Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Grundsteuerreform: Umstrittenes Bewertungsverfahren

Die von den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD vorgelegte Reform der Grundsteuer ist von den Vertretern der Städte und Gemeinden begrüßt, von der Wissenschaft und der Wohnungswirtschaft zum Teil sehr kritisch beurteilt worden. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses unter Leitung der Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger (FDP) begrüßte die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände am 12.09.2019 die neuen Bewertungsregelungen im Koalitionsmodell, die vollumfänglich den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen würden. Zudem entspreche die Wertorientierung des Reformmodells den allgemeinen steuerpolitischen Gerechtigkeitsvorstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Dies sei wichtig für die langfristige Akzeptanz der Grundsteuer bei den Steuerpflichtigen.

Grundlage der Anhörung war ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts ( 19/11085 ). Danach soll für die Erhebung der Steuer in Zukunft nicht allein auf den Bodenwert zurückgegriffen werden, sondern es sollen auch Erträge wie Mieteinnahmen berücksichtigt werden. Für die Bundesländer ist eine Öffnungsklausel vorgesehen, damit sie die Grundsteuer nach anderen Bewertungsverfahren erheben können. Auch in Zukunft werden die Gemeinden die Höhe der Grundsteuer mit örtlichen Hebesätzen bestimmen können. Um strukturelle Erhöhungen der Steuer zu vermeiden, appellieren CDU/CSU- und SPD-Fraktion an die Kommunen, die Hebesätze entsprechend abzusenken.

Außerdem ging es in der Anhörung um den ebenfalls von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundsteuergesetzes zur Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die Bebauung (19/11086), der einen erhöhten, einheitlichen Hebesatz auf baureife Grundstücke ermöglicht. Auf der Tagesordnung standen zudem Anträge zur Grundsteuer von AfD-Fraktion (19/11125), FDP-Fraktion (19/11144) sowie der Fraktion Die Linke (19/7980).

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnete den Gesetzentwurf grundsätzlich als sinnvollen Kompromiss zwischen den verschiedenen Anforderungen an eine Grundsteuerreform. Der Entwurf erhalte den Wertbezug der Grundsteuer, beschränke diesen Bezug aber auf wesentliche wertbestimmende Merkmale, um die erforderliche Neubewertung von 36 Millionen Grundstücke einfach zu halten. Die Gewerkschaft Verdi verlangte, das jetzige Aufkommensniveau aus der Grundsteuer mindestens zu erhalten. Auch höhere kommunale Einnahmen aus der Grundsteuer seien sinnvoll und legitim, wenn sie aus einer Belastung hoher Immobilienvermögen resultieren würden.

Professor Clemens Fuest vom ifo-Institut kritisierte den erheblichen Aufwand zur Wertbestimmung vor allem der Gebäude. Dieser Bewertungsaufwand mache es den Bürgern unnötig schwer, die Höhe der Steuer nachzuvollziehen und würde den Steuerzahlern und der Finanzverwaltung hohe Kosten aufbürden, die in keinem Verhältnis zum Nutzen in Form von Einzelfallgerechtigkeit stehen würden. Im Gesetzentwurf werde der Eindruck erweckt, großen Wert auf Einzelfallgerechtigkeit zulegen, tatsächlich entstehe aber nicht mehr als eine „Pseudogerechtigkeit“, kritisierte Fuest. Auch der Deutsche Steuerberaterverband hegte grundsätzliche Zweifel, ob die angedachten Bewertungsmethoden für ein Massenverfahren wie die Grundsteuer geeignet seien.

Mehrere Sachverständige wiesen darauf hin, dass das neue Bewertungsverfahren zu einer Besserstellung von besonders teuren Immobilien führen könne. Professor Lorenz Jarass (Hochschule Rhein-Main) erklärte, der Gesetzentwurf führe zu unsystematischen und widersprüchlichen Grundsteuern. Als Beispiel nannte er, dass Eigentumswohnungen bis zu einem Viertel höher besteuert würden als vergleichbare Wohnungen in nicht aufgeteilten Häusern. Der Bund der Steuerzahler kritisierte, dass die geplante Vereinfachung zu Lasten der Steuerzahler gehen würde. So würden bestimmte wertmildernde Umstände, wie Baumängel und Denkmalschutzauflagen, gar nicht mehr berücksichtigt.

Professor Johanna Hey von der Universität Köln stellte fest, durch das neue Bewertungssystem komme es systematisch zu zum Teil deutlichen Unterbewertungen von vermieteten Immobilien in teuren Lagen, während Grundstücke in schlechten Lagen zum Teil zum Verkehrswert oder sogar darüber angesetzt würden. „Die Eigentümer mit Grundstücken in geringwertigen Lagen zahlen folglich die Verschonung der Eigentümer in hochpreisigen Lagen mit“, so Hey. Das Problem könne auch nicht durch Hebesatzanpassungen gelöst werden, da diese gemeindeeinheitlich festgelegt würde. Mit seinen systematischen Verzerrungen werde der Gesetzentwurf den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine im Verhältnis der Grundstücke zueinander realitätsgerechten Abbildung des Verkehrswertes offensichtlich nicht gerecht. Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit) wies darauf hin, dass der Unterschied zwischen wertvollen und günstigen Immobilien beim Koalitionsmodell sehr viel geringer sei als bei dem von den Bundesländern entwickelten Kostenwertmodell und dem Bodenwertmodell.

Der Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft verlangte Änderungen am vorgeschlagenen Bewertungsverfahren. Andernfalls werde insbesondere der Bereich des bezahlbaren Wohnens massiv belastet. Für die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft drohen bei Geschäftsgrundstücken nicht realitätsgerechte Bewertungen. Es müssten Möglichkeiten geschaffen werden, bei großen Flächen wie zum Beispiel Produktionshallen einen pauschalen Wertabschlag vornehmen oder einen geringeren Wert nachweisen zu können. Dies sollte aber nicht über die aufwändige Erstellung eines Wertgutachtens erfolgen müssen. Der Eigentümerverband Haus & Grund kritisierte die hohen Kosten. Allein zum ersten Bewertungsstichtag würden die Kosten eine Milliarde Euro betragen. Der Verband sprach sich für ein Flächenmodell aus, um nicht regelmäßig alle Immobilien neu bewerten zu müssen. Ein im Entwurf vorgesehener Rabatt für Wohnungsgenossenschaften führt nach Ansicht des Verbandes zur Verfassungswidrigkeit.

Nach Ansicht von Professor Dirk Löhr von der Hochschule Trier vermag der Gesetzentwurf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einer relations- und realitätsgerechten Bewertung nur dann zu entsprechen, wenn bei der grundsteuerlichen Bewertung der Wohngebäude entweder bei den Mieten stärker differenziert oder hilfsweise die unterlassene Differenzierung wenigstens besser begründet werde. Die Probleme ließen sich einfach lösen, indem auf die Einbeziehung der Gebäude gänzlich verzichtet und lediglich die Bodenwerte der Besteuerung zugrunde gelegt und würden, empfahl Löhr. Auch Professor Gregor Kirchhof (Universität Augsburg) riet zu einem Grundsteuermodell, „das einfach anzuwenden ist“. Den jetzigen Gesetzentwurf mit seinem nach dem früheren System der Einheitswerte „seltsamen Mischsystem“ hielt Kirchhof für verfassungswidrig.

Quelle: Deutscher Bundestag, Pressemitteilung vom 12.09.2019

BFH: Stückzinsen nach Einführung der Abgeltungsteuer

Stückzinsen sind nach Einführung der Abgeltungsteuer ab dem Veranlagungszeitraum 2009 als Teil des Gewinns aus der Veräußerung einer sonstigen Kapitalforderung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig. Dies gilt auch, wenn die veräußerte Kapitalforderung vor dem 1. Januar 2009 erworben wurde. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteilen vom 7. Mai 2019 – VIII R 22/15 und VIII R 31/15 zu § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 (nunmehr § 52 Abs. 28 Satz 16, Halbsatz 2 EStG) entschieden.

Stückzinsen sind das vom Erwerber an den Veräußerer der Kapitalforderung gezahlte Entgelt für die auf den Zeitraum bis zur Veräußerung entfallenden Zinsen des laufenden Zinszahlungszeitraums. Im Streitfall VIII R 31/15 vereinnahmte die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, im Streitjahr 2009 bei der Veräußerung einer Kapitalforderung offen ausgewiesene Stückzinsen. Sie hatte die veräußerte Kapitalforderung vor dem 1. Januar 2009 erworben. Die Klägerin war der Auffassung, die Stückzinsen seien aufgrund der Übergangsregelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG i. d. F. JStG 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, 2794) nicht steuerbar. Die erst durch das JStG 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768) eingeführte Regelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG, nach der Stückzinsen, die nach dem 31. Dezember 2008 zufließen, der Besteuerung unterliegen, führe zu einer verfassungswidrigen echten Rückwirkung. Der BFH trat dem entgegen. Nach seinem Urteil ist § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i. d. F. des JStG 2010 keine verfassungswidrige rückwirkende, sondern eine verfassungsgemäße klarstellende Regelung.

Der BFH ordnet Stückzinsen, die nach dem 31. Dezember 2008 zufließen, als Teil des Gewinns aus der Veräußerung einer Kapitalforderung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG ein. Die spätere Festschreibung der Steuerpflicht der Stückzinsen durch das JStG 2010 habe lediglich die bestehende Rechtslage klargestellt. Die Stückzinsen seien bis zum Ende des Veranlagungszeitraums 2008 und auch ohne die Regelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i. d. F. JStG 2010 nach Einführung der Abgeltungsteuer und damit ab dem Veranlagungszeitraum 2009 steuerpflichtige Kapitaleinkünfte gewesen.

Im Fall VIII R 22/15 war die Steuerpflicht von Stückzinsen im Streitjahr 2010 streitig, die vor der Einführung des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 2 EStG durch das JStG 2010 vereinnahmt worden waren. Der BFH sieht in der Neuregelung für diesen Veranlagungszeitraum ebenfalls keine verfassungswirkende rückwirkende, sondern eine verfassungsgemäße Vorschrift, die die bestehende Rechtslage klarstellt.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 57/19 vom 12.09.2019 zu den Urteilen VIII R 22/15 und VIII R 31/15 vom 07.05.2019

Grundsteuerreform: Grundgesetzänderung als sinnvoll erachtet

Die von der Bundesregierung geplante grundgesetzliche Öffnungsklausel für die Bundesländer im Rahmen der Grundsteuerreform ist von der Mehrheit der Sachverständigen als notwendig bezeichnet worden. Entsprechend äußerte sich auch Professorin Johanna Hey vom Institut für Steuerrecht der Universität zu Köln in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses unter Leitung der Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger (FDP) am 11.09.2019. Hey begrüßte es zugleich, dass den Ländern eine umfassende Kompetenz zur eigenen Grundsteuergesetzgebung eingeräumt wird. Als nicht zufriedenstellend gelöst bezeichnete sie die vorgesehenen Regelungen für die Zwecke des Länderfinanzausgleichs. Die kommunalen Spitzenverbände warnten vor einem Scheitern der Reform. Die Rückzahlung von 14,8 Milliarden Euro Grundsteuer „wäre eine Katastrophe“. Städte und Gemeinden könnten auf diese Einnahmen nicht verzichten.

Grundlage der Anhörung war der von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Grundgesetz-Artikel 72, 105 und 125b ( 19/11084 ). Darin heißt es, da die Gesetzgebungskompetenz des Bundes in der Wissenschaft nicht einheitlich beurteilt werde, solle diese unzweifelhaft abgesichert werden. Dazu soll der Bund mit einer Grundgesetzänderung uneingeschränkt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Grundsteuer erhalten.

Zugleich wird den Ländern über eine Ergänzung in Artikel 72 Absatz 3 des Grundgesetzes eine umfassende abweichende Regelungskompetenz eröffnet. Wie es im Entwurf weiter heißt, bestehen dafür gute Gründe mit Blick auf das Ziel einer bundesgesetzlichen Grundlage. Zugleich biete sich gerade die Grundsteuer aufgrund der Immobilität des Steuerobjekts und des bereits in der Verfassung vorhandenen kommunalen Hebesatzrechts dafür an, die Steuerautonomie der Länder zu stärken.

Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer erklärte, der Bund könne sich nicht auf die Erforderlichkeit seiner Regelung zur Wahrung von Rechts- und Wirtschaftseinheit oder gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet berufen und gleichzeitig in demselben Gesetz den Weg zu einer uneinheitlichen Regelung eröffnen. „Die geplante Reform setzt demnach eine Verfassungsänderung voraus“, erklärte Wieland in seiner Stellungnahme. Auch Professor Henning Tappe von der Universität Trier sagte, gerade weil eine weitreichende Öffnungsklausel für die Länder die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung einerseits entfallen lasse, sollte also andererseits die Bundeskompetenz verfassungsrechtlich abgesichert werden. Nach Ansicht von Professor Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam ist eine Gesetzgebungskompetenz Bundes erst mit Inkrafttreten einer Grundgesetzänderung gegeben. Würde es nicht zu einer Grundgesetzänderung, wohl aber zum Inkrafttreten des Grundsteuerreformgesetzes kommen, würde diesem Reformgesetz die Gesetzgebungskompetenz fehlen, und es wäre in weiten Bereichen formell grundgesetzwidrig, so Schmidt in seiner Stellungnahme. Professor Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg sagte, ihm sei „ein Stein vom Herzen gefallen“, als er von der geplanten Grundgesetzänderung erfahren habe. Er empfahl, ein Abweichungsrecht der Länder nur zuzulassen, wenn die Regelung einfacher anzuwenden sei als das Bundesrecht. Professor Wolfram Scheffler (Universität Erlangen -Nürnberg) erklärte, wenn das Grundgesetz nicht geändert werde, sei das Grundsteuergesetz verfassungswidrig.

Anders argumentierte Professor Lorenz Jarass. Den Ländern könne auch ohne Grundgesetzänderung die gewünschte länderspezifische Grundsteuergesetzgebung ermöglicht werden. „Zwingend erforderlich“ sei aber eine gesetzliche Festlegung möglichst auch im Grundgesetz, damit durch eine länderspezifische Grundsteuergesetzgebung die Zahlungen in den Länderfinanzausgleich unverändert bleiben würden.

Mit dem Länderfinanzausgleich befassten sich mehrere Sachverständige. So erklärte Professorin Hey, damit die Länder die Abweichungsklausel tatsächlich nutzen könnten, bedürfe es einer begleitenden Regelung im Länderfinanzausgleich, die ohne Schattenrechnung auf der Grundlage des Bundesgesetzes auskomme. Eines der Hauptargumente für eine wertunabhängige, rein flächenbasierte Grundsteuer oder eine Grundsteuer, die allein auf Bodenrichtwerte abstelle, aber ohne Bewertung der darauf stehenden Gebäude auskomme, liege in der Vereinfachung. Die Abweichungsbefugnis würde leerlaufen, wenn für Zwecke des Länderfinanzausgleichs doch wieder eine umfassende Bewertung durchgeführt werden müsste, erklärte Hey in ihrer Stellungnahme.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 11.09.2019

EU-Ländern entgingen im Jahr 2017 137 Milliarden Euro an Einnahmen

Im Jahr 2017 entgingen den EU-Mitgliedstaaten insgesamt 137 Mrd. Euro an Mehrwertsteuereinnahmen. Das zeigt eine heute (Donnerstag) vorgestellte Studie der Europäischen Kommission zur sogenannten Mehrwertsteuerlücke. Sie beziffert die Differenz zwischen den erwarteten Mehrwertsteuereinnahmen und dem tatsächlich erhobenen Betrag. Deutschland ist eines von drei Ländern, in denen die Mehrwertsteuerlücke zunahm (+0,2 Prozentpunkte). EU-Kommissar Pierre Moscovici forderte die EU-Staaten heute erneut auf, die Vorschläge der Kommission aus dem Jahr 2017 zur Reform des Mehrwertsteuersystems aufzugreifen.

Der für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll zuständige Kommissar erklärte: „Das günstige Wirtschaftsklima und einige kurzfristige politische Lösungen, die die EU eingeführt hat, haben 2017 zur Reduzierung der Mehrwertsteuerlücke beigetragen. Um jedoch noch größere Fortschritte zu erzielen, müssen wir das Mehrwertsteuersystem umfassend reformieren, damit es weniger betrugsanfällig ist. Unsere Vorschläge zur Einführung eines endgültigen, unternehmensfreundlichen Mehrwertsteuersystems liegen nach wie vor auf dem Tisch. Die Mitgliedstaaten können es sich nicht erlauben, untätig zu bleiben, während ihnen durch Karussellbetrug und systemimmanente Unstimmigkeiten Milliarden verloren gehen.“

Die Mehrwertsteuerlücke ist ein Indikator für die Wirksamkeit der Durchsetzungs- und Compliancemaßnahmen der EU-Staaten bei der Mehrwertsteuer. Sie dient als Schätzwert für Mindereinnahmen aufgrund von Steuerbetrug, -hinterziehung und -umgehung sowie von Insolvenzen, Zahlungsunfähigkeit und fehlerhaften Berechnungen.

Sie lag EU-weit im Jahr 2017 bei 11,2 Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen, etwas weniger als im Jahr zuvor (12,2 Prozent). In Rumänien war die Mehrwertsteuerlücke 2017 am größten – dort entgingen dem Staat 36 Prozent der erwarteten Mehrwertsteuer. Es folgten Griechenland (34 Prozent) und Litauen (25 Prozent). Die geringsten Mehrwertsteuerlücken wurden in Schweden, Luxemburg und Zypern verzeichnet, wo durchschnittlich nur 1 Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen verloren ging. In absoluten Zahlen weist Italien mit rund 33,5 Mrd. Euro die größte Lücke bei den Mehrwertsteuereinnahmen auf.

In 25 Mitgliedstaaten verkleinerte sich die Mehrwertsteuerlücke, in dreien wurde sie größer. Malta (-7 Prozentpunkte), Polen (-6 Prozentpunkte) und Zypern (-4 Prozentpunkte) konnten ihre Mehrwertsteuerverluste besonders stark reduzieren. Sieben Mitgliedstaaten (Slowenien, Italien, Luxemburg, die Slowakei, Portugal, Tschechien und Frankreich) verringerten die Mehrwertsteuerlücke um mehr als 2 Prozentpunkte. Die Mehrwertsteuerlücke vergrößerte sich erheblich in Griechenland (+2,6 Prozentpunkte) und Lettland (+1,9 Prozentpunkte), in Deutschland nahm sie leicht zu (+0,2 Prozentpunkte); sie liegt dort bei 10 Prozent.

Nominal ist die Mehrwertsteuerlücke im Jahr 2017 um 8 Mrd. Euro auf 137,5 Mrd. Euro zurückgegangen; damit war der Rückgang ähnlich wie 2016 (7,8 Mrd. Euro). Die Mehrwertsteuerlücke im Jahr 2017 entsprach 11,2 Prozent der Mehrwertsteuereinnahmen in der EU, gegenüber 12,2 Prozent im Jahr zuvor. Dieser Abwärtstrend setzt sich nun schon das fünfte Jahr in Folge fort.

Der am 05.09.2019 veröffentlichte Bericht über die Mehrwertsteuerlücke konzentriert sich auf das Jahr 2017, da dies das letzte Jahr ist, für das umfassende Daten aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und Eigenmitteldaten verfügbar sind. In diesem Jahr umfasst die Studie jedoch zusätzlich eine Vorhersage mit „Schnellschätzungen“ für das Jahr vor dem Jahr der Veröffentlichung des Berichts (d. h. 2018). Diese Schnellschätzungen deuten darauf hin, dass sich die Mehrwertsteuerlücke 2018 voraussichtlich unter die Marke von 130 Mrd. Euro bzw. 10 Prozent der Mehrwertsteuergesamtschuld fallen wird.

Hintergrund

Die Studie über die Mehrwertsteuerlücke wird aus dem EU-Haushalt finanziert, und ihre Ergebnisse sind für die EU und die Mitgliedstaaten gleichermaßen relevant, da die Mehrwertsteuer einen wichtigen Beitrag sowohl zum Unionshaushalt als auch zu den nationalen Haushalten darstellt. Bei der Studie wird ein „Top-down“-Ansatz angewandt, und die Mehrwertsteuerlücke wird anhand von Daten aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen geschätzt. Die Methode wurde im Laufe der Jahre verbessert und verfeinert und bietet nun die beste Kombination von Schätzungen hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Ergebnisse und der Genauigkeit.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 05.09.2019

Fahrten von Profisportlern im Mannschaftsbus können Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit sein

Profi-Sportmannschaften reisen zu Auswärtsterminen regelmäßig in Mannschaftsbussen an. Das FG Düsseldorf hat mit Urteil vom 11.07.2019 (Az. 14 K 1653/17 L) entschieden, dass die Fahrzeiten im Mannschaftsbus zur Arbeitszeit der Sportler und Betreuer gehören können. Zahlt ihr Arbeitgeber für die Beförderungszeiten einen Zuschlag für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit, ist dieser steuerfrei.

Die Klägerin ist eine Profi-Sportmannschaft. Die bei ihr angestellten Spieler und Betreuer sind arbeitsvertraglich verpflichtet, zu auswärts stattfindenden Terminen im Mannschaftsbus anzureisen. Eine individuelle Anreise ist ihnen nicht erlaubt. Die Klägerin zahlte ihren Arbeitnehmern Zuschläge zu Sonntags-, Feiertags- und Nacharbeit steuerfrei aus.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Lohnzuschlag für das rein passive Verhalten der Arbeitnehmer während der Fahrt im Mannschaftsbus steuerpflichtig sei. Die Beförderungszeiten seien nicht mit einer belastenden Tätigkeit der Arbeitnehmer verbunden. Die Klägerin wurde zur Nachzahlung von Lohnsteuer aufgefordert.

Dagegen hat sich die Klägerin erfolgreich zur Wehr gesetzt. Das Finanzgericht Düsseldorf hat ihrer Klage stattgegeben und eine Steuerfreiheit der ausgezahlten Lohnzuschläge bejaht. Die Anwendung der einschlägigen Steuerbefreiungsvorschrift setze eine tatsächlich geleistete Arbeit an einem Sonntag, Feiertag oder zur Nachtzeit voraus. Hierfür sei lediglich eine vergütungspflichtige Arbeitszeit erforderlich. Das passive Verhalten der Spieler und Betreuer während der Beförderung im Mannschaftsbus erfülle diese Voraussetzung. Sie seien arbeitsvertraglich zur Teilnahme an den Fahrten verpflichtet; hierfür hätten sie Zuschläge von der Klägerin erhalten.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; die vom Finanzgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision wurde eingelegt und ist unter dem Az. VI R 28/19 anhängig.

Quelle: FG Düsseldorf, Pressemitteilung vom 05.09.2019 zum Urteil 14 K 1653/17 vom 11.07.2019 (nrkr – BFH-Az.: VI R 28/19)

Rechtsschutz im Vollstreckungsverfahren

Die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen steht im pflichtgemäßen Ermessen der Vollstreckungsbehörde. Christoph Schirp, Richter am Niedersächsischen Finanzgericht, wies im Rahmen seines Fachvortrags bei der SFT „Steuerfachtagung und Zukunftskongress Celle 2019″ mit insgesamt 400 Teilnehmern darauf hin, dass die Formulierung „Finanzbehörden können vollstrecken“ missverständlich sei, denn es gebe praktisch kein Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Vollstreckung. Dagegen habe die Behörde einen weiten Ermessensspielraum, wenn es darum geht, in welchen Vermögensgegenstand sie wann und in welchem Umfang vollstreckt. Ein Auswahlermessen steht der Behörde auch dann zu, wenn sie mehrere Vollstreckungsschuldner zur Verfügung hat. Ermessenskriterien können unter anderem die Höhe und Dauer der Rückstände, die Erfolgsaussichten der Vollstreckung und die Schwere des Eingriffs sein.

Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Vollstreckungsbehörden wird im finanzgerichtlichen Hauptsacheverfahren durch Anfechtungsklagen gegen Vollstreckungsverwaltungsakte, durch Leistungsklagen gegen Vollstreckungshandlungen, die keine Verwaltungsakte sind, und durch Verpflichtungsklagen gegen die Ablehnung der Einstellung oder Aussetzung der Vollstreckung gewährt. Nach Erledigung der Beschwer ist gegebenenfalls eine Fortsetzungsfeststellungsklage möglich. Einstweiliger Rechtsschutz wird gegen vollziehbare Vollstreckungsverwaltungsakte durch Aussetzung der Vollziehung und im Übrigen durch einstweilige Anordnung gewährt. Ist die Vollstreckung erledigt, werden die Eilanträge unzulässig, es gibt keine einstweilige Forstsetzungsfeststellung.

Schirp hob hervor, dass der Vollstreckungsschuldner nicht mit Einwendungen gegen die der Vollstreckung zugrundeliegenden Steuerfestsetzungen gehört wird. Dies gilt aber nicht für Einwendungen gegen die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung und gegen den daraus folgenden Bestand der Steuerforderung. Die Existenz des Bescheids ist nämlich Voraussetzung für die Vollstreckung ist. Die Vollstreckung ist einzustellen, soweit die Steuerforderung erloschen ist. Schirp wies auch ausdrücklich darauf hin, dass bei der Wahl des Mittels mit dem Ziel, den Steuerpflichtigen mit Hilfe von Rechtsbehelfen vor Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden zu schützen, Sorgfalt geboten sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist nämlich die Umdeutung eines von einem Rechtsanwalt oder Steuerberater eindeutig bezeichneten Rechtsbehelfs nicht möglich. Allerdings werden die beiden Begriffe „Aussetzung der Vollstreckung“ und „Aussetzung der Vollziehung“ in der finanzgerichtlichen Praxis häufig verwechselt. Im Rechtsschutzinteresse nicht (sachkundig) vertretener Vollstreckungsschuldner ermitteln die Finanzgerichte daher, wie das Rechtsschutzbegehren auszulegen ist.

Entgegen der in den Erhebungsstellen der Finanzämter weit verbreiteten Auffassung ist ein Antrag auf Stundung auch noch möglich, wenn das Vollstreckungsverfahren bereits eingeleitet ist. Die Stundung hat den Vorteil für den Steuerpflichtigen, dass keine Säumniszuschläge anfallen, sondern lediglich die niedrigeren Stundungszinsen.

Nach Schirps Erfahrungen sind Vollstreckungsverwaltungsakten häufig keine Rechtsbehelfsbelehrungen beigefügt. Dann beträgt die Einspruchsfrist ein Jahr. Wegen der belastenden Wirkung der Vollstreckungsmaßnahme wird häufig Anlass für eine Sprungklage und/oder einen Eilantrag gegeben sein. Die angemessene Frist für die Entscheidung über einen zuvor eingelegten Einspruch respektive die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage dürfte bei Vollstreckungsverwaltungsakten in der Regel deutlich kürzer sein als sechs Monate. Für die Zulässigkeit eines Aussetzungsantrags reiche es aus, wenn die Anfechtung bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nachgeholt wird.

Quelle: Steuerberaterverband Niedersachsen Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung vom 04.09.2019

Splittingtarif für aus eingetragenen Lebensgemeinschaften hervorgehende Ehen

Die Regelungen im „Jahressteuergesetz 2018″ sehen vor, dass eingetragene Lebenspartner rückwirkend ab Begründung der eingetragenen Lebenspartnerschaft den Splittingtarif wählen können. Michael Daumke, Leitender Regierungsdirektor a.D. aus Berlin wies im Rahmen seines Fachvortrags bei der SFT „Steuerfachtagung und Zukunftskongress Celle 2019″ mit insgesamt 400 Teilnehmern auf die Voraussetzungen der Wahl und ihre Folgen hin.

So muss die eingetragene Lebenspartnerschaft bis Ende 2019 in eine Ehe umgewandelt sein und der Antrag auf Gewährung des Splittingtarifs für die Veranlagungszeiträume, in denen eingetragenen Lebenspartnern der Splittingtarif nicht gewährt wurde, muss bis Ende 2020 gestellt werden. Liegen diese beiden Voraussetzungen vor, können auch bereits bestandskräftige Steuerbescheide geändert werden. Daumke hob hervor, dass damit für eine Vielzahl von Fällen die Frage, ob es sich bei der Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe um ein „rückwirkendes Ereignis“ handele, bedeutungslos sei. Nur in Fällen, in denen die eingetragene Lebenspartnerschaft erst nach 2019 in eine Ehe umgewandelt oder der Antrag auf Zusammenveranlagung nach dem 31. Dezember 2020 gestellt werden wird, ist die Streitfrage, ob es sich bei der Umwandlung in eine Ehe um ein rückwirkendes Ereignis handelt, noch von praktischer Bedeutung. Wird also die eingetragene Lebenspartnerschaft erst ab dem 1. Januar 2020 in eine Ehe umgewandelt oder wird der Antrag auf Zusammenveranlagung in den Fällen, in denen die Umwandlung in Ehe in 2019 stattfindet, erst nach dem 31. Dezember 2020 gestellt, liegen die Voraussetzungen für die erlaubte rückwirkende Anwendung des Splittingtarifs nicht vor. In diesen – wohl nur wenigen Fällen – komme es dann auf die Antwort auf die sehr umstrittene Frage an, ob es sich bei der Umwandlung in eine Ehe um ein „rückwirkendes Ereignis“ handelt oder nicht.

Daumke wies aber auch darauf hin, dass der Antrag gut überlegt sein müsse, weil der Splittingtarif nicht in jedem Fall günstiger ist als die Einzelveranlagung. Dies gelte insbesondere dann, wenn beide Lebenspartner annähernd gleich viel verdienen. Nur dann, wenn erhebliche Einkommensunterschiede bestehen, kann es durch eine gemeinsame Veranlagung zu Erstattungen von bereits bezahlter Einkommensteuer kommen. Es gelten hier also dieselben Voraussetzungen wie für alle Ehen.

Quelle: Steuerberaterverband Niedersachsen Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung vom 04.09.2019

Hintergründe und Folgen der Neuregelung der Grunderwerbsteuer

Nicht zuletzt die andauernden Erhöhungen der Steuersätze in den einzelnen Bundesländern führten zu einer erheblichen Steigerung des Aufkommens der Grunderwerbsteuer – in den Jahren 2011 und 2015 beispielsweise um jeweils über 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da die Grunderwerbsteuer den jeweiligen Bundesländern zusteht, gewinnt sie eine immer größere Bedeutung für die Haushalte. Die Grunderwerbsteuer wird generell immer dann fällig, wenn ein Grundstück oder eine Immobilie den Eigentümer wechselt. Es findet also ein so genannter „Asset Deal“ statt. Bei einem „Share Deal“ dagegen bleibt das Unternehmen Eigentümer der Immobilie. Es findet kein Übergang statt und damit wäre folglich auch keine Grunderwerbsteuer fällig. Damit die Share Deals nicht grundsätzlich von der Grunderwerbsteuer befreit sind und als Gestaltungsmöglichkeit zur Steuerminderung genutzt werden können, hat der Gesetzgeber Ersatztatbestände für die Übertragung von Anteilen geschaffen, erläuterte Dirk Krohn, Diplom Finanzwirt (FH), Groß- und Konzernbetriebsprüfung Schleswig-Holstein im Rahmen seines Fachvortrags bei der SFT „Steuerfachtagung und Zukunftskongress Celle 2019″ mit insgesamt 400 Teilnehmern.

Die Ersatztatbestände greifen grundsätzlich nur in den Fällen, in denen in vergleichbarer Art und Weise zu einem Asset Deal das Eigentum übergeht, also sämtliche Anteile an der Immobilien besitzenden Gesellschaft an den neuen Anteilseigner übergehen. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass eine derartige Regelung des Ersatztatbestands gestaltungsanfällig ist, da ein Unternehmen zum Beispiel nur zu 99,9 Prozent anstatt zu 100 Prozent übernommen werden kann. Dies erkläre die – willkürliche – gesetzgeberische Festsetzung des notwendigen Quantums auf 95 Prozent. Seit der letzten Anpassung des Grunderwerbsteuergesetzes im Jahr 2013 seien immer häufiger Gestaltungen – fast regelmäßig beim Share Deal – zu finden, die wahrscheinlich „nur“ das Ziel haben, den Anfall von Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Um die unerwünschten grunderwerbsteuerlichen Folgen von Share Deals einzuschränken, haben die Finanzminister mehrheitlich beschlossen, dass die 95-Prozent-Grenze in den Ergänzungstatbeständen auf 90 Prozent abgesenkt wird, dass die maßgeblichen Fristen von fünf auf zehn Jahre verlängert werden, dass ein Ergänzungstatbestands, der den Wechsel im Bestand der Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft erfasst, eingeführt wird, dass die Ersatzbemessungsgrundlage auf Grundstücksverkäufe im Rückwirkungszeitraum von Umwandlungsfällen angewendet wird, dass die Vorbehaltensfrist (§ 6 Grunderwerbsteuergesetz) auf fünfzehn Jahre verlängert wird, dass die Begrenzung des Verspätungszuschlags aufgehoben wird und dass eine Vollverzinsung nach § 233a Abgabenordnung für die Grunderwerbsteuer eingeführt wird. Bevor allerdings diese letztgenannte Maßnahme in ein Gesetzgebungsverfahren aufgenommen werden, soll die endgültige höchstrichterliche Entscheidung zur angemessenen Höhe des Zinssatzes abgewartet werden.

Quelle: Steuerberaterverband Niedersachsen Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung vom 04.09.2019

Prozesskosten für eine Studienplatzklage führen nicht zu außergewöhnlichen Belastungen

Tragen Eltern Gerichts- und Rechtsanwaltskosten für eine sog. Kapazitätsklage mit dem Ziel, ihrem Kind einen Studienplatz zu verschaffen, führt dies nicht zu außergewöhnlichen Belastungen. Dies hat der 2. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 13. August 2019 (Az. 2 K 3783/18 E) entschieden.

Die ZVS ließ den Sohn der Klägerin nicht zum Medizinstudium zu. Daraufhin erhob er eine Kapazitätsklage, weil einige Universitäten ihre Ausbildungskapazitäten nicht vollständig ausgeschöpft hätten. Die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten von mehr als 13.000 Euro trug die Klägerin und machte sie als außergewöhnliche Belastungen im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für 2009 geltend.

Dies lehnte das Finanzamt ab, weil es sich um Berufsausbildungskosten handele, die durch den Kinderfreibetrag bzw. das Kindergeld sowie den Sonderbedarfsfreibetrag abgegolten seien. Demgegenüber war die Klägerin der Auffassung, dass es sich nicht um typischen Ausbildungsunterhalt handele. Vielmehr sei es ihr darum gegangen, ihrem Sohn eine Existenzgrundlage durch das Medizinstudium zu verschaffen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Der 2. Senat des Finanzgerichts Münster hat ausgeführt, dass es sich bei den geltend gemachten Prozesskosten um typische Aufwendungen für eine Berufsausbildung handele. Hierunter fielen nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 9. November 1984, Az. VI R 40/83) auch erhöhte Kosten, die durch das Bewerbung- oder Auswahlverfahren entstehen. Diese Rechtsprechung sei auch nach Wegfall des allgemeinen Ausbildungsfreibetrags anwendbar, da nunmehr die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG den Ausbildungsbedarf eines Kindes umfassten.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 16.09.2019 zum Urteil 2 K 3783/18 vom 13.08.2019

Praxisjahr für den Abschluss als „Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt“ führt zum Kindergeldanspruch

Mit Urteil vom 8. August 2019 (Az. 4 K 3925/17 Kg) hat der 4. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass das Praxisjahr zur Vorbereitung auf den Abschluss als „Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt“ Teil einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung ist mit der Folge, dass ein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Der Sohn der Klägerin erlangte im Juli 2017 den Abschluss im Ausbildungsberuf „Landwirt“. Noch im selben Monat meldete er sich für den weiteren Abschluss „Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt“ an einer Fachschule an. Da hierfür ein Praxisjahr zwingend vorgeschrieben ist, konnte er hiermit erst im Juli 2018 beginnen. In der Zwischenzeit absolvierte er das Praxisjahr in drei verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben.

Die Familienkasse lehnte den Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Kindergeld ab August 2017 ab und führte zur Begründung aus, dass die Erwerbstätigkeit im Rahmen des Praxisjahres nach Erlangung eines Abschlusses schädlich sei. Eine einheitliche Ausbildung liege nicht vor, da durch das Praxisjahr eine Zäsur eintrete.

Dies hat das Gericht anders gesehen und der Klage stattgegeben. Der Sohn der Klägerin habe sich auch während des Praxisjahres noch in einer einheitlichen mehraktigen Berufsausbildung befunden. Die Ausbildungstätigkeit habe während der Praktika im Vordergrund gestanden. Die Arbeitstätigkeit sei den Ausbildungsmaßnahmen während der jeweils zeitlich befristeten Praktika untergeordnet gewesen. Die Praktika seien vielmehr auf den angestrebten Abschluss zeitlich und inhaltlich abgestimmt worden. Die Praktikantenverträge hätten auf die angestrebte Ausbildung auch ausdrücklich Bezug genommen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. III B 145/19 anhängig.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 16.09.2019 zum Urteil 4 K 3925/17 vom 08.08.2019 (nrkr – BFH-Az.: III B 145/19)