treiber in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 6a Rz 103).
38
bb) Bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers oder seines angeblichen Beauftragten, so ist der Unternehmer auch verpflichtet, Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit anzustellen (Oelmaier, DStR 2008, 1213, 1217; Treiber in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 6a Rz 104). Die Zumutbarkeit von Maßnahmen richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Da beim Barverkauf von hochwertigen PKW in das Ausland und Abholung durch einen Beauftragten ein erhebliches umsatzsteuerrechtliches Missbrauchspotenzial besteht, ist in diesen Fällen der Rahmen des Zumutbaren weit zu ziehen.
39
Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers können in diesen Fällen beispielsweise folgende Umstände begründen:
Es besteht keine längere Geschäftsbeziehung zwischen dem Unternehmer und dem Abnehmer und der Unternehmer hat keine Kenntnis von der Vertretungsberechtigung der für den Abnehmer auftretenden Person (vgl. Urteil des FG Köln vom 27. Januar 2005  10 K 1367/04, EFG 2005, 822);
die Geschäftsanbahnung mit dem Unternehmer erfolgt durch einen von dem Abnehmer zwischengeschalteten Dritten und der Abnehmer tritt –außer auf dem Papier– nicht in Erscheinung;
die fehlende Nachvollziehbarkeit des Schriftverkehrs, z.B. fehlende Faxkennung des Abnehmers, oder widersprüchliche Angaben des Abnehmers, z.B. der im Ausland ansässige Abnehmer hat eine Faxadresse im Inland.
40
Dagegen stellen im Regelfall keine Gründe für Zweifel an der Richtigkeit geringfügige, rein formale Versehen dar, wie z.B. ein bloßes Verschreiben auf der Verbringenserklärung.
41
4. Soweit das FA dem Revisionsantrag das Begehren hinzugefügt hat, den Umsatzsteuerbescheid für 2003 vom 12. Juli 2004 dahingehend zu bestätigen, dass die festgesetzte Steuer … EUR beträgt, versteht der Senat dies lediglich als ziffernmäßig bestimmte, klarstellende Wiederholung des Revisionsantrags der Klägerin. Denn von dem gestellten Revisionsantrag, das Urteil des FG aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen, wird inhaltlich auch das mit der Revision verfolgte Ziel der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung vom 12. Juli 2004 mitumfasst.

„Häusliches“ Arbeitszimmer bei Nutzung der zweiten Wohnung in Zweifamilienhaus

BFH-Urteil vom 15.01.13   VIII R 7/10

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 15. Januar 2013 VIII R 7/10 entschieden, dass Aufwendungen für die berufliche Nutzung der zweiten Wohnung, die sich im Obergeschoss eines ausschließlich von dem Kläger und seiner Familie genutzten Zweifamilienhauses befinden, unter die Abzugsbeschränkung für ein häusliches Arbeitszimmer fallen und somit lediglich pauschal in Höhe von 2.400 DM bzw. 1.250 € steuerlich zu berücksichtigen sind.

 

Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Erfinder. Für die Erstellung von Patenten benötigte er zahlreiche Unterlagen und umfangreiche Fachliteratur, sodass er ein ausschließlich beruflich genutztes Büro unterhielt. Dieses befand sich im Obergeschoss des von ihm und seiner Familie bewohnten Zweifamilienhauses. Eine direkte Verbindung zwischen den zum Büro gehörenden Räumlichkeiten im Obergeschoss und dem Wohnbereich der Kläger im Erdgeschoss bestand nicht. Der Zugang zum Obergeschoss war nur über einen separaten Treppenaufgang möglich, der über eine eigene Eingangstür verfügte. Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung die auf die Büroräume entfallenden Aufwendungen in voller Höhe geltend. Das Finanzamt ließ dagegen nur die für ein häusliches Arbeitszimmer geltende Pauschale von 2.400 DM zum Abzug zu. Vor Gericht argumentierte der Kläger, das Arbeitszimmer sei nicht „häuslich“ und unterfalle deshalb nicht der Abzugsbeschränkung. Das Finanzgericht folgte dem und gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hat der BFH das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Der BFH rechnet das Arbeitszimmer noch dem häuslichen Bereich zu. Der für die Annahme der Häuslichkeit erforderliche Zusammenhang der beruflich und privat genutzten Räume entfällt erst, wenn das Arbeitszimmer über eine der Allgemeinheit zugängliche und auch von anderen Personen genutzte Verkehrsfläche zu erreichen ist. Im vorliegenden Fall wurde jedoch das gesamte Grundstück und Gebäude ausschließlich von dem Kläger und seiner Familie genutzt, so dass die baubedingte räumliche Trennung zwischen den beruflich und den privat genutzten Räumen nicht so stark ausgeprägt war, dass der Zusammenhang zur häuslichen Sphäre hinreichend gelöst war.

DStV  Pressemitteilung Nr. 21/13 vom 10.4.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 15.1.2013, VIII R 7/10

Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in einem allein genutzten Zweifamilienhaus – Einbindung eines Arbeitsraums in die häusliche Sphäre

Leitsätze

Ein häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG liegt auch dann vor, wenn sich die zu Wohnzwecken und die betrieblich genutzten Räume in einem ausschließlich vom Steuerpflichtigen genutzten Zweifamilienhaus befinden und auf dem Weg dazwischen keine der Allgemeinheit zugängliche oder von fremden Dritten benutzte Verkehrsfläche betreten werden muss (Anschluss an BFH-Urteil vom 20. Juni 2012 IX R 56/10, BFH/NV 2012, 1776).

Tatbestand

1
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Oberarzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Erfinder. Für die Erstellung von Patenten benötigte er zahlreiche Unterlagen und umfangreiche Fachliteratur, sodass er ein ausschließlich beruflich genutztes Büro unterhielt. Dieses befindet sich im Obergeschoss des von den Klägern bewohnten Zweifamilienhauses. Eine direkte Verbindung zwischen den zum Büro gehörenden Räumlichkeiten im Obergeschoss und dem Wohnbereich der Kläger im Erdgeschoss besteht nicht. Der Zugang zum Obergeschoss ist nur über einen separaten Treppenaufgang möglich, der über eine eigene Eingangstür verfügt. Diese befindet sich zwischen Garage und Hauswand und ist über einen überdachten Windfang zu erreichen. Hinsichtlich der Büro- und Wohnräume wurden zwei separate Mietverträge abgeschlossen.
2
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger die auf die Büroräume entfallenden Aufwendungen in Höhe von 15.312 DM als Betriebsausgaben bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid für 2001 unter Verweis auf die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) demgegenüber lediglich 2.400 DM als pauschalierte Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
3
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Kläger die steuermindernde Berücksichtigung der vollen Bürokosten als Betriebsausgaben bei den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit begehrten, mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1114 veröffentlichten Urteil statt. Es vertrat die Auffassung, dass es sich bei den von dem Kläger genutzten Büroräumen nicht um ein „häusliches“ Arbeitszimmer handele, sodass die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht gelte.
4
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG.
5
Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil des FG vom 15. Mai 2009  10 K 3583/08 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6
Die Kläger sind der Revision nicht entgegengetreten und haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Entscheidung des FG verletzt § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass kein häusliches Arbeitszimmer vorliege.
8
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nicht als Betriebsausgaben abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2.400 DM begrenzt (Satz 3  1. Halbsatz der Vorschrift). Die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet (Satz 3  2. Halbsatz der Vorschrift).
9
a) Der Begriff des häuslichen Arbeitszimmers ist im Gesetz nicht näher bestimmt. Es handelt sich insoweit um einen von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Begriff, den der Gesetzgeber in die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG übernommen hat. Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „häusliches Arbeitszimmer“ ist zu beachten, dass § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG der typisierenden Begrenzung von Aufwendungen dient, die eine Berührung mit dem privaten Lebensbereich des Steuerpflichtigen aufweisen und in einer Sphäre anfallen, die einer sicheren Nachprüfung durch Finanzverwaltung und Finanzgerichte entzogen ist (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 7. Dezember 1999  2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, 311; vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, 282; BFH-Urteile vom 27. September 1996 VI R 47/96, BFHE 181, 305, 307, BStBl II 1997, 68, 70; vom 21. November 1997 VI R 4/97, BFHE 184, 532, 536, BStBl II 1998, 351, 353; vom 23. September 1999 VI R 74/98, BFHE 189, 438, 441, BStBl II 2000, 7, 8). Letztlich handelt es sich auch um eine Regelung zur Missbrauchsabwehr (BFH-Urteil vom 19. September 2002 VI R 70/01, BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139).
10
b) Wesentliche, repräsentative Ausformung des „häuslichen Arbeitszimmers“ ist das häusliche Büro, also ein Arbeitsraum, der seiner Lage nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und nach Ausstattung und Funktion der Erledigung betrieblicher oder beruflicher Arbeiten vorwiegend büromäßiger Art dient (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 2002 VI R 164/00, BFHE 201, 86, BStBl II 2003, 350; vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185).
11
Eine Einbindung in die häusliche Sphäre ist nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig dann gegeben, wenn die betrieblich oder beruflich genutzten Räume zur Wohnung oder zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehören (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2003 VI R 124/01, BFHE 202, 104, BStBl II 2004, 69, m.w.N.). Ein Arbeitszimmer, das sich in einem selbst genutzten Einfamilienhaus befindet, ist danach grundsätzlich ein häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, es sei denn, die Einbindung des Büros in die häusliche Sphäre wird –etwa durch Publikumsverkehr oder die Beschäftigung von nicht familienangehörigen Teilzeitkräften– aufgehoben oder überlagert (BFH-Urteil vom 20. November 2003 IV R 30/03, BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775; BFH-Urteil vom 9. November 2006 IV R 2/06, BFH/NV 2007, 677).
12
Eine unmittelbare Verbindung zur Wohnung ist dabei nicht erforderlich; auch Mansardenzimmer oder Kellerräume im selben Haus stehen als Zubehörräume zu der Wohnung noch in einer räumlichen Verbindung, die sie als häusliches Arbeitszimmer einordnen lässt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185). Sogar die Lage der Räume in einem Anbau, der nicht vom Wohnhaus aus, sondern nur über einen separaten, straßenabgewandten Eingang vom Garten aus betreten werden kann (BFH-Urteil in BFHE 201, 86, BStBl II 2003, 350), hat die Rechtsprechung noch für die Einbindung in die häusliche Sphäre als ausreichend angesehen.
13
Hingegen liegt eine innere häusliche Verbindung mit der privaten Lebenssphäre nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig nicht vor, wenn der Steuerpflichtige in einem Mehrfamilienhaus –zusätzlich zu seiner privaten Wohnung– noch eine weitere Wohnung vollständig als Arbeitszimmer nutzt. Die erforderliche Verbindung zur häuslichen Sphäre ist in diesem Fall nicht allein deshalb gegeben, weil sich eine als Arbeitszimmer genutzte Wohnung in demselben Haus und unter demselben Dach wie die Privatwohnung des Steuerpflichtigen befindet (vgl. im Einzelnen BFH-Urteile in BFHE 202, 104, BStBl II 2004, 69; vom 26. Februar 2003 VI R 125/01, BFHE 202, 109, BStBl II 2004, 72; vom 18. August 2005 VI R 39/04, BFHE 211, 447, BStBl II 2006, 428).
14
Jedoch kann sich die notwendige innere Verbindung derartiger Arbeitsräume mit der privaten Wohnung des Steuerpflichtigen daraus ergeben, dass die Wohnungen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander liegen, etwa weil die als Arbeitszimmer genutzten Räume unmittelbar an die Privatwohnung angrenzen oder weil sie ihr auf derselben Etage direkt gegenüberliegen (BFH-Urteile in BFHE 202, 104, BStBl II 2004, 69, und in BFHE 202, 109, BStBl II 2004, 72). Denn die Möglichkeiten des Steuerpflichtigen, Kosten der privaten Lebensführung in den beruflichen oder betrieblichen Bereich zu verlagern, sind bei unmittelbar an die Privatwohnung angrenzenden Räumlichkeiten typischerweise deutlich größer, als wenn dem Steuerpflichtigen der Zutritt zu den Räumlichkeiten außerhalb der Privatwohnung nur über ein auch von fremden Dritten benutztes, gemeinsames Treppenhaus möglich ist (BFH-Urteil in BFHE 211, 447, BStBl II 2006, 428; Senatsurteil vom 10. Juni 2008 VIII R 52/07, juris). Die Annahme eines inneren Zusammenhangs der Wohnsphäre mit dem zusätzlich angemieteten Büroraum und eine Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist in diesem Fall gerechtfertigt, da es dem Steuerpflichtigen wesentlich leichter fallen wird, die tatsächlichen Nutzungsverhältnisse an diesen Räumlichkeiten vor außenstehenden Personen verborgen zu halten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 211, 447, BStBl II 2006, 428).
15
Danach setzt eine Durchbrechung des inneren Zusammenhangs des Arbeitszimmers mit den in demselben Gebäude gelegenen Wohnräumen regelmäßig voraus, dass das Arbeitszimmer über eine der Allgemeinheit zugängliche und auch von anderen Personen genutzte Verkehrsfläche zu erreichen ist (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 20. Juni 2012 IX R 56/10, BFH/NV 2012, 1776). Denn nur in diesem Fall ist die räumliche Trennung zwischen Arbeitszimmer und Wohnhaus so stark ausgeprägt, dass der Zusammenhang zur häuslichen Sphäre gelöst wird (BFH-Urteil in BFHE 201, 86, BStBl II 2003, 350). Dies gilt auch dann, wenn über die Wohn- und Arbeitsräume zwei separate Mietverträge abgeschlossen wurden, da dies lediglich ein –gestaltbares– schwaches Indiz für ein außerhäusliches Arbeitszimmer ist.
16
2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie nicht diesen Grundsätzen entspricht.
17
a) Das FG ist von einer zu engen Definition des häuslichen Arbeitszimmers ausgegangen. Es hat die Häuslichkeit des Arbeitszimmers bereits deshalb verneint, weil die Büroräume durch keinen direkten Zugang mit den Wohnräumen des Klägers verbunden sind und über einen eigenen Eingang und Treppenaufgang verfügen. Es hat dabei jedoch unberücksichtigt gelassen, dass das gesamte Grundstück und Gebäude ausschließlich von den Klägern genutzt wurde.
18
Die von den Klägern vorgelegten Digitalfotografien und Grundrisszeichnungen, auf die das FG in seinem Urteil Bezug nimmt, lassen den Schluss zu, dass der Kläger, um von seinem Wohnbereich in die Büroräume zu gelangen, das private Grundstück nicht verlassen musste. Er durchquerte hierfür keine auch der Allgemeinheit zugängliche Verkehrsfläche, sondern betrat das Büro über einen auf dem privaten Gelände gelegenen und zwischen Garage und Hauswand überdachten separaten Eingang. Es besteht danach ein innerer Zusammenhang zwischen den Büroräumen und der Wohnsphäre, sodass die Abzugsbeschränkung für ein häusliches Arbeitszimmer nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG eingreift.
19
b) Die Aufwendungen für die als häusliches Arbeitszimmer genutzten Büroräume des Klägers sind –wie vom FA berücksichtigt– gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3  1. Halbsatz EStG lediglich in Höhe von 2.400 DM als Betriebsausgaben abzuziehen. Die Klage ist danach abzuweisen. Da das Arbeitszimmer des hauptberuflich als Oberarzt tätigen Klägers nicht den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildete, ist ein unbeschränkter Abzug auch nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3  2. Halbsatz EStG gegeben.

DBA bei Grenzgängerbesteuerung: Mehrfachansässigkeit eines Arbeitnehmers

FG Baden-Württemberg Urteil vom 26.9.2012, 2 K 776/11

Kollision von DBA bei Grenzgängerbesteuerung: Mehrfachansässigkeit eines Arbeitnehmers, Lösung eines DBA-Dreieckskonflikts

Tenor

 

1. Es wird festgestellt, dass die Ablehnung des Beklagten vom 28. Mai 2010, dem Kläger eine Bescheinigung über die Freistellung vom Lohnsteuerabzug gemäß § 39 d Abs. 3 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 39 b Abs. 6 EStG zu erteilen, und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 rechtswidrig waren.

 

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

3. Die Revision wird zugelassen.

 

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigen zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

 

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 Euro, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 Euro kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat, §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit vom Lohnsteuerabzug freizustellen sind.
2
Der Kläger erzielte im Inland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einem Arbeitsverhältnis mit der B GmbH. Sein Familienwohnsitz (Hauptwohnsitz) befindet sich in X/Österreich. Der Kläger unterhält ferner einen Zweitwohnsitz in „Y/Frankreich“, zu der er in der Regel nach der Arbeit im Inland zurückkehrt.
3
Am 12. März 2010 reichte er bei dem Beklagten (dem Finanzamt – FA) einen Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 39 Abs. 6 EStG als Grenzgänger nach Frankreich ein.
4
Das FA lehnte mit Bescheid vom 28. Mai 2010 den Antrag, die inländischen Einkünfte vom Lohnsteuerabzug freizustellen, ab, da das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Staat anzuwenden sei, indem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen befinde. Dies sei, weil sich der Familienwohnsitz des Klägers in Österreich befinde, das DBA Deutschland-Österreich. Danach stehe nach dem Quellenstaatprinzip Deutschland das Besteuerungsrecht zu.
5
Gegen diesen Bescheid richtete sich der am 9. Juni 2010 beim FA eingegangene Einspruch vom 7. Juni 2010. Mit dem Einspruch begehrte der Kläger das DBA Deutschland-Frankreich vorrangig anzuwenden, da er wegen seiner doppelten Ansässigkeit sowohl in Bezug auf das DBA Deutschland-Österreich als auch in Bezug auf das DBA Deutschland-Frankreich abkommensberechtigt sei und damit befugt sei, das DBA Deutschland-Frankreich in Anspruch zu nehmen. Wegen der im Streitfall vorliegenden Dreieckskonstellation und der Abkommensberechtigung sowohl in Bezug auf das DBA Deutschland-Frankreich als auch das DBA Deutschland-Österreich könne der Kläger das für ihn günstigere Abkommen wählen.
6
Mit Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wies es darauf hin, dass abkommensberechtigt auf das DBA Deutschland-Frankreich, das DBA Deutschland-Österreich und das DBA Österreich-Frankreich jeweils die in einem oder in beiden Vertragsstaaten ansässigen Personen seien. Die relevante Ansässigkeit bestimme sich bei Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten durch Fiktion. So gelte in allen genannten DBA bei doppelter Ansässigkeit „die Person als in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfüge. Verfüge sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gelte sie in dem Vertragsstaat als ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe (Mittelpunkt der Lebensinteressen).“ Diese durch Fiktion definierte Ansässigkeit räume dem Staat, indem sich bei doppelter Ansässigkeit der Mittelpunkt der Lebensinteressen befinde, Priorität ein. In Bezug auf die im Streitfall tangierten Doppelbesteuerungsabkommen ergäbe sich daraus folgendes:
7
1. DBA Frankreich-Deutschland:
Nach Art. 13 Abs.1 i. V. m. Abs. 5 seien die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Frankreich zu versteuern, sofern die Grenzgängereigenschaft gegeben sei.
2. DBA Deutschland-Österreich:
Nach Art. 15 Abs. 1 seien die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, weil hier die Grenzgängereigenschaft nicht gegeben sei, in Deutschland als Quellenstaat zu versteuern.
3. DBA Frankreich-Österreich:
Wegen des sich in Österreich befindlichen Mittelpunkts der Lebensführung, der (kraft Fiktion) zur dortigen (alleinigen) Ansässigkeit führe, lägen Einkünfte aus Drittstaaten vor.
8
Keines der DBA enthalte ein Wahlrecht des jeweiligen Abkommensberechtigten bei mehrfacher Abkommensberechtigung durch unterschiedliche DBA.
9
Im hier zu entscheidenden Dreieckssachverhalt sei zudem auch keine Regelungslücke für ein Wahlrecht erkennbar, da alle drei tangierten DBA sich entsprechende Regelungen zur Lösung des Ansässigkeitskonflikts (Tie-Breaker-Rule) hätten. Das Netz der hier zu beachtenden DBA sei im Hinblick auf die Gleichheit der jeweiligen, wenn auch nur bilateral vereinbarten Tie-Breaker-Regelungen einheitlich und, die tangierten DBA betreffend, übergreifend zu sehen.
10
Im Übrigen würden auch inländische Gesetze bei Dreieckssachverhalten kein Wahlrecht für Steuerpflichtige zu Gunsten eines bestimmten DBA vorsehen.
11
Die Anwendung dieser Grundsätze führe im Streitfall dazu, dass im Verhältnis zu dem DBA Deutschland-Frankreich das DBA Deutschland-Österreich vorrangig anzuwenden sei mit der Folge, dass die vom Kläger im Inland erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Deutschland als dem Quellenstaat zu versteuern seien.
12
Mit der am 1. März 2011 erhobenen Verpflichtungsklage wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen im Rechtsbehelfsverfahren.
13
Mit Schreiben vom 4. Mai 2011 (AS. 28) ist das FA der Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung entgegen getreten.
14
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. August 2011 (AS. 43) legte der Kläger Unterlagen zum Nachweis dafür vor, dass er im Streitjahr 2010 (auch) in Frankreich besteuert wurde.
15
Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 18. Januar 2012 einen Erörterungstermin durchgeführt und die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die im Streitfall gegebene Kollision von mehreren, in einfaches Recht transformierten Doppelbesteuerungsabkommen seiner Auffassung nach unter Anwendung allgemeiner Auslegungsregeln aufzulösen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (AS. 69).
16
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigen vom 28. Januar 2012 (AS. 71) legte der Kläger Reisekostenabrechnungen für das Streitjahr 2010, eine Auswertung über die Anzahl der Nichtrückkehrtage sowie verschiedene Nachweise bezüglich seiner Wohnungen in X und Y vor und ließ mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 24. Februar 2012 (AS. 110) vortragen, dass er sein Klageziel nunmehr auf dem Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erreichen wolle, aber den bisherigen Verpflichtungsantrag als Hilfsantrag aufrecht erhalte.
17
Das FA führte in der Folgezeit bei dem Arbeitgeber des Klägers eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch und trug mit Schreiben vom 13. März 2012 (AS. 43) und vom 28. Juni 2012 (AS. 124) vor, dass die erhobene unzulässige Verpflichtungsklage nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt werden könne. Denn die begehrte Freistellung vom Lohnsteuerabzug sei nur bis zum Abschluss des Lohnkontos möglich. Nach § 41 b EStG sei das Lohnkonto am Ende des Kalenderjahres, spätestens bis zum 28. Februar der Folgejahres (Übermittlung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung) abzuschließen. Nach Abschluss des Lohnkontos könne über die Freistellung als Grenzgänger nur noch in einem besonderen Erstattungsverfahren nach Art. 25 b Abs. 1 Satz 2 DBA Deutschland-Frankreich entschieden werden. Im Übrigen könne die Kollision mehrerer Doppelbesteuerungsabkommen im Streitfall nicht allein dadurch gelöst werden, dass allein das sich aus Art. 13 Abs. 5 DBA-Deutschland-Frankreich ergebende Merkmal der „ständigen Wohnstätte“ für die Zuweisung des Besteuerungsrechts relevant sein solle. Es seien vielmehr keine Kriterien erkennbar, welche geeigneter als die Ansässigkeit wären, um die bestehende Kollision aufzulösen. Es sei nicht erkennbar, weshalb die ständige Wohnstätte besser geeignet sein solle, als der Rückgriff auf eine analoge Anwendung der Tie-Breaker-Regelung. Es gelte zu bedenken, dass Dreieckskonstellationen auch in Fällen ohne Grenzgängerregelung denkbar seien. Ein Rückgriff auf eine ständige Wohnstätte könne in diesen Fällen nicht erfolgen, wohingegen die Ansässigkeit in jedem Abkommen zu bestimmen sei. Im Hinblick darauf könnten bzw. müssten Steuerpflichtige, die Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten beziehen, unter Umständen für jede Einkunftsart ein anderes Doppelbesteuerungsabkommen anwenden. Dabei müsste getrennt für jede Abkommensregelung ein Rückgriff auf ein gesondertes Merkmal erfolgen, beispielsweise die Wohnstätte mit täglicher Rückkehr bei der Grenzgängerregelung und die Ansässigkeit bei Dividenden.
18
Bei einem Rückgriff auf die Ansässigkeit würde sich dagegen die Besteuerung eines Steuerpflichtigen bei Dreieckskonstellationen immer nur nach einem Abkommen richten, und zwar nach demjenigen, das der Quellenstaat mit dem (vorrangigen) Ansässigkeitsstaat vereinbart hat. Im Übrigen verfüge der Kläger sowohl in Frankreich als auch in Österreich über eine ständige Wohnstätte. Die weiteren Einschränkungen im Rahmen der Grenzgängerregelung dürften eher im Hinblick auf die Ansässigkeit zu sehen sein.
19
Selbst wenn man zum Ergebnis käme, dass das DBA Deutschland-Frankreich vorrangig anwendbar sei, sei nach Aktenlage davon auszugehen, dass der Kläger die Grenzgängereigenschaft nicht erfülle. In Anlehnung an die im Verfahren wegen Lohnsteuerermäßigung für das Jahr 2011 geltend gemachten Familienheimfahrten nach Österreich und die im Klageverfahren vorgetragenen (unstreitigen) Dienstreisen sei davon auszugehen, dass die schädliche Grenze von 45 Tagen überschritten worden sei.
20
Der Kläger vertrat mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. April 2012 (AS. 116), vom 20. Juli 2012 (AS. 133) und vom 24. August 2012 die Auffassung, dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch dann statthaft sei, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt oder ein Verpflichtungsbegehren schon vor der Klageerhebung erledigt habe. Im Übrigen habe der BFH in seiner erst jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 21. Oktober 2011 I R 70/08 (BStBl. II 2012, 493) ausdrücklich bestätigt, dass ein Arbeitnehmer einen Erstattungsanspruch in analoger Anwendung des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG habe, wenn eine Zahlung des Arbeitgebers zu Unrecht dem Lohnsteuerabzug unterworfen wurde, weil die Besteuerung der Zahlung abkommensrechtlich dem Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers zugewiesen ist.
21
Zu den Familienheimfahrten sei zu sagen, dass der Kläger die 45-Tages-Grenze eindeutig eingehalten habe.
22
Der Kläger beantragt, (Schriftsatz vom 24. Februar 2012, AS. 110) festzustellen, dass die Ablehnung des Beklagten vom 28. Mai 2010, dem Kläger eine Bescheinigung über die Freistellung vom Lohnsteuerabzug gemäß § 39 d Abs. 3 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 39 b Abs. 6 EStG zu erteilen, und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 rechtswidrig waren; hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 28. Mai 2010 und unter Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2011 eine Bescheinigung über die Steuerbefreiung des ihm im Jahre 2010 gezahlten Arbeitslohns zu erteilen.
23
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
24
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Lohnsteuerakten Bezug genommen.
25
Am 26. September 2012 hat vor dem Senat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht unstreitig gestellt haben, dass bei dem Kläger alle Tatbestandsmerkmale des Art. 13 Abs.1 i. V. m. Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich vorliegen, dieser also Grenzgänger im Sinne der genannten Vorschrift ist. Auf die Sitzungsniederschrift wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
I. Die Klage ist mit dem Hauptantrag als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO).
27
Die ursprünglich erhobene Verpflichtungsklage wäre nunmehr unzulässig, weil sich die beantragte Freistellungsbescheinigung mit Ablauf der Frist für die Änderung des Lohnsteuerabzugs erledigt hatte. Gemäß § 41 c Abs. 3 EStG darf der Lohnsteuerabzug nach Ablauf des Kalenderjahres nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung geändert werden. Da die Lohnsteuerbescheinigung spätestens bis zum 28. Februar des Folgejahres zu übermitteln ist (§ 41 b Abs. 1 EStG), kann das abgeschlossene Lohnsteuerkonto des Klägers nicht mehr geändert werden.
28
Der Kläger hat sowohl unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie als auch der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 EStG (BFH-Urteil vom 11. Juli 2012 I R 76/11, BFH/NV 2012, 1966).
29
Soweit das FA darauf hingewiesen hat, dass eine unzulässige Verpflichtungsklage nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt werden könne, hat es nicht beachtet, dass die Klageschrift vom 25. Februar 2011 datiert.
30
II. Die zulässige Klage ist auch begründet.
31
Das FA war verpflichtet, dem Kläger eine Freistellungsbescheinigung nach § 39 b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2010) i. V. m. Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959, BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 342 (DBA Deutschland-Frankreich) zu erteilen. Das Besteuerungsrecht für die von dem Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit steht Frankreich zu.
32
1. Der mit Zweitwohnsitz in Frankreich wohnende Kläger ist in Deutschland mit seinen inländischen Einkünften aus seiner hier ausgeübten nichtselbständigen Arbeit gemäß § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig.
33
Der Kläger genießt den Abkommensschutz des DBA Deutschland-Frankreich, denn dieses ist gemäß Art. 1 Abs. 1 DBA Deutschland-Frankreich sachlich und persönlich auf ihn anwendbar. Der Kläger ist unstreitig (auch) in Frankreich ansässig, denn er ist dort nach französischem Recht auf Grund seines (dortigen) Wohnsitzes steuerpflichtig (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a DBA Deutschland-Frankreich). Frankreich hat von seinem Besteuerungsrecht auch Gebrauch gemacht.
34
2. Entgegen der Auffassung des FA führen die Regelungen des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 DBA Deutschland-Frankreich, insbesondere die Fiktion einer Ansässigkeit (nur) in dem Vertragsstaat, indem der Steuerpflichtige den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b DBA Deutschland-Frankreich) nicht dazu, dass dem Kläger der Abkommensschutz des DBA-Frankreich (insgesamt) versagt werden könnte. Denn das DBA Deutschland-Frankreich gilt nur bilateral zwischen Deutschland und Frankreich. In Bezug auf die beiden Vertragsstaaten hat der Kläger keine doppelte Ansässigkeit, denn er ist in Deutschland unstreitig nicht ansässig.
35
Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass Art. 1 Abs. 1 DBA Deutschland-Frankreich im Falle einer doppelten Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten das Ziel verfolgen würde, den Steuerpflichtigen dem Schutz des Abkommens insgesamt zu entziehen, wenn dieser den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland hätte. Die Geltung für Personen mit Ansässigkeit in beiden Vertragsstaaten wird zwar (anders als in Art. 1 Abs. 1 OECD-Musterabkommen – MA -) nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber selbstverständlich (Kramer in Debatin/Wassermayer Frankreich, Stand: August 2012, Art. 1 Rz 4). Die in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b DBA Deutschland-Frankreich geregelte Fiktion schließt deshalb die Anwendung des DBA nicht aus, sondern führt erst auf der Ebene der Zuteilungsregeln (Verteilungsnormen) – soweit es abkommensrechtlich auf das Merkmal der Ansässigkeit ankommt – zum Vorrang eines Vertragsstaats.
36
Der Umstand, dass der Kläger unstreitig auch den Abkommensschutz des DBA Deutschland-Österreich genießt, führt nach der Rechtsauffassung des Senats nicht dazu, dass bereits auf der Stufe der persönlichen Abkommensberechtigung(en) zu entscheiden wäre, ob und ggf. welches der beiden Abkommen vorrangig anzuwenden ist. Denn der zunächst abstrakte Befund, dass der Kläger in Bezug auf mehrere Doppelbesteuerungsabkommen abkommensberechtigt ist, besagt nicht zwangsläufig, dass die jeweiligen Abkommen bei einem Sachverhalt, bei dem mehr als zwei Staaten betroffen sind (so genannter Dreieckssachverhalt), das Besteuerungsrecht nicht ein und demselben Vertragsstaat zuweisen. Dass Dreieckssachverhalte schwierig zu lösen sind, ergibt sich aus der Natur von bilateralen Abkommen und musste den Vertragssaaten bei Abschluss der Doppelbesteuerungsabkommen bewusst gewesen sein.
37
Die Problematik stellt sich nach der Rechtsauffassung des Senats erst auf der Ebene der Anwendung von einzelnen abkommensrechtlichen Zuteilungsregeln (Verteilungsnormen), die festlegen, welche Besteuerungsverzichte die Vertragsstaaten jeweils leisten müssen. Kommt es bei der Anwendung konkreter Zuteilungsregeln dazu, dass das eine Abkommen das Besteuerungsrecht einem anderen Staat zuweist als das andere Abkommen (Kollision), ist zu klären, ob und ggf. welche der beiden Regelungen vorrangig anzuwenden ist.
38
Soweit das FA meint, dass der von ihm verfolgte Lösungsweg schon deshalb vorzugwürdig sei, weil er sich auch auf andere Einkunftsarten übertragen lasse, übersieht es, dass die maßgeblichen Zuteilungsregeln (Verteilungsnormen) häufig auf andere Kriterien abstellen als das Merkmal der Ansässigkeit. Es hat weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass die Vertragsstaaten der Ansässigkeit die ihm von dem FA angenommene  Bedeutung beigemessen hätten (Nichtanwendung ganzer Doppelbesteuerungsabkommen in Fällen doppelter oder mehrfacher Ansässigkeit). Auch wenn es zu den anerkannten Regeln der Gesetzesanwendung – auch im Steuerrecht – gehört, unbewusste und planwidrige Gesetzeslücken durch Gesetzesanalogie oder Rechtsanalogie zu schließen (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 50/01, BStBl II 2002, 575 m. w. Rechtsprechungsnachweisen), fehlt es hier an einer Gesetzeslücke, die nicht auf einer gesetzgeberischen Absicht beruht. Deutschland und die anderen Vertragsstaaten haben vielmehr bewusst den Weg vieler bilateraler und nicht nur eines multilateralen Abkommens gewählt.
39
3. Die Anwendung des DBA Deutschland-Frankreich führt im Streitfall dazu, dass Frankreich das Besteuerungsrecht zusteht.
40
Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Deutschland-Frankreich steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Quellenstaat (hier: Deutschland) zu. Abweichend hiervon bestimmt Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaates haben (Grenzgänger), nur in diesem anderen Staat besteuert werden. Der Kläger erfüllt unstreitig alle Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm. Dies haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt.
41
4. Die sog. Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich ist entgegen der Auffassung des FA nicht durch das DBA Deutschland-Österreich gesperrt.
42
Das FA geht zutreffend davon aus, dass Art. 15 Abs. 1 DBA des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24. August 2000, BGBl. 2002 II S. 2435, BStBl. 2002 I S. 958 (DBA Deutschland-Österreich) das Besteuerungsrecht für Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, Deutschland als Quellenstaat zuweist, wenn die Arbeit – wie im Streitfall – im Inland ausgeübt wird.
43
Damit liegen im Streitfall kollidierende Zuteilungsregeln vor.
44
5. Wie ein DBA-Dreieckssachverhalt in der im Streitfall gegebenen Konstellation zu lösen ist, wurde bisher – soweit ersichtlich – durch die Rechtsprechung noch nicht entschieden. Sinn und Zweck beider Abkommen ist es, zu verhindern, dass die in einem der Vertragsstaaten ansässige Person doppelt zu Steuern herangezogen wird. Es ergibt sich aus der Natur der bilateralen Abkommen, dass sie aufgrund ihrer bloß zweiseitigen Ausrichtung eine derartige Situation nur unzureichend regeln. Hierzu werden in der Literatur im Wesentlichen zwei Ansichten vertreten. Die eine Ansicht nimmt eine Günstigerprüfung vor und wendet zugunsten des Steuerpflichtigen stets das für ihn günstigere DBA an, d.  h. hier im Ergebnis das DBA Deutschland-Frankreich. Eine andere Auffassung möchte dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zubilligen mit der Folge, dass der Kläger im Streitfall das für ihn günstigere DBA Deutschland-Frankreich wählen könnte. Beide Ansichten kommen einhellig zu dem Ergebnis, dass im Streitfall das Besteuerungsrecht Frankreich zusteht.
45
Das FA wendet insoweit zutreffend ein, dass von einem Wahlrecht nur dann ausgegangen werden kann, wenn dieses dem Kläger gesetzlich eingeräumt worden ist. Hierfür bieten beide Abkommen keinerlei Anhaltspunkte. Ebenso wenig enthalten sie Regelungen, aus denen sich ein Meistbegünstigungsprinz ableiten lässt. Mit den Doppelbesteuerungsabkommen verzichten die beteiligten Staaten nur in den dort geregelten Fällen zu Gunsten des anderen Vertragsstaats auf ihr Besteuerungsrecht.
46
Nach Auffassung des Senats ist die Kollision der beiden Normen nach den allgemeinen Regeln aufzulösen, die die Rechtsprechung für Fälle der Normenkonkurrenz entwickelt hat.
47
Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden in Deutschland nur mittelbar über Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG) in Form des jeweiligen Zustimmungsgesetzes angewendet. Sie erhalten dadurch innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.
48
Kollidieren zwei Regelungen im Rang eines einfachen Bundesgesetzes und enthält sich der Gesetzgeber – wie hier – einer eindeutigen Entscheidung, welche der beiden Normen vorrangig anzuwenden ist, ist die Normenkonkurrenz durch die Gerichte im Wege der Auslegung aufzulösen.
49
a. Eine Auslegung nach Maßgabe des jeweiligen Wortlauts führt im Streitfall nicht weiter.
50
Anknüpfungspunkt für eine einschränkende Auslegung der Grenzgängerregelung in  Art. 13 Abs. 5 Buchst. a) DBA Deutschland-Frankreich könnte allenfalls das Tatbestandsmerkmal „ihre ständige Wohnstätte … haben“ sein. Aus der vergleichbaren Regelung in Art. 16 Abs. 6 Nr. 1 DBA Deutschland-Österreich, „ihren Wohnsitz … haben“, haben die Finanzverwaltungen geschlossen, dass die Grenzgängerregelung des DBA Deutschland-Österreich nur anwendbar sei, wenn der Grenzgänger nur einen Wohnsitz hat (Lang/Stefaner Debatin/Wassermayer Österreich, Stand: August 2012, Art. 15 Rz 16). Allerdings wurde eingeschränkt, dass diese Verständigungsvereinbarung nicht überzogen angewendet werden darf. Entsprechende Verständigungsvereinbarungen in Bezug auf die Grenzgängerregelung existieren jedoch – soweit ersichtlich – zwischen Deutschland und Frankreich nicht.
51
Eine derart einschränkende Auslegung lässt sich nach Auffassung des Senats dem Wortsinn des Possessivpronomens „ihre“ nicht entnehmen, das bei Art. 13 Abs. 5 Buchst. a) DBA Deutschland-Frankreich lediglich die Zugehörigkeit der ständigen Wohnstätte zu der Person bezeichnet. Es muss sich um seine und nicht um die Wohnstätte einer anderen Person handeln. Der Verwendung des Possessivpronomens kann nicht entnommen werden, dass die Person nur eine einzige Wohnstätte hat.
52
Das Abkommen stellt im Übrigen in Art. 13 Abs. 5 Buchst. a) DBA Deutschland-Frankreich nicht auf den abkommensrechtlichen Begriff der Ansässigkeit (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a) DBA Deutschland-Frankreich) ab, sondern setzt eine ständige Wohnstätte voraus, zu der die Person in der Regel jeden Tag zurückkehrt. Der von den Vertragsstaaten in Kenntnis der Tragweite dieses Begriffs vereinbarte klare Abkommenswortlaut begrenzt damit ein ausweitendes Verständnis des Begriffs „ihre ständige Wohnstätte“. Gemeint sind danach alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Die Wohnstätte ist eine „ständige“ i. S. des Abkommensrechts, wenn der Steuerpflichtige diese längerfristig nutzen kann und tatsächlich auch nutzt; eine ständige Wohnstätte setzt nicht ein ständiges Bewohnen der Wohnung oder ein Mindestmaß an Nutzung in jedem Veranlagungszeitraum voraus. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b) DBA Deutschland-Frankreich erfordert aber, dass die natürliche Person über eine ständige Wohnstätte „verfügt“. Jemand verfügt über eine ständige Wohnstätte, wenn er die Möglichkeit hat, jederzeit (rechtmäßig) die Räumlichkeiten als Wohnstätte zu nutzen und sie tatsächlich nutzt (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 I R 40/97, BStBl II 1999, 207; FG Hamburg, Urteile vom 12. Juni 2008 5 K 81/06, EFG 2008, 1558 und vom 11. September 2012 2 K 23/12, Juris). Eine ständige Wohnstätte setzt nicht voraus, dass sie der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen ist (Wassermayer in Debatin/Wassermayer MA, Stand: August 2012, Art. 4 Rz 33).
53
Die Anwendung der Grenzgängerregelung scheitert somit nicht daran, dass der Kläger Wohnstätten in zwei Staaten hat (so auch zum DBA Schweiz BFH-Urteil vom 26. Oktober 1995 I B 205/94, BFH/NV 1996, 298).
54
b. Es ist mit der Rechtsnatur der Abkommen als völkerrechtlichen Verträgen grundsätzlich unvereinbar, die Normenkollision nach dem Rechtsgrundsatz „lex posterior derogat legi priori“ (Vorrang des späteren vor dem früheren Gesetz) zu lösen.
55
Nach inländischem Recht wurde bisher nach der wohl überwiegenden Rechtsauffassung der unilaterale „Bruch“ des völkervertragsrechtlich Vereinbarten (das sogenannte treaty overriding) zwar rechtstechnisch für möglich erachtet (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Januar 2012 I R 66/09, BFH/NV 2012, 1056 m. w. H.), weil völkerrechtliche Verträge der Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich nur in Form des jeweiligen Zustimmungsgesetzes zu verbindlichem Recht werden, das durch spätere entgegenstehende gesetzliche Regelungen grundsätzlich geändert werden kann. Erforderlich ist hierbei jedoch, dass der Gesetzgeber bei dem Erlass des späteren Gesetzes eindeutig kenntlich gemacht hat, dass er sich über die Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens hinwegsetzen will (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Stand: November 2012, § 2 Rz. 2 mit umfangreichen Nachweisen). Fehlt – wie im Streitfall – eine spezielle, das DBA Deutschland-Frankreich bewusst derogierende Vorschrift, so ist (auch) das DBA Deutschland-Frankreich anzuwenden. Die Bundesrepublik Deutschland ist im Übrigen völkerrechtlich beiden Vertragspartnern in gleicher Weise zur Einhaltung der Abkommen verpflichtet.
56
Sinn und Zweck beider Abkommen ist es, zu verhindern, dass die in einem der Vertragsstaaten ansässige Person doppelt zu Steuern herangezogen wird. Keines der Abkommen enthält Bestimmungen, wie bei Dreieckssachverhalten zu verfahren ist. Es erscheint daher ausgeschlossen, dass sich der Gesetzgeber mit dem neueren Abkommen über Regelungen in dem älteren Abkommen im Sinne eines Treaty Overriding hinwegsetzen wollte. Andernfalls hätte der Gesetzgeber einen von ihm gewollten Vorrang des einen vor einem anderen Abkommen deutlich zum Ausdruck gebracht.
57
c. In derartigen Fällen der Gesetzeskonkurrenz kann eine der Normen einen weiteren (generellen) Anwendungsbereich haben als die konkurrierende speziellere Norm. Gemeinhin wird dann die Kollision nach dem Prinzip „lex specialis derogat legi generali“ (Vorrang des spezielleren vor dem allgemeineren Gesetz) aufgelöst.
58
In diesem Sinne ist unter systematischen Gesichtspunkten die Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich eine Ausnahmevorschrift von der in beiden Doppelbesteuerungsabkommen normierten Grundregel, dass das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Quellenstaat zusteht (vgl. Art. 13 Abs. 1 DBA Deutschland-Österreich und Art. 15 Abs. 1 DBA Deutschland-Frankreich). In Ihren Grundsätzen stimmen beide Abkommen mit Art. 15 des OECD MA 2008 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen überein, das den allgemeinen Grundsatz enthält, dass Einkünfte aus unselbständiger Arbeit von dem Staat besteuert werden, in dem die Arbeit tatsächlich ausgeübt wird (Tätigkeitsstaat). Beide Doppelbesteuerungsabkommen enthalten jedoch eine Grenzgängerregelung (vgl. Art. 15 Abs. 6 DBA Deutschland-Österreich und Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich). Hierbei handelt es sich um Sonderregelungen, die sich u. a. insoweit unterscheiden, als das DBA Deutschland-Österreich auf Personen abstellt, die „in dem einen Staat in der Nähe der Grenze ihren Wohnsitz und in dem anderen Staat in der Nähe der Grenze ihren Arbeitsort haben“), während das DBA Deutschland-Frankreich von Personen spricht, die „im Grenzgebiet eines Vertragsstaats arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Staates haben“. Beide Regelungen beruhen auf dem Prinzip der Besteuerung des Grenzgängers nur im Ansässigkeitsstaat. Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich geht den Abs. 1, 3 und 4 vor. Indem er als selbständige Rechtsfolge die Besteuerung von Arbeitnehmern im Wohnsitzstaat bestimmt, schließt er das Quellenstaatsprinzip aus. Dies gilt nach Wortlaut und Sinn der Regelung auch dann, wenn ein weiterer betroffener Staat – hier Österreich – zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu Gunsten von Deutschland auf ein ihm zustehendes Besteuerungsrecht verzichtet hat. Das DBA Deutschland-Frankreich enthält keinen Hinweis, dass die Grenzgängerregelung nicht angewandt werden soll, wenn der Steuerpflichtige auch in einem Drittstaat eine Wohnstätte hat bzw. dort ansässig ist.
59
Entgegen der Auffassung des FA ist die Regelung in Art. 13 Abs. 5 DBA Deutschland-Frankreich geeignet, zu einer eindeutigen Bestimmung des Vertragsstaates zu führen, dem das Besteuerungsrecht zusteht. Denn es ist nicht vorstellbar, dass ein Steuerpflichtiger jeden Tag zu mehreren „ständigen Wohnstätten“ in unterschiedlichen Staaten zurückkehrt.
60
Deutschland hat sich im Streitfall damit aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages seines Besteuerungsrechts begeben.
61
Es wurde von dem FA weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass die Begründung eines Zweitwohnsitzes in Frankreich ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne von § 42 AO darstellt.
62
Da die Klage bereits mit dem Hauptantrag Erfolg hat, erübrigt sich eine Entscheidung über den Hilfsantrag.
63
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V. mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
64
Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO.
65
Der Kläger beantragt, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren liegt ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen ist. Der Kläger durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Nachweis der Grenzgängereigenschaft und Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte

FG Baden-Württemberg Urteil vom 27.9.2012, 3 K 994/09

Pflicht zur Mitwirkung hinsichtlich des Nachweises der Grenzgängereigenschaft – Beibehaltung der Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte nach Änderung des § 20 Abs. 2 AStG durch das JStG 2010

Tenor

 

1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom wird die Einkommensteuer auf EUR festgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger und die Klägerin sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2005 (Streitjahr) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Die Kläger haben zwei leibliche Kinder, die Söhne C (geb. xx.xx.xxxx) und D (geb. xx.xx.xxxx). Die Kläger wohnten im Streitjahr in X / Deutschland/Markgräflerland (… straße). Im Schreiben der Kläger vom 23. Oktober 2006 (Bl. 31/2004 der Einkommensteuerakten Band II -ESt-Akten II-) wird die vorgenannte Anschrift als „Familienwohnsitz“ bezeichnet.
2

Entscheidungsgründe

39
Die Klage ist im Wesentlichen unbegründet (siehe nachfolgend zu I.) und zu einem geringen Teil begründet (siehe nachfolgend zu II.).
40
I. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinen Einkünften aus der Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst in Y/CH in vollem Umfang der Besteuerung im Inland unterliegt.
41
1. Der Kläger war im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der in Streitjahren geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes -EStG 2005- unbeschränkt einkommensteuerpflichtig; er unterlag daher mit allen im Streitjahr erzielten (Welt-)Einkünften der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812). Er hatte -wie für die Annahme der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erforderlich- im gesamten Streitjahr einen Wohnsitz im Inland.
42
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 2005 sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
43
a) Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung muss die natürliche Person die Wohnung nicht zwingend selbst innehaben. Sie kann die Wohnung auch durch ihre Familienangehörigen, insbesondere durch den Ehegatten, innehaben (so bereits: Entscheidung des Reichsfinanzhofs -RFH- vom 10. März 1937 VI A 631/36, Reichssteuerblatt -RStBl- 1937, 498; BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351). Daher spricht eine Vermutung dafür, dass Ehegatten ihren Wohnsitz im Regelfall dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat (BFH-Entscheidungen vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331; vom 2. November 1994, I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 24. September 1965 1 BvR 131/65, Der Betrieb -DB- 1965, 1886, juris). Das setzt voraus, dass die Wohnung auch für den nicht dauernd dort lebenden Familienangehörigen bestimmt ist und dieser die Wohnung ebenfalls als sein Heim betrachtet (RFH-Entscheidung in RStBl 1937, 498; BFH-Urteile vom 29. Oktober 1959 IV 129/58 S, BStBl III 1960, 61; vom 3. März 1978 VI R 195/75, BStBl II 1978, 372; vom 30. August 1989 I R 215/85, BStBl II 1989, 956). Es muss alles dafür sprechen, dass die Person bei sich bietender Gelegenheit zu ihrer Familie zurückkehren wird, um dort gemeinsam mit der übrigen Familie zu wohnen (BFH-Urteil in BStBl III 1960, 61). Kehrt sie stets nur zurück, um die Familie zu besuchen, so besteht kein gemeinsamer Familienwohnsitz (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Wie oft und in welchen Zeitabständen die Person zurückkehrt, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Person anderswo einen (weiteren) Wohnsitz hat oder dass sie nach der Rückkehr stets nur kurzfristig in der Familienwohnung verweilt (Stapperfend in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 1 Anm. 65 und 69 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
44
b) Danach kann im Streitfall davon ausgegangen werden (BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2), dass der Kläger im Streitjahr seinen Wohnsitz im Gebäude … straße in X / Deutschland hatte. Dort wohnte seine Familie: Seine (von ihm nicht dauernd getrennt lebende) Ehefrau und die gemeinsamen (im Streitjahr noch minderjährigen) Kinder C und D, mit denen im Streitjahr eine häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Das Gebäude hatte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 2001 zu je ½ Miteigentumsanteil als Heimstatt für seine Familie erworben. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger entgegen der Regel, dass ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen wird und daher auch dort seinen Wohnsitz hat, die Wohnung in X / Deutschland nicht benutzt habe, liegen im Streitfall nicht vor. Der Kläger selbst bezeichnet im Schriftsatz vom 23. Oktober 2006 die Wohnung in X / Deutschland als seinen Familienwohnsitz.
45
Der Annahme eines Familienwohnsitzes im Inland steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 1. August 2004 seine Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst der Universität Y/CH aufgenommen hat, nachdem er zuvor als Oberarzt bei den Krankenhaus G/CH (und damit in unmittelbarer Näher zum Familienwohnsitz in X / Deutschland) tätig war. Denn die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Inland am Wohnsitz seiner Familie hat, gilt auch dann (weiter), wenn ein Arbeitnehmer, der im Ausland versetzt wird, seine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, dass sie ihm jederzeit als Bleibe dienen kann (BFH-Urteil in BStBl II 1996, 2). Für eine hiervon abweichende tatsächliche Würdigung wurde vom Kläger nichts vorgetragen. Des Weiteren ergibt auch der sonstige Inhalt der dem erkennenden Senat vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit von seinen Tätigkeitsorten in Y/CH bzw. ab dem 1. Oktober des Streitjahres auch von U/Kanton Z/CH aus nach X / Deutschland zurückkehrte, um dort gemeinsam mit seiner Familie zu wohnen. Seine Aufenthalte in X / Deutschland hatten nach den Gesamtumständen des vorliegenden Einzelfalles nicht lediglich den Charakter von Besuchen, die der Annahme eines Wohnsitzes des Klägers in der Wohnung seiner Familie allerdings entgegenstünden.
46
2. Das FA hat zutreffend angenommen, dass die Einkünfte des Klägers aus der (unselbständigen) Tätigkeit für den FDP gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1992 der deutschen Steuer unterliegen.
47
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist (siehe nachfolgend zu b). Grenzgänger i.S. des Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1992). Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfällt bei einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung im anderen Vertragsstaat während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (sog. Nichtrückkehrtage) -siehe nachfolgend zu c-.
48
b) Der Kläger war im Streitjahr schon deshalb im Inland ansässig im Sinne des Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992, weil er in X / Deutschland im Gebäude … straße über eine ständige Wohnstätte verfügte (Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu aa) und bb)-) und im Übrigen zur Bundesrepublik Deutschland die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte (Mittelpunkt der Lebensinteressen; Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu cc) und dd)-).
49
aa) Eine Wohnstätte ist eine „ständige“ i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, wenn sie auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur gelegentliche Nutzung nicht aus (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 I R 40/97, BStBl II 1999, 207). Erforderlich ist vielmehr eine Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der „ständigen Wohnstätte“ gegenüber dem „Wohnsitz“ i.S. des § 8 AO, für dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur von Fall zu Fall genutzt wird (BFH-Urteile vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812; vom 24. Januar 2001 I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).
50
bb) Der Kläger hatte im Streitjahr im Inland eine Wohnstätte. Wohnstätte sind alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Diese Merkmale erfüllt zweifelsohne der Familienwohnsitz des Klägers im Gebäude … straße in X / Deutschland. Der Familienwohnsitz in X / Deutschland diente dem Kläger auch als „ständige“ Wohnstätte, weil der Kläger aufgrund seines (Mit-)Eigentumsrechts ständig über diese verfügen konnte und diese auch zweifelsfrei häufig und regelmäßig im Streitjahr nutzte.
51
cc) Bei der Entscheidung der Frage, wo der Kläger den Mittelpunkt der Lebensinteressen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 im Streitjahr hatte, geht es darum, zu welchem Staat er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte. Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen hat der BFH mehrfach Entscheidungen getroffen (s. die Entscheidungen vom 28. November 2007 I B 79/07, juris; vom 23. Oktober 1985 I R 274/82, BStBl II 1986, 133; vom 31.Oktober 1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562; vom 17. Juli 2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600; vom 27. März 2007 I B 63/06, BFH/NV 2007, 1656). Diese Entscheidungen stehen in Übereinstimmung mit Nr. 15 Satz 2 des Musterkommentars zu Art. 4 des OECD-Musterabkommens aus dem Jahr 1977 (OECD-MA), wonach die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen der Person, ihre berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort ihrer Geschäftstätigkeit, der Ort, von wo aus sie ihr Vermögen verwaltet, und ähnliches zu berücksichtigen ist, wobei die Umstände als Ganzes zu prüfen sind. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist damit auf der Grundlage einer zusammenfassenden Wertung sowohl der persönlichen als auch der wirtschaftlichen Beziehungen im konkreten Fall zu ermitteln (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 MA Rz 70). Einer auf den einzelnen Steuerpflichtigen bezogenen zusammenfassenden Wertung ist eine bestimmende (allgemeine) Rangordnung der Kriterien fremd (BFH-Beschluss I B 79/07, juris).
52
dd) Bei der Abwägung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers zur Bundesrepublik Deutschland einerseits und zur Schweiz andererseits sprechen alle für den Senat -unter Berücksichtigung der Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Kläger (Hinweis auf die richterliche Anordnung vom 17. November 2010 zu I.)- erkennbaren Umstände dafür, dass die ständige Wohnstätte des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland in X / Deutschland der für ihn bedeutungsvollere Ort war. Dort lebte seine Familie und dort verfügte er über eine ständige Wohnstätte, die in der Form eines eigenen Wohnhauses seine besondere Bindung gerade zu dieser Wohngelegenheit zum Ausdruck brachte. Der Kläger hatte zur Bundesrepublik Deutschland auch wirtschaftliche Beziehungen. Diese bestanden einmal in der Form des (Mit-) Eigentums an dem Wohnhaus … straße in X / Deutschland, das der Kläger mit einem erheblichen finanziellen Aufwand erworben hat. Außerdem übte der Kläger im Inland auch noch eine -wenn auch bescheidene- Tätigkeit im Rahmen eines … handels aus. Im Übrigen wurden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger von einem anderen Ort als X / Deutschland sein Vermögen verwaltete, vorgetragen und solche sind auch aus den, dem erkennende Senat vorliegenden, Akten nicht ersichtlich. Demgegenüber besaß der Kläger im Streitjahr zur Schweiz nur wirtschaftliche Beziehungen durch seine nichtselbständige Tätigkeit für das … dienst in Y/CH und ab dem 1. Oktober dazu noch durch seine selbständige Tätigkeit als xxxx in seiner Praxis in U/Kanton Z/CH. Eine (besonders enge) persönliche Bindung an die Schweiz lässt sich auch im Hinblick auf die ihm (angeblich) zur Nutzung zur Verfügung stehenden Wohngelegenheiten an seinen Tätigkeitsorten in U/Kanton Z/CH und in Y/CH, zu denen der Kläger sich jeden substantiierten Vortrags enthalten hat, nicht erkennen. Angesichts dessen stellen sich die geschäftlichen Beziehungen zur Schweiz insoweit lediglich als gegenwartsbezogen dar, weil sie dem auf Dauer angelegten Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Bundesrepublik Deutschland eine ausreichende finanzielle Grundlage verschaffen sollen.
53
c) Der Kläger ist hinsichtlich seiner Tätigkeit für den … dienst Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992, weil mangels eines Nachweises davon auszugehen ist, dass er im Streitjahr nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992).
54
aa) Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Gesetzes vom 30. September 1993 zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992 zum DBA-Schweiz 1971 -Zustimmungsgesetz- (BGBl II 1993, 1886, BStBl I 1993, 927) hat der Arbeitgeber nach amtlich vorgeschriebenem Muster (vgl. hierzu: BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, Rz 18 i.V.m. Anlage Gre-3a [S. 703 ff. a.a.O.]) die Tage der Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung zu bescheinigen, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr Grenzgänger ist (Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1992). Nach Nr. II. 5 Satz 1 des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 -Verhandlungsprotokoll- (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929) ist die Bescheinigung des Arbeitgebers über die Tage der Nichtrückkehr mit einem Sichtvermerk der für den Arbeitsort zuständigen Finanzbehörde zu versehen.
55
Diese Bescheinigung schließt Ermittlungen der für den Wohnsitz zuständigen Finanzbehörde nicht aus (Nr. II. 5 Satz 2 des Verhandlungsprotokolls). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Bescheinigung im Inland weder für das Finanzamt noch für das Finanzgericht verbindlich (BFH-Urteil vom 3. November 2010 I R 4/10, BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.a, m.w.N.). Nach Schweizer Rechtsauffassung wird mit der Bescheinigung des Arbeitgebers auf dem amtlichen Vordruck Gre-3a (BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, 703) der Nachweis der Nichtrückkehrtage grundsätzlich erbracht, und nur in Ausnahmefällen hat die (Schweizerische) Steuerbehörde das Recht, die bescheinigten Nichtrückkehrtage zu überprüfen (Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, Band 8 B 15 a.2 Nr. 31 Ziff. 3 Buchstabe c Doppelbuchst. aa).
56
bb) Der Steuerpflichtige trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast bzw. Darlegungslast) dafür, dass er -z.B. wegen einer Übernachtung in der Schweiz- an einem Arbeitstag nicht an seinen Wohnsitz im Inland zurückgekehrt ist und im Übrigen auch dafür, dass dies auf Grund der Arbeitsausübung in der Schweiz geschehen ist (BFH-Urteil in BStBl II 2011, 800).
57
cc) Eine Entscheidung nach den zuvor dargelegten Beweislastregeln kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die mangelnde Sachaufklärung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, die gerade dem Zweck dienen sollen, solche Mängel zu vermeiden. Wirkt der Steuerpflichtige nicht mit (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO), mindert sich die Verpflichtung des Finanzgerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und das Beweismaß (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.b cc; vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201). Das Finanzgericht kann sich damit begnügen, zu einem geringeren Grad als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt bzw. nicht vorliegt. Berühren die verletzten Mitwirkungspflichten Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich (der alleinigen Interessenssphäre) des Steuerpflichtigen, kann das Finanzgericht aus diesem Verhalten des Steuerpflichtigen für diesen nachteilige Schlüsse ziehen. Es kann auch einen für den Steuerpflichtigen belastenden Sachverhalt im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellen, um zu vermeiden, dass demjenigen, der sich seinen Mitwirkungspflichten entzieht, daraus ein Vorteil entsteht. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht und des Beweismaßes sind die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie das vorausgegangene Tun des Steuerpflichtigen und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die des Finanzgerichts umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von Steuerpflichtigen beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (BFH-Urteile vom 9. Juni 2005 IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462).
58
dd) Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, obliegt dem Steuerpflichtigen eine erhöhte Aufklärungs-, Mitwirkungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO). Der betroffene Steuerpflichtige muss in einem solchen Fall Beweismittel beschaffen (BFH-Beschluss vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297) und ggf. Beweisvorsorge treffen (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007  X B 34/07, BFH/NV 2008, 597) und z.B. einen im Ausland ansässigen Zeugen -ohne Ladung durch das Gericht- zu einer Sitzung des Finanzgerichts stellen (BFH-Beschluss vom 11. November 2005 II B 101/04, BFH/NV 2006, 577).
59
Des Weiteren muss der Steuerpflichtige eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße, durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 90 AO Rz 152 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Ist die Pflicht nach § 90 Abs. 2 AO (i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO) verletzt und lässt sich der Sachverhalt nicht anderweitig aufklären, kann das Gericht zum Nachteil des mitwirkungsverpflichteten Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung von dessen Beweisnähe und Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (Thürmer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 76 FGO Rz 120 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).Hierfür ist insbesondere die Erwägung maßgebend, dass demjenigen, der seinen ihm obliegenden allgemeinen und besonderen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten nicht nachkommt, aus seinem Verhalten kein Vorteil entstehen darf; zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses sind auch belastende Unterstellungen oder nachteilige Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gerechtfertigt (BFH-Urteile vom 13. November 1985 I R 7/85, BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c; in BStBl II 1989, 462; von Groll in: Gräber, FGO, Kommentar, 7. Aufl., § 96 Rz 12; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung)
60
ee) Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 AO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) der Anzahl der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 durch das Finanzgericht ist nach Auffassung des BFH nicht zulässig (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 800, zu II.2.b cc bbb).
61
ff) Im Streitfall sind die Kläger ihren prozessualen Mitwirkungs- Informations- und Nachweispflichten in einer besonders gravierenden Weise nicht nachgekommen.
62
aaa) Mit ihrer Klage begehren die Kläger, dass der Kläger mit seinen vom … dienst bezogenen Einkünften aus unselbständiger Arbeit im Inland von der Einkommensteuer freigestellt werde, weil er an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt sei (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Der Kläger hat trotz mehrfacher Aufforderungen durch das FG (Hinweis auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin) und das FA (s. u.a. dessen Schreiben vom 8. Dezember 2008) nicht die gesetzlich vorgeschriebene Bescheinigung seines Arbeitgebers (des … dienst der Universität Y/CH) i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Zustimmungsgesetzes vorgelegt, in der für das Streitjahr die Tage der Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in X / Deutschland aufgrund seiner Arbeitsausübung für den … dienst dargelegt werden. Hierzu wäre es notwendig gewesen, dass der Kläger -wie im amtlichen Vordruck zur Arbeitgeberbescheinigung ausdrücklich verlangt (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [705 und 706])- auf einem gesonderten Blatt eine Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage unter Angabe des jeweiligen Datums eingereicht hätte. Warum diese Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage und die vom Arbeitgeber des Klägers unterschriebene Bescheinigung nicht vorgelegt wurden, wurde vom Kläger nicht dargelegt.
63
bbb) Des Weiteren hätte in der zuvor erwähnten -auf einem gesonderten Blatt zu erstellenden- Einzelaufstellung (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [706]) der Ort angegeben werden müssen, an dem sich der Kläger an den einzelnen Tagen der Nichtrückkehr jeweils aufgehalten hat und schließlich auch der Anlass der Nichtrückkehr. Hierzu hätten insbesondere deshalb Angaben gemacht werden müssen, weil der Kläger im Streitjahr eine selbständige freiberufliche Tätigkeit im Sinne von Art. 14 DBA-Schweiz 1971 als xxx xxxx in U/Kanton Z/CH (Entfernung Y-U: ca. 92 km; U-X / Deutschland: ca. 66 km, s. die Routenplaner lt. Bl. 5 und 6 der Rb-Akten) aufgenommen hat (s. Erhard in: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Kommentar, Art. 14 ABC der Freiberufler Rz 126 [S. 43]) und Tage, an denen er auf Grund dieser Tätigkeit nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist, bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 nicht zu berücksichtigen sind (BFH-Urteil vom 11. November 1009 I R 15/09, BStBl II 2010, 602). Insoweit fehlt es an einer vollständigen und wahrheitsgemäßen durch das Gericht überprüfbaren Darlegung eines für die Annahme von Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 sprechenden Sacherhalts (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § xx AO Rz 152).
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ccc) Im Übrigen hat der Kläger auch im Gegensatz zu seinen prozessualen Mitwirkungspflichten keine Angaben zu den Ausführungen der Chefärztin im Schreiben im Schreiben vom 25. April 2005 gemacht, nach denen seine Anwesenheit unter der Woche in Y aus dienstlichen Gründen „wegen der kurzfristigen Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft obligat“ gewesen sei.
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Nach der Rechtsprechung des BFH (s. die Urteile vom 27. August 2008 I R 10/07 BStBl II 2009, 94; I R 64/07, BStBl II 2009, 97) ist es -auf der Basis der jeweils getroffenen Abmachungen und deren tatsächlicher Durchführung- gerade bei Ärzten möglich, dass bei einer mehrtägigen, ohne Unterbrechung ausgeübten Tätigkeit eines Arbeitnehmers (i.S. einer „Einsatzbereitschaft“) nicht jeder Tag, an dem der Arbeitnehmer an seinen Wohnsitz im Inland nicht zurückgekehrt ist, als Nichtrückkehrtag i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 zählt, weil ein mehrtägiger Einsatz vielmehr als eine „Arbeitseinheit“ zu behandeln ist (Hinweis auf Pikettdienste, Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste; vgl. hierzu: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., a.a.O., Art. 15a Rz 38-41 mit umfangreichen Nachweisen). Der Kläger wurde deshalb zusammen mit der Ladung zum Erörterungstermin und unter Hinweis auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 17. Juli 2009 S 130.1/670 – St 217 (Internationales Steuerrecht -IStR- 2010, 662), mit denen die in den BFH-Urteilen in BStBl II 2010, 94 und 97 dargelegten Rechtsgrundsätze umgesetzt werden sollten, aufgefordert, zu der „Einsatzbereitschaft“ Unterlagen vorzulegen (Arbeitszeitlisten und Dienstpläne zu Pikettdiensten und Rufbereitschaften usw.; s. Art. 115 ff. der Personalverordnung vom 18. Mai 2005 -PV- des Regierungsrats des Kantons Y, Bl. 64 ff. der FG-Akten) und darüber hinaus weitere Angaben zur tatsächlichen Gestaltung der im Schreiben der Chefärztin vom 25. April 2005 erwähnten Einsatzbereitschaft zu machen (insbesondere auch zur sog. Interventionszeit). Auch diese Aufforderung blieb ergebnislos. Warum diese Aufforderung nicht befolgt wurde, wurde nicht dargelegt.
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ddd) In der „Bestätigung“ der Chefärztin vom 25. April 2005 wird wohl im Hinblick auf die angeblichen Nichtrückkehren des Klägers auf mindestens zwei dienstliche Pflichtveranstaltungen in der Woche mit einer Dauer bis 22.00 Uhr und länger verwiesen und im Übrigen darauf, dass der Dienstbeginn des Klägers um 8.00 Uhr sei (vgl. hierzu Art. 125 PV).
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Nach Art. 124 PV beträgt die Arbeitszeit (für das gesamte Kantonspersonal -zu dem auch der Kläger als Angestellter der Universität Y/CH gehört-) bei einem Beschäftigungsgrad von 100 % (wie im Falle des Klägers: s. den Anstellungsvertrag vom 28. April 2004) 42 Stunden pro Woche. Im Übrigen beträgt die Entfernung zwischen dem Arbeitsort des Klägers in Y und seinem Wohnsitz in X / Deutschland nach den zutreffenden Ermittlungen des FA ca. 100 km und die Fahrtdauer ca. 1 Stunde (s. die Angaben im Routenplaner, Bl. 9 der ESt-Akten S). Um hieran anschließend den Umfang der tatsächlichen Arbeitszeit (unter Berücksichtigung eines evtl. Freizeitausgleichs) feststellen zu können, die je nach Gestaltung ein Indiz für eine Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung an einem Arbeitstag hätte sein können im Rahmen der Entscheidung des Senats nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wurde der Kläger durch den Berichterstatter u.a. darum gebeten, einen Bediensteten der Universität Y/CH, der zu den vereinbarten und durchgeführten Diensten Angaben machen kann, in den Gerichtstermin zu stellen. Diese Aufforderung blieb ergebnislos. Gründe hierfür wurden vom Kläger nicht dargelegt.
68
eee) Der Kläger ist im Übrigen insoweit seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, als er, wie sich schon aus den zuvor dargelegten Erwägungen ergibt, keine -in Nr. II.5. Satz 1 des Verhandlungsprotokolls erwähnte- Arbeitgeberbescheinigung über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Arbeitstagen versehen mit einem Sichtvermerk derkantonalen Steuerverwaltung des Kantons Y (der für den Arbeitsort des Klägers in Y/CH zuständigen Finanzbehörde) vorgelegt hat.
69
fff) Schließlich haben die Kläger ihre prozessualen Mitwirkungspflichten dadurch verletzt, dass sie, obwohl ihr persönliches Erscheinen zum Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats zur Klärung der sich im vorliegenden Streitfall stellenden Tat- und Rechtsfragen (Hinweis auf die zusammen mit der Ladung verfügten richterlichen Anordnungen) bestimmt worden war, ohne Angabe von (irgendwelchen) Gründen nicht erschienen sind und darüber hinaus durch ihren Prozessbevollmächtigten erklären ließen, dass sie auch an evtl. weiteren Gerichtsterminen nicht teilnehmen werden. Insoweit hat der Kläger seine (Informations-)Pflichten unterlaufen, ggf. im Anschluss an entsprechende Fragen des Gerichts, eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts zu geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 90 AO Rz 152).
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ee) Im Anschluss an die zuvor dargelegten Verletzung der prozessualen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten durch den (bzw. die) Kläger ist der erkennende Senat mit einem geringeren Maß als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt (Heuermann, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2005, 371), dass der Kläger nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung für den … dienst nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland nicht zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Eine hiervon abweichende Entscheidung zugunsten des Klägers mit der Annahme von mehr als 60 Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 wäre im Übrigen wegen der durch die Kläger verursachten Unaufgeklärtheit des entscheidungserheblichen Sachverhalts nur auf der Grundlage einer Schätzung i.S.v. § 162 Abs. 1 AO möglich. Eine solche Schätzung (von Nichtrückkehren an den Wohnsitz des Klägers im Inland) ist jedoch, wie der BFH im Urteil in BFH/NV 2011, 800 ausgeführt hat, rechtlich nicht zulässig. Im Übrigen entspricht die Annahme des erkennenden Senats nach einer freien Überzeugungsbildung, der Kläger habe nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 verwirklicht, dem allgemeinen Prozessgrundsatz, dass die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken müssen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) und die Aufklärung eines unklaren Sachverhalts vor allem Sache desjenigen ist, der dem Sachverhalt -wie im Streitfall der Kläger- am nächsten steht, weshalb ihn der Nachteil treffen soll und muss, wenn ein solcher Sachverhalt nicht restlos aufgeklärt werden kann (BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c).
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3. Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der hier in Rede stehenden Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit auf Grund der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz 1992 ist damit nicht wegen der 60-Tage-Regelung in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfallen. Der Kläger unterliegt als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus unselbständiger Arbeit gemäß Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 der Einkommensteuer. Die vom Arbeitgeber des Klägers nicht auf der Grundlage der für den Einbehalt von Quellensteuer vom Arbeitslohn für Grenzgänger geltenden Vorschrift von Art. 15a Abs. 3 Buchstabe b DBA-Schweiz 1992 und sonach abkommenswidrig vom Arbeitslohn des Klägers einbehaltene und an die ESTV abgeführte Quellensteuer ist -entgegen der Auffassung des Klägers (s. dessen Schriftsatz vom 14. Januar 2011, Bl. 135 der FG-Akten)- nicht gemäß § 34c EStG 2005 auf die Einkommensteuer anzurechnen (Art. 15a Abs. 3 Buchstabe a DBA-Schweiz 1992; inzwischen ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. Entscheidungen vom 2. März 2010 I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820; vom 8. Dezember 2010 I R 92/09, BStBl II 2011, 488; vom 1. Juli 2009 I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992).
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II. 1.a) Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sind in Übereinstimmung mit den Darlegungen des Klägers im Schriftsatz vom 14. März 2011 gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG 2005 dessen Aufwendungen für die Wege zwischen seiner Wohnung in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH noch zu berücksichtigen. Die Entfernungspauschale von 0,30 EUR ist allerdings nicht auf die Grundlage von 220 Arbeitstagen und einer Entfernung von xx Kilometer zwischen Wohnung des Klägers in X / Deutschland und dessen Arbeitsort in Y/CH anzuwenden (insgesamt: x.xxx EUR). Der erkennende Senat geht nach seiner aus dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens gewonnenen Überzeugung davon aus (s. die Erwägungen zu 2.c), dass dem Kläger insoweit Aufwendungen entstanden sind, die in Höhe der Jahresgrenze von 4.500 EUR (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG 2005) als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu behandeln sind. Nachweise dafür, dass über die Jahresgrenze hinaus Aufwendungen anzusetzen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 2 EStG 2005 -bei Benutzung eines eigenen oder dem Kläger zur Nutzung überlassen Kraftwagen- bzw. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG 2005 -bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln-), hat der Kläger nicht vorgelegt, so dass es beim Ansatz von Werbungskosten in Höhe der Jahresgrenze verbleibt, zumal der Prozessbevollmächtigte im Erörterungstermin vom 17. Januar 2011 angegeben hat, der Kläger sei mit der Eisenbahn gefahren.
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b) Die vom Kläger noch geltend gemachten Aufwendungen für die Miete von Wohnräumen in U/Kanton Z/CH bzw. in Y/CH können schon deshalb nicht einkommensteuermindernd berücksichtigt werden, weil der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten (Hinweis auf die verschiedenen Aufklärungsanordnungen des FA und auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin mit Aufforderung, Angaben zur Nutzung, Einrichtung und Ausstattung der behaupteten Räumlichkeiten, die anderen Vertragsparteien als Zeugen zu stellen usw.) in gravierender Weise verletzt hat. Der erkennende Senat geht insoweit nach seiner freien Überzeugungsbildung davon aus (BFH-Urteil in BFH/NV 1985, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c), dass die Vereinbarung eines auch tatsächlich durchgeführten Mietverhältnisses nicht angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der erkennende Senat, dass der Kläger dem FG für die Anmietung einer Wohnung in U/Kanton Z/CH kein Mietvertrag, keine Angaben zur Lage und der (inneren) Gestaltung der Wohnung und keine Darlegungen und Nachweise zur Mietzahlung vorgelegt wurden.
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2. Zu Unrecht hat das FA die Einkünfte des Klägers aus seiner ab dem 1. Oktober des Streitjahres in U/Kanton Z/CH ausgeübten freiberuflichen Praxis als xxx xxxx der Besteuerung im Inland unterworfen.
75
a)Der Kläger, der in X / Deutschland und damit im Inland ansässig ist und deswegen hier mit seinen (gesamten) Einkünften (sog. Welteinkommensprinzip) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG), erzielt mit seinem Gewinn aus der in U/Kanton Z/CH ausgeübten Tätigkeit als xxx xxxx infolgedessen Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. Erhard in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., Art. 14 Rz 126 ABC der Freiberufler Stichworte: Psychologe, Psychotherapeut/Psychoanalytiker; Schmidt/Wacker, EStG, Kommentar, 32,. Aufl., § 18 Anm. 155 Stichworte: Psychotherapeut/Psychologe; jeweils mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Um eine doppelte Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat und in der Schweiz als dem Staat, in dem die feste Einrichtung liegt, zu vermeiden, haben sich beide Staaten jedoch abkommensrechtlich und völkerrechtlich verbindlich im DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das Besteuerungsrecht für die der festen Einrichtung in der Schweiz zuzurechnenden Einkünfte gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 der Schweizerischen Eidgenossenschaft zuzuweisen. In der Bundesrepublik Deutschland sind diese Einkünfte nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 von der Steuer befreit (unter Progressionsvorbehalt i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005).
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b) Dieser Steuerbefreiung steht nicht die Vorschrift des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) entgegen.
77
Allerdings bestimmt § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AStG a.F. (in der ursprünglich im Streitjahr geltenden Fassung -vgl. hierzu eine selbständige Arbeit in der Schweiz betreffend: Günther/Simader/Tüchler, IStR 2009, 490, zu 3.-), dass abweichend von der zuvor dargelegten Abkommenslage die Doppelbesteuerung von hier in Rede stehenden (freiberuflichen) Einkünften für die Erbringung von Dienstleistungen i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 AStG a.F.; Reiche in: Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., 2012, I AStG § 8 Rz 47-53), die in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen anfallen, nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen (Quellen-)Steuern zu vermeiden ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Juni 2010, Bundestags-Drucksache -BT-Drs- 17/2249, Begründung zu Artikel 7 [AStG] zu Nummer 2 [§ 20 Absatz 2 Satz 2 – neu] S. 85).
78
Diese Rechtslage hat inzwischen durch den Gesetzgeber eine Änderung erfahren. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG in der Fassung von Art. 7 Nr. 3 des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) -JStG 2010- gilt das zuvor Dargelegte nicht, soweit in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) Einkünfte anfallen, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären. Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F. ist dabei in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer -wie z.B. im  Streitfall- noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 21 Abs. 19 Satz 2 AStG n.F. (in der Fassung von Art. 7 Nr. 4 Satz 2 JStG 2010; vgl. hierzu: Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, § 20 AStG Rz 165; Hahn in: Lademann, Außensteuergesetz, Handkommentar, § 20 Rz 235).
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c) Im Streitfall erfüllt der Kläger mit seiner Tätigkeit in U/Kanton Z/CH den Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F.), sodass es entgegen den Vorschriften des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AStG bei der Freistellung der vom Kläger erzielten Einkünfte gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt und diese Einkünfte bei der Besteuerung im Inland lediglich dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005 unterliegen.
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Nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (sog. Bedienenstatbestand) ist Zwischengesellschaft eine ausländische Gesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus Dienstleistungen stammen, soweit sich die ausländische Gesellschaft für die Dienstleistung nicht eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne von § 1 Abs. 2 nahestehenden Person bedient, die mit ihren Einkünften aus von ihr beigetragenen Leistung im Geltungsbereich dieses Gesetzes steuerpflichtig ist.
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Hieraus ergibt sich, dass es im Streitfall bei der Freistellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt (und nicht von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AStG übergegangen werden darf), weil der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland mit seinen Einkünften aus der Erbringung von Dienstleistungen i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (hier: Leistungen als xxx xxxx), die einer festen Einrichtung in der Schweiz (hier: in U/Kanton Z/CH) zuzurechnen sind, unbeschränkt steuerpflichtig ist (s. zuvor zu I.1.; Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 20 AStG Rz 142 und 166; BT-Drs 17/2249 S. 85 zu Artikel 7 zu Nummer 2; Benecke/Schnitger, IStR 2010, 432 zu 3.2; Haase, IStR 2011, 338; Kaminski, IStR 2011, 137, zu 3).
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III. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger -soweit ihre Klage keinen Erfolg hatte – gemäß § 135 Abs. 1 FGO zu tragen. Soweit sie mit ihrer Klage Erfolg hatten (s. zuvor zu II.), haben sie gleichwohl die Kosten zu tragen, weil insoweit das FA nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Soweit die Klage hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für die Wege zwischen seinem Wohnort in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH Erfolg hatte, beruht die Kostentragungspflicht der Kläger im Übrigen auch auf § 137 Satz 1 FGO. Denn die Entscheidung beruht insoweit auf Tatsachen, die der Kläger früher hätte geltend machen und beweisen können und sollen und nicht erst im Klageverfahren (Hinweis auf den Schriftsatz vom 14. Januar 2011).
83
IV. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die für eine Zulassung erforderlichen Voraussetzungen (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin